Schicksalshafte Begegnungen von sharx ================================================================================ Kapitel 2: Versuchungen ----------------------- Kapitel II Versuchungen Kurz vor neun verließ Viktor seine Wohnung über den Hinterausgang, um nicht durch den Laden zu müssen, und verschloss sorgfältig die Tür. Es war Pokerabend und den verpasste er nur ungern, da er nur ein Mal die Woche stattfand. Anfangs war es ihm etwas unangenehm gewesen unter so vielen Menschen zu sein, doch er hatte dort ein paar Bekanntschaften knüpfen können, die ihm ein wenig das Gefühl gaben willkommen zu sein. Für ihn stand fest, dass sie es nie erfahren durften, dass er doch anders war. Das würde das bisherige Vertrauen in seine Person erheblich mindern und er wollte nicht wieder fliehen müssen. Er kontrollierte kurz seine Kleidung und ob der kleine Dolch, den er zur eigenen Sicherheit immer bei sich trug, gut verborgen war, bevor er aufbrach. Sein Weg war nicht lang und er schaffte es pünktlich am üblichen Tisch auf seinem Platz zu sitzen, wo einer der Spielkameraden schon auf ihn wartete. Ein großer, breiter Mann mit leichtem Bauch und dünnem schwarzem Haar. Weißes Hemd, glänzende dunkelgrüne Weste und schwarze Hosen zeigten jedem deutlich, dass er wusste wie man zu Geld kam. Er hatte sich so gesetzt, dass er sehen konnte wer den Schankraum betrat. Zwar gab es in der Kneipe keine feste Regel wer wo saß, doch im Laufe der Zeit hatte sich jeder einen Lieblingsplatz zugelegt. Der von Viktor war am hintersten Tisch auf der linken Seite, mit dem Rücken zur Wand. Von dort hatte er einen Großteil des Raumes im Blick und niemand konnte sich ihm unbemerkt nähern. „Hast du heute noch was anderes vor?“ fragte Carlo und musterte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. Die Abende davor hatte Viktor sich nicht zurecht gemacht, bevor er losgegangen war, und daher war die Frage verständlich. „Nur das übliche“, gab er lächelnd zurück und ließ sich auf dem Holzstuhl nieder. „Wo steckt Joéll?“ - „Vermutlich lässt seine Alte ihn nicht aus dem Haus, weil er immer so viel trinken muss“, witzelte der andere und stieß Viktor den Ellenbogen in die Seite. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie nur zu zweit spielten, doch es war schade die Runde nicht komplett zu haben. „Vielleicht kommt er ja doch noch.“ Carlo nahm sein halbvolles Glas und leerte es in einem Zug, wischte sich dann mit dem Handrücken den Schaum vom Mund. ‚Du trinkst auch ganz schön viel’, dachte Viktor schmunzelnd und begann das Kartenspiel, das auf dem Tisch lag, zu mischen. Zehn Minuten später betrat auch Joéll die Kneipe und schlurfte mit hängenden Schultern durch die verrauchte Luft zu ihrem Tisch. Es wunderte Viktor immer wieder aufs Neue, was eine Frau an so einem Mann finden konnte. Dünn, blass und mit einer krummen Nase, die in einer Schlägerei gebrochen worden war. Sein dichtes, blondes Haar war zerzaust und ihm hing hinten das Hemd aus der Hose. Zwar war er manchmal auch nicht gerade perfekt gekleidet oder schlecht rasiert, aber Joéll sah immer so aus als würde er gerade aus dem Bett kommen. „Habt’a schon anjefangen?“ kam es langsam von ihm, als er sich auf den noch freien Platz zwischen ihnen fallen ließ und sich durch die Haare fuhr. „Nein“, nuschelte Carlo, der sich eben eine Pfeife in den Mund gesteckt hatte. „Wir haben gehofft das du noch kommst.“ Er entzündete die Pfeife mit einem Streichholz und stieß dann eine Wolke dichten Qualmes aus. „Was hat dich aufgehalten?“ fragte Viktor, der begann die Karten zu verteilen. „Hatte Krach mit meiner Alten.“ Joéll nahm die ersten beiden Karten in die Hand und schniefte. „Warum muss se auch immer gleich so ausrasten?“ – „Was hatte sie dieses Mal?“ Carlo sah ebenfalls auf die Karten die Viktor ihm gegeben hatte und begann zu sortieren. Bevor Joéll antworten konnte, kam die Bedienung an ihren Tisch geschwebt. Viktor fragte sich jedes Mal auf neue wie sie das machte, denn mit ihrer Art sich zu Bewegen zog sie die Aufmerksamkeit aller auf sich. Mit Absicht natürlich. Kathrin war die Tochter des Wirts und noch nicht verheiratet. Obwohl sie viele Verehrer hatte ließ sie jeden Abblitzen. „Wie üblich, die Herren?“ Viktor, der sich sonst für sie interessiert hatte, fand sie zwar noch immer attraktiv, war aber gedanklich bei einer ganz anderen Frau. So schenkte er ihr nicht das übliche Lächeln und sah, dass auch Joéll sie eher abwesend betrachtete. „Wie üblich“, gab Carlo zur Antwort und zwinkerte ihr zu, während Joéll und Viktor nur nickten. „Kommt sofort.“ Sie nahm das leere Glas vom Tisch und ging mit einem etwas übertriebenen Hüftschwung zurück zum Tresen. „Ist schon ´ne klasse Frau.“ Joéll sah ihr kurz nach und kratzte sich das stoppelige Kinn. „Bei Kathrin hast du eh keine Chance. Außerdem würde deine Frau dir die Hölle heiß machen“, lachte Carlo und legte zwei Karten verdeckt aus der Hand. „Aber jetzt erzähl. Worum ging es?“ – „Eifersucht.“ Auch er legte zwei Karten auf den Tisch, „Dabei hab ich ihr nur hinterher jesehen.“ Viktor warf drei Karten von der Hand und verteilte kopfschüttelnd neue. Wie oft hatte Joéll schon Ärger mit seiner Frau gehabt, weil er anderen Damen hinterher gesehen hatte? 30 Mal, 40 Mal oder noch öfter? „Du lernst es echt nicht mehr.“ – „Du hättet se sehen sollen, Viktor. Da wär selbst dir nischt anderes übrig jeblieben als se anzusehen. Alle ham se ihr nachjeschaut, sogar die Frauen.“ In Viktor kam eine leise Ahnung hoch. Konnte es sein, dass er von ‚ihr’ sprach? „Was war den so besonders an ihr?“ Er ließ sich nicht anmerken, dass er innerlich betete, es möge sich nicht um Anael handeln, als Joéll auch schon mit einem Schniefen antwortete: „Sie war ´ne Galmar.“ Carlo fiel die Pfeife aus dem Mund und landete auf seinem Schoß. Die Glut im Pfeifenkopf verteilte sich auf der feinen Hose und er sprang vom Stuhl. Seine Karten landeten offen auf dem Tisch, doch es interessierte keinen, was er auf der Hand gehabt hatte. „Willst du mich veralbern?“ kam es säuerlich von Carlo, der Tabak und Asche von seiner Hose klopfte. „Die Galmar sind doch längst ausgerottet.“ – „Das sind sie nicht.“ Viktor biss sich auf die Zunge. ‚Dummkopf!’ dachte er, ‚Warum kannst du nicht einfach deinen Mund halten?’ Die Folge seiner Unvorsichtigkeit war, dass nicht nur Carlo und Joéll ihn überrascht ansahen. Auch am Nachbartisch drehte sich einer zu ihm. „Ach! Und woher weißt du das?“ Carlos Blick bohrte sich förmlich in sein Inneres. ‚Lass dir was einfallen Viktor...’ Um ein klein wenig Zeit zu bekommen, legte er die Karten beiseite und strich sich über den Bart. „Ich hab sie auch gesehen, diese Frau. Sie war ganz eindeutig eine von ihnen.“ – „Dann verstehst de mich, oder?“ Joéll griff nach seinem Arm, was Viktor mehr als unangenehm war. „Wenn du sie jesehen hast, dann weißt du, warum ich nich anders konnte als ihr nachzusehen.“ „Wo hast du sie gesehen?“ Carlo war kühl wie noch nie zuvor und Viktor verstand sofort warum. Eine Abneigung gegen die Galmar war nichts Neues und sein Bekannter konnte sie ganz offensichtlich nicht leiden. Warum es so war, musste er überhaupt nicht wissen. Er musste ihm gegenüber nun mehr als vorsichtig sein und durfte sich nicht verplappern. Immerhin war es möglich, dass Carlo auch etwas gegen die hatte, die mit den Galmar zurecht kamen. Auf ihn würde dann wohl beides zutreffen. Gerade als er etwas sagen wollte, zersplitterte ein Glas zwei Tische von ihnen entfernt, gefolgt von einem Schrei. Sofort wurde es merklich ruhiger und Viktor drehte sich zur Seite. Ihm kam diese Ablenkung sehr gelegen, musste er durch sie nicht auf Carlos Frage antworten. Ein fülliger Mann stand mit dem Rücken zu ihnen mit noch ausgestrecktem Arm über den Tisch gebeugt, auf dem Karten verstreut lagen. Ihm gegenüber saß ein etwas untersetzt wirkender älterer Herr, der sich die Nase hielt. Blut sickerte langsam über das bleiche Gesicht. „Elender Falschspieler!“ schrie der Füllige und holte zu einem weiteren Schlag aus. „Das reicht!“ ging ein anderer Mann dazwischen und hinderte ihn daran erneut zuzuschlagen. Die Ruhe, die eingekehrt war, schwand unter einem Gemurmel, das von allen Seiten kam. „Falschspieler?“ – „Nicht möglich!“ – „Kaum zu glauben, das der...“ waren nur ein paar der Worte, die Viktor aufschnappen konnte. Es war wirklich selten, dass irgend jemand falsch spielte, besonders, da es hier nur um den Spaß und nicht um Geld ging. Wäre dies eine richtige Spielhölle gewesen, er hätte es verstehen können das jemand es riskierte zu schummeln, doch hier lohnte es sich nicht. Daher wunderte es ihn um so mehr, dass der Rundliche so überreagierte. Einen Falschspieler konnte man einfach vom Tisch verweisen, wenn er ertappt wurde. Der Schläger begann sich zu wehren und an den Nachbartischen standen die ersten auf. Verständlicherweise wollte niemand gerne einen Schlag abbekommen und es war mehr als deutlich, dass es noch nicht zu Ende war. In der Zwischenzeit machte sich der Kleinere daran außer Reichweite zu kommen. Noch immer sickerte ihm Blut aus der Nase und in Viktor wurde der Drang geweckt ihm zu helfen. Jedes Mal wenn er Blut sah oder merkte, dass jemand verletzt war, wurde der Wunsch geweckt seine Gabe zu nutzen. Doch er durfte das nicht tun. Besonders nachdem Carlo deutlich gemacht hatte, dass er die Galmar nicht mochte, konnte er es nicht. Beim Letzten Mal, als er in der Öffentlichkeit jemandem auf diese Weise geholfen hatte, war seine Wohnung später verwüstet worden. Daher ignorierte er das leichte Kribbeln an seiner linken Hand, dort wo der Ring saß. „Ich habe nicht falsch gespielt“, kam es von dem Kleineren der sich nun ein Taschentuch aus der Hosentasche zog und sich die Nase wischte. „Wenn man verliert, sollte man die Schuld dafür nicht beim anderen suchen.“ Deutlich war ihm anzusehen, dass er wütend war. Wer wäre das nicht gewesen? „Ich hab doch gesehen, wie die Karte aus dem Ärmel gerutscht ist!“ rief der andere und stieß den Mann beiseite, der ihn festgehalten hatte. „Versuch nicht mich zu verarschen. Ich habe schon ganz andere bei ihren Tricks ertappt und die haben sich um einiges klüger angestellt.“ Nun kam der Wirt hinterm Tresen hervor und näherte sich dem Streit. „Keine Schlägereien!“ rief er und stellte sich zwischen die Beiden, „Ich dulde hier keine Schlägereien.“ Doch dem Dicken platzte der Kragen. Ohne Vorwarnung schug er dem Wirt in den Bauch und stürzte an ihm vorbei auf den Kleineren, der nach etwas auf dem Tisch griff. Zu spät erkannte er die Gefahr, in der er schwebte, und ging unter der Last des anderen zu Boden. Jetzt erkannte Viktor den Grund für das Falschspiel wenn es wirklich statt gefunden hatte. Zwischen den Karten lag noch etwas anderes. Er hatte es vorher nicht sehen können, da ihm die Sicht versperrte gewesen war. Es war kein Geld, sondern ein Zettel, um den sie wohl gespielt hatten. Eine Urkunde... Mehr konnte er nicht erkennen, da sie vom Tisch fiel, als der Dicke auf den anderen los ging. Er wollte etwas tun, die beiden irgendwie auseinander bringen, doch ihm fiel nichts ein, das er hätte machen können. Der kleine Mann war hoffnungslos unterlegen und versuchte nur sein Gesicht zu schützen. Endlich griffen ein paar Stärkere ein und brachten sie auseinander. Stark blutete der eine aus der Nase und einer geplatzten Lippe. Das rechte Auge schwoll langsam an und ganz offensichtlich war er in eine Scherbe des zuvor zersplitterten Glases gestürzt, denn die linke Hand was blutverschmiert und ein tiefer Einschnitt ließ weiteres Blut hervortreten. Viktor konnte nicht hinsehen. Er spürte die aufkommende Wärme in der linken Hand, die bislang jede Wunde hatte verschließen können, doch presste er die Finger fest zu Fäusten um nicht in Versuchung zu kommen und starrte auf die Karten auf dem Tisch. ‚Nicht hinsehen’, ermahnte er sich, ‚nur nicht hinsehen.’ „Is alles Okay mit dir?“ Joéll sah ihn leicht besorgt an und Viktor vermied es ihm in die Augen zu sehen. „Ja, es ist nur...“ Kurz glitt sein Blick zur Seite wo der Wirt nun den Zettel aufhob der vom Tisch gefallen war und laut zu schimpfen begann, dass er so etwas in seinem Hause nicht haben wollte und wenn sie um etwas spielen wollten, das doch zu Hause tun sollten oder in einem Casino. Viktor schob die Karten von sich weg. „Vielleicht sollten wir heute besser nicht spielen.“ „Lass dir doch nicht von solchen Leuten die Laune verderben.“ Carlos Laune hatte sich gebessert und er hatte wohl vergessen, dass Viktor ihm noch eine Antwort schuldig war. „Außerdem hast du bestellt und ich lasse dich nicht eher gehen, bis wir wenigstens eine Runde hinter uns gebracht haben.“ Auch Joéll versuchte ihn aufzumuntern. „Du bist extra wegen der Karten her jekommen und hast sogar noch auf mich jewartet. Das muss sich doch auch ´n bischen lohnen. Du kannst doch nich schon wieder in deine Werkstatt verschwinden, sonst vereinsamst de noch.“ Viel Lust hatte er zwar nicht, doch er blieb. Bevor sie jedoch ihre Karten wieder aufnahmen, verfolgten sie das Ende der Schlägerei. Der Kleine wurde notdürftig versorgt und der andere hinausgeworfen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er einen Fehler gemacht hatte. Was wenn die Wunde sich entzündete oder nicht von selber verheilte? Er hatte sehr stark geblutet. Es war möglich, dass der Mann auf dem Weg nach Hause verblutete... Den ganzen Abend über konnte Viktor sich nicht wirklich auf das Spiel konzentrieren und ging früher als gewöhnlich. Das Thema Galmar war nicht noch einmal gefallen und er war froh, dass es vorerst beendet war. Sicher würde es noch einmal zur Sprache kommen. Spätestens wenn Anael wieder auftauchte oder ein anderer seiner Art. Er hatte sich ihr zwar nicht zu erkennen gegeben, doch war er sich fast sicher das sie mehr über ihn wusste als gut war. Zu Hause angekommen ging er noch einmal durch die dunkle Werkstatt. Die Uhren tickten leise hinter den Glastüren und an den Wänden. Das Geräusch beruhigte sein Inneres. Schon als Kind hatte er gemerkt, dass ihn das Ticken der Wohnzimmeruhr beruhigte und hatte sich immer wieder eine eigene Uhr gewünscht, die er nie bekommen hatte. Allein aus dem Wunsch eine Uhr zu besitzen war er immer, wenn er die Zeit dazu hatte, zum Uhrmacher des Dorfes gegangen und hatte ihm bei der Arbeit zugesehen. Im Laufe der Jahre hatte sich zwischen den Beiden eine Freundschaft entwickelt. Dieser Uhrmacher war Icee Manril. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)