Kreuzritter von Idris (Eine Entscheidung) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Warnungen: dark, depri, Momentaufnahme Charaktere: Aya, Omi Vorwort: Ein langes Telefonat mit EvilMokuba (vielen Dank für 5 sehr unterhaltsame Stunden ^_~) hat mich dazu inspiriert. Irgendwie waren wir uns einig, dass es zu wenig ernste WK-Fics gibt ... ~*~ Auf der Wanduhr in Omis Zimmer ist Sailor Moon, was Aya jedes Mal irritiert, wenn er darauf blickt. Es ist nach Mitternacht und eigentlich hat Omi noch Mathehausaufgaben, die er machen muss. Stattdessen sitzt er im Schneidersitz neben Aya auf seinem Bett und entscheidet über ein Leben. Es klingt sehr profan das so auszusprechen. Als sei es nicht mehr als eine lästige Fliege zu erschlagen. In der Tat ist es auch so genauso profan. Es gibt genau zwei Gruppen von Menschen, die sie töten. Die erste Gruppe sind Leute, die Kritiker tot sehen will. Peng, Auftrag. Sorry, war nicht persönlich. Die nächste Gruppe sind Menschen, die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Und das ist die wirklich tragische Gruppe, denkt Aya. Diese Entscheidung nimmt ihnen niemand ab. Manchmal treffen sie die falsche Entscheidung. Im Adrenalinrausch. Ohne klaren Gedanken. Sie haben lange aufgehört darüber zu grübeln, wie viele Menschen sie aus Versehen getötet haben. Was wirklich im Magen liegt, sind die Opfer, die man einkalkulieren muss. Können wir uns leisten sie am Leben zu lassen? Diese Art Entscheidung treffen sie immer nur zu zweit. Ohne die anderen. Yohji liest die Missionsberichte gar nicht. Ken will eigentlich nur den Teil mit den bösen Jungs hören und nichts weiter. Das hilft bei der Illusion, dass sie etwas tun, was getan werden muss. Deswegen entscheiden Omi und Aya allein. Über ein Leben. Oder zwei. Oder zehn. „Wenn wir hier reinkommen, haben wir das Aufzug-Problem“, sagt Omi und deutet mit dem Kugelschreiber auf ein eingezeichnetes Quadrat auf dem Bauplan. „Es könnte ewig dauern, bis ich mich da eingehackt habe. Vermutlich bräuchte ich dazu Zugriff auf den Zentralrechner …“ Er kaut auf seinen Fingernägeln, während Aya sieht, wie es in seinem Kopf rattert. ‚Zentralrechner’ ist ein Wort, dass Omi unglaublich auf Touren bringt. Es sind Augenblicke, wie diese, wo Aya bewusst wird, dass Omi einfach alles hätte tun können. Wirklich … alles. Politiker. Wissenschaftler. Künstler. Vielleicht Herzchirurg. Präsident. Irgendetwas Großartiges, wo er dieses wunderbar komplexe Gehirn, was er hat, grenzenlos benutzen und ausschöpfen kann. Aber Omi kommt nicht einmal dazu seine Mathehausaufgaben zu machen … weil er zu beschäftigt ist zu entscheiden, ob sie einen Menschen am Leben lassen oder nicht. „Aya-kun …“ Er reibt sich über die Stirn. „Was denkst du?“ Große Kulleraugen werden sekundenlang bittend auf Aya gerichtet. Es hat etwas seltsam Rührendes an sich … als ob Omi hofft, dass Aya der Erwachsene von ihnen ist, und dass er ihm gleich über den Kopf streicheln wird und sagen, dass er sich keine Gedanken mehr machen muss. Aber natürlich streichelt Aya ihm nicht über den Kopf. Weil er so was nie tut. Und weil schon lange niemand mehr der Erwachsene für Omi sein kann. Sein Blick wandert auf den Plan und folgt Omis Bleistiftlinie. Vorne einzusteigen ist zu riskant, denkt er. Aber er weiß, dass Omi das längst selbst weiß, und Aya ist kein Freund überflüssiger Worte. „Fang noch mal von hinten an“, sagt er. Der weizenblonde Schopf nickt langsam und beugt sich erneut über den Bauplan. Der Stift wanderte ohne eine Spur zu hinterlassen über das knisternde Papier und es arbeitet wieder in Omis Gehirn. Aya lässt sich gegen die Wand sinken und schließt sekundenlang die Augen. Omis Bett ist so ungewohnt weich und er bekommt Rückenschmerzen, wenn er zu viel Zeit darauf verbringt. Aber es ist größer als sein Eigenes und man kann besser Pläne darauf ausbreiten. Außerdem ist der Computer in Omis Zimmer. Und Sailor Moon, die Aya nicht mehr ansehen kann, ohne Bauchschmerzen zu bekommen. „Wenn wir erst mal im Labor sind …“, murmelt Omi und seine Augen sind schon ganz glasig vor Müdigkeit. Er zeichnet fünf kleine Kreuze in das Quadrat, auf dem ‚Labor’ steht. Ein Kreuz für den Wissenschaftler und eins für jeden seiner vier Assistenten. Omi schreibt ‚Targets’ an die Seite, und Aya weiß was das bedeutet. Eingeplante Opfer. Menschen, über die Aya nicht nachdenken wird, weil er weiß, dass es das nicht wert ist. Kritiker will sie tot sehen und er wird sie töten. Sorry, das ist nicht persönlich. Omi runzelt die Stirn. „Ich werde im Labor Zeit brauchen, um mich in ihren Computer einzuhacken und die Dateien zu finden.“ „Wie lange?“ „Viertelstunde. Höchstens zwanzig Minuten.“ Schmale Schultern werden gehoben und wieder gesenkt. „Brauchst du noch ein Kissen, Aya-kun?“ Aya, dem allein die vier plüschigen Küssen neben sich schon sehr suspekt sind, schüttelt den Kopf. Inzwischen kennt er Omi so gut, dass er unerwarteten Gedankensprüngen folgen kann und nicht mehr das Gefühl hat grade was verpasst zu haben. „Ein Glas Saft?“ fragt Omi höflich. „Omi …“ Aya deutet auf den Plan und Omi lächelt verlegen. Er kann nicht ändern, wer er ist. Aya beugt sich vor, so dass ihre Schultern sich fast berühren. Seine Augen scannen systematisch über Linien und Quadrate, die für Wege, Treppen und Räume stehen, und Kreuze, die nur ‚Targets’ heißen. Sein Gehirn läuft nicht mit der Überschallgeschwindigkeit, mit der das von Omi arbeitet, aber es ist effizient und pragmatisch. Er deutet auf ‚Labor’ und fährt mit dem Zeigefinger eine dünne Linie weiter nach rechts. „Der interne Alarm ist das Problem“, sagt er. „Wenn auch nur einer von ihnen es schafft, ihn noch auszulösen, wird die Zentrale im dritten Stock verständigt …“ „… und in weniger als zwei Minuten ist alles voll mit Wachpersonal“, vervollständigt Omi und seufzt. Das Wachpersonal ist immer das Problem. Niemand bei Kritiker schert sich um Wachleute, die Nachtdienst haben. Sie stehen nie auf der schwarzen Liste von irgendjemand. Aber getötet werden müssen sie trotzdem. Sie grübeln und stecken die Köpfe zusammen, und Omi zeichnet immer mehr Striche und Kreuze auf das Papier. Target. Target. Target. Der Bauplan wird aussehen wie ein Friedhof, wenn sie fertig sind. Aya sagt wenig, aber er nickt, wenn Omi ihn ansieht. Noch ein Leben, das sie opfern. Wie Bauern in einem Schachspiel. Omi plant und Aya nickt. Er weiß, dass Omi ihn eigentlich nicht braucht, um den perfekten Plan auszuarbeiten. Aber er braucht ihn, damit er nicht alleine entscheiden muss. Keiner von beiden spricht es aus … aber es ist leichter, diese Verantwortung zu teilen. Irgendwann hebt Aya den Kopf und fährt sich über die schmerzenden Augen. Sailor Moon zwinkert ihm zu und zeigt an, dass es halb zwei ist. „Bist du müde, Aya-kun…?“ Omi mustert ihn besorgt und seine Stimme ist sanft. „Vielleicht solltest du schlafen gehen. Ich kann den Rest auch alleine machen, wenn du …“ Aya schüttelt den Kopf. „Mach weiter“, befiehlt er knapp. Omi nickt und schenkt ihm ein aufmunterndes Lächeln, das seine Augen nicht ganz erreicht. Herzchirurg, denkt Aya. Politiker. Und er verschränkt die Arme vor dem Körper, als sei ihm plötzlich kalt. Er weiß, dass Ken früher Fußballprofi war und Yohji Privatdetektiv. Und Aya selbst hat nie andere Ambitionen gehabt, als der beste große Bruder der Welt zu sein … so sehr sein Vater auch wollte, dass er in seine großartigen Fußstapfen tritt. Nur Omi ist nie etwas anderes gewesen, hat nie etwas anderes gemacht als das. Kreuze in einen Plan. Er ist so gut darin, wie niemand sein dürfte. Sie arbeiten schweigend. Schweigend, weil Aya wortkarg ist und weil Omis Augen die eigentlichen Fragen stellen. „Wenn wir hinten einsteigen“, sagte Omi irgendwann und seine Stimme ist ganz flach und emotionslos vor Erschöpfung, „ersparen wir uns das Aufzugproblem und kürzen den Weg um wenigstens dreißig Minuten.“ Hinten einsteigen bedeutet drei Wachleute mehr als vorne, die sie zum Tode verurteilen. Omi hebt den Kopf und sieht ihn an. Aya nickt. Er ist müde. Drei Kreuze mehr erscheinen auf dem Plan. Eins für jedes Leben, das sie nehmen. „Wer?“ fragt Aya, weil er zu erschöpft ist für ganze Sätze. Omi fährt sich durch die Haare und es arbeitet wieder hinter den blonden Ponysträhnen, während er überschlägt, wer zu diesem Zeitpunkt was tun muss, damit alles reibungslos läuft. „Du und Ken“, sagt er schließlich, weil es das einzig Logische ist. Seine Augen bitten ihn um Verzeihung, aber er kann nicht anders handeln und Aya weiß das. Deswegen nickt er und weicht seinem Blick aus. Es dauert einen quälend langen Moment, bis Omi sich räuspert. „Dann … sind wir fertig für heute“, sagt er leise. Die Uhr schlägt zwei. Und Aya denkt, in weniger als sechs Stunden wird Omi in der Schule sitzen und ein ganz normaler Junge sein, der seine Mathehausaufgaben nicht gemacht hat. Aber das sagt er nicht. Stattdessen starrt er auf die dünne, kleine Linie zwischen Labor und Zentrale, die so klein und unwichtig aussieht und so viele Dinge entscheidet. „Ist es möglich, den internen Alarm zu kappen, bevor wir im Labor sind?“ fragt er zögernd. Omi kaut auf dem Bleistift und denkt sorgfältig nach. Vor seinen Augen flimmern theoretische Schaltkreise und Verbindungen, die Aya nicht sehen kann und lange Zahlencodes, die er nicht verstehen würde. „Wenn ihr mir wenigstens zehn Minuten Zeit für den Zentralrechner verschaffen könnt … dann kriege ich es hin.“ Omi nickt und rettet mit diesem Nicken sieben Wachleuten das Leben. Aya atmet aus. Sieben kleine Kreise inmitten von einem Meer an Kreuzen. Omis Finger, die bei den Kreuzen nicht ein einziges Mal gezögert haben, zittern ein wenig. Er blickt auf und lächelt und es ist ein wenig verzerrt und müde, aber diesmal ist es echt. Und Aya tut etwas, was er sonst nie tut. Er fährt mit der Hand über Omis Kopf, nur ganz kurz und ein wenig unbeholfen, weil er das so lange bei niemandem mehr gemacht hat. Omis Haare sind glatt und babyweich. Dann sieht Aya weg und hasst sich selbst, weil er sekundenlang froh ist, dass Omi nicht tut, was er alles tun könnte. Er ist froh, dass Omi hier ist und ein Genie ist ... und Kreise auf einen Plan zeichnet, die Aya davor bewahren, über das Leben von sieben Menschen zu entscheiden. ^ Fin ^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)