Windmill von abranka ================================================================================ Kapitel 1: Windmill ------------------- Windmill, Windmill for the land, Turn forever hand in hand, Take it all in on your stride, It is ticking, falling down Windmühlen. Windmühlen gefielen ihm. 2-D stützte den Kopf in die Hände. Sein blaues Haar fiel ihm struppig in die Stirn. Seine dunklen Augen waren geschlossen. Er versuchte ganz flach zu atmen, doch auch das vertrieb den Schmerz nicht. Sein Kopf schien noch immer explodieren zu wollen. Sein Gehirn war wie leergefegt. Kein Gedanke mehr schaffte es, sich den Weg durch dieses Chaos zu bahnen. „Hier. Nimm nen Schluck.“ Eine Flasche Bier wurde vor ihm abgestellt. 2-D brauchte nicht aufzusehen, um zu wissen, dass diese Flasche nur von Murdoc stammen konnte. Eine Sekunde später brachte ihm ein herzhafter Stoß in die Rippen die Gewissheit. Nur Murdoc hatte dermaßen spitze Ellbogen. „Los.“ Der Geruch von kaltem Zigarettenrauch, vermischt mit Alkohol und dem Gestank einer frischangezündeten Kippe wehte zu 2-D hinüber. Der Sänger der Band Gorillaz nahm einen Schluck von dem kalten Bier und presste sich dann die Flasche gegen die Schläfe. „Besser?“ Er schüttelte den Kopf. „Dann lern damit zu leben. Weichei.“ Der schlaksige Sänger sah auf. „Und wie immer ist es eine Freude, mit dir zu kommunizieren, Murdoc“, antwortete er trocken. „Geh jemand anderes auf die Nerven, aber nicht mir.“ „Bei dir macht es aber viel mehr Spaß.“ In Murdocs rotunterlaufenen Augen glitzerte es verdächtig. Erneut verdrehte 2-D die Augen. „Murdoc, du bist wirklich ein Geschenk des Himmels.“ „Ich weiß.“ Der Bassist grinste breit. 2-D schnitt eine Grimasse und wandte sich wieder dem Blatt Papier zu, dem seine Aufmerksamkeit gegolten hatte, bis ihn seine Migräne einmal mehr übermannt hatte. In letzter Zeit wurde sie noch schlimmer. Seine Augen huschten über das Papier. Weiß. Leer. So leer wie sein Kopf. „Schreibblockade?“ „Murdoc, geh und nerv Russel!“ „Nein.“ „Doch!“ „Nein.“ „Doch. Oder du kannst dir nen neuen Sänger suchen!“ 2-D drehte sich entnervt mit seinem Drehstuhl um. Er lehnte sich zurück gegen den brüchigen Schreibtisch. Nur die Schreibtischlampe brannte in diesem Loch, das er als sein Arbeitszimmer bezeichnete. An der Wand hingen halb zerfetzte Poster von irgendwelchen Bands, die er mal als Inspiration betrachtet hatte. Ihre Kraft als Muse war längst gegangen. Da war nur noch die Leere in seinem Kopf, die ihn antrieb. Die ihn dazu zwang, sie mit irgendetwas zu füllen und sei es nur für einen Augenblick. 2-D musterte Murdoc, der ihm gegenüber in einem zerschlissenen Sessel hockte, dessen Füllung und Sprungfedern an einigen Stellen durch den Stoff ragten. Dem schwarzhaarigen Bassisten war die Kinnlade runtergefallen und er starrte den Sänger mit tellergroßen Augen an. Nur mühsam fing er sich wieder. „Das meinst du nicht so!“ „Ach?“ „Nein. Du hängst an uns. Du hängst an mir. Ohne uns... Was bist du denn schon ohne uns?“ Murdoc sprang auf und begann, auf und ab zu gehen. „Und ihr? Was seid ihr denn ohne mich?“ 2-D hing weiterhin auf dem Stuhl und beobachtete den Bandleader. Murdoc, der älteste in der Runde war es, der immer alle wichtigen Entscheidungen traf. Noodle und Russel hatten meist nichts zu sagen, nur 2-D wurde manchmal um seine Meinung gebeten. Manchmal. Immerhin. Was aber auch schlicht darin begründet lag, dass es Murdoc und 2-D gewesen waren, die die Gorillaz gegründet hatten und die beide damit ihren Traum lebten. Dass der Blauhaarige jetzt auf einmal alles aufs Spiel setzte – kein Wunder, dass das für Murdoc kaum zu glauben war. „Wie du meinst.“ 2-D zuckte mit den Schultern. „Dann finde es heraus...“ Damit wandte er sich wieder dem Schreibtisch und dem weißen Blatt zu. Weiß. Leer. So wie sein Kopf... Windmühlen waren schön. Windmühlen waren bedeutungsvoll. Beim gemeinsamen Pizzaessen am Nachmittag in der recht schmierigen Küche mit den kaputten Stühlen schwieg 2-D. Das war nichts besonderes, er neigte dazu, zu schweigen. Von den Fans wurde er deswegen als cool empfunden, doch in Wahrheit hatte er meist einfach nichts zu sagen. Oder aber seine ständige Migräne hinderte ihn daran, klar genuge Gedanken zu fassen, um etwas Sinnvolles zu sagen. Da das japanische Mädchen und die absolut geniale Gitarristen Noodle abgesehen von ‚Noodle’ noch immer kein einziges Wort Englisch sprach, und sich Russel mit seinem Hip-Hop-Gerede lieber im Hintergrund hielt, war Murdoc der Wortführer der Band nach außen geworden – und auch nach innen. Doch er schwieg an diesem Mittag ebenfalls. Die Nachmittagssonne drang nur schwach durch die schmierigen Fenster und ließ die Staubflocken in einigen verwegenen Lichtstrahlen tanzen. Verwegen deshalb, weil sie sich in diesen Raum hineinwagten. Schließlich bequemte sich doch Russel, etwas zu sagen. „Stress?“, fragte er langsam. Noodle aß unbeeindruckt weiter und kleckerte mit dem Käse auf den Küchenboden. Dort war er in der guten Gesellschaft von Bierflecken und Frühstücksflocken. Murdoc sah zu 2-D hinüber, welcher nur mit den Achseln zuckte. Der Bandleader schüttelte den Kopf. „Okay...“ Erleichtert biss Russel von seinem nächsten Pizzastück ab. Allein diese Möglichkeit hatte ihn derart in Aufregung versetzt, dass er dringend Kalorien brauchte. Murdoc nahm einen tiefen Schluck von seinem Bier. „Kommste voran mit dem Song?“, wandte er sich an den Sänger und Songwriter der Band. 2-D zuckte mit den Schultern. „Hab ne Idee...“ „Wow, er hat ne Idee.“ Murdoc grinste und kippelte auf dem Stuhl. „Unser Genie hat eine Idee.“ Der Blauhaarige kaute weiter auf seinem Stück Pizza und musterte den Bassisten sehr genau. Sein Kopf dröhnte wieder. So langsam fragte er sich, ob das mit Murdoc zusammenhing. Vielleicht ging ihm der Bandleader ja derart auf den Keks, dass er deswegen immer diese verdammte Migräne hatte. Eine Möglichkeit, die erwogen werden musste. Auf alle Fälle nervte Murdoc. Besonders mit dieser eklig überlegenen Geringschätzung, die er 2-D entgegen brachte. So langsam hatte er es wirklich satt. Wenn er es sich recht überlegte, dann trat er hier doch auf der Stelle. Die Band war ja gut und schön. Aber eigentlich... eigentlich reichte es doch nicht. Ohne Respekt zu leben, war doch bescheuert. Hier gab es keine Perspektive. Sie machten Musik – und das äußerst erfolgreich – und lebten immer noch in dieser abgewrackten Hütte. Sie traten auf der Stelle. Weil Murdoc es so gefiel, wie es war, und sie alle zu lethargisch waren, um irgendetwas zu ändern. „Oh, jetzt sind ihm die Worte ausgegangen. Wahrscheinlich alle auf dem Papier gelassen, was?“ Murdoc lachte keckernd. Gut, das war der letzte Tropfen. 2-D stand auf. „Das war’s dann. War nett, mit euch gespielt zu haben. Ich verlasse die Band.“ „WAS?“ Russel sprang auf und riss den Tisch um. Dieser wiederum fegte auch Noodles vom Stuhl und schleuderte sie gegen den versifften Ofen. Murdoc krachte vor Schreck mitsamt Stuhl und voller Flasche Bier zu Boden. „Du tust WAS?“ Russel starrte den schlaksigen Sänger immer noch vollkommen entsetzt an. „Gehen. Ist das denn so schwer zu kapieren?“ 2-D verdrehte die Augen. „Wegen dem Warum kannste dich an unseren Boss da wenden.“ Er deutete zu dem noch immer am Boden hockenden und langsam von seinem Bier vollkommen durchnässten Murdoc. „Das kannst du doch nicht machen...“, stammelte Russel. „Doch, ich kann. Sorry, Jungs.“ 2-D nickte Noodles und Russel knapp zu und verließ dann die Küche. Hinter sich hörte er Noodles laut auf Japanisch schimpfen. Der Sinn seiner Worte schien nun auch sie erreicht zu haben. Gegen Windmühlen zu kämpfen hieß Aussichtslosigkeit. Aussichtslosigkeit gefiel ihm. Aussichtlosigkeit bestimmte sein Leben. Ruhig packte er seine Sachen. Eine große Sporttasche reichte. Es gab nicht viel, das er mitnehmen konnte. Zwei Ordner voller unfertiger Songs, fünf T-Shirts, drei Jeans, ein Paar Ersatzschuhe, Socken, Unterhosen. Wahllos stopfte er die Klamotten in seine Tasche. Ach ja, da waren noch die CDs... Schnell hatte er sie aus dem Schrank gekramt und auch auf den Haufen geworfen. Mit einem Ruck zog er den Reißverschluss zu. Hinter ihm hörte er ein Feuerzeug aufschnappen. Einen Moment später erfüllte Zigarettengeruch das Zimmer. „Du meinst es ernst, ja?“ „Ja“, antwortete 2-D schlicht. Er schulterte die Tasche und wandte sich um. Murdoc lehnte im Türrahmen und sah ihn abwartend an. Die schwarzen Haare hingen ihm strähnig ins Gesicht und seine Augen schienen noch roter zu sein als gewohnt. „Warum?“ „Weil du mir nicht zuhörst. Weil du mich nicht ernst nimmst. Weil du mir keinen Funken Respekt entgegen bringst.“ 2-Ds Stimme war ruhig, nahezu kalt. Es gab doch nichts, worüber man sich aufregen musste, oder? Abgesehen davon mochte sein Kopf Aufregung nicht. Okay, er war angespannt und sein Schädel fühlte sich noch beschissener an als die letzten Tage. Die Explosion stand wohl wirklich kurz bevor. Fast erhoffte sie sich 2-D. Denn, wenn ihm wirklich der Kopf explodieren sollte, war es vorbei. Dann gab es keinen Schmerz mehr. Nichts mehr. „Hm...“ Murdoc zog an seiner Zigarette. „Und das ist es jetzt wirklich gewesen?“ „Murdoc.“ 2-D seufzte demonstrativ. „Wenn ich jetzt nicht gehe, nimmst du mich noch weniger ernst. Welche Wahl habe ich, hm? Du wirst dich nicht ändern, ich werde mich nicht ändern. Also müssen sich die Umstände ändern.“ „Und wenn wir die Umstände in der Band ändern?“ Langsam ließ 2-D die Tasche sinken. „Und wie?“ „Na ja... Du sagst, was du willst, und ich versuche – die Betonung liegt auf versuche -, es umzusetzen. Wenn jemand weiß, wie wenig perfekt ich bin, dann du...“ Murdoc grinste schief. Der Blauhaarige stellte die Tasche auf den Boden. „Und du glaubst, dass das etwas ändert?“ „Da ich keine Wahl habe – ja.“ 2-D legte den Kopf schräg. „Also gut. Keine dummen Sprüche mehr. Keine von diesen bescheuerten Ellbogenchecks. Und du gehst mir nicht mehr auf die Nerven.“ Jetzt war es Murdoc, der demonstrativ seufzte. „Harte Bedingungen, 2-D...“ „Und wir ziehen um.“ „Bitte?“ Dem Leader fiel die Zigarette aus der Hand. Geistesgegenwärtig trat er sie auf dem heruntergelaufenen Teppich mit seinen ausgelatschten Stiefeln aus. „Wir ziehen um. Ich hab keinen Bock mehr auf diese Bruchbude. Die Wurzeln zu wahren ist ja gut und schön – das hier ist aber nur erbärmlich.“ „Oh...“ Murdoc zog nachdenklich die Stirn in Falten. „Okay.“ Er atmete tief durch. „Noch weitere Anträge, Meister?“ „Nein, das war’s fürs Erste.“ „Okay...“ Wieder atmete der Leader tief durch. „Das Okay heißt nun was?“ 2-D legte den Kopf schräg und fuhr sich mit seinen kantigen Eckzähnen über die Unterlippe. „Okay zu deinen Bedingungen. Umziehen werden wir auf alle Fälle. Ne Putzfrau gibt’s auch noch dazu. Und den Rest – ich geb mir Mühe, okay?“ „Okay.“ 2-D grinste. Also blieb er hier. Vielleicht mochte er hier das Gefühl haben, nicht von der Stelle zu kommen, aber andererseits: Das hier war nun mal sein Leben. Die Band war sein Leben. „Schön...“ Murdoc zögerte einen Moment. „Dann willkommen zurück, schätze ich.“ „Das trifft es.“ Der Blauhaarige trat auf ihn zu. „Hey, kein Grund die Coolness zu verlieren und Umarmungen zu starten!“ Murdoc wich entsetzt zurück. 2-D zog eine Augenbraue hoch. „Ich will nur in mein Arbeitszimmer. Songtext weiterschreiben.“ „Oh.“ Die Hände in den Hosentaschen schlenderte 2-D an dem Bassisten vorbei. Im Moment störte ihn noch nicht einmal mehr seine Migräne. Oh ja, ihm gefiel diese Aussichtslosigkeit hier. Sie hatte etwas Idyllisches. Windmühlen waren wirklich großartig. Love forever love is free, Let’s turn forever you and me, Windmill, windmill for the land, Is everybody in? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)