Tage der Erinnerungen von Stiffy ================================================================================ Kapitel 4: Ewige Sucht ---------------------- Ich war unglaublich nervös, als ich am nächsten Tag zu ihm ging. Ich wusste, dass er etwas in mir verändert hatte und auch wenn dies ein schönes Gefühl war, so war es doch auch immer noch merkwürdig. Er bedeutete mir so viel, nur wie sollte ich das zeigen? Ich hatte verlernt meine Gefühle einer andren Person zu offenbaren, da ich einfach keine Gefühle zu den Menschen hatte. Doch jetzt war so viel anders. Ich hatte mir die ganze Nacht darüber Gedanken gemacht, doch als er vor mir stand war all diese Sorge vorbei. Er lächelte und ich erwiderte sein Lächeln. Da sah ich einen ungewohnt schönen Ausdruck in seinen Augen. „Setz dich.“, bat er und ich tat es. Er nahm neben mir auf dem Hocker platz. Erwartungsvoll sah ich ihn an. Einen Moment schwiegen wir, dann griff er plötzlich nach meinem Arm, schob den Ärmel hoch und blickte mir dann wieder in die Augen. Seine sahen enttäuscht aus. „Warum nimmst du immer noch Drogen?“ Sein Finger strich über eine der Einstichstellen und ich zuckte kaum merklich zusammen. Ich konnte zunächst nichts sagen, sondern senkte nur meinen Kopf. Es war das erste Mal, dass ich mich wirklich dafür schämte, dass ich Drogen nahm. Und zudem war ich auch zum ersten Mal gewillt, diese Frage irgendjemandem zu beantworten. Nein, nicht irgendjemandem, sondern ihm. Nur ihm. „Ich kann nicht mehr aufhören...“, flüsterte ich und es fiel schwer. Zu lange hatte ich mir vorgelogen, ich könne aufhören wenn ich nur wollte, doch eigentlich wusste ich immer, dass es eine Lüge war. Ich war süchtig nach diesem Zeug, konnte mir nicht vorstellen, wie ein Leben ohne es aussehen würde... Nun hatte ich das erste Mal die Wahrheit ausgesprochen. „Willst du aufhören?“ Er betonte das erste Wort stark und sah mich fest an... Ich denke es war genau dieser kleine, ach so winzige Moment, in dem es mir bewusst wurde... In dem ich zum ersten Mal den Gedanken hatte, dass es wirklich ein Leben ohne dieses Zeug geben könnte... Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass ich es nicht mehr wollte, dass ich es wahrscheinlich schon sehr lange nicht mehr wollte. So viele hatten schon versucht mir genau dies einzureden, doch nie hatte es einer geschafft. Nur er... und das, obwohl er noch nicht mal irgendwas besonderes getan hatte. Er hatte es geschafft, indem er mich nur fragte... und mir so mein eigenes Inneres bewusst machte. Ich nickte langsam. Er lächelte... und dann beugte er sich vor, küsste vorsichtig die frischeste Einstichstelle vom Morgen. Ein Kribbeln ging durch meinen Körper, stärker als dann, wenn das Gift meine Adern durchfloss. Er sah mich wieder an ohne ein Wort zu sagen. Und auch wenn ich mich wohl fühlte, wuchs gleichzeitig diese Sorge in mir. Zum ersten Mal gab es diesen Gedanken aufzuhören überhaupt... Doch... ob ich es überhaupt schaffen könnte? Garantiert würde ich es nicht einfach so weglassen können... Ich würde Schmerzen haben, würde leiden... Hatte ich wirklich die Kraft, es zu schaffen? Seine Hand ruhte mittlerweile auf meiner. Ich sah sie an, seine schöne und meine bleiche Hand. Er sah schrecklich aus, dieser extreme Gegensatz, und dennoch empfand ich es irgendwie als schön... denn genau dort wünsche ich mir seine Hand. Bei mir. Ich kann mich noch so genau an den Tag erinnern, an diese Situation. In mir arbeitete alles wie wild, während er still bei mir saß und mir einfach nur dadurch half, dass er da war. Sein Blick ruhten die ganze Zeit auf mir und als ich meinen Kopf hob, um ihn anzusehen, traf ich ihn sofort. Seine Augen waren wunderschön und geheimnisvoll. Sie zogen mich an, hielten mich gefangen, auf eine ganz sanfte Art. Ob ich es schaffen konnte, irgendwann ein Recht darauf zu haben, seine Hand in meiner zu halten? Hatte ich wirklich diese Kraft? „Hilf mir...“, sprach ich leise und wurde rot. War es richtig ihn das zu fragen? Konnte ich das wirklich von ihm verlangen? Ja, heute weiß ich, wie richtig es war. Ohne ihn hätte ich es niemals geschafft. „Natürlich helfe ich dir“, sprach er ebenso leise und gleichzeitig schlossen sich seine Finger warm um meine, drückten sie leicht und liebevoll. „Erzählst du mir, wie das alles angefangen hat?“ Ich erstarrte in dem Moment, als er mir diese Frage stellte. Ich spürte meinen Körper sich verspannen. Irgendwie hatte ich gehofft, dass er dies nie wieder fragen würde... und doch war nun der Augenblick gekommen. Doch welcher Augenblick... wirklich der, in dem ich ihn über mein Leben berichten würde? Dieses abscheuliche Leben in Worte fassen? Ich hielt seinem Blick nicht mehr stand, ich konnte nicht. Schnell stand ich auf. Nein... Egal, wie nahe ich ihm gerade vielleicht gekommen war, so ließ es mich doch diesen Schritt nicht gehen. Ich wusste, dass ich kein einziges Wort über die Lippen bekommen würde. Ich ging zum Fenster hinüber, blickte durch die Gitterstäbe nach draußen in die graue, grausame Welt. Es war kein schöner Tag, denn es goss in Strömen. Von dem Fenster aus sah man nicht weit, da einen große Häuser den Blick versperrten. Keine Menschenseele war zu sehen. Nie hatte es mich wirklich interessiert was um mich herum geschah, doch an dem Tag fand ich es unglaublich interessant. Bloß nicht daran denken, was ich jetzt sagen sollte. So viele Jahre fühlte ich mich stark, war jedoch schwach. An diesem Tag jedoch fühlte ich mich schwach, war aber wohl stark wie nie zuvor. Eigentlich wollte ich es ihm erzählen und ich hätte wahrscheinlich auch die Kraft dazu gehabt... doch blieb ich ihm eine Antwort schuldig. Einige Zeit geschah nichts, dann plötzlich spürte ich zwei Hände an meinen Schulter, die sanft hinunterglitten, um meine Hüften... Arme, die mich an seinen Körper zogen. Vor Schreck zog sich alles in mir zusammen und für ein paar Sekunden sah ich diese schrecklichen Bilder vor meinen Augen. Bilder aus meiner Vergangenheit, die noch gar nicht so lange zurück lag. Ich sah mich mit einem andren Mann im Bett, wie dieser sich an mir verging und ich nichts tat außer zu schweigen, wie ich es damals immer getan habe. Für die Drogen war das ein angemessener Preis, hatte ich mir immer wieder eingeredet. Plötzlich schämte ich mich dafür, dass ich so gedacht hatte... dass ich mich für Geld dieser Arbeit hingegeben hatte. Das konnte ich ihm doch unmöglich erzählen! Nathan bemerkte wahrscheinlich, dass ich mich verspannte und seine Berührung nicht so gut ertrug... und so ließ er mich schnell wieder los, selbst wenn ich mir im selben Moment wünschte, er hätte es nicht getan. „Ich weiß nicht, was dir angetan wurde, dass du dich so sehr anderen Menschen verschließt...“, flüsterte er sanft. Seine Hand griff nach meiner und ich erwiderte ihren Druck. Tränen stiegen mir in die Augen. Wie lange hatte ich nicht mehr geweint? „Doch ich wünschte, du könntest mir vertrauen...“, sprach er weiter, was mich zu ihm herumfahren ließ. „Das tue ich!“, rief ich, hielt seine Hand noch fester. „Ja?“ Ich nickte... und senkte dann meinen Blick, da ich Seinen nicht halten konnte. „Aber es ist... so schwer...“, gestand ich, „Ich kann nicht einfach so alles erzählen... ich...“ Ich schüttelte den Kopf. Sein Daumen strich über meinen Handrücken, was mich ein wenig beruhigte. „In Ordnung... Erzähl es mir einfach dann, wenn du es willst...“ „Danke...“, hauchte ich und fühlte mich zum ersten Mal in meinem Leben ein kleinwenig verstanden. An diesen Tag sprachen wir lange darüber, wie ich am besten aufhören könnte. Er sagte, ich müsse mir irgendwas anderes suchen, das mich glücklich macht, etwas, nur eben keine Drogen.... Irgendein Hobby vielleicht, dem ich ab nun nachgehen konnte. Auch meinte er, wir sollten uns von nun an auch Nachmittags treffen. Er müsse ein bisschen was dafür umlegen, aber das würde schon gehen. Er sagte, er wolle besser auf mich aufpassen können und seine Augen unterstrichen nur, wie ernst er es meinte. Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, wieso ich ihm so wichtig geworden war... doch es freute mich unheimlich. Von dem Tag an war ich sein winziger Patient, da auch die andren Wärter meinten, ich sei einer dieser besonders schwierigen Fälle. So hatte ich fast täglich Morgens und Mittags je fünf Stunden Therapie. Die anderen zwei Insassinnen, die dadurch nun einem anderen Therapeuten zugesprochen wurden, waren nicht gerade davon begeistert, das spürte ich deutlich. Sie setzten sogar schon am zweiten Tag das Gerücht in die Welt, dass zwischen uns etwas wäre, doch niemand schenkte dem Glauben. Es hätte wohl keiner damit gerechnet, dass sie, zumindest was mich anging, gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt waren... Ich sagte nicht viel dazu, stritt es mit einfachen Worten ab oder schwieg ganz. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich liebte ihn, dessen war ich mir nun sicher. Was mit ihm war... ich wusste es nicht. Er war zärtlich mit mir und kümmerte sich so liebevoll um mich, doch durfte ich mir Hoffnungen machen? Es war nicht das einzige Gerücht, das in diesen Tagen in Umlauf kam... Da gab es noch ein anderes, unter dem ich mehr litt. Ich erfuhr davon am vierten Tag, nachdem mein Entzug begonnen hatte: Nathan sollte ein Verhältnis mit einer der Wärterinnen haben. Als ich das hörte, fühlte ich mich mit einem Mal schrecklich allein. Ich weiß nicht, was ich mir vorgestellt hatte oder ob ich wirklich eingeredet hatte, dass es für ihn nur mich gab... doch dies zu hören tat weh. Es gab jemanden, der ihm mehr bedeutete als ich. Eigentlich war dies vollkommen logisch, war ich doch nur einer seiner Patienten, aber die plötzliche Erkenntnis und vermeintliche Wahrheit konnte ich in meiner momentanen Lage nicht so gut verkraften. Ich brauchte ihn, ich liebte ihn... ich wollte, dass er wirklich nur für mich da war. Ich besorgte mir Stoff. Ich wusste, dass die körperlichen Schmerzen, die ich die ganze Zeit empfand, dadurch weggehen würden – schließlich schrie mein Körper nur so nach diesem Zeug, von dem er nur noch winzige Dosen zugeteilt bekam – und ich dachte, auch meinen Kummer, meine Eifersucht, die ich plötzlich empfand, könnte ich dadurch verschwinden lassen. Dem war nicht so. In der Nacht weinte ich bitterlich. Es tat weh, wenn ich daran dachte, er könnte jemand anderem nahe kommen, und die Droge lenkte mich nicht ab. Es war das erste Mal, dass ich diese Art von Schmerz empfand. Als ich am nächsten Tag bei Nathan ankam, sah er mich gleich so durchschauend an. Er kam auf mich zu, sein Blick war besorgt und eindringend, und ich hatte das Gefühl, gleich würde er es in meinen Augen lesen können, warum ich geweint hatte. Es war mir peinlich. Er nahm mich an der Hand und zog mich zum Stuhl, drückte mich ins Polster. Ich wollte mich wehren, doch ich konnte nicht. Ich wollte schon wieder weinen und verfluchte mich deshalb selbst. Er setzte sich mir gegenüber und sah mich weiterhin an. Am liebsten hätte ich einfach die Flucht ergriffen, doch das ging natürlich nicht so einfach... „Du hast wieder Drogen genommen...“, sagte er und auch wenn es wohl eher enttäuscht klang, so konnte ich diesen Vorwurf nicht ertragen. Nicht von ihm, nicht in diesem Moment. „Sag mir was passiert ist...“ „Lassen mich in Ruhe!“ Ich fuhr ihn forsch an. Er interessierte sich doch eh nicht für mich... „Dann behalte es meinetwegen für dich, wenn du es nicht nötig hast, mit mir zu reden...“ Ein kleinwenig erschrak ich bei diesen Worten. Ich spürte, dass ich ihn tatsächlich verletzt hatte, doch konnte mir nicht erklären wieso. Ich war doch von Anfang an nicht wesentlich zugänglicher, warum verletzte ihn dann gerade diese Anfuhr? Ich bekam ohne es zu wollen ein schlechtes Gewissen. „Tu- tut mir... es...“ Ich spürte einen Finger auf meinen Lippen und er seufzte. „Schon gut... du musst nichts sagen, was du nicht willst.“ Ich konnte nichts erwidern, noch etwas tun. Ich konnte ihn nur anstarren, wie ich es so oft tat. Sein Finger strich leicht über meine Lippen, dann entfernte er ihn, legte ihn stattdessen an meinen Hemdkragen. Mit ein paar kurzen Griffen hatte er mein Hemd bis zur Hälfte geöffnet. Fast panisch weiteten sich meine Augen. Was hatte er vor? Seine Hand strich sanft über mein Schlüsselbein, dann stand er auf. Während er um mich herumging, strich er mit der Hand in meinem Nacken. Nun schob er mein Hemd etwas von den Schultern, und begann dann, mich zu massieren. Erst da entspannte ich mich wieder. „Am besten du schließt deine Augen und denkst an gar nichts...“ Dies war zwar leichter gesagt als getan, trotzdem schaffte ich es, meine Gedanken, die eigentlich nur um ihn kreisten, abzustellen. Wie lange er mich an jenem Tag massierte, weiß ich nicht. Irgendwann ließ er ab und schloss seine Arme um meine Schultern, legte seinen Kopf an meinen. Sofort schlug mein Herz wieder schneller. „Lass das nächste Mal bitte die Drogen weg, wenn du Probleme hast... rede einfach mit mir, okay?“ Zögernd nickte ich. Ich wusste nicht, ob ich es halten könnte, doch ich wollte es versuchen. Danach genoss ich es Minutenlang einfach zu spüren, wie er mich festhielt und sanft an sich drückte. Warum er das tat, wusste ich nicht, ich hoffte nur, dass es nicht das letzte Mal sein würde. Die Eifersucht verschwand in diesem Moment... und so wirklich kam sie nie wieder zurück. Ich verschloss meine Ohren einfach vor dem Gerücht und dachte nur noch das, was ich denken wollte. Dass ich mir all das vielleicht nur einbildete... darüber wollte ich nicht nachdenken. Die Nähe, die mir an diesem Tag so geholfen hatte, und seine Berührungen... Ich sollte sie nicht zum letzte Mal erleben. In den darauffolgenden Tagen kam es öfter vor, dass er mich in die Arme nahm und einfach festhielt. Wahrscheinlich hatte er gespürt, wie es mir half... dass ich mit jedem Tag nur noch mehr brauchte, da der Entzug höllische Schmerzen hervorrief und ich nur bei ihm das Gefühl hatte, sie seien etwas gelindert. Dafür waren die Stunden, in denen ich allein war, schrecklich. Oft kauerte ich einfach nur irgendwo und wiegte mich selbst hin und her. In solchen Augenblicken, die immer öfter vorkamen, vergaß ich alles um mich herum, konnte nur noch an die Schmerzen und an Drogen denken. Ich zittere vor Kälte und schwitzte gleichzeitig. Alles tat weh und auf den Beinen konnte ich mich nur schwer halten. Ich wollte wieder Drogen, mehr als alles andere, doch ich widerstand dem Drang. Und das nicht zuletzt wegen Nathan. Ich dachte an ihn und wusste, ich würde ihn enttäuschen, wenn ich wieder anfangen würde. Dabei wünschte ich mir wirklich, dass er eines Tages vielleicht stolz auf mich sein könnte. Dennoch war es schrecklich schwer... Ich hätte ihn so gebraucht, an jeder Minute des Tages, besonders Abends, wenn ich mich allein in meiner Zelle befand, mich auf meinem Bett krümmte. Es tat immer so gut, bei ihm zu sein und ihn zu spüren. Ich genoss es so sehr und umso mehr vermisste ich es in den einsamen Momenten. Mit jedem Tag, der verging, wurde es schlimmer, der Entzug unerträglicher. Ich weinte viel, einfach, weil ich meine Emotionen und Schmerzen nicht unter Kontrolle hatte... Und ich wurde wütend, auf ihn, auf mich, auf die ganze Welt... weil ich so gefoltert wurde, weil er nicht bei mir war, weil er mich hierzu zwang, weil ich überhaupt diesem ganzen Scheiß ausgesetzt war. Ich wollte nicht mehr! Teil 4 - Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)