It's your love story von abgemeldet (~The Suicide Book~) ================================================================================ Kapitel 9: 09 ~ Christmas Eve ----------------------------- author's note: dieses Kapitel zu schreiben war ein Akt... und eigentlich sollte es auch noch länger gehen, aber ich fand es dann doch besser, es auf zwei Kapitel aufzu teilen... (das sage ich oft, kann das sein...?) dedicated to Kisa, how helped me see the world from more than one angle... my god, I am getting corny and sentimental again... I am down right prone to be... anyway, let me dare you to: kyu ~09 Christmas Eve ~it is pain and weird affection that draws us together~ Kamijo bemerkte seine Nervosität, welche sich während der Bahnfahrt langsam aufgebaut hatte, erst richtig, als er auf den Klingelknopf mit Mayu’s Namen drückte. Die Straße in der die Wohnung des anderen lag, war, wie beinahe alle kleineren Straßen in der ganzen Stadt, nicht vom Schnee geräumt worden. Kamijo war auf dem Weg von der Station bis an die Haustür mehrere Male beinahe ausgeglitten. Jetzt zog der junge Mann seine Handschuhe aus und hoffte darauf, dass Mayu überhaupt zuhause war und er den langen Weg bis zu ihm nicht ganz umsonst gemacht hatte. Außerdem war Heiligabend und Kamijo hatte sich bisher noch keinerlei Gedanken darüber gemacht, was er tun würde, sollte Mayu nicht da oder anderweitig beschäftigt sein. Kamijo schluckte. Heiligabend wollte er nun wahrlich nicht allein verbringen, aber was wenn... „Hallo...?“ Die Gegensprechanlage rauschte und Kamijo beugte sich ein Stück hinunter um genau in das Mikrophon sprechen zu können. „Mayu...? Hier ist Kamijo... Kann ich zu dir raufkommen...?“ Es dauerte einen Augenblick bis der Türöffner summte und Kamijo öffnen und erleichtert in den Hausflur treten konnte. Oben an der Wohnungstür erwartete ihn Mayu mit leicht zerzaustem Haar und in Hausklamotten und schaute ihm ziemlich überrascht entgegen. „Was willst du denn hier um diese Zeit...?“, fragte er und zog eine Augenbraue hoch. Kamijo lächelte entwaffnend und lehnte sich, trotz unstetem Herzschlag, betont lässig und bequem gegen den Türrahmen. „Ich dachte, du bist vielleicht zuhause und hast heute Abend noch nichts vor...“, sagte er jovial und lächelte Mayu abermals an. „Kann ich reinkommen...?“ Mayu nickte kurz und trat beiseite und Kamijo schlüpfte an ihm vorbei in den kleinen, nur schwach von Wohnzimmer her beleuchteten Flur. Er zog Schuhe und Mantel aus und lies sich von Mayu ins Wohnzimmer geleiten. In dem Zimmer herrschte schummriges Licht; nur eine kleine Lampe an der Heizung brannte und daneben lag die Bettdecke, die Mayu Kamijo vor wenigen Tagen gegeben hatte. Der große braune Sessel, den Kamijo bei seinem letzten Besuch zum ersten Mal gesehen hatte, lag umgestürzt auf der Seite. Mayu hatte den Boden herausgenommen und kleinere Holzsplitter und Teile der Verkleidung hatten sich gelöst und lagen in einem kleineren Durcheinander auf dem Teppich. Ebenfall dort lagen ein Päckchen Spielkarten, ein kleines Buch mit schwarzem Einband und eine Kaffeetasse, welche noch halbvoll war. Es sah so aus, als hatte Mayu in der kleinen Lichtinsel gesessen und gelesen als Kamijo an der Tür geklingelt hatte. Kamijo blieb mitten im Zimmer stehen und fragte sich kurz, warum der andere vor der Heizung gesessen hatte, noch dazu mit einer Decke, anstatt, wie er es sonst erwartet hatte, auf seinem Futon liegend zu lesen. Dann jedoch drehte er sich zu Mayu um, welcher eben gerade die Wohnzimmertür hinter ihnen schloss. „Was ist denn hier passiert...?“, fragte er und deutete auf das auf der Seite liegende Möbelstück. Mayu zuckte die Schultern. „Eine Feder ist herausgesprungen und ich habe versucht, sie von unten wieder in die richtige Position zurück zu ziehen...“ Mayu schien der ganzen Sache wenig Aufmerksam zu schenken und blieb an der Zimmertür stehen, um Kamijo im orangen Licht der Lampe genau in Augenschein zu nehmen. „Schein glatt draußen zu sein... Du hast Schnee an der Hose... Bist du ausgerutscht...?“ „Beinahe...“ Kamijo sah an sich herab und erst jetzt fiel ihm die nasse Stelle am rechten Hosenbein auf. Er legte die Hand darauf und der Schnee schmolz in Sekunden. „Was machst du grad...?“, wollte er wissen, unsicher darüber, ob er den anderen nicht vielleicht doch ungebeten kam. Mayu jedoch zuckte abermals die Schultern. „Lesen...“, war seine kurze Antwort. „Und was bringt dich hierher zu mir...? Hast du meine Sachen mitgebracht...?“ „Oh...“ Kamijo verzog das Gesicht und verwünschte sich dafür, dass ihm diese offensichtliche Gelegenheit, mit einem wirklichen Grund bei Mayu zu erscheinen, nicht aufgefallen war. „Nein...“, sagte er verlegen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Hab ich leider total vergessen...“ „Aha...“ Auch diesmal war Mayu‘s Antwort kurz und Kamijo fragte sich ob der andere nicht nur danach gefragt hatte um überhaupt irgendetwas zu sagen. Mayu drehte sich denn auch ohne weiteres Interesse um und ging in die Küche. Kamijo folgte ihm. Mayu schien ihn nicht weiter zu beachten als er zum Wasserkocher griff um sich eine Tasse Kaffee einzufüllen. Kamijo war es irgendwie unangenehm, einfach in der Tür zu stehen und er räusperte sich nur um Mayu‘s Aufmerksamkeit wieder zu erlangen. „Warum nimmst du nicht die Tasse, die im Wohnzimmer auf dem Boden steht...? Ist der Kaffee darin schon kalt...?“ Mayu drehte sich zu ihm, die neue Tasse in der Hand. „Ist das nicht egal...?“ „Schon möglich... Mayu, komme ich dir irgendwie grad ungelegen...?“ Der Angesprochene blickte ihn einen Augenblick nur an, wie um den Sinngehalt seiner Frage oder einer möglichen Antwort abzuschätzen und sagte dann: „Nein, ich war nur gerade so versunken in mein Buch und habe überhaupt nicht mit dir gerechnet...“ Der Wasserkocher pfiff und Mayu drehte sich wieder der Arbeitsfläche der kleinen Küche zu. „Willst du auch eine Tasse...?“, fragte er leise und füllte Kaffeepulver aus einer kleinen goldenen Dose in die bereitgestellte Tasse. Kamijo nickt. „Ja, sehr gern...“ Zurück im Wohnzimmer lies Mayu sich auf der Bettdecke neben der Heizung nieder und Kamijo setzte sich auf den Fußboden ihm gegenüber hin. Einige Minuten lang schlürften beide schweigend ihren heißen Kaffee, dann blickte Mayu plötzlich auf. „Wenn du mir meine Sachen nicht wiederbringen willst, was willst du dann...?“ Er zog die Knie an und stellte die Tasse darauf ab. Kamijo fuhr sich ein wenig verlegen mit einer Hand durch die Haare, dann sagte er: „Naja, ich hatte Lust darauf, dich zu sehen und hatte gehofft, dass du heute Abend vielleicht nichts vorhast...“ „Aha...“ Ob dieser Aussage noch mehr als sowieso schon verlegen, zupfte Kamijo an einer Haarsträhne in seinem Nacken und lies seine Blicke durch das Zimmer und dessen Schatten schweifen. „Nun, ich wollte heute Abend etwas unternehmen angesichts des besonderen Datums und ich hatte gehofft, dass du mit dabei sein würdest...“ „Besonderes Datum...?“, fragte Mayu etwas verwirrt und Kamijo schaute ihm nun direkt und ebenso leicht verwirrt an. „Heute ist doch Heiligabend... Mayu, hast du das etwa vergessen...?“ „Naja, vergessen nicht, eher nicht mitbekommen...“, antwortete Mayu, nun selbst ebenfalls leicht verlegen. „Ah, jetzt wird’s mir klar...“ Verstehen durchleuchtete Mayu‘s monotone Züge. „Du hast ja eine Freundin mehr... Und da dachtest du, da ich ja auch keine habe, kommst du mal eben hier vorbei um an Heiligabend nicht allein rumsitzen zu müssen...“ „Genau das... Allerdings mit weniger Hinblick auf meine Exfreundin...“ Kamijo atmete hörbar aus und fixierte Mayu nun direkt. „Also, was ist...? Meinst du, du kannst dich losreißen von einem Abend bleierner Bücherspannung und mit mir nach Shinjuku kommen...? Ich hab nichts genaues geplant, aber mal ganz ehrlich: wir können doch hier nicht so rumsitzen, nicht an so einem Tag wie heute...“ „Ich habe in den letzten zwei Jahren nichts an Heiligabend unternommen und habe es bisher immer überlebt...“, sagte Mayu und seine Worte hatten etwas entgültiges. Doch Kamijo war weit davon entfernt, einfach sang- und klanglos aufzugeben und wieder nach hause zu schleichen. Er würde alles tun, um Mayu zum Ausgehen zu bewegen. Auch für vielleicht nur eine Stunde oder zwei. „Dann hast du definitiv was verpasst... Shinjuku ist wundervoll am heiligen Abend... Die Weihnachtsbeleuchtung überall und außerdem...“ Doch Mayu unterbrach ihn an dieser Stelle. „Kamijo, nur weil du keine Freundin hast und auf deinen Spaß nicht verzichten willst, willst du jetzt mich bis nach Shinjuku schleifen...? Um dort was zu tun...? Ich werde nicht mit dir händchenhaltend durch die Straßen wandern...“ „Nein, nein, das verlange ich auch nicht...“ Kamijo lachte obwohl er sich sicher war, dass Mayu keinen Scherz gemacht hatte. „Aber wir könnten doch einfach in eine Bar gehen und schauen was uns dort so an Frauen über den Weg läuft... Ich kenne einen englischen Pup dort an der Hauptstraße, gehen wir doch dort hin... Nicht jede Frau hat schließlich einen Freund zum Heiligabend-mit-verbringen und vielleicht ergibt sich was... Wir könnten essen gehen und vielleicht...“ Kamijo hatte einen neuen Einfall. „Vielleicht tut dir etwas weibliche Zuwendung ganz gut...“, gab er zu bedenken. Mayu lies ein schnaubendes Geräusch vernehmen, was entfernt nach einem Lachen klang und Kamijo lächelte ihn an. „Weibliche Zuwendung...? Du bist ja wirklich schnell über deine Trennung hinweg...“, sagte Mayu und lächelte nun wirklich, wenn auch nur leicht. „Ach, Schnee von gestern...“, winkte er ab. „Na, komm schon, gib dir einen Ruck... Lass mich nicht hängen... Lesen und Trübsal blasen oder was auch immer kannst du auch noch morgen Abend...“ „Na gut, na gut...“, erklärte Mayu sich endlich bereit und stand auf. „Ich werde ein guter Freund sein und dich nicht hängen lassen... Aber eins lass dir gesagt sein...“ Er hob den Zeigefinger in Kamijo‘s Richtung. „Wenn ich keine Lust mehr habe, dann gehe ich und es wird nichts geben, was mich umstimmen kann... Und du wirst es auch nicht versuchen...“ „Natürlich, natürlich... Ganz wie du willst...“, antwortete Kamijo, erfreut über seinen Erfolg. Hinter dem Rücken jedoch kreuzte er seine Finger, so dass Mayu es nicht sehen konnte. Er wollte es dem anderen auch nicht zu einfach machen und vielleicht war das seine einmalige Chance, Antworten auf Fragen zu erfahren, die ihn bereits seit Wochen nicht mehr losließen. Ganz zu schweigen von Mayu‘s Kuss zwei Abend zuvor. Außerdem hatten sie schon seit Wochen nichts mehr zu zweit unternommen; nicht, seit Mayu sich so plötzlich in sich selbst zurückgezogen und Kamijo damit ein kopfzerbrechendes Rätsel aufgegeben hatte. Der Gitarrist hatte von diesen Gedanken natürlich nichts mitbekommen und sah sich nun in seinem Zimmer um. „Warte hier, ich werde mir was anziehen und mich fertig machen...“, sagte er. Dann öffnete er den Kleiderschrank, suchte einige Augenblicke lang und verschwand dann mit einigen Klamotten in Richtung Bad... Mayu besah sein Gesicht im Spiegel. Die dunklen Ringe um seine Augen waren nach wie vor präsent und um seine Lippen hatte sich in den letzten Wochen ein gewisser Zug von Härte gelegt, welcher Mayu bisher nicht aufgefallen war. Nachdenklich hob er eine Hand und führte sie an seine Wange. Sein Spiegelbild kopierte seine Bewegung und sah ihm weiterhin wortlos in die Augen. Seit Kamijo zuletzt hier gewesen war, seit Mayu neben ihm eingeschlafen war, voller Angst, sich wieder in seinen Alpträumen zu verlieren, nur um dann aufzuwachen und festzustellen, dass sie ihn für diese Nacht nicht heimgesucht hatten, aus welchen Gründen auch immer, und etwas in Mayu hatte sich strikt geweigert, ihre Abwesenheit mit Kamijo‘s Anwesenheit zu erklären, hatte er zwei weitere Nächte erlebt. Und diese waren nach der einen geruhsamen wirklich höllengleich gewesen. Mayu hatte sich durch Stunden zwischen Wachen und Träumen geworfen, immer mit der Hoffnung, dass bei seinem nächsten Erwachen die Wintersonne schon durch seine Zimmerfenster scheinen würde, nur, um dann jedes Mal doch wieder mit der Dunkelheit konfrontiert zu werden. Seine Träume waren nach wie vor seltsam real und einnehmend und Mayu fühlte sich nach dem Schlafen keinen Deut wacher und besser als am Abend zuvor. Ja, er fühlte sich nach der ersten Nacht so gerädert, dass er am vorherigen Abend extra lange wach geblieben war, obwohl sein Kopf irgendwann zu schmerzen begonnen hatte und ihm immer wieder die Augen zufielen. Niedergeschlagen und überreizt hatte er sich dann hingelegt, nur um wieder die gleichen schrecklichen Bilder zu sehen... Mayu wandte sich vom Spiegel ab und versuchte den Schatten von sich zu schütteln. Langsam griff er nach Jeans und Pullover, um sich anzuziehen. Als er dann ein wenig Make-up auflegte, um die ungesunden dunklen Stellen in seinem Gesicht zu übertünchen, stellte er fest, dass er sich merkwürdigerweise darauf freute, dass Kamijo an diesem Abend zu ihm gekommen war. Vielleicht war es auch mehr eine Ahnung als echte Freude und diese Erkenntnis verwirrte ihn zusehends. Mayu wünschte sich, dass der andere einfach in seiner Nähe blieb, anstatt ihn hinaus in den Schnee und nach Shinjuku zu schleifen. Er hätte kein Problem damit gehabt, den Abend hier zu verbringen, in beiderseitigem Schweigen. Was jedoch wäre dann geschehen, wenn Kamijo das Buch entdeckt und hineingesehen hätte? Dieses Buch, was ihn erst in Kamijo‘s Arme getrieben hatte. Dieses Buch, welches ihn in seiner kopflosen Flucht dazu gebracht hatte, Kamijo zu küssen, nur um damit alles nur noch viel verwirrender und komplizierter zu gestalten... Mayu wurde sich beim Blick in sein Spiegelbild immer klarer darüber, dass er Kamijo die Existenz dieses Buches verheimlichen musste. Und genau das würde er auch tun. Es war dumm gewesen, es ihm zeigen zu wollen und Mayu entschloss sich dazu, alles zu tun, um dieses kleine, jedoch nicht minder schreckliche Geheimnis vor Kamijo mit allem was ihm zur Verfügung stand, geheim zu halten. Selbst wenn er ihm dazu an so einem kalten und für ihn selbst gänzlich bedeutungslosen Abend nach Shinjuku würde folgen müssen, um Kamijo‘s Zweifel zu zerstreuen und ihn im Auge behalten zu können. Er würde damit genau das tun, was Kamijo wenige Tage vorher in verzweifelter Unwissenheit von ihm verlangt hatte; so tun, als wenn nichts wäre. So würde er es machen und was dann geschah, kümmerte niemanden mehr. Mayu verschloss seinen Schmerz in seinem Herzen und verließ das Badezimmer... Die Straßen Shunjukus waren an diesem voller Menschen. Kamijo blickte sich um als er mit Mayu im Schlepptau aus dem Bahnhofsgebäude auf die Straße am East Exit trat. Die Nacht war kalt und klar, das letzte Schneien hatte aufgehört aber die Luft war nicht still. Wind war aufgekommen und auf dem Platz vor dem Ausgang drängten sich die Menschen; hier traf sich, wer immer sich in Shinjuku treffen wollte. Kamijo und Mayu, der sich, zu Kamijo‘s stiller Belustigung, eine tiefschwarze Mütze halb über die Augen gezogen hatte, machten sich auf dem Weg zwischen händchenhaltenden Pärchen und Leuten, die mit ihren Freunden in Gruppen unterwegs waren, weg von dem Platz inmitten des belebten Stadtviertels. „Wo ist denn dein Pub...?“, fragte Mayu und hielt sich näher an Kamijo, um den anderen Menschen um ihn herum besser ausweichen zu können und Kamijo im Gedränge nicht zu verlieren. „Dort entlang...“, antwortete Kamijo und hob die Hand. Als sie an der Hauptstraße ankamen, an welcher jedes Geschäft offen hatte, zeigte Kamijos‘s Armbanduhr gerade einmal neun Uhr abends an. Sie liefen die Fußgängerzone entlang, vorbei an den grellen Lichtern der Leuchtreklamen und Fensterauslagen der Läden und die Luft um sie herum vibrierte förmlich von den Geräuschen der anderen Nachtschwärmer um sie herum. Kamijo hätte nach Mayu‘s Hand gegriffen um sie beide schneller voran zu bringen, doch nach einem kurzen Impuls ließ er seine Hand wieder an seine Seite sinken; der andere hätte diese Geste sicherlich sowieso nicht zugelassen, auch wenn sie in diesem Augenblick nicht als Zuneigungsbeweis gemeint war, sondern als Wegweiser. Sie liefen über die breite Straße, dann nach links und betraten wenige Augenblicke später durch eine offene Tür in einem der großen, unförmigen Häuser eine kleine Kellertreppe, die sich nach unten schlängelte. Der Raum, den sie nun betraten, war wie die Straßen voller Menschen und auch hier vibrierte und pulsierte die Luft, aber es war nicht mehr so kalt wie draußen und auch haftete ihm eine andere Atmosphäre an. Kamijo sah sich um, entdeckte einen freien Tisch in einer der Ecken und ging zielstrebig darauf zu. „Was willst du trinken...?“, fragte er und schob Mayu die Karte hin. Dann legte er seine Jacke neben sich auf die Bank und griff nach der zweiten Karte. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Mayu, der sich eben die Mütze vom Kopf zog, mit einer Hand durch sein Haar fuhr und sich umsah. Die Wände waren höher, als Kamijo sie in Erinnerung hatte, allerdings war er das letzte Mal mit Sanaka hier gewesen und hatte naturgemäß der Einrichtung wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Das alte Steuerrad mit den Griffen rundherum hing noch an der Wand und auch der Rettungsreifen in weiß und blau war noch da, aber seit Kamijo hier gewesen war, waren andere Dinge hinzugekommen. Die Holzverkleidung der Wände war dunkel lackiert worden und Kamijo fuhr mit der Hand über die Sitzbank, auf der er saß. Mayu hatte sich derweil hingesetzt und griff nach der Karte. „Ich nehme ein Strongbow Cider...“, beantwortete er Kamijo‘s Augenbraunzucken und ließ sich gegen die Holzverkleidung auf seiner Seite des Tisches sinken. „Hübsch hier...“, sagte er nach einem weiteren Rundumblick. Kamijo quittierte dies mit einem Lächeln. Als sie ihr Bier bestellt hatten, Kamijo hatte sich Mayu angeschlossen und ebenfalls ein Strongbow verlangt, blickte Mayu ihn über die Kerze auf dem Tisch hinweg an. „So, jetzt sind wir hier...“, stellte er nüchtern fest. „Und was willst du nun, das ich tue...?“ Kamijo griff ruhig nach seinen Zigaretten und bot Mayu eine an. Der lehnte jedoch ab. „Hier sein, unter Menschen...“, antwortete er und grinste süffisant. Mayu schwieg einen kurzen Augenblick, in welchem sich Kamijo seine Zigarette ansteckte. „Du meinst das wirklich ernst, nicht...?“, fragte er, was Kamijo erneut süffisant lächeln ließ. Er lehnte sich gemütlich nach hinten und blies langsam den Rauch in die bereits tabakgeschwängerte Luft. „Natürlich tue ich das...“ „Und du hattest sonst keine andere Wahl, was deine Abendbegleitung anging...?“ Es geht nicht darum, ob du meine einzige Alternative zu einem langweiligen Abend zuhause warst, dachte Kamijo, sagte es jedoch nicht. Stattdessen räusperte er sich und nahm einen erneuten Zug. Den Rauch stieß er beim Reden wieder aus als er sagte: „Das steht außer Frage, Mayu... Du bist hier, weil ich mit dir hier sein wollte...“ „Aha...“ Mayu blickte Kamijo mit kokettierter Ungläubigkeit an und Kamijo begann sich ein wenig zu ärgern. Er wollte Mayu zeigen, was er in der Welt außerhalb seiner eigenen Wohnung verpasste und ihn nebenbei ein wenig beobachten, herausfinden, ob es etwas zu entdecken gab, vielleicht ein Gespräch führen, eines, das nichts mit Belanglosigkeiten zu tun hatte; ein wirkliches Gespräch. Kamijo wusste nicht ob er sich über sich und seine eigene Naivität ärgerte oder über Mayu‘s Spielchen, denn schließlich hätte er wissen müssen, dass der andere es ihm nicht einfach machen würde und er beschloss, dass es an der Zeit sei, die Gesprächstaktik bis auf weiteres aufzugeben. Wenn eine Kriegstaktik nicht funktionierte und der General dies bereits während der Schlacht, am besten zu einem Zeitpunkt, bemerkt, an dem er noch einmal umplanen konnte, dann war er sehr gut damit beraten, sich schleunigst etwas anderes auszudenken. Kamijo wartete bis der Kellner, der gerade neben ihren Tisch getreten war, die beiden Flaschen Bier und zwei Gläser abgestellt hatte, dann begann er den Raum zu durchsuchen und wurde auch schnell fündig. Es gab nicht nur Pärchen, die diese Nacht zu ihrer ganz persönlichen Nacht machten, sondern auch viele, die allein oder mit Freunden unterwegs waren. Ich werde schon dafür sorgen, dachte er, dass du dich amüsierst und dass du redest. Im nächsten Augenblick kamen ihm zwar seine eigenen Gedanken äußerst herrisch vor, aber er schob alle Zweifel und Verwunderung beiseite und winkte zwei jungen Frauen zu, welche ihn und Mayu schon die ganze Zeit seit ihrem Eintreten in den Pub beobachtet hatten. Das geht fast zu glatt, dachte er noch, und erstickte ein Grinsen als er Mayu‘s erschrockenes Gesicht sah, als die beiden Mädchen sich zu ihnen setzten... Zwei Stunden später, Kamijo rauchte gerade die letzte Zigarette seiner aktuellen Packung und war in ein ziemlich sinnloses Gespräch mit dem Mädchen links von ihm vertieft, hatte Mayu das Gefühl, dass er die offensichtlichen und, er wusste nicht, ob das am Alkohol oder seiner eigenen Ruhelosigkeit lag, plumpen Flirtereien auf der Sitzbank ihm gegenüber nicht mehr sehr viel länger würde ertragen können. Er hatte Kamijo den ganzen Abend beobachtet, da das Mädchen neben ihm auf der Bank ihm keine wirkliche Ablenkung davon hatte bieten können, und musste nun zugeben, dass, obwohl er noch immer nicht genau wusste, was Kamijo mit diesem Ausflug nach Shunjuku oder den beiden Mädchen eigentlich genau erreichen wollte, Kamijo immerhin eines geschafft hatte: Mayu hatte den ganzen Abend über ihn nachgedacht. Und das so intensiv, dass er den Namen des Mädchens neben ihm schon längst wieder vergessen hatte. In dieser unbekannten Umgebung hatte Mayu in den vergangenen zwei Stunden eine Seite seines Freundes entdeckt, welche er bisher nicht zu kennen geglaubt hatte. Kamijo war zuvorkommend gewesen, hatte gelacht, geredet und geflirtet und er war in allem, wie Mayu zugeben musste, verdammt gut und sicher gewesen. Die Mädchen waren es, die im Vergleich zu ihm wie plumpe Mittelschülerinnen gewirkt hatten. Doch auch Mayu hatte sich gut amüsiert. Er war inzwischen bei der dritten Flasche Bier angelangt, welches ihm sehr gut schmeckte, die Musik gefiel ihm, obwohl der Fernseher neben ihrem Tisch an der Wand vor einer halben Stunde etwa begonnen hatte, ein Manchester United-Spiel zu übertragen und er hatte sich wohl gefühlt, ein paar Fragen zu beantworten, die ihm die beiden Mädchen gestellt hatten. Sonst hatte er sich beim Reden und beide Mädchen mit ihrem Interesse ihm gegenüber zurückgehalten; es war ganz offensichtlich Kamijo, an dem beide gleichermaßen interessiert waren. Aber Mayu störte dies nicht weiter und seine Hand war nur ein einziges Mal über die Jackentasche mit dem kleinen schwarzen Büchlein darin geglitten. Er hatte erst überlegt, es in der Wohnung zu lassen; aus Angst, sich ohne jedoch unsicher zu fühlen, hatte er es dann aber doch eingesteckt. Kamijo hatte davon nichts mitbekommen... „... du wärst sicherlich schockiert...“, sagte Kamijo gerade und lachte. Das Mädchen neben ihm, dessen hellbraun gefärbtes Haar ihr in Lockenstabwellen über die Schultern fiel, griff nach ihrem Bierglas und trank einen Schluck. Kamijo blinzelte ihr zu und Mayu fragte sich im nächsten Augenblick, ob Kamijo das Mädchen wirklich anziehend fand und sich gut amüsierte, oder einfach nur höflich war. Aber dann hätte er dieser ganzen Sache hier bereits mehrere Male ein Ende setzen können. Mayu beobachtete Kamijo weiter und bemerkte nicht, dass das Mädchen neben ihm ein wenig nach vorn rückte um ihrer Freundin unter dem Tisch geben den Fuß zu treten und ihr einen Blick zuzuwerfen. Sie hatte immerhin schon vor einer ganzen Weile jegliche Konversationsversuche mit ihm aufgegeben, deshalb hatte er sie nicht weiter beachtet.. „Ich weiß nicht genau...“, sagte das Mädchen neben Kamijo gerade und schüttelte ihr Haar. „Aber solange du weißt, wohin du gehst, ist alles nicht weiter dramatisch...“ Mayu hatte keine Ahnung, worum es ging aber anscheinend war das der beste Kommentar zum aktuellen Thema, den sie hätte machen können, denn Kamijo legte den Kopf schief und fuhr sich mit der Zunge kurz über die Unterlippe. Dann nickte er. „Du magst recht haben...“ Beide Mädchen kicherten. Dann sagte die, welche neben Kamijo saß: „Wo wir gerade darüber sprechen: was habt ihr zwei denn heute noch so vor...?“ „Mal sehen, was sich noch so ergibt, aber ich würde sagen, uns gibt es heute nur im Doppelpack...“ Beide Mädchen grinsten abermals und das Mädchen neben Mayu antwortete: "Umso besser..." Immer mehr verwirrt beobachtete Mayu, wie Kamijo mit ihm einen kurzen, aber intensiven Blickkontakt herstellte. Dann drehte er sich zur Seite, legte dem Mädchen einen Arm auf die Schulter und als er es küsste, spürte Mayu ganz unerwartet einen Stich im Herzen und war sich im nächsten Augenblick klar, dass irgendetwas an diesem Abend ganz gehörig falsch lief... to be continued... **************** stay tuned for the next crime... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)