Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III von masamume ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Kapitel 1 Er saß im Dunkeln auf dem Bett und fühlte sich einsam. Unter ihm stand ein ganzes Reich, tausende von Menschen. Alle kannten seinen Namen, sein Gesicht und wussten was er bedeutete. Sie verneigten sich vor ihm, sahen ihm nach und warfen sich vor ihm in den Staub. Und trotzdem war er einsam. Heute Abend ganz besonders. Er war heute von einer langen Reise zurückgekehrt, war länger fort gewesen von Zuhause als sonst, fort von seinem Palast voller Gold. Aber außer seiner heiligen Katze wartete niemand wirklich sehnsüchtig auf seine Rückkehr. Natürlich wurde er herzlich begrüßt. Es wurde ein Fest gegeben zu seinen Ehren. Um den Göttern zu danken, dass er siegreich und gesund aus einer Schlacht zurückgekehrt war. Das Fest war rauschend, die Frauen schön, die Musik beschwingt, das Essen reichlich und der Wein floss aus vollsten Kelchen. Er wurde gefeiert, weil er als König über ein goldenes Zeitalter regierte und jeden Feind in die Flucht schlug. Tja, sein Fest war jetzt zuende und er selbst saß alleine in seinem Zimmer im höchsten und prächtigsten seiner Palasttürme. Nur das Beste für den Pharao. Aber was das Beste war, wusste er nur allzu gut - denn er besaß es nicht. Als König von Ägypten besaß er alles. Jedes Stück Land, jedes Vieh, jedes Haus, jede Ernte, sogar die Menschen gehörten ihm irgendwo. Aber das wirklich Beste besaß er nicht. Er hatte niemanden, dem er wirklich etwas bedeutete. Als Mensch. Nicht als König. Sicher hatten schon viele Menschen sein Bett geteilt. Frauen und Männer. Nur die Schönsten von allen. Sie wurden extra für ihn ausgesucht und sie strahlten, wenn sie in sein Zimmer traten. Es gehörte zum guten Ton, dass er jeden zweiten Abend einen Lustsklaven bekam. Die reichsten Bürger, die wichtigsten Minister, seine größten Verehrer und Menschen, welche um seine Gunst buhlten schickten ihm von den besten Sklavenhändler die schönsten Liebesdiener als Visitenkarte und hofften auf seine Zustimmung. Und sein guter Ruf als Liebhaber hatte sich bereits herumgesprochen. Jeder wusste, dass er einen Sklaven nicht wie einen Sklaven behandelte. Jeder Mensch war ihm wichtig und das zeigte er auch. Er lächelte viel und war zu jedem zärtlich. Selbst Sklaven freuten sich auf eine Nacht mit ihm und standen Schlange, nur um etwas Zeit mit ihm zu verbringen. Nur eine einzige Stunde. Nur ein Mal von diesen königlichen Händen berührt zu werden, war der Traum vieler Ägypter. Sie dachten, sie würden ihn glücklich machen. Aber niemand schaffte es, den König glücklich so zu machen wie er sein Volk glücklich machte. Sie sahen nur den König. Nicht den Menschen. Nicht ein einziger hatte ihn jemals wirklich gebraucht. Er machte sie glücklich, gab ihnen das Gefühl wichtig zu sein - aber wirklich brauchen taten sie ihn nicht. Sie liebten seinen Schein, seinen Ruf, seine Adligkeit, seinen Reichtum. Doch obwohl den Sklaven diese kurze Zeit mit ihrem Pharao unendlich wichtig war - wirklich wichtig war er nicht für sie. Sie waren glücklich. Er machte gute Politik und jedem Ägypter stand mittlerweile gesetzlich ein gewisser Lebensstandard zu. Sicher, die Sklaven waren noch immer Sklaven, aber es war verboten, sie zu misshandeln und das war schon ein großer Fortschritt. Und er würde noch mehr erreichen. Noch mehr bewirken, damit die Menschen in seinem Reich glücklich waren. Aber noch niemals hatte er von jemandem gehört ‚Du hast mein Leben verändert, du bedeutest mir etwas’. Sicher veränderte er das Leben vieler Menschen, doch niemand schätzte es wirklich. Niemand da, in dessen Augen Liebe für ihn brannte. Niemand. Er war kein Mensch. Er war König. Er war einsam. Er seufzte und sah von seinem Balkon aus in den reich bepflanzten Palastgarten hinunter. Rundherum war staubige Wüste, doch im Inneren des Palastes grünte es wie im Paradies. Ein goldener Käfig, in dem ein einsamer Vogel saß. Um ihn herum tausend anderer Vögel und alle von einer anderen Art - doch der goldene Vogel war der einsamste von allen. „Majestät?“ hörte er eine Stimme hinter sich. „Ja?“ fragte er zurück ohne sich umzudrehen. Es war sein Hausdiener, diese Stimme erkannte er auch ohne Hinsehen. „Eure Gesellschaft ist hier.“ Noch einer von diesen Sklaven, die ihm als Visitenkarte geschickt wurden. Noch einer, dem er seine Liebeskünste beweisen sollte, nur um dann später dem Händler ein Kompliment für seine gute ‚Ware’ zu machen. Noch ein Sklave, der sich auf ihn freute. Als Sklave hatte man sicher nicht viele Freuden und deswegen enttäuschte er keinen von ihnen. Und auch heute Abend würde er wieder einen Menschen glücklich machen. Er wollte es ja auch. Wenn die Menschen ihn mit einem Lächeln verließen, hatte er seine Pflicht erfüllt. Die Pflicht, die er sich selbst auferlegt hatte. Er wollte ein Lächeln sehen in jedem Gesicht, in welches er blickte. Und die Augen, die ihn erblickten sollten für immer hell und klar glänzen, um auch sein Licht in die Welt hinauszutragen. Er wollte die Menschen mehr lieben, als sie ihn liebten. Außerdem musste er diese Sklaven annehmen, um politische Unruhen zu unterbinden. Er schätzte jedes Leben als wertvoll und predigte das auch immer wieder. Somit wäre es eine persönliche Beleidigung, wenn er ein so hohes Geschenk abweisen würde. Er würde damit nicht nur den armen unfreien Menschen, sondern auch seinen Besitzer in schwierige Drangsal bringen. „Majestät, soll ich ihn wegschicken?“ fragte sein Hausdiener vorsichtig, als sein Herr ihm nicht antwortete, sondern nur gedankenverloren in den Sonnenuntergang blickte. „Nein, ich bin gleich da“ seufzte er. Er sah aus dem Augenwinkel noch wie sein Diener sich verneigte und dann etwas später die schwere Holztür hinter sich schloss. Nun war er fort und drinnen saß ein Sklave, der sich auf die Gegenwart des Pharaos vorbereitet hatte. Der sich auf ihn freute. Sicher war es die Aufgabe des Sklaven, IHN glücklich zu machen. Aber wirklich glücklich hatte ihn noch keiner gemacht. Sicher hatten sie seine Lust befriedigt, aber sein Herz ausgefüllt hatte keiner von ihnen. Er schloss ab mit seinen dunklen Gedanken und wusste, dass Trübsal nichts änderte. Trübsal und Selbstmitleid würde niemals etwas ändern. Er trat zurück ins Zimmer und sah, dass es heute ein Mann war, der ihm als Gesellschaft dienen sollte. Er kniete auf dem Boden und würde dort auch in zehn Tagen noch knien, wenn er nicht aufgefordert würde sich zu erheben. „Sei willkommen“ begrüßte er ihn gewohnt freundlich. „Für Euren Empfang den tiefsten Dank, Majestät“ grüßte er demütig zurück. Des Pharaos Herz schrak zusammen als hätte es plötzlich gedonnert. Die Stimme dieses Mannes war so kräftig und rein, wie er es noch niemals zuvor gehört hatte. Er konnte nicht sagen woher es plötzlich kam, aber ... dieses Gefühl ... es war doch nur ein Sklave! Nur ein Sklave! Einer von vielen! Warum sollte sich heute Abend etwas ändern? Dieser Mann war ihm geschickt worden, um ihm die Langeweile zu vertreiben und nichts weiter! Warum nur krampfte sich sein Herz zusammen, wenn er nur diese Stimme hörte? „Bitte erhebe dich“ bat er und wollte sehen, zu welchem Gesicht eine solche Stimme passte. Der Mann erhob sich und wurde immer größer und größer als wolle er gen Mond wachsen und dem Horus zur Rechten sitzen. Dem Pharao stockte der Atem und er würde mit offenem Mund dastehen, wenn er nicht eine so gute und beherrschte Erziehung genossen hätte. Doch dieser Mann war das schönste Wesen, welches er jemals gesehen hatte. Er war groß, sehr groß. Seine nackten Füße waren so wohlgeformt, dass er schien, er würde nur auf Wolken wandern. Seine Beine waren unter dem verhüllenden Gewand nur zu erahnen, aber sie zeichneten sich ab ... so lang, gerade und gleichmäßig, dass sie wie von einer Statue schienen. Dem perfektesten Kunstwerk auf Erden, welches nur ein Gott schaffen konnte. Seine schmale Taille ging fließend über in einen sicher sehr kräftigen, athletischen Bauch und weiter in eine noch kräftigere Brust. Seine muskulösen Arme lagen gewollt eng an seinem geschmeidigen Körper. Zu schade, dass die lange Kleidung ihn verdeckte. Zwar trug er nur leichte Kleidung unter welcher sein traumhafter Körper zu vermuten war, aber er war auch so schon die pure Sünde. Der Sklave schien zu merken, wie der König ihn von unten nach oben musterte und drehte sich von sich aus herum, noch bevor sein Herr ihm ins Gesicht sehen konnte. Kaum hatte er sich herumgedreht, löste er sich den Stoff von den Schultern und ließ ihn mit einem leisen Geräusch auf den Boden fallen. Jetzt erkannte der Pharao, dass ihn seine Vermutung nicht getäuscht hatte. Diese Beine waren ein Traum, sein wohlgeformter Po lud geradezu zu Berührungen ein. Genau wie sein breites Kreuz, welches wie von einem Feldarbeiter so kraftvoll war. Er blickte weiter hinauf und sah brünettes, seidiges Haar, welches ihm wie weiche Erde in den Nacken fiel. Der laue Abendwind, der durch die offenen Fenster drang bewegte es kaum und doch schien es, als würde die verträumte Abendbrise seinen Körper umfangen wie Wasser einen glatten Stein. „Bitte dreh dich um“ bat er atemlos. Dieser Körper war unglaublich! Noch nie hatte ein Sklave solch eine Zustimmung in ihm geweckt. Diesen Körper zu lieben, war wirklich ein Privileg und würde mehr sein als bloße Pflichterfüllung. Der Sklave befolgte die königliche Bitte und drehte sich erneut herum, damit auch sein Gesicht endlich sichtbar wurde. Und erneut setzte sein Herz aus, als er diese göttliche Laune erblickte. Diese Augen fingen ihn sofort ein, machten ihn fast willenlos und schickten eine wohlige Gänsehaut seinen erregten Körper hinunter. Sie waren blauer als der Himmel, blauer als das Wasser des mächtigen Nils, blauer als der prächtigste Saphir, der ihm jemals geschenkt wurde. Die Lippen dieses Sklaven waren so sinnlich, dass er sie am liebsten sofort verschlungen hätte. Seine Nase so schmal wie die einer Frau. Seine Wangen so rosig wie von Wein geküsst. Dieser ganze Mensch war ein Geschenk der Götter an ihn. Die Entlohung für all seine Strapazen. Die pure Sünde, die keine Sünde war, sondern sein Privileg als Herrscher. Er musste seinen Blick abwenden, um wieder zu Sinnen zu kommen. Er atmete tief ein und aus und stellte erstaunt fest, wie erregt er war. So erregt, dass es schon fast wehtat. Das war ihm noch niemals passiert. Allein vom Anblick war es, als hätten ihn stundenlang die schönsten Frauen verführt. Dabei war es doch nur ein gewöhnlicher Sklave. „Aus welchem Hause kommst du?“ wollte er wissen und zwang sich dem Sklaven in die Augen zu sehen. Doch bei diesem zweiten Anblick war er gefasst auf das, was ihn erwartete und jetzt erst bekam er selbst wieder einen klaren Blick. Jetzt erst erkannte er, dass hinter diesem hypnotisierendem Blau ... eine tiefe Leere verborgen war. Diese Augen waren wunderschön und doch schienen sie beim genauen Hinsehen matt und leer. Als hätte ihnen jemand das Leben geraubt. Dieser Sklave war so schön wie ein prächtiger Vogel - doch schien er wie tot und ausgestopft. „Ich komme aus dem Hause des Pantreps“ antwortete seine Stimme folgsam. Sie klang so tief und rau, dass es bis in die königlichen Knochen vordrang und doch war sie beim zweiten Hinhören leblos und die Antwort wie einstudiert. Dieser Sklave war von so großer Schönheit, dass er auf Rosen gebettet werden müsste und doch war er so müde und leer wie ein alter, vom Leben müder Mann. „Dann hast du eine weite Reise hinter dir“ stellte sein König treffend fest. „Möchtest du dich ein wenig ausruhen?“ „Meinen Dank, Herr. Ich bin bereits seit gestern hier und habe auf Eure Ankunft gewartet. Ich bin erholt und bereit, Euch zu dienen.“ „Und doch siehst du müde aus“ meinte er fast mitleidig. „Gefalle ich Euch nicht, Majestät?“ fragte er tonlos zurück. Ablehnung wäre sein Todesurteil. Wenn er hier heute Abend versagte, würde er dem der ihn schickte die größte Schande bereiten. Im besten Falle wurde er geköpft, im schlimmsten Falle landete er in einem Bordell, wo die Menschen nicht mal Geld für ihn bezahlten und er von ihrem Müll leben musste. Lehnte der König ihn ab, wäre das eine Katastrophe und der König wusste das! Wie konnte er nur so etwas sagen? „DOCH!“ antwortete er schnell und schlug sich innerliche Schelte. „Du bist wunderschön! Du bist sicher der schönste Mensch, den ich jemals gesehen habe! Und glaube mir, ich habe schon viele Menschen gesehen!“ „Meinen Dank, Herr“ dankte er mit gesenktem Kopf. „Bitte sagt mir, wie ich Euch dienen kann.“ „Na ja ... an was hattest du denn so gedacht? Was würde dir denn gefallen?“ „Was Ihr wünscht“ bat er. „Ich gehöre Euch. Tut mit mir, wonach Euch beliebt. Befehlt mir, was Euch gefällt. Ich will es für Euch tun.“ „Aber ... was ...?“ Dieser Sklave war ihm doch etwas zu unterwürfig. Sicher, dass Sklaven sich unterwürfig gaben und alles für ihn taten, war völlig normal. Aber es passte nicht zu diesem Kunstwerk von Mann. Es schien als hätte man einem Stier seinen Willen gebrochen und ihm die Hörner herausgerissen. Er sollte stark sein, widerspenstig und eitel. Stattdessen war er dienstbar, gefügig und demütig. „Bitte sagt mir, was ich für Euch tun kann, Majestät“ bat er erneut mit seiner toten Stimme. „Du ... kannst ... vielleicht möchtest du dich wieder ankleiden und etwas mit mir trinken?“ „Wenn es Euer Wunsch ist.“ Er nahm seine Kleidung vom Boden auf und hatte sich mit einer eleganten Bewegung sein Gewand neu gebunden. Dann ging er hinüber zum Tisch, nahm den goldenen Kelch und goss etwas Wein hinein, während sein Pharao noch immer wie vom Donner gerührt dastand und zum ersten Mal in seinem Leben nicht wusste, wie er mit einer Situation fertig werden sollte. In seinem Kopf drehte sich alles rund und er konnte seinen Herzschlag in den Ohren hören. Wie konnte es sein, dass ein Lustsklave ihn so aus dem Konzept brachte? Der Sklave kehrte zu ihm zurück, reichte ihm nicht nur den Kelch, sondern auch ein paar dunkle Weintrauben an und blickte demütig zu Boden. „Ich ... ähm ... ich ...“ Er stotterte und das kannte er von sich selbst gar nicht. Er stand hier als hätte er noch nie einen anderen Menschen gesehen. „Ist etwas nicht in Ordnung, Herr?“ fragte der Sklave besorgt. „Möchtet Ihr vielleicht, dass ich Euch etwas anderes reiche?“ „Nein“ sagte er dann etwas entschlossener, dass er sich ab nun wieder zusammenreißen würde. „Ich dachte nur, wir würden gemeinsam trinken.“ Der Sklave hob seinen saphirblauen Blick und sah ihn unverständig an. Er blickte nervös in dem königlichen Gesicht hin und her als würde er nach einer richtigen Antwort suchen. Für Könige war es nicht von Stand, wenn sie mit Sklaven gemeinsam speisten oder tranken. Die Sklaven hatten ihnen die Köstlichkeiten bis zum Munde zu reichen, damit ihr Herrscher sich die Hände nicht mit so etwas gewöhnlichem beschmutzte. „Verzeiht, Herr“ antwortete er dann und senkte demütig den Kopf. „Ich glaube, mein Verständnis reicht nicht für Eure hohen Worte.“ „Nein ... ich ...“ Jetzt schüttelte er kräftig den Kopf und zog tief den Atem ein. Er musste zu Sinnen kommen, sonst würde dieser Abend in einem Desaster enden. „Ist Euch nicht gut, mein Pharao? Möchtet ihr euch ein wenig hinlegen?“ „Nein, bitte entschuldige“ lächelte er ihn dann etwas gefasster an. „Ich bin wohl noch etwas beschwipst von der Feier heute Abend. Bitte setze dich ein wenig zu mir. Leiste mir Gesellschaft.“ Er ging zu der freundlich weich gestalteten Ecke mit Sitzkissen und ließ sich auf einer etwas erhöhten Liegebank auf die weichen Daunen nieder. Mit großem Interesse betrachtete er den Gang seines Sklaven als er mit geschmeidigen Füßen ihm hinterherkam. Er stellte den Kelch auf dem niedrigen Tisch ab und setzte sich dann zu den Füßen seines Königs. Er blickte nicht zu ihm auf, sondern hielt den Blick demütig auf den Boden geheftet. Dann entstand das, was immer unangenehm war - Schweigen. Während der Sklave scheinbar ruhig ausharrte bis eine nächste Aufforderung an ihn gerichtet wurde, betrachtete der Pharao diesen stolzen Körper, dessen Schönheit er einfach nicht greifen konnte. Es war unglaublich, dass ein einziger Mensch so eine Ausstrahlung haben konnte. Aber gleichzeitig war es ebenso unergründlich, weshalb seine strahlend schönen Augen so leer waren. Kapitel 2: ----------- Kapitel 2 „Sagst du mir, wie du heißt?“ fragte er dann nach einiger Zeit. Er hatte ihn nun ausreichend in Augenschein genommen und auch wenn er sich noch lange nicht an ihm sattgesehen hatte, wollte er nun auch sein Inneres in Augenschein nehmen. Die meisten Sklaven hatten Geschichten zu erzählen und waren direkt froh darüber, wenn man ihnen zuhörte. Denn auch wenn die Worte eines unfreien Menschen kein Gewicht hatten, so hörte der König ihnen doch gerne zu und spendete Trost, wo er es konnte. „Ich habe keinen Namen“ antwortete der Sklave mit folgsamer Stimme. „Du hast keinen Namen?“ wiederholte er ungläubig. „Aber ein Mensch muss doch einen Namen haben.“ „Ich bin kein Mensch, ich bin ein Lustsklave, mein König.“ „Das ist keine schöne Antwort“ bedauerte er und in ihm stieg echte Trauer auf über dieses gebrochene Sprechen. Wie konnte ein Mann, der aus dem göttlichen Leib der Erde geboren war nur so völlig ohne Lebensanspruch sein? „Bitte verzeiht, wenn Euch meine Antwort nicht zusagt. Ich kann lügen, wenn ihr es wünscht.“ „Nein, bitte sei ehrlich zu mir“ bat er bedrückt. „Hast du dich niemals danach gesehnt, einen Namen zu haben? Es macht mich unglücklich, wenn du mir sagst, du seiest namenlos.“ „Bitte schickt mich fort“ entgegnete er und senkte langsam den Kopf, sodass ihm sein erdiges Haar tief in die Stirn fiel und seine Augen zusätzlich schloss. „Ich bin nicht hier, um Euch unglücklich zu machen.“ Von selbst durfte er nicht aufstehen und gehen. Aber wenn er seinen Herrscher unglücklich machte, dann war es besser, wenn er nicht hier war. „Unglücklich zu sein, ist keine Schande und keine Sünde“ antwortete der Pharao ihm mit einer weichen Stimme. „Es sind Gefühle, welche jeden Menschen bewegen. Natürlich ist das Unglücklichsein kein schönes Gefühl, aber es ist ein Gefühl. Hast du denn keine Gefühle?“ Und wieder klang seine Antwort wie auswendig gelernt und tausend Mal eingeprägt. „Eure Gefühle sind meine Gefühle, Herr. Sagt mir wie ich sein soll und ich werde es für Euch sein.“ „Du meinst, du bedienst alle meine Gelüste?“ „Alle, mein Pharao. Was Ihr wünscht.“ Er schien fügsam zu sein, was auch immer man von ihm forderte. Er war sicher ein hervorragender Lustsklave, denn der Pharao hatte schon mit vielen ähnliche Erfahrungen gemacht. Solch scheinbar ruhige Sklaven konnten innerlich einen Schalter umlegen und sich in völlig andere Personen verwandeln. Sie konnten damit sämtliche Rollenspiele bedienen, was ihre Qualität sehr auszeichnete. Sie konnten die Küchenmagd spielen, den Lehrer, den Schüler, den Bauern, die Königin, den Bettler, den Kriegsfeind - alles, jede Rolle konnten sie spielen. Und diesem Sklaven hier war diese Kunst mit Sicherheit auch gegeben. Nur die Kunst, sich selbst zu spielen, vermochte er wohl nicht. „Du hast keinen Namen, sagst du?“ fragte er noch mal nach. „Nein, ich trage keinen Namen. Wenn Ihr so hohen Wert darauf legt, fühlt Euch bitte frei, mir einen zu geben.“ „Möchtest du dir nicht vielleicht selbst einen aussuchen? Was meinst du? Welcher Name könnte zu dir passen?“ Vielleicht ließ sich so etwas über seinen Charakter herausfinden. Es konnte doch nicht sein, dass es Menschen gab, welche keinen eigenen Charakter besaßen. Und ein Name zeichnete doch einen Charakter aus. „Mein Herr, ich bin hier, um Euch zu gefallen. Nennt mich gerne bei einem Namen, der Euch zusagt.“ „Na, prima“ seufzte er und musste es wohl aufgeben. Dieser Mensch hier definierte sich vollends über seinen Herren. Er hatte ja schon gefügige Sklaven erlebt, aber so etwas noch niemals. „Also gut, dann denke ich mir einen Namen für dich aus. Einen Namen, der mir gefällt, sagst du?“ „Was immer Ihr wünscht.“ Wieder senkte er voller Demut seinen Kopf und schloss unterwürfig die Augen. Er würde sich alles gefallen lassen. „Du bist wunderschön“ überlegte der König laut. „Deine Augen sind so blau wie der Himmel über der heißen Wüste und das Licht bricht sich darin wie das Funkeln eines hellen Sterns. Deine Haut ist so eben wie Seide, dein Haar von so erdiger Farbe und dein Körper wie der Traum eines Gottes. Ich nenne dich nach dem Seth, der mir in der harten Wüste besteht. Ich nenne dich Seth.“ Für einen Moment schien der Sklave zu erstarren. Seine Augen zeigten ein Aufleuchten, es war kurz, aber sie leuchteten, bevor das Leben in ihnen wieder in der Versenkung verschwand. Seine Seele hatte sich gerührt und sein Herz ein Mal hoch geschlagen. Doch nun war es weg, schnell weggeschoben und unterdrückt. „Gefällt dir dein Name?“ lächelte der König, der Gefallen fand an diesem kurzen Aufleben des betäubten Herzens. „Seth“ wiederholte er ungläubig. Sein Blick ging zurück ins Nichts und auch seine Stimme festigte sich wieder in nur einer Silbe. „Wenn Euch der Name zusagt, soll er mir nicht missfallen.“ „Kann dieser Name dir etwas bedeuten?“ wollte er gerne wissen. Er wusste auch, dass Seth der Name des Wüstengottes war, welcher wild und ungestüm war. Aber das konnte nicht der Grund sein, weshalb sein neuer Sklave für einen Moment so außer sich schien. „Es ist der Name eines Gottes, Herr“ antwortete er folgsam. „Ich hatte nicht erwartet, dass Ihr ...“ „Dass ich einen Sklaven nach einem Gott nenne?“ ergänzte er mit Freude den unfertigen Satz. „Ich denke, dass Sklaven und Götter ganz nahe beisammen liegen. Beide kennen das Leben von den Grundfesten auf und wissen, dass man es schätzen sollte. Schätzt du dein Leben, Seth?“ „Ich höre, was Ihr mir befehlt, Pharao.“ Für einen Moment war der König verwirrt über so eine merkwürdige Antwort und er musste sich erst bewusst machen, dass vor ihm ein Sklave und kein Gott saß. Wenn er ihn fragte, ob er sein Leben schätzte, so konnte er nicht mit Ja oder Nein antworten. Er hatte dies als eine Drohung verstanden, denn wenn er sein Leben behalten wollte, so musste er tun, wozu er befehligt wurde. „Oh bitte! So war das nicht gemeint!“ beteuerte er sofort. „Ich ... Seth, es tut mir leid. Ich wollte dich nur ... weißt du, es ist schwer, sich mit dir zu unterhalten.“ „Aber ich kann über jedes Thema sprechen“ versprach er und hob vorsichtig seinen saphirblauen Blick an. „Bitte sucht Euch ein Thema aus, mein König. Was Ihr möchtet. Politik, Handel, Gesellschaft, Medizin, Religion, Literatur, Okkultismus, ich kann über alles mit Euch sprechen. Worüber möchtet Ihr reden?“ „Ich möchte gerne über Sklaven sprechen“ antwortete er. „Da kannst du doch wohl aus dem Nähkästchen plaudern, oder?“ „Ich ... ja, natürlich kann ich das. Stellt mir eine Frage, wenn es Euch beliebt.“ Ihm lagen so viele Fragen auf der Zunge. Er wollte wissen, wo dieser Göttertraum herkam, wie er in die Fänge des Sklavenhandels geraten war, was er erlebt hatte und wie er ihm ein Lächeln auf die Lippen zaubern konnte. Aber er hatte in seinem Bauch eine dunkle Vorahnung, dass seine Geschichte mit Sicherheit keine schöne Geschichte war. Dieser Sklave war so voller Geheimnisse und er war sich nicht sicher, ob er diese Geheimnisse wirklich lüften sollte ... ob er es überhaupt wollte. Wollte er wirklich so tief in seine Privatsphäre eindringen und ihm Antworten abringen, für welche er sich eventuell schämte? Stand einem König so etwas zu? „Nein“ beschloss er dann mehr zu seinen Gedanken selbst. „Ich glaube, ich möchte lieber wissen, was dir gefällt. Und jetzt sag mir bitte nicht, dass dir gefällt, was mir auch gefällt. Nein, ich möchte wissen was DIR gefällt. Was gefällt Seth?“ „Ich mag gern Speisen zubereiten und sie wunderschön garnieren. Ich reite gern und ich höre gerne den Gesängen der Frauen im Dorf zu.“ „Du hast soeben meine Hobbys aufgezählt“ stellte der König mit Argwohn fest. „Du scheinst ja gut informiert zu sein. Wurdest du lange darauf vorbereitet, heute vor mir zu erscheinen? Hat man dir auch gesagt, dass ich es nicht schätze, wenn man meint, mich kennen zu wollen?“ „Ich wollte Euch nicht zu nahe treten, Herr“ antwortete er zwar tonlos, aber es schien, jetzt würde ihm bange werden. Er hatte seinen Herren erzürnt und das war das Letzte, was er wollte. Das Allerletzte. „Ich kann dich nicht verstehen“ seufzte der König und sah ihn bedrückt an. „Hast du keinen eigenen Willen?“ „Euer Wille ist mein Wille, Herr.“ „Okay, es hat keinen Sinn“ stellte er traurig fest. „Wer hat dir das angetan? Wer hat deinen Willen gebrochen und dich zu einem namenlosen Geschöpf gemacht? Wer kann es wagen, den Traum eines Gottes zu brechen und gefügig machen zu wollen?“ „Mein Herr, ich ...“ „Nenne mich bei meinem Namen.“ „Ich kann Euch gerne, wenn Ihr ...“ „Nenne mich bei meinem Namen“ wiederholte er noch mal aufs Neue. „Jeder kennt meinen Namen. Ich wünsche nicht, dass du Herr oder König zu mir sagst. Ich wünsche, dass du mich bei meinem Namen nennst. Du kennst ihn doch.“ „Es steht mir nicht zu, Euch bei Eurem Namen zu nennen.“ So langsam wurde dieser müde Sklave nervös. Er wollte es unbedingt gut machen und das tun, was er gelernt hatte. Aber nun ... „Mein Wille sei dein Wille“ wiederholte der König dafür noch mal mit ganz besonders deutlichem Nachdruck. „Und ich WILL, dass du mich bei meinem Namen nennst.“ „Atemu“ sagte der Sklave aufgebend und senkte den Kopf als würde er ihm auf der Stelle abgeschlagen werden. „Siehst du, so schwer war es doch nicht, oder?“ ermutigte er ihn jetzt wieder und schenkte ihm ein zufriedenes Lächeln. „Über deinen Mut bin ich beeindruckt und erschrocken zugleich. Ich weiß, dass es euch Sklaven verboten ist, meinen Namen in den Mund zu nehmen und auch, dass ihr hart bestraft werdet, wenn ihr es doch tut. Aber du scheinst mein Wort wirklich über dein Wohl zu stellen, nicht wahr?“ „Natürlich. Es ist meine Aufgabe Euch zu dienen und ich werde meine Aufgabe mit Freuden erfüllen.“ „Mit Freuden, sagst du?“ „Ja, mit Freuden. Euch zu dienen ist mir eine Freude.“ „Und warum lächelst du dann nicht?“ Diese Frage schien ihn doch tief zu treffen. Was in seinem Inneren vorging, blieb der Außenwelt verschlossen, aber es schien, er würde jetzt aufgeben. Er senkte seinen Kopf nicht mutwillig, sondern es schien, er würde ihm auf die Brust fallen. Er schloss die Augen und regte sich nicht mehr. Er hatte versagt. Er sollte dem König Freude bereiten und stattdessen hatte er versagt. All die Jahre waren verschwendet. Er hatte auf ganzer Linie versagt. Doch als Atemu diese zusammengebrochene Körperhaltung sah, musste er sich aufs Neue besinnen. Dieser Sklave hatte also keinen eigenen Willen? Dieser Mensch hatte keinen Wert? Nein. Das war ihm eingeredet worden. Wie konnte er seinem Land verständlich machen, dass auch Sklaven Menschen waren. Dass auch sie das Recht auf einen Willen und einen eigenen Wert hatten? Wie konnte er dieses den Ägyptern verständlich machen, wenn nicht mal die Sklaven selbst daran glaubten? Wenn er das Land revolutionieren wollte, so musste er nicht gegen Feinde kämpfen, welche ihn von außen bedrohten. Nein. Er musste gegen dein Feind kämpfen, der im Inneren schwelte. Dieser wunderschöne und doch gebrochene Mensch, der da zu seinen Füßen kauerte, war von diesem Feind besetzt. Wenn der Pharao Atemu ein wirklich großer Mann war, wenn er wirklich jemals einen Menschen wirklich glücklich machen wollte, so musste er den Feind im Inneren dieses Göttertraumes besiegen. Außerdem sagte ihm sein Herz Dinge ins Ohr, welches es noch niemals gesprochen hatte. Es sagte ihm, dass er nur glücklich werden konnte, wenn dieser namenlose Sklave ihm als Mensch mit Wert und Namen gegenübertreten konnte und eines Tages sagte: ‚Ja, ich bin glücklich.’ Und der König würde erwidern: ‚Dann bin auch ich glücklich.’ Wenn er das schaffen konnte, so konnte er auch Ägypten regieren und seinen eigenen Traum wahr machen - nämlich jemandem in die Augen blicken, dem er dann hoffentlich wirklich etwas bedeutete. Nicht als König, sondern als Mensch. Kapitel 3: ----------- Kapitel 3 Um aus diesem Kampf erfolgreich herauszugehen, musste er zu aller erst eine Verbindung zum Feinde aufstellen. Auch wenn es ihm schwer fiel, er konnte Seth nicht zu Atemu hinaufziehen und Atemu nicht zu Seth hinuntersetzen. Aber er konnte eine Brücke schlagen, auf welcher sich beide treffen konnten. „Massiere mir die Füße“ befahl er und hielt seine Füße hoch. „Gerne.“ Sofort drehte er sich dem König zu und zog ihm die golddurchwebten Schuhe aus. „Wünscht ihr dazu ein Öl, Majestät?“ „Nein, es geht auch so. Bitte fang an.“ Vorsichtig fühlte er wie seine Füße auf dem weichen Stoff über den Knien des Sklavengewandes gebettet wurden und wie sich dann die feingliedrigen Finger an seinen Fußballen zu schaffen machten. Ihm schauderte eine wohlige Gänsehaut über den Körper als er hinabsah und die schönen Hände beobachtete, wie sie mit einer sanften Massage begannen. Er ließ sich häufiger die Füße massieren, wenn er lange getanzt hatte, aber noch nie hatten sich Hände so gut angefühlt. So kräftig wie sie ihn drückten, so vorsichtig wie sie ihn streichelten. „Hast du das richtig gelernt?“ fragte er interessiert. „Gefällt es Euch, Pharao?“ „Natürlich, es fühlt sich wunderbar an“ lächelte er zufrieden und sank gleich viel entspannter in die Kissen zurück. Vielleicht war es nur eine sinnverwirrte Trübung, aber er meinte zu fühlen, dass auch sein Lustsklave sich entspannte. Seine Stimme hatte den gehetzten Unterton verloren und seine Augen hatten eine fast entspannte Leere angenommen ... konnte Leere überhaupt entspannt sein? Wahrscheinlich war es das Richtige, wenn er dem Sklaven das Gefühl gab, er würde etwas richtig machen. Es gab ihm Sicherheit und war der erste Nagel der Brücke, welche sie als Menschen verbinden sollte. „Ihr habt wunderschöne Füße, mein König.“ Diese ruhige, rauchige Stimme durchleuchtete seine tiefen Gedanken und holte ihn zurück in das abendliche Zimmer, wo er vor sich nur immer wieder den schönsten und zugleich traurigsten Menschen erblickte, den es wohl in seinem ganzen Reiche gab. „Danke“ lächelte er ganz ruhig. „Du machst das sehr gut. Wer hat dir das beigebracht?“ „Ein Heiler, Majestät. Er hat mich in dieser hohen Kunst unterwiesen, auf dass es Euer Wohlgefallen finde.“ „Hast du dich lange auf diesen Abend vorbereitet, Seth?“ Der Name schien ihn zu schneiden, denn nur so konnte der Pharao das kurze Zusammenzucken der feinen Finger deuten. Der Sklave war es nicht gewohnt, mit einem Namen angesprochen zu werden. „Ja, sehr lange, mein König“ antwortete er dann aber absolut folgsam. „Wie lange hast du dich vorbereitet? Zwei Jahre? Vielleicht drei?“ „Ich denke ...“ Er schien kurz zu überlegen, „... ungefähr acht Jahre. Ich bin froh, dass ich nach so vielen Jahren nun vor Euch treten darf, um Euch meine Dienste zu Füßen zu legen.“ „Zehn Jahre ist eine sehr lange Zeit. Wie alt bist du jetzt, Seth?“ Wieder zuckten die gekonnt massierenden Hände zusammen, aber dieses Mal ein bisschen weniger als zuvor. Er musste sich einfach an seinen Namen gewöhnen. „Ich bin jetzt 22 Jahre alt. Ich hoffe, Ihr findet Gefallen an solch einem Alter?“ „Ja, durchaus. Ich selbst bin nur ein Jahr jünger. Aber das weißt du wahrscheinlich.“ „Man hat es mir gesagt. Ihr werdet in sechs Monden Euren nächsten Geburtstag feiern. Eure Feste gefallen dem Volke und es erfreut sich jedes Jahr aufs Neue an Eurer Großzügigkeit. Niemals zuvor hat ein Pharao dazu geladen, das ganze Volk an seinem Ehrentage so aktiv teilhaben zu lassen. Es unterstreicht nur mehr Euer großes Verständnis für Eure Untergebenen und rechtfertigt absolut, dass das Volk Euch anbetet.“ Atemu gefiel dieser kleine Smalltalk. Seth hatte es ganz richtig verstanden, dass er sich sicher gerne unterhalten würde und so begann er einfach mit einem kurzweiligen Gespräch. Und auch wenn die Worte sehr schmeichelnd waren, so lag das Interesse des Königs doch eher darin, etwas über sein Gegenüber zu erfahren. „Ja, das Volk mag meine Geburtstagsfeste“ antwortete er mit einem zufriedenen Lächeln. „Ich hoffe, du magst sie auch, Seth?“ „Oh ja, ich liebe Eure Ehrenfeste, mein König. Es sind die schönsten Tage des Jahres.“ „Ja? Das ist schön. Erzähle mir von dem letzten Fest, auf dem du warst.“ „...“ Das kurze Zögern war wirklich nur ganz verschwindend kurz, aber Seth wäre kein guter Gesprächspartner, wenn er nicht umgehend eine mundgerechte Antwort parat hätte. „Eure Geburtstagsfeste sind sehr berauschend. Die Bauern geben in Eurem Namen die besten Früchte aus ihren Speichern und obwohl das Volk sie bekommt, werden sie doch vom Palast bezahlt. Da schmeckt alles natürlich noch mal so gut. Die Musiker spielen auf und es wird die ganze Nacht getanzt. Die Kinder hören den Geschichtenerzählern zu und lauschen Euren Heldentaten. Der Schein der Feuer, welche im ganzen Land gezündet werden, scheint durch das Dunkel der Nacht zu Euren Ehren. Es sind wundervolle Feste für welche Euch das Volk zu Recht liebt. Es heißt, Ihr könnt kämpfen und feiern gleichermaßen. Dies hält Eure Persönlichkeit in einer wunderbaren Balance, wenn ich das so sagen darf.“ „Natürlich, du darfst. Aber was war das Besondere für dich auf deinem letzten Fest? Das Feuer? Die Musik? Die Leckereien? Was hat dir am besten gefallen, Seth?“ „Ich ... wie gesagt, Majestät. Eure Feste sind berauschend und wundervoll. Habt Ihr etwas für das nächste Jahr geplant?“ „Du bist niemals auf einem meiner Feste gewesen, oder?“ stellte er betont unbedrohlich fest. Als Sklave hatte man nicht viel zu feiern und wenn Seth könnte, so würde er sicher nicht mit allgemeinen Phrasen antworten, welche der König scheinbar hören wollte. „Weißt du, Seth, es würde mich freuen, wenn du von etwas erzählen könntest, was dir auf einem Fest Freude bereitet hat. Hast du jemals ein Fest besucht, welches vom Palast ausgerichtet wurde?“ Er überspielte sein erneutes, längeres Zögern, indem er den massierten Fuß vorsichtig ablegte und sich den anderen Griff. Dies gab ihm Zeit zum Nachdenken und dafür, sich an längst vergangene Tage zu erinnern. „Doch, ich war auf einem Palastfest“ antwortete er dann leise. „Tatsächlich?“ strahlte der König fast selbst wie ein Feiernder. „Erzähle mir davon. Es interessiert mich. Was war das für ein Fest, auf dem du warst? Hat es dir gefallen?“ „Ich habe damals meinen Vater begleitet. Es war ein Fest, um das Ende der Nilüberschwemmung zu begehen und in diesem Jahr war der ganze Hofstab in dem Tempel unseres Dorfes zu Gast. Alle trugen schillernde Gewänder, brachten Opfergaben, aber das Schönste waren die Gesänge zu Ehren der Götter. Der Chor hat gesungen zu Ehren des Pharaos und es kehrte eine solche Ruhe im ganzen Tempel ein. Mein Vater nannte es die Sekunde des Herzensfriedens. Es war ein wunderbares Fest, mein König.“ „Wie lange ist das jetzt her?“ wollte er wissen. Denn seit er selbst nach dem Tode seines Vaters Pharao geworden war, hatte er keinen Hofstab mehr zu Feiern entsandt. Es musste also schon ein paar Jahre zurückliegen. „Das ist jetzt gut elf Jahre her, Majestät. Damals wurden die Feiern noch von den Tempeln ausgerichtet und der Palast hat seine Leute entsandt. Aber heute trägt der Palast die Kosten, anstatt Leute zu schicken. So wird es ein Fest des Volkes.“ „Damals warst du elf Jahre alt, Seth. Ist das dein schönstes Fest gewesen oder dein einziges?“ „Mein ... mein letztes Fest, Herr. Es war wunderschön als der Tempel so reich geschmückt war. Die Blumen kamen von weit her und dass es in der Wüste blüht, ist nicht häufig. Es hat mich damals beeindruckt, zu was der Palast imstande ist zu tun.“ „Wenn dir das Fest so gut gefallen hat“ fragte er vorsichtig nach, „warum hast du danach keines mehr besucht?“ „Ich glaube, viel mehr vertragen Eure Füße jetzt nicht“ antwortete er legte behutsam auch den zweiten fertig ab. „Wenn ich weitermache, habt Ihr morgen Schmerzen. Was kann ich noch für Euch tun, mein König?“ „Du könnest mir auf meine Frage antworten“ sagte er skeptisch. „Warum hast du seitdem kein Fest mehr besucht?“ „Weil es ... weil ... danach habe ich mich auf diesen Abend vorbereitet, Herr. Da war die Lust zu feiern absolut zweitrangig. Schließlich liegt mir viel daran, Euch zufrieden zu sehen. Kann ich Euch etwas Wein anreichen, Majestät?“ „Ja, das wäre gut“ seufzte er und zog seine Beine zurück, damit sein Sklave aufstehen und den Kelch holen konnte. Etwas wehmütig blickte Atemu ihn an wie er den alten Kelch in eine Abwasserschale ausleerte und ihn dann zur Seite stellte. Er nahm einen neuen Kelch und füllte ihn wieder mit Wein, um ihn dann gleich zu seinem König zu tragen. Aber der hing in seinen Gedanken fest. Seit seiner Kindheit war Seth auf keinem Fest mehr gewesen. Das kam ungefähr so hin, dass er danach in die Sklaverei geraten war. Wie konnte das geschehen sein? Er hatte gesagt, er hätte seinen Vater damals in den Tempel begleitet ... wo war sein Vater heute? Was war mit seiner Familie? Anscheinend war er nicht als Sklavenkind geboren worden. Auch wenn ihn diese Fragen innerlich aufrührten, wollte Atemu sie dennoch nicht antasten. Seth sprach so rosig davon, dass er ‚sich auf diesen Abend vorbereitet’ hatte, aber was das wirklich beinhaltete, ließ sich für einen anderen wohl nur schwerlich vermuten. So freundlich und vorfreudig wie er das alles verpackte, war es sicher nicht gewesen. Vielleicht wollte Seth nicht mal wirklich hier sein? „Euer Wein, Pharao“ weckte Seth ihn aus seinen Gedanken. Er hielt ihm auf Knien mit seinen grazilen Händen den goldenen Kelch hin, damit er wie gewünscht davon trinken konnte. „Danke“ sagte er, obwohl er genau wusste, dass er sich nicht zu bedanken hatte. Wenn er daran dachte, wie andere Menschen ihre Sklaven behandelten, wurde ihm ganz schlecht. Sklaven waren eine nicht vorhandene Kaste noch unter den Bettlern und Aussätzigen. Sie wurden geschlagen, gedemütigt und ausgenommen. Sie waren menschenförmige Tiere, nichts weiter. Manche schätzten ihre Sklaven noch unter ihren Feldochsen und die Lustsklaven waren im Wert sogar noch darunter. Es war ein schreckliches Bild, welches das frühe Ägypten ablieferte. „Majestät, Ihr seht betrübt aus“ stellte Seth mitfühlend fest. „Wenn Ihr erlaubt, darf ich Euch mit etwas Schönem erfreuen?“ „Ja, erfreue mich“ lächelte er ihn an und nahm ihm endlich den Kelch aus den Händen. „Ich danke Euch“ dankte er mit einem demütigen Kopfnicken und erhob sich wieder. Was dann kam, hatte selbst der König bei noch keinem Sklaven gesehen. Die meisten Sklaven sagten ein Gedicht auf, spielten Musik und sangen oder sie tanzten für ihn. Manche malten auch oder zeigten ein Kunststück mit ihren gelenkigen Körpern. Seth aber war anders als die anderen Lustsklaven vor ihm. Er nahm eine kleine Schale von der Anrichte und füllte sie mit ein wenig frischem Wasser. Das ganze tat er so elegant, dass er sicher lange geübt hatte, um die Schale so sicher auf seinen Fingerspitzen zu halten. Im Großen und Ganzen sahen seine Bewegungen aus wie die eines Magiers, wenn er mit einem kleinen Trick verblüffte. Dann griff er in eine kleine Schale mit rotem Gewürz und tänzelte hinüber zur Zimmerpflanze, von wo aus er den Blütenstaub abschüttelte und ihn ebenfalls in das Schälchen fallen ließ. Er nahm auch einen kleinen Spritzer von der Schreibtinte, einen Schluck Wein und fügte noch ein paar andere Gewürze hinzu, welche eigentlich nur für das Speisetablett dienten. Zu guter Letzt nahm er besonders elegant ein Stück Serviettenstoff, wickelte ihm um seinen Finger und mischte das Ganze. Dabei bewegte er sich fast hypnotisch mit nur einigen Schritten durchs Zimmer und verlieh dem ganzen Akt des Mischens einen ganz eigenen Zauber. Als alles fertig war, legte er den Stoff zur Seite und kniete sich wieder vor seinen König, um ihm seine offene Hand hinzuhalten. „Bitte, Pharao, seid Ihr so freundlich und reicht mir Eure Hand?“ fragte er mit einer ganz lieblichen Stimme und wohl auch mit ein wenig Erwartung daran, wie sein Tun wohl aufgenommen werden würde. Ziemlich neugierig reichte Atemu ihm seine Hand und bekam einen winzigen Tropfen von der bläulich zähen Masse auf seine Pulsadern geträufelt. Seth stellte die kleine Schale nun fort und massierte kurz mit seiner samtenen Fingerspitze über die empfindsame Haut. Erst dann nahm er seine Lippen zur Hilfe und küsste die Farbe mit seiner weichen Zunge fort, so dass man nicht erkennen konnte, dass dort jemals etwas gewesen war. „Und nun riecht an der Stelle, mein König“ bat er und hob dessen Hand zur Nase. Vorsichtig schnupperte Atemu an dem kleinen Stück Haut und bekam ganz glänzende Augen. Es roch nach Blumen, nach frischem Wasser so luftig leicht und doch ein wenig schwer. Etwas beißend wie Gewürze, aber nicht so scharf. Alles mischte sich zu einem sehr angenehmen Duft, welcher dem Räucherwerk in den heileigen Tempeln durchaus nahe kam. „Es riecht fantastisch“ lächelte er dann erfreut. „Ich muss dich loben. Du kannst aus so gewöhnlichen Substanzen einen solch belebten Duft zaubern?“ „Wenn es Euch gefällt, mein König“ antwortete er und senkte dankend sein Haupt. „Das ist wirklich großartig, Seth. Wer hat dich so schöne Sachen gelehrt?“ „Meine Mutter, Pharao. Sie sagte mir, wenn ich jemanden treffe, der reinen Herzens ist, der soll einen reinen Duft tragen. Ich habe nicht viel zu geben, aber wenn Euch mein Geschenk zusagt, dann ist es mir eine hohe Ehre.“ „Ein so persönliches Geschenk machst du mir?“ Ihm wurden als König ja schon viele Dinge zu Füßen gelegt, aber noch niemals hatte er das Gefühl, dass ein Geschenk wirklich so aus dem Herzen kam. Seths Herz schien so verschlossen und so willenlos, dass ihn trotz seiner Schönheit ein so trauriger Nebel umfing. Und dann verblüffte er mit solch einer Aktion. „Ihr seid mein Pharao“ erwiderte er leise. „Wenn ich Euch nicht beschenken darf, wen dann? Ich glaube, es ist schwer für Euch etwas Passendes, Schönes zu finden, da ihr ja so satt an allen Dingen habt. Wenn ich Euch auch nur ein Lächeln abringen kann, so ... oh verzeiht, ich schwafele.“ „Nein, sprich nur weiter“ bat er sofort. „Ach, du ahnst ja gar nicht wie satt ich an allen Dingen habe. Manchmal sind um sich herum so viele schöne Dinge, dass ich den Blick verliere und mir wie blind vorkomme. Alle Menschen wollen mich mit allen Sinnen beglücken, so sagen sie es. Und dann kommt ein Mensch wie du daher und zeigt mir, dass auch das Riechen ein Sinn ist, der so häufig vergessen wird. Du bist wirklich etwas Besonderes, Seth.“ „Durch Euch wird ganz Ägypten zu etwas Besonderem“ antwortete er und küsste voll untertäniger Bewunderung die königliche Hand. „Mein König, wenn ich noch mehr schönes für Euch tun kann, haltet Euch mit Wünschen bitte nicht zurück.“ „Du bist ohnehin viel mehr als ich für heute Abend erwartet habe.“ Eigentlich hatte er erwartet, dass er einen Sklaven bekam, mit dem er schnell den Liebesakt vollzog und sich dann auf den morgigen Tag vorbereiten konnte. Aber dass heute Abend jemand vor ihm stand, der mit nur seiner Erscheinung sein ganzes Gefühlsleben auf den Kopf stellte, das hatte er nie und nimmer in seinen kühnsten Träumen nicht erhofft. „Ich gehöre ganz und gar Euch, Pharao“ antwortete er mit einer sinnlich belegten Stimme. „Wenn Ihr mich haben wollt natürlich.“ „Du musst mir vom Himmel geschickt worden sein“ träumte er und blickte verloren in dieses unendliche Blau, welches seine Seele zu verschlucken drohte ... aber wehren konnte er sich spätestens jetzt nicht mehr. Dieser Mann war mehr als nur ein schlichter Lustsklave. Dieser Mann war wirklich ein fleischgewordener Traum, den ein Gott wahr werden ließ. „Himmel ist zu hoch gegriffen, Herr. Aus dem Süden reicht vollends“ schnurrte er und kam den Lippen seines Königs ganz nahe. Er wusste ja schließlich wofür er hier war und er hatte sich Mühe gegeben, seinen Pharao zu bezirzen. Er hatte ihn massiert, ihm Wein gereicht und ihm ein wenig Kunst vorgeführt. Das war das übliche Vorgeplänkel, damit er Gefallen an ihm fand. Nun musste er seinen Job auch zuende bringen und ihm den Rest seiner Lust erfüllen, denn deswegen war er hier. Er nippte gerade den süßesten Lippen, die er jemals würde kosten dürfen, aber da spürte er plötzlich wie sein Pharao ihn von sich wegdrückte und selbst die Flucht über dieses auf ein nächstes Polster antrat. „Verzeiht mir, Majestät“ entschuldigte er sich und kniete so tief vor ihm nieder, dass seine Stirn den blanken Boden berührte. „Ich wollte nicht anmaßend sein.“ „Nein nein nein! Ist schon okay! Wirklich! War nicht dein Fehler!“ Er hatte sich einfach nur für einen Moment vergessen. Er hatte sich doch vorgenommen, dass er ihn erst kennen lernen wollte, bevor ... bevor er das tat, was er mit allen vor ihm getan hatte. Nämlich ihn sofort wieder zu verlieren, wenn er Gebrauch von seinem Körper gemacht hatte. Er wollte ihn nicht als Sklaven, sondern als Menschen. Er wollte nicht als König gewollt werden, sondern als Mensch. Sie sollten sich als Menschen begegnen. „Ich habe Eure Signale falsch gedeutet und das darf mir nicht passieren. Bitte gebt mir eine Strafe. Verweist mich aus Euren Räumen. Was Euch beliebt, Herr. Was Ihr auch wünscht, ich werde alles tun.“ „Nein, es ist wirklich in Ordnung“ versprach er verzweifelt. „Bitte versteh mich doch! Ich bin gerne mit dir zusammen, aber ich will jetzt noch keinen Sex. Verstehst du das? Bitte steh doch wieder auf.“ „Ich bin rein, mein König“ antwortete er und erhob sich vorsichtig wieder auf seine Knie. „Ihr seid der Erste für mich, Majestät. Ich bin nur für Euch alleine. Ihr müsst keine Bedenken haben. Ich bin gesund und werde Euch keine Krankheit anhängen. Ich bin jungfräulich.“ „Umso schlimmer! Willst du wirklich dein erstes Mal SO erleben? Mit irgendjemandem, den du gar nicht liebst? Seth, das kann es doch nicht sein. Das erste Mal sollte etwas Wundervolles sein, eine schöne Erinnerung. Das kannst du doch nicht wirklich wollen!“ „Meine Bestimmung ist es, Euch zu dienen. Ich bin durchaus nicht unerfahren. Ich kann alles für euch tun. Sämtliche Arten, die ihr wünscht. Wollt Ihr vielleicht Fesseln einbeziehen oder andere Gegenstände? Ich habe auch Mittel zur Luststeigerung parat oder erotische Kleidung. Ich tue alles, was Ihr Euch wünscht.“ „Und Liebe?“ schaute sein Pharao etwas enttäuscht drein. „Wie ist es mit Gefühlen? Kannst du mir das auch bieten?“ „Sagt mir, was Ihr Euch wünscht“ bat er wieder in diesem leeren Ton und dem matten Gesichtsausdruck. Bereit dazu, sich in das zu verwandeln, was von ihm gewünscht wurde. „Ich wecke alle Gefühle in Euch. Hass, Begehren, Wut, Sehnsucht, was Ihr auch immer begehrt.“ „Ich meine DEINE Gefühle. Hast du denn gar kein Gefühl für mich? Egal was! Nur irgendwas! Sei es nun Liebe oder Abscheu. Irgendein Gefühl!“ „Ich empfinde für Euch, was Ihr mir befehlt.“ „So kommen wir nicht weiter.“ Kapitel 4: ----------- Kapitel 4 Er musste es einfach einsehen, dass er an einem einzigen Abend nicht viel mehr verlangen konnte. Er hatte seinen armen Lustsklaven eh schon über die Maßen strapaziert und dieser Gedanke kam ihm immer mehr, je länger er diesen gebrochenen Menschen vor sich ansah. Seth war mit einem ganz bestimmten Auftrag hergekommen. Seine Aufgabe war es, den Pharao zufrieden zu stellen und seinem Sklavenhändler Ruhm und Ehre einzufahren. Außerdem sollte der Pharao sich hinterher bei dem bedanken, der ihm diesen Sklaven gekauft hatte. Seth war in diesem Spiel nur der Spielstein, aber relativ unbedeutend für den Spieler. Und der Pharao war das Ziel, welches es zu erreichen galt. Und nun saß Seth hier und war wahrscheinlich völlig verunsichert. Er hatte sich darauf gefasst gemacht, dass er mit dem König schlafen würde und ihn vielleicht noch ein bisschen zu unterhalten hatte. Aber, dass sein Herrscher ihm so merkwürdige Fragen stellte und so eigenartige Dinge verlangte, das war nicht nur ungewöhnlich, sondern auch untypisch. Lustsklaven waren dafür da, um zu dienen und eben um ihrer Arbeit der Triebbefriedigung nachzukommen. Nicht aber dafür, mehr Gefühle als kurzweiliges Begehren zu wecken. „Ich bin etwas eigenartig heute Abend, ich weiß“ seufzte Atemu und brach erneut das Schweigen zwischen ihnen. „Es tut mir leid, Seth.“ „Bitte entschuldigt Euch nicht. Wenn ein Fehler vorliegt, liegt er nur auf meiner Seite.“ „Ich mag es sehr, mich mit dir zu unterhalten. Du bist ein interessanter Gesprächspartner. Du kannst eine Lust in mir befriedigen, die ich bisher nicht kannte und durch Körperlichkeit niemals konnte. Bitte erzähle mir mehr von dir.“ „Was möchtet Ihr wissen, mein König? Mein Leistungsspektrum ist weit gefächert. Sagt mir etwas und ich werde Euch damit dienen.“ Jedoch ohne Befehl konnte er nichts tun. Ihm musste schon gesagt werden, was man von ihm wollte. Denn wenn er selbst die Initiative ergriff, lag er ja wohl falsch und er konnte es sich letztlich auch nicht erdreisten, in den Gedanken eines Königs lesen zu wollen. „Du hast vorhin von deiner Kindheit erzählt. Davon möchte ich gerne mehr hören.“ „Von meiner Kindheit ... mein König?“ „Ja, von deinen frühen Jahren. Von deinen Eltern. Hast du auch Geschwister?“ „Aber ... Herr bei allem Respekt, ich möchte Euch nicht widersprechen, aber ... es ist doch eigentlich nicht von Interesse für Euch. Ich möchte Euch ...“ „Was von Interesse für mich ist, entscheide ich alleine, ja?“ bat er etwas deutlicher als gewohnt. Auf den Befehlston schien er ja zu können. „Es ist mir ein Bedürfnis, etwas über die Menschen zu wissen, mit denen ich mich umgebe. Selbst wenn es Sklaven sind. Bitte Seth, erzähle mir von deiner Kindheit. Wo kommst du her?“ „Ich komme aus dem Süden des Reiches, Majestät“ begann er zaghaft und hierüber zu sprechen, schien ihm nicht ganz so leicht zu fallen wie seine einstudierten Sätze aufzusagen. Jetzt wurde er als Individuum gefragt und nicht als Sklave. So etwas hatte er während seiner Ausbildung nicht gelernt und eigentlich fragte auch niemals ein Herrscher nach etwas Persönlichem. Lustsklaven waren fürs Bett und für Gespräche waren die Gesellschafter zuständig. „Dein Dorf hatte einen Tempel, hast du erzählt. Was für ein Tempel war das?“ „Ein Wüstentempel ist es gewesen. Mein Vater war dort Priester und er hat mich häufig zu seinen Messen mitgenommen. Ich habe ihn sehr bewundert. Meine Mutter war sehr angesehen im Dorfe und hat sich in der Gesellschaftsarbeit engagiert. Ich erinnere mich noch dunkel daran, dass in unserem Hause immer viele Menschen waren und die Erwachsenen zusammensaßen ... meine Erinnerungen sind sehr lückenhaft geworden. Bitte entschuldigt.“ „Woran erinnerst du dich noch?“ fragte er weiter nach. „Was war das schönste Erlebnis, welches du in deiner Kindheit hattest?“ „Das schönste Erlebnis, Herr ... das schönste Erlebnis ist es natürlich, Euch heute Abend treffen zu dürfen.“ „Wieder diese Standardantworten“ murmelte er enttäuscht zu sich selbst und sah ihn dann wieder fest an. Aufgeben würde er bestimmt nicht, bevor er ihm ein Gefühl entlockt hatte. Das musste doch möglich sein! „Sag mir, Seth, was war das schönste Erlebnis, bevor du in die Sklaverei gekommen bist? Woran erinnerst du dich gerne zurück?“ „Ich ... es ... das ist schwer, Majestät.“ „Ich weiß, dass es schwer ist. Versuche es trotzdem. Für mich. Bitte, Seth.“ „Das schönste Erlebnis war ... ja, jetzt kommt es langsam wieder. Mein Vater hat uns auf einen Ausflug in ein anderes Dorf mit Tempel mitgenommen. Wir sind drei Tage durch die Wüste geritten, aber dann waren wir dort. Mein Vater ging in den Tempel, um dort zu predigen und uns hat er im Hinterhof gelassen.“ „Uns? War denn noch jemand bei dir? Deine Mutter vielleicht?“ „Nein, mein Bruder. Mein jüngerer Bruder.“ „Du hast einen Bruder, Seth? Das ist ja großartig! Wie heißt er?“ „Ich ... ich weiß es nicht mehr. Es ist so verschwommen alles.“ Das stimmte den König zum wiederholten Male etwas betrübt. Er hatte große Lücken in seiner Erinnerung und wusste nicht mal mehr den Namen seines Bruders. Aber wie denn auch? Er hatte ja bis heute Abend nicht mal selbst einen Namen gehabt. „Erzähle weiter. Bitte. Was war das schöne Erlebnis? Du warst doch noch nicht fertig mit deiner Geschichte, oder?“ „Im Hinterhof wuchs Gras“ erzählte er und sah seinem König direkt in die Augen. Aber nun war das Blau nicht mehr ganz so leer. Es war als würde sich der matte Schleier darüber hinwegheben und ein wenig Licht freilassen. Nur schwach, aber das war mehr als man erwarten durfte. „Gras?“ lächelte Atemu ihn aufmunternd an. „Darüber hast du dich gefreut?“ „Wir haben in der Wüste gelebt und noch niemals Gras gesehen. Wir haben uns die Schuhe ausgezogen und sind darüber gelaufen. Es war so weich, so saftig. So anders als der heiße Sand. Es war ... ein wunderschönes Gefühl. Verzeiht bitte. Andere Geschichten könnte ich besser erzählen. Geschichten, die Euch nicht langweilen. Soll ich Euch eine Eurer Heldentaten erzählen? Oder eine Eures Vaters?“ „Ich fand deine Geschichte wirklich wunderbar“ nickte er wohlwollend und legte ein zufriedenes Lächeln auf. „Sie hat mein Herz erfreut. Ich danke dir für diese schönen Worte.“ „Gerne, mein König. Was kann ich noch für Euch tun? Kann ich Euch noch etwas Wein bringen? Oder ein Stück Obst?“ „Später vielleicht. Jetzt hätte ich es gerne, dass du mir folgst. Komm“ sagte er und stand von seinem weich erhöhten Platze auf. „Majestät, darf ich Euch vorher noch Eure Schuhe anziehen? Es ist kalt geworden.“ „Du trägst doch auch keine Schuhe, oder?“ lächelte er lieb zurück. „Außerdem brauchen wir keine Schuhe dort wo ich hinmöchte. Bitte folge mir einfach.“ „Natürlich. Sehr gerne, Pharao“ nickte er und folgte ihm direkt hinterdrein. Er stellte auch keine Fragen als sie das Gemach verließen, sich die Diener und Wachmänner der Reihe nach verneigten und sie gemeinsam die lange Wendeltreppe des Turmes hinuntergingen. Eigentlich hätte Atemu es gerne gehabt, wenn Seth vorgegangen wäre, denn so hätte er noch einen Moment seinen flüssigen Gang bewundern können, aber das ginge dann wohl doch etwas zu weit, wenn der Sklave vor seinem Herren ging. So schleppte er ihn also die lange Treppe hinunter und hatte endlich eine Idee, wie er den Menschen Seth vielleicht ein kleines Stück mehr erreichen konnte. Seth hatte eine Vergangenheit, er hatte Eltern und einen Bruder ... gehabt? Es gab also eine Zeit, wo er noch ein Mensch gewesen war. Nun war er ein Sklave ohne Namen und Vergangenheit, aber irgendwo lag noch ein Mensch versteckt - und dieser Mensch wollte gefunden und befreit werden. Dieser Mensch hatte Bedürfnisse und Wünsche, die er unterdrückte. Auf eine gewisse Weise sah Atemu sich selbst in ihm. Seth war nach außen hin nur der Sklave ohne Namen. Er selbst war nur der Pharao, dessen Name ihm zu groß war. Aber beide waren Menschen und Atemu hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass sich diese beiden Menschen kennen lernen sollten. Am Ende der Treppe kamen sie in einem kurzen Flur an, wo ein Diener sich gleich verbeugte und nach einem kurzen Handzeig des Königs die linke Tür öffnete. Atemu trat hindurch und hörte wie Seth ihm mit leisen Schritten folgte. Dann drehte er sich um und wollte die Reaktion beobachten, die hoffentlich ausgelöst wurde. Er sah mit Wohlwollen wie sich Seths Mund staunend für einen Moment öffnete und seine tiefblauen Augen ganz groß wurden. Aber schon unterdrückte er dieses Gefühl wieder und nahm erneut seinen neutral leeren Ausdruck an. „Dies ist mein Garten“ zeigte Atemu stolz in die Palastmitte hinein. Umgeben von hohen Mauern und begleitet von vier goldenen Kuppeltürmen lag versteckt ein kleines Paradies inmitten der Wüste. Zentral ein kleiner Teich, wo um diese nachtschlafende Zeit die Fische auch schon zur Ruhe gekommen waren. Die Paradiesvögel und Papageien oben in den sieben hohen Bäumen hatten ihren Kopf unter den Flügel gesteckt und schlummerten selig. Die Blumen hatten sich zur Nacht geschlossen und beleuchtet wurde dieser stille Ort nur von dem hellen Mond über ihnen und den Fackeln, welche ihr verträumtes Licht in die Mitte warfen. „Euer Garten ist wunderschön“ sagte er leise, nachdem er sich ausreichend umgeblickt hatte. „Ja, ich bin gerne hier“ nickte Atemu. „Es ist hier immer schön ruhig. Für gewöhnlich lasse ich niemanden hier herein, denn dieses kleine Fleckchen Erde mitten im Palast ist mein Privatreich. Mein Großvater hat ihn bauen lassen und ich erhalte ihn noch heute. Wenn die Sonne am Tage heiß herabbrennt, spenden die Bäume wundervollen Schatten. Sicher sagen meine Finanzminister, dass der Unterhalt zu teuer wäre und das Wasser zu kostbar, aber um ehrlich zu sein, ist mir das egal. Ich schränke mich so viel ein, da finde ich, steht mir das hier zu. Was meinst du?“ „Dieser Garten ist Euch wirklich würdig, Majestät“ verneigte er sich tief. „Meinen tiefen Dank, dass ich dies sehen durfte.“ „Oh, es ist noch nicht zuende“ sang Atemu glücklich und griff nach der feinen Hand seines Sklaven. Er zog ihn weiter in den Garten hinein, wo am Anfang noch grobkörniger Kies lag, aber um den Teich herum wuchs kurz geschnittenes, volles, grünes Gras. Seth zögerte als der Pharao ihn weiterziehen wollte. Die königlichen Füße berührten bereits das zarte Grün, aber die Füße des Sklaven trauten sich nicht so recht. So etwas gebührte nur den Füßen eines wahren Herrschers und nicht den schmutzigen Tretern eines Lustsklaven. „Komm“ bat Atemu und drückte ein wenig die feine Hand, welche in seiner begann leicht zu zittern. Seth war aufgeregt, aber er gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. „Ich ... ich kann nicht, Majestät“ flehte er und sah ihn fast geschockt an. „Aber warum denn nicht?“ blickte er galant zurück. „Du hast doch erzählt, dass dir das damals gefallen hat. Magst du nicht?“ „Doch, aber ... ich ... Herr, das steht mir nicht zu. Ich bin doch hier für Eure Gelüste und nicht für ... für mich.“ „Aber es steht mir der Sinn danach, Seth. Es ist mein Wunsch. Bitte schlage mir diese Bitte nicht ab. Komm zu mir. Wandle mit mir gemeinsam, mein Seth. Komm.“ Er zog leicht an dem ausgestreckten Arm und holte ihn mit leichtem Nachdruck zu sich auf den grünen Teppich. Ein leises Keuchen ging durch die nächtliche Ruhe als der Sklave erst einen, dann den anderen Fuß auf das saftige Gras setzte. In der Wüste war so etwas absolut untypisch und besonders für ihn war das hier etwas Besonderes. Es erinnerte ihn an seine Kindheit, an die Zeit wo er noch kein Sklave gewesen war, an die wundervollen Momente seines Lebens. Es war so lange her und nun ... nun war es zum Greifen nahe. „Siehst du? Es ist ganz leicht“ lächelte Atemu erleichtert und ließ aber seine Hand die ganze Zeit nicht los. Ihn so zu sehen, wie er dieses eigenartige Gefühl in sich aufsaugte, war mehr Lust als ihm jeder Sklave jemals schenken konnte. „Wie fühlst du dich?“ fragte er leise. „Erzähle mir, was du empfindest.“ „Ich fühle ... das Gras“ wisperte er fast unhörbar. „Es ist ein unglaubliches Gefühl. Es ist so weich, so angenehm kühl. Es lebt unter meinen Füßen, es streichelt mich zwischen den Zehen. Es kitzelt ein wenig. Es ist einfach nur da und löst solch angenehmes Prickeln aus. Es ist ... göttlich. Allein nur weil es da ist, schlägt mein Herz so laut. Es ist ... es ist so wundervoll.“ „Ja, das ist es“ antwortete er verträumt und blickte hinauf in dieses wunderschöne Gesicht, welches dem eines Gottes gleichen musste. Was für Seth das Gras war, das war für Atemu Seths Anwesend. Prickelnd, göttlich, es ließ sein Herz klopfen einfach nur, weil er da war. Etwas Untypisches inmitten der Wüste. „Komm, wir laufen ein Stück“ bat Atemu und zog ihn hinter sich her. Nebeneinander begannen sie einen kleinen Gang um den Teich herum, wo sich das Licht der Sterne brach und ihnen entgegenlachte. Selbst vor den Mond schob sich nicht eine einzige Wolke, die Fackeln strahlten ihre Wärme herüber und der Druck ihrer Hände verstärkte sich ein wenig je länger sie nebeneinander herliefen. Das grüne Gras raschelte unter ihren Schritten und der frische Nachtwind strich ihnen durchs Haar. Vergessen waren die Strapazen des heißen Tages. Die ganze Welt lag in diesen Momenten nur hier zwischen ihren Händen. „Die Sekunde des Herzensfriedens“ flüsterte Seth mit einem ganz neuen Ton in der Stimme. Ein Gefühl, welches von weit unten heraufstieg wie eine Luftblase aus einem Ozean. „Ja“ hauchte sein König und lächelte selbst ganz wohlig zu diesem einzigartigen Moment. Er hätte es sich niemals träumen lassen, dass er einst Hand in Hand mit einem Sklaven in seinem privaten Heiligtum des Nachts so einig wandeln würde. Dieser Moment war etwas Besonderes und nicht wie alle anderen Nächte. Seth war nicht wie alle anderen. Und auch Atemu fühlte sich ein Stück verändert. Kapitel 5: ----------- Kapitel 5 Es kam ihm vor als hätte er nur einen kurzen Moment die Augen geschlossen, aber als er sie wieder auftat, blinzelte ihm die Morgensonne entgegen. Der gestrige Abend floss noch immer durch seine Knochen, so wohlig und seicht, so vertraut und intensiv. Er hatte diese Minuten im Schlossgarten mehr genossen als alles, woran er sich bisher erinnern konnte. Als König hatte er viele Genüsse, welche andere Leute nimmer erleben würden, aber so ein Moment voller Magie mit einem so wundervollen Menschen ... dieses musste ein Geschenk der Götter an ihn gewesen sein. Und auch nach ihrem kleinen Spaziergang auf dem weichen Gras, war die Stimmung zwischen ihnen viel entspannter. Gesprochen hatten sie nicht mehr viel, denn Worte schienen nicht mehr viel Verwendung zu haben, keine Notwendigkeit. Sie waren einfach nur wieder hinauf ins Zimmer gegangen und hatten sich gemeinsam aufs Bett gelegt. Ihr Hände hatten sich nicht losgelassen, denn allein das war mehr als nur ein Händedruck. Mehr Erfüllung konnte man sich nicht wünschen. Irgendwann war Atemu dann der Ruhe verfallen. Der Blick in diese tiefblauen Augen war wie eine ganz eigene Welt, welche ihn gefangen hielt, obwohl die Tore offen standen. Er hatte den Menschen Seth gesehen. Für einen kurzen Moment war er da. Und er war so wundervoll wie niemals jemand vor ihm gewesen war. Sein Atem war so ruhig und regelmäßig, seine Hand so warm und kräftig, seine glänzenden Lippen so sinnlich, dass man mehr hatte, wenn man nur davon träumte als sie zu berühren. Wie ein Kunstwerk, welches seine Schönheit nur im vollen Bilde entfalten konnte. „Ich wollte nicht einschlafen“ murmelte Atemu leise zu sich selbst und rieb sich müde die Augen. Langsam stellte er fest, dass sich der Raum verändert hatte. Nicht nur das gebrauchte Geschirr und seine abgelegte Kleidung war verschwunden, weil jede Nacht auf leisen Sohlen seine Diener herbeischlichen und alles in Ordnung brachten. Er lag auch im Bett, zugedeckt und warm. Aber etwas fehlte. Sein letzter Blick ging in das tiefste Blau und nun blendete ihn die Morgensonne. Er roch an seinem Handgelenk und der intensive Duft des gestrigen Abends war mit Mühe zu erahnen, wenn man wusste, dass es ihn gegeben hatte. Verflogen war die Magie der Nacht und der grausige Tag wollte ihn zurückholen. Ein Schrecken jagte durch seine Eingeweide als er an Seth dachte. Gestern Nacht hatte er noch neben ihm gelegen, ihn angesehen und seine Hand gehalten. Am nächsten Morgen waren alle Sklaven verschwunden und er hatte keinen von ihnen jemals wiedergesehen. Und wenn er Seth nun auch niemals wiedersah? Nein, das durfte nicht sein. Seth hielt sein Herz in den Händen, er durfte nicht fortgehen. Niemals mehr durfte er zurück ins Nichts verschwinden. Er war gestern plötzlich da gewesen und nun war er ebenso plötzlich wieder weg. War er nur ein Traum gewesen? Ein Streich der Nachtbilder? Aber der laue Geruch an seinem Handgelenk erinnerte ihn daran. Er war kein Traum gewesen. Er war der erste Traum, der auch über den Tag dauern sollte. Atemu durfte ihn nur nicht verlieren und vergessen. Mit einem Satz sprang er auf und griff sich seinen Morgenmantel vom Stuhl, zog ihn an noch während er zur Tür hastete. „Majestät, Ihr seid wach“ stellte der Diener, welcher immer in der Ecke seines Raumes auf Befehle wartete, fest. „Wartet doch, ich bringe Euch Frühstück.“ „Wo ist Seth?“ fragte er ohne ein Guten Morgen zurück. „Seth? Mein Pharao, von wem sprecht Ihr? Möchtet Ihr vielleicht in den Tempel gehen? Wartet einen Moment, ich bringe Euch Euer Tempelgewand.“ „Nein, der Sklave, der gestern hier war“ setzte er schnell noch mal nach. „Wo ist er?“ „Euer Sklave?“ Das verwirrte den Diener sichtlich. Dass der König nach einer Nacht seinen Sklaven noch mal sehen wollte, war absolut unüblich, wenn nicht sogar anrüchig. „Mein Pharao, er wurde heute Morgen abgeholt. Wie jeder Lustsklave.“ „Was passiert mit den Sklaven, nachdem sie bei mir waren? Kannst du mir das sagen?“ „Sie werden bewertet und weitergegeben“ antwortete der verwirrte Diener. „Weshalb stellt Ihr so eigenartige Fragen?“ Aber darauf antwortete der König schon nicht mehr. Mit schnellen Schritten verschwand er aus seinem Gemach und gab dem armen Diener nicht mal mehr die Möglichkeit, ihm die Tür zu öffnen. Viel wichtiger war jetzt, dass er Seth fand, bevor er fortgebracht wurde. Er hatte sich niemals Gedanken darüber gemacht, was mit den Sklaven eigentlich danach geschah, wenn sie ihn verließen. Er wusste jetzt nur, dass er Seth nicht gehen lassen wollte. Sein Diener hatte gesagt, sie würden bewertet und weitergegeben werden. Was sollte das heißen? „FATIL!“ schrie er laut durch die Gänge des Palastes. Der einzige, der ihm jetzt auf die Schnelle weiterhelfen konnte, war sein Palastvorsteher. Nur Fatil wusste immer, wer sich wo aufhielt. Und er wusste auch ganz sicher, ob die Sklaventransporte die Stadt heute schon verlassen hatten. „FATIL! ZUM DONNER WO BIST DU?“ „Der König sucht Fatil!“ rief ein Diener weiter zum nächsten. „Fatil! Der König sucht Fatil!“ rief der dann weiter um die Ecke. So spannte sich in Windeseile eine Nachrichtenkette von einem Diener zum nächsten, um den Wunsch des Pharaos so schnell wie möglich zu erfüllen. Atemu währenddessen trat nervös von einem Fuß auf den nächsten. Wenn er jetzt noch weiter herumlief, würde es noch länger dauern, bis er etwas herausfand. Nur einen Moment geduldig warten und dann würde er gleich mehr wissen. Aber wie sollte man geduldig warten, wenn einem das Herz bis zum Halse schlug? Er musste wirklich einen merkwürdigen Anblick für seine Wachen und Diener sein. Nur im Morgenmantel bekleidet, ohne Schuhe, ohne Krone auf dem Haupt, seine Haare ungekämmt, seine Augen ungeschminkt. So durfte doch kein König aussehen. Aber der König war gestern irgendwo auf der Strecke geblieben - jetzt suchte Atemu den Mann, der ihm sein Herz berührt hatte. >Seth, wo bist du nur?< Nur noch dieser eine Gedanke hallte durch seinen Kopf. Wenn er ihn einfach so verschwinden ließ, würde er seine Spur nie wieder aufnehmen können. Wer wusste schon, in welche Hände sein Göttertraum danach geraten würde? Vielleicht bekam er einen Meister, der ihn nicht gut behandelte? Außerdem fühlte Atemu sich jetzt schon einsam ohne ihn. Wo konnte er denn nur hin sein? „Ihr habt nach mir gerufen, mein König?“ sprach ihn eine Stimme von der Seite an. „Fatil! Den Göttern sei Dank, dass du da bist!“ rief Atemu und drehte sich geschwind zu ihm herum. Sein Palastvorsteher hatte einen Plan und Informationen über alles, was sich in diesen Wänden abspielte. Dieser Mann im besten Alter und Vater dreier Kinder genoss das vollste Vertrauen seines Königs und hatte sich schon in vielen schweren Situationen als loyal und verlässlich bewiesen. Für den Palast war er ein Segen und auch für Atemu, denn Fatil war ihm immer wie ein zweiter Vater gewesen. „Guten Morgen, Pharao“ erwiderte er leicht überrumpelt und machte eine kurze Verbeugung. „Ihr seht blass aus. Habt Ihr nicht gut geruht?“ „Fatil, der Sklave von gestern Abend. Weißt du, wo er jetzt ist?“ „Euer Sklave? Ihr meint das Geschenk von Taresis, welches Euch gestern gebracht wurde? Ich habe gehört, Ihr habt ihn mit in Euren Palastgarten genommen.“ „Ja ja ja, wo ist er jetzt? Er war einfach fort heute Morgen. Ohne Abschied!“ „So wie jeder Sklave, Majestät.“ „Fatil, wo ist er?“ drängte er, hatte ihn schon ziemlich verärgert am Kragen gepackt und funkelte ihn aus tiefsten Augen an. „Sag mir sofort, wo er ist oder ich lasse dich ins Verließ werfen! Wo ist mein Sklave?“ „Er wird gerade zum Transport geschickt, um die Stadt zu verlassen. Unten in der Palasteinfahrt der Lieferanten. Aber was wollt Ihr denn von ihm? Hat er Euch bestohlen?“ „Er hat mir etwas gestohlen, von dem ich nicht mal wusste, dass ich es habe“ antwortete er und drehte sich hastig herum. Fatil sah ihm ziemlich stutzend nach wie der edle König in diesem Aufzug durch die Palastgänge stürmte, seine Türen selbst öffnete und dabei nur einen Morgenmantel ohne Krone trug. Und diesen Blick hatte er in all den Jahren bei ihm noch nie entdecken können. Er kannte Atemu seit seiner Geburt, aber noch niemals hatte er ihn bei einer Sache so elanvoll erlebt. „Oh, mein König“ seufzte er schweren Herzens als er dieses Rätsel für sich aufgeklärt hatte. „Wenn Ihr da mal keinen Fehler begeht. Er ist ein Sklave, Ihr ein König. Vergesst das nicht.“ So schnell er konnte, hastete der Pharao durch die Gänge, stieß Diener und Gäste zur Seite und bot sicher nicht den edlen und beherrschten Anblick, den er als Herrscher bieten sollte. Aber das war ihm egal. Auch als er den unteren Teil des Palastes erreichte, den sonst nur die Bediensteten betraten, kümmerte ihn das Erschrecken der Leute wenig. Er musste zu ihm! Er durfte ihn nicht fort lassen! Nicht bevor er ihn in Sicherheit wusste. Und er kam gerade rechtzeitig. Die dritte Tür, welche er der Reihe nach aufriss, war endlich die richtige. Doch er sah nicht das, was er sich erhofft hatte. Er erblickte seinen edlen Seth blutüberströmt und ihn Fesseln am Boden knien. Neben ihm zwei Männer, welche wohl eindeutig über seine Zukunft verhandelten. Der eine dick mit einem schwarzen, verfilzten Bart und schmutzigem Stoffgewand. Der andere ziemlich kräftig, mit gedrungenem Gesicht, kleinen Augen und einer eingedrückten Nase. Edelmänner waren die beiden sicher nicht „So viel gebe ich dir nicht“ stritt der Mann mit der platten Nase. „Sieh ihn dir doch an. Du hast ihn ja halb tot geprügelt. Die Kosten für ihn wären zu hoch.“ „Gut, dann zwei Goldmünzen“ feilschte der Dicke sich herunter. „Hast du eigentlich eine Ahnung, was ich alles in seine Ausbildung gesteckt habe? Er ist gesellschaftlich gebildet, er beherrscht Tanz, Gesang und Kunst. Ja, er kann sogar lesen! Er wurde eigens für den König ausgebildet.“ „Ja, und er hat versagt. Zwei Goldmünzen sind zu viel. So viel Geld bringt er mir doch niemals ein. Und was soll ich mit gesellschaftlicher Bildung? Wenn er die Beine breit macht, reicht mir das.“ „Aber er ist gesund und hat keine ansteckenden Krankheiten. Er ist gut genährt und wenn du ihm das bisschen Blut abwischst, macht er richtig was her. Komm schon. Zwei Goldmünzen sind nicht viel.“ „Ich gebe dir eine Silberdukate, mehr nicht.“ „EINE Silberdukate? Da kann ich ihn ja gleich zur Feldarbeit verhökern.“ „Dann mach das doch. Wer will schon einen Sklaven auf dem so viel Schande lastet?“ „Aber ... ich kann ...“ wollte Seth leise sagen, doch sein Kommentar war hier nicht erwünscht. „Halt den Rand“ schimpfte der Dicke und trat ihm so krachend gegen den Kopf, dass der arme Sklave ohne Gegenwehr auf den harten Steinboden knallte und sein warmes Blut in die Ritzen der Platten sickerte. „Eine Silberdukate und ich befreie dich von ihm“ lachte die platte Nase. „Ach, verdammt“ fluchte der Dicke zischend vor sich hin. „Ist mir egal. Kannst ihn geschenkt haben. Schaff mir das Miststück nur aus den Augen.“ Der König war geschockt. Er wusste ja, dass man mit Sklaven häufig schlecht umging, aber er hatte gehofft, dass seine Gesetze ihnen wenigstens ein bisschen Menschlichkeit sicherten. Aber hier wurde über ihn gesprochen als wäre er ein verletztes Tier oder Wert. Das war nicht im Sinne seines Gesetzes. „Hier wird niemand verschenkt“ sagte er mit fester Stimme und trat endlich aus dem Schatten der Türzargen. Er wusste, dass er in seinem Morgenmantel und ganz ohne Schmuck und Schminke nicht wirklich aussah wie ein König, aber sein Gesicht war im ganzen Reiche bekannt. Und er würde es nicht dulden, dass in seinem Palast ein Mensch so unwürdig behandelt wurde. „Pharao!“ Erst waren die zwei Sklavenhändler ziemlich überrascht, aber dann fielen sie doch auf die Knie und verbeugten sich vor seiner Macht. „Ihr beiden verlasst sofort meinen Palast und werdet mir nie wieder unter die Augen treten“ befahl er und blieb hoch erhoben vor ihnen stehen. „Aber, Pharao, Ihr habt ...“ wollte der Dicke sagen, aber sein Wort galt hier nichts. „Habe ich dich aufgefordert zu sprechen? Ich denke nicht.“ „Verzeiht, Pharao.“ „Ihr beiden verschwindet sofort aus meinen Augen. Los, RAUS HIER!“ So sauer kannte er sich selbst gar nicht, aber was er gesehen hatte, machte ihn rasend. Sie hatten Seth gefesselt und geschlagen, seinen Seth. Ohne mit ihren Augen noch mal das königliche Gesicht zu streifen, erhoben sie sich, um den Befehl zu befolgen und weiteren Ärger zu vermeiden. Sie wussten zwar nicht genau, wofür sie jetzt solche Ablehnung bekamen, aber dem Pharao widersprach man grundsätzlich nicht. Der Dicke wollte noch nach dem niedergetretenen Sklaven greifen und ihn mitzerren, aber er wusste ja nicht, welch ein Fehler das wäre. „Und er bleibt hier“ befahl Atemu mit eiserner Stimme. „Verschwindet jetzt, bevor ich meine gute Erziehung vergesse.“ Die beiden senkten den Blick fest auf den Boden und schlichen schnellen Schrittes zur Tür hinaus. Lieber schnell weg, bevor man sich den König zum Feind machte. Doch sie waren schneller vergessen als sie gedacht hatten, denn der Sklave, den sie als so wertarm befanden, war dem Pharao das Teuerste auf Erden geworden. „Seth“ sagte er schnell und kniete sich neben ihn, um vorsichtig seinen Kopf ein Stück anzuheben. Sein schöner Göttertraum sah schrecklich aus. Seine Unterlippe aufgeplatzt, seine Wange abgeschürft und seine Augen so tot. Gestern waren sie nur leer, aber nun waren sie wie tot. „Was haben sie nur mit dir gemacht, mein Seth?“ Vorsichtig drückte er den verletzten Kopf an sich und scherte sich nicht darum, dass er sich mit dem schmutzigen Blut den teuren Stoff ruinierte. Er wollte ihn nur noch festhalten und nimmermehr loslassen. Er hörte den röchelnden Atem und fühlte kaum noch Lebenswillen in diesem schlaffen Körper. „Was haben sie dir nur angetan?“ trauerte er und wischte ihm ein paar Tropfen tiefroten Blutes aus den Augen. „Pharao ... Ihr habt mich abgelehnt“ wisperte er niedergestreckt und unendlich müde. „Nein, ich habe dich nicht abgelehnt. Seth, wie kommst du nur auf so etwas?“ „Ihr habt ... Ihr habt nicht ... mit mir das Bett geteilt. Ich habe versagt.“ „Du hast nicht versagt, Seth. Ganz bestimmt nicht. Nur weil ich nicht mit dir geschlafen habe, heißt das nicht, dass du versagt hast. Du hast mir viel mehr gegeben als alle anderen vor dir.“ „Ich verstehe ... Eure Worte nicht ... Pharao“ keuchte er und verdrehte nahe der Bewusstlosigkeit die Augen. Er brauchte jetzt Ruhe, denn sonst würde er noch völlig zusammenbrechen. „Es ist gut, Seth. Es ist gut“ versprach er und küsste vorsichtig die geschundene Stirn seines Göttertraumes. „Schlaf ruhig ein. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas Böses geschieht. Du stehst jetzt unter meinem Schutz. Hörst du? Niemand wird dich jemals wieder demütigen.“ Ob er das noch gehört hatte, wusste Atemu nicht. Er fühlte nur wie der verletzte Körper in sich zusammensank und er das Bewusstsein verlor. Aber er würde sein Versprechen trotzdem halten. Niemand sollte ihm jemals wieder wehtun. Nie wieder. Kapitel 6: ----------- Kapitel 6 Der Pharao saß lange neben seinem Bett und horchte auf den gleichmäßigen Atem seines gepeinigten Traumes. Er verlor sich in Gedanken darüber, was ihm wohl geschehen sein mochte. Nicht nur am heutigen Morgen, sondern auch in all den Jahren zuvor. Wie konnte der Sohn eines Priesters in die grausamen Fänge von Sklavenhändlern gelangen? Hat seine Familie ihn denn nicht beschützt? Haben sie ihn verkauft? Vielleicht ist seiner Familie ein Unglück widerfahren? Es gab so viele Möglichkeiten und so viele Schreckensszenarien, eines schlimmer als das andere. Die Heiler des Pharaos hatten ganze Arbeit geleistet und seine Wunden versorgt. Sie hatten ihm ein Mittel zur Beruhigung gegeben, damit er einige Stunden entspannt schlafen und Kraft schöpfen konnte. Aber was würde werden, wenn er wieder aufwachte? Was wollte Atemu dann mit ihm machen? Er war ein Lustsklave und als solcher musste er ihn nun eigentlich verlassen. Aber der König könnte es niemals übers Herz bringen, ihn fort zu lassen. Nicht nachdem er angefangen hatte eine Brücke der Menschlichkeit zwischen beiden zu errichten, damit sie sich als Menschen treffen konnten. Er konnte doch nicht mitten im Bau alles abreißen und zusammenstürzen lassen. Nein, das wollte er nicht. Doch war er wirklich das, was Seth brauchte? Würde er sich nicht schlecht fühlen mit jedem Mal, wenn er in die königlichen Augen blickte? Jetzt erst wurde Atemu bewusst, wie einsam er wirklich war. Er war mindestens so einsam wie Seth nur mit dem Unterschied, dass Seth am Boden lag und einsam war und er selbst als König über allem anderen stand und ebenfalls völlig ohne Freude war. Erst gestern Nacht hatte sein Herz seit langer Zeit wirkliche Freude empfunden. Zu sehen wie sein Seth über das Gras ging, wie wunderschön der Mondschein auf seiner Haut glänzte und das Gefühl Hand in Hand einzuschlafen. Gestern Nacht war er nicht einsam gewesen. Und insgeheim hegte er die Hoffnung, dass es Seth ebenso ging wie ihm. In den frühen Abendstunden öffneten sich die blauen Saphire langsam und blickten noch leicht verdunkelt an die Decke. „Du bist in Sicherheit“ flüsterte der König ihm ruhig zu und fasste an die Hände, welche fast leblos über seinem Bauch gefaltet waren. Es überraschte ihn etwas als er fühlte, wie Seths Hände die seinen sofort festhielten. Genau wie gestern Abend griff er nach ihm und ließ ihn ohne Grund nicht wieder los. Vielleicht stand die Brücke schon zwischen ihnen. Sie war noch zu wackelig um darüber zu gehen, aber vielleicht konnten sie sich gegenseitig am anderen Ende schon sehen. „Mein Pharao“ hauchte er und wandte seinen Blick auf das weiche Gesicht über ihm. Wie friedlich und unbedrohlich diese Augen ihn ansahen. Voller Gefühl und so voller Wohlwollen. Unter diesem Blick fühlte er sich in ungekannte Empfindungen gebettet, umhüllt von Wärme und Geborgenheit. „Wie fühlst du dich, Seth? Hast du Schmerzen?“ „Wo bin ich?“ stöhnte er leise als er sich ins Sitzen erhob und sofort spürte, wie der König ihm dabei half sich aufzurichten, ihn stützte und ihm ein wunderschön besticktes Polster unter den Rücken schob auf welchem er sich komfortabel zurücklehnen durfte. „Du bist noch im Palast und hier wirst du auch bleiben“ antwortete er gleichmütig. „Ihr habt ... Pharao, warum habt Ihr das getan? Wollt Ihr mich selbst bestrafen?“ „Warum denkst du nur immer gleich das Schlechteste?“ seufzte er, aber sein Lächeln wollte einfach nicht von seinen Lippen weichen. „Um ehrlich zu sein, weiß ich noch nicht, was ich mit dir machen werde. Aber ich werde nicht zulassen, dass man dir noch mal wehtut. Ich habe dir meinen Schutz versprochen und ich halte mein Wort.“ „Ihr seid von edler Gesinnung und Eure Güte ehrt Euch“ dankte er ihm, aber das demütige Senken des Kopfes bereitete ihm wohl noch ein Schmerzen im Nacken. „Hier, trink einen Schluck Wasser“ bat er und hob von dem kleinen Beistelltisch einen silbernen Kelch an, um ihn Seth vorsichtig zu geben. Dieser zögerte einen Moment, ihn zu nehmen, denn als Sklave war es nicht von Stand, sich von seinem Herren etwas reichen zu lassen. Außerdem war dieser Kelch viel zu teuer und zu fein, um an seine niederen Lippen zu gelangen. „Jetzt komm schon“ lächelte Atemu ihn an. „Trink endlich, sonst kippst du mir noch mal um. Und das will ja keiner. Hier.“ Er drückte ihm einfach den Kelch in die Hand und genoss den Anblick wie er seine sinnlichen Lippen daransetzte und seiner Kehle mit einem leisen Schlucken das kühle Wasser schenkte. „Schau, alles ganz unkritisch“ lobte er und nahm ihm den leeren Kelch wieder ab. „Danke“ erwiderte er leise und blickte etwas verloren auf die Decke über seinen Beinen. Er fühlte sich noch etwas schwummerig, aber er hatte schon schlimmeres weggesteckt als so ein paar Prügel. Das war doch nichts. Dieses Mal war er sogar besser versorgt worden. Die Verbände waren sauber und die Wundsalbe duftete angenehm wohltuend. „Erzählst du mir, was diese freundlichen Herren mit dir machen wollten?“ fragte er vorsichtig nach, denn das interessierte ihn wirklich. Vielleicht war Seth jetzt etwas zugänglicher als am letzten Abend. Jetzt stand er weniger unter Leistungsdruck und war letztlich frei ... hoffentlich wusste er das auch. „So wie ich das verstanden habe, wollte mein Besitzer mich verschenken“ wiederholte er die leeren Worte. „Was muss es nur für ein Gefühl sein, wenn einem das eigene Leben nicht gehört?“ dachte Atemu etwas lauter als er es vorgehabt hatte. Aber Seth sollte ruhig sehen, dass er es ernst und vor allem gut mit ihm meinte. „Seth, bitte verzeihe mir, wenn ich das so frei heraus frage, aber wie bist du bis hier her gekommen? Du hast erzählt, dass dein Vater Priester war und du eine angesehene Familie hattest. Ich kann mir schwer vorstellen wie jemand wie du in die Sklaverei gekommen ist.“ „Warum fragt Ihr mich das?“ schaute er mit gebrochenem Blick zurück. „Ich verstehe nicht, warum Ihr so freundlich zu mir seid. Ihr habt doch gar keinen Grund dafür, mich hier zu behalten, nachdem ich Euch so enttäuscht habe.“ „Du hast mich nicht enttäuscht und meine Gründe sind sehr simpel. Ich finde Gefallen an dir und der gestrige Abend war für mich wie eine wohltuende Oase inmitten der Wüstenhitze. Ich mag es, wenn du in meiner Nähe bist und ob du es glaubst oder nicht, mir liegt etwas an deinem Wohl. Ich kann es nicht beschreiben, aber ich hab dich irgendwie lieb gewonnen.“ „Mich ... Pharao, was redet Ihr da?“ „Ich sage ja, du wirst es wohl nicht glauben“ lächelte er. „Aber hätte ich einen Grund, dich anzulügen? Du weißt, dass ich das nicht nötig habe. Es ist mit ein Bedürfnis, dich zu verstehen und ich möchte gerne mehr über dich wissen. Magst du mir erzählen, was dir widerfahren ist?“ „Aber Pharao, Ihr habt doch sicher Wichtigeres zu tun, als ...“ „Überlasse das nur mir, mein Seth. Ich bin sehr interessiert an deiner Geschichte. Bitte erzähle mir alles. Wie kommt es, das ein Mensch wie du zum Sklaven wird?“ „Ich habe keine schöne Geschichte zu erzählen. Bitte belastet Euer Gemüt nicht mit Schicksalen wie meinen. Ihr seid zu wichtig, als dass Ihr ...“ „Aber ich möchte etwas daran ändern“ versprach er und griff abermals nach den Händen, welche sich unbewusst so sehr an ihn klammerten. „Wenn du politisch gebildet bist, dann weißt du, dass ich an der Situation der Sklaven etwas ändern möchte. Aber wie soll ich richtig regieren, wenn mir niemand sagt, wie es im Lande wirklich aussieht? Ich kann keine Politik für die Menschen machen, wenn ich die Menschen nicht kenne. Deshalb würdest du mir sehr helfen, mein Volk zu verstehen, wenn ich dich verstehen kann. Ob es mich belastet oder nicht, sollte dich nicht kümmern. Bitte erfülle mir diese Bitte und erzähle mir, was du erlebt hast.“ „Wenn es Euer Wunsch ist, will ich dem entsprechen“ nickte er. Er verstand wirklich nicht, warum der König ihn nach seinen Erlebnissen fragte, aber wenn ihm befohlen wurde, dass er reden sollte, dann würde er das tun. Sein Leben war ohnehin verloren, also war es auch egal, was der König dazu sagte. „Ich bin gerade zwölf geworden als meine Eltern gemordet wurden“ begann er sofort mit dem größten Schockmoment. „Wie Ihr sicher wisst, war der Süden des Landes immer widerspenstig und es gab viele Gruppen, welche gegen Euren Vater rebelliert haben. Meine Eltern wollten sich einer solchen Revoluzzergruppe nicht anschließen und in den Westen wandern. Aber die Gefahr, dass sie die Namen der Rebellen verrieten, war zu groß und deshalb wurden sie aus dem Weg geschafft. Als Kind habe ich das noch nicht alles verstanden. Ich erinnere mich nur daran, dass sie eines Nachts unser Haus gestürmt und meine Eltern erschlagen haben. Ich wurde von meinem Bruder getrennt und habe ihn seitdem nicht wiedergesehen. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist oder ob er überhaupt noch lebt. Danach wurde ich auf den Markt gebracht und von einem Sklavenhändler gekauft. Ja, das ist meine Geschichte. Nicht besonders unterhaltsam, nicht wahr?“ „Oh, Seth, das ist furchtbar.“ In ihm stieg die Trauer hoch und er hatte einen Kloß im Hals. Er konnte sich nur schwer vorstellen, wie sich ein Junge fühlen musste, wenn er sah, wie seine Eltern erschlagen und er selbst einfach verkauft wurde. Kein Wunder, dass Seth die Lust am Leben verloren hatte. „Wie ging es danach weiter?“ „Damit solltet Ihr Euch nicht abgeben, Hoheit. Ihr solltet ...“ „Bitte entscheide nicht darüber, was ich sollte und was nicht“ bat er deutlich. „Sei so gut und erzähle mir was dann mit dir geschah. Ich muss zugeben, ich weiß wenig darüber, wie der Sklavenhandel organisiert ist. Du würdest mir damit sehr helfen.“ „Wenn Ihr es sagt“ schaute er ihn noch immer reichlich ratlos an und erzählte dann weiter mit leerer Stimme. Als würde die Geschichte, die er zu erzählen hatte nicht wirklich seine eigene sein. Als würde ihn das alles nicht berühren können. „Nachdem mich der Händler gekauft hatte, sind wir eine Weile durch die Wüste gereist. Es waren auch noch andere Kinder in meinem Alter dabei, aber nur etwa die Hälfte hat die Strapazen der Reise überlebt. Andere sind einfach verdurstet oder wurden entkräftet zurückgelassen. Ich wurde dann in einem anderen Dorf weiterverkauft und habe dort eine Weile auf dem Feld gearbeitet. Das Essen war knapp und Lohn gab es keinen, aber ich habe es trotzdem getan. Mir blieb ja nichts anderes übrig außer zu arbeiten und zu beten. Nach etwa einem halben Jahr kam ein reicher Mann zu meinem Herren und hat mich nach einer kurzen Unterredung mitgenommen. Von dann an wurde mein Leben besser. Ich kam mit anderen Kindern zusammen in ein Haus weit ab von einer Stadt. Wir haben gesundes Essen bekommen und es wurde große Acht auf Körperpflege gelegt. Mir selbst ist in dieser Zeit nur aufgefallen, dass manchmal einfach Kinder verschwanden und nie mehr zurückkehrten. Aber es war uns verboten irgendwelche Fragen zu stellen. Erst später fand ich heraus, was mit ihnen geschah, nämlich als ich selbst eines von diesen verschwundenen Kindern wurde.“ „Was haben sie mit den Kindern gemacht, Seth? Wo sind sie hingekommen?“ „Wir sind in ein größeres Privathaus gekommen. Ich und noch ungefähr acht Kinder. Vier Jungen, fünf Mädchen. Zu dieser Zeit war ich etwa vierzehn und wusste, dass es ausweglos ist, zu fliehen. Ich habe Kinder gesehen, welche es versucht haben, aber diese haben nur schnell den Tod durch Bestrafung gefunden.“ „Was haben sie in diesem Haus getan?“ forderte er genauer zu wissen. „Dort haben sie uns ausgebildet“ antwortete Seth wie rührungslos. „Sie haben unsere Körper betrachtet und unseren Geist getestet. Erst wenn wir uns als gut gebaut und intelligent erwiesen hatten, durften wir bleiben. Letztlich haben nur drei diese Prüfungen bestanden. Zwei Mädchen und ich. Die Mädchen habe ich danach nur noch selten gesehen, denn von dann an waren immer mindestens zwei Erwachsene um mich. Sie waren meine Lehrer. Früh am Morgen begannen die Lehrstunden in denen ich meine Leistung zeigen musste. Ich wurde alles gelehrt über Kochen, Nähen bis hin zu Gesang, Tanz, Politik und anderer Unterhaltung. Ich musste lernen wie ich ein kurzweiliger Gesprächspartner sein kann und ich musste lernen, mich meinem Herren unterzuordnen. Alles, was ich vorher kannte, sollte ich vergessen, denn wenn mir mein Leben lieb sei, so musste es wertlos werden. Nur mein Herr hat über mich und mein Tun zu entscheiden. Aufmüpfigkeit wurde sehr hart bestraft und schlechte Leistungen endeten im besten Falle mit der Ausweisung aus der Ausbildung.“ „Seth, die haben dir eine Gehirnwäsche verpasst“ staunte der Pharao völlig ungläubig. Wie konnten Menschen nur so grausam sein? Sie hatten ihm alles genommen. Sie hatten ihm seinen Charakter genommen, einen großen Teil seiner Erinnerungen und vor allem hatten sie ihm seinen Namen genommen. Alles nur, damit er der perfekte, willenlose Diener wurde. „Besonderer Wert aber wurde auf die Lehre der körperlichen Dienste gelegt“ erzählte er matt weiter. „Ich musste alles lernen. Alle Triebe zu befriedigen, egal ob sie nun romantischer oder perverser Herkunft seien. Doch dabei musste ich jungfräulich bleiben, denn man hatte mich für Euch, den König, ausgesucht. Ich sollte rein bleiben für Euch.“ „Aber wie soll denn das gehen? Wie sollst du so was lernen, ohne es selbst zu erleben? Ich kann mir das nicht vorstellen.“ „Es gibt Möglichkeiten, einen menschlichen Körper zu imitieren“ gab er Auskunft, als würden sie über die Aufzucht einer Pflanze sprechen. In Seths Munde hörte es sich so harmlos an, doch was hinter diesen Worte steckte, da wollte man eigentlich gar nicht drüber nachdenken. „Es gibt Geräte und Medizin, Probespiele, um den Akt nachzustellen. Ich bin rein geblieben, aber die Ausbildung war sehr intensiv.“ „Ich glaube, mehr möchte ich darüber gar nicht wissen“ sonst würde ihm schlecht werden. Was meinte er mit Geräten und Medizin und Probespielen? Sollte das heißen, sie hatten Dinge in ihn rein gesteckt, ihn unter Drogen gesetzt und schauspielern lassen? Alles nur, damit er ein unberührter Lustsklave blieb? Sie hatten ihn angetatscht, ihn gedemütigt und gezwungen ... er sagte es nicht direkt, aber seine leeren Augen sprachen mehr als tausend Worte. Sie hatten ihm schreckliches angetan, nur damit irgendjemand dem Pharao seine Visitenkarte schicken konnte. „Wie bist du dann zu mir gekommen?“ fragte er zittrig weiter. Er zitterte vor Wut und vor Trauer. Wie konnten Menschen sich gegenseitig nur solche Grausamkeiten antun? Obwohl er die Misshandlung von Sklaven verboten hatte! „Ich wurde einem Edelmann vorgestellt. Er hat mich geprüft und für gut befunden. Ich habe mich darauf gefreut, Euch endlich zu treffen, denn dies bedeutete, dass ich meine Ausbildung abgeschlossen hatte. Es ist eine große Auszeichnung für einen Lustsklaven, wenn er Euer Gefallen findet. Man sagte, Ihr wäret gütig und liebevoll. Dass man sich bei Euch fühlt wie in den Armen eines Gottes und Ihr deswegen besondere Aufmerksamkeit bekommen solltet.“ „Trotzdem hast du einen relativ angespannten Eindruck gemacht“ stellte Atemu prüfend fest. „Was sollte mit dir geschehen, wenn du mich verlässt?“ „Euer Gefallen an mir bestimmt meinen Wert. Gefalle ich Euch, so komme ich in ein gutes Haus, habe wenige Freier oder werde vielleicht sogar als Privatsklave gekauft, was mehr umfasst als nur die körperlichen Dienste. Ein gutes Haus verspricht gutes Essen, wenig Prügel und ausreichend Versorgung. Kleidung und manchmal sogar eigenen Besitz, wenn der Herr etwas schenkt. Gefalle ich Euch nicht, so werde ich in ein unteres Bordell verkauft oder eben verschenkt. Die meisten Sklaven sterben dort relativ bald an Krankheiten, Verletzungen oder Erschöpfung. Je nach dem wie Ihr mich bewertet, entscheidet dies über meinen weiteren Weg.“ „Aber wie sind sie denn nur darauf gekommen, du hättest mir nicht gefallen? Verzeih, aber ich verstehe das nicht. Der Abend gestern war das Wundervollste, was mir seit langem widerfahren ist. Warum wollte dein Besitzer dich verschenken?“ „Ihr hattet nicht genug Gefallen an mir, dass ich Euer Bett teilen durfte“ antwortete er offen, denn es war jetzt eh egal. Er sprach als wäre es nicht sein Leben, welches hier zur Beurteilung lag. „Woher wollen die denn das wissen? Außenstehende können doch gar nicht beurteilen, woran ich Gefallen finde und woran nicht!“ „Man sieht es Euch an. Die Beobachter des Palastes wissen genau, wie Eure Sklaven sich machen. Es sind die zerwühlten Laken, die Spuren an unserem Körper und im Zweifelsfalle ist es legitim, Eure Diener zu befragen, welche immer im Raum sind.“ „Aber meine Leibdiener sind verschwiegen ... dachte ich immer.“ Wie viele Dinge mochte es wohl geben, von denen er auch keine Ahnung hatte? Dass seine Leibdiener über sein privates Vergnügen befragt wurden und auch noch freie Auskunft gaben, das hatte er nicht gewusst. Er wusste, dass immer mindestens zwei Diener mit ihm Raum waren, auch wenn sie sich im Hintergrund hielten, aber das störte ihn nie, denn er war es nicht anders gewohnt. Sie dienten seinem Komfort und seinem Schutz. Aber dass so über das Schicksal eines Menschen entschieden wurde und er selbst nicht mal gefragt wurde, das bedurfte schleunigster Änderung! Seths Erzählung war geendet und er blickte fast wie in Trance die königlichen Hände an, welche ihn noch immer festhielten. Sein Leben lag im Ungewissen und man konnte es ihm ansehen, dass es ihm egal war. Ob er nun in ein schmutziges Bordell kam oder geköpft wurde, letztlich lief sein Leben immer nur darauf hinaus, dass es schlimmer kam als vorher. „Seth, wenn du dir etwas wünschen könntest, was wäre das?“ „Was?“ Er blickte auf und direkt in die edlen Augen, welche ihn mit solchem Wohlgefallen und solcher Güte fixierten, dass er immer weniger verstand, was mit ihm geschah. Er verstand diese ganze Situation nicht. Er war eben nur ein Sklave, welcher die tiefen Gedanken der höheren Menschen nicht nachvollziehen könnte. „Du hast doch sicher einen Wunsch, oder? Wenn du dir aussuchen könntest, wie dein Leben jetzt weitergeht, was würdest du dir wünschen?“ „Ich habe keine Wünsche, Majestät.“ „Dann hast du vielleicht mal einen gehabt?“ hoffte er weiter und gab die Hoffnung nicht auf, diesen Funken Leben in ihm neu entfachen zu können. „Denk an früher. An deine Kindheit, wenn du dich daran erinnern kannst. Schließe die Augen und stelle es dir vor. Denk an deine Mutter, deinen Bruder, deinen Vater. Schließe die Augen, mein Seth“ bat er und legte seine Hand über seine leeren Augen, um sie für einen Moment in Dunkelheit und innere Bilder zu betten. „Denk an deine Familie, an das Haus, in dem ihr gelebt habt. Siehst du dich selbst? Fühlst du, was du damals gefühlt hast?“ Seth versank langsam in dieser ruhigen Stimme, welche so völlig anders klang als alle anderen. So weich wie die Stimme seiner Mutter, so schützend wie sein Vater, so vertraut wie die junge Stimme seines Bruders. Er fühlte die Sonne auf seiner Haut, roch die alten Düfte ... er sah sich selbst als kleinen Jungen an der Hand seines Vaters. „Was wünschst du dir?“ flüsterte Atemu ihm warm an seine schönen Ohren. „Ich sehe den Tempel ... und meinen Vater ... er sieht so prächtig aus in seinem heiligen Gewand ... seine Stimme steigt im Gebet bis zu den Göttern auf ... im Tempel wächst grünes Gras ... ich sehe ... damals ... mein Bruder und ich ... ich ...“ „Ja, was wünschst du dir? Was wünschst du dir?“ „Ich will sein wie mein Vater. Ich will Priester sein. Ich will ein heiliger Mann sein. Genau wie mein Vater.“ „Das ist ein sehr schöner Wunsch“ lächelte der Pharao und ließ seine Augen wieder frei, um ihm nun mit einer ganz anderen Perspektive ins Gesicht zu sehen. „Meinst du, wir wollen deinen Wunsch wahrmachen? Möchtest du Priester werden?“ „Majestät ... ich bin ein Lustsklave. Ich bin unrein. Ich kann kein ...“ „Nein, sprich das nicht aus“ verbot er und legte ihm seine Finger auf die Lippen. „Sag es nicht, denn es ist nicht wahr. Sei einfach nur ehrlich zu mir, sag mir das, was in deinem Herzen ist. Mein Seth, ist es dein Wunsch, Priester zu sein?“ Er antwortete nicht, aber langsam begann er mit dem Kopf zu nicken und löste damit ein überglückliches Lächeln auf den Lippen seines Königs aus. „Dann werden wir das machen“ versprach er ihm. „Ich gebe dir mein Wort, Seth. Du sollst Priester werden und mit mir gemeinsam ein Vorbild geben. Sklaven sind nicht nur Sklaven, sondern Menschen. Alle Menschen haben dieselben Rechte und auch du hast das Recht dazu, Priester zu werden und frei zu leben.“ „Aber das könnt Ihr nicht machen! Ihr seid ...“ „Genau, ich bin der König dieses Reiches“ beschloss er deutlich. „Und wenn ich sage, du sollst Priester werden, dann wirst du Priester. Und ich will keine Widerrede hören. Du bist sehr intelligent, Seth. Und wunderschön. Kein Mensch soll dich haben, denn nur die Götter werden dir gerecht. Dies ist mein Wunsch. Bitte schlage ihn mir nicht ab.“ „Aber Majestät, Ihr habt ...“ „Leg dich noch ein wenig hin und schlafe“ lächelte er ihn beruhigend an und drückte ihn sanft hinunter auf die Kissen. „Wenn du wieder bei Kräften bist, so werden wir weitersprechen. Von nun an sollst du dein Leben im Namen der Götter und in meinem Namen leben.“ „Majestät, ich verstehe das nicht. Aber ... ich danke Euch für Eure gütigen Worte und Euer offenes Ohr. Wer gut von Euch spricht, der spricht die Wahrheit.“ Mehr wusste er dazu nicht zu sagen. In seinem Kopf wirbelte alles durcheinander. Noch nie war sein Leben so ungewiss wie in diesem Moment. Aber auch noch nie hatte er das Gefühl, so sicher zu sein. Noch nie hatte er das Gefühl einem Menschen mehr vertrauen zu können als seinem Pharao. „Wenn du mir danken möchtest“ hauchte er und kam seinem Gesicht langsam so nahe, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berühren konnten, „so begegne mir als Mensch. Du sollst mich nicht als König sehen und ich will dich nicht als Sklaven sehen. In deinen Augen will ich ein Mensch sein. Bitte nenne mich bei meinem Namen, so wie ich dich bei deinem nenne. Wenn du mir danken willst, so tue bitte dies für mich.“ Seth atmete stockend ein und schloss vor aufsteigender Tränen die Augen. Diese Minuten mussten ein Traum sein. „Atemu ...“ hauchte er leise, aber in den Ohren des Königs klang seine weiche Stimme wie der Gesang eines heilenden Engels. Niemand hatte ihn jemals wirklich bei seinem Namen genannt. Nicht mal seine Eltern hatten ihn persönlicher als ‚Prinz’ angesprochen. Aber mehr als alles andere wünschte er sich, dass er als Mensch gesehen wurde, so wie Seth als Mensch gesehen werden sollte. Sein Name auf diesen Lippen waren die wahre Erfüllung eines lang gehegten Traumes von Liebe und Heimat. „Seth ...“ Kapitel 7: ----------- Kapitel 7 Der Pharao verließ gerade das Gemach seines eingeschlafenen Seth, als ihm alsgleich Fatil vor die Füße schritt. „Mein Pharao, kann ich Euch sprechen?“ klang weniger wie eine Frage als wie eine sehr dringende Bitte. „Allein“ setzte er noch intensiver hinterher, um seine Bitte noch zu unterstreichen. „Gehen wir in mein Arbeitszimmer“ nickte er und schritt voran, wobei er Fatils Schritte immer dicht hinter sich hörte bis sie nach wenigen Metern in einem sonnigen Raum ankamen, so außer ein paar Sitzkissen, einem Tisch und einer Unmenge an Schriftrollen nicht viel zu sehen war. „Hinaus mit Euch“ befahl der König laut und sofortig lösten sich drei Diener aus den Raumecken, wo sie beinahe unsichtbar standen, um zu Diensten zu sein. Aber wenn Fatil allein sprechen wollte, so war es sicher dringend und nicht für die Ohren von Dienern bestimmt. Die Bediensteten verließen nach einer folgsamen Verbeugung mit eiligem Schritt den Raum und der letzte schloss die schwere Steintür hinter sich. Somit waren sie zu zweit allein und unter vier Augen. „Was gibt es denn?“ seufzte der König und ließ sich etwas erschöpft an seinem Arbeitstisch nieder, an welchem Fatil auf der anderen Seite Platz nahm. „Mein König, Ihr solltet nochmals überdenken, was Ihr vorhabt“ begann er ohne Umwände. „Was Ihr mit diesem Sklaven vorhabt, wird hohe Wellen schlagen.“ „Du hast uns belauscht“ stellte er voller Argwohn fest. „Ich stand an der Tür“ bejahte er indirekt. „Majestät, bitte sagt mir nicht, dass Ihr Gefühle für diesen Sklaven hegt.“ „Selbst wenn es so wäre, ginge es dich nichts an. Ich danke dir für deine Sorge, Fatil, aber darüber möchte ich nicht mit dir sprechen.“ „Weil Ihr wisst, dass ich Recht habe“ bedeutete er nochmals mit schwirrenden Händen. „Ihr könnt ihm eine gute Bewertung geben und als Lustsklaven in ein gutes Haus vermitteln lassen. Aber Ihr könnt unmöglich ein solch niederes Geschöpf zu einem heiligen Mann machen.“ „Er ist äußerst intelligent und strebsam. Er wird gute Arbeit leisten.“ „Darum geht es nicht, Pharao! Es geht um die politische Reichweite dieses Vorhabens. Ihr könnt ihn nicht hier ausbilden lassen und erstrecht nicht Eure Zukunft mit ihm planen. Bei allem Respekt, aber ich kenne Euch nun schon so lange, dass ich Euer Vorhaben in Euren Augen lesen kann. Ihr macht Euch Hoffnungen, aber bitte bedenkt Eure Stellung! Das Volk munkelt schon, da Ihr noch immer nicht geheiratet habt. Wenn Ihr Euer Herz öffentlich an einen Sklaven gebt, so wird es Aufruhen im ganzen Reich geben. Ihr habt noch immer keinen Thronerben und nun kümmert Ihr Euch mehr um einen abgelehnten Lustsklaven als um Eure Brautschau.“ „Zweifelst du an meiner Entscheidungskompetenz, Fatil?“ funkelte er bitterböse zurück. Er wusste selbst, dass sein Vorhaben bei Eskalation einen Krieg auslösen konnte, aber im Moment führte er Krieg mit einem Feind, den niemand sehen konnte. Und sein Herz hatte ihn dabei nicht gefragt, ob es sich verlieben durfte. „Mein Pharao“ bat er und atmete noch mal beruhigend durch. „Ich glaube an Eueren guten Willen und Euer reines Herz. Haltet Euch diesen Sklaven als Liebhaber, aber macht ihn nicht zum Priester. Wenn Ihr ihn nicht fortgeben könnt, so belasst es bei der Beziehung, die Ihr jetzt habt. Er darf nicht mehr sein als Euer Lustsklave. Bitte denkt an Eure Stellung, an Euer Volk. Ihr wisst, ich habe Euch immer zum Besten geraten und Euer Glück liegt mir so sehr am Herzen wie das meiner eigenen Kinder. Und als Euer Vertrauter bitte ich Euch innigst darum: Denkt bitte genau über das nach, was Ihr vorhabt.“ „Ich danke dir für deine Sorge, Fatil“ erwiderte er ebenfalls erschreckend ruhig. „Ich wünsche nicht, dass diese Sache jetzt große Runde macht. Also unterbinde bitte jegliche Gerüchtebildung. Jetzt lass mich bitte allein. Und sorge dafür, dass Seth die beste Pflege zuteil wird.“ „Seth ... habt Ihr ihn so genannt?“ „Ist dir schon mal aufgefallen, dass du mich niemals bei meinem Namen nennst?“ fragte er ihn traurig. „Warum kannst du meinen Namen nicht aussprechen, Fatil? Warum nicht? Wir beide kennen uns nun schon so lange, ich bin mit deinen Kindern gemeinsam aufgewachsen und du bist mir wie ein Vater. Warum kannst du mich nicht bei meinem Namen nennen?“ „Weil Euer Name heilig ist, mein König“ antwortete er beinahe abweisend. „Mögen die Götter Euer Denken leiten.“ „Das werden sie, Fatil. Das werden sie sicher.“ Mit einem dienstbaren Kopfnicken verabschiedete sich sein alter Freund und ließ ihn mit seinen Gedanken allein. Er wusste, Fatil hatte es niemals böse mit ihm gemeint. Und die Gedanken, welche Fatil ihm mitgeteilt hatte, hatte er sich selbst auch schon gemacht. Es war sehr riskant, wenn er einen Sklaven zum Priester machen wollte. Was die Religion anging, waren die Ägypter sehr extrem eingestellt, aber was Fatil jetzt nicht so sehr sah wie Atemu es tat: Was würde nun aus Seth werden? Wenn er wirklich den Wunsch hatte, Priester zu werden und seinen Kindheitstraum wahrmachen wollte, so durfte niemals herauskommen, dass er eigentlich ein Lustsklave war. Das wäre Verrat an den Göttern und an der heiligen Religion. Mal von der Schmach, welche sich der Pharao aussetzte ganz zu schweigen. Atemu wusste, dass es nicht vollends nach seinem Willen funktionieren könnte. Wenn es nach ihm ginge, so würde Seth sich hier im palastnahen Tempel in die Lehre nehmen lassen und sie würden sich oft sehen. Sie würden sich näherkommen und gemeinsam glücklich werden bis ans Ende ihrer Tage. Doch so konnte es nicht gehen. Der König musste heiraten und einen Sohn zeugen. Schlimm dabei war nicht, dass Seth ein Mann war, denn Liebhaber waren für die Adelshäuser in Ägypten durchaus keine Seltenheit. Aber es würde auch nicht funktionieren, wenn Seth eine Frau wäre. Atemu durfte keine Verbindung mit einem Sklaven oder einer Sklavin eingehen. Wenn Atemu nun ‚legal’ mit ihm zusammensein wollte, so müsste Seth sein Lustsklave bleiben und nur ihm zur Verfügung stehen. Seth würde dabei gut leben können und Atemu würde ihm nahe sein können. Doch so ein Denken wäre selbstsüchtig. Wenn Seth bei ihm blieb, konnte er kein Priester werden. Es war außerdem überhaupt nicht vorauszusetzen, dass Seth seine liebevollen Gefühle überhaupt erwiderte. Atemu wollte ihn als Menschen aufrichtig lieben und als Mensch aufrichtig geliebt werden. Blieb er nur sein Sklave, so würde er niemals erfahren, ob Seths Gefühle für ihn echt oder einstudiert waren. Und vor allem würde auf diese Weise nur einer von beiden Erfüllung finden. Atemu hätte was er wollte, aber Seth würde weiter bis an sein Lebensende ein unfreies Leben führen müssen und seine Träume würden entweder Träume bleiben oder sterben. Als Lustsklaven durfte der Pharao ihn behalten und als sein Liebhaber würde er gut leben können. Aber damit würde er Seths vorsichtigen Wunsch nach dem Priestertum mit Füßen treten. Wollte er aus Seth aber wirklich einen Priester machen und ihm die Erfüllung seines Traumes ermöglichen, so musste er ihn fortschicken. Weit fort, wo niemand jemals vermutete, dass Seth ein Sklave war. Aber damit würde der Pharao seinen eigenen Traum verraten - nämlich jemanden an seiner Seite zu haben, den er wirklich aufrichtig liebte. Wofür sollte er sich nun also entscheiden? Seths Traum nach Freiheit und Religion? Oder seinen eigenen Traum nach Liebe? So kam es, dass der Pharao das schwerste Opfer seines Lebens brachte. Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Sieben Jahre später ... Kapitel 8 Die Sonne brannte auf ihn herab und auch das weiße Tuch, welches er zum Schutz vor Hitze und Sand über Kopf und den unteren Teil des Gesichtes trug, machte seinen langen Ritt nicht wirklich angenehmer. Seit über drei Wochen waren sie nun schon unterwegs und nach dieser langen, aufregenden Reise endlich auf dem Weg zurück in Richtung Heimat ... oder eben zurück in den Palast. Als Heimat hatte der König dieses große, golden teure Gebäude niemals betrachtet, denn eine Heimat sollte nicht sein wie ein Käfig, aus dem er nur entlassen wurde, um bald freiwillig wieder zurückkehren zu müssen. Und obwohl dort alle Menschen waren, die ihm etwas bedeuteten ... den einen einzigen Menschen, den er um alles in der Welt dort haben wollte, den hatte er selbst schweren Herzens fortgeschickt. Er hatte ihm eine Freiheit geschenkt, die er selbst wohl niemals erleben durfte. Er seufzte leise. Nun hatte er ihn schon seit sieben Jahren nicht gesehen und doch dachte er noch immer jeden Tag an ihn. An seine tiefblauen Augen, an sein erdiges Haar, an seine weichen Hände. An sein verträumtes Lächeln in jener Mondnacht, als er sich unsterblich in jemanden verliebt hatte, den er nicht lieben durfte. Warum nur konnte er das, was ihm in so kurzer Zeit ans Herz gewachsen war, nicht halten? Er zweifelte nicht daran, dass seine Entscheidung die richtige war, aber es war schwer. Es war eine von den vielen schweren Lasten, die nun noch zusätzlich auf seinem Herzen lagen und ... „Mein König, ist alles in Ordnung bei Euch?“ „Was?!“ Er schreckte aus seinen Gedanken hoch und blickte zur Seite, wo die Stimme herkam. Neben ihm ritt Fatil der Jüngere. Der älteste Sohn des alten Fatil. Sie beide waren aufgewachsen wie Brüder und der junge Fatil war ihm immer ein guter Bruder gewesen. Zwei Jahre älter zwar, aber auch er war ihm immer ein treu ergebener Freund, sein Vertrauter und sein Diener. Bei langen Reisen durch die Wüste, war es gut, wenn er dabei war. Sein alter Vater war nicht mehr fit genug, um sich noch solchen Strapazen auszusetzen, aber der junge Fatil war ein ausgezeichneter Wüstenführer und passte auf seinen König nicht nur auf wie auf einen König, sondern auch wie auf einen kleinen Bruder. „Ich habe mit Euch gesprochen. Schon seit Minuten“ meinte der junge Fatil und löste sich das Tuch vom Kopf. Sein schwarzes Lockenhaar fiel ihm bis über die Ohren und betonten seine mandelbraunen Augen, welche so gut zu seiner tiefgebräunten Haut passten. Und sein Lächeln hatte ein so einnehmendes Strahlen, dass Atemu notgedrungen immer mit ihm lächeln musste. Selbst dann, wenn ihm gar nicht zum Lächeln zumute war. „Dann hab ich dich gar nicht richtig gehört“ bat er mit einem entschuldigenden Ausdruck. „Doch, gehört habt Ihr mich schon. Ihr habt nur nicht zugehört“ lachte er zurück. „Ich habe Euch gefragt, was Ihr gedenkt nun zu tun. Nachdem ihr den König von Tschad getroffen habt, wollt Ihr Euch seinen Plänen anschließen oder verfolgt Ägypten weiterhin seine eigene Linie? Ihr solltet Euch lieber zu einer Entscheidung durchringen, bevor wir den Ministern Bericht erstatten wollen.“ „Ägypten wird immer seine eigene Linie verfolgen“ antwortete Atemu fest. „Sicher hat König Sarh teilweise sehr vernünftige Ansichten, aber in vielen Punkten kann ich ihm nicht zustimmen. Ich muss mir das durch den Kopf gehen lassen.“ „Euch ist aber schon klar, dass er Euch gedroht hat?“ „Fatil, ich bin doch nicht dumm. Aber wenn er glaubt, er könne Ägypten unterwerfen, so ist er einer fixen Idee aufgesessen. Das ägyptische Volk wird sich niemals einer Herrschaft wie der seinen beugen. Ich will sehen, ob sich ein Kompromiss zwischen seiner und unserer Kultur finden lässt.“ Er löste sich ebenfalls das Tuch vom Kopf und nahm mit einem dankenden Nicken die längliche Lederflasche entgegen, um sich mit Fatil das wenige, teure Wasser zu teilen. „Ich glaube kaum, dass er sich auf einen Kompromiss einlässt“ wand er ein. „König Sarh hat schon Niger und Sudan zuzüglich ihrer Kultur unterworfen. Sein Reich wird immer größer und Ihr wisst, was er für ein guter Feldherr ist. Er schert sich nicht um unsere Götter, um unsere Bräuche und auch Eure Politik ist ihm fremd. Und fremde Dinge mag er nicht.“ „Ja, er ist wenig tolerant“ seufzte der junge König und wischte sich einen Tropfen fort, der ihm doch eigentlich ganz angenehm das Kinn herunterlief, seine brennende Haut kühlte wie ein zarter Kuss. „Aber ich habe noch die Hoffnung, dass wir in Königin Ras Lanuf eine Verbündete finden. Wenn wir Libyen für uns gewinnen können, haben wir einen starken Freund im Rücken.“ „Die gute Ras Lanuf ist aber auch mit Vorsicht zu genießen“ bat Fatil und verstaute die leere Lederflasche in seiner Satteltasche. „Sie führt seit vier Jahren Krieg gegen Algerien und das ziemlich bedingungslos. Sie ist eine herrschsüchtige, egoistische Frau, so sagt man. Mit Frauen zu verhandeln ist sehr schwer. Und ihr habt ja nicht mal Eure eigene Frau im Griff, Majestät.“ „Hey, was soll das denn heißen?“ lachte der König. „Deine Frau macht aber auch, was sie will, Fatil.“ „Welche von den dreien meint ihr denn?“ scherzte er zurück. „Meine Frauen sind spitze. Beschwert Euch nicht über sie!“ „Ja, meine Frau auch. Sie hört halt nur nicht immer auf mich. So sind sie eben, diese Weibsbilder.“ „Ja ja ja“ schüttelte Fatil den Kopf. „Aber ohne sie wären wir auch schlecht dran.“ „Von wegen schlecht dran“ schaute der König ihn fragend an. „War das nicht eben unser letztes Wasser?“ „Ja“ antwortete Fatil nur kurz. „Wir sollten aber bald an ein Dorf kommen, wenn ich mich nicht verrechnet habe. Warum? Habt Ihr noch Durst?“ „Ja schon. Und baden würde ich auch gerne mal wieder.“ „Auch noch Ansprüche stellen“ lächelte Fatil und drehte sich um. „Hey! Haben wir noch Wasser für den König?“ rief er zurück zu den zwei Männern, die hinter ihnen ritten. Zwei kräftige Hünen waren das, die Leibwächter des Pharaos. Ursprünglich hatte der König ein Gefolge von 35 Männern auf seine Reise mitgenommen, aber von denen waren nur noch seine zwei Wachen und Fatil übrig. Mitten in der Wüste befiel die Hälfte seiner Begleiter eine schwere Lungenkrankheit und er hatte seine Leute auf halbem Wege lieber wieder in die Hauptstadt zurückgeschickt, bevor sie unter der Wüstenhitze eingingen. Und die anderen noch gesunden Männer mussten den Kranken helfen, damit sie sicher wieder Daheim ankamen. Selbst umkehren wollte er aber nicht, denn dieser Besuch in Tschad war politisch zu dringend. Es war zwar ein Risiko, wenn er so wenige Männer bei sich hatte, aber dafür waren es seine besten - und er selbst war auch kein leichter Gegner. Sie hatten den Besuch alle überlebt mussten nun nur noch zurückkehren. Doch so ganz ohne Wasser würde das sehr schwierig werden. „Wir haben dir eben unsere letzte Flasche gegeben“ antwortete Penu, der seinem Namen absolut nicht gerecht wurde. Penu war ein alter Ausdruck, der übersetzt eigentlich „Maus“ bedeutete, aber Penu selbst hatte überaus breite Schultern, kräftige kurze Beine, war schwer von Gewicht und der beste Schwertkämpfer des Reiches. Wer ihn eine Maus schimpfte, der tat schlecht daran. „Warum? Hast du schon alles weggehauen?“ frotzelte Faari, der seinem Namen schon eher gerecht wurde. Faari hieß in alter Schrift „groß und schlank“ und das war er auch. Er war nicht im Ansatz so ein Bulle wie Penu, aber dafür war er ein Taktiker wie er im Buche stand. Mit seiner außerordentlich hageren Figur und den langen, schwarzen Haaren sah er manchmal aus wie eine Frau, wenn er sich zu Festen die Augen in traditioneller Weise schminkte. Jedoch wenn er Pfeil und Bogen zur Hand nahm, so sollte man ihm lieber nicht über den Weg laufen, denn er traf alles, was sein Adlerblick fixieren konnte. Außerdem war er schon seit Jahren ein enger Vertrauter des Königshauses und würde einst den Posten des Palastfeldherren von seinem Großvater übernehmen. „Unser König hat’s weggehauen“ zeigte Fatil auf ihn. „Gebt nicht immer mir die Schuld für alles!“ „Warum? Dazu bist du doch da!“ lachte Penu. „Sonst hättest du ja gar nicht mitkommen brauchen!“ Und auch Faari begoss sich fast vor Lachen. Eigentlich war Fatil ein nicht ganz so guter Kämpfer wie die beiden und war nur mitgekommen, um beim Pharao zu bleiben und sie sicher durch die Wüste zu bringen, denn das war als Wüstenführer seine Aufgabe. Trotzdem neckten ihn die anderen beiden gerne damit, dass er an ihre eigenen Kriegerqualitäten nicht heranreichte und lieber mit den König schnackselte. Alles in allem waren sie eine gute Truppe von vier Mann, die ausgeglichen zusammenspielte und sich gegenseitig die heiße Zeit vertrieb. Fatil aber fand das nicht ganz so zum Lachen, wenn er aufgezogen wurde und drehte auch beleidigt seinen Kopf weg, als selbst der Pharao anfing sich zu amüsieren. „Komm schon, sei nicht beleidigt, Fatil“ lachte er und zog sich wieder das schützende Tuch vors Gesicht. „Du weißt doch, wie sie sind.“ „Die nächste Wüstenführung könnt Ihr ja alleine machen“ drohte Fatil und hielt arrogant seine Nase in die Höhe. „Ihr könntet mir ruhig etwas dankbarer sein, Majestät.“ „Oh, ich bin dir überaus dankbar“ zwinkerte der Pharao und schickte seinen beiden Kriegern einen belustigten Blick. „Hey, Fatil!“ rempelte Penu ihn spaßhaft an, als er mit seinem Pferd direkt neben ihn hintrabte. „Wann kommt denn jetzt das Dorf, das du uns versprochen hast?“ „Eigentlich müssten wir es schon sehen“ überlegte er und blickte sich um. „Für gewöhnlich ist hier immer recht viel Betrieb, aber ...“ „Hast du dich etwa verirrt?“ fragte Penu mit eindeutiger Besorgnis in den kleinen, dunklen Augen. „Ich verirre mich nie und verbitte mir solche Kommentare vor dem Pharao“ schnippte er. „Nein, jetzt mal im Ernst, Jungs, Majestät. Hier sollte wirklich für gewöhnlich ein Dorf sein. Ich bin doch schon öfter hier gewesen.“ „Ich kann aber weit und breit kein Dorf sehen“ meinte auch Faari und trabte etwas schneller bis er zur Linken des Königs reiten konnte. „Wenn wir kein Dorf finden, haben wir ein echtes Problem“ stellte der Pharao ebenso besorgt fest. Ohne Wasser in der Wüste zu sein, wäre tödlich. Außerdem verirrte Fatil sich wirklich niemals und plante immer so, dass sie von einer Station zur nächsten wohlbehalten ankamen. Alles andere, wäre ihm unähnlich. „Beunruhigt Euch nicht, mein König“ bat Fatil. „Wir werden schon etwas finden. Wir haben schon schlimme Schlachten überlebt, also wird uns das hier auch nicht umhauen. Vielleicht habe ich mich ja nur um ein paar Kilometer vertan und die Dünenwanderung falsch berechnet.“ „Du verrechnest dich aber nie, Fatil“ meinte er. „Außerdem kann die Wüste schlimmer sein als die härteste Schlacht.“ „Ihr seid doch sonst nicht so negativ“ lächelte er seinen König an. „Vertraut mir. Ich finde ein Dorf, welches uns aufnimmt.“ „Wenn du das Dorf da meinst, sind wir aber schlecht dran“ zeigte Faari nach rechts vorne und ... was sie dort sahen, machte ihnen keinen großen Mut. Dort lag vom Sand halb eingegraben ein zerschlagenes Dorf. Die Häuser aus hellem Lehm zeigten sich nur noch als halb zerfallene Ruinen. Aus dem sandigen Boden lugten kaputte Scherben von Krügen empor und selbst etwas Stoff wie Kleidung war von dem heißen Sand verschlungen. Schweigend ritten sie auf dieses zerstörte Geisterdorf zu und fanden ihre leisen Befürchtungen bestätigt. Zwischen den verwüsteten und zerfallenen Häusern, an denen nach und nach die Rissstellen abbröckelten, lagen nicht nur kaputte Dinge des täglichen Gebrauches herum, sondern auch der Körper eines toten Menschen. Von der Hitze ganz zergabt, ohne Augen und seine Gliedmaßen halb verkohlt. Sie ließen ihren Blick über die zerrüttete Straße gleiten und sahen weiter hinten noch eine verkohlte Leiche. An einigen Stellen nur Gliedmaßen ohne ersichtlichen Körper oder verbrannte Kleidung. Alles war kaputt gemacht worden, angesengt und es war eindeutig, dass hier ein Feuer durchgetobt war. „Wie schrecklich“ flüsterte Faari. „Wer hat das getan?“ „Vielleicht Banditen“ überlegte Penu und stieg von seinem Pferd herunter, um sich das Unglück aus nächster Nähe anzusehen. Vielleicht fand man hier noch einen Überlebenden oder etwas Brauchbares? „Oder Menschenhändler“ überlegte Fatil und blickte sich bedrückt vom Rücken seines Pferdes aus um, während Penu durch die zerfallenen Häuser strich und hinter einer Hausruine verschwand. „Die paar Toten, die hier liegen, sind zu wenige für dieses Dorf. Hier haben fast 200 Menschen gelebt ... wo sind die alle?“ „Warum gibt es nur so schlechte Menschen auf der Welt?“ fragte sich der König und schloss andächtig die Augen. Solche Anblicke hatte er zwar schon häufiger gehabt, aber sie stimmten ihn noch immer sehr traurig. Wie konnten Menschen nur das Heim anderer zerstören? Wie konnte man Kinder gefangen nehmen und ganze Dörfer dem Erdboden gleichmachen? Warum nahm man anderen ihren Besitz und ihre Familien fort? Er hatte sich einst geschworen, dass er solche Zustände unter seiner Herrschaft niemals dulden wollte, aber dagegen anzukämpfen war schwerer als er sich das vorgestellt hatte. In Momenten wie diesen zweifelte er daran, ob er sein Volk zum Guten geleiten konnte. Er wollte nicht, dass jemand leiden musste. Er wollte keine gedemütigten Männer, keine verzweifelten Frauen, keine ängstlichen Kinder. Armut und Ungerechtigkeit waren ihm ein Dorn im Auge ... ein Dorn, den er auch mit größten Bemühungen nicht los wurde. Manchmal schien er als König zu versagen ... und als Mensch nicht zu existieren. Denn wenn der König versagte, konnte es auch den Menschen Atemu nicht geben - denn niemand sah jemals mehr als einen König in ihm. „Mein Pharao, seid nicht betrübt“ bat Fatil und fasste ihn vorsichtig an der Hand. „Es ist nicht Eure Schuld. Solche Überfälle könnt selbst Ihr mit Euren Gesetzen nicht verhindern.“ „Ja, vielleicht“ seufzte er. „Aber es beschwert mein Herz, wenn ich solche Untaten sehen muss.“ „Wir werden heute Abend für die Toten beten und bei den Göttern für die Überlebenden um Gnade bitten“ tröstete auch Faari den geknickten König. „Früher oder später werden wir die Zerstörer finden und Ihr werdet sie richten, mein Pharao.“ „Viel wichtiger ist es doch jetzt, dass wir Wasser finden“ meinte Penu, der nach einem kurzen Gang zu der Gruppe zurückkehrte. „Hier hat es doch sicher auch einen Brunnen gegeben. Fatil?“ „Ja, in der Dorfmitte gab es einen ergiebigen Brunnen“ antwortete er mit steigender Zuversicht. „Dort können wir Wasser schöpfen.“ „Gute Idee, Penu“ nickte der König. „Also, dann lasst uns sehen, was wir finden.“ „Was Ihr finden werdet, wird Euch nicht glücklich stimmen“ hörten sie eine fremde Stimme. Zwischen zwei zerrütteten Häusern kam ein grauhaariger Mann hervor. In seinem Gesicht einen dicken, flauschigen Bart, helle Augen und ein weites, beiges Gewand. Er selbst schien mit den angehenden Falten nicht mehr ganz jung, aber sein Pferd war dafür nicht als sonderlich alt zu erkennen. Ein junger, gescheckter Hengst, der nervös von einem Bein aufs nächste trat und auf seiner Trense herumkaute. „Wer bist du?“ forderte Faari sofort zu wissen, während Penu seine Hand schon am Schwert hatte, um seinen König gegen jeden zu verteidigen. „Ich bin auch nur Gast in diesem Dorf“ antwortete er ruhig und völlig unbedrohlich, während er langsam näher ritt. „Mein Name ist Tratechp und dies ist mein Pferd Suuhnach. Ich bin Schriftenreiter und wollte in diesem Dorf Rast machen, wie Ihr auch. Dass hier jedoch kein Stein mehr auf dem anderen steht, wusste ich nicht. Sonst wäre ich in ein anderes Dorf ausgewichen.“ „Penu, bitte lass das Schwert stecken“ bat der König und rutschte von seinem Pferd herunter, um dem Alten entgegenzugehen. „Wo kommst du her, Tratechp?“ „Von überall und nirgends“ antwortete er und stieg ebenfalls vom Pferd ab. „Und du? Was machst du hier mit deinen Freunden mitten in der Wüste?“ „Eigentlich wollten auch wir hier rasten und Wasser schöpfen“ erwiderte er wohlwollend. „Und wie heißt ihr, Männer?“ fragte er ebenso wohlwollend, um zu zeigen, dass ihm an einem Kampf nicht gelegen war. Ein bisschen kurzes Gerede und so waren sich hoffentlich beide Seiten sicher, dass sie sich nicht feindlich gesonnen waren. In der Wüste wusste man ja häufig nicht, wer Freund und wer Feind war. „Die beiden dort sind Fatil und Faari“ zeigte er auf die zwei Reiter hinter sich, wo auch Faari sich das Kopftuch löste. „Und der Bulle dort ist Penu.“ „Penu?“ Da musste der Alte doch schmunzeln. Da wurde schon extra erwähnt, dass er ein Bulle war und dann so ein Name. Da musste man doch einfach schmunzeln. Aber einen Scherz riss er lieber nicht, denn so besonders lustig aufgelegt schien der mausige Bulle nicht zu sein. „Und wer bist du?“ fragte er dann lieber zu dem freundlichen jungen Mann, vor ihm. „Ich bin Atemu“ lächelte er und befreite sich ebenso höflichkeitshalber seines Kopftuches, auch wenn er es lieber aufbehalten hätte. Denn die Reaktion des alten Reiters war ihm durchaus nicht unbekannt - ebenso wenig unbekannt, wie dem Alten das Gesicht des Herrschers war. „Bei den Göttern! Ihr seid der Pharao!“ stellte er geschockt fest und sank sofort vor ihm auf die Knie. Er drückte die Stirn in den heißen Sand und neigte sich bis vor seine Fußspitzen. „Bitte verzeiht meine Unhöflichkeit, Pharao. Ich habe Euch unter dem Tuch nicht sofort erkannt.“ „Ist nicht schlimm. Bitte, steh auf“ bat er und berührte freundlich seine Schulter, um den Alten wieder auf die Beine zu bekommen. Deswegen hätte er das Tuch lieber aufbehalten. Bis eben hatte er noch mit ihm gesprochen wie mit einem ganz normalen Mann - einem Menschen. Jetzt war er kein normaler Mann, kein Mensch mehr, sondern nur noch der König. Jetzt verbeugte man sich vor ihm und würde seinen heiligen Namen nicht in den Mund nehmen. Wie gerne würde er noch ein Mal seinen Namen aus dem Munde eines anderen Menschen hören? Nicht immer nur die Titel König oder Majestät. Atemu. So wollte er heißen, doch außer ihm sprach es niemand aus. Nur einer. Nur dieser eine einzige hatte jemals seinen Namen von den Lippen gelassen ... ... und den hatte er weggeschickt. Er hatte den einzigen Menschen fortgeschickt, der vielleicht irgendwann nicht nur den König gesehen hätte, sondern auch den Menschen. Nicht die Majestät, sondern Atemu. „Pharao, was tut Ihr hier mitten in der Wüste?“ fragte der graue Tratechp nun voller Ehrerbietung und neigte seinen Kopf demütig beim Sprechen. „Wir sind auf der Reise zurück in die Hauptstadt“ antwortete Fatil für ihn und hielt mit seinem Pferd direkt neben seinem König. „Weißt du etwas darüber, wie dieses Dorf so verwüstet wurde?“ „Nein, ich bedauere“ entschuldigte er und verneigte sich noch mal tief. „Ich bin nur auf der Durchreise und habe nichts bemerkt. Ich wollte auch sofort weiterreiten, bevor die kalte Nacht hereinbricht.“ „Du sagtest, was wir beim Brunnen finden, wird uns nicht glücklich stimmen“ hakte der Pharao noch mal freundlich ein. „Wie hast du das gemeint, Tratechp?“ „Der Brunnen ist verseucht, mein König“ gestand er traurig. „Ich war dort und wollte Wasser schöpfen, aber als ich hinunterblickte, sah ich aufgequollene Leichen. Das Wasser stinkt und es scharen sich schon Insekten darum. Dieses Wasser solltet Ihr nicht trinken, wenn Euch Euer Leben lieb ist.“ „Dann waren das keine normalen Räuber“ meinte Fatil. „Schlichte Banditen sind nicht schlau genug, um den Brunnen zu vergiften. Hier wollte jemand richtig Schaden anrichten.“ „Hast du denn noch genug Wasser für deine Reise?“ wollte der König besorgt wissen. „Wenn nicht, kannst du dich uns gerne anschließen. Wir haben zwar auch nichts, aber so musst du nicht alleine weiterziehen.“ „Mein Wasser reicht noch bis ins nächste Dorf“ dankte er mit einem Kopfnicken. „Und Ihr habt nichts? Ich biete Euch meines an, wenn ich darf.“ „Dann hast du ja nicht mehr genug. Nein, dein Wasser behalte ruhig, Tratechp“ lächelte der Pharao. „Wir kommen schon irgendwie durch. Aber vielleicht kannst du uns sagen, wo wir die nächste Wasserquelle finden? Du scheinst dich hier ja gut auszukennen.“ „Ja, ich reite diese Strecke sehr häufig. Immer den gleichen Weg von Dumiat über Tanta und Giseh bis nach El Minia.“ „Dann reitest du immer am Nil entlang, Tratechp. Wie kommt es, dass du nun hier bist?“ fiel dem König auf, der die Geographie seines Landes naturgemäß recht genau kannte. Und hier waren sie recht weit ab vom Nil, weit ab von seiner geschilderten Strecke. „Ich mache immer einen kleinen Abstecher bis nach Lamate“ erklärte er. „Wie schon erwähnt, bin ich Schriftenreiter und ich hole die Post auch aus den kleinen Wüstendörfern hier. Natürlich nicht ganz so häufig, aber auch hier gibt es ein paar Menschen, die lesen und schreiben können. Und in regelmäßigen Abständen bin ich eben auch hier.“ „Das ist ein sehr ehrenvoller Beruf“ musste der König anerkennen. „So eine Tätigkeit ist nicht ganz ungefährlich und dass du selbst bis hier in die Ödnis reitest, nur um Nachrichten zu transportieren, imponiert mich sehr. Wie lange tust du das jetzt schon?“ „Schon mein ganzes Leben, Herr“ antwortete er mit glänzenden Augen und stolzem Blick. „Schon mein Vater hat dies getan und vor ihm mein Großvater. Sie sagten mir, die Kommunikation halte das Land zusammen und Nachrichten, auch über so weiter Strecken hinweg, seien wichtig. Deshalb tue ich das gerne und es freut mich immer, wenn ich jemandem einen lang erwarteten Brief überreichen kann.“ „Aber du bist allein unterwegs“ stellte er weiter fest. „Hast du keinen Sohn, der deine Tätigkeit nach dir weiterführen kann?“ „Ich habe keine Familie mehr“ erzählte er. Vielleicht war er ein bisschen traurig, aber er schien sich damit abgefunden zu haben. In seinem Gesicht spiegelte sich neben einsamer Trauer auch ein gewisser Stolz. Stolz, dass er seinem König von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand. Und Stolz auf seine langjährig passionierte Arbeit inmitten lebensfeindlichster Umstände. „Ich hatte einst eine Frau und eine bildschöne Tochter. Sie sind jedoch einer Epidemie zum Opfer gefallen, welche unsere Stadt heimgesucht hat. Ich konnte nach meiner ersten Frau keine andere mehr heiraten. Natürlich würde ich meinen Beruf gerne an jemanden weitergeben, aber wer will so was heutzutage noch tun? Man bekommt nicht viel mehr als die Leute einem an Kost und Logis geben und die Strapazen sind groß. Wenn man die Wüste nicht liebt, so kann man nicht mit ihr Leben.“ „Aber du liebst, was du tust. Du bist ein beeindruckender Mann, Tratechp“ nickte der König voller Anerkennung vor dieser großen Leistung und dieser einschränkenden Bescheidenheit. „Euer Lob ehrt mich sehr“ lächelte er und verneigte sich erneut vor seinem Herrscher. „Mein König, darf ich Euch eine Frage stellen?“ „Natürlich“ bat er. „Frage mich.“ „Habt Ihr die Briefe bekommen, welche ich Euch brachte?“ „Ich bekomme täglich viele Briefe“ antwortete er nachdenklich. „Welche von den vielen Botschaften hast du mir denn gebracht?“ „Nun ja, ich gab sie immer beim Postmeister im Palast ab. Deshalb habe ich Euch niemals persönlich getroffen“ erklärte er, drehte sich um und wuselte etwas in seiner Satteltasche, was seinen jungen Hengst sogleich wieder ziemlich nervös machte. Der war wohl noch nicht lange zugeritten und brauchte noch viel Erziehung. Nur gut, dass Tratechp ihn so kräftig festhielt und ihn nicht wegziehen ließ. Penu trat dafür lieber ganz dicht neben seinen König und gab Acht. Man wusste ja niemals, was selbst so freundlich aussehende Herren aus ihren Taschen holten. Der Pharao war immer und ständig in Gefahr, in ein Attentat zu geraten und wenn er Schaden nahm, würden sich seine Leibwächter das niemals verzeihen. Mal abgesehen davon, dass sie selbst des Todes waren, sollte ihrem Herrscher ein Leid geschehen. Doch was der graue Tratechp aus seiner dicken Satteltasche zog, war alles andere als gefährlich. Jedenfalls körperlich ungefährlich ... Er reichte dem Pharao eine mit Wachs und Bändern versiegelte Schriftrolle und neigte den Kopf dienerhaft gen Boden. „Briefe wie diese brachte ich Euch, mein König“ drückte er demütig aus und hob den Kopf erst wieder als sein Herrscher ihm die Rolle aus dem Händen nahm. „Seit sieben Jahren nun transportiere ich diese Schriften vom Wüstentempel Heromat bis in die Hauptstadt. Ich habe niemals reingesehen, aber erlaubt mir bitte die Frage: Dieses sind keine politischen Schriften, oder?“ „Du bringst mir diese Briefe?“ wiederholte er in einem äußerst gerührten Ton. Er kannte diese Briefe, er wusste, von wem sie waren und woher sie kamen. Aber dem Boten hatte er niemals danken können, dass sie ihren Weg unbeschadet bis in seine Hände fanden. Diese Briefe waren ein wichtiger Teil seines Lebens geworden ... „Ja, das tue ich gerne“ antwortete er leise. „Und ich bringe Eure Briefe bis nach Heromat, wo ich sie dem jungen Priesterschüler gebe, an den Ihr sie adressiert. Seiner Freude über diese Briefe nach zu urteilen, schreibt Ihr ihm darin keine schlechten Dinge, mein König, denn er nimmt sie mir mit einem Lächeln aus den Händen. Danach gewährt er mir eine Nacht im Tempel, bevor ich am nächsten Tage dann seine Antwort mitnehmen kann.“ „Ich danke dir dafür, Tratechp“ antwortete der König mit einer ruhigen und doch leicht aufgewühlten Stimme, die ihn hoffentlich nicht zu sehr verriet. „Wenn du wieder in der Hauptstadt bist, dann möchte ich dir die Briefe gern selbst abnehmen und dich dafür entlohnen.“ „Oh nein, bitte nicht, mein Pharao!“ hob er abwehrend die Hände. „Es ist mir eine Ehre, dass ich überhaupt Botschaften eines Herren wie Euch überbringen darf. Ich möchte dafür keinen Dank.“ „Und doch hast du niemals reingesehen und die Siegel niemals gebrochen, obwohl dich sicher die Neugierde treibt. Du bist ein ehrenhafter Mann und ich möchte mich für deine Treue gegenüber der Krone und gegenüber deiner selbstgewählten Pflichterfüllung gern erkenntlich zeigen. Sag, wann bist du wieder am Palast?“ „Nun ja, nun auf länger nicht mehr, denn ich habe Euch diesen Brief nun überbracht und spare mir eine Route“ entgegnete er jetzt doch selbst so nervös wie sein junges Pferd. Dass sein König ihm dafür so dankbar war, dass er ihn belohnen wollte, überraschte ihn doch sehr. Natürlich freuten sich die Leute, wenn er mit Botschaften zu ihnen kam, aber dass diese Briefe unter so vielen dem Pharao so viel zu bedeuten schienen, erfüllte ihn mit unbändigem Stolz. „Ich werde mich am Hofe umhören, ob ich einen Schüler für dich finden kann, damit du dein Werk weitergeben kannst“ beschloss der König. „Und bis zu meiner Antwort darfst auch du eine Nacht im Palast verbringen. Bitte, sei mein Gast.“ „Aber ... mein König ... Ihr habt doch ...“ „Ich habe gesprochen“ lächelte er mit glänzenden Augen. „Ich danke dir, dass du mir jeden Brief unbeschadet überbracht hast.“ Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- Kapitel 9 Weit waren sie an diesem Tage nicht mehr gekommen. Der alte Tratechp hatte ihnen die Hälfte seines Wasservorrates dagelassen, bevor er weitergezogen war, um auch seine anderen Schriften zu überbringen. Der Pharao und sein Gefolge jedoch mussten in eine andere Richtung und so trennten sie sich mit dem Versprechen, dass sie sich bald wiedertreffen wollten. Seit er den Brief in den Händen hielt, war in ihm das unbändig Verlangen entbrannt, ihn sofort zu lesen. Schon seit sieben Jahren schrieb er Seth nun Briefe und bekam auf jeden eine Antwort. Zwar dauerte es Wochen bis die versiegelten Rollen den Weg durch die Wüste gemeistert hatten, aber das Warten darauf war ebenso gespannt wie das Gefühl, die frischen Worte nun endlich in den Händen zu halten. Zwischen der vielen Tagespost waren diese besonderen Briefe niemals jemandem ins Auge gestochen, denn Botschaften aus Tempeln waren nicht ungewöhnlich. Die meiste Post wurde zwar von vornherein aussortiert, gelesen und beantwortet, ohne dass der Pharao sie jemals zu Gesicht bekam, aber diesen Rollen wurden von dem Wachszeichen eines der sieben Haupttempel geschützt und niemand hätte es jemals gewagt, des Pharaos persönliche Post zu öffnen, in der vermutlich heilige Dinge standen. Post aus den Haupttempeln waren in der Wichtigkeit ganz oben, denn die Religion war dem ägyptischen Volke immer nahe verbunden. Diese Briefe gehörten zu den wenigen Exemplaren, die tatsächlich den Weg durch viele Hände des Palastes ungeöffnet bis zum höchsten aller Menschen im Reiche fanden. Und von dem Moment an, in dem Atemu seine Antworten darauf in den Postkorb legte, wartete er gespannt darauf, dass in unendlich langen Wochen ein neuer Brief für ihn dabei war. Briefe von Seth. Als sie an diesem Abend ihr schlichtes Lager aufgeschlagen hatten, nahm er in seinem kleinen Zelt Platz, während seine Begleiter noch immer draußen am Feuer saßen und den morgigen Tag planten, bevor auch sie sich zur Ruhe legten. Nur er alleine hatte sich heute schon früh zurückgezogen, um in Ruhe den lang ersehnten Brief zu lesen, der ihn nun doch auf so ungewöhnliche Weise erreicht hatte. Endlich bekam er nun endlich auch Gelegenheit, die heiligen Bänder um die Rolle zu lösen und die Wachszeichen mit einem sehnsüchtigen Knacken aufzubrechen. Sofort erblickte er die schöne, geschwungene Handschrift, welche sich von oben bis unten auf der langen Rolle erstreckte. Er sah täglich so viele Hieroglyphen und doch waren diese hier unverkennbar, kunstvoll, voller Mühe aufgemalt und mit schönen Zeichnungen rund um den Blattrand verziert. Es war als könne er Seths Hände spüren, der dieses Papyrus selbst berührt hatte. Bis vor kurzer Zeit noch hatte er seine blauen Augen darauf gerichtet und jedes einzelne Wort hervorfließen lassen. Die einzigen Lebenszeichen, die er von ihm bekam. Er beruhigte sein schlagendes Herz, welches laut gegen seine Brust polterte, zwang seine zitternden Hände zur Ruhe und seine Augen zur Klarheit, damit er endlich lesen konnte, was sein verbotener Göttertraum ihm zu sagen hatte: „Mein geliebter Pharao, teurer Atemu, als ich Euren letzten Brief erhielt, war hier im Tempel bereits ein rauschendes Fest im Gange. Die Kunde hat sich schneller herumgetan, als Eure Worte mich selbst erreichen konnten. Und doch bin ich froh, Euch selbst sagen zu können: Herzlichen Glückwunsch zur Geburt Eurer Tochter. Ich hoffe, sie und die Königin haben die Geburt so wohl überstanden, wie es zu dem Moment Eurer Schrift den Anschein machte. Sie ist sicher ein wunderschönes Mädchen, denn viele Gerüchte sagen, sie hätte Euren Liebreiz und Euer einnehmendes Lächeln. Nun habt Ihr schon zwei Kinder und ich freue mich, dass Ihr von solch einem Glück gesegnet seid. Euer Sohn Trimantep wird sicher einst ein würdiger Erbe Eures Thrones sein und Eure kleine Piatra wird der Schatz des Reiches sein, so hell und strahlend wie die Sonne selbst. Ich wünsche Euch und unserer Königin Abunami weiter eine so wohle Gesundheit und auch Euren Kindern ein Leben in Frieden und Frohsinn. Ich werde für Euer Wohl und das Euerer Familie beten, auf dass es ewig währen möge. Was mich angeht, habe ich Euch heute etwas Schönes zu berichten. Nach sieben Jahren nun hat mich der Tempelvorsteher für die Priesterweihe vorgeschlagen und alle wichtigen Männer haben eingenickt. Das harte Lernen und Arbeiten der letzten Jahre macht sich wirklich bezahlt. Ich kann Euch nicht ausdrücken, wie dankbar ich Euch bin, dass Ihr mir dies möglich gemacht habt. Ich weiß, ich wiederhole mich in jedem meiner Briefe, aber meine Dankbarkeit zu Euch kennt keine Grenzen. Ihr habt an meinen Traum geglaubt, noch bevor ich selbst daran glauben konnte und ich schwöre Euch bei all unseren Göttern, dass ich Euch und dem Palast ewig ergeben sein werde. Atemu, Ihr glaubt nicht, wie aufgeregt ich bin! Es ist nur noch wenige Zeit bis zum Ehrentag des Imhotep, an dem ich in den Priesterstand erhoben werden soll. Ausgerechnet am Tage des großen Imhotep, dem Gott der Gelehrten, der selbst einst ein Mensch war und mit seiner übermenschlichen Leistung ins höchste Reich erhoben wurde. Die Zeichen stehen gut und auch die Orakel meines Mentors verheißen gute Hoffnung. Ich danke Euch mehr als ich es in tausend Worten beschreiben kann. Ihr habt mir den Weg geebnet, durch den mein Traum wahr werden kann. Ich werde Euch und meinem Vater alle Ehre machen und mich von der Religion leiten lassen, für das Wohl aller Menschen. Wenn ich erst in den Stand eines vollwertigen Priesters erhoben bin, werde ich versuchen, so viel Gutes zu tun, wie auch Ihr Gutes tut. Für mein Brandmal habe ich eine Verbindung zu Euch gesucht, Atemu. Ich habe mich dafür entschieden, aus Dankbarkeit zu Euch, das Zeichen des Atum auf meiner Schulter zu tragen. Atum, von dem Ihr Euren Namen habt. Atum, der Gott der Schöpfung. Er ist die Abendsonne, welche nachts den Weg durch die Unterwelt zurücklegt und ich glaube, dass er dabei auch verlorene Seelen ins Licht zurückbringt, so wie Ihr mir ein neues Licht schenktet. Ich habe auch überlegt, mir das Zeichen des Seth aufbrennen zu lassen, nachdem ihr mir sagtet, er sei Euer liebster Gott und nachdem Ihr mir seinen Namen gabt. Aber ich möchte Euch lieber direkter meine Treue und meine Liebe ausdrücken, wenn Ihr dies erlaubt. Meine Shinasa ist zwar der Meinung, dass ich mir entweder Hathor oder noch lieber gar keinen festen Gott suchen sollte, aber Ihr wisst ja, wie sie ist. Ich kann ihr schlecht erklären, warum mir die Verbundenheit zum Atum so wichtig ist, aber es reicht mir auch, wenn Ihr meine Wahl versteht, mein Pharao. So werde ich ihr diesen Wunsch leichten Herzens abschlagen können. Was ich nach meiner Weihe machen werde, weiß ich noch nicht genau. Ich habe einige Pläne, die aber alle noch nicht spruchreif sind. Vielleicht weiß ich in meinem nächsten Brief mehr zu berichten, wenn ich einen Weg gefunden habe, der mich weiterführt. Vielleicht werde ich wie mein Vater in eine kleine Stadt ziehen und dort im Tempel bleiben oder auf Wanderschaft gehen, um das Reich und die Menschen kennen zu lernen. Auf Wanderschaft kann ich jedoch meine Shinasa kaum mitnehmen und das würde nicht nur ihr, sondern auch mir das Herz brechen. Außerdem würde ihr Vater es kaum zulassen, dass sie mit einem Jungspund wie mir durchbrennt. Ich werde also sehen, was sich ergibt. Vorerst fliegen meine Gedanken nur dem Tage zu, an dem ich in einen neuen Stand aufsteige und endlich meinem alten Ich entfliehe, um ein neuer Mensch zu sein. Atemu, ich wünschte bei allen Göttern, Ihr könntet an meinem Ehrentage bei mir sein, damit ich Euch selbst danken kann für alles, was Ihr für mich getan habt und noch immer tut. Als Ihr mir damals sagtet, Ihr würdet mich unter Euren Schutz nehmen, habe ich nicht geahnt, wie Ihr diese Worte wirklich meintet. Dass Ihr damit meintet, Ihr schafft mir ein neues Leben, schützt mich vor allem, was mich bedrohen will, das habe ich nicht geahnt. Dass Ihr so viel Geld für meine Ausbildung fließen lasst und von mir nicht mehr Dank erwartet, als einen regelmäßigen Brief, der mir mehr eine Ehre als ein Dank scheint ... Atemu, was kann ich Euch sagen? Als Dank kann ich Euch nur ein Versprechen geben, welches ich vom Grunde meiner Seele auf völlig ernst meine. Ich verspreche Euch, wenn Ihr oder Eure Familie jemals einen Priester an Eurer Seite braucht, so werde ich für Euch da sein. Ich werde stark sein für Euch, für Euch und Eure Ehre kämpfen. Sagt mir nur einen Wunsch und ich werde ihm folgen. Nicht, weil ich es muss, sondern weil ich es will. Die Priesterlehre hat meinen Willen befreit und Eure wundervollen Briefe stärkten meinen Glauben daran, dass mein Leben doch mehr Wert haben muss als eine Hand voll Kupfermünzen. Nicht nur den Göttern will ich bis in alle Ewigkeit frei dienen, sondern auch meinem Pharao, der mich mit seiner Güte befreite aus Verzweiflung und Leere. Ich danke Euch für mein Leben, geliebter König, welches Ihr von Euren Händen zurück in meine gegeben habt und von welchem ich doch wünsche, dass ich es nun mit tiefer Religion in Euren Hände zurücklege. Wenn ich spüre, wie das Mal des Atum auf meine Haut gebrannt wird, so werden meine Gedanken bei Euch sein, wo auch immer Ihr gerade weilen mögt. In tiefer Liebe und Dankbarkeit, Euer zukünftiger Atumspriester Seth.“ Er konnte es kaum glauben. Endlich kam die große Nachricht, dass sein Seth zum Priester geweiht wurde. Sicher hätte Seth den Brief anders geschrieben, wenn er nicht fürchten müsste, dass ihn jemand las. Wenn jemand herausbekam, dass der Priesterschüler eigentlich nur ein Lustsklave war, so würde er gehängt werden für den Versuch, in die Religion einzutreten und ein heiliger Mann zu werden. Also musste er es auch in seinen Briefen verschweigen und doch drückte er durch so rosige Worte seine Dankbarkeit aus. Atemu faltete den Brief zusammen, drehte sich herum und ließ ihn in seiner Satteltasche verschwinden, in der er auch eine Flasche Wasser und etwas Gold bei sich trug. Seths Briefe gehörten ebenso zu den teuersten Dingen im Leben und würden für ihn ewiglich mehr Wert haben als alles Wasser und Gold in ganz Ägypten. Er würde den Brief von nun an bei sich tragen und ihn erst verbrennen, wenn er einen neuen hatte. Die Briefe zu sammeln, wäre zu auffällig und würde sein Geheimnis gefährden. Den vorigen hatte er verbrannt, bevor er nach Tschad aufgebrochen war, aber diesen hier würde er vorerst behalten und ihn später sicher noch zig Male lesen. Nachdem der Brief sicher versteckt war, legte er sich zurück und blickte an die leicht befleckte Stoffabsperrung seines kleinen Schlafbereiches. In diesem Zelt schliefen sie zu viert, aber sein Bereich war mit hellen Laken etwas sichtgeschützt, um ihm trotzdem ein wenig Privatsphäre zu geben. Er seufzte und zog die Decke über seine Beine, welche langsam von der Kälte der Nacht überzogen wurden. Den Kopf auf seine Satteltasche gelegt, lauschte er in die Stille der Nacht hinein und sah den Schein des Feuers draußen die verzerrten Umrisse seiner Begleiter an die Stoffwand werfen. Obwohl er so gerne nun ein wenig schlafen würde und hoffte, dass Seth ihn des Nachts in seinen Träumen besuchte, so wenig konnte er die Augen schließen. Die Worte hallten ihm durch den Kopf und er sah seinen geschriebenen Namen noch auf dem tempelhaften Papyrus prangen. Seinen Namen zu schreiben, war zwar verpönt, aber nicht verboten. Ob Seth ihn noch mal aussprechen und nicht nur schreiben würde? Er hörte die anderen drei draußen am flackernden Lagerfeuer laut auflachen und wünschte sich, er wäre einer von ihnen. Auch wenn sie ihn freundschaftlich behandelten, so gehörte er trotzdem niemals zu ihnen. Selbst Fatil, der wie ein großer Bruder für ihn war, behandelte ihn mit mehr Respekt als jeden anderen. Wenn er die anderen draußen sprechen und lachen hörte, so hörte er die Töne heraus, welche sie sich in seiner Gegenwart niemals erlauben würden. Sie mochten ihn, sicher hegten sie auch dieselben freundschaftlichen Gefühle für ihn wie er für sie - aber er war ihr König. Er sprach sie an mit Fatil, Penu und Faari ... ... sie nannten ihn Pharao, König, Majestät, Herr. Trotz so vieler großer Nennungen, war er namenlos. Sein Name war jedem bekannt und doch wurde er nur bei seinem Titel genannt. Atemu war nichts. Der König war alles. Er hatte keinen Namen. Er war kein Mensch. Und doch würde sein Seth bald den Ursprung seines Namens mit stolz in seine Haut brennen lassen. Niemand sprach den Namen Atemu aus und Seth entschied sich dafür, ein Priester des Atum zu werden. Sein einst namenloser Sklave würde den Namen Atum mit Stolz tragen ... ... und dabei immer an Atemu denken. Kapitel 10: Kapitel 10 ---------------------- Kapitel 10 Am nächsten Morgen versammelten sie sich alle vier um die erkaltete Asche des Nachtfeuers. Noch etwas zerknittert waren sie aus ihren Laken geklettert und ließen sich von den ersten Sonnenstrahlen des Tages anwärmen, bevor die Wüste so heiß wurde, dass sie Tücher zum Schutz tragen mussten. Außer etwas krustigem Brot und einem Kelch Wasser gab es nicht viel zum Frühstück. Sie waren einfach schon zu lange unterwegs, um noch große Leckereien auftischen zu können. Während Penu ausgiebig gähnte, versuchte Faari sein wirres Haar zu einem Zopf zu flechten und Fatil fingerte ein wenig an seinem Brot herum, bis er ein Stück abbrach und es in den Mund steckte. War der Tag noch frisch, so war die Wüste angenehm ruhig und die Augen des Pharaos versanken in dem morgendlichen Farbenspiel, welches die Sterne am Himmel vertrieb und ganz langsam in ein einheitliches Blau verwandelte. So blau waren Seths Augen auch. Genau dieser Ton, wenn der Nachthimmel sich erhellte und noch mit seiner letzten Kraft gegen das Morgenlicht kämpfte. Wie Sterne reflektierte sich die Welt in seinem Schein und wie die Sonne sich noch ein wenig versteckte, so versteckte sich auch sein Licht hinter dem dunklen Blau der Nacht. Noch ein einziges Mal musste die Sonne aufgehen und es war der Ehrentag des Imhotep. Dies war der letzte Tag für ihn als Sklave - wenn morgen die Sonne die Sterne vertrieb, so würde er ein Priester sein. Dann würde seine Nacht vorbei sein, der Sonnenaufgang vergangen und das Licht würde sein Leben erhellen. Morgen würde Seth vom niederen Stand eines Sklaven bis in die Kaste eines Priesters aufsteigen. Wie er sich jetzt wohl fühlte? Ob er überhaupt schon wach war? Ob auch er jetzt in diesem Moment den Sonnenaufgang sah? Ob er an auch an ihn dachte? „Mein König?“ Er blickte auf und sah, dass Fatil ihn direkt ansah. Penu und Faari schienen ihr Frühstück beendet zu haben und begannen, das kleine Zelt auszuräumen und die Pferde zu satteln. „Hab ich dir schon wieder nicht zugehört?“ versuchte er zu lächeln und seine Gedanken wie jeden Tag ins hinterste Ecken seines Herzens zu verbannen. „Ich habe gar nicht mit Euch gesprochen“ antwortete Fatil fast mit einer gruseligen Ruhe. „Mein König, erlaubt, dass ich Euch dies sage ... aber Ihr werdet immer von Trübsinn befallen, wenn Ihr diese Briefe lest.“ Ein Stich ging durch sein Herz. Noch niemals hatte jemand diese Briefe angesprochen. Noch niemals hatte er mit jemandem über diese Briefe gesprochen. Diese Gedanken waren nur für ihn und sein sehnsüchtiges Herz. Er würde alles ertragen, auch ein Leben in ungestillter Liebe, wenn dafür sein Seth nur frei sein durfte. „Welche Briefe?“ Er tat so ahnungslos er konnte. Vielleicht konnte er Fatil auf ein nicht zu eindeutiges Gespräch einladen, in welchem er nicht darüber reden musste. „Mein König, wer ist Seth?“ Ein zweiter Stich trieb sich wie ein Blitz durch sein Mark. Seth? Sein Geheimnis? Niemand durfte es jemals erfahren. Niemand! Niemals! „Der Gott der Wüste“ lenkte er freundlich ab. „Du fragst aber merkwürdige Sachen heute Morgen, Fatil. Hast du schlecht geschlafen oder gestern vergessen, zu beten?“ „Ich denke da nur an Euch“ sprach er langsam weiter. „Ist Seth für euch wirklich der Gott der Wüste? Oder vielleicht ganz jemand anderes?“ Konnte es sein? Der Brief ...? Nein! Nicht Fatil! So etwas würde er niemals tun! Und wenn doch? Nein ... und wenn doch? Sein Trübsinn! Der Brief! „Hast du etwa meine Post gelesen?“ fragte er und drohte schon allein durch seinen Blick. „Ich habe dir vertraut, Fatil. Wie kannst du nur so etwas tun? Wie kannst du nur?“ „Ich habe Eure Post nicht angesehen“ antwortete er noch immer so ruhig, als würde er trotzdem etwas Faules riechen. „Ich habe nur festgestellt, dass Ihr immer etwas eigenbrödlerisch werdet, wenn Ihr einen Brief aus dem Tempel bei Heromat erhaltet. Und in der letzten Nacht habt Ihr im Schlafe gesprochen. So laut, dass wir davon aufgewacht sind. Ihr spracht von Gras, von einer Sekunde des Herzensfriedens und ihr nanntet immer wieder den Namen Seth. Ihr habt geweint im Schlaf, mein Pharao. Ihr äußertet keine ganzen Sätze, immer nur Bruchstücke und habt aufgehört, bevor wir Euch wecken konnten.“ „Ich ... also ...“ Er erinnerte sich an nichts davon. Sicher träumte er häufig von Seth. Von der einen einzigen gemeinsamen Nacht, die sie hatten. Davon, wie er seine Hand hielt und sie gemeinsam über das mondbeschienene Gras wanderten. Er wusste, dass er häufig von Seth träumte - aber für die letzte Nacht erinnerte er sich nicht an einen Traum. „Ich mache mir Sorgen um Euch“ sprach Fatil weiter und änderte seinen Blick von forschend in besorgt und fürsorglich. „Majestät, Ihr seid für mich wie ein Bruder und wir haben immer offen über alles gesprochen. Und doch habe ich das Gefühl, Ihr verbergt etwas vor mir und der Welt. Und wenn es Euch so sehr quält, dass Ihr im Schlafe weint, so solltet Ihr dem Abhilfe schaffen, bevor es Euch zerfrisst.“ „Lieber es zerfrisst mich als jemand anderen“ entgegnete er und schaute voll beschämter Trauer in das klare Wasser, welches den Morgenhimmel in seinem Kelch einfing. „Fatil, bitte sprich mit niemandem darüber. Wenn du mein brüderlicher Freund bist, so bitte ich dich darum, über nichts dergleichen zu sprechen.“ „Ich würde Euch niemals verraten, das wisst Ihr“ versprach er und rückte einen Meter zu ihm auf bis er neben ihm im kalten Sand saß. „Mein Pharao, ich weiß nicht, was es ist, dass es Euch so quält und ich weiß auch nicht, was es mit diesen Briefen auf sich hat. Mein Vater hat mir damals nur gesagt, ich soll Euch niemals danach fragen. Aber um unserer Bruderschaft willen, bitte ich Euch, meine Sorge ernst zu nehmen. Ich möchte Euch niemals schaden oder Euer Glück auf wackligen Boden stellen.“ „Ich weiß es doch. Danke, Fatil“ versuchte er ihn anzulächeln. „Aber ich kann nicht darüber sprechen. Nicht meinetwegen, sondern wegen jemand anderem. Bitte versteh das.“ Fatil sah ihn durchdringend an und fragte dann mitten in den schmerzenden Punkt hinein. „Liebt Ihr ihn noch immer?“ Ob Atemu jetzt puterrot oder leicheblass wurde, wusste er selbst gar nicht. Er fühlte nur, dass sein Herz einen Sprung tat und dann für einen Schlag aussetzte. „Getroffen?“ fragte Fatil noch mal einfühlsam hinterher. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst“ beschloss er und leerte seinen Kelch in einem so großen Zug, dass er sich fast daran verschluckt hätte. „Ich spreche von dem Sklaven, den Ihr damals zurückgeholt und dann fortgeschickt habt.“ „Hat ... dein Vater ...?“ Oh bitte! Der Alte hatte seinem Sohn doch hoffentlich nichts gesagt. Der alte Fatil war der einzige, der sein Geheimnis kannte. Nicht einmal seine eigene Frau, die Königin Ägyptens kannte seine stille Sehnsucht. Wenn Fatil ihn verraten hatte, so würde es für Seth mehr als gefährlich werden! Und für ganz Ägypten, denn wenn herauskam, dass der Pharao selbst die Stände unterwanderte und einen Lustsklaven zum Priester machte, so würde ein Bürgerkrieg ausbrechen. Und gerade jetzt, wo die politische Lage auch zu den Nachbarreichen so angespannt war, würde das den möglichen Untergang bedeuten! „Wie gesagt, mein Vater sagte mir nur, ich solle Euch niemals danach fragen. Weder nach diesem Sklaven, noch nach den Briefen. Und doch mache ich mir Sorgen um Euch, mein König. Was immer es ist, Ihr könnt es mir anvertrauen. Ich möchte Euch helfen, bei was immer Ihr auch tut. Und ich habe das Gefühl, Ihr habt Euch in den Sklaven von damals verliebt.“ „Ich ...“ „Aber wenn Ihr ihn liebt, warum schickt Ihr ihn dann fort? Ihr hättet ihn behalten können. Als Euren Gespielen oder auch als Euren Geliebten. Warum quält Ihr Euch selbst, indem Ihr ihn fortschickt?“ „Fatil, bitte hör auf damit!“ flehte er und musste seine Tränen mit vollster Kraft zurückhalten. Er wollte nicht danach gefragt werden. Es tat so verdammt weh! „Was habt Ihr mit diesem Sklaven gemacht, wenn Ihr ihn doch liebt? Oder hat er Eure Gefühle nicht erwidert und Ihr habt ihn in die Wüste verbannt, wo er nun den Priestern dient? Wolltet Ihr ihn verbannen und doch in ein gutes Haus geben? Was bewegt Euch zu so einer Tat, Pharao?“ „FATIL! HÖR AUF!“ schrie er laut durch die ganze Wüste. Erschrocken blickten sich auch Penu und Faari um, aber als sie sahen, wie die beiden sich nur in die Augen starrten, taten sie lieber als sei nichts gewesen und falteten das Zelt zusammen, damit sie gleich aufbrechen konnten. Sie wussten ganz genau, wann sie einschreiten durften und wann Fatil mit dem Pharao Dinge zu besprechen hatte, die nicht für fremde Ohren waren. „Mein König, was ist es, das Euch so verletzt?“ fragte Fatil ruhig weiter. „Ich möchte Euch helfen. Bitte. Ihr seid mein Bruder und ich liebe Euch. Zu sehen, wie Ihr Euch quält, tut auch mir weh.“ „Fatil, ich kann nicht darüber sprechen. Bitte! Ich kann es nicht! Bitte hör auf, mich danach zu fragen. Bitte, Fatil. Wenn du mich liebst, dann sprich nicht mehr darüber.“ „Lasst uns nach Heromat reiten“ bat Fatil und griff seine Hand. „Ich weiß nicht, was los ist, aber ich glaube, Ihr solltet den Tempel dort besuchen.“ „Nein ...“ „Pharao, doch. Bis zum nächsten Dorf ist es drei Tagesreisen entfernt. So lange kommen wir mit unseren Vorräten nicht aus. Der Tempel bei Heromat jedoch, liegt nur eine Tagesreise weit fort und wir könnten bis heute Abend dort sein, wenn wir nicht in einen Sandsturm geraten.“ „Aber, Fatil, ich kann nicht ...“ „Wir müssen aber, sonst bekommen wir Probleme. Mal davon abgesehen, wäre es doch schön, wenn wir den Tag des Imhotep in einem Tempel begehen könnten. Ich weiß zwar, dass die Priester in diesen Tempel nicht jeden hereinlassen, aber Hilfsbedürftige und Pharaonen wurden niemals des Tores verwiesen. Lasst uns dorthin reiten. Oder ist es Euch eine solche Qual, dass Ihr dort nicht eintreten könnt?“ „Dann lasst uns sofort los.“ Er wusste selbst nicht, woher diese Worte und dieser Wille so plötzlich kamen. Er erkannte sich kaum wieder. Er stand auf, wickelte seinen Kelch ein, steckte sich das letzte Brot in den Mund, packte seine Satteltasche aufs Pferd, stieg auf und blickte seine Begleiter herrschend an. „Wir reiten in Richtung Heromat. Zum Wüstentempel“ befahl er fest. „Wir machen keine Pause, denn wir wollen noch heute Abend dort ankommen. Los, kommt!“ Er drehte sein Pferd um und ritt los. Sollten die anderen ihm doch hinterherkommen. „Mein König! Heromat liegt in dieser Richtung!“ zeigte Fatil lächelnd nach rechts. Er schaute zurück, wendete sein Pferd und trabte eben in die gewiesene Richtung. Zeit sich zu bedanken, hatte er später noch. Jetzt musste er endlich los in Richtung Heromat. Er wusste nicht, warum er das tat. Er durfte Seth nicht sehen. Er durfte ihn nicht in Gefahr bringen. Er durfte Ägypten nicht in Gefahr bringen. Er durfte eigentlich gar nichts anderes als zum Palast zurückzureiten. Aber morgen war der Tag des Imhotep. Morgen würde aus seinem Sklaven ein Priester werden. Und er wollte bei ihm sein. Wollte ihn sehen. Wollte ihn berühren. Er durfte seiner Sehnsucht nicht nachgeben. Sein Kopf hielt ihn zurück. Aber sein Herz war stärker. Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Kapitel 11 Sie waren überwältigt. Schon aus der Ferne erblickten sie von der Spitze einer Düne aus, den riesigen Wüstentempel, der ganz aus tiefrotem Stein gebaut war. Drei hohe Kuppeltürme ragten in den Himmel und darauf war je ein Zeichen in Gold eingesetzt. Ganz rechts das Zeichen des Re, des Sonnengottes, welcher von oben auf sie herabblickte. Ganz links das Zeichen des Seth, um für den Wüstentempel seinen Segen zu erbitten. Und in der Mitte das Zeichen des Pharaos, des irdischen Gottesvertreters und Oberhaupt der Religion. Diese riesigen Türme schienen überirdisch, so kalt und abweisend und doch so stark und schützend. So hoch als wollten sie in den Himmel wachsen und doch so tief im irdischen Sand verankert, dass sie wohl selbst der größte Sturm nicht stürzen und der größte Feind nicht einnehmen konnte. Die Türme der Götter im Himmel und des Königs auf Erden. Unter den goldbesetzten Giganten war wie fest mit dem heißen Sand verwachsen der Hauptbau des Tempels. Über mehrere Hektar erstreckte sich der gigantische Korpus und sah für jeden Feind unerstürmbar aus. So respekteinflößend, man kam sich vor so einem Bau unendlich klein und schwach vor und die Götter waren so groß und mächtig, wie die goldenen Turmzeichen es aus der Höhe stumm hinabschrieen. Doch wirklich hineinsehen konnte man nicht, da alles von einer meterhohen Mauer umgeben war. Es schien als gäbe es nur dieses eine Tor, durch welches man hinein und hinaus gelangen konnte und diese feste Mauer war aus demselben roten Material wie der Hauptbau. Wie aus einem einzigen Guss. Je näher sie ritten, desto mehr wurden sie von der Aura dieses Meisterwerks der Architektur ergriffen. Immer größer, immer monströser wurde die Mauer und es machte einen schwindelig, wollte man von so weit unten bis hinauf an die Spitzen der Türme blicken. Über ihnen neigte sich die Sonne zur Nacht herab, der Mond zeigte sein volles Strahlen und die Sterne schickten ihr millionenfaches Licht hinab, sobald die bunte Zeichnung am Himmel sie freigab. Und all dies tauchte den riesigen Tempel in eine blutende Farbe, welche sich mit dem hellen Schein des Sandes und dem bunten bis dunklen Abendhimmel vereinigte. In diesem Bau musste eine ganz eigene Welt verborgen sein. Dieser Tempel genoss den besten Ruf. Von hier kamen die größten aller Priester und die Urteile, welche darin gefällt wurden, bestimmten auch das Leben im Palast. Der jetzige Pharao war bisher nur ein einziges Mal hier gewesen, als sein Vater ihn mitnahm. Damals, als der vor seinem Sohn noch selbst Pharao war. Er wollte seinem Erben dieses wichtige und religionsbestimmende Monument zeigen. Jetzt, wo er hier stand, erinnerte er sich kaum daran, was er damals gefühlt hatte. Schon damals war er von der Größe überwältigt gewesen und die Aura dieses heiligen Bodens nahm ihn gefangen. Aber mehr als ein Gefühl der Ehrfurcht konnte er aus der Vergangenheit kaum hervorrufen ... und es war jetzt nicht anders, als dass man ehrfürchtig wurde vor diesem Monster von Tempel. Und jetzt, wo er heute hier vor dem dicken Steintor stand, welches mit warnenden und gleichzeitig gütigen Symbolen beschlagen war, konnte er nur noch an eine einzige Sache denken. >Darin lebt mein Seth.< Sein Herz klopfte in seinen Ohren so laut, wie Penu mit dem Eisenring an den verzierten Metallbeschlag hämmerte und ankündigte, dass hier um Einlass gebeten wurde. Es dauerte nicht lange und oben an den Zinnen der schützenden Mauer erschienen zwei glutrot gekleidete Männer mit langen Stäben in den Händen. Ihr langen Kutten wehten leicht im Wind und vereinten sich mit der Farbe des tiefrotem Steines, als wären sie ein Teil dieses Gottesbaus. „Wer seid Ihr und was wünscht Ihr?“ rief einer der beiden Gestalten herunter. Nicht böse, aber doch sehr bestimmend, einschüchternd. Fatil ritt ein paar Schritte vor, blickte fest zu den beiden hinauf und erhob dann seine starke Stimme. „Der Pharao und seine drei Mannen. Im Namen des Pharao, öffnet uns die Tore!“ „Wir öffnen dem Pharao die Tore mit Freuden, wenn er es wirklich ist! Unser Hohepriester wird Euch empfangen!“ rief der Wachmann von oben herab und Atemu erinnerte sich daran, was sein Vater ihn gelehrt hatte. Nicht jeder kam einfach in diesem Tempel herein und um nicht einem Betrug aufzuliegen, gab es nur für den Pharao eine geheime Losung, mit welcher er in einen der sieben Haupttempel des Reiches Einlass bekam. Jeder Tempel hatte seine eigene Losung und der Pharao musste sie alle kennen. Die Worte waren nirgends niedergeschrieben und wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Nur der König, sein Thronfolger und die sieben Hohepriester in den Tempeln kannten die geheimen Worte. Dieses System hatte sich über Jahrhunderte bewährt und noch niemals war ein Betrüger, welcher sich für den Pharao ausgab, in einen der Haupttempel gelangt. Die vier warteten einen Moment und stiegen schon mal von ihren Pferden ab. Der König gab seine Zügel an Faari und Penu hielt Fatils Pferd fest, damit die beiden die Hände frei hatten. Sie lösten ihre Sandschutztücher und steckten sie in ihre Gürtel. Atemu glaubte, sein Herz würde jeden Moment zespringen. Dort drin! Dort war sein Seth! Er war ihm so nahe. Es war als könne er ihn schon spüren, als könne er seine Stimme hören, seinen Duft einfangen. Auch damals war es dämmrig gewesen, als sie sich zum ersten Mal erblickten. Auch damals hatte der Pharao eine lange Reise hinter sich. Seth ... sein Seth. Nah ... so nah. Er konnte sein rasendes Herz gar nicht wirklich beruhigen, da tauchte an der Mauer oben neben den zwei Wachen ein anderer Mann auf. Ganz in schlichtes Weiß gekleidet, sah er einen Moment aus wie ein Geist im Abendhimmel. Nur beim intensiveren Hinsehen erkannte man sein langes, weißes Haar und die Ärmel, welche ihm bis über die Hände reichten. „Ihr erbittet Einlass?“ rief er herunter und seine Stimme hatte einen ganz anderen Klang. Heller und weicher, aber deswegen nicht minder stark. Er war sicher ein mächtiger und weiser Mann. Ein alter, aber vom Leben gelehrter Herrscher und ein ergebener Diener seiner Götter. „Ich, der Pharao Atemu, begehre Einlass in mein Haus!“ rief er zurück und blickte zu dieser geisterhaften Gestalt herauf. „Wer ist der Pharao?“ wollte die helle, starke Stimme von ihm wissen. „Ich, bin der Pharao“ antwortete er mit herrschender Stimme. „Ich bin das Licht des Reiches, der Sohn der Götter, der König der Ägypter und das Oberhaupt aller Heiligkeit. Ich bin der Herrscher über Erde und Flüsse, mir allein gehören Ernte und Tiere. Ich, der Pharao, bin hier.“ „Seid willkommen, Pharao!“ Er drehte sich um und den Wachen gewandt, befahl er: „Öffnet unserem Herrscher die Tore!“ Mit einem knackenden Ton bewegten sich die schweren Steintore nach außen und schoben den Sand vor sich auf. Sie wurden anscheinend nicht häufig bewegt. Sicher nicht nur, weil sie so schwer waren, sondern auch, weil hier kaum jemand Einlass oder Ausgang begehrte. Warum auch? Wer darin lebte, hatte dort sein Zuhause und wollte nicht heraus. Und wer dort nicht hineingehörte, der blieb draußen. Das hier war eine geschlossene Gesellschaft. Sie warteten nur einen kurzen Moment als der weiß gekleidete Mann auf leisen Füßen zu ihnen heraustrat und sich vor dem Pharao flach in den Sand legte, seine Stirn direkt vor die Füße seines Herrschers neigte. „Mein Pharao, seid willkommen in Eurem Hause“ erbrachte er seinen Gruß auf den tiefsten Punkt gewand. „Ich danke dir. Bitte, steh auf, Hohepriester“ antwortete er und somit durfte sich der hohe Mann wieder auf die Beine erheben. Demonstrativ klopfte er sich nicht den Staub vom weißen Gewand, denn es zierte sich nicht, sich vor den Augen des Pharaos zu reinigen. Er stand vor ihm wie er war, als würde er vor einem Gott stehen. „Mein Pharao, seid willkommen“ erbrachte er mit hellbraun strahlenden Augen. „Bitte, kommt herein und ruht Euch ein wenig aus von dem weiten Weg, welchen Ihr sicher gekommen seid“ bat er und wies in den Tempel herein. „Danke.“ Der Pharao folgte ihm dicht an seiner Seite durch das hohe Tor, Fatil zu seiner Rechten und seine Krieger mit den Pferden dicht hinter ihm. Er drehte sich nicht um, aber er hörte, wie die Tore sich schlossen und die sich zur Ruhe legende Wüste wieder aussperrten. Der dunkler werdende, bunte Himmel jedoch, blieb ihnen erhalten und schaute auf sie herab, als würde er das pochende Herz des Pharaos noch einen Augenblick begleiten wollen. Und wie erwartet, fand sich hierin eine ganz andere Welt. Der Boden war fest mit dicht getretenem Sand, welcher oben auf ein wenig staubig war, wie harte, getrocknete Muttererde. An allen Ecken standen hohe Tafeln mit Segenssprüchen für das Ende einer guten Reise und wenn man sie rückwärts las, ergab sich daraus ein Segenswunsch für eine gute Abreise. Da waren Wortkünstler am Werke. Aber Künstler, so machte es den Anschein, gab es hier sicher viele. Der rote Hauptbau erstreckte sich erst, nachdem man einen großen Platz überquert hatte, an den Rändern standen Bänke oder Tische mit Hockern. Die Wände waren mit Verzierungen bemeißelt und alles war so symmetrisch - perfekte, monströse, ägyptische Baukunst, welche die nächsten Jahrtausende überdauern könnte. Besonders die hohen Säulen, welche das schwere Dach des Kerngebäudes trugen, waren so monumentös, dass man Ehrfurcht bekam, vor denen, die etwas so großes schaffen konnten. „Euere Heimkehr ist uns eine Ehre“ lächelte der Hohepriester ihn freundlich an. Wie alle Priester sprach er nicht davon, dass der Pharao einen Tempel besuchte, sondern davon, dass er heimkehrte - der König war in jedem Tempel Zuhause, denn sie gehörten ihm alle. Selbst wenn er niemals da gewesen wäre, wäre es immer eine Heimkehr. „Ich bin der Hohepriester Chaba Djedef Re und erfreut zu sehen, dass der Seth Euch augenscheinlich kein Leid getan hat.“ „WER?! SETH?!“ „Ähm ... ja? Unser launischer Wüstengott. Euer liebster Gott, wie man sich erzählt.“ >Ups.< Da hatte er gerade einen Moment nicht wirklich zugehört. Er hörte nur Seth und schon wollte sein Herz aus der Brust springen. Er schaute sich schon die ganze Zeit nervös um, ob er ihn erblickte, aber zu so später Stunde, waren hier keine Leute mehr unterwegs. „Natürlich. Nein, der hat mir nichts getan“ lächelte er und versuchte einfach, dass er sich endlich zur Ruhe zwang. Er würde sich noch zum Affen machen, wenn er nicht endlich sein aufgeregt polterndes Herz zum Schweigen brachte. „Chaba Djedef Re“ wiederholte er ruhiger. „Das ist ein sehr schöner Name. Die Seele erscheint beständig wie der Re, ja? Bist du ein Repriester?“ „Ja, daher der Name“ nickte er dankend. „Früher hieß ich Chaba, aber ich habe mir meinen Weihnamen dem Re zu Ehren einbrennen lassen. Meine Mutter betete immer zum Re und es hat sie damals sehr glücklich gemacht, dass ich mich für unseren Sonnengott entschieden habe.“ „Du hast einen Bruder in Tewpap, ist das richtig?“ meinte er sich zu erinnern. „Ja, das stimmt. Sein Name ist Chufu und er ist der Hohepriester im dortigen Niltempel. Er hat sich aber keinen Gott ausgesucht, weil Chufu ihm als Name reichte.“ „Chnum beschützt dich“ lächelte der Pharao. „Ja, das ist doch an sich schon ein gesegneter Name. Deine Eltern waren wohl sehr gottestreu, wenn ihr es beide bis zum Hohepriester geschafft habt.“ „Ja, wir sind beide stolz darauf. Sagt bitte, mein Pharao, darf ich Euch danach fragen, wie lange Ihr zu bleiben gedenkt?“ „Ich weiß es noch nicht“ antwortete er schlicht. „Wir haben einen langen Weg hinter uns, denn wir kommen direkt aus Tschad. Unsere Pferde sind erschöpft und wir sind es auch. Wir bitten um Herberge bis wir wieder bei Kräften sind.“ „Natürlich, gerne“ nickte er. „Dann bleibt Ihr wohl zum morgigen Fest?“ „Morgen ist der Tag des Imhotep, oder?“ Gaaaaaaanz ahnungslos tun. Er musste ja nicht sofort preisgeben, dass er bereits darüber informiert war, was morgen hier geschehen würde. „Ja, wir wollen diesen Ehrentag mit einem kleinen Fest begehen. Außerdem haben wir für morgen eine Priesterweihe angesetzt. Ein aufstrebender, junger Mann von großer Intelligenz und, wie die Frauen finden, von großer Schönheit. Ersteres kann ich versichern, bei zweiterem habe ich nie so genau hingeschaut“ sagte er und lachte ihn herzlich an. „Aber ich freue mich auf seine Weihe.“ „Ja? Was ist er denn so ... für ein Mann?“ fragte er ebenfalls ganz ohne preisgegebene Hintergedanken. Er sprach gerne über Seth und hörte, was das Oberhaupt dieses Tempels über ihn zu sagen hatte. „Oh, er ist beeindruckend“ erzählte er, während sie vor dem großen Eingangsbereich des Hauptbaus stehen blieben und von innen schon würzige Düfte drangen, welche durch das Räucherwerk in der großen Halle heraus kamen. „Er ist jetzt etwas über sieben Jahre hier bei uns. Vielleicht erinnert Ihr Euch an ihn? Ihr habt seine Empfehlung unterschrieben und seine Ausbildung hier wird vom Palast bezahlt.“ „Ja, kann sein, dass ich so was mal unterschrieben habe. Weißt du, ich unterschreibe viel den ganzen Tag lang. Vor allem, wenn es um den geistlichen Nachwuchs geht, sind viele Männer im Palast dabei sehr engagiert.“ „Mit seinem Talent und seiner Strebsamkeit, hätte sicher jeder eine Empfehlung unterschrieben. Würde seine Ausbildung nicht bezahlt werden, so hätte ich ihm mit Freuden eine kostenlose Ausbildung gegeben, denn er ist ein wahrer Gewinn für unsere Kirche. Stellt Euch vor, schon nach sieben Jahren sind alle Priester mit seiner Weihung einverstanden. Selbst ich musste 15 Lehrjahre über mich ergehen lassen, bis ich einfacher Priester wurde. Aber er ist wirklich etwas besonderes. Er lernt überaus schnell und wie gesagt, ist er außerordentlich intelligent. Er lernt nicht nur auswendig, sondern weiß sein Wissen auch praktisch einzusetzen. Ein Mann, der aus der Menge hervorsticht. Seth heißt er übrigens“ setzte er mal zwischendrin hinzu. Atemu spürte zwar Fatils beobachtenden Blick auf der anderen Seite, aber er nickte nur, als würde dieser Name etwas neues für ihn sein. Der Hohepriester konnte ja auch nicht wissen, dass er ihm diesen Namen selbst gegeben hatte. „Als Seth damals herkam, sah er wirklich nicht gut aus“ erzählte er ruhig weiter. „Er hatte frisch verheilte Wunden und ansonsten einen ungewöhnlich gesunden Körper, aber seine Augen waren so leer. Mein König, noch niemals in meinem Leben habe ich so leere Augen gesehen. So leer wie toter Himmel, sagte man häufig über ihn hinter vorgehaltener Hand. Er sprach kaum ein Wort, weder mit dem Munde, noch mit seinem Körper. Niemand wusste wirklich, woher er kam und er sprach niemals darüber, was er erlebte, bevor er durch unser Tor trat. Wir haben uns gewundert, warum er vom Palast eine Empfehlung in einen Haupttempel erhalten hat, aber als wir ihm das erste Mal eine Schriftrolle zu lesen gaben, hatte er sie innerhalb nur einer Stunde komplett auswendig gelernt. Ungewöhnlich, wir haben uns gewundert, woher er so gut lesen kann, aber wir haben ihn niemals danach zu fragen gewagt, denn in seiner Empfehlung stand, man möge nicht in ihn dringen. Von da an schien es, als wolle er die Leere in seiner Seele mit Wissen füllen. Er lernte und lernte und lernte, als wäre es sein ganzer Lebensinhalt. Doch mit verstreichender Zeit steigerte sich nicht nur sein Wissen, sondern wohl auch sein Wohlbefinden. Seine Augen gewannen an Glanz, er wurde redselig und nach zwei Jahren hatte er die ersten Freunde gefunden. Heute ist er sicher der beliebteste Schüler im ganzen Tempel. Die Männer sind seine Freunde und die Frauen schwärmen nach ihm. Er lacht viel, spielt gerne und tanzt mit großer Leidenschaft. Kein Vergleich mehr zu dem seelenlosen Wesen von damals. Es war eine Freude, ihm bei seiner Entwicklung zuzusehen und das ist es noch. Umso stolzer bin ich, dass er wohl eines Tages mein Schwiegersohn wird, denn mit meiner Tochter liebäugelt er schon länger“ erzählte er mit einem leicht versteckten, leicht stolzem Schmunzeln. „Erst dachten die beiden, ich würde es nicht bemerken, aber dann ertappte ich sie beim Küssen in ihren Räumen. Sorgen habe ich mir keine gemacht, denn er würde sie vor der Hochzeit niemals enger besuchen, dafür ist er viel zu sehr Priester mit Leib und Seele. Aber um ehrlich zu sein, sehe ich schon mit Freuden meine Enkel über diesen Platz laufen.“ Bei dem letzten Teil wurde Atemus Herz leicht und schwer zugleich. Leicht wurde es, weil er hörte, dass Seth wohl glücklich hier war. Er war verliebt, hatte eine Freundin und es wurde sogar schon Hochzeit geplant. Genau dieses Glück hatte Atemu sich für ihn gewünscht, ihm gewünscht, dass er glücklich wurde. Doch auf der anderen Seite ... bedeutete das ... dass ... dass er so unendlich fern war und seine eh schon unterdrückte Liebe nun noch weiter nach hinten gedrängt wurde. Seth hatte in seinen Briefen mit rosigen Worten von „seiner Shinasa“ gesprochen, doch bisher war das nur ein Name. Und jetzt wo er hier war, wurde aus diesem Namen langsam eine Person. Laut Seth war sie wunderschön, fröhlich, witzig und liebevoll. Eben das alles, was Verliebte immer von sich gaben. Seth war glücklich mit seiner Shinansa - und Atemu fühlte sich als sei er selbst bald nur noch ein Name für Seth, so wie Shinansa für Atemu nur ein Name war. „Mein Pharao, Ihr scheint müde“ stellte der weiße Hohepriester vorsichtig fest. „Ja, ein bisschen“ seufzte er. „Aber vielleicht machen wir noch einen Rundgang durch den Tempel? Ich würde gerne jeden Raum sehen und ...“ „Mein König, ich glaube, das ist heute keine gute Idee mehr“ schritt Fatil jetzt doch mal ein. Er roch, dass der Pharao weniger scharf auf den Anblick von Räumen war, als auf den Anblick eines gewissen Lustsklaven, der hier unter verschwiegenen Angaben weilte. „Schaut, Pharao, wir haben einen langen Ritt hinter uns und morgen wird ein aufregender Tag. Wir sollten uns nun wirklich zur Ruhe begeben. Ihr werdet morgen sicher alles zu sehen bekommen, was Ihr zu sehen wünscht.“ Alles? Alles, weswegen er hier war? Wollte er das überhaupt noch? Alles sehen? Jeden ...? Kapitel 12: Kapitel 12 ---------------------- Kapitel 12 Als er am nächsten Morgen erwachte, hatte sich der Raum mehr als verändert. Gestern, als er im eingetretenen Dunkel der Nacht hier in das fackelbeleuchtete Zimmer trat, hatte er das Gefühl, es würde ihn erdrücken. Es war so dunkel, so eng alles, weil dieser ganze Tempel von so festen Ausmaßen war, dass man sich vorkam wie in einem Stein mit kleinen Gängen drin. Obwohl hier alles großzügig und weitläufig war, so war er dennoch diese dicken Wände kaum gewohnt. Im Palast waren seine Lacken dünn und aus Seide, hier waren hauptsächlich feste Webstoffe aus Wolle. Im Palast war alles so zart und filigran, so künstlerisch bis ins kleine Detail mit Kunst durchdacht. Hier kam ihm alles so pompös und respekteinflößend zu. Es war als würde dieser Tempel sein Herz erdrücken wollen. Die Möbel waren hier nicht aus zartem Gold, poliertem Holz und feinstem Marmor. In diesen Räumen fand sich viel Eisen und Kupfer, auch Silber. Das Holz war weich, obwohl es so grob war. Der Boden war nicht mit feinen Pinselstrichen bedacht, sondern aus massiven Quadern zusammengesetzt. Gestern hatte er das Gefühl, er müsse ersticken. Doch als er heute Morgen aufwachte, verschwand das Gefühl schnell. Das dunkle Rot, welches hier überall vorherrschte, wirkte beruhigend und schützend. Die vielen Verzierungen fehlten ihm kaum noch und dafür begann er mit verstreichenden Minuten des Umschauens, diese starke Schlichtheit zu schätzen. Er spürte, dass die wollenen Decken viel wärmer waren als seine tausend Seidenlaken. Auf einen dieser Holzhocker konnte man steigen, ohne, dass man Angst haben musste, er könne brechen. Man musste keine Angst haben, etwas kaputt zu machen. Alles war schlicht, aber schön. Angenehm, so ganz ohne Pomp und Klimbim. Sehr griffig, stabil und urverbunden. In seiner Bescheidenheit so aufregend. Und so klein kam ihm sein Raum nun eigentlich nicht mehr vor. Es wirkte gestern nur so durch die dicke Wand, welche sicher drei Ellen maß und den Raum in zwei Hälften teilte. Auf der einen Seite stand das große, daunengefüllte Bett, in welchem man versank und gewärmt wurde wie im Mutterleib. Daneben ein kleiner Tisch mit harten Kissen, auf denen es sich bestimmt gut sitzen ließ. Und die einsame Kerze, welche dort gestern abgebrannt war, wirkte wie ein Schmuck darauf. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein größerer Tisch, eine abgerundete, feste Holztruhe, eine Feuerstelle und ein betuchter Bereich zum Niederlegen. Die Wände waren nicht geschmückt mit Teppichen, sondern mit geradlinigen, klaren Malereien, welche die Geschichte der frühen Pharaonen erzählten. Und natürlich durfte in diesem Raum ein kleiner Altar nicht fehlen. Ein Brett zwischen zwei Holzsäulen eingesetzt, war das einzig übertrieben schön geschmückte Stück hier im Raum. Es war belegt mit einem weißen Tuch, von Gold durchwebt. Darauf zwei goldene Öllampen, Gefäße mit heiligen Kräutern und Wasser. Davor ein Gebetsteppich, in schönem dunkelblau und goldgelben Zeichen darauf. Man sah dem Raum an, dass dies für einen König gedacht war. In jedem Tempel gab es einen eigenen Raum, den nur der Pharao benutzen durfte. Er erinnerte sich kaum noch an diesen Raum hier, aber hier war er auch mit seinem Vater damals gewesen. Ihm war das weiche Bett in Erinnerung geblieben und die dicke Wand. Alles andere war verschwommen, aber er war sich sicher, dass sich seitdem hier kaum etwas verändert hatte. Durch den kleinen Rahmen dort in der Wand, gelangte man in einen Raum mit einem Wasserbecken, wo er gestern Abend noch schnell gebadet hatte. Das einzig Wohltuende in der gestrigen Nacht. Nach endlosen Tagen voller Staub und Hitze endlich wieder ein Bad nehmen zu können - das war unbezahlbar. „Majestät, guten Morgen.“ Die Stimme klang fröhlich und freundlich, jungenhaft. Aus dem Schatten einer Ecke trat ein junger Mann hervor, vielleicht fünfzehn Jahre alt. Sein Haar war unter einem langen Tuch verborgen, welches ihm bis über die Schultern hing. Und auch er trug diese schlichte, rote Robe, welche hier ganz uniform getragen wurde. Rot war die bestimmende Farbe des Tempels. Das lange, enganliegende Tuch auf dem Kopf zeigte ihn als Diener und das ebenso enge Oberteil machte seine dünne Gestalt nur noch dünner. Ein wirklich hagerer Mensch. Aber dafür war das breite Lächeln in seinem eingefallenen Gesicht eine lustige Sache. Seine Augen waren tiefschwarz, aber seine Zähne dafür umso weißer. Er sah sympathisch und gut gelaunt aus, ein süßer Kammerdiener. „Guten Morgen“ grüßte auch der König als sich sein junger Diener vor ihm kniete und den Kopf senkte. „Du heißt Kima, oder?“ „Oh, Ihr habt meinen Namen behalten“ freute er sich und nahm dies als Erlaubnis sich wieder gerade hinzustellen. „Und ich dachte, Ihr hättet mich gestern nicht wahrgenommen.“ „Entschuldige, sah das so aus?“ „Ja, ein bisschen“ lächelte er trotzdem munter. „Ihr habt nicht viel mehr gesprochen als „Guten Abend“ und „Gute Nacht“. Ich dachte schon, Ihr wäret ein Grießgram.“ „Ein Grießgram?“ lachte er. „Nein, das wollte ich eigentlich nicht sein.“ Der war ja süß. Noch ganz unbedarft, als würde er mit einem der Priester sprechen. Zwar respektvoll, aber so ein Reden hörten des Königs Ohren nicht häufig. „Aber Ihr könnt ja doch lachen“ freute er sich mit ihm. „Ja, ich war gestern etwas aufgewühlt. Entschuldige, falls ich unhöflich zu dir war.“ „Ihr entschuldigt Euch? Unglaublich, mein Pharao entschuldigt sich. Ich dachte, das müsstet Ihr nicht? Ihr müsst Euch bei niemandem entschuldigen! Nicht mal, wenn Ihr richtig Mist baut!“ „Na, aber wenn ich jemanden beleidige und es nicht merke, dann ist es mir ein Bedürfnis, mich zu entschuldigen. Das ist doch nur menschlich, oder?“ „Dann seid Ihr ein guter Mensch“ nickte er feststellend. „Dann stimmt es, was man über Euch sagt. Man sagt, Ihr wäret der menschlichste Pharao, den Ägypten je hatte. Der edelste und der stärkste von allen.“ „So viele Komplimente noch vor dem Frühstück sind ungesund für den Geber“ meinte er freundlich. „Ach, was! Der Kunde ist König!“ lachte er lustig. „Aber nur, wenn der Kunde sich auch wie ein König benimmt“ setzte er mit erhobenem Finger hinzu. „Du gefällst mir, Kleiner. Hast du vor, später mal Gesellschafter zu werden?“ „Nein, eigentlich möchte ich Bauer werden“ antwortete er ehrlich. „Aber meine Eltern bestehen darauf, dass ich eine Priesterschule besuche.“ „Dann müssen sie sehr wohlhabend sein, wenn du hier im Haupttempel sein darfst.“ „Meine Eltern sind Großgrundbesitzer im Norden des Landes. Sie können es sich nur leisten, mich ein Jahr hierher zu schicken und danach darf ich wieder nach Hause. Natürlich hoffen Sie, dass ich mich so gut mache, dass man mir eine freie Ausbildung gibt, aber das will ich gar nicht.“ „Und deswegen gibst du dir keine Mühe hier?“ „Na ja, geht so. So lala eben. Ich will ja eigentlich kein Priester werden. Ich will Bauer werden. In Landwirtschaftskunde bin ich ein Ass, aber was Lesen und Schreiben angeht, so finde ich das nicht so spannend. Reicht doch, wenn ich meine Heuballen zählen kann, oder?“ „Du könntest trotzdem gut ein Gesellschafter werden?“ „Warum?“ „Weil du so viel und frei redest. Du bist sehr unterhaltsam“ lächelte er wohlwollend. „Warum? Stört es Euch? Soll ich aufhören zu reden?“ fragte er ihn ganz ehrlich und schaute ihn mit ganz großen Kuhaugen an. „Nein, ich finde dich gut“ versprach er. „Aber eines wundert mich doch. Warum machen sie einen kleinen, lauten Frosch wie dich zu meinem Kammerdiener? Sollten das nicht eher erfahrene, ruhigere Herren sein, die nicht weiter auffallen?“ „Bitte verpetzt mich nicht, Pharao“ flüsterte er geheimnisvoll, kam ein Stück näher als würde er einem Räuberkumpanen ein Geheimnis verraten. „Ich sollte eigentlich gar nicht hier sein, aber der alte Kitepsens, der eigentlich Euer Kammerdiener ist, hat gestern kurz bevor Ihr in Euren Raum kamt, so nervöse Hände bekommen, dass er sich nicht traute, Euch unter die Augen zu treten. Er wollte Euch erst ein Mal sehen, bevor er Euch dienen kann. Solche Überraschungen sind nichts mehr für Männer in seinem Alter, wisst Ihr? Also habe ich ihm eine Flasche Wein gegeben und er liegt noch immer unten in seiner Kammer und schnarcht.“ „Hast du ihm jetzt geholfen oder ihn ausgetrickst?“ fragte er den kleinen Schelm, der doch irgendwie etwas eindeutig triumphierendes in seinen Augen hatte. „Ich wollte Euch zu gerne mal begegnen“ gab er ehrlich zu. „Also ist es wohl ein bisschen von beiden. Aber ich muss hier verschwinden, bevor einer der Priester das mitbekommt. Sonst bin ich schneller wieder Zuhause als meinen Eltern lieb ist. Ihr verratet meine kleine List doch nicht, oder?“ schaute er ihn dann doch etwas bangend an. Wenn der Pharao ihn nun verpfiff oder sich über ihn ärgerte, konnte das sein ganzes Leben verpfuschen. Und irgendwie sah der Junge so aus als würde er in diesem Moment feststellen, dass das hier doch nicht so eine gute Idee gewesen war. „Nein, ich verrate dich nicht“ versprach er. „Aber nur, wenn du mir einen Gefallen tust.“ „Jeden, mein König! Alles, was Ihr wollt!“ schwor er ihm und ruderte mit seinen Händen wild in der Luft herum. „Was kann ich für Euch tun! Raus mit der Sprache!“ „Es hat sich im Tempel doch sicher schon herumgesprochen, dass ich hier bin?“ „Natürlich! Jeder weiß es! Es ist doch etwas Besonderes, wenn der Pharao heimkehrt! Und Gerüchte verbreiten sich hier schneller als ein Lauffeuer.“ „Dann laufe bitte raus und gib das Gerücht weiter, dass alles normal weitergehen soll“ bat er ihn mit vollster Ruhe. „Weißt du, Kima, jedes Mal, wenn ich irgendwo hinkomme, dann werden Feste gegeben und ich kann nirgends langgehen, ohne dass man vor mir niederkniet. Ich möchte aber durch den Tempel wandern und mir das Leben ansehen, wie es wirklich ist. Bitte gib meinen Befehl weiter, dass ich meine Krone nicht aufsetze und deswegen niemand zu meinen Füßen liegen soll. Willst du das für mich tun?“ „Ja!“ Und sofort drehte er sich um und lief auf die Tür zu. „Ich werde bescheid sagen. Übrigens: Eure Kleidung liegt da hinten in der Truhe. Ist noch ganz frisch und ihr könnt Euch was aussuchen. Also, dann will ich schnell ...“ „Kima!“ rief er ihn noch mal zurück und streckte schnell die Hand nach ihm aus. „Ja?“ Verwirrt machte er in seinem Lauf Halt und drehte sich nach ihm um. „Sag mir, habe ich im Schlaf gesprochen? Irgendetwas?“ „Ihr habt genuschelt“ gab er verdutzt zur Antwort. „Ich war hier hinten in meiner Ecke und hab Euch nicht belauscht. Aber ich hab gehört, dass Ihr irgendwas genuschelt habt. Warum? Seid Ihr Schlafwandler?“ „Nein, hat mich nur interessiert.“ Innerlich atmete er auf. Er war so angespannt hier, es war als könne er Seth überall fühlen, ihn riechen, nur sehen konnte er ihn nicht. Er wusste, dass er ganz nahe war ... und sein Herz schlug schon wieder schneller als es gesund war. „Ihr seid ein komischer Vogel“ war Kimas Meinung dazu. Er drehte sich also um und lief endlich zur Tür hinaus, um seinen königlichen Auftrag zu erfüllen. Atemu aber atmete erst mal tief durch und legte sich die Hand auf die Brust. Er spürte sein Herz darunter leicht pochen, so stark schlug es von innen gegen seine Rippen. Allein bei dem Gedanken an seinen Seth, begann es verrückt zu spielen. Der Kleine eben hatte ihn für ein paar Momente wirklich abgelenkt, aber jetzt war es wieder da. Dieses Gefühl. Er ging ein paar Schritte an das große, offene Fenster, zog den dicken Vorhang zur Seite und ließ sich die Sonnenstrahlen aufs Gesicht fallen. Seine braune Haut leicht wärmen, so schön warm ... Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, war es schon kein Morgen mehr, sondern früher Mittag. Er hatte wirklich lange geschlafen. Nicht nur, weil der lange Ritt gestern sehr anstrengend war und weil sie erst spät am Abend angekommen waren. Sondern auch, weil das Bett wirklich so tief und weich war, dass man darin versank wie der Kopf in Träumen eintauchte. Er blickte hinunter auf den Platz vor dem roten Hauptbau und sah verschiedene Leute vorbeihuschen oder sich einen Moment zur Ruhe setzen. Auf den gestern noch so verlassenen Bänken saßen nun junge Leute, spielten mit Steinen auf einem Brett, lasen sich gegenseitig etwas aus Schriftrollen vor oder sangen sogar leise. In einem Steinring beteten ruhig einige junge Schüler mit ihrem bärtigen Meister, andere gingen vorbei und trugen Bastkörbe auf ihrem Kopf, Taschen in ihren Händen oder hatten Kinder an der Hand. Junge und Alte lebten hier gemeinsam im Namen der Religion. Dieser Tempel war wie eine eigene Stadt inmitten der Wüste. Wie gerne würde er zu ihnen gehören? Wie gerne würde er da unten entlang laufen und einen Korb auf dem Kopf tragen? Wie gerne würde er dort mit seinen Freunden sitzen und ein Spielchen machen? Wie gerne würde er von ihnen bei seinem Namen genannt werden. Freunde klopften sich auf die Schultern, gaben sich die Hände zum Gruß. Vor einem König aber kniete man nieder und küsste seine Füße, im besten Falle die Hände. Die Ehrerbietung, welche die Leute ihm entgegenbrachten, sollte ihn zu etwas Besonderem machen. Aber etwas wirklich besonderes war er doch erst dann, wenn man ihm auf die Schulter klopfte oder ihm die Hand gab, anstatt sie ihm zu küssen. Er war das, was alle bewunderten und verehrten. Dabei sahen die Menschen gar nicht, wie viel ihr eigenes Leben eigentlich wert war. Er hatte alles an Gold, Land, Ernte ... Er hatte nichts an Freundschaft, Ehrlichkeit, Wärme ... Er hatte einen Titel ... Er hatte keinen Namen ... Er war kein Mensch ... Er war nur der goldene Sklave des Volkes ... „Trübsal blasen bringt auch nichts. Das macht es nicht besser“ beschloss er laut zu sich selbst und fand sich dann vor einer Aufgabe wieder, die er so noch niemals bewältigen musste. Er musste sich alleine anziehen. Ihm war bis jetzt niemals aufgefallen, was das bedeutete, aber plötzlich musste er das ganz selbstständig machen - er d u r f t e es ganz selbstständig machen. Im Palast legte man ihm die Gewänder bereit, streifte sie ihm über, kämmte ihm das Haar, während man seine Füße mit Ölen einrieb. Selbst wenn sie auf einer Wüstenreise waren, legten Faari und Penu ihm zumindest seine sauberen Kleider zurecht, damit er das richtige Gewand trug und es nur noch überziehen musste. Er machte niemals etwas selbst, es war verpönt und gehörte nicht zu seinem Titel. Aber jetzt trat er vor die große Kiste, auf die der lustige Kima gedeutet hatte. Er öffnete den schweren Deckel und schob ihn mit schabenden Scharnieren so kräftig bis er offen war und stabil gegen die Wand gelehnt offen stehen blieb. Darin entdeckte er dreierlei Farben. Weiß, lachsfarben und rot. Weiß trug er als Pharao. Es war die Farbe der Macht, der Reinheit und der Königlichkeit, der Heiligkeit. Die meisten Gewänder der Ägypter waren hell, aber sie waren niemals weiß. Sie waren hellgrau, beige oder sandfarben, manchmal fast ausgeblichen. Doch so weiß wie Wolken waren nur seine Gewänder. Die Hohepriester trugen auch weiß, aber sie trugen immer eine Kordel in einer dunklen Farbe um die Hüften. Die Hohepriester waren seiner Heiligkeit am nächsten, aber sie waren niemals so rein wie er. Lachsfarben war sein Alltagsgewand. Es schillerte ein wenig und es war mit Gold besetzt. Dazu gehörte immer auch ein Halsgeschmeide und eine Schürze aus kleinen Zöpfen, welche tanzend an den Hüften herunterbaumelten. Sein Alltagsgewand mochte er am liebsten, denn es kam dem seiner Bürger sehr nahe. Damit fühlte er sich selbst nicht so machteinflößend. Doch rot hatte er bisher noch niemals getragen. Es war dasselbe Rot, welches die Menschen hier alle trugen. Die Farbe des Tempels. Er nahm das Gewand langsam heraus und sah, wie wundervoll es geschneidert war. Es war so lang, dass es ihm bis zu den Füßen reichen musste. Schlicht war es wie alles hier. Ärmel hatte es keine und einen großzügigen Halsausschnitt. Oben herum würde es eng anliegen und kaum schützen, aber unten herum würde es luftig sein und alles verbergen. Das einzige, was dieses von den anderen Priestergewändern unterschied, waren die goldenen Applikationen. Der Saum war mit Blattgold benäht und die Sandalen dazu waren aus hellem Leder, anstatt aus rotem. Und dazu ein Tuch, welches um den Kopf geknotet wurde und eigentlich die Krone halten sollte, aber sonst auch gut dafür war, dass einem die Haare nicht ins Gesicht hingen. Das hier gefiel ihm sofort. Es war etwas, was alle trugen - mal von den kleinen Unterschieden abgesehen. Aber es war dem der meisten Menschen hier so ähnlich. Und er durfte es wirklich tragen. Es war eines Königs gedacht und es verband ihn mit diesem Wüstentempel, der eines seiner vielen Zuhauses war. Schnell streifte er sich sein Schlafgewand herunter und ließ es achtlos auf dem Boden liegen, die Diener würden es später für die nächste Nacht austauschen. Er nahm den roten Stoff in die Höhe und ließ ihn langsam über seinen Kopf den ganzen Körper hinuntergleiten. Das Gewand war dünner als gedacht und als es seine Brust umfing, war er verwundert, dass es wirklich so eng anlag, wie er vermutet hatte und es war fast etwas schwierig, als er es etwas kräftiger hinabziehen musste. Erst ab den Hüften bekam er etwas mehr Spielraum, genauso viel wie er auch in seinen kurzen Alltagsgewändern hatte. Aber es fühlte sich schön an, wenn er etwas Langes trug und er hatte das Gefühl, diese Kleidung würde ihn noch ein Stück wachsen lassen. Er nahm das Kopftuch aus dem gleichen dunkelroten Stoff und band es sich über die Haare. Vorne an der Stirn stand in drei goldenen Schriftzeichen des Name des Amun, seines Schutzgottes. So wies es ihn aus, ohne dass es seine Krone dazu tragen musste. Er fühlte sich gut so. So leicht. So uniform. So zugehörig. >Ob Seth auch so ein rotes Gewand trägt? ..... Seth .....< Wieder überkam ihn der Gedanke und ließ sein Herz zusammenzucken. Sein Seth ... vielleicht wusste er schon, dass er hier war? Vielleicht wartete er nur darauf, dass er endlich aus seinem Zimmer kam und sich zeigte? Vielleicht war er ja schon vor der Tür? Mit diesem Gedanken ... ja, jetzt musste er sich beeilen! Schnell schlüpfte er in seine feinen Ledersandalen, band sie sich an den Beinen bis zu den Knien hinauf und ließ das rote Gewand dann wieder darüber fallen. Schnurstracks schritt er auf die Tür zu, öffnete sie dann etwas langsamer, behutsamer und sah erst etwas vorsichtig hinaus. Hier oben war niemand. Er schlief im mittleren Turm, dessen Kuppel vom Zeichen des Pharaos geziert wurde und hier hatte mit seiner Anwesenheit kaum jemand Zugang. Enttäuschung machte sich breit als er hinaustrat und keinen Seth sah, der hier in freudiger Erwartung stand und ihm in die Arme fiel. Nur der leere Flur. Rechts entlang ein schmales Fenster mit Blick nach draußen. Links von ihm eine weitere Tür, welche die Treppe hinunterführte. In der Mitte ein roter Bastteppich, welcher dem großen Flur die Gradlinigkeit und Schlichtheit gab, damit es hier in so einfacher Eleganz erstrahlte wie überall im Tempel. Er seufzte tief und ließ den Kopf einen Moment hängen. Was hatte er denn erwartet? Dass sein Seth hier draußen stand mit einem großen Blumenstrauß und ihn willkommen hieß? Ihn zur Begrüßung küsste und aus seiner Umarmung nie mehr entließ? Ja, so hatte er es wünschen wollen. Aber das Leben war nun mal nicht immer so, wie man es sich wünschte. Gerade ein König wusste das besser als jeder andere. ... doch Seth war hier irgendwo. Irgendwo hier lief er herum und heute würde er zum Priester geweiht werden. Heute würde sich endlich sein Traum erfüllen und sein König, sein Gönner, sein Schützer würde bei ihm sein. Nicht nur in Gedanken, sondern auch mit seinem Herzen - dem seinen ganz nahe. Vielleicht würde er ihn auch vorher schon sehen können? Vielleicht könnten sie ein paar Worte miteinander wechseln? Vielleicht sich nach so vielen Jahren des schriftlichen Kontaktes endlich in die Arme schließen? Sie würden sich an den Händen halten, wie damals in jener Nacht. Wie damals als seine Augen das erste Mal ein kurzes Leuchten zeigten. Wie damals als er das Herz des Pharaos bewegte. Als er seinen Namen aussprach. Als er den leichten Vorhang zur Seite zog, welcher die Tür verbarg, so sah er diese offen stehen. Draußen zwei Priester in demselben Rot gekleidet, welche auf ihn gewartet hatten und nun tief vor ihm in die Knie gingen, bevor er ihr Gesicht erkennen konnte. „Mein Pharao“ erbrachten sie beide im Chor. „Bitte steht auf“ bat er und wie befohlen kamen sie wieder auf die Beine. Der Priester zu seiner rechten war recht klein und rund. Der Priester zur linken Seite war nur wenig größer als er selbst und lächelte ihn an, als würde vor ihm ein Topf Gold liegen. „Es ist uns eine Ehre, Euch Daheim willkommen heißen zu dürfen“ lächelte er mit einem hellen Ausdruck. „Mein Name ist Shabatarka Tharhaka und dies ist Necho“ zeigte er auch auf den kleinen Dicken. „Wir möchten Euch gerne durch den Tempel führen, wenn Ihr daran Freude fändet. Und danach möchten wir Euch gerne zu einem Mahl einladen, welches unser Hohepriester Chaba Djedef Re dann mit Euch einnehmen wird. Oder habt Ihr vielleicht ein bestimmtes Interesse, welches wir Euch erfüllen dürfen?“ „Ja, das habe ich wirklich“ antwortete er freundlich und bestimmt wie es ihm seine königliche Art gebot. „Ich möchte bitte allein durch den Tempel streifen. Lasst mich bitte selbst erkunden, was hier an schönen Dingen auf mich wartet.“ Zeit und Lust auf trockenen Smalltalk hatte er gerade nicht besonders. Sicher wäre es höflicher gewesen, aber er musste jetzt alleine sein. Alleine mit seinem pochenden Herzen. Irgendwo hier lief sein verbotener Göttertraum die Flure entlang ... und er wollte ihn finden. Mit ihm alleine sein, wenn er ihn fand. Er musste Seth suchen. „... Majestät?“ Dem konnten die beiden scheinbar spontan nicht folgen und blickten erst ihn, dann sich gegenseitig verwirrt an. „Wenn ich etwas brauche, weiß ich ja, wo ich euch finden kann. Ich danke dir für dein Angebot Shabatarka Tharhaka und für deine Mühen Necho.“ Er ging zwischen den beiden hindurch, welche sich einfach noch mal verneigten und ihm dann nicht weiter folgten. Ihr Pharao hatte nicht nur das letzte Wort, sondern auch die Freiheit zu tun, was ihm beliebte. Und wenn er nun lieber alleine weitergehen würde, so durfte man ihm das nicht verweigern. Schließlich war dieser Tempel sein Grund und Boden und alle Menschen hier durften nur mit seiner grundeigenen Güte verweilen. Er ließ die beiden also oben stehen und schritt selbst ein Stück die Wendeltreppe hinunter, bis er wieder an einem kleinen Flur ankam, der dem seinen im obersten Stockwerk baugleich war. Jedoch gingen hier mehrere Türen ab, welche erforscht werden wollten. Er ging den gefegten Boden entlang und ließ seine Schritte über den Stein hallen, bis er an der ersten Tür hielt und sie öffnete. Darin lag ein Zimmer. Es stand ein Bett am rechten Rande, es gab einen Tisch, Kleidung hing an Haken und eine Schale mit Räucherwerk brannte auf einem steinernen, feuerfesten Untergrund langsam ab. Anscheinend wohnte hier jemand. Sicher jemand, der eine sehr hohe Stellung innehatte, wenn er direkt unter den Räumen des Pharaos sein durfte. Er schloss die Tür wieder, ohne die Kammer betreten zu haben. Einen Moment lang zögerte er, weiterzugehen. Eigentlich wusste er hinter keiner Tür, was ihn erwartete. Im besten Falle war es ein leerer Wohnraum wie dieser und im schlimmsten Falle überraschte er jemand bei der Körperwäsche. Er wusste doch gar nicht, was hier war, wer hier war. Natürlich durfte er jeden Raum betreten, aber das hier war nicht nur sein Eigentum, sondern auch der private Lebensraum einiger Menschen. Und auch wenn er ein König war, so akzeptierte er doch die Privatsphäre anderer. Er kannte es selbst zu gut, wenn man keinen Funken Privatheit vergönnt bekam. In jedem seiner Räume standen immer auch Diener, die es gut mit ihm meinten, aber wirklich privat konnte er niemals sein. Und wenn er es doch war, so entstanden schnell Gerüchte darum, was er wohl so alleine treiben würde. Der König war eine Person, welche allen Menschen gehörte ... ... und niemals zu ihnen gehörte. Alle mussten immer alles über ihn wissen. Wie er sein Brot aß, wie oft er sich die Haare kämmte, ob er ein ausgefülltes Sexualleben hatte, wie oft er sein Gewand wechselte, wie oft er sich wusch, wann er las, wie er sprach ... einfach alles. Er war kein Mensch ... Er war ein Objekt ... Der goldene Sklave des Volkes ... Wie viel hatte er doch mit seinem Seth gemeinsam. Auch Seth war behandelt worden wie ein Objekt, erzogen, überwacht und gesteuert. Jedoch hatte Seth, anders als der König, keinen Rahmen, in dem er selbst entscheiden durfte. Der König durfte befehlen, wann er was zu tun gedachte und es lag in seinem eigenen Ermessen, ob die Menschen ein gutes oder ein schlechtes Urteil über ihn fällten. Es lag in seinem Ermessen, ob er Ägypten zu Wohlstand und Ansehen führte oder nur seiner eigenen Lust frönte. Seth hatte diese Entscheidungsfreiheit nie gehabt, er war nur eine Figur in einem Spiel mit dem Pharao gewesen, welches andere Leute mit ihm spielten. Doch auch wenn ihn dieser Gedanke traurig stimmte, so musste er doch lächeln. Jetzt war Seth kein Sklave mehr. Sein Pharao, der ihn wie einen Spielstein bewegen sollte, hatte ihn aus dem Spiel herausgenommen und ihm einen eigenen Rahmen gegeben. Er hatte den Sklaven aus dem Käfig befreit und noch heute würde sein Lustobjekt zum heiligen Mann werden. Er würde aus dem Dreck der Straßen ins Licht emporsteigen, dort wo ein verbotener Traum wie er Zuhause sein sollte. Und sein König? Der menschliche König? Er würde zu ihm aufsehen und sich an ihm freuen. Aus der Ferne ... ... mit dem Herzen ganz nah ... ... mit seinem sehnsüchtigen, schmerzlich pochenden Herzen ... Kapitel 13: ------------ Kapitel 13 Nur wenige Stunden später war hell aufgeregtes Treiben im roten Tempel. Die Menschen liefen umher, um noch schnell die letzten Dinge vorzubereiten - nicht nur für das große Fest zu Ehren des Imhotep, sondern auch für die angesetzte Weihe, welche wohl auch immer etwas besonderes war. Denn wann wurde schon mal ein so junger Schüler nach so wenigen Jahren zum vollen Priester erhoben? Es wurden Speisen von einem Ort zum anderen getragen, die Bewohner hatten sich zurechtgemacht und ihre schillernsten Gewänder angezogen, man hatte sich feierlich geschminkt und den großen Platz vor dem Wüstentempel festlich geschmückt. Atemu währenddessen hatte seine kleine, private Besichtigung durch die vielen Korridore, Plätze, Säle und Räume schon nach einer kurzen Weile beendet, da er es einfach nicht schaffte, ungestört zu sein. Ständig lief ihm jemand über den Weg und obwohl er einen anderen Befehl erlassen hatte, so kniete man doch vor ihm nieder, bot ihm Hilfe und Geleit an. Sicher war das immer nur gastfreundlich und ehrerbietig gemeint, jedoch machte es das freie Laufen doch recht schwierig. Gut, sein Befehl wurde wohl weniger als Befehl, sondern eher als Bitte aufgefasst ... und außerdem: Wie konnte man ruhig bleiben, wenn man dem großen Pharao begegnete? Das Oberhaupt der Heiligkeit, der Herrscher über alle Menschen, den Eigner ganz Ägyptens? Natürlich wollte man ihm nahe sein und es ihm so angenehm wie nur irgend erdenklich machen ... aber damit polierten sie nur den goldenen Käfig, in dem er festsaß. Und der Pharao? Er ertrug es mit einem Lächeln, einen wohlwollenden Kopfnicken und zeigte Verständnis. Wenn er einem Gott begegnen würde, würde er sicher nicht anders handeln als die Menschen nun vor ihm. Es war doch verständlich ... So hatte er sich irgendwann vor der Nachmittagshitze zurückgezogen und sich einen möglichst stillen und kühlen Ort gesucht. In seinem Zimmer wollte er sich nicht einschließen. Er wollte die Menschen beobachten und vielleicht ... ja vielleicht auch einen ganz besonderen unter ihnen sehen, den er unter all den vielen bis jetzt noch nicht entdecken konnte. In der Empfangshalle des Hauptgebäudes war der Personenverkehr überschaubar gering, es war ruhig und kühl. Durch den Schatten und den dunkelroten Stein war es angenehm temperiert, während durch das weit geöffnete Tor die heiße Wüstenluft hereinfloss, sich abkühlte und nur als lauwarme Brise über seine Haut strich. Oben auf der Treppe schien wenig los zu sein, dort setzte er sich nieder, lehnte sich an eine der riesigen Steinsäulen, welche fast dieselbe Farbe wie sein königliches Tempelgewand zeigte, und blickte hinunter in die Halle, um ein wenig zu träumen. Ab und an liefen ein paar Jugendliche oder Frauen hindurch, um einander zu treffen oder einfach nur, um noch die letzten Reste für das Fest zu transportieren. Sie erblickten ihn nicht so weit oben auf der Treppe, fast mit der Säule verschmolzen mit einem Herzen so schwer, dass es mehr wog als all der Stein, aus welchem der Tempel gemauert ward. Sie hätten ihn hier sicher auch nicht erwartet und so beobachtete er die wenigen Passanten von der obersten Stufe herab, bis sie wieder vorbeigezogen waren. Priester hatte er schon seit einer Weile nicht mehr gesehen. Die waren wahrscheinlich alle zu beschäftigt. Draußen war mehr los und so hatte man hier genug Zeit, jeden Einzelnen genauer zu beäugen und das ohne, dass er sofort entdeckt wurde oder sich von der Menge irritieren ließ. Er konnte sie sehen ... ... aber sie sahen ihn nicht. Hier blickten sie nicht einmal zu ihm herauf. Sie vermuteten hier nicht jemanden wie ihn. Ob die Menschen hier schon den Blick für die Schönheit dieser Halle verloren hatten? An den Wänden war mit so viel Liebe zum Detail gemalt worden. Szenen aus dem alltäglichen Leben und aus dem Leben der Götter. Eine breite Wandbemalung zeigte Männer beim Ackerbau oder Frauen beim Weben. Verziert mit Gold und die bunten Farben auf dem hellen Naturstein wirkten so wunderbar erfrischend zwischen den dunkelroten Säulen und Balken hier. Während die Erzählungen über das alltägliche Leben der Menschen eher weiter unten beschrieben war, so fand man höher die schillernden Zeichnungen zu Ehren der Götter. Die Geschichte darüber wie Rah die Welt erschuf und später als Amun-Rah eine neue Gottheit wurde. Die Geschichte über Isis und Osiris, über Horus und natürlich auch über den hier vorherrschenden Gott Seth. Seinen liebsten Gott. Hier im Wüstentempel war an jeder Ecke ein Zeichen für ihn zu finden und nicht selten sah man die Menschen davor knien und sich in der Eile des täglichen Lebens einen Moment Zeit zum Gebet zu nehmen. Sie knieten einfach mitten im Treiben ihres Alltags nieder, schlossen die Augen, falteten die Hände und stiegen für einen Augenblick aus dem Leben aus. Natürlich waren auch die Zeichen des Sonnengottes häufig zu finden und die Zeichen des Pharaos waren über jede, wirklich über jede einzelne Tür gemalt worden. Der Sonnengott war das Leben, der Pharao der Verwalter des Lebens und ohne die Güte des Seth, würde der Tempel hier gar nicht stehen können. Doch hier in der Halle waren alle Gottheiten zu finden. Man hatte ja genug Platz, um sie mit bunten Farben zu ehren. Doch trotz der Fülle, wirkte der Saal noch immer sehr bescheiden und schlicht. Man hatte den tiefrotenroten und naturhellen Stein nicht überladen und die einfallende Sonne beschien auch immer nur einen bestimmten Teil. Wie eine Sonnenuhr wanderte sie hier hindurch und die Architekten mussten wahre Künstler gewesen sein, wenn sie auf solche großen Ideen kamen, die man erst wahrnahm, wenn man sich einen Moment Zeit ließ. Und wenn die Bewohner hier hindurchhuschten, sahen sie schon gar nicht mehr, wie wundervoll alles war. Für sie war diese schlichte Schönheit zur Normalität geworden. Niemand nahm sich einen Moment Zeit, um sich, so wie der Pharao, auf die oberste Stufe zu setzen und von oben herab auf die Gesamtheit zu blicken, sie zu bewundern und zu schätzen. Atemu seufzte etwas betrübt darüber. Die Bewohner hier wussten gar nicht mehr wirklich, was sie hatten. Aber das war typisch für jeden Menschen. Man ging mit offenen Augen durch die Welt, aber man sah kaum noch etwas. „Eile mit Weile“ hatte sein Vater ihn gelehrt. Und er gab sich Mühe, seine Lehren zu befolgen. Man sollte sich auch in der größten Hektik einen Moment Zeit nehmen, durchatmen und sich umblicken. Wie viel Schönheit entging den Menschen, wenn sie nur von einer Schönheit zur nächsten liefen? „Ach, schade.“ Diese Stimme ... DIESE STIMME!!! Seit Jahren hatte er sie nicht gehört und sie riss ihn sofort aus seiner philosophischen Träumerei heraus. Er würde diese Stimme unter millionen anderen wiedererkennen. Er hatte die Worte einer weiblichen Stimme „Du brauchst gar nicht erst zu fragen“ zwar am Rande wahrgenommen, aber nicht weiter gehört. Die Stimmen der wenigen Menschen hier hatte er ausgeblendet, aber diese eine schnitt ihm ins Herz, ließ es abermals zusammenzucken und sich an einem großen Klumpen Gefühle verschlucken. Diese Stimme ... Er blickte hinunter in die Halle, sein Herz schlug ein Mal so kräftig, dass es hätte laut donnern müssen und es wurde ihm davon schwindelig im Kopf. Da unten ... Da unten stand er. Obwohl er so weit fort war, war er jetzt doch näher als all die letzten Jahre. Seth ... Sein Seth. Er hatte noch immer diese hohe Statur, einen schlanken Körper. Er hatte sich kaum verändert, so schien es aus der Ferne. Sein Gesicht konnte er kaum erkennen, aber doch das erdige Glänzen seines Haares, das seidige Schimmern seiner gebräunten Haut. Er sah so wundervoll aus. Das lange, rote Gewand, wie es alle anderen hier trugen, stand ihm so ohne Gleichen. Allein sein göttergleicher Körper machte diese Uniform zu etwas Zauberhaftem, zu etwas Besonderem. Doch eines hatte sich verändert ... sein Gebärden. Er stand jetzt stolzer da. Schon früher hatte er diesen hohen Stand gehabt, den geraden Rücken und diese kräftige Schulterhaltung, aber irgendwie schien es jetzt, er wäre stolzer. Vor sieben Jahren stand er ein wenig geduckt, hatte den Kopf meist gesenkt und die Arme dicht am Körper. Jetzt aber schien er freier. Sein Haupt hoch erhoben, seine Schultern zurückgelegt, die Hände in die Hüften gestützt und ... ja ... es schien, er würde lächeln. Er war zu weit fort, um nähere Konturen zu erkennen, aber er schien ... zufrieden. Stolz und zufrieden. In seinem lähmenden Schock gefangen, überhörte er fast den leicht belustigten Satz der alten Dame, welche ihn von ihrem Raum aus durch ein Steinfenster in der Wand ansah. „Du hast deinen Brief doch erst vor ein paar Tagen losgeschickt. Erwartest du jetzt schon eine Antwort?“ „Na ja“ lächelte er, hob die Hand und kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf. „Ich dachte mir, man kann ja mal nachfragen.“ Und seine Stimme war so klar, so tief und so ... er klang so zufrieden und ruhig. Als hätte er hier endlich ein Zuhause gefunden. „Du bist mir doch wirklich einer, Seth“ lachte die alte Frau ihn herzlich an und strich sich eine Strähne ihres dunkelgrauen Haares aus der faltigen Stirn. „Denkst du, der gute Tratechp kann so schnell reiten? Da müsste er auf einem Sandsturm reiten, um heute schon wieder hier zu sein.“ „Na, das Temperament seines Pferdes gleicht ja auch einem Sandsturm“ lächelte Seth sie weiter an und seufzte dann aber etwas tiefer. „Aber wenn keine Post für mich gekommen ist ... tja, schade.“ „Du und deine Briefe“ schüttelte sie den Kopf. „Du weißt doch genau, dass ich dir sofort bescheid sage, wenn ein Brief aus dem Palast für dich eintrifft. Dein Bekannter scheint ja ein sehr treuer Schreiber zu sein. Ich mache jetzt schon seit Jahren die Tempelpost und die meisten Brieffreundschaften sind mit den Jahren abgeflaut. Aber du ... wie lange schreibt ihr euch jetzt schon? Seit du hier bist, oder?“ „Sieben lange Jahre“ antwortete er in einem ganz anderen Ton. Ein Ton, der so ruhig war, so in sich ruhend. Ja, er war zufrieden mit sich und der Welt. „So ein Bekannter im Palast kann manchmal sehr nützlich sein“ riet sie ihm mit einem neckisch erhobenen Finger. „Lass dir das gesagt sein. Solche Leute sollte man sich warm halten. Besonders wenn du jetzt Priester wirst, sind gute Beziehungen zum Palast unerlässlich.“ „Ich schreibe ihm aber nicht, weil ich mir davon etwas verspreche“ antwortet er ihr ganz ehrlich. „Ich habe ihm viel zu verdanken. Er hat mir geholfen als ich in großer Not war und ich mag es zu hören, wie es ihm geht. Ich möchte wissen, wann ich auch ihm vielleicht eines Tages helfen kann. Noch immer suche ich nach einer Gelegenheit, mich bei ihm zu revanchieren. Danach, mich zu bedanken - auch wenn er meinen Dank wahrscheinlich gar nicht nötig hat.“ „Das war ja auch nur ein Scherz“ meinte sie beleidigt. „Also wirklich, Seth, manchmal bist du so bitterernst, dass ich dich kaum wiedererkenne. Aber sag mal, was ganz anderes. Hast du schon gehört, dass der Pharao hier sein soll?“ „Ist deswegen solch ein Aufruhr?“ Nein, anscheinend hatte er das nicht gewusst. Er hörte sich so überrascht an ... so ... „Natürlich! Der Pharao wird sicher am Fest teilnehmen und er wird mit kritischen Augen den Gottesdienst ansehen. Wir wollen uns doch vor ihm nicht blamieren. Es soll alles ganz perfekt werden, damit es ihm wohlgefällt.“ „Hast du ihn schon gesehen?“ fragte er interessiert nach. Am liebsten wäre Atemu hinunter gerannt, hätte ihn begrüßt, in die Arme geschlossen ... ihn berührt ... ihn geküsst ... aber er konnte sich nicht bewegen. Seth zeigte wirklich Interesse an ihm, er fragte nach ihm ... das war ein unfassbares Glück! Ein Glück, welches ihn lähmte ... er konnte ihn sehen ... er konnte ihn hören ... er war ihm so nahe ... „Ich war ja bis eben hinten im Lager“ verneinte sie. „Aber Nidernah hat mir erzählt, er sei heute Mittag durch den Tempel gewandert. Er trug sein Tempelgewand und er soll wunderbar ausgesehen haben. Es heißt seine Haut sei so gleichmäßig und rein, seine Augen so klar und sein Lächeln soll so weich sein. Hach, ich würde was drum geben, wenn ich ihn mal sehen könnte. Er soll sogar hier in der Halle gewesen sein. Und ich dumme Kuh hab ihn nicht gesehen!“ „Er ist also hier“ wiederholte er leise und senkte nachdenklich den Kopf. Was er jetzt dachte, da hätte Atemu sein Königreich drum gegeben, um das zu erfahren. Ob er sich freute, ob er Angst hatte ... auch er schien niemandem etwas gesagt zu haben. Hatte niemandem gestanden, dass er ein verleugneter Sklave war, dem der König Schutz gewährte. Er hatte sein Geheimnis für sich behalten, beide hatten es für sich behalten. Auch wenn dieses Geheimnis kein schönes war, so war es doch etwas Gemeinsames. „Ich glaube, du bist ein Glückskind“ schwärmte die Alte. „Wenn der König am Gottesdienst teilnimmt, was er sicher tun wird, dann wird er auch deiner Weihe beiwohnen. Sonst werden nur Hohepriester vor dem Pharao geweiht, aber du könntest wirklich Glück haben. Wenn seine Augen bei der Weihe auf dir ruhen, steht deine Priesterschaft unter einem glücklichen Stern. Das Orakel hat also Recht gehabt, Seth!“ „Unser Pharao ist wirklich hier“ wiederholte er noch mal glücklich, stellte sich gerade hin und strahlte die Alte an. „Das ist natürlich viel besser als Post.“ „Na siehst du, dann bist du ja getröstet“ lachte sie. „Aber du solltest dich doch jetzt wirklich umziehen, oder nicht? Wundert mich eh, dass sie dich aus deiner Kammer herausgelassen haben. Sollst du nicht eigentlich den ganzen Tag Andacht halten?“ „Ich hab schon gestern Abend mit meiner Andacht begonnen“ entschuldigte er sich spaßhaft. „Und da dachte ich mir, ich hab dann wenigstens ein paar Minuten, um noch mal bei dir vorbeizuschauen.“ „Wegen deiner Briefe oder meinetwegen?“ schnippte sie. „Immer deinetwegen, liebste Sarima.“ Er nahm ihre Hand, deutete eine kleine Verbeugung an und küsste sie dann ganz leicht auf ihren Handrücken. „Du bist ein Frauenheld, Seth“ lachte sie, zog ihre Hand weg und winkte ihn geschmeichelt fort. „Und jetzt geh dich umziehen. Du willst doch nicht zu deiner eigenen Weihe zu spät kommen.“ „Nichts läge mir ferner. Und da der König persönlich gekommen ist, sollte ich vielleicht auch noch mal baden.“ „Du hast doch jetzt noch ganz feuchtes Haar“ meinte sie - das war etwas, was der Pharao von seinem fernen Beobachtungspunkt gar nicht erkennen konnte. Aber Seth mit feuchtem Haar ... er konnte es direkt vor sich sehen ... wie es ihm in die Stirn hing und es sich sicher gerne aus den Augen streichen ließ ... dazu die wasserroten Wangen ... sie krausen Lippen ... ihn nur ein Mal berühren ... „Noch mal ein Bad nehmen? Seth, ist das gut für deine Haut?“ „In Rosenöl. Der Pharao liebt Rosendüfte.“ „Was du wieder alles weißt“ staunte sie. „Aber er wird wohl kaum an dir schnuppern.“ „Trotzdem. Selbst wenn er mir nicht mal einen Blick schenkt, so kann ich doch wohl versuchen, ihm zu gefallen. Schließlich ist er unser Pharao und wir wollen alles zu seinem Wohlgefallen tun.“ „Da hast du wohl Recht“ nickte sie. „Dann geh mal in Rosenöl baden, du baldiger Priester.“ „Ich sehe dich dann auf dem Fest. Danke für das Gespräch, Sarima.“ Er verbeugte sich noch mal ein ganz klein wenig und eilte dann schnellen Schrittes aus der Halle. Wie weit er ausschreiten konnte mit seinen langen Beinen. Leider war unter dem Gewand nichts zu erkennen, aber er bewegte sich unglaublich schnell mit scheinbar so wenig Aufwand. So elegant, so edel. Wie ein Panther oder eine Katze. Und schon hatte er die wenigen Schritte bis zur Tür getan ... und war fort ... so schnell wie er gekommen war ... Und er wollte tatsächlich noch ein zweites Mal baden? Nur, um dem Pharao zu gefallen? Selbst wenn er ihm nicht mal einen Blick schenkt, hatte er gesagt ... glaubte er das wirklich? Dass sein Pharao ihn nach allem, was geschehen war, nicht einmal anblicken würde? Er würde ihn am liebsten in die Arme schließen und nie mehr fortlassen und er zweifelte an einem Blick? Konnte er wirklich denken, dass er ihn nicht gerne berührte? Wie gerne würde er seine weiche Haut spüren, die Muskeln darunter. Ihm durch sein weiches, feuchtes Haar streichen. Seine Lippen berühren. In seine tiefen Augen sehen und darin den Himmel erkennen ... „Das ist er also?“ Erschrocken drehte Atemu sich um und sah Fatil neben sich auf der Treppe sitzen. Dass er neben ihm war, hatte er gar nicht mitbekommen. „Musst du mich so erschrecken?“ atmete er durch, fasste sich an sein polterndes Herz musste sich mit einem noch mal viel tieferem Atmen beruhigen. Er hatte diese Begegnung noch gar nicht recht verarbeitet und schon wurde er so erschreckt. „Ich sitze schon eine ganze Weile neben Euch“ schaute Fatil ihn ruhig an. „Ihr habt wohl geträumt, mein König.“ „Ich habe nicht geträumt. Ich habe ... ähm ...“ „Geträumt“ nickte er und schaute denselben Weg in die Halle hinunter, wo bis eben noch der Traum seines Königs gestanden und gesprochen hatte. „Aber lasst Euch von mir einen Rat geben, mein Pharao. Wenn ihr ihn anseht, schließt bitte den Mund. Es muss ja nicht jeder Euren treudummen Ausdruck sehen.“ Hatte er wirklich den Mund offen stehen lassen? Oh ... wie peinlich. „So etwas geziemt sich nicht nur nicht, sondern es verrät Euch. Euer Blick, Eure Augen und dazu Eure völlige Abwesenheit. Ihr liebt diesen Mann, oder?“ „Das geht dich gar nichts an, Fatil“ antwortete er in einem dunklen Ton. „Hör endlich auf damit. Kümmere dich um deine eigenen Sachen.“ „Ihr seid meine eigenen Sachen“ meinte er ganz ehrlich. „Majestät, mir liegt an Eurem Glück. Aber wenn Ihr mich nur raten lasst, so kann ich Euch nicht helfen. Sagt mir, ist er der Sklave, den ihr damals erst gerettet und dann fortgeschickt habt? Ihr wollt ihn zum Priester machen?“ „Fatil bitte“ flüsterte er mit nötig unterdrückter Stimme. Entweder würde er gleich laut schreien oder in Tränen ausbrechen. Er konnte dieses wohlgehütete Geheimnis nicht verraten. Das wäre Verrat an seinem Versprechen - und an seiner Liebe. Verrat an der tiefsten Liebe, die jemals ein Wesen empfinden konnte. An einer Liebe, welche ihm als Geschenk und als Fluch von den Göttern auferlegt wurde. „Ihr seid Euch doch darüber bewusst, dass es einen Aufstand geben wird, wenn das hier rauskommt. Ihr riskiert einen Bürgerkrieg, wenn ihr die Stände unterwandert und infrage stellt. Ist er es wirklich wert, dass Ihr Ägypten dafür aufs Spiel setzt?“ „Ja, er ist es wert“ hauchte er leise. „Jeder Mensch ist es wert, dass man menschliche Normen infrage stellt.“ „Mein König, Euer Handeln ist gegen jedes Gesetz und gegen die Religion. Wie könnt Ihr jemanden in den heiligen Stand erheben, wenn er die Heiligkeit mit Füßen tritt? Wenn er unsere Religion vertreten soll, dann kann er dies doch nicht tun, indem er sich diesen Stand erschleicht. Das ist ein Widerspruch in sich selbst.“ „Du weißt überhaupt nichts, Fatil. Gar nichts weißt du. Hör auf, darüber zu sprechen. Ich lasse dich hinrichten, wenn du nicht endlich aufhörst! Hör auf! Bitte!“ „Aber ich weiß, dass Ihr ihn liebt“ eröffnete er und blickte seinen König traurig an, der sein Gesicht auch nur mit geschlossenen Augen auf gen Boden gerichtet hatte. „Ihr tut das hier nur, um ihn zu schützen. Um ihm ein Leben zu schenken, welches er nicht in der Gefangenschaft eines Sklaven fristen muss. Ich sehe, wie sehr Ihr Euch selbst dafür quält. Eure Sehnsucht ist Euch unerträglich und sie wird Euch in Stücke reißen, wenn Ihr weiter so handelt. Was mit diesem Sklaven wird, ist mir egal - aber Ihr seid mir nicht egal, mein König. Ihr seid mir wie ein Bruder und mich würde nichts mehr freuen, als dass Ihr Euer Glück findet.“ „Ein Glück, das allen Grundsätzen widerspricht und so viele Menschenleben in Gefahr bringt? Ein Glück, das einen Krieg zur Folge haben kann? Kann das wirklich Glück sein? Meine Liebe ist kein Glück ... sie ist ein Fluch, der mich gefangen hält.“ „Majestät, Ihr kanntet meine Mutter?“ fragte er leise. „Und ihr wisst auch, dass sie eine sehr weise Frau war? Sie hat mir einst gesagt: Lieber ein kurzes Leben in Liebe, als ein langes Leben in Leid. Ich sehe, Ihr wollt immer für alle das Beste. Ihr opfert Euch auf für Euer Volk, für alle Menschen. Nur Ihr selbst kommt dabei immer zu kurz. Ihr verteufelt die Ungerechtigkeit und doch tut Ihr Euch selbst so viel Unrecht. Mein König, ich liebe Euch und ich will, dass Ihr glücklich werdet. Doch mit diesem Sklaven weiß ich nicht, ob Ihr darauf Euer Glück bauen solltet.“ „Was soll ich denn machen, Fatil?“ Nur noch ein paar Worte mehr und er würde in Tränen aufgehen. Fatil hatte ja Recht mit allem, was er sagte - aber was sollte er denn tun? Weder der eine, noch der andere Weg war besser. „So viele Jahre sind vergangen und Ihr liebt ihn noch immer“ seufzte er und er tat etwas sehr ungewöhnliches. Er legte seinen Arm um den König, zog ihn zu sich und lehnte ihn an seine Schulter heran, falls er weinen wollte. „Ich gebe zu, ich verstehe Euch nicht“ fuhr er leise fort, damit auch ja kein Wort durch den Raum hallte und gehört wurde. „Ich kann weder verstehen, weshalb Ihr einen Mann liebt, noch dazu einen Sklaven. Noch, dass Ihr dafür Euren Thron und die Ordnung Ägyptens aufs Spiel setzt. Aber Ihr seid mir wie ein Bruder und ich weiß, dass in Euch ein reines, gutes Herz schlägt. Ich liebe Euch mehr, als ich Ägypten liebe. Und ich werde treu an Eurer Seite stehen mit all meiner Loyalität. Euer Geheimnis wird meine Lippen nicht verlassen, auch wenn ich es nicht gutheiße, was Ihr hier für ein Spiel treibt. Doch bitte seid Euch versichert, mein König, Ihr seid nicht mehr allein damit und ich will Euch mit meinem Leben schützen. Euer Glück ist mir heilig ... selbst wenn Ihr es in den Armen eines verleugneten Sklaven seht.“ „Fatil ...“ „Und deswegen nehmt Euch meinen Rat bitte zu Herzen. Wenn Ihr ihn schon anhimmelt, dann lasst wenigstens den Mund geschlossen“ lächelte er und buffte ihn freundschaftlich in die Seite. Und da musste auch der König für einen Augenblick ein wenig lächeln, bevor er seine Arme um ihn schlang und ein ergebenes „Danke“ an seine Schulter hauchte. Auch wenn Fatil ihm nicht viel helfen konnte, so war es doch gut zu wissen, dass er da war und auf ihn aufpasste. Es war gut, dass es endlich raus war, auch wenn er es von selbst niemals ausgesprochen hätte. Selbst wenn Fatil mit der Meinung seines Pharaos nicht übereinstimmte und ihn auch nicht verstehen konnte, so stand er dennoch an seiner Seite. Und solche Freunde waren mehr wert als ein Palast voller Gold. Es war die Stange seines Käfigs, auf welcher er als goldener Vogel saß ... Kapitel 14: ------------ Kapitel 14 Der König trug zum Gottesdienst sein heiliges Gewand. Ganz in weiß gehüllt, die teure Flügelkrone seines Vaters auf dem Haupt und seine Augen mit schwarzem Kohlestift bezeichnet, trat er durch die golden geschmückte Doppeltür herein und blickte in einen vergleichsweise kleinen, aber wunderschönen Gebetssaal. Vorne auf ein paar Stufen war der Altar aufgebaut, welcher mit bunten, in der Wüste sehr seltenen, Blumen geschmückt war und die Luft trug den Duft des frisch gebackenen Brotes durch den ganzen Raum, welcher sonst so schwer mit exotischen Gewürzen behangen war. Auch klares Wasser mit Perlen darin hatten sie dem heiligen Imhotep heute als Opfergaben gebracht. Die Priester knieten nieder, als der reich in Gold geschmückte Pharao den Saal betrat und senkten ihre Köpfe bis auf den Boden herab. Es war kein Mucks zu hören, nicht mal ein Husten. Und es würde sich auch keiner rühren, bevor der edle König an seinem Platz saß oder um Regung bat. Die einzigen, die sich rührten, waren die Kammerdiener, welche nach den rot steinernen Knäufen der Türen griffen und sie hinter sich zuzogen, während sie selbst rückwärts den Raum verließen. Nun waren hierin nur noch heilige Menschen. Das normale Volk blieb draußen und hier fanden sich nur noch die Priester ganz vorn in den Reihen und die Schüler ihres Grades nach dahinter, die Jüngsten ganz nahe nun zu Füßen ihres Königs. Es waren weniger als er gedacht hatte. Hier im Raum waren nur etwa vier Dutzend Männer und alle anderen Tempelbewohner wurden von der Messe ausgeschlossen. Sie waren wohl nur Kinder und Frauen, Diener und so weiter. Alles, was nicht Priester war oder werden wollte, wurde zu einem solchen Gottesdienst nicht geladen. Schade, denn dieser wunderbare Raum könnte eigentlich noch mehr fassen. Diese Schönheit hier sollte viel lieber jeder erblicken dürfen. Die Wände waren mit schlichten, geraden Verzierungen gemeißelt, welche die Zeichen der Götter und die Segenswünsche der Menschen erzählten. Mit Gold, Silber und Kupfer verziert, mit starken Farben hatten sich hier die damalig besten Künstler des Landes ereifert, welche heute alle schon tot waren. Doch ihr ewiges Werk war geblieben und würde sicher auch in Jahrtausenden noch stehen. Wenn nicht die helle Sonne, welche durch das mit Steinstreben verkuppelte Dach hereinschien, die wundervollen Bemalungen ausbleichen ließ. „Bitte erhebt euch“ bat der König, als er sich genug umgeblickt hatte. Es wurde noch gewartet bis sich der hier herrschende Hohepriester erhoben hatte, aufstand und mit einem Lächeln auf den König zuging, bevor sie alle ebenfalls die Köpfe hoeben und sich aufrecht hinsetzten. Faari, Penu und Fatil wichen von den Seiten des Königs und blieben hinter ihm stehen. Sie waren natürlich auch geladen, selbst wenn sie keine Priester waren. Aber sie waren die Wachen und die Vertrauten des Königs und in seiner direkten Gegenwart, konnte jeder zur Messe kommen. Der höchste aller Priester, Chaba Djedef Re, hatte sich sein langes, weißes Haar zu einem Zopf geflochten und strahlte seinen Pharao mit hellbraunen Augen an, als er bei ihm ankam und einen Kuss auf die gereichte Königshand andeutete. „Mein Pharao“ lächelte er, als er sich wieder gerade erhob und sich sein ebenfalls weißes Gewand zurückstrich. Heiliges Weiß - nur eben mit der Einschränkung, dass er ein rotes Tuch wie eine Schürze trug, um das geweihte Weiß des Königs nicht anzutasten. „Es ist uns eine Ehre, dass Ihr unserer Messe beiwohnt.“ „Gerne“ nickte er und er musste sich doch so sehr zurückhalten, seinen Blick nicht auffällig umherstreifen zu lassen. Mit den vielen gebeugten Rücken, die er eben sah, hatte er Seth nicht erkennen können. Aber jetzt musste er hier sein. Er war ganz sicher hier. Er konnte ihn spüren, sein Herz wurde zu ihm gezogen wie ein Durstender zum Brunnen. Er musste einfach hier sein ... von Angesicht zu Angesicht wollte er ihn sehen ... ihn berühren ... das Rosenöl riechen, in welchem er seinen traumhaften Körper gebadet hatte ... „Majestät, wenn Ihr erlaubt, begleite ich Euch zu Eurem Platz“ nickte Chaba Djedef Re ihm freundlich zu und streckte seine offene Hand nach vorne zum Altar, um ihm hilfreich den Weg zu weisen. „Ja, danke“ antwortete er so gefasst wie möglich und als er dann dem alten Hohepriester hinterherging, hatte er das Gefühl, seine Knie wären aus Dattelmus. Er musste aussehen als würde er eiern und doch lief er ganz geradeaus. Sein Herz schlug lauter mit jedem Schritt, den er tat. Das hier war alles so unwirklich ... Er musste hier sein. Ganz nah. Irgendwo hier in diesem Raum atmete er dieselbe Luft in diesem Moment. Er war hier! Und dann ... ... dann sah er ihn. Dort saß er auf einem kleinen Kissen, auf seine Knie gesunken wie alle anderen. Recht weit vorn in der zweiten Reihe, fast in der Mitte am Gang. Und er blickte ihn an. Seine blauen Augen so tief wie Ozeane und er ließ seinen Blick so ruhig auf seinem König ruhen, dass dem eine Gänsehaut trotz der Abendhitze überlief. Draußen färbte sich der Himmel bereits in ein göttliches Farbenspektakel und nun waren sie hier. Zusammen in einem Raum. Und Seth blickte ihn an. Hätte Fatil ihn nicht vorsichtig am Ärmel gegriffen und weitergeschoben, wäre er stehen geblieben, um ihn auch weiter anzusehen. Er könnte sofort losweinen, so glücklich war er. Sein ferner Blick aus der Halle hatte ihn nicht getäuscht. Seth sah blendend aus. Seine Haut hatte einen gesunden Farbton, seine Augen waren angefüllt mit Gefühlen, sein Haar fiel ihm locker in die Augen und seine schönen Hände waren fast völlig von dem langen, roten Gewand verborgen. Doch seine kräftigen Schultern wurden von einer weißen Schärpe geziert, welche sagte, dass er heute ein Heiliger werden würde. Und sein Pharao wäre bei ihm. Ganz nah ... so nahe er ihm sein konnte. „Seht nach vorne“ flüsterte Fatil hinter ihm und verwirrt aus seinem Tagtraum erwacht, wand er seinen verzauberten Blick sofort wieder nach vorne, wo er auch schon in der ersten Reihe ankam und direkt den zweiten Platz am Gang einnehmen durfte. Das golden gewebte Kissen war seines, alle anderen waren in schlichtem Rot gehalten, aber sein Sitzkissen war ein besonderes. Dort ließ er sich nieder und hätte zu gerne den Blick noch mal umgewand. Es war als könne er Seths Augen in seinem Rücken spüren. Er war so nah. Nicht ganz zehn Meter entfernt. Wenn es noch ruhiger wurde, könnte er ihn atmen hören. Er setzte sich auf sein Kissen nieder, Chaba Djedef Re zu seiner linken, Fatil zu seiner rechten Seite. Die Messe begann, als einer der anwesenden Priester ein Lobeslied auf den Ehrentag anstimmte und die Gemeinde an den richtigen Stellen mit einstimmte. Doch konzentrieren konnte er sich nicht auf das Lied. Zum Glück konnte er es auch blind auswendig, so wie er jedes heilige Lied kannte. Es gehörte zu seinen Pflichten, es zu kennen und so sang er es laut mit, weil genau das von ihm erwartet wurde. Doch seine Gedanken waren ganz woanders. Viel lieber würde er nun neben Seth sitzen, der sicher auch auf heißen Kohlen seine Weihe erwartete, so wie sein König den nächsten Blick auf ihn erwartete. Er war ihm so nahe und doch durfte er sich jetzt nicht umdrehen. Es würde zu sehr auffallen, wenn er neben all den Männern hier, ausgerechnet ihn ansehen würde. Ein König wand sich niemals nach jemandem um - die Menschen hatten vor ihn zu treten, wenn er sie sehen wollte. Doch dieses Bedürfnis danach, ihm einen Blick zu schenken, war so groß, dass es ihn schwindeln ließ. Wie ein Süchtiger, der seine Droge nicht bekam. Er war ihm so nahe, beim Singen konnte er seine dunkle, klare Stimme hören und wie gerne hätte er befohlen, dass alle außer ihm zu schweigen hatten! Und doch zog sich der Gottesdienst dahin wie zäher Ziegenkäse. Es wurden Lieder gesungen, ein Tieropfer in Form eines Lammes gebracht, es wurden Schriftrollen gelesen und eine Zeichnung fertiggestellt, welche über dem Altar gehisst wurde. Er nahm all die Bemühungen der Priester kaum wahr. Er hatte schon so viele Messen miterlebt und eine war wie die andere. Sicher unterschieden sich die Priester hier insofern von den anderen, dass sie engagierter waren und besser in dem, was sie taten. Sie lasen interessanter, man hörte ihnen gerne zu. Die Lieder waren wohl ausgesucht und wurden mit einer Inbrunst gesungen, welche die Götter sicher stolz auf ihre Schöpfung machte. Doch das alles verblasste, wenn er durch das laute Singen auch nur einen einzigen Ton seines Seth hören konnte. Sein Seth. Sein wunderschöner Göttertraum. Der Mann, der das Gras unter seinen Füßen liebte. Der Mann, der seinen Namen ausgesprochen hatte. Der Mann, der den Wüstenhimmel in seinen Augen gefangen hielt. Sein Seth. Bis er sich endlich erhob und nach vorne trat. Der Höhepunkt der heutigen Ehrenmesse war seine Weihe. Sein großer Tag. Der Tag, an dem ein wertloser Sklave zu einem heiligen Mann wurde. Heute hatte sein Seth es geschafft. Er war ein neuer Mensch geworden und nannte ein neues Leben sein eigen. Und dieses eigene Leben schenkte er den Göttern, um einem höheren Zwecke zu dienen. Fatil achtete genau darauf, dass sein König nicht schon wieder den Mund offen stehen ließ, als sein Sklave nach vorne trat. Doch er sah ganz genau, wie seine Augen zu glänzen begannen, noch mehr als sie es seit heute Mittag schon taten. Oder lag es einfach daran, dass sie sich mit Tränen füllten? Und doch lächelte er. Er hielt die Lippen beisammen und lächelte mit einem Ausdruck, den Fatil in all den Jahren noch niemals gesehen hatte. Seine Wangen färbten sich rot, seine Hände krallten sich ineinander fest, während er seinen goldenen Gürtel umschlungen hielt. Er kniete dort auf seinem Kissen und sah diesen Sklaven mit solch einem Gefallen an, dass es einem fast leid tat. Er liebte ihn so offensichtlich und doch musste er es verbergen. In all den Jahren hatte er die wahre Liebe in seinem Herzen unterdrückt und er unterdrückte sie noch. Er tat sich selbst damit weh, aber er rettete den Menschen, den er über alles liebte. Der König befreite seinen Sklaven, indem er schwieg. Er sah seinem verbotenen Traum zu, wie er sich vor den Altar kniete und alleine vor allen anderen eine stille Andacht hielt. Dieser Moment war nur für ihn allein. Für ihn und seine Götter, die es gut mit ihm meinten, nachdem sie ihn so schändlich verlassen hatten. Doch nun würden sie ihn annehmen und als treuen Diener anerkennen. Atemu beobachtete wie sich seine breiten Schultern beim Atmen hoben und wieder herabsenkten. Was für einen schönen Nacken er hatte, der unter seinem kurzen Haar nur halb verborgen lag. Wie gerne würde er diese Haare beiseite streichen und ihm die weiche Haut am Hals küssen. Ihn nur ein Mal berühren, ihn küssen, ihn spüren. Über seine Haut streichen und ihm die schönsten Worte sagen. Und er würde lächeln. Seine Wangen würden ein wenig erröten, wenn er den Kuss der königlichen Lippen empfing. Es würde ein Moment voller Zärtlichkeit sein. So voll der Liebe zwischen ihnen beiden. Wenn ihr Atem sich mischte und ihre Hände sich ineinander verschlangen. Wenn sie sich gemeinsam ihre Liebe gestanden und sich küssten. Sie könnten sich bis in alle Ewigkeit küssen und nie mehr loslassen. So wie sich ihre Hände in der Mondnacht damals nicht losgelassen hatten. Ob Seth diese Nacht auch etwas bedeutete? Ob er nicht auch daran dachte, wie glücklich sie zusammen sein könnten? Frei wie die Vögel im Wind und die Sonne auf ihrer Haut. Ihre verliebten Worte hallten durch die Luft und ihre ... „Majestät“ hörte er die mahnende Stimme seines Vertrauten neben sich flüstern und wand wie in Trance seinen Blick zu Fatil herum, welcher ihn mit seinen dunklen Augen besorgt ansah. „Ihr starrt“ teilte er schlicht mit und sah ihn weiter fest an. Beschämt und etwas betrübt senkte Atemu seinen Kopf und blickte seine Hände an, die sich an seinem goldenen Gürtel fast blutig gekrallt hatten. Es war nur ein Tagtraum gewesen. Ein Wunschtraum. Nur ein Traum. Mehr nicht. Und es würde niemals mehr sein dürfen als das. „Erhebe dich nun.“ Der Hohepriester weckte den König mit seiner ruhigen, aber starken Stimme und ließ ihn aufblicken. Vorne erhob sein Seth sich in den aufrechten Stand und sofort kamen zwei Priester, welche ihm mit einem leichten Handgriff das Gewand von den Schultern lösten und seinen Oberkörper entblößten. Wenn sein Herz jetzt noch schlug, so spürte der König es nicht mehr. Diese Haut war die reinste Sünde. So seidig weich, so glatt und eben. Die Muskeln darunter bewegten sich nur leicht und zu gerne würde er seine Hände darauf legen, um sie an seinen Handflächen zu spüren. Doch zum Träumen blieb ihm zu wenig Zeit, da sprach der alte Chaba Djedef Re mit seiner erhabenen Stimme deutlich weiter. „Du bist den Weg bis hierher gegangen und willst nun den Weg der Götter mit all deinem Sein verfolgen. Ist es dein freier Wille und deine Überzeugung, dass du hier vor den heiligen Augen unserer Götter stehst und darum bittest, ihnen dienen zu dürfen?“ „Ja, es ist mein freier Wille und meine Überzeugung.“ Wie deutlich er das sagte. Wie entschlossen er klang. Früher hatte er niemals einen eigenen Willen gehabt. Er hatte kaum noch eine Seele, keine Wünsche, keinen Namen. Und nun entschied er etwas aus freiem Willen heraus. Erst als Fatil dem König unbemerkt eine Träne fortwischte, bemerkte der, dass er weinte. Er war so ergriffen von dem Moment, dass er es aus seinem eigenen, freien Willen tat - dass er überhaupt endlich einen Willen hatte. Dass er nun seiner Gefangenschaft entkam und seinen Traum verwirklichte. Der Traum danach, den Weg seines Vaters weiterzugehen und in der Wüste irgendwann Gras zu pflanzen. „Bitte beherrscht Euch“ hauchte Fatil ihm zu und tarnte seine Aktion damit, dass er dem König die vorgeblich verrutschte Krone gerade rückte, damit niemand sah, wie abnormal die Majestät sich verhielt. Doch ohne sich stören zu lassen, sprach der Hohepriester feierlich weiter, um endlich die Weihe zu vollziehen. „Welchen Namen willst du vor unseren Göttern tragen?“ fragte er mit diesem tief rituellen Ton und schaute mit ganz eigenem Stolz auf seinen besten Schüler, den er jemals bis zum Priester weihen durfte. „Seth Chuanch1 Amun Sanacht“ antwortete er klar und deutlich in den Worten, die er sich so lange so wohl überlegt hatte. Den Amun wollte er in seinem Namen, um seinem Pharao auf ewig zu danken, dass er ihm dieses neue Leben schenkte. „Seth Chuanch Amun Sanacht“ wiederholte er klar und deutlich und konnte sich ein zufriedenes Lächeln wohl einfach nicht verkneifen. „Welcher unter dem Schutz des Amun zu seiner Ehre erblüht“ übersetzte er für alle anderen diese alten Worte, die sie eigentlich selbst auch gut kannten. Das war wirklich ein seltenschöner Name, den er sich da ausgesucht hatte. Seth Chuanch Amun Sanacht. Für seinen Pharao. Seth. Welcher im Schutz erblühte. Unter Amun. Zu seiner Ehre. Als Dank wollte er unter seinem Schutz zu seiner Ehre erblühen. Er hatte nicht gelogen als er schrieb, er wolle ihm auf versteckte Weise huldigen. Und er hatte Wort gehalten. Er suchte sich einen Namen, den man beim Pharao als Heiligkeit nicht aussprechen durfte. Auf seinem Rücken würde er diese Heiligkeit in die Welt hinaustragen. Und vielleicht mit dessen verborgener Liebe auch die Menschlichkeit des Pharaos, welche ihm zuteil geworden war und es noch immer wurde, solange er sein dunkles Geheimnis bewahrte. „Dann knie nieder vor dem großen Amun, der dich zu seinem Diener macht und ehre das Feuer des Rah, welches dein Herz und deinen Körper erschaffen hat.“ Sollte genau heißen, jetzt war es soweit. Augen zu und durch. Atemu konnte es kaum mit ansehen. Er hatte schon einmal vor Jahren eine Priesterweihe gesehen, damals als sein Vater noch neben ihm saß. Damals war einer der Hohepriester geweiht worden, welcher sich auch einen Namen geben ließ, um seine Priesterschaft an einen bestimmten Gott zu binden. Er erinnerte nicht mehr, wann genau es gewesen war, aber er erinnerte noch genau, wie erschrocken er war als seine kindlichen Augen diese heilige Zeremonie erblickten. Und bei dem Gedanken, dass Seth sich demselben Ritual unterzog, wurde ihm ganz anders. Sein Seth, sein verbotener Traum, kniete vor dem großen Altar nieder, während der alte Hohepriester seine Hand mit einem weißen Tuch umwickelte und einen kleinen Eisenknüppel aus der Feuerschale hob. Seine Spitze glühte pulsierend rotgelb, so heiß war das Eisen. An seinem Ende erkannte man nur aus nächster Nähe, dass an seinem Ende ein Zeichen graviert war. Unpassenderweise erinnerte es den König ein wenig daran, dass auch Bauern ihr Vieh auf solche Weise brandmarkten, um sie als ihr Eigentum auszuweisen. Und nun ließ Seth sich das Zeichen des großen Amun auf die Schulter brennen, um es ein Leben lang mit sich zu tragen. „Im Namen des Amun seiest du zu seinem Diener geweiht. Das lebensspendende Feuer des Rah soll dich mit ihm verbinden.“ Und als Seth ergeben sein Haupt senkte, die Augen schloss und die Handflächen wie zum Gebet aneinander legte, sprach er mit völlig ruhiger Stimme. „Dem Amun gilt mein Herz, meine Ehre und meine Loyalität. Ich will ihm immer treu dienen, in seinem Namen die heiligen Gebote befolgen mit meinem Körper und meiner Seele und das Wort des fleischgewordenen Gottessohnes, dem gesegneten Pharao, wie sein eigenes empfangen. Ich gelobe der Krone Ägyptens und meinem Tempel Ehre zu bringen und zu verteidigen vor allen Feinden. Ich will den Namen Seth Chuanch Amun Sanacht über meinem Haupt tragen, zum Wohlgefallen und zur Ehre unserer heiligen Götter, des Amun und des Pharaos. Ich gelobe.“ „So erwache denn“ sprach der Alte und hielt das glühende Eisen gegen die so unversehrte Schulter, wo es in lautes Zischen aufging und der gebrandmarkte doch keinen einzigen Ton des Leides hervorbrachte. „Seth Chuanch Amun Sanacht.“ Es klang wie eine neue Taufe und er drückte den glühenden Knüppel gegen sein zartes Fleisch, während er ihn laut beim Namen rief, um ihn vor den Göttern, dem Amun und dem Pharao als Priester erwachen zu lassen. Doch sobald er den vierteiligen Titel zuende gesprochen hatte, nahm er das Eisen sogleich wieder hinfort und legte es zurück ins Feuer. „Sei uns willkommen in der Gemeinschaft aller ägyptischer Priester, Diener des Amun, der du zu seiner Ehre unter seinem Schutz erblühen mögest. Sei uns willkommen.“ Noch während Seth sich erhob, eilten sofort zwei Priester herbei und versorgten seine schmerzende und blutende Wunde, welche sicher bald vernarben und das Zeichen des Amun preisgeben würde. Nur durfte es sich jetzt nicht entzünden und ihn krank machen. Deshalb wurde sofort ein in heilende Salben getauchtes Tuch auf die geschundene Haut gelegt und mit einem langen, wunderbar bunt verziertem Tuch fixiert. Er hatte sich erhoben, drehte sich um, während ihm alsgleich ein neues Priestergewand gegeben wurde, welches jetzt kaum noch so schlicht rot wie das eines Schülers war, sondern so überwiegend hell wie die Gewänder der anderen Priester zu diesem Ehrentage. Die Ärmel und die Schultern waren noch in dunklem Rot gehalten, und die Nähte nur mit weißem Stoff besetzt. Aus demselben Stoff, welcher auch die Vorder- und Rückfront des Oberteils ausmachte. So trug er die Farben des Tempels, ebenso wie die heilige Farbe Weiß zu Ehren der Götter und des Pharaos. Aber das bemerkte Atemu kaum noch, als er in seine leuchtend blauen Augen blickte. Dort fand er keinen Schmerz mehr, keine Leere, kein Leid. Helles Strahlen erfüllte diese gesegneten Saphire und ob sein stolz glückliches Lächeln ritualskonform war, war ja letztlich auch egal. Er sah so glücklich aus, obwohl er sicher große Schmerzen hatte. Doch dieser Schmerz war anders als alle zuvor da gewesenen. Dieser Schmerz erinnerte ihn daran, dass er nun jemand anderes war. Er war nicht mehr der namenlose Lustsklave, dessen Wesen nur von den Wünschen seines Herren erfüllt werden sollte. Nein. Jetzt war er Seth Chuanch Amun Sanacht. Er hatte einen Namen, er war geheiligt und in der Gesellschaftskaste, welche dem Pharao direkt unterstellt war. Von ganz unten bis ganz nach oben. Mit Hilfe des heiligen Pharaos, welcher für ihn hatte Gnade und Menschlichkeit walten lassen. Dank des Pharaos, der ihn schützte entgegen aller Gebote. Der ihn den Weg seines Vaters gehen ließ. Einst wandelte er auf dem Gras des Palastes und griff nach der Hand des Königs. Heute wandelte er auf heiligem Boden und griff nach der Hand der Götter. Und sein erster Blick galt dem Pharao, der ihm mit stolzen Tränen begegnete. 1Chuanch spricht sich Tschu-ank Kapitel 15: ------------ Kapitel 15 Auch wenn es nicht üblich war, so hätte er dem jüngsten Priester des Reiches doch gerne persönlich gratuliert, ihm ein paar Worte geschenkt ... einen Blick. Doch stattdessen war er sofort von den anwesenden Priestern beschlagnahmt worden, beglückwünscht und hinausgezerrt, wo schon lauter andere Menschen auf ihn warteten. Es wurde laut gejubelt und geklatscht, als die dicken Steintüren sich öffneten und alle Außengebliebenen den neuen Priester mit neuem Namen im neuen Gewand erblicken durften. Er wurde sofort in ihre Gemeinschaft genommen und unter Lachen, Singen und Tanzen zum Festplatz begleitet, wo bereits die ersten Menschen am feiern waren und nur noch auf die Horde der Priester gewartet hatten, um das wahre Fest zu begehen. Und der Pharao seufzte tief und fühlte sich irgendwie verlassen. Natürlich war noch immer der freundliche Hohepriester an seiner Seite und gab ihm ebenso Geleit wie ein paar andere hohe Männer des Tempels, von denen letztlich aber nur zwei weitere Priester blieben und ihm Gesellschaft leisteten. Außerdem waren seine drei Gefolgsleute bei ihm und es wurde im Allgemeinen ein wenig Smalltalk nach der heiligen Messe gehalten. Auch er wurde an einen Tisch begleitet, der jedoch nicht wie alle anderen war, sondern reicher geschmückt, mit edleren Sitzkissen belegt, während alle anderen Leute auf dem Boden sitzen mussten. Aber sitzen tat eh kaum jemand, denn jetzt wurde gefeiert. Den ganzen Tag über hatten die Frauen hart an den Vorbereitungen geholfen und die Priester Andacht gehalten. Jetzt war die Sonne untergegangen und mit den ersten Sternen, erklangen auch die ersten Lieder. Am Rande des Festplatzes brannten hohe Lagerfeuer, es hingen Girlanden gespannt, Tische mit Speisen und Getränken waren aufgebaut und Plätze zum Verweilen gegeben. Entweder tanzte man zu den Klängen der Musikanten oder man saß mit Freunden zusammen und hob den Becher auf alles, was man feiern konnte. Der Tisch des Pharaos war ein wenig am Rande auf einem wohl extra flach aufgeschütteten Hügel. Sicher war es dazu gedacht, um dem König einen guten Blick über das Fest zu geben und ihn nicht ganz im Trubel speisen zu lassen, aber der Mensch im Pharao fühlte sich dabei nur ausgeschlossen und wie auf den Präsentierteller gestellt. Er war es gewohnt, dass man ihn ansah, ihn bewunderte und beobachtete, was er tat. Doch viel eher sehnte er sich danach, unter der tanzenden, singenden und trinkenden Meute zu sein und diesen Ehrentag mit einem rauschenden Fest ausklingen zu lassen. Doch wie bei jedem Fest, waren dieses keine freien, sondern Arbeitsstunden. Er saß mit dem Hohepriester und seinen sieben Mannen gemeinsam an einem Tisch und sprach über Politik und andere schnöde Dinge. Sicher wollten sie ihn damit unterhalten, aber er hätte viel lieber getanzt und mit einem Freund in den Armen laut die Strophen der Lieder mitgesungen. So ging die Fröhlichkeit wieder an ihm vorbei, beachtete ihn nicht weiter, obwohl sie überall um ihn war. Man blickte ihn an, aber man sah ihn nicht. Und auch der Blick des Königs fing nicht das ein, was er noch viel lieber beobachtet hätte als die fröhliche Gesellschaft. Seit er mit den anderen fortgeschleift worden war, hatte er Seth nicht mehr gesehen. Als er dort oben so stand und ihn anblickte ... es war ihm, als wäre er in diesem Moment ganz bei ihm gewesen. Als würde dieser Moment nur für sie beide sein und kein anderer wäre noch da, um sie zu unterbrechen. Doch nur allzu schnell war der Moment verflogen und die kalte Wirklichkeit zurückgekommen, hatte seine Hoffnungen zerschlagen und sein Herz ein Mal mehr unerfüllt gelassen. Er hatte gehofft, er könnte Seth endlich ein persönliches Wort schenken, doch die Gelegenheit hatte er wohl verpasst. Heute Mittag hätte er ihn unten in der Halle lieber ansprechen sollen, anstatt ihn zu beobachten. In diesem Moment waren sie beinahe allein und sie hätten sich in den Arm nehmen können. Sie hätten sich geküsst, sich gestreichelt und Hand in Hand wären Sie geblieben, bis man sie trennte. So waren sie getrennt worden, bevor sie vereint waren. Die Gelegenheit nicht am Schopfe gepackt, verstreichen lassen und versäumt ... nun war er ihm entglitten und ließ sein Herz zusammengesunken allein zurück. Nun war er ein Priester und hatte den Schutz des Königs wohl nicht mehr allzu dringend nötig. Nun war er selbstständig und ... wo er wohl nun hingehen würde? Was er wohl vorhatte? Ob er auch diesen Abend ausgelassen mit seinen Freunden feierte oder ob ihn seine Schulter quälte? Ob er ... „Majestät?“ Die ebenmäßige Stimme weckte ihn und er drehte langsam den Kopf herum, als Chaba Djedef Re ihn ansprach. Er fixierte ihn mit seinen hellbraunen Augen und strich sich wohl ganz unbewusst über seinen prächtig weißen Bart. „Mein König, ist euch nicht wohl?“ fragte dann einer der anderen Priester, am anderen Ende des Tisches, dessen dunkelbraune Augen von dem Licht der Kerze schöner beschienen wurden als seine glänzende Glatze auf seinem runden Kopf. „Entschuldige, ich war einen Moment abgelenkt“ beschwichtigte er mit einem Lächeln aus seiner Standardkiste und es war ihm, als könne er Fatil leicht seufzen hören. Der saß direkt neben ihm, während Faari und Penu in der feiernden Meute herumliefen und es sich auf Geheiß des Königs gut gehen ließen. Eigentlich hätten sie ihn diensthabend bewacht, aber hier würden wohl keine Attentäter lauern und so war ihr schlechtes Gewissen auch nicht ganz so schwer, wenn sie sich ein paar Meter von ihm entfernten und nur ab und an mal einen Blick zu ihm warfen und die Menschen um ihn herum prüften. Der Pharao hatte es ihnen ja geradezu befohlen, sich zu amüsieren, bevor sie bald weiterreisen wollten. Schließlich waren sie heutet Mittag auch nicht bei ihm ... doch Menschenmengen waren eigentlich immer gefährlicher. Wie auch immer. Außerdem war Fatil an seiner Seite und dessen Menschenkenntnis war nicht zu unterschätzen. Er würde es in Windeseile quasi erschnuppern können, wenn seinem König Gefahr drohte. Der Pharao drehte den Becher in seiner Hand und betrachtete die kleinen Edelsteine, welche an seinem Rande eingeschweißt waren. Selbst die Becher waren hier von höchster Kunst, obwohl der Tempel so rustikal erschien. Erst auf den zweiten Blick erkannte man immer mehr in und an diesem gigantischen Bau die feine Kunst, mit welcher hier errichtet und verschönert worden war. „Darf ich Euch noch etwas einschenken?“ Und noch ehe er antworten konnte, wurde ihm ein frischer Kelch mit neuem Wein gereicht. Ein Pharao trank niemals zwei Mal aus ein und demselben Becher und so hatte dieser doch erschreckend hager erscheinende Priester mit den Bohnenfingern und dem dünnen, langen Haar wohl hinter seinem Rücken einen ganzen Vorrat an Bechern, die er seinem König beim kleinsten Anzeichen nach Durst sofort vorsetzen konnte. Als König bedankte er sich nicht, sondern nippte nur an seinem neuen Kelch. Im Hintergrund hörte er eine Horde Frauen ausgelassen lachen und er musste doch leicht schmunzeln, als sie sich mit steigendem Weinpegel immer mehr im Ton versangen und schlimmer klangen als ein Esel beim Zitterspielen. „Feiert Ihr immer so ausgelassen?“ fragte Fatil, um das Gespräch nach dem Ausfall seines Königs durch Träumerei wieder in Gang zu kurbeln. „Nur, wenn auch etwas anliegt“ lächelte Chaba Djedef Re gutmütig. „Die Menschen feiern gerne, wenn es um Imhotep geht. Außerdem freuen sie sich unbändig mit Seth, den sie alle ins Herz geschlossen haben. Und selbstverständlich hat man wohl nie mehr die Gelegenheit, sich in der Anwesenheit des Pharaos sonnen zu dürfen.“ „Dabei ist es doch schon dunkel“ sollte wohl mehr ein Witz sein, als die trockene Feststellung, als welche der Pharao den Ton traf. Er blickte in den Himmel und sah millionen an Sternen ... und den Mond. Denselben hell leuchtenden Mond, welcher sich in jener Nacht in tiefblauen Saphiren gespiegelt hatte ... „In Eurem Licht kann man sich selbst in der dunkelsten Nacht sonnen“ erbrachte ein anderer Priester, welcher am anderen Ende des runden Tisches saß mit ganzer Freundlichkeit. >Speichellecker< schoss es dem Pharao durch den Kopf. Er wusste, dass es nur freundlich gemeint war, aber er hasste so etwas. Warum sprachen sie nicht mit ihm, wie mit einem normalen Menschen? Eine kleine Kritik, ein Witz auf seine Kosten wäre ihm tausend Mal lieber als diese ewigen Komplimente. „Bei diesem Horus braucht es keinen Pharao, um die Nacht zu erhellen“ lächelte er gespielt erfreut zurück und nippte noch ein Mal an seinem Kelch. Als Pharao trank man ständig Wein, aber betrinken sollte er sich lieber nicht. Er durfte alles ... und doch wieder nichts. „Habt Ihr Euch meine Anmerkungen durch den Kopf gehen lassen?“ „Anmerkungen?“ fragte er zurück zu Chaba Djedef Re und wusste ausnahmsweise wirklich mal nicht, was er nun meinte. „Die Schriftrolle, welche ich auf Euer Zimmer bringen ließ“ antwortete er geduldig. „Der König hatte noch keine Gelegenheit, sie zu lesen“ schmunzelte Fatil etwas belustigt und blitzt ihn aus seinen dunklen Augen an. „Er hat zu lange geschlafen heute Morgen, unser schnarchender Herr.“ „Fatil!“ rief er scheinbar eingeschnappt, aber doch etwas fröhlicher. Fatil war jemand, der wohl gerne mal einen Scherz auf ihn anhob. Genau wie Penu und Faari, die sich auch den ein oder anderen Freiraum herausnahmen. Diese kleinen Momente, in denen Atemu sich vorheucheln durfte, ein Mensch zu sein. „Ja, er ist Traumtänzer, unser aller Herrscher“ grinste Fatil und rempelte ihn freundschaftlich an. Sein König war traurig, das wusste er - aber das durften doch Dritte nicht merken. Der Pharao war perfekt und unfehlbar ohne einen Makel. So stand es geschrieben und so sollte es sein. „Was wolltest du denn von mir, Chaba?“ lachte der König ihn wirklich aufgeheitert an. „Es war nur eine Bitte an Euch“ nickte er dankbar. „Bitte belastet Euch jetzt nicht damit, es hat Zeit bis morgen.“ „Nein, schon in Ordnung“ bat er und schubste Fatil spaßhaft weg, als er schon wieder versuchte, seine Krone zu richten, welche ihm immer wieder in die Stirn rutschte und doch ein Stück zu groß war. Doch Atemu weigerte sich, sie verkleinern zu lassen. Es war die Krone seines Vaters und er trug sie in Gedenken an seine Weisheiten mit größtem Stolz. „Wenn ich mich jetzt damit befasse, muss ich es morgen nicht. Also, was möchtest du mir anmerken, Chaba?“ „Ihr m ü s s t gar nichts“ bat er mit erhobenen Händen. „Wirklich, lasst Euch nicht ...“ „Nun sag schon“ lächelte er wohlwollend. Der Hohepriester wusste, dass er ihn auch gar nicht anhören und seine Schriften nicht lesen musste - aber dieser Pharao ließ kein Wort ungehört oder ungelesen, wenn es so direkt an ihn gesprochen wurde. Das gehörte nicht nur zur Höflichkeit, sondern auch zu einer guten Regentschaft. „Ich habe Euch Eure Empfehlung zurück gegeben“ begann er dankend. „Ihr schicktet mir den jungen Seth damals mit einer Empfehlung, welche von Euch selbst unterschrieben war. Nun habe ich eine Empfehlung für ihn an Euch gestellt. Ich weiß, Ihr kennt ihn nicht, aber ich möchte Euch seine Dienste sehr ans Herz legen. Er ist mit Abstand der beste Schüler, den ich in den letzten Jahren hatte und sicher der jüngste Priester, den ich jemals hier geweiht habe. Er ist gewitzt, ausgesucht höflich, gebildet und auch in unseren Kampfkünsten ein Könner geworden. Er ist ein guter Priester und ich denke, er hat eine große Zukunft vor sich. Und ich als sein Mentor sehe es nicht nur als meine Pflicht, sondern auch als meine Ehre, ihn Euch für den Palast empfehlen zu dürfen.“ „Gleich für den Palast“ wiederholte Fatil skeptisch und fast mahnend. „Haltet Ihr das nicht für etwas hochgegriffen, Chaba? Nur die Elite wird im Palast beschäftigt und der König hat bereits die besten Priester des Landes um sich.“ „Ich weiß, es scheint Euch hochgegriffen, mein König“ wand er sich direkt wieder an den. „Doch ich bin nun schon so alt und habe so viele Schüler zum Priester gemacht, habe sie kommen und gehen sehen, aber in diesem jungen Mann steckt etwas Besonderes. Er verfolgt die Religion mit solch einer Passion, mit solch einer Zielstrebigkeit, ja, ich möchte schon fast sagen, mit solch einer Liebe. Majestät, so etwas habt Ihr noch nicht gesehen! Wenn Ihr ihn unter die Palastpriester nehmen würdet, hättet Ihr sicher in wenigen Jahren einen der Größten an Eurer Seite. Bedenkt doch, auch der große Imhotep war einst als Mensch ein Priester, welcher dem Pharao gedient hat. Ich will meinen Schüler nicht mit einem Gott vergleichen, aber bitte nehmt meine beste Empfehlung zu Euch und zieht es nur kurz in Erwägung.“ „Weiß er denn, dass du ihn empfiehlst?“ Eine berechtigte Frage, welche der König nicht nur ihm, sondern auch sich selbst stellte. Seths letztem Brief nach, wusste er gar nicht, was er machen wollte. Er konnte nicht einfach entscheiden, ihn mit in den Palast zu nehmen - vielleicht wollte er das gar nicht. Vielleicht wollte er nicht dorthin zurückkehren, wo sein Leben einst ein Ende fand. Außer dem alten Fatil würde ihn heute sicher niemand mehr erkennen ... aber diese Entscheidung wog zu schwer, als dass der Pharao sie fällen wollte. Für jeden anderen ja - aber nicht für IHN! Jetzt wäre es ihm lieber, er hätte nicht nachgefragt. Er hätte die Schriftrolle lesen und sie dann ignorieren können - das wäre nicht so schwer gewesen. Selbstverständlich konnte er auch dieses Gespräch hier beenden, aber das wäre nicht nur unhöflich, sondern auch auffällig und man würde sich nach dem Warum fragen. „Nein, er weiß es nicht“ lächelte der alte Chaba Djedef Re zur Antwort. „Jedoch bin ich sein Mentor und er sicher irgendwann mein Schwiegersohn. Natürlich ist es mir da wichtig, dass ich für ihn das Beste heraushole. Ich versuche immer das Beste für meine Schüler zu erwirken und da er etwas Besonderes ist, möchte ich für ihn natürlich nichts unversucht lassen. Lasst ihn mich euch ans Herz legen, Majestät. Auch für Euer Wohl, denn ich weiß - er kann einer der Besten werden, welcher nur einem König wie Euch würdig ist.“ „Ich werde darüber nachdenken“ gab er diese ausweichende Antwort und sah schon an dem faltigen Gesicht des Hohepriesters, dass dies nicht die Antwort war, welche er sich erhofft hatte. Wenn ein Hohepriester eine Empfehlung aussprach, war diese fast so hoch wie die, welche ein Pharao unterschrieben hatte ... solche Empfehlungen wurden eigentlich nicht abgelehnt ... aber hier zumindest in Erwägung gestellt. Ein „Darübernachdenken“ war einem „Nein“ doch schon sehr ähnlich. „Oh, ihr müsst Euch deswegen keine Gedanken machen“ bat der hagere Priester zu seiner linken Seite, welcher sich das dünne Haar aus dem Gesicht strich. „Es würde ihn nicht entwurzeln, wenn er Euch folgen würde. Es wäre ihm sogar eine Ehre.“ „Woher willst du das wissen?“ schaute der König ihn an und musste sich beherrschen, nicht böse zu werden. Wie konnte er es wagen, für Seth zu sprechen? Konnte er nicht selbst entscheiden? Hatte er denn keine eigene Meinung? Brauchte er wirklich Fürsprecher, die hier für ihn warben? „Woher willst du wissen, was er will oder wohin er will?“ „Weil ich mich mit ihm unterhalten habe“ gab er vorsichtig zur Antwort. „Ihr müsst wissen, ich bin sein Lehrmeister in ägyptischer Geschichte und natürlich führen wir da auch so einige Gespräche. Erst vor Kurzem haben wir darüber gesprochen, welchen Weg er nach seiner Weihe einschlagen möchte. Er ist zwar noch nicht fest entschlossen, aber natürlich haben wir auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen, wie es für ihn wohl im Palast wäre. Und er schien dieser Möglichkeit nicht abgeneigt. Ich glaube, der junge Seth ist einer Eurer größten Verehrer, mein König.“ Sie wussten ja alle nicht was sie sagten! Der König legte sich erschöpft die Hand auf die Stirn und atmete kurz durch. Sie wussten ja alle nicht, was sie ihm mit diesem Gespräch antaten. Nichts täte er lieber, als Seth sofort mit sich fort zu nehmen. Nichts auf der Welt würde ihm näher liegen! Aber er konnte es nicht. Er wusste, wenn er Seth fragte, so würde er nicht nein sagen - aus reiner Dankbarkeit und aus reiner Königstreue schon nicht. Aber ob er das auch wirklich selbst wollte, war doch eher unwahrscheinlich. Er war sein ganzes Leben lang beherrscht worden und das sollte doch nun ein Ende haben. Würde er ihn mit in den Palast nehmen, würde es nur von vorne losgehen. Der Pharao könnte damit glücklich werden, aber wenn Seth nicht glücklich wurde, so wurde es Atemu auch nicht. Es war ein Teufelskreis, welcher nicht beginnen durfte. Er durfte Seth mit seiner Liebe nicht unterjochen. Das wäre ihm unwürdig. Seth musste frei sein, frei ... frei ... er durfte ihn nicht in seinen goldenen Käfig sperren ... Seth sollte seine Füße auf Gras setzen und nicht am Boden eines Gefängnisses sitzen ... Und das Herz des Pharaos musste allein bleiben - so was es immer gewesen und so würde sein Gewissen rein bleiben. Nur wenn Seth wahrhaft glücklich wurde, so könnte er in Frieden ... sterben ... eines Tages ... weit fort von seinem verbotenen Traum. „Ist Euch nicht gut?“ fragte der Hohepriester besorgt, als der König sich scheinbar über die Augen wischte und tief seufzte. „Ich bin nur noch etwas erschöpft von der Reise ... es ist nichts.“ Er hätte geweint, laut geschrieen, geschimpft und getobt oder sich wimmernd in eine Ecke setzen wollen. Alles war besser als hier zu sitzen und die Beherrschung zu wahren. „Vielleicht möchtet Ihr lieber etwas anderes als Wein trinken?“ bot der glänzend Glatzköpfige ihm an und reichte ihm einen goldenen Kelch mit klarer Flüssigkeit, sicher Wasser. „Nein ... manchmal kann der Wein gar nicht stark genug sein“ beschloss er und goss eines Königs untypisch den ganzen Weinkelch seine Kehle hinunter. Lieber würde er sich heute Abend bis oben hin abfüllen als die Tränen seines Herzens zu weinen. Lieber sich betrinken als weiter diesen unendlichen, unsagbar grausamen Schmerz zu fühlen ... doch lieber fühlte er die Schmerzen der Gefangenschaft als einen Göttertraum einzusperren. „Mein Pharao, vielleicht sollten wir uns jetzt zurückziehen und Euch etwas Ruhe gönnen“ bemerkte Fatil, fasste ihn vorsichtig am Arm und wollte ihn wohl zum Gehen bewegen, aber da setzte sein König nur das falscheste Lächeln auf, welches er jemals gesehen hatte. „Aber nein, Fatil, mein Bruder. Lass uns doch noch bleiben und ein wenig unterhalten. Lass uns reden. Immer nur reden, reden, reden bis es nichts mehr zu reden gibt. Bis uns die Worte und der Wein ausgehen ... heute soll doch gefeiert werden. Oder was meint ihr, Priester?“ „Ganz wie Ihr es sagt, Pharao“ kam es zwar zögerlich, aber es kam. Niemand hier würde ihm widersprechen. Niemand würde es wagen. Sein Wort war das Gesetz, sein Wille der Weg - der Pharao war alles ... und fühlte sich so leer wie nie zuvor. Obwohl ihm langsam warm wurde und der Wein in den Kopf stieg, ihn schwindelig machte und seine Zunge schwer. Er hatte über den ganzen Abend sicher schon zwei Kelche leergenippt und nun einen dritten auf ex zu trinken, brachte doch etwas schnelleren Erfolg. Sein Vater sagte ihm einst in weiser Lehre: „Der Wein gibt dir keine Antworten, mein Sohn“. Atemu war in diesem Moment der weisen Meinung: >Aber vielleicht vergesse ich wenigstens die Frage, Vater.< „Was ist?“ zeigte er auf eine junge, zierliche Frau mit langen Flechtzöpfen, welche dem alten Chaba etwas ins Ohr flüsterte. „Sag es laut, Mädchen! Ich will es auch hören!“ „Mein König“ antwortete sie dankend, senkte den Kopf vor seinem Befehl. „Bitte verzeiht die Störung. Der junge Priester, Seth Chuanch Amun Sanacht, lässt fragen, ob Ihr ihm die Ehre erteilen wollt, sich an Euren Tisch zu setzen.“ >SETH!< Er wollte sich an seinen Tisch setzen. Er schickte eines der Tempelmädchen, um über Chaba um Erlaubnis zu bitten. Er wollte sich wirklich an seinen Tisch setzen? Einfach so? Er wollte ihn sehen! >Er will mich sehen!< „Mein König, Ihr solltet Euch vielleicht ...“ „Natürlich! Gerne! Sag ihm, er soll herkommen!“ Fatils vorsichtiger Einwand blieb von vornherein ungehört, was seinen Blick nur besorgter machte. Sein König war schon halb betrunken und vor lauter Liebeskummer in beginnender Verzweiflung und nun wollte er sich das auch noch antun? Wären sie unter sich, könnte er sich seinen Pharao zur Brust nehmen und versuchen, ihm die Flausen auszutreiben, ihn zur Vernunft zu bringen. Aber vor so hohen Männern, widersprach man dem Herrscher nicht. Doch ob das gut gehen würde? Wenn sich sein früherer Sklave, welchem er sein Herz zu Füßen legen wollte, sich an seinen Tisch setzte? Es würde ihn doch nur noch mehr schmerzen. Oh bitte ... warum erlegten die Götter ihrem königlichen Sohn ein solches Leid auf? Kapitel 16: ------------ Kapitel 16 Fatil konnte es nicht verhindern. Das Mädchen war allzu schnell wieder in der Menge verschwunden, sein König hatte den nächsten Kelch Wein vor sich stehen und noch bevor er ein vernünftiges Wort an ihn richten konnte, tauchte aus dem tanzenden Volk die Person auf, welche den Pharao so verwandelte. In sein feierliches, rotweißes Priestergewand gekleidet, kam er mit festem Schritt näher, strich sich das Haar aus der Stirn und sah sicher eher ungewollt erotisierend aus. Und sein Pharao nahm ihn sofort mit Blicken gefangen. Blicke, welche so eindeutig sehnsüchtig waren, dass es Fatil direkt wunderte, warum sich niemand daran störte. Doch vielleicht lag es nur daran, dass er den König von Kindesbeinen an kannte. Vielleicht konnte nur er dieses abnorme Verhalten deuten, die Trauer und den Schmerz in seinem Blick sehen ... und diese unendliche Sehnsucht. Für andere schien es wie unsichtbar, denn sein König hatte es viel zu lange geübt, seine wahren Gefühle zu verbergen - nur wer ihn bis aufs Haar kannte, der konnte sehen, dass er sich diesem Sklaven am liebsten zu Füßen werfen wollte. Was hatte dieser gewöhnliche Mensch nur an sich, dass es den König so dermaßen süchtig machte ... was war mit ihm, dass es den König so schmerzte und vor Sehnsucht jede Nacht aus Träumen weckte? Er sah aus wie ein ganz normaler Mann, wie ein Sklave, wie ein Priester - es war egal. Fatil erkannte an ihm nichts besonderes. Er war schön, ja. Er war wirklich schön. Kräftig und weich, so wild und zahm gleichermaßen. Doch er war nur ein Mensch - eines Königs nicht würdig. Nicht so würdig wie ihm seine Königin war. „Erlaubt, dass ich vorstelle“ lächelte der alte Hohepriester, stand auf und legte seine Hand als freundschaftliche Geste an die breite Schulter des viel größeren Seth, welcher auf die unglaublichste Weise dem Pharao zulächelte und ihn entweder in eisiger Berechnung oder lieblicher Unwissenheit dahinschmelzen ließ. „Mein König, dies ist der junge Seth Chuanch Amun Sanacht. Seth, begrüße unseren Pharao.“ „Mein König.“ Er setzte einen ruhig erfreut strahlenden Blick auf und senkte seinen Kopf so tief, dass es ihm den Rücken beugte. „Es ist mir eine große Ehre, Euch gegenüber zu stehen.“ „Es ist mir eine Freude, dich hier zu haben“ lächelte er und war plötzlich wie verwandelt. Eben noch vor Sehnsucht zynisch und halb wahnsinnig, mit schwerer Zunge angehend betrunken und nun die Ruhe und Güte in Person. „Bitte setz dich doch zu uns. Beteilige dich an unserer Unterhaltung.“ „Mein König, ich hoffe, Ihr haltet mich nicht für dreist.“ Er erhob sich und glänzte ihn mit seinen unglaublich tiefgehend blauen Augen an, seine Wangen so rot wie die des Pharaos. Sicher hatte er auch schon Wein genug getrunken. „Ich möchte Euch fragen, ob Ihr mit uns tanzen möchtet.“ „Tanzen?“ Er war noch nie zum Tanz aufgefordert worden. Na ja, von Damen natürlich auf Festen unter Adeligen im Palast oder in den Häusern bei Einladungen von hohen Herren. Aber noch niemals hatte ihn ein junger Mann aufgefordert, noch niemals so formlos ... ungeadelt. „Schickt dich ein Mädchen?“ wollte Fatil mit eindeutiger Skepsis wissen. „Oh, nicht doch!“ lachte er und schien wirklich auch schon ganz gut einen im Tee zu haben. „Wir möchten den Karuma tanzen und uns fehlt der achte Mann. Majestät, es wäre uns eine Ehre, wenn Ihr mit uns tanzen würdet.“ „Warum nicht?“ Fatil konnte es nicht fassen! Der König wollte Karuma tanzen! Ohne Nachzudenken kam die Antwort viel zu schnell! Der Karuma wurde vom Fußvolk getanzt. Jugendliche tanzten ihn oder die Proletarier im Reich, es war ein Tanz fürs niedere Volk gedacht, für junge Menschen ohne Sinn und Verstand - aber doch nicht für königliche Füße. Das Königshaus tanzte andere Tänze, aber niemals solche so gewöhnlichen, primitiven, anspruchslosen. Mit Priestern zu tanzen war okay - aber doch nicht Karuma! „Herzlichen Dank“ lächelte Seth und schon stand der Pharao an seiner Seite, schaute mit strahlenden Augen an ihm herauf und viel zu schnell verschwanden sie gemeinsam in der singenden Menge. >Spinnt der denn jetzt total?< war der einzige Gedanke, der Fatil noch schnell durch den Kopf schoss. Wenn sein Vater herausbekam, dass er den König einen Karuma tanzen ließ, würde er ganz schön was zu hören bekommen. „Faari! Penu!“ Er wies in die Richtung des Königs und schon sprangen die zwei aus der Menge und folgten dem Pharao. Aufhalten konnten sie ihn nicht, aber sie mussten auf ihn achten. In der Menge war es gefährlich. Sollte hier doch jemand sein, der ein Messer in der Tasche hatte und ihn angriff oder selbst, wenn ihn nur ein Betrunkener rempelte und zu Boden stieß, wäre das Skandal genug. Sicher waren unter den Tempelbewohnern keine Attentäter oder unvorsichtige Menschen, aber als Leibwächter mussten sie selbst dem besten Freund mit Skepsis begegnen. Der Schutz des Pharaos war ihr höchstes Ziel. Selbst wenn sie in hundert Jahren nur ein Mal durch Unaufmerksamkeit einen Fehler machten, so war das ein Fehler zu viel. Fatil sah von seinem etwas erhöhten Punkt aus genau, wie sich der stämmige, kräftige Penu zwischen den feiernden Menschen hindurchkämpfte und Faari ihm immer wieder die Richtung weisen musste, da er mit seiner Größe viel besser über die Köpfe der Leute hinwegblicken konnte. Seth mit dem Pharao im Schlepptau hatte da weniger Probleme durch die Massen zu kommen. Jeder lächelte ihn an und verneigte sich vor dem König. Sie wichen vor ihnen zurück und machten von sich aus Platz. Trotz der aufgeheizten Stimmung fanden sie genug Respekt, ihren Herrscher nicht zu berühren oder ihn zu drängen. Sie verbeugten sich und erhoben sich erst als er vorbei war. „Und so jemanden empfehlt Ihr für den Palast, Chaba?“ fuhr Fatil ihn wütend an. „Er fordert den König zum Karuma auf! Hat er denn kein Benehmen?“ „Ich glaube, so dumm ist er gar nicht“ beruhigte er und nickte nach vorne, wo die beiden soeben bei den anderen sechs Tänzern ankamen und die jungen Männer sich tief vor dem Pharao verneigten. Der König lächelte sie beschwichtigend an und sprach den Jugendlichen ein paar ruhige Worte zu, welche sie zum Lachen brachten. Vielleicht hatte er einen Witz gemacht, denn er selbst musste dann auch mitlachen. Als wäre er einer von ihnen. Er begab sich tatsächlich auf das Niveau des Volkes herab! Zwei der Männer fassten den König an den Armen, hoben ihn ohne Probleme in die Höhe und drehten ihn andersherum, bevor sie ihn wieder absetzen. Erst dann kamen Faari und Penu bei ihnen an und stellten sich dazwischen. Wortlos beobachtete Fatil, wie sie dem König eindringlich zusprachen, aber nur ein paar beschwichtigende Gesten bekamen. Er brauchte kein Lippenleser zu sein, um zu erraten, was der Pharao ihnen sagte. Sie diskutierten einen Moment, doch als das Lied endete und ein neues aufgespielt wurde, wichen sie dann doch ein paar Schritte zurück und stellten sich beobachtend an den Rand, wo schon ein kleiner, freier Platz entstanden war, um der Gruppe genügend Luft zum Tanz zu geben. Ganz schnell hatten die anderen sieben sich um den König herumdrapiert, sich vor, hinter und neben ihn gestellt und Seth natürlich ganz dicht neben ihm. Der König ließ ihn nicht aus den Augen und glühte im ganzen Gesicht. Er sah aus wie ein kleines Kind, welches vor einem großen Berg Geschenken saß. Ob es der Alkohol war, der ihn so ausgelassen machte oder diese verrückte Liebe, in die er sich verrannte ... so sehr hatte er noch niemals gestrahlt. Nicht mal bei seiner Hochzeit sah er so glücklich aus wie in diesem Moment, wo er zwischen diesen jungen Männern stand und den ersten Tanzschritt nach vorne setzte. Der Karuma war nicht schwer zu tanzen. Er folgte immer einem gleichbleibenden Rhythmus und die Schrittfolge wiederholte sich auch nach einer Weile. Man musste nur aufpassen, dass man sich nicht verhaspelte, was nicht geschah, wenn man Übung hatte. Umso erstaunlicher war es, dass der König sich die Schritte nur ein/zwei Mal ansehen musste und sie sofort mittanzte. Viel zu häufig hatte er sie gesehen, wenn er mit seinem Gefolge über Volksfeste ritt und doch niemals vom Pferd abstieg. Es waren nur Höflichkeitsbesuche, um dem Volk Präsenz zu zeigen, doch wirklich mitgefeiert hatte er nur in Adelskreisen. Und Adelige tanzten niemals Karuma. Erst einen Schritt vor mit links, den rechten Fuß nachstampfen. Links nach links, rechts nach links. Rechts nach rechts, links anheben, im Viertelkreis herumdrehen und breitbeining aufstampfen. Einen Hüpfer zurück, einen Hüpfer nach vorn. Arme ausstrecken, zwei Mal schnell in die Hände klatschen, Hände in die Hüften und von vorne. Immer kreisherum, immer im Takt gemeinsam mit den anderen Tänzern. Eigentlich konnte man den Karuma auch mit hundert Leuten oder alleine tanzen, aber der Tanz zu acht war zweifelhafte Tradition im Volke. Dem König würdig war das hier sicher nicht, aber er schien es zu genießen. Gemeinsam mit den anderen befolgte er immer dieselben Schritte, genau zum Schlag der großen Trommel und bewegte sich wie eine Schlange zu den Flöten und der zitternden Stimme der Sängerin. Gemeinsam lachten die Männer ausgelassen, als sie abermals in die Hände klatschten und diese albernen Hüpfer vollführten. Vor allem dann, als dem König seine zu weite Krone ins Gesicht rutschte und er sie lachend festhalten musste. Und er sah so glücklich aus. Die Krone auf seinem Haupt war kaum mehr als eine goldene Mütze und sein Körper, seine Bewegungen nicht mehr als die eines gewöhnlichen Mannes. Kein Anzeichen mehr von Stolz oder Macht - albern sah er aus. Ein König, der Karuma tanzte, war in etwa so würdevoll wie ein Löwe, welcher sich krause, bunte Locken in die Mähne flechten ließ. Und er wurde von den Leuten, welche drumherum standen, auch noch kreischend und jubelnd angefeuert. Sie klatschten gemeinsam im Takt, jauchzten und frohlockten. Wie eine Horde betrunkener Halbstarker und die Majestät mittendrin. Seine Augen strahlten, wenn er sie nicht gerade geschlossen hielt, sich in den Takt vertiefte oder einen Mittänzer neben ihm zurückrempelte, als der in die falsche Richtung sprang und ihn fast umgerissen hätte. Aber sie lachten, brüllten und klatschten in die Hände, hüpften und stampften. „Fatil, seht ihn Euch doch an“ sprach der graue Hohepriester, welcher nur Fatils ungläubigen Blick beobachtete und weniger Augenmerk auf die Querelen des Königs wand. „Ich sehe es, aber ich will es nicht glauben“ sprach er tonlos. „Wenn das am Hofe zum Gespräch kommt, wird sich der Pharao einigen Gerüchten und Lästereien ausgesetzt sehen. Er verliert an Würde und an Glaubwürdigkeit.“ „Aber es ist nicht verboten. Der König hat es Adeligen doch offiziell erlaubt - auch wenn sie es wohl niemals tun. Doch verboten ist es nicht. Habt Ihr schon mal Karuma getanzt?“ fragte er ernst und bekam einen mehr als ungläubigen Blick von dem jungen Mann. „Chaba, bei mir ist das etwas anderes. Ich bin nicht der König! Ich bin zwar adelig, aber nicht die Majestät!“ „Aber Ihr seid ein junger Mann“ erwiderte er ruhig und schaute zurück auf den lachenden, ausgelassenen Pharao, der sich scheinbar so wohl fühlte wie niemals zuvor. „Fatil, Ihr seid dem Pharao ein guter Freund. Ihr seid ihm wie ein Bruder und man sieht, wie sehr er Euch schätzt. Unser König ist ein weiser Mann für sein Alter, er ist vernünftig, beherrscht und ruhig. Aber er ist auch ein junger Mann, genau wie Ihr einer seid und wie ich einer war. Junge Menschen wollen tanzen. Sie wollen trinken und singen. Sie wollen mit ihresgleichen zusammensein und fröhlich in den Tag hineinleben. Aber für den König gibt es so etwas wie Seinesgleichen nicht. Er ist nicht nur der Herrscher unseres Reiches und trägt große Verantwortung auf seinen Schultern, sondern er hat im Palast auch zwei kleine Kinder und eine Königin, welche viel von ihm erwarten. Von morgens bis abends ist er den Zwängen der Gesellschaft ausgesetzt, viel fesselnder als jeder Sklave es kennt. Und er versucht uns allen ein gütiger, wohlbesonnener Herrscher zu sein - sein Volk zu Wohlstand und Ruhm zu führen und ich möchte fast sagen, er hat in seiner kurzen Regentschaft mehr erreicht als seine Väter vor ihm. Man hört nur Gutes über ihn und das Volk liegt ihm zu Füßen. Man liebt ihn. Aber Fatil, glaubt Ihr, es macht ihn glücklich?“ „Woher wollt Ihr wissen, was einen König glücklich macht?“ bemerkte er traurig. Er wusste um die Zwänge und die schwere Last auf den Schultern des Königs. Doch es war sein Schicksal, das alles zu tragen, wenn er nicht ein ganzes Volk enttäuschen wollte. „Ich weiß nicht, was einen König glücklich macht“ antwortete er ehrlich. „Aber ich weiß, was ein junger Mann braucht. Wenn ihr dort hinüberseht, Fatil, was seht Ihr? Ihr seht keinen König - Ihr seht einen jungen Mann. Einen Mann, der ausgelassen tanzen und lachen möchte. Er weiß sehr genau um seine Pflichten, er weiß um seine Position, um die Erwartungen, die er erfüllen will. Aber Fatil, wenn Ihr ihn liebt, dann seid nachsichtig mit ihm. Macht den Käfig, in dem er sitzt, nicht noch beengter. Er wird Ägypten nicht davonfliegen, denn dazu liebt er sein Volk zu sehr. Aber lasst ihn ab und an seine Flügel ausstrecken, damit sie ihm nicht abfallen und er vielleicht vergisst, was die Menschen niemals verlieren dürfen. Lasst ihn nicht vergessen, wie man fliegt.“ In diesem Moment war aber der Tanz auch schon beendet. Kurz war er, aber dafür umso intensiver. Vor allem, wenn man lieber lachte, anstatt ans Atemschöpfen zu denken. Und Applaus gab es für den König, der sich bei seinem ersten Karuma gar nicht so furchtbar schlecht geschlagen hatte. Natürlich bräuchte er noch ein bisschen Übung, aber da seine Mittänzer auch bereits angetrunken waren, fiel seine Unerfahrenheit über die Tollpatschigkeit der anderen auch gar nicht weiter auf. Spaßhaft verbeugte er sich vor seinem Publikum und strahlte noch immer übers ganze Gesicht, seine Augen waren so hell von Freude erfüllt, dass man nicht anders konnte als mit ihm zu lächeln. Die anderen hatten ja gar keine Ahnung davon, was für einen gehegten Traum sie ihrem Herrscher hiermit erfüllt hatten. Ein Mal in seinem Leben hatte er sich tatsächlich zugehörig gefühlt. Er hatte das Selbe getan wie alle anderen, die selben Schritte, das selbe Lachen, das selbe Klatschen. Für einen kurzen Moment hatte er sich nicht von den Menschen unterschieden ... und er tanzte den selben Tanz, wie sein Seth, der nun neben ihm stand und seinem Strahlen mit einem Blick entgegnete, von dem Atemu sich einfach einbilden wollte, dass es ein liebevoller Blick war. Sein Lächeln war nicht so laut wie das Jubeln um sie herum. Seths Lächeln war ruhig, seine Augen so glänzend, seine Wangen rot. Wie ein Pol der Ruhe inmitten dieser ausgelassenen Meute Feiernder. Seth unterschied sich scheinbar nicht von den anderen, er stach nicht aus der Menge heraus ... er war für den König wie die Malereien in der Haupthalle. Sie waren da, bunt, ein einmaliges Kunstwerk und wunderschön und doch ging jeder an ihnen vorbei, betrachtete sie als normal. Und ebenso war Seth. So wunderschön und doch wurde er als normal empfunden - während nur das Auge des Königs genug Zeit und Muße hatte, seine Schönheit zu bewundern, in sich aufzusaugen und für immer in seinem Herzen einzuschließen. Die Tänzer verbeugten sich tief vor dem König, während Seth an ihn herantrat und zu ihm herunter lächelte. „Majestät, habt Dank für diesen Tanz.“ Seine Stimme war so weich, so melodisch und samtig, dunkel und doch so herzlich. So unvergleichlich wunderschön. „Gerne“ hauchte er und war sich nicht sicher, ob Seth seine Stimme überhaupt gehört hatte. Aber selbst wenn nicht, so schien sein zufriedener Ausdruck wohl alles ohne Worte zu sagen. Auch Seth senkte seinen Kopf zum Dank ... aber fortgehen sollte er jetzt nicht mehr. Atemu hatte schon mal eine Chance verschenkt und ihn nicht festgehalten, als er die Gelegenheit dazu hatte. „Setzt du dich noch zu mir?“ fragte er kühn heraus, bevor sich sein Angebeteter wieder auf den Weg machen konnte, um mit anderen Freunden diese Feier zu genießen. Jetzt sollte er bei ihm bleiben. Nur diesen Abend. Nur diesen kleinen Moment noch. „Es wäre mir eine Ehre, mein König.“ Und im selben Moment hatte er sich ohrfeigen können. Was fiel ihm überhaupt ein? Natürlich würde niemand die Einladung des Königs ablehnen, allein schon um ihn nicht zu beleidigen - aber was war mit dem, was Seth wollte? Vielleicht wollte er lieber noch einen Kelch Wein kippen, mit seinen Freunden tanzen und ausgelassen sein! Und nun zwang der König ihm ein langweilig trockenes Gespräch mit den Priestern auf, zu denen er zwar nun vom Rang her gehörte, aber vom Alter her noch bei Weitem nicht. Wie konnte er Seth nur seine eigene Feier verderben und ihn so an sich fesseln? Das war so unfair von ihm! „Du musst nicht, wenn du nicht möchtest“ sprach er ihm möglichst leise zu, als er sich in seiner Begleitung zu seinem Tisch zurückführen ließ. „Ich kann’s verstehen, wenn du lieber mit den anderen feiern möchtest.“ „Ich sagte doch, es ist mir eine Ehre“ erwiderte er und warf ihm einen kleinen Seitenblick zu. „Es sei denn, Ihr möchtet mich wieder ausladen.“ „Nein, nein, nein! So was das nicht gemeint!“ Herrje! Was er auch sagte, es würde garantiert IMMER das falsche sein! Er konnte alles sagen und nichts würde wirklich etwas von dem ausdrücken, was er eigentlich sagen wollte ... was er wollte. Konnte ein redegewandter König wirklich so hilflos sein? Sich so klein und dumm fühlen? Und es war nur diese eine kleine Satz, den er ihm gedanklich so laut schickte und doch niemals aussprechen durfte. >Ich liebe dich ...< „Wenn Ihr meine Anwesenheit nicht wünscht, so braucht Ihr es nur zu sagen. Ich werde es verstehen, mein König. Jedoch ... verzeiht, wenn ich das so frei heraus sage, aber ... ich wäre gern noch einen Moment in Eurer Nähe.“ War das ernst gemeint? Sagte er das wirklich ernst? Nicht nur, um dem König zu schmeicheln? Um ihm nicht unhöflich zu begegnen? Weil er die Zustimmung des Pharaos nötig hatte, um unbehelligt weiterleben zu können? So viele Gedanken rasten ihm durch den Kopf und doch war keiner laut genug um das freudige Schlagen seines Herzens zu übertönen. Sein Kopf riet ihm, diesen Mann schnell zu verlassen, bevor ein Unglück geschah. Aber sein Herz ... sein Herz war der stärkere Kämpfer und hielt in diesem Moment alle Trümpfe in seiner Hand. „Es wäre mir eine Ehre“ antwortete er ihm dann leise und selbst in Seths Augen stahl sein ein kurzes Funkeln ... oder war es nur der Schein der Fackel, an welcher sie eben vorbeigegangen waren? „Majestät! Das war ja nicht schlecht für Euer erstes Mal!“ lachte der Hohepriester ihn an und wies ihm freundlich den Weg auf sein Sitzkissen zurück. „Ja, finde ich auch. Danke, Chaba“ lächelte er, setzte sich und fand vor sich schon den nächsten Kelch, welchen Fatil aber sogleich gegen einen Goldkrug aus Wasser tauschte, bevor sein Pharao noch beschwipster wurde. Seth nahm leider nicht direkt neben ihm Platz, denn die Kissen zu seinen Seiten waren von Fatil und dem Hohepriester belegt, sodass er in kurzer Entfernung neben Chaba sitzen konnte und ebenfalls von einem eiligen Dienstmädchen einen Wasserkrug gereicht bekam. Denn trank der König Wasser, so tranken auch alle anderen Wasser und keinen Wein. Selbst hier mitten in der Wüste wurde auf strenge Etikette geachtet ... kein Entkommen. Doch das störte ihn jetzt gerade nicht. Zu sehen, wie Seth seinen Kelch anhob, ihn an seine Lippen setzte und den ersten kühlen Schluck tat, war unbezahlbar. Wie erotisch sich sein Kehlkopf hob und senkte, er den Kopf zurücklegte und selbst seine Augen vor Genuss schloss ... „Majestät, etwas Obst?“ Damit riss Fatil ihn glücklicherweise sofort aus seiner Träumerei, bevor die anderen noch bemerkten, wie sehr er den jungen Priester anstarrte - und aus der Träumerei schon wieder ein Tagtraum werden konnte. Er hielt ihm ein kleine Schale mit frischen Früchten vor die Nase, welcher der Pharao aber nur desinteressiert von sich fort drückte und somit eindeutig ablehnte. „Majestät, dass man Euch den Karuma tanzen sieht, hätte ich niemals gedacht“ eröffnete der glatzköpfige Priester ein neues Gespräch. „Schade, dass ich ein Rückenleiden habe, sonst hätte ich zu gerne mitgetanzt.“ „Das es so viel Spaß macht, hätte ich niemals geglaubt“ lächelte er zurück und hatte plötzlich mehr als gute Laune. Er wusste Seth in seiner Nähe und das machte ihn beschwingt - vielleicht auch deshalb, weil es ihn äußerst nervös machte. Es war ihm als würde er beobachtet, so dumm es war, aber er hätte es zu gerne, wenn er dem neuen Priester imponieren könnte, wenn er Gefallen an ihm fand ... ein König sollte solche Gefühle eigentlich nicht haben, aber er konnte nicht anders. Er wollte den Kelch elegant halten, sich gewählt ausdrücken, ihm zeigen, welch ein edler Geist im ihm herrschte. Hatte ein König es wirklich nötig, sich vor einem solchen Mann anzustrengen? Nein, eigentlich nicht ... aber ihm sollte doch wenigstens kein Ungeschick geschehen, über welches Seth vielleicht verständnisvoll lächeln würde, aber innerlich die Augen verdrehte. Wenn Seth ihn für dümmlich hielt, selbst wenn er es niemals sagen würde, wäre das das schlimmste Unglück dieser Erde! „Dann hatte es ja wirklich etwas gutes, dass Ihr dem Adel diesen Tanz geöffnet habt“ nickte er hagere Priester freundlich. „Ich finde es bemerkenswert, dass Ihr Eure Gesetze mit eigenem Haupt vorantreibt. Viele Könige haben schon Richtlinien erlassen, welche sie selbst niemals befolgt haben. Aber Ihr lebt Eure eigenen Gesetze und Erlasse, was Euch große Glaubwürdigkeit verleiht. Ihr seid so edel wie niemand vor Euch, mein Pharao.“ „Ich danke für das Kompliment“ lächelte er geschmeichelt zurück und so ein Lob war doch besonders vor Seth eine stolze Sache. „Aber ich kann es zurückgeben. Dass hier im Tempel so mutige Priester sind, welche jemanden wie mich zum Volkstanz auffordern, verleiht Euren Lehren hier ebenfalls Glaubwürdigkeit und hinterlässt einen starken Eindruck, den ich gern im Gedächtnis behalte.“ Fatil hielt zwar loyal seine Meinung zurück, aber er konnte sich da nicht so wirklich mit anfreunden. Natürlich hatte der König es auch sich selbst erlaubt, Volkstänze zu tanzen, als er sie dem Adel gestattete. Aber niemand hätte es sonst gewagt, diese eigene Gesetzestreue auch herauszufordern. Bei einem anderen hätte der König es vielleicht als Provokation aufgefasst, was ihm umso mehr ein Indiz dafür war, dass diese blauen Augen den König nicht liebevoll, sondern berechnend anblickten. Vielleicht hatte dieser verleugnete Sklave es längst gemerkt, welche tiefen Gefühle ihm entgegengebracht wurden und nutzte sie schamlos für seine Zwecke aus. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand den König für seine Absichten zu missbrauchen versuchte - er würde das streng im Auge behalten müssen, wenn die Augen des Pharao vor Liebe verklärt waren. „Vielleicht ist es doch etwas Gutes, dass Chaba sich entschlossen hat, unseren Seth so früh zu weihen“ eröffnete der Glatzkopf stolz. „So ein junger Priester bringt vielleicht frischen Wind in die verstaubte Priesterkaste.“ „Ihr kommt mir hier aber nicht verstaubt vor“ erwiderte der König freundlich. „Ich bin schon in einigen Tempeln gewesen, aber hier scheint mir alles sehr jung und belebt. Selbst Chaba als weiser Hohepriester scheint mir im Herzen jung geblieben. Eine ehrlich Herzlichkeit wie hier habe ich selten erfahren.“ „Eure Worte ehren uns, Majestät“ dankte Chaba und lüpfte anerkennend seinen Kelch ein wenig in die Höhe. „Zugegeben, als Ihr ankamt, waren wir ein wenig nervös. Ihr habt sicher mitbekommen, dass wir ein wenig in Meinungsverschiedenheiten mit dem Südtempel liegen. Der dortige Hohepriester schätzt nicht unbedingt alle unsere Lehrmethoden und wir haben für einen Moment geglaubt, Ihr kämet seinetwegen zu uns.“ „Nein, das wirklich nicht“ lachte der Pharao. „Der Hohepriester Djoser Ka Cheti hat mich zwar schon zwei Mal um ein Gespräch diesbezüglich ersucht, jedoch sah ich keinen weiteren Anlass dafür. Über den roten Tempel habe ich außer von Djoser immer nur Gutes gehört und selbst der Großteil meiner Palastpriester haben mir dies bestätigt. Seid also unbesorgt, Chaba. Eure Lehrmethoden sind dem Palast ebenfalls wie ein frischer Wind im Reiche.“ Und da der König seinen Kelch anhob, taten es ihm alle gleich. „Habt Dank, Pharao“ seufzte Chaba nun doch etwas erleichtert. „Auf den frischen Wind der Wüste“ prostete der König und blickte Seth mit seinem erhobenen Becher zugewandt an. „Auf den frischen Wind der Wüste“ wiederholten die Priester und tranken gemeinsam einen Schluck auf diesen Toast. Ein solches Lob und schon direkter Zuspruch des Königs war viel wert und versicherte ihnen, dass sie vom Palast nichts zu befürchten hatten. Es war immer schwer, wenn sie alte Gebote aufrollten und auf ihre zeitgemäße Umsetzung prüften - besonders vor dem Süden des Landes, welcher einem äußerst konservativen Hohepriester unterstand. Schön zu hören, dass der König die Ansichten des Südens nicht in allen Bereichen zu teilen schien. „Nun, Majestät, dürfen wir Euch noch etwas anbieten?“ fragte der hagere Priester mit dem zippeligen Haar ihn freundlich. „Vielleicht noch etwas Brot oder eine kleine Delikatesse aus unserer Tempelküche?“ „Danke, ich bin zufrieden“ nickte er, zumal auch sein Magen sich ziemlich zusammengezogen hatte, seit Seth mit am Tisch saß. Er sprach zwar weiter nichts, nicht ein Wort, aber allein seine Anwesenheit reichte aus, um das königliche Blut schneller fließen zu lassen und ihm den Appetit zu rauben. „Und wie geht es deiner Schulter, Seth?“ sprach er ihn möglichst beiläufig an. „Danke, ich bin hart im Nehmen, mein König“ lächelte er mit den sinnlichsten Lippen, welche es im ganzen Reiche geben konnte. „Und Ihr? Habt Ihr Euch von Eurer schweren Reise ein wenig erholen können?“ „Ich habe heute Morgen ausgeschlafen und endlich wieder gebadet“ sprach er dankend zurück. „Das ist unbezahlbar und ihr stellt hier wirklich sehr wohlriechende Öle her, Seth.“ „Es sind die Frauen, welche in dieser Kunst Könnerinnen sind“ lächelte er. „Wir genießen es eher nur. Schön, wenn es Euch gefällt.“ „Seth kann so was aber auch sehr gut“ warb Chaba gleich wieder für ihn. „Er ließ sich sogar extra Rosensamen aus dem Osten anliefern, um hier die Pflanzen für Öl zu ziehen. Selbst in Künsten, welche eher den Frauen liegen, steht er ihnen in nichts nach, Majestät.“ „Rosenöl also, ja?“ Er musste sich ein Grinsen und ein Zwinkern verkneifen. Seth wusste ja gar nicht, dass er bei seinem Gespräch heute Mittag in der Halle belauscht worden war. „Rosenduft ist mein liebster Geruch.“ „Welch ein Zufall. Wenn Ihr mögt, werde ich Euch etwas davon zukommen lassen. Es wäre mir eine Ehre, würdet Ihr es ausprobieren.“ „Nichts lieber als das, Seth. Das würde ich gern tun.“ „Ihr seid freundlich, Majestät“ dankte er mit nickendem Kopf. „Vielleicht, bevor ich die Gelegenheit verpasse, Euch zu fragen, mein Pharao. Ich würde Euch gern etwas zeigen. Wenn ich darf, Chaba.“ „Natürlich, tu das nur“ lächelte er. „Ich bin mir sicher, dass es des Königs Gefallen finden wird.“ „Was denn?“ fragte der interessiert nach. „Was könnte mir gefallen, Seth?“ „Ich würde Euch gern einen Moment entführen, wenn Ihr die Zeit entbehren könnt“ bat er. „Es dauert nicht lang und wäre mir eine große Freude.“ „Du willst mich entführen?“ schmunzelte er in freudig nervöser Erwartung. „Und bringe Euch selbstverständlich sicher wieder zurück“ lächelte er. „Würdet Ihr mir die Ehre erweisen und mir einen Moment schenken?“ „Auch zwei Momente. Einen für dich, einen für mich.“ Und den dritten für sie beide gemeinsam dachte er sich im Sinn. Er erhob sich als auch Seth sich erhob und ihm bittend in eine Richtung wies. Aber als auch Fatil sich erhob, bat der König doch: „Bitte, du brauchst nicht mitzukommen. Ich bin ja gleich wieder da.“ „Wo bringst du den König hin?“ fragte er stattdessen skeptisch zu dem verschwiegenen Sklaven, dem er noch immer nicht so ganz trauen wollte. „Auf den Hof hinter der Haupthalle. Es ist nur ein kurzer Weg, Majestät“ bat er und gab ihm Geleit von dem kleinen Hügel herunter und machte sich auf den Weg, ihn am Rande des Festplatzes entlang zu führen, während Fatil einfach stehen gelassen wurde und seinem König nach einer solchen Bitte nicht direkt folgen durfte, wenn der sein Geleit ablehnte. Jedoch konnte er sein Misstrauen nicht besiegen, wenn er die beiden so dicht zusammen verschwinden sah. „Penu“ rief er nur kurz und innerhalb weniger Sekunden tauchte der auch schon neben ihm auf und schaute ihn fragend an. „Folge dem König“ flüsterte er ihm ruhig zu. „Pass auf, dass ihm nichts geschieht. Aber störe ihn nicht.“ „Gut.“ Ohne noch weiter zu fragen folgte er seinem Herrscher in sicherem Abstand, hatte sein Schwert parat, falls Fatils Misstrauen sich bestätigen sollte. Dass dem Pharao seine Leibwächter überall hin folgten, war durchaus gangbar und wunderte somit auch keinen von den Priestern, welche ihre Kelche nun auch nur wieder mit Wein füllten und ihre Unterhaltung unbehelligt fortsetzen. Nur Fatil überlegte, wie er seinen Pharao hier heil wieder rausholen konnte. Wenn er sich weiter in diese Situation verstrickte, würde ihm früher oder später ein Unglück geschehen. Und er wollte nicht, dass sein königlicher Bruder sich eines Tages entscheiden musste. Ein Leben, welches dann vielleicht verloren war? Oder Liebe, welche vielleicht niemals erwidert wurde? Kapitel 17: ------------ Kapitel 17 Seth ging voraus und der Pharao folgte ihm mit nur einem Schritt Nähe. Er beobachtete wie stolz der junge Priester seine Schultern hielt, sein fließender Gang, wie das Haar ihm leicht von der Abendluft angehoben wurde, wie schwingend das lange Gewand über seine Beine strich. Er war so wunderschön ... Über seine kleine Träumerei bekam er kaum mit, wie sie die Halle bereits betreten hatten und es hier ganz anders war als am Tage. Dämmrig von den wenigen Feuerschalen beschienen, die Zeichnungen waren kaum noch zu erkennen ohne Tageslicht, es war sehr kühl hier drin und menschenleer. Von draußen hallte der Lärm des Festes nur silhouettenhaft bis hier her vor und es kam ihm vor, als würden sie die Welt wechseln. Als würde er einem Gott folgen, welcher ihn vom irdischen Reich fortholte, um ihn in seine eigene Welt einzuführen. Und der Pharao wollte nichts lieber tun als ihm überall hin zu folgen. Ob Erde, Götterreich oder die Unterwelt wäre ihm egal - solange er nur bei ihm bleiben durfte. Ganz nahe bei diesem göttergleichen Traum von Körper und Seele ... Bis sein verbotener Traum plötzlich stehen blieb und er ihm ohne stoppen zu können in den breiten Rücken rannte und sich die Nase stieß. „Huch!“ rief der überrascht und drehte sich jetzt erst um. „Majestät, was macht Ihr denn?“ „Wenn du einfach stehen bleibst?“ verteidigte er sich und schubste sich die Krone wieder dorthin zurück, wo sie hingehörte. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht anrempeln.“ OH GOTT WIE PEINLICH!!! „Ihr habt wohl geträumt“ lächelte er ihn belustigt an. „Ich wollte Euch eigentlich nur fragen, weshalb Ihr nicht neben mir geht. Ihr müsst doch nicht zurückbleiben. Oder ist es Euch unangenehm?“ „Nein! Nein, bestimmt nicht! Du hast Recht, ich habe nur einen Augenblick geträumt.“ „Das muss ja ein schöner Traum sein, der Euch so in seine Welt entführt“ sprach er, tat einen Schritt zurück und setzte sich dann wieder in Bewegung, damit sein Pharao neben ihm gehen und nicht hinter ihm zurückbleiben musste. Und der war ganz glücklich, dass es hier so dämmrig war, denn sonst hätte Seth sicher gesehen, wie er vor Scham ganz rot wurde. Jetzt hatte er sich doch blamiert. Er war weggeträumt und ihm voll hinten reingelaufen. Sicher hielt Seth ihn jetzt für schrecklich ungeschickt und dumm. Herrje! Würde er nur ein wenig mehr auf Fatil hören, würde er sich mehr zusammenreißen. Aber das nahm er sich jetzt fest vor, als er sich seine schmerzende Nase rieb. Von nun an würde er sich zusammenreißen, sich keine weiteren Peinlichkeiten mehr erlauben und sich wie ein König benehmen. Es ging doch nicht an, dass er sich so aus dem Konzept bringen ließ. Okay, er war nervös, weil er mit Seth alleine war, aber das war doch kein Grund dafür, sich so dermaßen zu blamieren! Er musste nur ganz einfach mehr darauf achten, dass er ... „Majestät! Vorsicht!“ ... nicht gegen die Wand lief. Hätte Seth nicht rechtzeitig seinen Arm ausgestreckt, wäre er doch glatt gegen die Hallenmauer gerannt. Er hatte nur auf den Boden geschaut, versucht sich zusammenzureißen und vergessen, dass es manchmal ganz hilfreich war, wenn man zwischendurch auch mal aufblickte. „Herrje“ stammelte er und musste seine Krone schon wieder auf den Kopf zurückschieben, um etwas sehen zu können ... und um etwas bedröppelt die Wand anzusehen, welche ihn aus nur wenigen Zentimetern Entfernung anlächelte. „Ich weiß ja, dass der Pharao der Sohn der Götter ist, aber wenn Ihr nun durch Wände geht, bin ich wahrlich verblüfft“ scherzte Seth und blickte ihn mit lustig funkelnden Augen an. „Ich bin im Moment wohl nicht ganz bei mir ... es war ein langer Tag“ versuchte er zu entschuldigen ... auch wenn ihm das eine eher schlechte Entschuldigung schien. „Wenn Ihr müde seid, sollten wir vielleicht lieber ...“ „NEIN! Nicht zurückgehen!“ rief er sofort und schaute flehend an ihm auf. „Ich möchte sehen, was du mir zeigen willst. Ich bin jetzt wieder hellwach.“ „In Ordnung“ lachte Seth noch etwas heiter und ob er dieses Verhalten nun lustig oder peinlich fand, wussten auch sicher nur die Götter. Und Atemu wurde abermals ziemlich heiß im Gesicht, an den Schultern ... es war ihm so peinlich. Niemand vermochte ihn so aus der Bahn zu werfen und ausgerechnet dann, wenn er einen guten Eindruck hinterlassen wollte, benahm er sich wie ein drittklassiger Bauerntölpel. Er musste sich zusammenreißen. Auch wenn es schwer war, musste er jetzt einfach die Haltung bewahren. „Wir sind da, mein Pharao.“ Er legte seine Hand an den Griff einer dunklen Holztür, welche sich ohne ein Knarren öffnen ließ. Seth ging ein Stück vor und ließ sich auf dem Fuße folgen. Und schon erblickte Atemu, was er ihm zeigen wollte. Hier war eine Art Hof gebildet aus der Hallenrückwand und drei umstehenden, kleineren Gebäuden, welche in ihrer Mitte einen nicht besonders großen, aber etwas versteckten Platz schufen. Am Rand dieses Hofes stand eigentlich nichts weiter, aber in der Mitte war etwas außergewöhnliches. Ein kleiner Platz, vielleicht etwa acht Schritte breit und lang und dort wuchs ... Gras. Beschienen von ein paar Fackeln war es dunkel und wirkte ein wenig wie Stoff aus der Entfernung, aber das satte Grün war trotzdem zu erahnen. Es war kurz und eben nicht gerade viel ... aber es war ein kleiner Platz mit seltenem, grünen Gras, welches in der Wüste von selbst niemals gedeihen konnte. „Ich weiß, es ist nicht viel und scheint Euch vielleicht kleinlich“ begann Seth, wurde aber sofort unterbrochen, als sein König mit wenigen, schnellen Schritten dieses kleine Stückchen Vegetation erreichte. „Nein, es ist wunderschön“ lobte er, blieb vor der Graskante stehen und schaute ganz erfreut darauf herunter. Mit wie viel Liebe es geschnitten war, es ließen sich kaum trockene Stellen erkennen und die vier Holzpfosten am Rande waren sicher dazu da, um es bei Tage vor der hellen Sonne mit einem bespannten Tuch zu schützen, welches jetzt eher zusammengefaltet am Rande lag. „Ich habe es in Erinnerung an Euch gezogen.“ Seth stellte sich neben ihm und teilte seinen Blick auf das satte, nachtdunkle Grün. „An mich?“ Hatte er sich verhört? Als Erinnerung an ihn? „Ja, an Euch“ flüsterte er und traf seinen Blick in der Mitte, als er selbst hinunter und sein König zu ihm aufsah. „Daran, wie Ihr mir zeigtet, dass auch ich noch Träume haben darf. Nun habe ich zwei schöne Erinnerungen, wenn ich meine Füße auf Gras setze. Die Erinnerung an meine Familie und an Euch, meinen König. Der mir das Leben rettete und es neu schuf. Jeden Tag, wenn ich herkomme, um es zu wässern und zu schneiden, denke ich an Euch. Wie es war, als Ihr so gut zu mir gewesen seid wie kein Mensch jemals zuvor.“ „Seth ... ich ...“ Was wollte er eigentlich sagen? Er hatte einen so dicken Kloß im Hals, dass es ihn schmerzte. Sein Kopf wie leergefegt und sein Herz schlug so ruhig als wäre gar nichts los ... als würde die Ruhe der Nacht ihn zudecken und sie beide vor der grausamen Welt verhüllen. „Diese Worte bedeuten mir ... sehr viel.“ Mit zwei kurzen Bewegungen war Seth aus seinen Sandalen geschlüpft und stieg daraus direkt auf das weiche Gras, drehte sich seinem König zu und schenkte ihm einen Blick aus seinen jetzt nachtblauen Augen, hinter welchen das Reich einer dankbaren, ergebenen Seele lag. „Mein Pharao, erlaubt ... darf ich Euch die Schuhe ausziehen?“ „Seth ...“ Als wäre das eine ausreichende Antwort, ging der junge Priester vor ihm in auf die Knie, hob das lange, weiße Gewand nur ein kleines Stück an und löste die Lederriemen der wadengeschnürten Sandalen ab. Atemu erzitterte bei dieser nur zarten Berührung. Wie warm Seths Fingerspitzen waren, wie kräftig seine Hände und die kleinen Erschütterungen bei jeder Bewegung spürte er am ganzen Körper aufsteigen. Erst das rechte, dann das linke Bein wurden freigeschnürt und wenn die Knie des Pharaos schon nicht zitterten, so waren sie doch butterweich. Wir gerne hätte er seine Hände auf diese breiten Schultern gelegt, durch dieses volle Nackenhaar gestrichen, sich zu ihm gekniet, sein Kinn gehoben und ihn geküsst, bevor er ihm alles gestand, was in seinem Herzen war. Er würde ihn so gerne berühren, ihn spüren, seine Wärme, seine Zärtlichkeit. Und er würde es ihm sagen. Heute und hier würde er ihm gestehen, was er seit jener Nacht in sich trug. Dieses Gefühl, welches aus seinem Herzen quoll und ihn überschütten wollte mit Küssen, mit lieblichen Worten und allem, was ein Herz zu bieten hatte. Er würde ihm alles sagen und dann ... „Mein König.“ Seth erhob sich da vor ihm und reichte ihm die Hand. Damals vor sieben Jahren hatte der König ihn auf den Grunde dieser kleinen, untypischen und doch kräftig lebendigen Welt geführt - nun hatte Seth seine eigene Welt und legte sie seinem König zu Füßen. Nicht halb so schillernd, groß und prunkvoll, aber es war seine Welt. Sein Gras inmitten der Wüste. Mit einem zitternden Einatmen griff Atemu nach seiner Hand, fühlte wie sich die feinen Glieder um ihn schlossen und atmete erst dann wieder aus, als seine beiden Füße mit nur einem Schritt auf den kühlweichen Boden traten. Seths Gras war nicht anders als sein eigenes. Es war stark und gesund, voll und tragend. So wundervoll. Gemeinsam standen sie zu zweit auf diesem Grunde. Nur sie beide ganz alleine. Dies hier war ihre Welt. „Und?“ fragte Seth mit einer Mischung aus Bange und Erwartung in der samtenen Stimme. „Gefällt es Euch wohl?“ „Ja ... es ist ... wunderbar.“ Er hätte heulen können vor Glück, wenn er sich nicht vorgenommen hätte, sich zusammenzureißen. Das hier war doch nun wirklich kein Grund zum Weinen. Und doch ... sie beide standen ganz alleine hier auf dem Grunde ihrer eigenen, kleinen Welt. Eine Welt, in der sie beide weder Sklave noch König noch Priester waren. Ihre Füße auf dem weichen Gras trugen Menschen. Zwei Menschen, welche vom Schicksal zusammengeführt worden waren und auf ewig miteinander verbunden, wenn sie das weiche Kitzeln an ihren Sohlen spürten. „Ich hatte fast befürchtet, Ihr würdet Euch beleidigt fühlen.“ „Was? Nein! Warum denn?“ Warum sollte er denn beleidigt sein? „Nun ja“ lächelte er etwas zurückhaltend. „Ich habe versucht, es Eurem Palastgarten nachzuempfinden. Es ist mir eher schlecht als recht gelungen und ich wollte meinen Dank Euch gegenüber dadurch nicht schmälern.“ „Oh, Seth. Nichts schmälert sich dadurch. Glaube mir. Ich fühle mich ... so glücklich.“ „Das ist schön“ seufzte er etwas erleichtert. „Majestät, der Platz ist zu klein, um darauf zu laufen. Aber wir können uns gemütlich zu zweit setzen, wenn es Euch recht wäre.“ „Natürlich“ hauchte er ganz überwältigt und tat es ihm gleich als Seth sich langsam auf den Grasboden setzte, seine Beine etwas anwinkelte und dem König mehr als genug Raum schuf, sich neben ihm nieder zu lassen. Ganz langsam kam er zu ihm herunter, fühlte den zarten Flaum des Rasens durch sein dünnes Gewand und machte sich auch keine Gedanken über eventuelle Grasflecken. Nichts war es wert, diesen Moment zu zerstören. „Mein König, ist alles in Ordnung?“ Penu kam durch die Tür und fragte das frei heraus. Er wollte ja nur aufpassen und diese Szene war ja nun doch etwas eigen. „Ja, es ist alles in Ordnung“ beschwichtigte der und hob etwas beruhigend seine Hände. „Danke, Penu. Bitte warte doch vor der Tür, ja?“ „Ich bin gleich hier. Wenn Ihr etwas braucht, ruft bitte, mein Pharao.“ „Ja, mache ich. Danke dir.“ Dass Penu jetzt hier auftauchte, wunderte ihn nicht, aber so gerne wie er seine bullige Maus auch mochte, so störend war sein Freund hier. Er wollte mit Seth lieber ganz alleine sein ... nur diesen einen Moment, diese Nacht bis der Tag anbrach ... und danach ... am liebsten sein ganzes Leben. Mit einem Nicken schloss Penu die Tür von der anderen Seite und ließ beide allein. Und hinterließ damit einen Moment des Schweigens. Der Pharao blickte sich um und sah eigentlich nichts weiter als die glatten Wände des großen Tempelbaus und der drei kleineren Gebäude. Der tiefrote Stein wirkte bei Nacht fast schwarz und nur die kleinen Flächen, welche von den Fackeln beschienen wurden, zeigten noch diese manchmal blutrote Farbe. Auf dem Boden warfen sich keine Schatten und über ihnen war der ewig unveränderte Sternenhimmel. Myriaden von kleinen Lichtern lachten auf sie herab. Sie waren jede Nacht an einer anderen Stelle, wanderten unaufhörlich und doch blieben sie immer beisammen. Genau wie sein Herz bei Seth blieb. Sie beide wanderten durch diese Welt, waren immer an einem anderen Ort und doch blieben sie beide vereint ... wenn sie auf Gras saßen und in ihrer Welt menschlich waren. „Wir oft habe ich wohl in meinem Schlossgarten gesessen, die Sterne beobachtet und an dich gedacht?“ fragte er nach einer schweigenden Weile hinauf in den klaren Nachthimmel. „Mir ging es ähnlich“ gestand Seth und lehnte sich ein wenig auf seine Hände zurück, um ebenfalls den lichtbehangenen Himmel zu sehen. „Ich habe viel an Euch gedacht, wenn ich hier war. Häufig bin ich des nachts aufgestanden, kam hier her und schickte leise Gebete. Ich hoffte, mein Dank würde Euch auch über die Entfernung hinweg erreichen und Euch meine Treue zu Füßen legen.“ „Wer weiß?“ lächelte Atemu, sah ihn an und traf damit auch den ruhigen Blick seines verbotenen Göttertraumes. „Vielleicht saßen wir in manch einer Minute gemeinsam auf diesem seltenen Grün und dachten aneinander?“ „Ganz sicher“ lächelte er zurück und hielt die Spannung dieses wunderbar vertrauten Momentes genauso gern einen Augenblick aufrecht. „Ich bin überaus glücklich, dass Ihr heute hier gewesen seid“ fuhr er ruhig und leise fort. „Es muss Schicksal gewesen sein, denn mein Brief kann Euch doch noch gar nicht erreicht haben.“ „Doch, er hat mich erreicht. Über das Schicksal und das Wohlwollen der Götter“ antwortete er und kam aus dem herzklopfenden Lächeln nicht heraus. „Es ist wunderbar, dass wir nun einen so vertrauten Moment gemeinsam haben.“ „Ja ... ich bin froh, neben Euch weilen zu dürfen, Majestät“ antwortete er dankbar. „Seth, würdest du mir einen großen Wunsch erfüllen?“ „Jeden, mein Pharao. Was immer es sei“ versprach er ohne auch nur einen kleinen Moment des Nachdenkens. Und seine Bitte war ihm wirklich ein Herzenswunsch. „Jetzt, wo wir alleine sind ... kannst mich da nicht beim Namen nennen? So wie du es in deinen Briefen getan hast?“ „Ich wusste nie, ob es Euch recht war.“ Aber er war sichtlich erleichtert, dass es das sehr wohl war. „Habt tiefen Dank für diese Ehre ... Atemu.“ „Ja~a“ lächelte er mit zitternder, tränengefüllter Stimme. „Es tut so gut, dass zu hören. Zu hören, dass ich einen Namen habe.“ „Natürlich habt Ihr einen Namen. Einen Namen so heilig, dass er so unberührt bleibt wie die Wolken des Morgenrots, wenn der Amun von seiner nächtlichen Reise zurückkehrt und die verlorenen Seelen in Rahs Licht taucht. Genauso wie Eure Güte mir das Licht ins Herz zurücktrug.“ „Oh Seth ...“ „Ich wollte Euren Namen nur nie entweihen. Ich gebe zu, es ist merkwürdig ihn auszusprechen, da niemand es tut. Aus Respekt und Verehrung zu Euch. Es bedeutet ein unwürdiges Leben für jeden, der Euren Namen auf der Zunge trägt. Und doch ... ja, ich habe vielleicht weniger Skrupel davor. Als ich zu Euch kam, lag mein Leben in Euren Händen und das tut es noch immer. Wie kann ich also Furcht um etwas haben, was eh Euch gehört? Ich würde alles tun, was Euch Freude bereitet. Solange es Euch nicht schadet. Und was Euch schadet, könnt Ihr nur selbst wissen, denn Euer Leben gehört nur Euch allein. Und da mein Leben ebenfalls Euch gehört, fühle ich, dass es eins mit Eurem Willen ist ... also nenne nicht ich Euren Namen, sondern nur ihr selbst. Alles andere wäre von außen betrachtet ... ich aber, ich kann es von innen betrachten. Und nichts macht mich glücklicher, als dass ich nun ein Leben von Wert habe, welches ich Euch zu Füßen legen kann ohne Euch zu beleidigen.“ „Seth, dein Leben hat mich niemals beleidigt“ sprach er ganz ehrlich. „Das Leben eines jeden Menschen ist etwas wert. Wie die Sterne am Himmel. Wäre kein Stern etwas wert, so gäbe es sie nicht. Dann gäbe es keinen Nachthimmel. Aber es sind so viele Sterne, jeder für sich und jeder ist wichtig. Dein Leben ebenso wie das eines jeden anderen Menschen. Nur mit dem Unterschied, dass dein Leben für mich etwas besonderes ist. Wie der Nordstern, der am hellsten leuchtet.“ „Nein, Euer Leben ist etwas besonderes, Atemu“ lächelte er. „Selbst wenn ich ein Stern sein sollte, wofür ich Euch danke, so seid Ihr doch der Mond, der Horus. Ihr dominiert den Himmel und nennt ihn Euer eigen. Ihr regiert in den Momenten, wenn das Licht des Rah uns nur über Euch erreichen kann. Und ich verehre Euer Licht wie kein zweites. Die Ägypter wissen, was sie an Euch haben, wenn sie Euch den größten Pharao aller Zeiten nennen.“ „So? Tun sie das?“ fragte er geschmeichelt. „Es wundert mich, dass Euer Ruhm über jedes Feld selbst den kleinsten Bauern erreicht und doch nicht an Euer Ohr drang.“ „Na ja, vielleicht bin ich auf dem Ohr ja ein wenig taub.“ „Sagt es nur und ich will die süßen Worte des Volkes zu Euch sprechen“ zwinkerte er. „Wenn Ihr mein Wort denn versteht?“ „Verstehen nicht, aber ich höre es lieber als jedes andere“ gab er ihm mit einem Augenzwinkern zurück. „Und du? Gefällt es dir hier im Tempel?“ „Ja, es ist wunderbar. Meine Zeit als Schüler war wie eine Neugeburt“ dankte er mit einem ergebenen Blick aus seinen sternenglänzenden Saphiren. „Als Ihr mich damals fortschicktet, hatte ich keinen Lebenswillen mehr, kein Ziel und es war mir auch egal, dass Ihr mich verstoßt.“ „Aber ich habe dich doch gar nicht verstoßen! Bitte, glaub das nicht!“ „Das habe ich dann mit der Zeit auch herausgefunden“ strahlte er. „Als mich Euer erster Brief erreichte, da wusste ich es. Ihr hattet mein Leben gerettet und ich konnte nicht sagen, weshalb. Ich kann es bis heute nicht sagen, aber danken kann ich es Euch nun, Atemu. Nur langsam konnte ich das Leben annehmen, welches Ihr mir geschenkt habt. Und heute werte ich es als gut. Ich fühle mich gut. Wirklich gut. Niemand kam jemals auf den Gedanken, ich könnte nur ein schmutziger Sklave sein, welcher an ein billiges Bordell verschenkt wird.“ „Das warst du niemals, Seth“ unterbrach er ihn überzeugt davon. „Deine Erinnerung, dass dein Vater Priester war, war doch echt. Also bist du kein Sklavenkind. Du kommst aus einer guten, blutreinen Familie.“ „Als Ihr mir auch das schriebt, fiel eine unglaubliche Last von mir ab“ sprach er weiter in diesem tief dankbaren Ton und blickte wieder hinauf in den funkelnden Sternenhimmel. „Ich habe lange hin und her überlegt. Wie kann es sein, dass der heilige Pharao seine eigenen Stände, seine eigenen Gesetze unterwandert und einen Lustsklaven zum Priesterschüler macht? Aber ich habe an Euer Wort geglaubt. Ihr sagtet, ich komme aus einer reinen Familie und mit diesem Glauben, konnte ich weitermachen ... nein, ich konnte endlich beginnen. Es hat lange gedauert bis ich die bösen Erinnerungen verarbeitet hatte, bis ich Freunde fand und das Bewusstsein, etwas wert zu sein. Und Eure liebevollen Briefe waren mir die größte Stütze. Die Versicherung, Euren Schutz zu genießen, eine Verbindung zu Euch zu haben, gab mir den Glauben an die gütigen Götter. Ihr gabt mir mehr als nur einen Namen. Ihr gabt mir eine Seele. Und wenn ich Euch das jemals zurückgeben kann, so will ich nichts lieber tun als das“ sagte er und schaute ihm direkt in die Augen, welche schon die ganze Zeit auf seinem Gesicht ruhten. „Wie kann ich Euch nur jemals für Eure Güte danken, Atemu?“ „Komm mit mir in den Palast“ schoss es aus ihm heraus, ohne dass er es wirklich wollte und erschrak sich im selben Moment über seine eigenen Worte. Sein Kopf kämpfte, hämmerte, rebellierte ... aber aus seinem Munde sprudelten die Worte seines vollen Herzens, welche er kaum zügeln konnte. „Komm mit mir zurück. Als mein Priester. Sei mein Priester, Seth. Mein Hohepriester ist schon alt und das Gerangel um seine Nachfolge steht bereits an. Ich kann dir den Vorzug geben ... ich ... bitte ... komm mit mir.“ Das musste Seth erst mal schlucken, denn das schien wohl das Letzte zu sein, was er erwartet hatte. Er blickte seinen Pharao mit verwirrten Augen an und als der diese aufgerissenen Augen sah, wusste er, dass er es gerade ziemlich übertrieben hatte. Er kniete vor ihm, hielt seine Hände und sah aus wie ein Bittsteller, der Gnade nötig hatte. Wie ein Bettler, welcher um ein Stück Brot flehte. Ein König flehte doch keinen frischgeweihten Priester an, in den Palast zu kommen und versprach ihm den Posten des Hohepriesters. Hohepriester waren erfahrene, gestandene Männer mit Lebenserfahrung und unglaublicher Weisheit. Und Könige waren mächtig, über alles erhoben und baten niemals um etwas. Wenn sie etwas wollten, nahmen sie es sich. Niemals kniete ein Pharao vor einem gewöhnlichen Priester!!! Der Pharao nahm sich ein wenig zurück, kam von den Knien und setzte sich zurück neben ihn, wobei er auch seine warmen Hände losließ, nach welchen er gekrallt hatte. Das hier war ein Ausrutscher. Ein sehr dummer Ausrutscher. Was sollte Seth denn jetzt von ihm denken? Er konnte doch gar nicht nein sagen, selbst wenn dieses Angebot so flehend vorgetragen wurde. So ein Angebot war selten, teuer und niemals zu wiederholen. Man DURFTE es gar nicht ablehnen! Eine Ablehnung würde einer offenen Beleidigung des Königshauses gleichkommen! „Ich ... es ...“ Er wusste gar nicht, was er zur Entschuldigung vorbringen sollte. Er würde ja doch nur wieder das falsche sagen. „Majestät, Ihr habt wohl einen Wein zu viel getrunken“ lachte er dann aber und verwirrte den König damit noch mehr. Seth lachte? Weil er dachte, das hier wäre ein Witz? Oder lachte er über das tollpatschige Gebärden des sonst so stolzen Herrschers? „Ich ... ich ...“ Er bekam noch immer kein anständiges Wort heraus. Egal was er sagte, es würde immer falsch sein. Sein Kopf diktierte, aber sein Herz war auf Revolution aus. Es schwindelte in seinem Kopf und er konnte das Blut in den Ohren rauschen hören. Wie Schlieren verklärte sich alles vor seinen Augen und ihm wurde heiß in dieser kühlen Sternennacht. Wie konnte er nur? Fatil hatte Recht. Er hätte sich hierauf niemals einlassen dürfen. „Das war ernst gemeint“ entbrachte er endlich etwas klarer, deutlicher - ruhiger. „Ich glaube auch nicht, dass Ihr bei so etwas scherzt“ entgegnete Seth ihm ebenfalls in einer festen Ruhe. „Nur die Art muss wohl vom Wein beeinflusst sein.“ „Ja, ich habe wirklich etwas viel getrunken. Ich vertrage doch eigentlich gar nicht solche Mengen ... aber es schmeckt so gut bei euch.“ „Ich weiß. Der Wein ist sehr gehaltvoll. Kein Grund zur Sorge. Ich werde deshalb vor anderen nicht schlechter über Euch sprechen, Atemu.“ „Das meinte ich auch gar nicht ... aber ... Seth?“ Er wagte es wirklich und hob seinen Blick. Sein Kopf, der bis eben noch auf den angezogenen Knien ruhte, richtete sich ein wenig auf und er fing den Blick in klare, sternenleuchtende Saphire ein, welche trotz dieses Missgeschicks noch immer so ruhig waren wie der Nachthimmel über einem reinen See voll des teuren Wassers inmitten der Wüstenhitze. „Du musst nicht ... also ... ich ziehe mein Angebot nicht zurück ... aber du musst es nicht annehmen. Wenn du nicht willst, kannst du es ausschlagen ... ich meine ... du hast ja geschrieben, dass du ...“ „Atemu, verzeiht bitte, wenn ich Euch unterbreche“ erwiderte er ganz langsam und überaus höflich. „Ich weiß Euer Angebot durchaus hoch zu schätzen, so wie ich Euch auch als Person schätze. Ich kann mir aber vorstellen, dass Ihr große Probleme bekommt, sollte ich so früh Hohepriester werden. Man würde sich nach dem Warum fragen und letztlich würde man dahinterkommen, dass Ihr ...“ „Man hat aber für dich geworben. Ich könnte Chaba zur Rate ziehen und ... aber du musst ja nicht. Ich meine, nur wenn es dir genehm wäre. Wenn du andere Pläne hast, weit fern vom Palast, dann ... dann tu bitte nur, was dein Herz dir sagt. Ignoriere meine Worte ... hör nur auf dein Herz.“ Denn Menschen durften auf ihr Herz hören. Könige durften das nicht. Es war so schwer, da wieder rauszukommen. Jetzt hatte er es ausgesprochen und würde es am liebsten gleich wieder zurücknehmen. Er trieb Seth damit in die Enge und sich selbst auch. Vielleicht hätte er lieber gleich auf Fatil hören sollen! „Mein Pharao, ich bin so jung. Ich könnte mich ohne Probleme auf das Amt des Hohepriesters erst in zwanzig Jahren bewerben, denn ich weiß selbst, dass ich nicht genug Erfahrung mitbringe. Ich könnte den Palast als zentralen Tempel nicht leiten und keine religiöse Linie für das ganze Reich vorgeben. Die Alten würden mir misstrauen, die Jungen mich nicht achten und ich mich selbst auch nicht. Ich kann Euch jetzt nicht das geben, was Ihr von mir erwartet. Wenn Ihr mich ein zweites Mal bittet, werde ich nicht nein sagen, aber ich ...“ „Oh Seth, du musst nichts tun. Bitte vergiss es einfach! Ich war ... ich bin nur betrunken.“ Auch wenn das Unsinn war. Er konnte sehr wohl noch klar denken und hatte auch kein Lallen auf der Zunge. Aber es war so eine gute Entschuldigung - nicht nur für sich selbst, sondern in vorderster Reihe auch für seinen Seth. Er durfte ihn nicht gefangen nehmen, ihn mitschleppen und mit sich einsperren. Das hatte er nicht verdient. „Ach, Majestät. Was soll ich Euch sagen? Erlaubt Ihr, dass ich ehrlich zu Euch bin?“ „Ja, natürlich!“ Natürlich! Seth war vielleicht der einzige Mensch im Reich, bei dem er das Gefühl hatte, dass er ehrlich zu ihm war ... weil er anders war als alle anderen. „Ihr seid mir ein wichtiger Bestandteil meines Lebens“ eröffnete er und blickte ihn mit so zärtlichen Augen an, dass es dem König das Herz stoppte. „Euch verdanke ich mein Leben, teurer Atemu. Und meine Dankbarkeit zu Euch kennt keine Grenzen. Ich weiß, ich kann ehrlich zu Euch sein, da man vor Euch zwar Respekt, aber keine Furcht zu haben braucht. Und deshalb antworte ich Euch folgendes: Ich fühle mich noch nicht reif, um Hohepriester zu sein. Wenn Ihr mich ein zweites Mal bittet, werde ich nicht ablehnen, aber mir wäre unwohl dabei. Das ist eine Stellung im Reiche, welche der Eurigen am nächsten ist. Und ich fühle mich noch nicht Manns genug, sie auszufüllen. Ich muss noch lernen und an Erfahrung und Weisheit reifen.“ „Ich muss auch viele Reisen machen, auf die mein Hohepriester nicht mit kann. Und mein Wanderpriester ist vor kurzer Zeit verstorben. Wenn du noch keine Anstellung hast, wäre ich sehr glücklich, wenn du mich als Wanderer begleiten würdest“ sagte er, aber er dachte nur >Halt doch die Klappe, Atemu! Sei ruhig! Du reitest dich nur noch tiefer rein! Lass ihn los! Lass ihn ziehen! Tu das nicht!< Er war so im Zwiespalt, dass es ihm das Herz vom Kopf abtrennte und beide einen erbitterten Kampf fochten. Nur, dass sein Herz lauter zum Munde hinausschrie als sein Kopf es tun konnte. Sein Kopf ermahnte ihn, aber sein Herz setzte ihm zu und schickte ihm die wildesten Gefühle ins Blut. Gefühle, wie es wäre, ihn bei sich zu haben. Ihn zu küssen ... ihn zu lieben. „Ein Wanderpriester an Eurer Seite?“ Diese Möglichkeit schien er ebenfalls nicht in Betracht gezogen zu haben, denn sonst wäre er nicht so überrascht. Wahrscheinlich hatte er es gar überhaupt nicht in Betracht gezogen, eines Tages zu seinem Pharao zurückzukehren - jetzt, wo er lange kein Sklave mehr war ... und doch letztlich immer der Sklave des Königs sein würde, der mit seinem Geheimnis auch sein Leben in festen Händen hielt. „Du musst nicht ja sagen, nur um höflich zu sein ... ich sage nur ... ich ...“ >Ich liebe dich!< schrie sein Herz. „Eigentlich ist es mir gleich. Entscheide wie du willst“ log sein Kopf in weiser Voraussicht. „Es ist Euch gleich? Warum fragt Ihr dann?“ „Weil ich so betrunken nicht mehr weiß, was ich reden soll.“ Er fasste sich an die Stirn und schluckte die aufkommenden Tränen herunter. Diese Situation war so schön und so schrecklich zugleich. Bittersüß. Es war so wunderbar, neben ihm zu sitzen, ihn anzusehen, mit ihm zu sprechen. Und es war so schrecklich, ihn nicht haben zu dürfen. Würde er Seth an sich binden, so nahm er ihm das, was er ihm gerade geschenkt hatte. Seine Freiheit. „Majestät, aber was ...? Ich glaube nicht, dass ihr so sturzbetrunken seid.“ Verdammt! Und intelligent war er auch. Viel mehr als dem König lieb war. „Ich will nur sagen ...“ Er atmete tief ein, nahm all seine Beherrschung zusammen und konnte doch seinen Blick nur entschlossen auf den Boden richten. „Man sagte mir, du hättest großes Potential einst in der Religion ganz oben zu stehen und ich möchte dir das ermöglichen. Ich habe aber Angst, wenn ich dir zu viel anbiete, dass es dir unangenehm sein könnte. Ich will dich nicht unter Druck setzen und ich fürchte, dass genau diese meine Fürsorge auf dich erdrückend wirken kann. Ich will nicht, dass du meine Bitten und Angebote als Befehle oder Erpressung auffasst. Dein Wille soll dein Wille sein und nicht der meinige ... Seth.“ Verschlüsselt traf es endlich den Kern der Sache. Die Worte fielen schwer, aber so konnte er ihm vielleicht im Ansatz verständlich machen, wie er fühlte. Er wollte nur sein Bestes - aber es sollte nicht der beste aller Käfige sein. „Ich weiß“ lächelte er und Atemu zuckte zusammen, als er fühlte, wie Seth vorsichtig nach seiner Hand griff und einen Kuss darauf hauchte. Das Gefühl seine Lippen zu spüren, war unglaublich. Sie waren so weich, so warm und sinnlich. Diese Lippen an seiner Hand waren so erhebend zu spüren ... wie gern würde er ihn an sich ziehen, seine Zunge schmecken und diese lieblichen Lippen am ganzen Körper fühlen! Und doch fühlte er sich trotz dieses unbändigen Begehrens wie erstarrt. Er starrte ihn an, als würde er zwischen der Realität und seinem Herzenswunsch fest hängen. Er wollte ihn umarmen, ihn fühlen und doch ... er durfte nicht. Wenn er Seth zu nahe kam, würde er mit ihm nur die selben Fesseln teilen. „Atemu, ich habe mich verändert seit wir uns das letzte Mal sahen“ fuhr er ganz samtig weich fort, ließ seine Hand los und lächelte ihn doch mit aller Zugewandtheit rosig an. „Bitte habt keine Angst, Ihr könntet mich verschrecken. Durch Eure Güte habe ich gelernt, einen Willen zu haben. Und wenn ich etwas nicht will, dann sage ich es - auch vor Euch. Denn vor Euch habe ich keine Furcht. Euer Schutz hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Zu dem, was ich sein will. Und wenn Ihr wollt, was ich will, bin ich der seligste Mensch, der jemals gelebt hat. Denn ich glaube, das Schicksal hat mir etwas unbezahlbares geschenkt. Das Schicksal gab mir eine tiefe Freundschaft zu meinem Pharao. Wenn Ihr meine Freundschaft wollt.“ >Freundschaft.< Warum nur klang dieses Wort so bitter, wenn sein Herz es wiederholte? Ein Freund war einem ans Herz gegeben, treu durch alle Zeiten. Freundschaft war oft beständiger und unabhängiger als alles andere. Ein Freund, ein echter, wahrer, loyaler Freund war mehr wert als ein Schatz von Gold, Silber und Edelsteinen. Und doch ... der Gedanke daran, dass Seth zwischen ihnen Freundschaft sah ... es war etwas Schönes und doch ... warum klang dieses Wort so klein, ungenügend ... unbefriedigend? „Ja, wir sind Freunde“ lächelte er doch tapfer. Vielleicht konnten sich Herz und Kopf darauf einigen. Ein Kompromiss mit dem Schicksal. Seth zum Freund zu haben, war tausend Mal besser als ihn gar nicht zu haben. Es war der beste Weg, das weiteste Ziel ... es musste einfach genügen. „Es macht mich sehr glücklich, dass Ihr das sagt“ strahlte er und zeigte ein wenig seine schönen Zähne als er lächelte. „Nichts auf der Welt könnte mir wichtiger sein als unsere Freundschaft, Atemu. Danke.“ „Nein, ich danke dir, Seth.“ Nickte er wohlwollend. „Und um unserer Freundschaft willen ... bitte ... bitte vergiss meine Ungeschicklichkeit heute Abend. Es ist wohl nicht nur der Wein, sondern auch die Freude darüber, dich zu wohlauf zu sehen. Mein Angebot zur Wanderpriesterschaft an meiner Seite steht. Ob du es annimmst oder nicht, bleibt dir überlassen. Es ist ganz frei deine Wahl. Denn du bist mein Freund und auch wenn deine Ehrlichkeit mich vielleicht schmerzt, so ist das nichts gegen den Schmerz, den ich fühlen würde, hätte ich das Gefühl, dich zu etwas zu zwingen.“ „Ich danke Euch dafür, mein Pharao.“ Und es machte ihn wirklich froh, auch wenn er jetzt zu überlegen schien. „Und was Euer Angebot angeht, so ...“ „Vielleicht solltest du erst ein wenig Entspannung finden nach deiner harten Lehrzeit. Dir ein wenig Ruhe gönnen“ unterbrach er ihn. „Du bist doch sicher jetzt sehr erschöpft und willst erst ein wenig deine Freude am Erreichten haben. Ich werde in der nächsten Zeit noch viel mehr reisen müssen, denn es stehen wichtige Verhandlungen an in nächster Zeit. Ich muss sicher noch mal in unsere Nachbarländer, um dort zu schlichten und einen Krieg zu verhindern. Ich will dich nicht gleich am Anfang so hetzen oder überfordern. Nicht, dass ich nicht glaube, du könntest das nicht, aber ich ... ich will nur ...“ „Ich weiß schon“ lächelte er beruhigend. „Dass der Palast zurzeit Krisen mit unseren Nachbarländern auszustehen hat, ist nicht schön und belastet Euch sicher sehr. König Sarh von Tschad ist wirklich ein Tyrann in seinem Land und er wird immer tyrannischer - auch gegenüber den angrenzenden Ländern. Ich verstehe, dass Ihr Euch im Augenblick eigentlich ganz anderen Dingen widmen müsst als hier mit mir zu sitzen.“ „Nein! So war das nicht gemeint! Ich ...“ „Jetzt lasst mich doch mal aussprechen!“ lachte er ihn herzlich an und ließ den Pharao sofort überrascht verstummen. Das hier war wohl das erste Mal in seinem Leben, dass er unterbrochen wurde. Man unterbrach den König nicht einfach, sondern man lauschte, bis er geendet hatte. Aber Seth? Seth war nicht wie die anderen. „Entschuldigt, ich möchte nur nicht, dass Ihr mich wieder falsch versteht und der Fehler bei mir liegt. Ich wollte sagen, dass ich durchaus verstehe, wenn Ihr wichtige Dinge im Kopf habt. Und wenn ich kann, so möchte ich Euch hilfreich sein, wo ich kann, um Euch zu entlasten. Ob nun als Freund oder als Priester.“ „Heißt das ... du willst?“ Das wäre doch zu schön! Wenn Seth mit ihm kommen würde. Wenn sie gemeinsam auf Reisen waren. Lange, beschwerliche Reisen durch die heiße Wüste und jeden Abend mit ihm am Lagerfeuer sitzen, nachts seinem Atem lauschen, ihn die ganze Zeit an seiner Seite zu haben. Vielleicht mit ihm gemeinsam zu baden, reiten, lachen und singen! Wenn Seth sein Wanderpriester werden würde ... dann wäre der Pharao niemals mehr einsam. „Ich weiß es nicht“ antwortete er aber auf die Vorfreude des Königs etwas ausweichend. „Das kommt sehr überraschend für mich. Ich fände es schön, es wäre mir die größte Ehre und ein Vergnügen an Eurer Seite zu sein und Euch zu unterstützen. Jedoch ... bitte versteht dies nicht als Beleidigung, aber ich möchte gerne eine Weile darüber nachdenken.“ „Aber warum denn?“ Warum machte er jetzt einen Rückzieher? „Hast du denn schon andere Pläne? Hat man dir ein anderes Angebot gemacht? Also, wie gesagt musst du ja nicht, aber ... hattest du vielleicht etwas anderes vor, nach Abschluss deiner Lehrzeit?“ „Nun ja, nichts Konkretes.“ Er wurde ein wenig rot und das erkannte man sogar im dämmrigen Schein der Fackeln. Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und schaute aus ertappten, aber glänzenden Augen schüchtern zu ihm herüber. „Mein Pharao, ich bin verlobt seit drei Tagen.“ Und brach damit das Herz seines Königs. „Verlobt.“ Er wiederholte es fragend ... ungläubig ... geschockt ... ängstlich. „Chaba hat mich mit Shinasa, seiner Tochter verlobt. Vor drei Tagen.“ „Shinasa.“ Dieser Name, dieses Mädchen ohne Gesicht ... das hatte er vergessen. Seth war verliebt in die Tochter des Hohepriesters, seit Jahren schon war er mit ihr ein Paar und nun machte er Hochzeitspläne. Sicher dachte er auch schon an Kinder und ein Leben als Familienvater und treuer Ehemann ... an ein Leben ohne den Pharao. Atemu hatte in seiner Lebensplanung keinen Platz. Shinasa hatte er sein Herz geschenkt. „Ja, ich hab sie sehr lieb“ schmunzelte er und hätte wohl gegrinst, wenn er sich nicht besser als der König zusammenreißen könnte. „Hätte ich gewusst, dass ich Euch heute treffe, so hätte ich vielleicht früher mit ihr sprechen können.“ „Du ... du ... du willst sie heiraten?“ Sein Herz weinte laute Qualen heraus und doch konnte nicht eine Träne durch seine Augen dringen. So musste es sich anfühlen, wenn eine Welt zusammenbrach, die es niemals gegeben hatte. Und es ging plötzlich so schnell, dass all seine Träume in sich zusammenfielen. Und den König Atemu unter ihren Trümmern begruben. „Wir wissen noch nicht wann. Ob nun noch in diesem oder im nächsten Jahr“ erklärte er und seufzte. „Aber sie ist wirklich eine wundervolle Person, ein tolles Mädchen. Ich musste bei Chaba gar nicht lange um sie werben, damit ich um ihre Hand anhalten konnte. Wie gesagt, es ist noch nicht lange her, seit ich sie gefragt habe. Ich habe noch nicht einmal mit Chaba über ihre Mitgift sprechen können, aber ... sicher ist, dass ich sie zur Frau haben will.“ „Dann ... dann hast du um sie angehalten und ... willst du das wirklich?“ „Ja, das ist mein Wille ... bisher.“ Und doch machte er auch hier wieder Einschnitte, welche die Gefühle seines Pharaos völlig über den Haufen warfen. „Aber Euer Angebot könnte es schwierig machen. Als Wanderpriester an Eurer Seite kann ich sie nicht mitnehmen. Außerdem ist sie hier im Tempel noch an ihre Pflichten gebunden und kann nicht so überstürzt etwas Neues anfangen, ich bezweifle auch, dass sie das möchte. Atemu, ich will Euer Angebot nicht sofort ausschlagen, aber ich erbitte mir doch etwas Bedenkzeit. Wisst Ihr, wie lange Ihr hier bleiben werdet?“ „Ich ... ähm ... nein.“ In diesem Moment wusste er gar nichts mehr. War es Tag oder Nacht? War er König oder Bettler? Lebendig oder tot? Er wusste nichts mehr. Er wusste nur, dass er weinen wollte. Kapitel 18: ------------ Kapitel 18 Er glaubte, er habe nicht viel geschlafen, doch als er seine schmerzenden Augen öffnete, drang bereits die Sonne bis auf seine Bettdecke vor und blendete sein Antlitz. Es war hier in diesen dicken Steinmauern noch relativ kühl, aber wenn der Tag noch etwas älter wurde, konnte sich das schnell ändern. Er schloss seine Augen wieder und spürte das dumpfe Pochen in seinem Kopf, schmeckte noch das Salz in seinem Mund. Es war spät geworden gestern. Es war schmerzlich geworden gestern. Seth wiederzusehen war ein so erhebendes, wundervolles und einzigartiges Erlebnis. Jedoch ... er hatte sich etwas vorgemacht. Er hatte es immer gewusst und sich doch in hoffnungslosen Träumen verloren. Seth liebte ihn nicht. Und er würde es niemals tun. Sie waren Freunde. Nicht mehr. Er hatte sein Herz an ein junges Mädchen verschenkt und er machte nicht den Anschein, als würde er sie für seinen König einfach verlassen. Warum sollte er das auch tun? Zurück beim Pharao zu sein, hieße doch für ihn, zurück in Gefangenschaft zu gehen. Endlich war er frei. Er war ein junger Priester, ein Mann, der noch vieles vor sich hatte. Jemand, der sein Leben und die Liebe genießen wollte. Er wollte etwas auf die Beine stellen, Kinder haben und sich etwas schaffen, was er später vererben konnte. Warum sollte er mit dem König fortgehen und alles hinter sich lassen, was er sich so hart erarbeitet hatte? Warum sollte er seine Zukunft verschenken? Was zog ihn denn zum Pharao? Gar nichts! Viele würden dem König sofort folgen und damit Haus, Hof, Frau und Kinder verlassen, um dem Pharao nahe zu sein - etwas von seinem Ruhm und seiner großen Erscheinung abzubekommen. Aber nicht Seth. Seth war anders als die anderen Menschen. Er wusste, wann es sich zu kämpfen lohnte und er wusste auch, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Endlich wusste er es! Er hatte es ihm ganz klar gesagt. Sie waren Freunde und Seth war verlobt. Es gab keine Zukunft für sie beide. „Und warum mache ich mir dann was vor?“ fragte er sich selbst leise in sein Kissen gemurmelt. Er hatte sich etwas vorgemacht. Die ganze Zeit über hatte er gewusst, dass es nicht funktionieren würde, dass seine Träume nur Träume und seine Wünsche nur Wünsche waren. Doch das hier war die Realität - und die sah anders aus als es sein Herz sich erträumte und wünschte. Seth würde ihm nicht folgen. Und der Pharao würde seine Tränen verbergen und eines Tages so einsam sterben wie er geboren war. Doch der Gedanke, dass Seth ohne ihn glücklicher war, würde ihn begleiten und ihn wissen lassen, dass er seine Liebe für das Wohl eines wundervollen Mannes opferte. Er würde alles für Seth opfern. Auch sich selbst. Es half nichts, sich etwas vorzumachen. Seth war hier glücklich und warum sollte man ihm dieses Glück verwehren? Er war endlich glücklich, wirklich richtig glücklich. Alles, was der Pharao ihm jemals gewünscht hatte, war in Erfüllung gegangen. Warum nur fühlte es sich dann nicht wie Erfüllung an? Warum tat es so weh ... dieses Glück? Warum war Freundschaft nicht genug? In ihm stiegen die Tränen auf. Wie gestern wuchs der Schmerz in seinem Halse so sehr an, bis er tief innen stach wie ein Dolch, welcher nicht nur sein Herz, sondern ihm auch die Kehle durchbohrte. Die ganze Nacht hatte er die Tränen zurückgehalten. Ein König weinte nicht. Menschen weinten - Könige nicht. Und jetzt fühlte es sich an als würden die unterdrückten Tränen seinen Schädel sprengen wollen. Sein Hals war wie zugeschnürt und der stechende Schmerz in seinem Kopf ließ die warme Sonne heute zu einem beißend glühendem Sonneball werden. Obwohl seine Wangen vor Hitze rot waren, fühlten seine Glieder sich so kalt an. Sein Körper schwer wie Stein. Ob er überhaupt jemals wieder aufstehen würde? Am liebsten würde er hier liegen bleiben. Würde seine Augen geschlossen halten und doch miterleben wie auf den Tag die Nacht folgte, auf die Nacht der Tag und wieder Nacht. Solange bis er ein alter Mann war, den die Liebe vor langer Zeit von sich gestoßen hatte. Er könnte ewig hier im Bett bleiben. Vielleicht würde er vorher verhungern oder verdursten. Alles war besser als noch mal aufzuwachen. Aus einem Traum zu erwachen und ihn zerschlagen zu seinen Füßen sterben zu sehen, war grausam - dann lieber liegen bleiben und niemals mehr aufwachen. Einfach nur liegen bleiben. >Nicht das Stürzen ist die Niederlage, sondern das Liegenbleiben.< Es waren die Worte seines Vaters, welche ihm durch den Kopf gingen. >Es wird eine Zeit kommen, da wirst du dir wünschen, du wärest nicht als König geboren, mein Sohn. Aber es wird auch Zeiten geben, in denen dir dein hohes Blut einen guten Dienst erweisen wird. Sei besser als die Menschen es sind. Sie werden es dir gewiss nicht danken, aber die Götter werden es tun. Auch wenn du fällst, so bleibe nicht liegen. Denn nicht das Stürzen ist die Niederlage, sondern das Liegenbleiben. Auch Könige können stürzen, aber echte Pharaonen bleiben nicht liegen. Sie steigen auf zu den Göttern.< „Und wenn ich lieber bei den Menschen sein will als bei den Göttern? Wenn ich einen ihrer verbotenen Träume leben will?“ fragte er sein Kissen erneut leise mit bebender Stimme. Der Stein in seinem Halse ließ kaum ein Sprechen zu. Der Schmerz in seinem Kopf ließ kaum ein Denken zu und doch kamen ihm die Worte seines Vaters so real vor. Vielleicht realer als die kalte Realität. „Majestät, seid Ihr erwacht?“ Diese Stimme war nun aber eindeutig realer als seine Gedanken oder seine eigene Stimme. Eine fremde Stimme drang an sein Ohr. Eine glatte Stimme, ein wenig zittrig, aber so klar und ... so schrecklich real. Er drehte sich langsam herum, wendete seinen Körper, der ihm wie aus Stein schien heute Morgen. Und trotz seiner Kopfschmerzen öffnete er seine pochenden Augen und erblickte vor sich einen alten Mann knien. Die Haare auf dem Kopf waren ihm ausgegangen, aber von seinen Ohren nach hinten, war ihm noch ein wenig geblieben. Sein Gesicht war faltig, sein Körper robust gebaut und sein dicker Bauch ein wenig abgesenkt. Dafür waren seine Schultern so kräftig, dass es ganz sicher schien, er habe in seinem Leben schon viel und hart gearbeitet. „Bist du Kitepsens?“ fragte er müde den alten Dickbäuchigen. Er erinnerte sich daran, dass der kleine Kima diesen Namen gestern erwähnte. Der König hatte ein gutes Namensgedächtnis und so erinnerte er sich schnell an den Namen seine eigentlichen Kammerdieners. „Hoheit, ich bin Euer Kammerdiener“ nickte er freundlich und ordnete sich das dunkelrote Gewand auf seinem Schoß. „Bitte verzeiht, dass ich Euch gestern Morgen nicht zur Stelle war. Ich war ein wenig unpässlich. Ich hoffe, Ihr hattet keine Unannehmlichkeiten dadurch.“ „Nein, eigentlich nicht.“ Kima hatte sich ja gut um ihn gekümmert. Er mochte den Jungen, der sich gegen die Priesterschaft und für den Bauernberuf entscheiden wollte. Er war erfrischend ehrlich. Doch irgendwie war er nun auch ganz froh, dass er vor sich einen alten Mann hatte, der in seinen Pflichten sicher eher bewandert war. So musste er sich nicht groß unterhalten. „Majestät, guten Morgen.“ Er setzte ein Lächeln auf und wünschte ihm nun eben noch mal aufs Neue einen guten Start in den Tag ... einen Start hinaus aus seinem Traum und hinein ins Leben, welches für ihn nichts als Schmerz und unerfüllte Liebe bereithalten wollte. „Möchtet Ihr aufstehen? Ich bringe Euch gerne etwas zu Essen. Oder möchtet Ihr erst ein Bad nehmen? Es ist alles für Euch vorbereitet.“ Seine Stimme wirkte angenehm. So freundlich und ohne hohe Spitzen oder tiefe Töne. So schön freundlich und dumpf genug, dass es seinem niedergeschlagenen Kopf nicht schadete. Aber sollte er ihm sagen, dass er eigentlich liegen bleiben wollte? Dass er sich fühlte wie verschimmelte Milch, welche man in einem schmutzigen Krug erbrochen hatte? Dass die Kopfschmerzen pochten, sein Hals stach, dass ihm kalt und heiß zugleich war? Dass sein gebrochenes Herz ihn quälte? Nein. Könige weinten nicht! „Bitte bring mir einen Kelch kaltes Wasser, Kitepsens“ erwiderte er müde, heiser. Der alte Kammerdiener nickte, erhob sich und seinen dicken Bauch und watschelte hinüber an ein flaches Regal, wo er einen goldenen Kelch nahm und Atemu hörte wie dort Wasser hineingegossen wurde. Er selbst war vorerst damit beschäftigt, sich im Bett aufzurichten, sich die Augen zu reiben und seine Schläfen zu massieren. Noch niemals war ihm das Aufstehen so schwer gefallen. Er startete gerne in einen neuen Tag, war schnell so frisch wie der Morgentau. Er hatte morgens Hunger und viele Pläne für den Tag. Nach dem Schlafen war er voller Tatendrang und genoss die ersten Sonnenstrahlen. Doch heute schien ihm alles so leer. So sinnlos. So endlos. Oder war vielleicht schon alles zuende und man hatte nur vergessen, es ihm zu sagen? „Majestät?“ Atemu öffnete seine Augen und blickte zur Seite, wo die glatte Stimme herkam. Die fleischige Hand reichte ihm einen Kelch, den er nahm und mit nur einem Zug leerte. Das Wasser war wunderbar klar und kühl. Es tat gut, wie es seinen brennenden Hals hinablief, seinen schmerzenden Magen ausfüllte. Als würde die Klarheit des Wassers den Schmutz mit sich hinunternehmen, den er sich letzte Nacht unter größter Beherrschung nicht aus den Augen geweint hatte. Er wollte gerade wieder rückwärts in die Kissen sinken und die Augen schließen, doch das Leben wollte ihn einfach nicht in Ruhe lassen. „Mein König, Ihr hattet zugesagt, Ihr wollt heute Morgen Audienzen geben“ sprach der bäuchige Kitepsens ihn weiter an. „Möchtet Ihr Euch noch waschen oder Euch sofort ankleiden?“ „Es gibt keine Audienzen heute Morgen“ widersprach er mit fest entschlossener Stimme. Er fühlte, wie sich die Trauer und der Schmerz in seinem Bauch langsam zu einem großen Klumpen Wut wandelten. Wut auf die Welt, weil sie ihn zu etwas machte, was er nicht sein wollte. Wut auf sich, weil er sich selbst so lange etwas vorgemacht hatte. Wut einfach auf die Sonne, weil sie jeden Morgen am Himmel erschien und so tat als sei nichts gewesen. Als hätte es diesen verzauberten Mondschein in den blauen Saphiren niemals gegeben. Wut darauf, weil er nicht geliebt wurde. Er liebte immer alles und jeden! Warum verdammt noch mal, wurde er nicht auch geliebt? „Aber Majestät!“ bat der Kammerdiener und sah ihn ein wenig erschrocken an. „Vor Eurer Tür warten schon die ...“ „Ich sagte, es gibt heute keine Audienzen!“ schimpfte er ihn an. Er als Pharao schimpfte niemals, aber jetzt war es ihm auch egal. Warum zum Teufel konnte man ihn denn nicht einfach in Ruhe lassen? Warum ließ man ihn nicht auch mal traurig sein? Warum musste man immer etwas von ihm wollen? Warum durfte er sich nicht auch mal nur einen einzigen Moment wie ein Mensch fühlen? Wie ein Mensch lieben? Wie ein Mensch weinen? „Sag alles ab! Vertreib jeden, egal wer vor der Tür steht! Ich will niemanden sehen!“ „Ja, natürlich ...“ „Los! Und du lass mich auch alleine! Ich will alleine sein! Verschwinde einfach!“ Einen Augenblick sah sein Diener ihn verwirrt und geschockt an, aber dann erhob er sich schnell, brachte geschwind den geleerten Kelch zurück und wollte dann sicher gleich verschwinden. Dass der sonst so gütige Pharao plötzlich böse wurde und ihn aus dem nichts heraus anschrie, hatte er jetzt nicht erwartet. Er war bekannt als ein fröhlicher, besonnener und freundlicher König. Dass er jemals schlechte Laune hatte, war niemals bekannt geworden. Doch vielleicht waren die Geschichten, die man sich über ihn erzählte auch nicht wahr? Wer wusste schon, wer der Pharao wirklich war? „Kitepsens, es tut mir leid.“ Der Alte hörte die bedrückte Stimme hinter sich und drehte sich nun vollends verwirrt nach ihm um. Der Pharao saß auf dem Bett, die Knie unter der Decke angezogen, die Stirn in seine Handfläche gestützt und sah ihn nicht mal an. Und er machte einen so fertigen Eindruck. So geschwächt, müde und ... verzweifelt. „Es geht mir nicht so gut heute Morgen. Meine Wut geht nicht auf dich. Mach dir keine Sorgen.“ „Majestät, Ihr müsst Euch nicht entschuldigen. Ich habe Euch ...“ „Nein.“ Er hob seine Hand und bat ihn so ohne einen Blick um Ruhe. „Ich wollte dich nur nicht anschreien. Ich hab mich einen Augenblick vergessen. Bitte sei so gut und schick die Leute vor meiner Tür fort. Ich gebe meine Audienzen später.“ „Mein König, soll ich vielleicht einen Heiler rufen? Wenn Ihr Euch unwohl fühlt und ...“ „Nein, ich will niemanden sehen“ erwiderte er nur wieder müde. Hoffentlich verstand sein Diener das gleich. Dass er einfach niemandem um sich haben wollte. „Natürlich, mein Pharao. Was immer Ihr wünscht.“ Er verbeugte sich und wusste nicht, was der Grund für diese unvorhersehbare Stimmungsschwankung war. Aber seine Befehle auszuführen, wäre sicher nicht falsch. Also erhob er sich, machte sich auf den Weg zur Tür, um die um Audienz bittenden Leute zurückzuweisen und auf später zu vertrösten. „Und ruf bitte Fatil zu mir“ schickte er noch hinterher. „Ich möchte ihn sehen.“ „Wie ihr wünscht, Majestät.“ Schnell machte er sich auf den Weg zur Tür, trat hinaus und würde die Wünsche des Königs befolgen. Und der blieb allein zurück in seinem großen Bett, unter seiner Decke mit seinem steinschweren Körper. Vielleicht war es weniger der Körper als die Seele, welche sich so schwer, so krank anfühlte. Er fühlte sich, als wäre er in der letzten Nacht, unter diesen wunderbaren Mond, der sich in den tiefblauen Augen eines besonderen Menschen gespiegelt hatte ... gestorben. Er war gestorben als sie Freundschaft schlossen und gestorben als er hörte, dass die Hochzeit schon fast geplant war. Er war gestorben und das, wo sein Grab noch gar nicht fertig gestellt war. Wo sollte man auch jemanden wie ihn bestatten? Jemanden mit lebendigen Körper und totem Herzen? Und trotzdem stand er auf. Er schälte sich aus seinem Bett, stützte das Gewicht auf seine wackeligen Beine und warf den leichten Morgenmantel über die Schultern. Er fühlte sich wie Matsch nach einem seltenen Regenguss. Für gewöhnlich begann die Wüste zu blühen, nachdem es geregnet hatte - doch in seiner Seele war alles dunkel, tot, vertrocknet und ohne Hoffnung. Wie sollte er jetzt noch weitermachen? Ohne Liebe? Ohne Hoffnung? Ohne Träume? Er ging ans Fenster, blickte hinaus und schaute über die Tempelmauern hinweg weit in die Ferne ... in die Wüste. Überall, wo sein Blick hinging - das alles gehörte ihm und bedeutete ihm doch nichts. Die Wüste war so weit und voller Sand. Die Dünen wanderten unbemerkt, vom Wind umhergetrieben. Am blauen Himmel keine einzige Wolke. Nur der blasse Mond leistete der Sonne ein wenig Gesellschaft, auch wenn sie ihn mit ihren Strahlen fast unsichtbar und verschwindend klein machte. So würde es Seth neben ihm gehen. Atemu war die Sonne. Seth der Mond. Neben der Sonne konnte es kein Leben geben. Ihre Strahlen waren zu hell, ihre Hitze zu mächtig. War sie weit fort, so schenkte sie Leben und Wärme, ließ Dinge wachsen und gedeihen. Wäre die Sonne ihnen aber näher, so würde sie alles verbrennen. Seth war der Mond. Von der Sonne angeschienen, reflektierte er das Licht und schenkte auch in der tiefsten Dunkelheit Hoffnung und eine Richtung, der man folgen konnte. Nur durch den Mond empfing die Erde in echter Dunkelheit das Licht der Sonne. Die Sonne war einsam. So hell, dass kein menschliches Auge hineinblicken konnte. Der Mond war den Menschen nahe. In der Nacht sah man zu ihm hinauf, bewunderte ihn und neben ihm leuchteten Myriaden kleiner Sterne, wie die Menschen um Seth herum leuchteten. Die Sonne war wichtig und musste vom Mond getrennt scheinen. So wie sich Atemus Herz von Seth trennen musste Damit beide existieren konnten. Seth als Mensch. Atemu als König. Und er erinnerte sich daran, welchen Namen niemand nannte. Amun war die Morgen- und die Abendsonne, welche des nachts durch die Unterwelt wandelte, um verlorene Seelen zu retten. Atemu war sein Sohn, ein Pharao und rettete so viele Menschen, er retten konnte. Doch hatte jemals jemand daran gedacht, was mit Amun geschah, während die gleißend helle Sonne am Himmel ihre Bahnen zog? Amun verschwand ... er war die Morgen- und die Abendsonne. Doch wenn Mond und Sonne schienen, war er nichts. Der Pharao war kein Mensch, so wie Amun keine Tagessonne war. Er durfte nicht lieben ... Kapitel 19: ------------ Kapitel 19 Er hörte die Tür hinter sich und doch wand er sich nicht um. Diese Schritte erkannte er. Kannte sie seit Kindertagen. Und auch die Hand auf seiner Schulter kannte er zu gut. Wie schwer sie sich anfühlte und doch war es vielleicht das einzige, was sich zwischen den Schmerz und sein Herz legte. „Mein Pharao ...“ Fatils Stimme klang traurig und ruhig. Er konnte sich denken, wie schlecht es ihm ging. Als sein König gestern nicht mehr zurückgekommen war, hatte er sich doch selbst auf den Weg gemacht, um nach ihm zu sehen. In dieser neurotischen Verliebtheit, wer wusste, was der König tun würde? Und gefunden hatte er beide auf einem eher kärglichen Stückchen Erde, ein wenig Gras um sie herum und nur von den seichten Fackeln beschienen. Selbst in diesem fahlen Licht hatte er den Gesichtsausdruck seines Königs gelesen. Der gebrochene Blick, die feuchten Augen und dazu die zitternden Hände. Etwas war geschehen. „Fatil“ hauchte er leise und schloss die Augen vor diesem weiten Wüstenblick, senkte den Kopf. „Es geht mir schlecht.“ „Möchtet Ihr jetzt darüber sprechen?“ Gestern war aus ihm kein Wort herauszubekommen. Er hatte sich auf sein Zimmer bringen lassen und war nicht zum Fest zurückgekehrt. Natürlich hatte Fatil sich einige gute Entschuldigungen einfallen lassen, um die Unpässlichkeit seines Königs zu erklären, aber als er später noch einmal nach ihm sah, schlief der schon tief und fest. „Ich weiß nicht, was ich tun soll“ gestand er mit einem feuchten Beben in der Stimme. „Hat er Euch etwas getan, Hoheit? Hat er Euch verletzt? Gedroht? Erpresst er Euch mit etwas?“ Er traute diesem verleugneten Sklaven nicht. Der musste doch sehen, wie sehr das Herz des Königs in Liebe zu ihm entflammt war! Und wenn er es wusste und ihn so zerstört zurückließ, dann hatte das einen Grund. Alle sprachen gut von ihm, aber was wäre, wenn er auch einer dieser falschen Menschen war, die den Pharao für ihre Zwecke missbrauchen wollten? Wenn er dem König drohte oder ihn mit seinem Gefühlen quälte? Schon viele Sklaven hatten versucht, den Pharao zu bezirzen und sich dann an ihm gütlich zu tun. Seine Gefühle interessierten sie dabei nicht. Sklaven wollten die Macht ebenso, wie die Menschen, welche schon Macht besaßen und daran nicht satt wurden. Der Pharao wurde nur allzu leicht in die Opferrolle gedrängt - und hatte sich bisher immer daraus befreit, bevor es ihm schadete. Doch dieses Mal war es anders. Dieses Mal waren seine Gefühle tiefer, drängender. Und der Sklave skrupelloser. „Nein, viel schlimmer. Fatil ...“ Er drehte sich um, sah seinem treuen Freund in die tiefbraunen Augen und darin nur eine Zugewandtheit, ein Verständnis, welches er sich bei Seth so sehr gewünscht hätte. „Er hat mir seine Freundschaft angeboten. Er ist verlobt, wusstest du das?“ „Ihr habt ihm doch nicht etwas gesagt?!“ bangte er sofort. „Nein, ich habe ihm nicht gesagt, dass ... dass ... DASS ICH IHN LIEBE!“ Und nun brach es doch aus ihm heraus. All die Trauer und der Schmerz darüber überflutete sein Herz, machte ihn schwach und ließ ihn weinen. Ein König weinte nicht, aber auch er hatte ein menschliches Herz. Und menschliche Herzen wollten weinen, wenn sie verletzt waren. Er spürte, wie Fatil seine Arme um ihn legte, ihn an sich drückte und ihn weinen ließ. Bedächtig streichelten warme Hände durch sein schlafzerwültes Haar und wollten ihn trösten, ihm ein wenig Nähe geben. Es tat so gut, wenn er umarmt wurde. Wenn auch er mal in den Arm genommen und gehalten wurde. In so schweren Momenten wie diesen, wenn seine Beherrschung von ihm abfiel und sein wahres Gesicht zum Vorschein kam. Wenn sein nach Liebe rufendes Herz laut wurde und über die Einsamkeit klagte. Wenn das klare Salz aus seinen Augen lief und zeigte, dass auch er ein Mensch war. Dass auch er liebte und Gefühle hatte, welche man verletzen konnte. Dass auch seine Stärke ihre Grenzen hatte. Über seinem Wehklagen fühlte er, wie Fatils Griff nur stärker wurde. Wie er seinen Hinterkopf hielt wie den eines Neugeborenen, damit er sich geborgen fühlte. Und er roch so gut nach frischen Gewürzen und Ölen. Sein Haar war noch ganz feucht und tropfte mit kaltem Wasser herab. Er hatte seinen Freund sicher gerade vom Bad fortgeholt, denn auch seine Haut war noch ganz feucht. Aber Fatil würde immer kommen. Wann auch immer er gebraucht wurde, würde er da sein. Und wenn niemand mehr an seiner Seite stand, würde Fatil ihn dennoch stützen. Seit ihrer Kindheit war Fatil sein großer Beschützer, sein Bruder, der ihm in manchen Problemen beigestanden und ihn rausgeboxt hatte. Und doch ... keiner von beiden erinnerte sich daran, dass sie jemals voreinander geweint hatten. Noch niemals war der Pharao so verzweifelt, dass er Tränen vergoss. In keiner Schlacht, in keinem Streit war er jemals untergegangen. Warum war es ausgerechnet die Liebe, welche den König in die Knie zwang? Einen so stolzen, gütigen und fröhlichen Menschen? Warum war es die Liebe, welche ihm das Herz zerfetzte? Er regierte sein Reich im Namen der Liebe. Und die Liebe schlug ihn zu Boden. „Majestät, bitte beruhigt Euch“ bat Fatil, drückte ihn ein wenig weg und ließ ihn doch nicht los. Er strich ihm die fortwährend nachlaufenden Tränen von den Wangen und schenkte ihm einen Blick voller Verständnis. „Was ist geschehen gestern Nacht? Habt Ihr ihm etwas gestanden und er erwidert Eure Gefühle nicht?“ Und er bekam seine Antwort mit zitternder Stimme. „Ich brauche kein Geständnis, um zu wissen, dass er meine Gefühle nicht erwidert.“ „Setzt Euch, mein Pharao. Ihr seht blass aus.“ Mit freundlicher Bestimmtheit wurde er auf das Bett niedergedrückt und abgesetzt. Doch als Fatil sich neben ihm niederließ, legte er auch gleich wieder in schützender Weise seinen Arm um die königlichen Schultern und drückte vorsichtig seinen Oberarm. Wie warm sein König war. Wie weich er war. Er war so verändert ... Einen Moment entstand Schweigen. Von draußen drang der Klang des Wüstenwindes herein und ein wenig Lärm vom Treiben im Tempel. Jedoch nicht klar genug, als dass man ein Gespräch hätte belauschen können. Worte waren aus der Ferne gesprochen nicht mehr als Laute ohne Ausdruck. So wie die Sonnenstrahlen, welche auf die Erde fielen kein Feuer mehr waren. „Fatil, was soll ich denn nur tun?“ flüsterte er, schlang die Arme um seine Brust als wäre ihm kalt. Dabei hatte er nur Angst, dass es ihn jeden Moment schüttelte. Dass die Tränen ihn austrockneten, dass er begann zu schreien und zu toben. Wie gerne würde er sich diese Vase dort hinten greifen und sie an der dunkelroten Steinmauer zerschmettern? So wie man sein Herz zerschmettert hatte. Doch noch immer rang er mit seiner Fassung ... er war der König! „Mein Pharao, wie gerne würde ich Euch helfen ... wenn ich es denn nur könnte“ bedauerte er selbst mit trauriger Stimme. „Nichts würde ich lieber sehen als dass Ihr eine erfüllte Liebe findet. Ich will Eure Gefühle nicht als falsch beschreiben, aber ... seid Ihr Euch sicher, dass dieser Sklave Euch glücklich machen könnte?“ „Ich bin mir sicher, dass er es nicht kann“ gestand er sich selbst hart, aber mit zitternder Stimme ein. „Ich kann ihm befehlen, dass er zu mir zurückkommt, aber er würde niemals wirklich glücklich sein. Ich will keine unechte Liebe ... und seine echte Liebe gilt nicht mir. Er kann sie vorheucheln, wenn ich es befehle, aber das ist nicht das, was ich will. Ich will, dass er glücklich ist ...“ „Auch, wenn Ihr dadurch unglücklich werdet?“ ergänzte er vorsichtig. „Ich werde auf die eine oder die andere Weise immer unglücklich sein“ erwiderte er gebrochen. „Zwinge ich ihn, bei mir zu bleiben, werde ich unglücklich. Lasse ich ihn unbehelligt, werde ich unglücklich. Welchen Weg auch immer ich wähle, er führt mich zum selben Ziel. Ich kann nur darüber entscheiden, ob ich ihn mit mir ins Verderben reiße oder ihn rette.“ „Verderben ... mein König, Ihr verwendet so harte Worte. Eure Gegenwart ist doch kein Verderben. Im Gegenteil. Eure Nähe ist eine Wohltat für jeden, der sie genießen darf.“ „Aber so fühle ich es“ flüsterte er den Tränen nahe und schluckte sie schwer herunter, damit sie weiter in seinem Bauch lagen und nicht die Stimme sie verriet und entblößte. „Fatil, ich will hier weg“ beschloss er leidenden Herzens. „Sag Penu und Faari bescheid, sie sollen die Pferde satteln. Noch bevor die Mittagssonne am Himmel steht, will ich den Tempel außer Sichtweite haben.“ „Seid Ihr Euch sicher, dass Flucht die einzige Lösung ist?“ „Du hast mir doch selbst geraten, ich soll ihm nicht zu nahe kommen“ entbrachte er vorwurfsvoll und schaute ihn gebrochen an. „Ich halte es hier nicht aus. Ich habe das Gefühl, ich sterbe in diesen Mauern. Ich will fortgehen und ihn ... ihn ...“ „Ihm weiter Briefe schreiben? Aus der Ferne begehren? Euch nach ihm verzehren? Seid Ihr sicher, dass Flucht der richtige Weg ist?“ „Fatil, was soll ich denn tun?!“ wollte er mit feuchten Augen von ihm wissen. „Sag mir, was ich tun soll! Sag es mir! Irgendwas!!!“ „Ihr habt Recht“ gestand er ihm dann doch zu, nachdem er einen Augenblick darüber nachdachte. „Lasst diesen Abschnitt hinter Euch und vergesst ihn. Ihr werdet ihn nicht wiedersehen. Majestät, jetzt erdolcht Euch der Schmerz noch Euer Herz, zerschlägt Euren Geist und lässt Euch Tränen vergießen. Aber Ihr werdet sehen, mit der Zeit wird es vergehen. Ihr werdet ihn sicher niemals vergessen, aber Ihr werdet andere Dinge finden, die Euch erfreuen. Widmet Euch der Erziehung Eures Sohnes und legt Euch in die Arme Eurer Königin. Schenkt Eurer Tochter Blumen und pflegt Eure Katzen. Ihr werdet andere Dinge finden, welche Euch erfüllen.“ „Glaubst du das wirklich?“ Er konnte sich nicht dagegen wehren, dass seine Unterlippe bebte, seine Stimme viel zu hell war und jeden Moment brechen wollte. Sein ganzer Geist war getrübt von diesem dunklen Schmerz, der ihm jeden Moment das Bewusstsein rauben wollte, wenn er gütig war. War er grausam, so ließ er ihn am Leben. „Nein“ antwortete Fatil ihm ehrlich. „Aber ich versuche, Euch Trost zu spenden. Euch weinen zu sehen, bricht mir das Herz. Hoheit, auch wenn es Euch vielleicht nichts bedeutet, aber ich liebe Euch. Ich liebe Euch wie meinen Bruder. Was immer auch geschieht, ich werde bei Euch sein.“ „Und wenn du nicht bei mir wärst, wüsste ich nicht, was mich noch aufrecht hält“ gestand er mit gedrückter Stimme. „Bei dir hatte ich niemals das Gefühl, ich würde dich zwingen müssen. Fühlst du dich denn bei mir niemals wie in einem Käfig?“ „Mein Pharao“ lächelte er und strich ihm die letzten verwischten Tränen von der seidig geröteten Wange, erwiderte seinen tränenglänzenden Blick mit reinster Zuneigung, mit echter Zuneigung. „Schon mein Vater war der Gesellschafter des Königs. Vor ihm mein Großvater, mein Urgroßvater und dessen Vater. Seit jeher ist meine Familie der Eurigen tief verbunden. Die Tradition hat mich zu Euch gebracht und die Freundschaft hält mich an Euch gebunden. Wie gefesselt hänge ich an meinem König, aber ich mag diese Fesseln. Es sind keine Fesseln aus Zwang, sondern Fesseln aus Liebe. Denn, mein Pharao, auch die Liebe braucht Halt. Etwas, was sie festigt und aufrecht hält. Fesseln bedeuten nicht immer etwas Schlechtes, sowie ein Käfig nicht nur Gefangenschaft bedeutet. Ein Käfig bedeutet auch Schutz. Eine eingesperrte Liebe, ist eine geschützte Liebe.“ „Und wenn die Liebe nicht eingesperrt sein will? Wenn sie frei sein will wie ein Vogel? Will das nicht jeder Mensch?“ „Die Liebe ist kein Vogel“ sprach Fatil ruhig. „Die Liebe ist bodenständig, stark und unerbittlich. Nicht so zart wie ein Vogel. Vielleicht wird sie als Vogel geboren, aber leben tut sie eher wie ein ... wie ein ... wie ein Nashorn.“ „Ein Nashorn“ wiederholte er ungläubig und vergaß seine tiefe Trauer und den stechenden Schmerz über diesem doch eher entfernt abstrakten Bildnis. Vor seinem inneren Auge sah er ein großes, gepanzertes Nashorn auf der weiten Steppe. Es war ganz staubig, träge und behäbig. Es ließ seinen Kopf hängen und machte einen nicht besonders leidenschaftlichen Eindruck. Neben ihm ein ausgetrockneter Busch. Der graue Riese kaute gelangweilt mit einem gemächlichen Schmatzen an einer abgerissenen Baumrinde. Das also war die Liebe? „Majestät, ich bin kein Dichter“ schmunzelte er. „Bitte erwartet von mir keine großen Sinnbilder.“ „Na ja, wenn deine Sinnbilder so groß wie ein Nashorn sind.“ Und da musste er doch ein wenig lächeln. Die Liebe war also wie ein Nashorn? Nun gut. Sie hatte Durchschlagskraft, ein spitzes Horn vornan, eine dicke Haut, konnte schlecht aus ihren kleinen Augen sehen, ging jeden an, der ihr zu nahe kam ... ja doch, die Liebe war wie ein Nashorn. Sie dachte nicht nach - sie schlug einfach sofort mit voller Wucht zu, wenn man ihr begegnete. „So gefallt Ihr mir besser“ nickte Fatil wohlwollend und streichelte ihm etwas grob das Haar aus dem Gesicht zurück dorthin, wo es hingehörte. „Und jetzt lasst Euch nicht hängen, mein Pharao. Wenn Euch der Schmerz ereilt, so denkt an das Nashorn.“ „Ja, das werde ich“ dankte er mit seichter Stimme. „Danke Fatil.“ „Schon gut, dann ist mein Tagewerk ja jetzt getan“ lachte er. „Und wisst Ihr, Majestät? Wir werden Euch nun ankleiden und danach treffe ich die nötigen Vorbereitungen für eine schnelle Abreise.“ „Ja“ nickte er zustimmend. „Eine schnelle Abreise wird gut sein.“ „Ich hörte, Ihr wollt Eure Audienzen absagen?“ Fatil erhob sich vom Bett und ging hinüber an die Truhe, in welcher er ganz sicher die Gewänder seines Pharaos finden würde. Er öffnete sie mit schnellen Händen und erblickte darin auch schon, was er suchte. „Ja, ich will niemanden sehen“ antwortete sein König ihm ruhig und rieb sich die Augen, in welchen noch das getrocknete Salz ein leichtes Brennen hinterließ und auch der fahle Geschmack in seinem Munde erinnerte ihn viel zu sehr daran, weshalb er hier so schnell als möglich fort wollte. „Mit ein paar Leuten solltet Ihr aber sprechen. Welches Gewand möchtet Ihr?“ fragte er und hielt ihm zwei geglättete Stoffe vor. Das eine leicht beige und recht kurz, das andere viel länger, die Farbe wie ein junger Pfirsich. Der Pharao zeigte nur auf das lange, pfirsichfarbene Gewand und ließ seinen Freund somit das aussortierte wieder zurücklegen. „Ich möchte aber mit niemandem sprechen“ wiederholte er müde. „Ich möchte hier nur noch fort. Zurück in den Palast.“ „Majestät, bei allem Respekt. Zumindest mit dem Hohepriester solltet Ihr noch ein Wort wechseln, nachdem Ihr gestern einen so plötzlichen Abgang getan habt“ bat er, trat auf ihn zu, legte das lange Gewand raschelnd aufs Bett und bekam doch eine mit erhobener Hand abweisenden Geste, als er seinem König den Morgenmantel von den Schultern streifen wollte. „Ich ziehe mich gleich an“ meinte er und stellte den kleinen Erfolg fest, dass seine Stimme langsam fester wurde, je tiefer er seinen Schmerz herunterschluckte. „Ich möchte keine Audienzen geben ... zumindest nicht den hohen Männern hier. Mit denen habe ich genug gestern gesprochen. Kannst du nicht eines von diesen Dankesschreiben verfassen, welches ich dann für Chaba unterschreibe? Ich habe wirklich keine große Lust auf lange Gespräche. Und bring mir bitte eine Feder, Farben und eine leere Schriftrolle. Ich möchte Seth einen letzten Brief schreiben.“ „Wie Ihr wünscht, mein König“ entgegnete er in seinem gewohnt treuen Ton, welcher dem Pharao das Gefühl gab, langsam zur Normalität zurückzukehren. Ein bisschen Alltag wäre gut. Seth sollte wieder in seinen Träumen verschwinden und dort in einem reich verzierten Käfig sitzen ... nur in den Träumen des Pharao. Und dort saß er dann für den Rest seines Lebens und war wahrlich frei. So wurde die Träumerei zum Alltag für den Pharao. Und der Alltag zu einer gelebten Träumerei für seinen verbotenen Traum. Nur wenn er des abends seine Füße auf das weiche, feuchte Gras setzte, würde er spüren, dass sein Traum die Flügel ausbreitete und vor ihm davonflog ... seinem Käfig entkam ohne sich noch ein Mal umzublicken. Ein bisschen war die Liebe doch wie ein Vogel ... Kapitel 20: ------------ Kapitel 20 >Mein liebster Seth, bitte verzeih meinen plötzlichen Aufbruch. Der Palast ruft, das Reich befindet sich in einer schweren Zeit und ich kann es nicht verantworten, hier noch länger einen persönlichen Zwischenstop zu machen. Wir sind in der Früh aufgebrochen, um noch möglichst viel Weg heute zu schaffen. Es tut mir leid, dass ich mich nicht persönlich von dir verabschiede. Doch das tue ich nun und was ich zu schreiben habe, fließt nicht leicht aus meiner Feder hervor. Hiermit ziehe ich mein Angebot zurück. Ich will dich nicht als Priester an meiner Seite. Es wäre uns beiden nicht zuträglich. Unsere Schicksale sind mittlerweile zu eng miteinander verknüpft, als dass wir länger nebeneinander leben könnten. Ich bitte dich, mein Seth, sieh das hier nicht als persönliche Ablehnung, sondern als eine Entscheidung, die ich getroffen habe. Würdest du mich begleiten, so würdest du alles verlassen müssen, was dir etwas bedeutet, was du dir aufgebaut hast. Deine Verlobte ist sicher eine wundervolle junge Frau, wenn sie es schafft, dein Herz höher schlagen zu lassen. Du solltest bei ihr, ihr und eurer Liebe treu bleiben. Und auch den Tempel sollst du nicht meinetwegen verlassen. Du hast dort Freunde gefunden, alte wie junge Menschen umgeben sich gern mit dir. Einer der sieben Hohepriester sieht in dir seinen Schwiegersohn. Einen Sohn, an den er sein heiliges Erbe weitergeben, dem er seine Tochter schenken will. Und auch ich wünsche mir, dass du einen Sohn zeugst, an welchen du deine Liebe und dein Erbe geben kannst. Du sollst für mich nicht dein Leben aufgeben. Du hast sieben lange Jahre gebraucht, um dir etwas zu schaffen - bitte reiße das nicht ab, sondern erhalte es. Denn was du geschaffen hast, ist etwas Gutes, etwas Heiliges, etwas Schönes. Aber nicht nur deswegen will ich dir ein Lebewohl sagen, sondern auch zum Schutz für uns beide. Bitte verbrenne diese Zeilen, wenn du sie gelesen hast, denn ich will nicht, dass sie in falsche Hände geraten. Deshalb habe ich auch nur meinen treuen Faari auserkoren, sie dir zu geben, denn ich weiß, er wird sie weder lesen, noch einem anderen als dir aushändigen. Mein Seth, hiermit will ich unser Geheimnis auf ewig begraben. Du hast dein Leben als mein Sklave selbst beendet und bist nun ein heiliger Mann. Und nichts auf der Welt macht mich so glücklich wie dein Lächeln, als du endlich die Schwelle übertreten und dich der Religion verschrieben hast. Als du deinen Wunsch, dem Vorbild deines Vaters zu folgen, wahrgemacht hast. Nichts in der Welt soll dir dies wieder nehmen. Sollte man uns jedoch zu dicht beieinander sehen, so wird man irgendwann Fragen stellen, wenn wir uns nicht selbst verraten. Wenn uns jemand belauscht oder wir einen Moment unaufmerksam sind. Doch es ist noch etwas Weiteres, mein Seth. Du bist nun selbst stark und bodenständig. Von der Mitgift deines Weibes wirst du dir eigenen Besitz aufbauen und dein Leben eigenständig bestreiten. Du benötigst nun nicht länger meinen Schutz oder die Geldsendungen aus dem Palast für deine Ausbildung. Ich denke, es ist der richtige Moment nun gekommen, dass sich unsere Wege voneinander trennen. Du brauchst mich nicht mehr, jetzt gibt es andere Dinge, welche für dich notwendig werden - und diese Dinge kann ich dir mit Gold und Juwelen nicht geben. Doch will ich dir versichern, dass ich mit meinem Herzen aus der Ferne über dich wachen will. Solltest du auf deinem Lebensweg an eine Stelle kommen, wo dich zu große Steine am Weitergehen hindern, so werde ich sie für dich zerschlagen, wenn du nicht selbst Werkzeug hast, sie zu zertrümmern. Weißt du nicht weiter, bedroht dich jemand oder etwas, so sei dir gewiss, dass ich deinen Hilferuf erhören und dir Rettung schicken will. Hiermit jedoch genug, mein Seth. Ich bitte dich, mir nicht länger zu schreiben. Tust du es doch, so werde ich deine Zeilen ungelesen vernichten. Ich werde dich nicht in meinem Palast empfangen und auch keinen Ort besuchen, an welchem du dich aufhältst. Die gestrige Nacht war eine der schönsten in meinem Leben, aber lass sie für uns ein Wiedersehen und ein Abschied zugleich sein. Es ist das Beste so für uns beide. Unser Geheimnis wird niemals meine Lippen verlassen und die klare Farbe deiner Augen wird auf ewig in meinem Herzen fest verschlossen ruhen. Ich danke den gütigen Göttern, dass ich einem Mann wie dir begegnen durfte. Ich danke ihnen dafür, dass ich dir helfen konnte, aus deiner Gefangenschaft zu entsteigen. Dich wie der Amun in der Abenddämmerung in mein Boot zu setzen, mit dir deinen Weg durch die Unterwelt zu tun und dich beim ersten Morgenlicht wieder zu den Menschen zu entlassen. Ich habe es gern getan und niemals war mir ein Mensch so teuer wie du. Für mich warst du niemals ein Sklave, welcher nur der Befriedigung meiner Triebe dienen sollte. Mehr als ein Spielstein im Spiel der Politik. Für mich warst du vom ersten Moment an, der Traum eines Gottes. Ein Traum, der herabgestiegen ist, um hier geträumt zu werden. Ich habe dich geträumt, doch jeder Traum hat ein Ende. Für mich ein leicht bitteres, für dich sicher ein süßes. Und dies versüßt auch mir den Abschied. Du hast mich beeindruckt, Seth. Du bist wunderschön, stark und intelligent. Ich bin mir sicher, dass du nun auf eigenen Beinen weitergehen kannst. Geh deinen Weg und blicke nicht zurück. Erst wenn du eine Strecke getan hast, so wende dich um und betrachte mit Freude, was du geschafft hast. Und sei dir sicher, mein Herz wird dein unsichtbarer Begleiter sein bis zu dem Tage, an welchem wir uns im Himmelreich erneut begegnen. Doch bis es so weit ist, wünsche ich dir aus vollster Kraft ein Leben. Ein Leben sicher mit Rückschlägen, mit Schmerz und Kampf. Aber auch ein Leben mit großen Erfolgen und mit einer noch größeren Liebe. Für dich, dein Weib und für deine ungeborenen Kinder wünsche ich das Beste und ich bin mir dabei sicher, du wirst das Beste für euch erreichen. Mein Blick wird aus der Ferne auf dich gerichtet sein und schützend auf deiner Familie ruhen. Doch sehen werden wir uns nun niemals mehr. Du bist aus deiner namenlosen Sklavenschuld entlassen und sollst nun als ein freier Mensch weitergehen. Als ein wundervoller, neuer, heiliger Mensch. Lebe wohl, Seth Chuanch Amun Sanacht. Lebe wohl. In ewig treuer Liebe, Atemu.< Als Seth diese Zeilen las, war er wie versteinert. Er atmete schwer ein, ließ die Schriftrolle langsam vor sich auf den Tisch gleiten und schaute mit ungläubigen Augen auf sie herab. Die Schrift kam ihm so bekannt vor, aber die Worte waren so anders. So schmerzlich. Sein König war aufgebrochen, ohne einen Abschied zu tun. Er hatte nicht mal seine Entscheidung abgewartet. Was war denn nur passiert? Er strich mit seichten Fingerspitzen über die fast noch feuchte Farbe auf dem frischen Papyrus, als wäre es nur eine flüchtige Erscheinung. Er sagte ihm Lebewohl? Auf ewig? Und nun? Keine Briefe mehr? Nicht mehr das bange Warten auf ein Wiedersehen? War hier denn wirklich alles zuende? Endete ihr gemeinsamer Weg hier? Wobei ... wie kam er eigentlich auf den Gedanken, dass sie überhaupt einen gemeinsamen Weg hatten? Er hatte in all den Jahren nicht verstanden, warum ausgerechnet der heilige Pharao einem schmutzigen Lustsklaven wie ihm überhaupt ein menschliches Leben ermöglichte. Warum hatte er das getan? Die Antwort war ganz leicht: Weil der König ein gutes Herz hatte. Er wollte helfen, auch wenn er damit seine eigenen Gesetze brach. Er hatte die Macht, das Gesetz zu biegen in so einem Einzelfall. Der Pharao hatte es gut mit ihm gemeint, weil Seth ihm leid tat. Jedoch ... auf seine Fragen, weshalb er sich für ihn so in Gefahr brachte, warum er sein eigenes Gesetz brach und damit große Aufruhen in der Religion hätte aufkeimen lassen können, hatte er niemals geantwortet. Niemals hatte er eine Klage gehört, niemals eine Drohung oder die Forderung einer Gegenleistung. Nichts dergleichen. Seine Ausbildung war vom Palast gezahlt worden und seine Briefe waren all die Jahre wie ein unregelmäßiger Schluck lebenswichtigen Wassers. Er hatte immer geglaubt, mit den Jahren wäre der König ihm ein Freund geworden. Seine Briefe waren immer so herzlich, so einfühlsam und voller Verständnis. Er freute sich über jeden Erfolg, den sein Sklave zu berichten hatte und er machte ihm Mut, wenn er an manchen Tagen die Kraft verlor. Und nun war mit der Priesterweihe alles geendet? Ihre Freundschaft? Durfte er denn als Sklave mit ihm befreundet sein und als Priester nicht? >Dann will ich kein Priester sein.< Er fuhr sich durchs Haar und wusste mit diesen kryptischen Zeilen nichts anzufangen. Er verstand es einfach nicht. Er sah es, las es, aber er verstand es nicht. Gestern Nacht noch bestand der Pharao darauf, dass er mit ihm ging. Er versprach, ihm Bedenkzeit zu geben und nun so plötzlich war er fort. >Er weist mich von sich.< Den Grund für das Gefühl in seinem Halse verstand er ebenso wenig. Als hätte er einen Stein voller Ecken und Kanten verschluckt, es drückte in seinen Augen und ließ seine Lippen beben. Er sah nur noch verschwommen durch seine Augen und fühlte sich schlechter, als jemals zuvor. Keine Qual als Sklave war so schlimm, wie den Pharao loszulassen, ohne noch ein letztes Mal zum Dank seine Hände zu küssen. Seth hatte sich niemals richtig bei ihm bedankt. In seinen Briefen sicher, aber er wollte mehr für ihn tun. Der Pharao befand sich in einer schweren Lage. Die Nachbarländer drohten ihm mit Krieg und Ägypten wurde unruhig. Natürlich hatte er jetzt keine Zeit, sich um einen verschwiegenen Sklaven zu kümmern ... aber dieser Sklave war nun Priester und wollte ihm als solcher beistehen. Wollte an seiner Seite kämpfen und mit einem Lächeln selbst sein Leben für ihn lassen. Für diesen gütigen, sanften und mutigen König. Er hörte ein leises Poltern und schreckte er hoch. Schnell sah er sich in seinem Raum um, doch nichts war zu sehen. Die Sonne glühte durch die geschlossenen, hellen Vorhänge an den großen Fenstern, der Wind wiegte sie leicht im Wind und kitzelte über die Schreibfeder auf seinem niedrigen Tisch. Sein Nachtlager hatte er bereits ordentlich hergerichtet und die dünne Decke glatt gezogen, die Kissen aufgeschüttelt. Die Schriftrollen im Regal lagen so wie sie gehörten und selbst der geflochtene Strohkranz von seiner Liebsten hing noch an der dunkelrot, zierlosen Wand. Außer ihm war niemand hier ... er war einfach zu schreckhaft. „Seth! Du bist ja doch hier!“ Ein junges Mädchen trat durch den hellen Vorhang, welcher als Türersatz diente. Sie trug ein langes, schlichtes Gewand in tempelüblichem Rot und ihr schwarzes Haar war wie jeden Tag zu einem geraden Zopf zusammengeflochten, hochgesteckt und betonte ihren langen, schmalen Hals. Ihre dunklen Augen leuchteten wie immer, wenn sie zu ihm kam, funkelten im Licht. Ihre dunkle Haut von der Sonne gefärbt, ihre Lippen mit etwas Öl zum Glänzen gebracht und der Lidstrich wohl der perfekteste, welchen man im ganzen Tempel zu finden wusste. Er liebte sie. Seine Shinasa. „Ja, warum?“ antwortete er etwas hin und her gerissen in diesem Augenblick. Auf der einen Seite waren die Gedanken bei dem Rätsel des plötzlichen Aufbruchs. Auf der anderen Seite nahm sie ihn mit ihrem Lächeln sofort gefangen. „Warum weiß ich auch nicht“ lächelte sie und setzte den schweren Krug auf den Boden, welchen sie gekonnt auf ihrer schmalen Schulter gestützt hereingetragen hatte. „Sie suchen dich unten. Du hast das Gebet verpasst und das an deinem ersten Tag als vollwertiger Priester.“ Sie stützte beide Hände spaßig mahnend in die Hüften und kräuselte ihr süßes Näschen, wie immer wenn sie ihn neckte. „Kaum hast du was geschafft, wirst du faul. Ich dachte, so was kommt bei euch Männern erst nach der Hochzeit.“ „Ja ... vielleicht“ murmelte er und senkte von ihm selbst unbewusst seinen Blick auf den Boden ... warum nur hatte der Pharao seine Entscheidung nicht abgewartet? Hatte er denn etwas falsch gemacht? Hatte er ihn beleidigt, etwas falsches gesagt, sich falsch verhalten? Hatte er dem König auch nur im Ansatz das Gefühl gegeben, er würde seine Arbeit als persönlicher Priester nicht gut machen? Vielleicht war er zu vertraut mit ihm umgegangen. Er hatte über ihn gelächelt, ihm Dinge zu gesäuselt ... hatte er ihn falsch behandelt? Mit zu wenig Respekt? Immerhin war er der Pharao dieses Reiches! Vielleicht war sein König auch nicht mit seiner Lebensplanung einverstanden ... er hatte so merkwürdig reagiert, als er von seiner Verlobung erzählte ... wollte er vielleicht nicht, dass er die Tochter des Hohepriesters bekam? War er nicht gut genug für dieses hochgeborene Mädchen? War es seine Sünde in des Königs Augen, wenn ein Sklave ein Mädchen mit hohem Stand ehelichte? Wenn ja, weshalb stand es dann anders in diesem Brief? Warum war er so plötzlich aufgebrochen? Ohne ein persönliches Wort! „Ist alles in Ordnung mit dir?“ Diese liebliche Stimme klang an sein Ohr und als er aufblickte, ließ sie sich eben neben ihm nieder. Sie umfasste seinen Arm mit ihren beiden viel zierlicheren und bettete ihren Kopf an seiner Schulter. „Sonst windest du dich immer so elegant aus meinem Tadel heraus, aber nun schaust du so besorgt drein. Liegt dir etwas auf der Seele, mein Lieber?“ „Entschuldige ... ich weiß auch nicht, was ...“ „Schmerzt dich deine Wunde?“ Vorsichtig befühlte sie den Rand des festen Verbandes über seiner Schulter und blickte die leichte Wölbung unter seinem Priestergewand besorgt an. „Soll ich dir noch etwas Salbe drauftun? Sicher wird es besser dadurch. Sie wird die Stelle etwas kühlen.“ „Nein, es geht schon.“ Es war nicht die Wunde, welche ihn schmerzte. Es schmerzte ihn die Frage, was er falsch gemacht hatte, dass sich sein Pharao von ihm abwand. Er kündigte ihm nicht die Freundschaft und doch wollte er ihn nicht wiedersehen ... warum nur? „Mit dem Zeichen von Hathor wäre das nicht passiert.“ Sie nahm noch mal einen zweiten Anlauf, ihn aus der Reserve zu locken. So eine kleine Stichelei war meist der Anfang eines zärtlichen Kusses. Erst ein bisschen Necken und sich dann wieder vertragen - so ging ihr verliebtes Spielchen jeden Tag seit sie sich ihre Liebe gestanden hatten. Aber egal, wie lange sie ihn anblickte, er war mit den Gedanken ganz weit fort. Seine Augen gingen ins Leere und er starrte nur seine Hände an, als würde dort etwas liegen, was er nicht kannte. „Schatz, was ist denn?“ Sie strich ihm das fallende Haar aus der Stirn und legte ihm ihre weiche Hand auf die Wange. Sie versuchte einen Blick zu erhaschen, aber es war, als würde er sie gar nicht hören. So tief Gedanken war er lange nicht gewesen. Ihr Blick fiel auf die einzige Schriftrolle, welche hier auf dem Tisch lag. Es war eindeutig Papyrus aus diesem Tempel, das sah man an dem gezackten Rand, aber die Schrift darauf, war ihr fremd. So ungewöhnlich geschwungen, etwas schräg, aber doch vom Bild her so zierlich und klar - wer hatte eine so wundervolle Schrift? Und der ganze Platz war voll, also konnte es keine Gebetsschrift sein. „Was ist das?“ Als sie nach der Rolle greifen wollte, erwachte er mit einem Ruck aus seiner Starre und riss die Schrift an sich, bevor sie überhaupt richtig danach gegriffen hatte. „Nichts!“ Sie durfte er nicht lesen! Niemals! Sie durfte niemals erfahren, dass er eigentlich ein Sklave für sexuelle Dienste war. Dass er eigentlich niemals hätte in die Religion eintreten dürfen. Niemals durfte sie es erfahren! Es würde ihr Weltbild zerstören! Und ihn gleich mit, denn wenn sie ihn nicht mehr liebte ... ja, was wäre dann? „Ist ja gut ...“ Sie hob verwirrt die Arme, zeigte ihre leeren Hände und schaute ihn möglichst beruhigend an. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Hab ich dich beim Meditieren gestört? Wenn ja, tut’s mir leid.“ „Ja ... so was ähnliches ...“ „Ich weiß ja, dass du etwas ungemütlich wirst, wenn man dich in der Ruhephase ertappt“ lächelte sie beschwichtigend und nahm auch langsam die Arme wieder herunter, legte ihre Hände auf sein Knie und blickte ihm verliebt in die strahlend blauen Augen. „Ich habe mir nur etwas Sorgen gemacht, als Vater mir erzählte, du seiest nicht beim Gebet gewesen. Du bist doch sonst so pflichtgetreu.“ „Ich wollte eigentlich kommen“ gab er zu und ließ seinen allzu festen Griff um die Schriftrolle ein wenig lockerer werden, als er ebendiese resignierend anblickte. „Nur als ich gerade auf dem Weg war, sprach mich der Diener des Pharao an und gab mir diese vertrauliche Nachricht. Ich hab sie gelesen und muss darüber die Zeit vergessen haben.“ „Eine vertrauliche Nachricht vom Pharao?“ fragte sie doch etwas neugierig nach und so langsam gewann dieses Schriftstück noch viel eher an Interesse. „Geht es darum, dass du sein Angebot abgelehnt hast?“ „Ja ... nein ... nicht wirklich.“ Ja, er hatte das Angebot ablehnen wollen. Er wollte hier bleiben. Bei seiner zukünftigen Frau. Bei den Priestern in diesem Tempel. Bei seinen Freunden und seinem neuen Leben. Doch nun, wo der Pharao so plötzlich fort war ... so ganz hinaus aus seinem Leben ... für immer und ewig ... da fehlte etwas. Die Briefe des Pharaos waren ihm ebenso ein liebendes Heim, wie es diese dunkelroten Mauern waren, wie es die Arme seiner Verlobten waren, wie es die Worte des alten Hohepriesters waren. Ohne seinen König ... war es, als würde etwas fehlen. Er hatte sich das anders vorgestellt. Hatte gedacht, er könne noch ein wenig im Tempel bleiben, heiraten und zwischendurch die Hoheit seinen Freund nennen dürfen. Er würde ihn zur Taufe seiner Kinder bitten, ihn auf Festen zu einem Kelch Wein einladen und ihm regelmäßig schreiben, um den Kontakt nicht zu verlieren. Er wollte diesen Kontakt nicht deswegen, weil Atemu der König dieses Landes war ... ... er wollte Kontakt und Freundschaft halten, weil er ihm das Leben rettete. Als Seth sein Leben selbst aufgegeben hatte, als es wertlos und schmutzig war, da wurde ihm eine neue Möglichkeit gezeigt. Unter dem Schutze des Amun entstieg er der Unterwelt und kam ins Licht zurück. Er wollte Atemu nicht verlieren, weil er der einzige war, der wirklich alles über ihn wusste und ihn doch als Menschen ansah. Er wollte ihn, weil er Atemu war. „Was steht denn nun in der Rolle?“ hakte sie noch mal neugierig ein und schüttelte ihn spaßig an seinem kräftigen Oberarm. „Sag es mir oder ich klaue dir die Trauben vom Teller.“ „Was für ein Teller?“ „Ach, Seth! Du bist manchmal so humorlos!“ lachte sie und haute ihn spaßig auf den Oberarm. „Hey, was ist denn los mit dir? Heute Morgen warst du noch nicht so merkwürdig gestimmt.“ „Heute Morgen ist ja auch vergangen“ erwiderte er nachdenklich und schenkte ihr dann einen Blick, der ihr sofort sagte, dass ihm jetzt nicht nach Scherzen und Lachen zumute war. Für gewöhnlich verlebte er ihre gemeinsame Zeit gern ein wenig humorvoll, aber ... nicht mit diesen niedergeschriebenen Zeilen, welche wie unsichtbar in der Luft hingen. „Was ist denn nur?“ Sie setzte sich nun ganz ruhig und gesittet auf ihr Kissen, die Füße nach hinten und ihm direkt gegenüber. Sie stützte sich auf seinen Knien ab und schaute besorgt an ihm hinauf. Er war so verändert, ihr Liebster. „Sag mal, Shinasa, hast du eigentlich jemandem von meiner Entscheidung erzählt?“ „Natürlich nicht“ antwortete sie ihm ehrlich und doch immer besorgter. Was war nur los mit ihm, dass er sie so merkwürdig ansah? „Ich hätte es natürlich zu gerne getan. Dass du dich für uns und gegen den Pharao entscheidest ... natürlich hätte ich es am liebsten sofort jedem erzählt! Aber du wolltest doch erst mit dem König allein sprechen.“ „Ja, das hat sich ja nun erledigt“ gestand er ihr und ganz langsam wich der Ausdruck aus seinen Augen. Sie hörten auf zu strahlen, wirkten leer und kalt. Als würde ihm irgendein böser Geist das Leben aussaugen. „Seth, ich glaube, du wirst krank.“ Und sie konnte es sich nicht erklären. Sie legte ihm behutsam ihre Hände an die Wangen und ihr Blick wurde so lieb und fürsorglich er nur konnte. „Ich weiß ja, dass du immer viel auf die Politik des Pharaos gehalten hast. Und vielleicht war es auch dein geheimer Wunsch, ihm eines Tages in den Palast zu folgen. Aber es ist doch noch nichts zu spät. Wir haben doch gesagt, dass wir auch in ein paar Jahren noch gehen können. Wenn wir verheiratet sind und einen Erben haben. Wenn du genug Erfahrungen gesammelt hast und dich reif fühlst, dann wollten wir zum Pharao gehen. Aber doch jetzt noch nicht.“ „Nein, jetzt nicht ... vielleicht niemals ... er ist fort ...“ „Natürlich ist er das. Was hält ihn denn auch hier?“ Wie sollte sie es auch verstehen? Sie wusste nicht um die innige Verbundenheit, welche ihren Verlobten mit dem König vereinte. Um sein Geheimnis. Sie wusste nicht, dass der junge Priester vor ihr, einst ein verstoßener Sklave war, bis der Amun ihn rettete. Und bis zu diesem Moment wusste Seth selbst nicht, dass der König ihm so sehr fehlen konnte. Ohne seine Briefe ... wo war plötzlich das Ziel, für welches er arbeiten wollte? Er arbeitete nicht für sich selbst. Er arbeitete für den Pharao. Damit er stolz auf ihn war. Damit er sah, dass seine Rettung ein Akt der Menschlichkeit war und damit richtig. Damit er stark wurde und ihm eines Tages danken konnte. Doch wie sollte er ihm danken, wenn er gemieden wurde? „Sag mal, Shinasa“ sprach er leise, fast zu leise. „Wie eilig hast du es eigentlich mit der Hochzeit?“ Erst mal sagte sie gar nichts. Sie rückte ein Stück zurück und betrachtete sein Gesicht mit fragender Besorgnis. Er sah so emotionslos aus. So anders. Nicht böse, nicht ablehnend, aber doch irgendwie ... so ... unentschlossen. „Wie eilig ich es habe?“ wiederholte sie in einer skeptischer Tonlage. „Seth, WIR hatten es eilig. Du hast doch bei Vater um meine Hand ersucht und er hat mich dir versprochen. Noch heute Morgen hast du von Kindern geträumt und nun fragst du, ob ich es eilig habe?“ „Ja, ich ...“ Wie sollte er das nur erklären, wenn er es doch selbst nicht verstand? Sein ganzes Leben stand von einem Moment auf den anderen völlig Kopf. Mit nur einem einzigen Brief, begann er, alles in Frage zu stellen. Lag hier im Tempel wirklich das, was er wollte? Atemu war gegangen, um Platz zu machen für Frau und Familie. Der Pharao hatte seine Entscheidung gefällt. Der Pharao hatte damit einen leeren Platz in seinem Herzen zurückgelassen. Konnte dieser Platz einfach so von etwas anderem eingenommen werden? Gab es irgendetwas, irgendjemanden in diesem Reiche, was diesen Platz zu füllen vermochte? Und Seth? Was war ihm wichtiger? Die Liebe zu seiner zukünftigen Frau? Oder die Dankbarkeit gegenüber seinem König? „Willst du mich jetzt etwa nicht mehr heiraten? Seth? Habe ich etwas falsch gemacht? Oder bereust du deine Entscheidung, dem König abgesagt zu haben?“ „Nein ... ich liebe dich sehr ... Shinasa“ antwortete er ihr, doch er konnte nicht umhin, selbst einen traurigen Ton in seiner Stimme zu entdecken. „Ich kann es dir nicht erklären, aber ich zweifle gerade an mir selbst. Nicht an uns, aber ... ich fühle, dass dort etwas ist, was ich so nicht akzeptieren kann.“ „Hat es etwas mit dem Pharao zu tun? Mit dem Gespräch, welches ihr letzte Nacht geführt habt?“ Ganz dumm war sie ja nun auch nicht - auch wenn sie nicht vollkommen auf der sicheren Fährte war, so hatte sie doch Lunte gerochen. Deshalb sprach Seth niemals über seine Vergangenheit. Die Gefahr, dass man ihn entlarvte, war einfach zu hoch. „So halb und halb“ wand er sich aussagelos aus ihrer Frage heraus. „Shinasa, ich ... ich bin mir nicht sicher, was ich will. Ich liebe dich sehr und ich will dich auch heiraten, aber ...“ „Aber?“ So langsam bekam sie ein mulmiges Gefühl im Magen. Ein Aber in Bezug auf Hochzeitsplanung war immer eine böse Sache ... „Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich auf diese Weise will“ versuchte er zu erklären. „Vielleicht habe ich einen falschen Weg eingeschlagen. Es gibt etwas, worauf ich nicht verzichten kann und ... ich wusste nicht mal, dass es das gibt. Doch nun, wo es fort ist, da merke ich, dass es mir wichtiger war als alles andere es jemals hätte sein können.“ „Du sprichst in Rätseln, Liebster“ bat sie und sah ihn verwirrt aus ihren dunklen Augen an. Sie versuchte ja, ihn zu verstehen! Sie versuchte es wirklich! Aber er drückte sich so kryptisch aus, dass sie zwar die Worte hörte, aber nicht verstand. „Shinasa, ich ... ich will dem Pharao folgen.“ „Du willst ...?“ Hatte sie das jetzt richtig verstanden? So wankelmütig war er doch sonst niemals. „Du willst sein Angebot jetzt doch annehmen? Und was ist mit uns? Mit unserer Planung? Du weißt, dass ich von hier nicht fort möchte. Vielleicht in ein paar Jahren, aber jetzt noch nicht.“ „Aber ich muss es JETZT tun“ betonte er. „Weit kann der König noch nicht gekommen sein. Ich könnte ihn noch einholen.“ „Seth, aber ich bin doch mit meiner Ausbildung noch nicht fertig. Wir hatten doch beschlossen, dass wir erst gehen, wenn wir verheiratet sind. Du weißt, dass ich dir überall hin folge, aber jetzt noch nicht.“ „Ich sprach auch ... nur von mir alleine.“ Allein dieser Satz schoss ihr wie ein Blitz ins Mark. Er sprach nur von sich alleine? Er wollte dem Pharao folgen ... ohne sie? „Und was wird aus unserer Verlobung? Seth, wir lieben uns doch!“ „Bitte, Shinasa! Bitte!“ Er ließ die Schriftrolle fallen und griff nach ihren ringenden Händen. Er tat ihr gerade sehr weh, das wusste er. Aber der Schmerz in ihm zerfraß ihn ... ohne den Pharao. Er wusste, dass Shinasa ihm jetzt noch nicht folgen würde. Aber wenn er dem König jetzt nicht folgte, würde er ihn vielleicht niemals wieder sehen. Er würde seine Briefe nicht lesen und auch keine Orte besuchen, an denen er sich aufhielt. Wenn er ihn jetzt ziehen ließ, bedeutete das das Ende der tiefsten Freundschaft. Und diese Freundschaft lag viel tiefer, viel ergebener als die Liebe zu seiner Zukünftigen. „Du willst mich verlassen?“ Sie verstand es nicht. Sie konnte es einfach nicht verstehen? Warum nur? „Aber Seth! Heute Morgen war noch alles in Ordnung! Du hast mir niemals gesagt, dass du unzufrieden bist oder ... ich kann mich ändern. Ich kann die Frau werden, die du dir wünschst.“ „Aber du wirst mir nicht folgen“ wiederholte er selbst den Tränen nahe. „Bitte, meine liebe Shinasa. Ich liebe dich. Ich liebe dich sehr. So sehr wie ich die Sterne am Himmel liebe, so sehr wie ich den Duft von Rosen liebe. Du bist mir lieb und teuer und mein Herz schlägt für dich lauter als jedes Gewitter. Du bist ein wunderbares Mädchen und dass dein Vater unserer Vermählung zugestimmt hat, macht mich unendlich glücklich. Aber ich ... ich kann es dir nicht erklären. Ich muss dem Pharao nachreiten. Sofort.“ „Wenn das so ist“ versuchte sie es weiter, „dann tu, was du tun musst. Ich habe gelernt, man soll Männer nicht aufhalten. Ich werde aber hier auf deine Rückkehr warten. Ich würde dir gerne folgen, aber ich kann mein Zuhause jetzt noch nicht verlassen. Wenn ich mich entscheiden muss zwischen dir und meinem Zuhause, so kann ich dir nicht folgen. Und da auch du dich wohl zwischen mir und etwas anderem entscheiden musst, so weiß ich, kannst du nicht bei mir bleiben. Ich weiß, du wirst eines Tages zurückkehren und dein Verlobungsversprechen einhalten.“ „Nein, Shinansa ... ich ...“ „Nein?“ Sie erlitt hier einen Schock nach dem nächsten. „Heißt das, du willst nicht zurückkommen? Seth, ich biete dir hier einen Kompromiss an, lasse dich ziehen und will auf dich warten und du sagst nein?“ „Ich habe gelernt, nein zu sagen“ antwortete er ihr zittrig. „Mir fällt das hier nicht leicht, Liebes. Ganz und gar nicht leicht. Aber ich weiß ... ich kann danach nicht zurückkehren. Ich verstehe es ja selbst kaum.“ Er fuhr sich abermals verzweifelt durch sein seidig festes Haar und suchte nach Antworten. Nach Antworten, deren Frage er nicht zu formulieren wusste. „Ich glaube, wenn ich jetzt gehe, kann ich nicht zurückkehren. Ich kann keine Kompromisse eingehen ... ich kann nur das eine oder das andere. Und wenn ich das eine nicht bekommen kann, so will ich das andere auch nicht. Ich kann nicht dem Pharao und einer Frau gleichzeitig dienen.“ „Was redest du denn da?“ Sie griff an seine breiten Schultern, krallte sich an ihnen fest und schüttelte ihn verzweifelt. Die Tränen rannen aus ihren Augen. Sie spürte, dass hier etwas nicht stimmte. „Wenn du mich liebst, warum kannst du dann nicht hier bleiben? Warum das alles plötzlich? Heute Morgen haben wir noch gemeinsam an unseren Plänen geträumt und nun willst du das alles zerschlagen? Wofür das?“ „Liebste, es ist so schwer und einfach zugleich“ versuchte er zu erklären, griff nach ihren zitternden Händen und blickte sie aus feuchten Augen an. Hielt sie ganz zart fest und suchte selbst nach denselben Antworten wie sie. „Ich glaube, ich habe den Pharao vor den Kopf gestoßen und diese Schuld liegt schwerer als alle Liebe zu dir. Ich muss ihm einfach folgen, denn ohne ihn ... bin ich nichts. Wenn er mich annimmt, so kann ich mich nicht um dich kümmern.“ „Aber ich warte doch auf dich! Seth, ich bleibe hier und warte auf deine Rückkehr!“ „Und so viele Jahre verschwenden? Wenn du mir jetzt nicht folgst, so muss ich dir ein Lebewohl sagen.“ Genau das Gleiche, was der Brief des Pharaos ihm nun unbewusst auch sagte. Folge mir oder lebe wohl. Er liebte Shinasa und sich von ihr zu trennen, brach ihm das Herz. Jedoch ... die Freundschaft zum Pharao war ihm wichtiger. Er konnte ihr nicht erklären, weshalb dies so war. „Shinasa, ich weiß, dass du mich liebst. Und ich liebe dich auch. Aber ich muss etwas anderes über unsere Liebe stellen. Ich will dir nicht zumuten, auf mich zu warten. Denn nimmt der Pharao mich nun an, werde ich mit ihm gehen müssen und ihn dir vorziehen - er ist der König. Weist er mich ab, so kann ich hier auch nicht mein Glück finden. Ich kann einfach nicht hier bleiben. Ich kann nur einen Herren haben. Ich kann keine Frau glücklich machen und dafür den Pharao zurückstellen. Ich kann nur voll und ganz für einen von euch da sein.“ „Aber du kannst immer zu mir zurückkehren, Seth. Egal wie viele Jahre vergehen mögen. Ich liebe dich bis in alle Ewigkeit! Ich kann dir folgen, wenn ich meine Ausbildung beendet habe. Ich werde dich sicher nicht von deiner Arbeit abhalten!“ „Liebste, ich verstehe es selbst kaum.“ Und das war wahr. Er verstand nicht, warum er das hier tat. Aber wenn er vor seinem inneren Auge den Pharao sah und dann vor ihm so real seine Verlobte ... er wusste nicht, warum sie so blass und unwichtig wurde. „Ich zweifle an meinem gesamten Lebensweg. Und bevor ich das nicht für mich geklärt habe, kann ich dich nicht heiraten. Ich liebe dich, bitte glaube mir das. Aber ich bin in diesem Augenblick so verwirrt und ... ich weiß selbst nicht, was ich will. Ich weiß nur, dass ich dem Pharao folgen muss. Als würde eine innere Stimme es mir befehlen. Ich weiß nicht, was sein wird, wenn ich ihn erreiche. Ich weiß gar nichts mehr. Ich weiß nur, dass ich zu ihm muss. Ohne ihn kann ich mein Glück nicht finden. Auch nicht in dir.“ „Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich mich niemals auf dich eingelassen!“ Ihre Besorgnis und Verwirrtheit schlug um in Zorn. Sie stieß seine Hände von sich und erhob sich in einen breiten, festen Stand. Aus wütenden Augen funkelte sie ihn an, diesen Mann der dort so liebesheuchelnd vor ihr saß. „Du setzt also deine Laufbahn als Priester vor unsere Ehe? Ich habe dich immer unterstützt und das ist nun der Dank? Kaum bist du Priester und siehst eine Chance gekommen, in den Palast zu gehen, da verlässt du mich? Bedeute ich dir so wenig, dass du meinst, du kannst mich in ein paar Jahren nicht nachholen?“ „Nein, so ist es nicht!“ bat er traurig. „Ich liebe dich sehr, aber ich weiß nicht, was kommen wird. Mein Leben war schon immer kompliziert und ... ich will dich nicht mit mir reißen, wenn ich untergehe.“ „Was heißt das, dein Leben ist kompliziert?“ schrie sie ihn gebrochen an. „Ich weiß ja nicht mal, wo du herkommst. Du willst nie darüber reden, was vor dem Tempel war und ich habe das immer akzeptiert. Du sagst, du hast schmerzliche Erinnerungen und ich wollte das nie in dir aufrühren. Ich war immer verständnisvoll und habe dich geliebt. Und jetzt hast du mich nur ausgenutzt?“ „Nein, Shinasa! Bitte glaube das nicht! Ich liebe dich, aber ...“ „Du hast es doch selbst gesagt! Entweder der Pharao oder ich!“ „NEIN!“ schrie er verzweifelt zurück. „Ich liebe dich, aber wenn du mir jetzt nicht folgst, dann gehe ich trotzdem.“ „Ich kann dir jetzt nicht folgen. Das weißt du genau. Ich habe Verpflichtungen hier und eine Ausbildung, die ich abschließen will. Ich habe es meiner toten Mutter versprochen, dass ich meine Ausbildung zur Heilerin mache und das weißt du genau! Es ist gemein von dir, wenn ich mich zwischen dir und meiner Mutter entscheiden muss!“ „Und es ist gemein von dir, wenn du verlangst, ich soll mich zwischen dir und dem Pharao entscheiden!“ „Der Pharao ist aber auch nicht deine Mutter!“ „Du hast ja gar keine Ahnung ...“ flüsterte und wand den Blick gen Boden, musste sich zusammenreißen, um nicht zu weinen. Er hatte kaum Erinnerungen an seine Mutter, aber er erinnerte sich an den Pharao. Der Pharao hatte ihm ein neues Leben geschenkt ... das kam der Liebe einer Mutter sehr nahe. „Bitte Shinasa, mach es mir doch nicht so schwer. Ich kann es dir nicht erklären, aber ich muss einfach gehen. Entweder folgst du mir als meine Verlobte und wirst ewig unglücklich zurückstehen oder es endet hier.“ „So einfach ist das also für dich, ja?“ warf sie ihm bittertraurig vor die Füße. „Das Versprechen zu meiner Mutter interessiert dich einen Dreck, solange du nur deine eigene Chance gekommen siehst.“ „Das ist nicht wahr ... ich kann es dir nicht erklären, warum ...“ „Dann lebe wohl, Seth“ beschloss sie und ließ die Tränen frei über ihre Wangen laufen. „Ich bin sehr enttäuscht von dir. Ich dachte, ich würde dir etwas bedeuten.“ „Du bedeutest mir auch sehr viel, Liebste ... aber der Pharao bedeutet mir mehr.“ „Dann heirate doch den.“ Damit drehte sie sich um und war mit schnellen Schritten davon gestampft. Und ließ ihn einsam zurück. Er saß noch immer am Tisch, die Rolle neben ihm und er verstand selbst nicht, wie es dazu kommen konnte. Noch heute Morgen war er der festen Überzeugung, seine Zukunft läge hier im Tempel. Bei Shinasa und ihrer gemeinsamem Familienplanung. Doch nun, wo der Pharao drohte, ihn auf ewig zu verlassen ... da erst spürte er, dass die Dankbarkeit gegenüber Atemu viel stärker war als die Liebe zu seiner Verlobten. Er konnte ihr nicht erklären, weshalb ... er wusste es selbst kaum. Aber er musste mit dem Pharao gehen, an seiner Seite bleiben in dieser schweren Zeit. Und er musste ergründen, weshalb er ihm ein Lebewohl schickte, was er falsch gemacht hatte. Shinasa würde ihn nicht verstehen. Sie musste ihm jetzt folgen oder niemals. In ein paar Jahren war es zu spät. Und Seth könnte es sich niemals verzeihen, seine Treue zum König zu brechen. Seine Dankbarkeit war stärker als seine Liebe. Kapitel 21: ------------ Kapitel 21 „Du hast es ja doch noch geschafft!“ Der bullige Penu schlug dem hageren Faari etwas zu kräftig auf die Schulter, als er zu ihnen stieß. Er hatte den Weg etwas schneller zurücklegen müssen, um den König noch einzuholen. Er hatte nur dem jungen Priester die Botschaft ausgehändigt war dann im Eilgalopp nachgeritten, während seine Leute schon vor waren. „Und?“ fragte der Pharao ein wenig leiser. „Wie Ihr es wolltet“ nickte er. „Ich habe ihm die Schriftrolle persönlich gegeben und mich dann sofort in Eure Verfolgung gestürzt.“ Schwermütig seufzte der König und wollte sich nicht umsehen. Er wusste, dass am Horizont noch lange der tiefrote Tempelgigant zu sehen sein würde. Wenn sie den ganzen Tag hindurchritten, würden sie ihn aus dem Sichtfeld haben und bis dahin stand er ihm im Rücken, so wie die schmerzhafte Erinnerung sein Herz dolchte. Drohend, unnachgiebig und überflutet von den Tränen seines Herren. Er hatte nicht persönlich von ihm Abschied nehmen können. Es wäre zu schwer gewesen. Wie hätte er es ihm erklären sollen? Oder hatte er nur Angst vor seiner Reaktion? Angst davor, dass er vielleicht mit dem Schultern zuckte und sagte „Dann eben nicht“? Davor, dass es ihm egal war? Angst davor, dass er vielleicht den Grund hinter diesem Lebewohl hätte wissen wollen? Doch zu gehen, ohne es zu erklären, konnte er nicht. Er musste seinem Seth wenigstens sagen, dass ihr gemeinsamer Weg hier endete ... wenn sie denn jemals einen gemeinsamen Weg gehabt hatten. Alles, was sie jemals hatten, war ein dunkles Geheimnis. Sklaverei, Königstum und Liebe passten nicht zusammen. Doch, es war das Beste so. Seth war frei für eine unbelastete Zukunft. Er hatte nun alles, konnte alles tun. Alles, was sein Pharao ihm jemals gewünscht hatte. Es war das Beste so. „Mein Pharao.“ Faari ritt neben ihn hin und blickte ihn besorgt an. „Ihr seht nicht wohl aus. Möchtet Ihr vielleicht einen Moment Pause machen?“ „Nein, es geht schon.“ Und er lächelte. Lächelte so, wie er es immer tat. „Nur die Feier steckt mir noch in den Knochen. Wie immer.“ „Vielleicht hätten wir doch noch einen Tag bleiben sollen. Eure Gesundheit geht den Regierungsgeschäften vor, wenn Ihr mich fragt.“ „Du weißt doch, wie er ist“ beendete Fatil diese Sache ganz gekonnt. „Lasst uns vor Anbruch der Nacht noch ein gutes Stück schaffen. So wird die Nacht umso erholsamer.“ „Du bist so ein Schleimer, Fatil“ flachste Penu ihn an. „Was kriegst du dafür, dass du die Unvorsichtigkeiten des Pharao immer verteidigst?“ „Das binde ich dir bestimmt nicht auf die Nase“ zwinkerte er. „Bleib du mal bei der Armee und ich bleibe im Palast.“ „Hoheit, er tut es schon wieder!“ Penu petzte wie ein kleines Kind und ließ den Pharao aufhorchen, riss ihn aus seinen schweren Gedanken, in welche er nur allzu schnell wieder abtauchte. „Was?“ Er hatte ihnen gar nicht zugehört. In Gedanken war er noch immer bei der letzten Nacht, beim Wortlaut seines Abschiedsbriefes ... beim Mondenschein, der sich in den unendlichsten blauen Augen spiegelte. So blaue Augen, wie sie im ganzen Reiche kein zweites Mal existieren konnten. „Fatil ärgert mich schon wieder“ schmollte er und zeigte mit dem Finger auf den Bösewicht. Man würde ihm unterstellen, Penu würde so etwas Schmollendes spielen, aber selbst ein rüder Soldat wie er hatte seine niedlichen Anwandlungen - ob seine Mutter ihn deshalb nach einem kleinen Nager benannt hatte? „Sagt ihm, er soll nicht immer auf Euren Soldaten rumhacken.“ „Fatil, lass meine Soldaten in Ruhe“ mahnte er spaßhaft, immer die alte Leier zwischen den beiden. Nur weil Fatil zum Adel gehörte und Penu eben nicht. Fatil hatte drei Frauen, Penu noch gar keine. Dafür war Fatil im Kämpfen eine Niete gegen den Schwertträger Penu. Es gab immer etwas, womit sie sich aufziehen konnten. Doch meistens, um den König zu erfreuen und ihn zum Lachen zu bringen. Einen Hofnarren hatte er dank dieser beiden niemals nötig. Er sollte mit seinen Gedanken lieber umschwingen, dachte er leise bei sich. Fort von dem roten Wüstentempel und zurück in sein altes Leben. Ein Leben ohne Seth, gefüllt mit ewiger Sehnsucht. Aber dafür begleitet von Freunden, die es gut mit ihm meinten. Von Freunden, die ihn aufheiterten ohne seinen Schwermut anzusprechen. Wenn er schon keine Liebe haben durfte, so blieb ihm noch immer die Freundschaft ... Freundschaft ... nur Freundschaft ... es wäre niemals mehr als immer nur Freundschaft gewesen ... eine Freundschaft, die er nicht ertragen hätte. Faari hatte nach seinem schnellen Ritt kaum richtig durchgeatmet und einen großen Schluck aus der Wasserflasche genommen, da hörten sie hinter sich ein Rufen. Ganz leise nur, aber etwas war in dieser heißen Luft, in dieser Wüstenstille, was nicht hineingehörte. „Wer ist denn das?“ Als Penu sich umdrehte, taten es die anderen ihm gleich. Selbst der König, der nicht zurückblicken wollte, schaute über seine Schulter und sah einen Reiter näher kommen. Er trieb sein tiefbraunes Pferd zum ungesund schnellen Galopp, ließ es nicht verschnaufen und jagte durch den Wüstensand, welcher links und rechts davon stob. Das rote Gewand wehte ihm im Winde nach, am Maul seines Pferdes wurde der erschöpfte Schaum sichtbar, je näher er kam. Und er kam schnell näher. Als würde es um sein Leben gehen, so galoppierte er wie ein Wahnsinniger durch den Sand direkt auf sie zu. Ganz direkt auf sie zu und man hörte sein lautes Rufen langsam klarer. „MAJESTÄT! WARTET!“ Während die anderen drei noch rätselten und diesen Reiter nicht sofort zuzuordnen wussten, durchfuhr es den Pharao wie ein Blitz. Seth. Er ritt ihm nach. In einer irrsinnigen Geschwindigkeit. Er wollte ihn einholen. Seinen Plan zunichte machen. Er wollte sich sein eigenes Leben zerstören. Ohne noch länger darüber nachzudenken, drehte der König sein Pferd, trat ihm so kräftig in die Seite, dass es vor Schreck aufschrie und tobte tiefer in die Wüste hinein. Die Richtung war egal, solange Seth ihn nur nicht einholte. War der denn wahnsinnig? Er konnte ihm nicht folgen! Während Atemu sein edles Tier zur Schnelligkeit antrieb, schossen ihm tausend Gedanken durch den Kopf, doch nur einer war klar: Er konnte ihn nicht wiedersehen. Er hatte Abschied genommen, auch von seinem eigenen Herzen. Seth noch ein Mal gegenüber zu treten, würde er nicht verkraften. Er wollte ihm so vieles sagen, alles was in seinem Herzen schwelte und doch durfte es niemals ans Tageslicht kommen. Es würde sie beide ins Verderben reißen. Es durfte nicht sein! Es durfte einfach nicht! Warum tat er ihm das an? Warum folgte er ihm? Warum bei allen guten Göttern konnte er es damit nicht gut sein lassen? Er sollte doch nur sein Leben leben und glücklich werden. War das denn so schwer? War sein Brief denn nicht eindeutig gewesen? Der Pharao wollte ihn nicht wiedersehen! Musste er ihm denn erst wehtun, damit Seth ihn hasste? Damit er ihm nicht mehr nahe sein wollte? Musste aus der Freundschaft denn erst Abscheu werden, damit sich ihre Wege trennen konnten? „Ihr haltet den Reiter auf!“ befahl Fatil, drehte sich und ritt dem Pharao nach. Faari und Penu blieben zurück, blickten sich an und wussten nicht, was der Grund für diesen plötzlichen Aufruhr war. „Aber dieses rote Gewand“ dachte Penu laut nach. „Das ist ein Priester aus dem Tempel. Warum flieht der Pharao denn vor Priestern?“ „Denk da nicht drüber nach. Überlass das Denken den Adeligen“ bat Faari und löste das Tuch, welches sein halbes Gesicht verdeckte. „Befehl ist Befehl, also halten wir ihn auf.“ „Wenn du meinst ...“ Penu trat sein Pferd und war zwar kein schneller, aber dafür ein kräftiger Reiter. Während er die Hand an den Griff seines Schwerts legte und dem Priester als erster Gegner entgegenritt, blieb Faari stehen, zog seinen Bogen aus dem Sattelgriff und nahm sich aus seiner Satteltasche einen Pfeil. Bei seiner Zielgenauigkeit sollte ein Pfeil absolut ausreichend sein. Er wollte keine Menschen töten, aber wenn der Priester sich nicht aufhalten ließ und der Pharao sich von ihm bedroht fühlte - die Krone war über alles erhaben. „HALT! BLEIB STEHEN!“ Seth sah, dass ihm ein bulliger Reiter entgegenkam und das hatte er nicht erwartet. „Warum schickt die Hoheit mir seine Leibwächter auf den Hals?!“ rief er zurück, aber eine Antwort bekam er darauf nicht. „Bleib stehen! Das ist die letzte Warnung!“ war alles, was er zu hören bekam. Mittlerweile waren sie sich schon so nahe gekommen, dass sie sich gegenseitig in die Augen blicken konnten und dann ging alles ganz schnell. Penu versuchte, genügend Abstand zu halten, er zog sein Schwert und holte aus. Er würde ihn vom Pferd holen, wenn der Priester nicht endlich freiwillig seinen Ritt stoppte. Er musste dabei nur aufpassen, ihn von der richtigen Seite anzugehen, denn er wusste durchaus, dass Faaris Pfeil schon auf sie gerichtet war und er durfte ihm nicht die Sicht versperren. „Bleib stehen!“ forderte er noch mal, aber Seth würde nicht stehen bleiben. Er wollte zum Pharao. Er wusste, dass wenn der König sagte, er würde ihm aus dem Weg gehen, er es ernst meinte und auch die Mittel dazu hatte, ihn niemals mehr auch nur in seine Nähe zu lassen. Aber dort hinten, gar nicht so schrecklich weit, ritt genau der eine Düne hinauf. Er wusste, wenn er seinen Pharao jetzt nicht einholte, würde er ihn niemals wieder sehen. Und da waren auch die Elitekämpfer aus dem Palast nicht Drohung genug. Er ließ den Schwertkämpfer auf sich zukommen, blickte ihm tief in die Augen und wusste, er war bereit ihn zu töten. Er verteidigte seinen König, das war seine Berufung. Seth würde dasselbe tun. Nahe genug kam er schnell, aber auch Seth hatte den Bogenschützen weiter hinten entdeckt, also startete er ein gefährliches Manöver. Etwas, womit selbst Penu nicht rechnete. Dass man versuchte, auszuweichen, wäre legitim, aber Seth tat genau das Gegenteil. Das Schwert würde ihn nur treffen, wenn er auf dieser Seite blieb, aber sein Pferd war zu schnell, um noch nach links zu wechseln. Also ließ er sein schnaubendes Ross einen Haken machen und war nur noch eine Armlänge von der Schnauze, des Soldatenpferdes entfernt. Er würde frontal in ihn hineinreiten, was ihn zwar vor dem Schwert und dem Pfeil schützte, ihn aber auch vom Pferd holen konnte. Doch als Priester hatte er auch die Psyche der Menschen studiert und wusste, dass das Überraschungsmoment auf seiner Seite war. Und in der Tat. Penu erschrak sich, auch weil sein Pferd so kurz vor dem Zusammenprall scheute. Er parierte den Linkshaken ebenfalls mit einem Linkshaken, schlug sein Schwert heraus und spürte, dass er auf jeden Fall etwas erwischt hatte. Hoffentlich den Priester. Aber im Gegensatz zu ihm selbst, landete der nicht mit samt Pferd im Sand, sondern ritt einfach weiter. Feind Nummer eins war also ausgeschaltet. Blieb jetzt noch Nummer zwei - der Bogenschütze. Weiter hielt er geradeaus und hatte den Pharao fest im Blick. Er kam ihm näher, sein Pferd war schneller. Er würde ihn einholen, wenn er das Tempo halten konnte. Und dann würde er ein Gespräch fordern, dadurch hoffentlich ihre Freundschaft nicht brechen lassen. Vor Pfeilen jedoch auszuweichen, war schwieriger als einem Schwert zu entkommen. Zumal er der Klinge nicht ganz hatte ausweichen können. Er fühlte einen Schmerz an seinem Bein pochen und die Nässe seinen Fuß herunterlaufen. Also war er doch erwischt worden, hatte aber keine Zeit, sich seine Wunde zu besehen. Sollte sie doch bluten. Selbst wenn es ihm den Fuß abriss, war es dieses Opfer wert. Er durfte den König nicht entkommen lassen. Er musste zu ihm. Koste es, was es wolle. Aber als es schwerer wurde, sich auf dem Ross zu halten, als er nur noch locker saß und nicht mehr fest im Sattel bleiben konnte, blickte er doch kurz hinab und sah nicht nur sein Bein voller Blut, sondern auch, dass der Riemen seines Sattels durchtrennt war. Perfekt! Der Bogenschütze zielte direkt auf ihn und würde jeden Moment schießen. Doch mit Seths Intelligenz hatten sie sich beide verkalkuliert. Er machte noch einen schnellen Haken nach rechts und somit musste der Pfeil noch mal neu anvisiert werden. Das gab kurze Zeit. Durch die Wucht des Hakens löste sich sein Sattel völlig und er zog ihn unter seinem Hintern heraus, bevor er zu Boden fallen konnte. Er musste schnell machen und nur wenige Sekunden später hörte er den Pfeil durch die Luft sirren, riss das dicke Leder hoch und spürte doch, wie die scharfe Spitze dort hindurch und in seinen Arm drang. Sofort schoss ihm das Blut heraus, der Wind sprenkelte es in sein Gesicht und ein beißender Schmerz durchzog ihn bis zur Schulter. Aber wenigstens war die meiste Kraft in den Sattel gegangen, den er sofort wieder hängen lassen musste. So ein Sattel war einfach zu schwer und hätte er nicht einen so muskulös kräftigen Körperbau, hätte der Pfeil ihm sicher die Brust durchstoßen und nicht nur den Arm. Denn zielen und treffen würde ihn dieser Schütze auf jeden Fall. Nur mit Schild hatte er eine Chance, an ihm vorbeizukommen. Faari fluchte von seinem Standpunkt aus und sah den Priester noch immer im vollsten Galopp herbeikommen. Selbst Penu, der sich wieder aufgerichtet hatte und ihm folgte, würde ihn nur erreichen, wenn er schneller wurde - aber dieser Priester war ein echter Reitkünstler und verdammt kreativ in seiner Schlachtenführung, das musste man ihm doch neidlos anerkennen. Trotz aller Bewunderung zog Faari sich sofort einen zweiten Pfeil, hatte sein Ziel schnell im Blick, prüfte, dass Penu ihm nicht im Flugweg stand und ließ die Sehne los. Auch der zweite Pfeil verfehlte sein Ziel nicht, traf jedoch auch nur den Sattel, welchen der Priester nun wie einen Schutzschild verwendete. So würde das nichts werden. Zeit für einen dritten Pfeil blieb kaum noch, aber einen Versuch war es wert, zumal Faari einen nicht eben minder kreativen Einfall hatte. Er spannte in aller Eile einen zweiten Pfeil, zielte dieses Mal jedoch nicht auf den Priester, sondern auf das Hinterbein seines Pferdes. Ein waghalsiges Unterfangen, denn das Bein eines Pferdes im vollen Galopp zu treffen, war so gut wie unmöglich. Doch nicht ohne Grund war Faaris Ruf als bester Bogenschütze des Reiches weitreichend bekannt. Damit hatte selbst der Priester wohl nicht gerechnet, sein Pferd schrie auf und stürzte zu Boden, was Faaris Triumph bedeutete. Geschafft. Es wäre doch gelacht, wenn die Elitesoldaten des Palastes keinen einfachen Priester zu Boden strecken könnten! Seth hörte den Pfeil durch die Luft sirren, hob seinen Sattel schützend vor Gesicht und Brust, ignorierte den Schmerz an seinem Arm und seinem Fuß, aber da brach schon sein Pferd unter ihm weg und ehe er es sich versah, beendete der Sand ihren gemeinsamen Fall, der durchbohrte Sattel riss sich selbst aus seinem Arm und sein Kopf schlug doch recht hart auf dem weichen Sand auf. Alles wuselte um ihn herum, sein Pferd schnaubte und entzog sich ihm sofort. Der Schmerz an seinen Wunden wurde schier unerträglich und sein Kopf fühlte sich an wie aus einer quälend zähen Masse geformt. Sein Hinterkopf stach wie ein Messer in seine Augen und sein Magen drehte sich um, als ihm die Luft versagt blieb. Er sah benommen noch einen Schatten vor seinen Augen, wie den Umriss eines Menschen vor der Sonne, hörte den Sand unter dessen Füßen knirschen und bemerkte nebenbei wie sein Pferd schnell davonlief und seinen Herren allein ließ. Eine Hand griff nach seinem Kragen, riss ihn in die Höhe, aber er war schwindelig von dem Fall, das Blut pulsierte aus seinem Bein und den zwei Pfeilspitzen in seinem Arm. Er hatte es nicht geschafft. Er hatte die Krieger seiner Majestät nicht bezwingen können. Er sah wie diese Gestalt den Arm hob, einen langen Gegenstand in die Höhe hielt und er spürte den unerbittlichen Blick auf seinem Gesicht. „Lasst mich zum Pharao“ keuchte er seinen letzten Gedanken hinaus. Aber eine Antwort bekam er nur durch einen kurzen Schmerz an seinem Hinterkopf, bevor es schwarz wurde vor seinen Augen und er nach vorne fiel ... ... und sein letzter Gedanke bei Atemu war. Bei ihm und seinem unschuldigen Lächeln. Dem schönsten Lächeln, welches selbst den sanften Mond überstrahlte. Kapitel 22: ------------ Bevor Kapitel 22 startet, möchte ich mich doch noch mal zu Wort melden. Das fällt mir während der Story schon schwer genug, aber ich will auch mal was, ohne gehässige Randbemerkungen schreiben. ^^’ Was mir aber wirklich am Herzen liegt, ist noch mal ein Dank an die super lieben Kommi-Schreiber. Ich weiß, ich bin ein Schlusi, wenn’s darum geht, zu antworten, aber das ist echt nix böse gemeint! Ich liebe euch alle und freue mich jedes Mal wie eine Schneekönigin. Vor allem eure langen Kommis sind ja der Hammer. Dass ihr euch echt die Mühe macht und das alles niederschreibt, ist unglaublich! Ich weiß das wirklich zu würdigen und das wollte ich noch mal ganz ernst ausdrücken. Das lag mir wirklich auf der Seele und auch, wenn ihr nicht immer sofort eine Rückmeldung bekommt (ich weiß, ich komme dafür irgendwann in die Hölle), so bin ich euch dennoch unendlich dankbar. Ganz ehrlich und wirklich. Teilweise sind eure Kommis ja krasser als die Story selbst ... ihr macht mich sprachlos, echt! Tja, ich wollte auch nur sagen, dass ich euch dafür liebe und dass ihr mich damit immer wieder anspornt. Der Honig, den ihr auf meinen Bauch schmiert, der kommt im Herzen an und verklebt da alles ... ich warte nur noch drauf, dass Maja und Willi bei mir einziehen ... Ich liebe euch wirklich! Und ich meine das ganz ehrlich! Jedes Wort von euch ist Gold wert und noch mehr. Bleibt mir nicht viel mehr zu sagen ... als einfach nur danke. Danke! ----------------------------------------- Kapitel 22 Dünne Vorhänge schwächten die gleißenden Sonnenstrahlen ab und zauberten einen seichten Schimmer auf den tiefroten Stein. Die schlicht bemalten Vasen und Krüge warfen ebenso wenig einen Schatten wie der kleine Hocker neben seinem Bett oder der niedrige Tisch, welcher auf einem dick gewebten Wollteppich stand. Mittagshitze im roten Tempel. Zu dieser Zeit des Tages war es ruhiger als am Morgen oder am Abend. Besonders zu dieser Jahreszeit war die Sonne so unerbittlich, dass die Menschen selbst mit dem Wasser des vollsten Brunnens langsam sparsam sein mussten. Deshalb wurde zur Mittagszeit nicht gearbeitet, sondern ein wenig Schlaf vorgeholt, um die kühleren Abendstunden zur Geschäftigkeit zu nutzen. Diese Ruhe war entspannend. Er hörte den leisen Wind um die Ecken wehen und ab und zu ein paar Worte, welche unten im Hof gesprochen wurden. Doch um aufzustehen und nachzusehen, wer dort unten saß, dafür war er zu müde. Sein Kopf schmerzte, ab und an überkam ihn der Schwindel gepaart mit Übelkeit. Die Wunden an seinem Unterarm, der Schnitt an seinem Fußknöchel und das noch immer nicht vernarbte Brandmal an seiner Schulter ließen ihn keine annehmbare Schlafposition finden. Und das drückende Gefühl in seinem Herzen ließ diese entspannte Mittagsruhe zu einem einengenden Schweigen werden. Er seufzte, drehte sich langsam auf die andere Seite und schloss seine Augen. Weshalb nur war der Pharao vor ihm davon gelaufen? Weshalb nur hatte er ihm seine Soldaten geschickt? Weshalb nur wollte er nicht auch nur noch ein Wort mit ihm wechseln? Immer dieselben Fragen, auf die er tausende verschiedener Antworten fand. Er hatte sich respektlos verhalten. Er hatte den Pharao bedroht. Er hatte einfach nicht das Recht, ihm nahe sein zu dürfen. Ewig könnte er weitermachen, noch mehr Gründe suchen, sich noch mehr Vorwürfe machen und doch die Worte in diesem letzten Brief niemals verstehen. Langsam kam er mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass nicht die geschriebenen Worte die Botschaft waren, sondern das Gefühl, welches zwischen den Zeilen mitschwang. Jedoch dieses Gefühl zu lesen, dazu war er nicht imstande. In das große Wesen des Pharao konnte kein anderer jemals Einblick erhalten. Atemu war so ein wundervoller Mensch. Nach diesen sieben Jahren hatte er sich verändert und war doch der Selbe geblieben. Seine Statur war männlicher geworden, seine Haut dunkler, seine Augen klarer und doch leuchteten sie bei Mondenschein so verträumt, so hell und sanft. Er war stark und mächtig auf der einen Seite, abgeklärt, vernünftig und wohlbedacht. Und doch schien er manchmal so tollpatschig, fast naiv auf der anderen Seite. So unentschlossen, zaghaft und impulsiv, fast kindisch ein wenig. Er hatte so viele Eigenschaften und davon ausgenommen nur gute. Die einen ließen die Menschen niederknien vor seiner Größe. Die anderen machten ihn so begehrenswert, so liebenswert. Seine Worte waren in der Sprache, wie in der Schrift immer liebevoll, voller Verständnis und doch konnte er so klar und weisend sein, wie es ein König sein musste. >Ich kann ihn nicht verstehen.< Niemals würde ein Wesen auf der Erde ein göttergleiches Geschöpf wie ihn verstehen können. Er war gesegnet vom Himmel, von der Unterwelt. Er hatte alles, Gold, Edelsteine, Ländereien und die Macht über alles innerhalb der Reichsgrenzen. Und doch schien es in manchen Momenten, als würde ihm etwas fehlen. Etwas, was er sich wünschte, wofür er arbeitete, was er selbst nicht erreichen konnte ... in seinen Augen lag solche Sehnsucht. Vielleicht war er in dieser Nacht, als er ihm das letzte Mal nahe sein durfte, zu unsensibel gewesen. Er hatte sich Mühe gegeben, entspannt zu wirken, obwohl er doch so aufgeregt war, seinen Pharao nach Jahren wiederzusehen. Er wollte ihm so vieles zeigen, so vieles erzählen. Er war so sehr damit beschäftigt, perfekt zu sein, dass er vielleicht falsch auf ihn eingegangen war. Wahrscheinlich war er zu aufdringlich. Nur, weil sie sich über Jahre schrieben, hieß das noch lange nicht, dass er des Pharaos Freund war! Sich so ein Denken zu erdreisten, gehörte bestraft! Deshalb hatte der König ihn von sich gestoßen. Und doch ... warum durfte er ihn in diesen privaten Momenten bei seinem Namen nennen? Weshalb ließ Atemu es straflos zu, dass er dies tat? Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Egal, welche Richtung seine Überlegungen nahmen, sie kamen immer wieder bei der Suche nach den Gründen seiner Flucht an. „Atemu ...“ flüsterte er leise, hielt seine verzweifelten Tränen zurück und strich sehnsüchtig über das faltige Laken. Wie gerne hätte er ihn noch ein letztes Mal angesehen, seine sanfte, starke Stimme gehört. Wie gerne hätte er ihm noch ein letztes Mal seine königlichen Hände geküsst. Das Schimmern seiner bronzenen Haut bewundert und das sanfte Fallen seiner Haare belächelt, wenn ihm seine viel zu große Krone auf die Stirn rutschte. Viel lieber als an jedem anderen Ort, würde er ihm zu Füßen sitzen. Auf seine Worte lauschen und sein rätselhaftes Wesen bestaunen. Er wollte ihm seine Dankbarkeit zeigen und nun? Nun würde er vielleicht niemals mehr Gelegenheit bekommen, ihm auch nur einen entfernten Dank zukommen zu lassen. Wahrscheinlich war sein Leben ohne den Pharao nun beendet ... „Seth? Bist du wach?“ Er öffnete seine Augen und erblickte den alten Hohepriester, welcher so prächtig vor seinem Bett stand. Von hier unten erschien er viel größer als sonst. Oder lag es einfach daran, dass er sich erst die Augen reiben musste, um klarer zu sehen? „Darf ich mich zu dir setzen?“ Ohne die Antwort abzuwarten, trat er heran und ließ sich am Rande seiner gepolsterten Matte auf dem kleinen Holzhocker nieder. Seth indessen kniff die Augen zusammen und richtete sich trotz seines schmerzenden Kopfes ein Stück auf, lehnte sich gegen die warme Wand und wischte sich kurz übers Gesicht, um dann vor sich die vertrauten Augen des höchsten Mannes hier zu sehen. „Wie fühlst du dich?“ fragte er mit leiser Stimme. Er wusste, dass der junge Priester seinen Kopf geprellt hatte und ihn laute Geräusche schmerzen würden. „Besser. Danke“ antwortete er müde und hielt mit Mühe seinen Kopf aufrecht. Er hatte viel geschlafen, die ganze Nacht und von heute Morgen noch mal bis zur frühen Mittagshitze. Und trotzdem fühlte es sich an, als wollten weder sein Geist, noch als wollten seine Glieder den treuen Dienst wieder aufnehmen. „Ich frage mich, was mit dir los ist“ sprach der Alte langsam weiter. „Was hat dich so bewegt, dass du dem Pharao folgst wie vom Wahnsinn gepackt?“ „Shinasa hat mit dir gesprochen“ unterstellte er einfach mal. „Dein abnormes Verhalten habe selbst ich bemerkt“ antwortete er. „Aber natürlich hat sie mit mir gesprochen. Sie hat geweint und erzählt, du hättest eure Verlobung gelöst, um dem Pharao zu folgen. Das hätte ich ja noch auf irgendeine Weise verstehen können, aber dass dich ein Soldat des Königs bewusstlos wieder zurückgebracht hat, warf doch Fragen auf. Ich dachte, du hättest ein Angebot bekommen, dem du folgen wolltest. Wenn dieses Angebot aber gar nicht mehr existierte oder du eh ablehnen wolltest, warum verlässt du dann meine Tochter, um dich niederkämpfen zu lassen? Was geht nur in dir vor, dass es dich zu solchen Taten hinreißt?“ „Ich weiß auch nicht, was in mir vorgeht“ seufzte er und stützte seinen Ellenbogen auf die angezogenen Knie, um seinen Kopf ein wenig zu entlasten. „Wenn ich wüsste, was in mir vorgeht, wäre ich nicht so ratlos.“ Er spürte die Augen des Hohepriesters auf sich. Spürte, wie sie ihn durchschauen wollten, ihn erforschten und nach einer Antwort suchten. Aber sie konnten keine Antwort finden, welche er selbst nicht wusste. Wie konnte er eine Antwort geben, wenn sein Kopf voller Fragen war? „Dass ich Shinasa verletzt habe, tut mir leid“ sprach er erschöpft weiter. „Ich weiß, das alles kam sehr plötzlich, aber ich ... ich weiß es auch nicht.“ „Liebst du sie denn nicht mehr?“ wollte er wissen, aber seine Stimme ließ keinen Vorwurf mitschwingen. Viel eher klang es als hätte er schon seine Antwort gefunden, als hätte er sich seine Meinung gebildet. Chaba hatte diese Eigenschaft, welche ihn niemals ratlos machte. Seine Worte und sein Denken waren immer von Weisheit und Verständnis geprägt. So wie ein perfekter Priester sein sollte - im Gegensatz zu Seth, welcher seine Verlobte für irgend so ein fixes Gefühl verließ und sich in einen Kampf mit Soldaten stürzte. Was hätte er dem Pharao denn sagen wollen, wenn er ihn erreicht hätte? „Seth?“ „Doch, ich liebe sie sehr“ erwiderte er nach dieser kleinen Aufforderung. Doch in die Augen sehen, konnte er ihm nicht. „Bitte, Chaba, das musst du mir glauben. Ich liebe sie, aber ...“ „Aber da ist noch jemand anderes“ unterstellte er ruhig und fand es nicht überraschend, wie überrascht der junge Mann vor ihm seinen blauen Blick hob und ihn fragend ansah. „Ich glaube dir, dass du sie liebst, Seth. Doch seit der Pharao hier einkehrte, schienst du in Gedanken zu sein. Ist er der Grund dafür, dass du sie verlassen möchtest?“ „Indirekt“ gestand er und senkte seine müden Augen zurück auf das graue Laken, welches seine Beine bedeckte. „Ich wollte dem Pharao unbedingt folgen, aber ich wusste auch, dass ich sie dann vernachlässigt hätte. Ich kann nicht der Krone und einer Frau gleichzeitig dienen, egal wie sehr ich sie liebe. Shinasa ist eine wundervolle Frau und hat solch eine Behandlung nicht verdient. Sie wäre nicht glücklich geworden an zweiter Stelle.“ „Deine Worte haben sie aber auch nicht glücklich gemacht. Auf der einen Seite forderst du, dass sie dir sofort zu folgen hat und auf der anderen Seite forderst du, dass sie ganz zurück bleibt. Ich kann verstehen, dass sie verwirrt ist.“ „Ja, ich auch ...“ flüsterte er. „Chaba, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich wollte das Angebot des Pharaos wirklich ablehnen, aber als ich mir dann klar wurde, dass ich ihn niemals wiedersehen würde ... es klingt gemein, aber plötzlich wurde sie so unwichtig. Ein wundervolles Mädchen wie sie, hat es nicht verdient, gegen jemand anderen zu verblassen. Und trotzdem liebe ich sie.“ „Und den Pharao?“ sprach er mit einer unheimlichen Ruhe. „Liebst du ihn?“ „Chaba.“ Er musste lächeln. Dieser Gedanke war so absurd. Er war dem Pharao dankbar, er bewunderte ihn, er wollte ihm nahe sein - aber ihn lieben? „Er ist der Pharao. Jeder Ägypter liebt seinen Pharao. Ich nicht anders als du. Was willst du mit dieser Frage bezwecken?“ „Warum? Ist das so abwegig?“ lächelte er zurück und stützte sich rückwärts und ganz entspannt auf seine Hände, ließ seine Augen aber nicht von ihm ab. „Der Pharao ist ein wundervoller Mann. Er sieht gut aus, er ist höflicher als es seine Position erfordert und er besitzt eine hohe Intelligenz. Und er scheint großen Eindruck auf dich gemacht zu haben. Wie ich gehört habe, hast du ihm dein grünes Bett gezeigt und ihr habt euch lange unterhalten. Warum sonst solltest du meine Tochter verlassen, um ihm zu folgen? Du warst doch schon immer fasziniert von seiner Person und seiner Politik.“ „Ich liebe Shinasa“ betonte er noch mal. „Aber folgen willst du ihm. Was sonst hast du für einen Grund, ihm so blind nachzureiten? Du warst bereit alles aufzugeben. Deine Zukunft hier im Tempel und die wohl höchste Hochzeit, die man haben kann. Mit der Ehelichung meiner Tochter hättest du nicht nur eine gute Mitgift bekommen, sondern du hättest auch gute Chancen darauf, der nächste Hohepriester zu werden. Selbst wenn du sie nicht liebst, wäre sie eine gute Partie.“ „Ich würde sie doch nicht nur des Standes wegen heiraten!“ beschwor er ganz entrückt. Dieser Gedanke wäre ja fast noch absurder! „Shinasa ist ein tolles Mädchen. Ich würde sie auch lieben, wenn sie die Tochter des Stallburschen wäre.“ „Das haben mir schon viele gesagt, aber dir glaube ich das sogar“ lächelte er wissend. Seth war kein Mann, welcher nach Macht strebte. Sein Streben hatte ein ganz anderes Ziel, welches ihm selbst wohl noch im Nebel verborgen lag. „Chaba, der eigentliche Grund ist ...“ Wie sollte er das formulieren, wenn er selbst nicht wusste, was der Grund für seine Verwirrung war? „Ich verdanke dem Pharao viel. Seine Unterschrift auf meiner Empfehlung hat mir erst meine Lehre hier ermöglicht. Ohne seine finanzielle Zuwendung hätte ich niemals Priester werden können. Er hat mich begnadigt und mir ein neues Leben geschenkt.“ „Und die Briefe aus dem Palast waren auch von ihm?“ Seth sah ihn erschrocken an. Beunruhigt. Diese Briefe waren geheim! Niemand hatte sie lesen dürfen! „Keine Angst, sie haben dich ungeöffnet erreicht“ beruhigte er gleich. „Aber du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sich so ein jahrelanger Schriftverkehr meiner Kenntnis entzieht? Ich fand es unbedenklich und habe dich machen lassen. Schließlich hatte ich die offizielle Weisung, nicht in deiner Vergangenheit zu forschen, aber selbst wenn doch, hätte ich dich nicht darauf angesprochen. Vertrauliche Dinge sollten vertraulich bleiben, denke ich. Besonders, wenn ein Siegel des Palastes darauf ruht. Und solange du nicht selbst darüber sprichst, werde ich dich auch niemals fragen. Ich weiß nicht, in welcher Verbindung du zum Königshaus stehst, aber ich weiß, dass du ein guter Mensch bist.“ „Ich bin ... ein Mensch.“ Wie merkwürdig sich das anhörte, wenn es von jemandem gesprochen wurde, der so weit über ihm stand. Ein Mensch. Kein Sklave, sondern ein Mensch. Genau wie Atemu es ihm immer gesagt hatte. Er war ein Mensch ... „Du hast ein gutes Herz und eine treue Seele“ sprach der alte Chaba fort. „In den letzten Jahren bist du mir wie ein Sohn ans Herz gewachsen. Als du zu mir kamst, war dein Blick gebrochen, deine Stimme ebenso leer wie deine Augen. Aber zu sehen, wie du aufblühst, hat mir Freude bereitet. Ich mag den Mann, der aus dir geworden ist und deshalb sorge ich mich auch nun noch um dein Wohl. Sicher wäre es mir das Liebste, du würdest bleiben und meine Tochter heiraten. Doch auch dein Glück ist mir wichtig und ich wünsche dir, dass du es findest. Selbst wenn es nicht in der Liebe zu meiner Tochter liegt.“ „Ich liebe sie sehr“ flüsterte Seth, senkte seinen traurigen Blick. „Aber ein anderes Gefühl ist größer als diese Liebe. Ich kann es mir selbst nicht erklären, aber sie zu heiraten und ihr in Gedanken nicht treu zu sein, das möchte ich nicht. Ich liebe sie und deshalb will ich ihr alles geben, was ich zu geben habe. Doch solange auch nur ein einziger Mensch existiert, für den ich sie verlassen würde, solange kann ich sie nicht heiraten. Es wäre Verrat an ihr und das hat sie nicht verdient. Ich liebe sie sehr, mehr als ich es jemals gedacht hätte, aber ein anderes Gefühl ist bestimmender. Ich weiß, die Menschen sprechen davon, das Liebe das intensivste aller Gefühle ist, aber ich fühle es anders. Ich glaube, Güte und Dankbarkeit sind in meinem Leben wichtiger. Ich kann nur einem Menschen wirklich treu sein, für zwei reicht meine Stärke nicht aus. Und dieser eine Mensch ist nicht deine Tochter. Ich bin selbst verwirrt darüber, wie das sein kann, denn sie ist die Erste, bei der ich so ein intensives Gefühl gespürt habe. Doch nun, wo der Pharao fort ist ...“ „Da fühlst du dich zu ihm mehr hingezogen“ ergänzte er, als der Satz nicht fortgesetzt wurde. „Ja, das habe ich mir gedacht. Und eigentlich bin ich froh darüber, dass du es ihr sofort gesagt hast.“ „Du bist froh darüber?“ fragte er verwirrt und war noch verwirrter, als er ein Lächeln durch den weißen Bart scheinen sah. „Ja, ich bin froh. Du heiratest sie nicht aus Eigennutz heraus und du bist ehrlich zu ihr. Sie zu heiraten und dann untreu zu werden, sie der Qual einer unglücklichen Ehe auszusetzen, das tust du nicht. Viele würden sie und ihren Stand einfach nehmen und dann unglücklich machen. Doch stattdessen beendest du es rechtzeitig und nimmst sie nicht gefangen. Sicher ist ihr Herz jetzt gebrochen und auch mich macht es traurig, aber ich bin froh darüber, dass du sie so hoch schätzt, sie nicht zu hintergehen. Und sei es nur Untreue in Gedanken.“ „Ich wünschte, es wäre anders“ bat Seth, dem das selbst unglaublich leid tat. „Ich habe ihr wehgetan und das wollte ich nicht.“ „Wenn du dir nicht sicher bist, dann wäre auch eure Ehe kein Erfolg geworden“ seufzte er und erhob sich vom Hocker. Er strich sein langes, tiefrotes Gewand glatt und blickte dann mit so klaren Augen auf ihn herab, dass Seth eine Gänsehaut über den Körper fuhr. Als würde das allsehende Auge des Mondes persönlich in seine Seele blicken und auch das kleinste Geheimnis enthüllen. „Gehst du schon wieder?“ fragte er und irgendwie wurde seine Stimme dünn unter diesem prüfenden Blick. So prüfend hatte Chaba ihn noch niemals angesehen. „Ja, aber vorher möchte ich dir einen herzlichen Rat geben“ sprach er ruhig. „Du solltest dir bald über deine Gefühle klar werden, Seth. Höre ab und zu auch mal darauf, was dein Herz dir sagt.“ „Und wenn ich die Sprache meines Herzens nicht verstehe? Wenn es so schnell spricht, dass ich ihm nicht folgen kann?“ „Herzen sprechen immer klar und deutlich“ erwiderte er ernst. „Du hörst es nur nicht, weil dein Kopf dazwischenredet. Ich wünsche dir sehr, dass auch die Worte deines Herzens bald von dir verstanden werden. Und wenn dein Herz nach dir ruft, dann folge diesem Rufen. Dein Heil lag vermutlich hier im Tempel, aber dein Glück liegt möglich nicht hier. Möge der Amun dich schützen, denn lieben tut er dich sicher, mein Sohn. Sonst würde er deinem Herzen nicht eine so starke Stimme geben.“ „Chaba ...“ Ohne noch ein Wort zu sprechen, wand der alte Hohepriester sich um, schob den Vorhang der Tür zur Seite, trat hindurch und ließ ihn hinter sich zufallen. Seine leisen Schritte auf dem Steinboden entfernten sich schnell und ließen Seth mit diesen apostolischen Worten zurück. Dass sein Herz ihm etwas zurief, das hörte er. Und doch konnte er es nicht verstehen. Oder waren es die Gedanken, welche sein Fühlen behinderten? Bei Shinasa war das Rufen damals so klar gewesen, doch nun? Nun rief es noch lauter, es schrie und doch verstand er nicht ein klares Wort. Ebenso, wie er damals nicht ein einziges der Worte des Pharaos verstanden hatte. Er hatte sie gehört, aber der Sinn blieb ihm für Jahre verschlossen. Sollte das nun wieder der Fall sein? Hörte er Worte, die er nicht verstand? Würde er den Sinn erst in einigen Jahren endlich verstehen? Nein, den Sinn verstand er jetzt vielleicht nicht, aber die Richtung war klar und er hatte keine Jahre mehr Zeit. Der Pharao war mittlerweile sicher eine ganze Tagesreise entfernt ... aber war das nicht ein zu überwindendes Hindernis? Die Worte waren kryptisch, kompliziert und verschlungen, vom Kopf durcheinander gebracht. Doch die Richtung wies in die Wüste. Sein Weg des Lebens lag an der Seite seines Königs. Wenigstens das war klar ... alles andere würde der Amun ihm zeigen, wenn die Zeit reif war. Und bis dahin verstand er nur ein einziges Wort ... >Atemu.< Kapitel 23: ------------ Kapitel 23 Auch das Dunkel der Nacht konnte ihn nicht schrecken. Als Priester eines Wüstentempels hatte er gelernt, das Meer des Sandes und seine Spuren zu lesen, die Lautlosigkeit der Nacht zu deuten. Die Fackel in seiner Hand spendete ihm zu wenig Licht, also hatte er sie schon vor Stunden gelöscht. Der helle Vollmond am Himmel erleuchtete die Weite viel besser als es ein schnödes Feuer hätte tun können. Der goldene Sand schimmerte wie flüssiges Silber, die Dünen waren wie Berge aus heller Seide und selbst sein am Tage schwarzer Schatten war fast weiß. So weiß wie der schnaufende Atem, welchen sein Pferd aus den Nüstern blies. Eine Fackel leuchtete nur einige Meter weit. Der Mond jedoch strahlte hoch vom Himmel herab und ließ das nächtliche Sonnenlicht auf das Reich Ägypten scheinen. Hier irgendwo musste er sein, der König, welcher die Wüste besaß. Der Gott Seth vertraute sein Reich dem Pharao an, wie es jeder Gott bei solch einem gesegneten König tat. Und nicht weit von hier, vermutete er das Nachtlager seines Pharao. Einen ganzen Tag war er schnell geritten und auch in der Nacht fand er keine Ruhe. Sein Pferd war erschöpft und fror, was eigentlich auch seinem Reiter zustand. Aber der folgte nur diesem unbekannten Ruf. Was er dem Pharao sagen wollte, wusste er nicht. Was er tun wollte, wusste er nicht. Er wusste nur, dass er bei ihm sein wollte. An seiner Seite, ihm dienen, ihm nahe sein. Nach einer Gelegenheit suchen, ihm seine Dankbarkeit zu beweisen. Eines Tages würde er die Chance bekommen, seine Loyalität zu zeigen. Ihm zu versichern, dass das Leben, welches er geschaffen hatte, gut war. Dass es zu seinem Besten war. Seth wollte ihm gehören, mit all seinem Denken und seinem Tun. Der Pharao war der Mensch, den er jedem vorziehen würde. Keinem anderen könnte er jemals treu sein, keiner Braut und keinem Herren - nicht mal einem Gott. Dem Pharao galt sein ganzes Sein. Das zumindest wusste er jetzt. Und endlich! Nach etlichen Stunden des Reisens durch Hitze und klirrende Kälte erreichte er das gesuchte Nachtlager. Also hatten ihn die Spuren im Sand nicht getäuscht. Reit- und Lastenpferde hinterließen selbst bei Versorgung von nur vier Männern genug Spuren, um ihnen zu folgen. Er wäre dem König auch noch viel weiter gefolgt, bis ans Ende der Welt. Das Lager war nicht groß. Es bestand aus einem länglichen Zelt, welches rechteckig mitten im Sand aufgestellt war. Es war niedrig, reichte eben gerade zum Stehen. Die Feuerstelle davor war erlöschen, aber die Glut leuchtete noch, würde es sicher tun bis zum frühen Morgen, wo sie wieder entfacht wurde. Die neun Pferde standen angebunden an den dicken Provianttaschen und hatten die Köpfe zum Schlafen gesenkt. Nur eines war wach und kaute ein wenig auf den letzten Futterresten herum, welche noch im Sand zu finden waren. Ansonsten war nichts rundum außer silbernem Sand und den riesigen Dünen, in deren Tal das Lager sicher geschützt lag. Leise stieg Seth vom Pferd ab, setzte seinen Fuß in den kalten Sand und sah sich um. Niemand war hier. Merkwürdig? Standen denn die Soldaten keine Wache? Beim ersten Mal hatte er den Pharao nur aus der Ferne gesehen und nun war es, als würde er ihn atmen hören. Doch lieber wollte er Vorsicht regieren lassen. Diese Leibwächter gehörten zur Elite des Palastes. Vielleicht hatten sie ihn auch bereits bemerkt, weswegen er vorerst nahe bei seinem Pferd blieb, um sicher zu gehen, dass sich niemand überraschend von hinten näherte, bis er die Gegend abgesucht hatte. Das letzte Mal hatte man ihn auf den Hinterkopf geschlagen und bewusstlos gemacht - so etwas sollte nicht ein zweites Mal geschehen. Doch nichts tat sich. Er hörte kein Geräusch, nicht mal das Flüstern des Windes. Als würde in diesem Moment alles in einen tiefen Schlaf gesunken sein. Bis er auf ein Mal erschrak. Lautlos war es hier, nichts schien sich zu bewegen, aber etwas Kühles kroch über seinen Fuß. Im ersten Moment wollte er einen Satz zurückspringen, aber ihm kam auch sofort die Lehre seines Wüstenführers in den Sinn, lieber stillzustehen als alles in Panik zu versetzen. Er bewegte sich instinktiv nicht, aber erschrocken sah er zu Boden. Da war es auch schon weg. Er konnte nur noch einem kleinen Skorpion hinterher sehen, welcher ihm über die Zehen gekrochen war. Nachtaktives Wesen, hochgiftig, große Art, sehr fleischig, schwarz mit einer weißen Zeichnung an den Spitzen der Scheren. Dies hier war noch ein recht kleines Exemplar, aber als er zwei Meter daneben blickte, saß dort ein ausgewachsenes Männchen, zu erkennen an den großen Vorderbeinen. Solch eine Art war so gut wie verschwunden aus der Wüste, umso erstaunlicher, dass es hier noch welche gab. Umso besorgter wurde Seth. Weißspitzen wurden diese Tiere genannt und zur Paarungszeit, wenn sie nach Wärme suchten, traten sie in Massen auf. Früher habe es Momente gegeben, da hatte man eine Tausendschar von ihnen durch ein Dorf wandern sehen. Doch heute sah man sie kaum noch. Man vermutete eine Krankheit, welche diese Art langsam auszurotten drohte und wirklich traurig war niemand darum, denn ihr Gift war tödlich. Er schaute noch mal zur Feuerstelle, trat ein paar Schritte vor, um genauer sehen zu können und tatsächlich, dort fanden sich nach und nach immer mehr dieser Tiere ein. Angelockt von der Wärme der Glut. Ein kurzes Zählen brachte schon über zwanzig Tiere zum Vorschein, welche wie aus dem Boden geboren schienen. Eine gefährliche Gruppe dieser selten gewordenen Wesen. Schön und doch ein Verderben für jeden, den ihr Stachel traf. Lange war er nicht unbemerkt geblieben, da wurde er plötzlich am Hinterkopf gepackt, am Schopfe festgehalten und spürte das kalte Gefühl eines Dolches an seiner Kehle. Die nach hinten gebeugte Haltung machte ihm das Parieren des Angriffes schwer und dieser Griff seines scheinbar viel kleineren Angreifers war wirklich kräftig. Zu kräftig für seinen noch geschwächten Körper und außerdem wollte er dieses Mal nicht kämpfen. Mit Gewalt würde er nicht zum König vordringen können, das hatte er eingesehen. Also musste er es mit Worten versuchen. „Wer bist du?“ zischte es leise in sein Ohr hinein. „Seth“ keuchte er noch immer überrascht zur Antwort heraus. „Seth Chuanch Amun Sanacht. Priester aus dem roten Wüstentempel.“ „Der junge Priester“ wiederholte er wissend. „Haben wir dich nicht neulich schon vertrieben? Was willst du schon wieder?“ „Ich will nicht kämpfen“ bat er. Dieser Dolch an seiner Kehle machte ihn doch langsam nervös. „Ich bin unbewaffnet und verletzt. Ich bin kein Gegner für dich.“ „Eine schnelle Bewegung und dein Leben war einmal“ drohte er, aber ließ ihn doch ganz langsam frei. Er nahm seine Hände weg, zog auch den Dolch zurück und ließ den Priester sich aufrichten. „Danke“ sprach Seth etwas beruhigter und rieb sich über die Kehle, wo eben noch das kalte Eisen saß. Er hatte nicht einen Kratzer abbekommen, was bedeuten musste, dass sich dieser Mann mit Klingen auskannte, wenn er sie so gut unter Kontrolle hatte. „Was willst du? Warum verfolgst du uns?“ kam sofort die nächste Frage. Langsam und betont unbedrohlich drehte Seth sich herum und sah vor sich einen gedrungenen Mann. Nicht außerordentlich groß, doch klein noch lange nicht. Dafür sehr kräftig. Breite Schultern, kurze, starke Beine und große Hände. Sogar der Name fiel ihm wieder ein. Penu, die Maus. Wie eine Maus sah er nicht aus, eher wie ein Bär. Aber diesen unpassenden Namen vergaß man so schnell nicht. „Ich möchte zum Pharao“ bat er und noch bevor er seine Bitte ganz ausgesprochen hatte, kam sofort ein entschiedenes „Nein“ zur Antwort. „Er will dich nicht sehen. Also schwing dich aufs Pferd und behellige ihn nicht weiter. Er hat keine Geschäfte mit dir zu tun.“ „Das soll er mir selbst sagen“ sprach er ebenso entschieden zurück. „Es reicht, wenn ich es dir sage. Wenn du so dringend was vom Pharao willst, schreib erst an den Palastvorsteher und bitte um Audienz. Mit Angriffen oder nächtlichen Überraschungen wirst du nicht zu ihm kommen. Und jetzt geh, bevor ich dich dazu zwinge. Und ein zweites Mal bringen wir dich nicht in den Tempel zurück, dann krepierst du in der Wüste.“ Hier war wirklich kaum ein Durchkommen. Die Männer an des Königs Seite waren befehlstreu und würden nur nach dem Wort des Pharaos handeln. Wie gerne wäre er doch einer von ihnen. „Wie dem auch sei, ich kann euch einen Handel vorschlagen.“ „Wir gehen keinen Handel ein. Nimm dein Pferd und geh zurück, wo du herkamst.“ >Wo ich herkam ...< dachte er einen Augenblick traurig. >Warum kann ich nicht dorthin, wo ich hinwill?< „Vielleicht solltest du dir erst anhören, was ich zu sagen habe“ forderte er und fuhr sofort ohne noch eine weitere ablehnende Antwort weiter. Er wies auf die Feuerstelle, an welcher sich mittlerweile schon eine ganz beträchtliche Anzahl wärmesuchender Skorpione eingefunden hatte. „Siehst du das? Ihr habt euer Lager direkt am Paarungsplatz von Weißspitzen-Skorpionen aufgeschlagen. Sie kommen aus ihren Höhlen und es werden immer mehr.“ Und diese Einschüchterung schien doch zu wirken, denn für einen Moment machte der sonst so tapfere Penu einen ziemlich erschrockenen Gesichtsausdruck. Er blickte sich auch neben und unter sich um und fand den nächsten Skorpion nur drei Meter entfernt. „Ja, es ist alles voll von ihnen und es werden bis zum Einbruch der Dämmerung immer mehr. Sie suchen nach warmen Orten, um sich zu paaren. Deswegen verkriechen sie sich nicht im warmen Sand, sondern suchen nach Wärmequellen“ sprach Seth weiter. „Ihr Gift ist tödlich und ich bezweifle, dass einer von euch in der Lage ist, ein Gegengift zu mischen.“ „So ein Unsinn“ wehrte er ab, auch wenn ihn die Anwesenheit dieser giftschwänzigen Mini-Riesen doch ziemlich nervös machte. „Wir haben bereits einen erprobten Wüstenführer. Er kriegt ein Gegengift auch ohne dich hin.“ „Ach ja?“ fragte er ganz provokativ und zog seine elegante Augenbraue zu einem Haken in die Höhe. „Dann frage ihn lieber. Diese Art ist nämlich sehr selten und deshalb wird über sie kaum noch gelehrt. Bevor ich und mein Wissen fort sind, solltest du das sicher stellen. Außerdem solltet ihr euer Lager lieber verlassen, bevor sie nach Körperwärme suchen.“ Und er wusste doch genau, was jetzt in seinem Kopf vorging. Als treuer Soldat musste er schleunigst den Pharao dort rausholen, bevor er sich im Schlaf vielleicht auf eines dieser Tiere rollte und gestochen wurde. Und dass jeder Wüstenführer ein Gegengift bei so seltenen Arten mischen konnte, war durchaus nicht selbstverständlich. Doch was sollte Penu jetzt tun? Dieser Mann wollte eindeutig zum Pharao durchdringen und er durfte ihn nicht unbeaufsichtigt lassen. Auf der anderen Seite musste er hinein und seine Begleiter wecken, damit sie den König aus diesem Giftnest brachten. Wie sollte er an zwei Orten gleichzeitig sein? „Dreh dich um, Hände auf den Rücken“ forderte er, drehte Seth plötzlich herum und stieß ihn hart einen Schritt nach vorne. „Hände auf den Rücken“ schnauzte er noch mal, schnappte sich die eine Hand und war doch leicht überrascht, dass der Priester so einfach tat, was er befahl. Er zog ein Seil aus seinem Gürtel und band ihm die Hände auf dem Rücken zusammen, ganz fest zurrte er die Fessel, damit er sich dort nicht so einfach herauswinden konnte. Er schubste ihn nach vorne, wo noch das Pferd stand und band das andere Ende des Seils am Sattel fest, machte einen so komplizierten Knoten, dass er nicht so leicht zu lösen sein würde und hatte ihn damit hoffentlich richtig festgesetzt. „Du machst keine Metzchen, verstanden Priester?“ Er sah ihn noch einen Moment dunkel an, gab sich mit einem Schweigen als Antwort zufrieden und drehte sich dann um. Er verschwand im niedrigen Zelt und ließ den Gefesselten an seinem Pferd stehen. Seth wartete dort ganz geduldig. Sein Plan, ohne Gewalt den Pharao zu Gesicht zu bekommen, schien aufzugehen. Zwar war die Gefahr im Nest dieser riesigen Skorpione nicht gerade gering, aber vielleicht war es auch ein Glück, dass er gerade heute Nacht gekommen war. Diese giftigen Tiere kamen wie gerufen, um sich ein Gespräch zu erpressen. Er wusste auch, dass es eigentlich respektlos war, dem König auf diese aufdringliche Weise nachzustellen, aber sein Herz würde keine Ruhe finden, wenn es nicht endlich eine Erklärung bekam. Eine Erklärung dafür, weshalb die Majestät ihn fort stieß. Eine Erklärung dafür, weshalb er außer dem Pharao keinem anderen Menschen nahe sein wollte. Eine Erklärung dafür, weshalb Atemu im letzten Moment so traurige Augen gehabt hatte. Nach einigen Momenten trat der Mann heraus, an den Seth sich noch gut erinnerte. Er war von mittelgroßer Statur, schulterlanges, schwarzgewelltes Haar und Augen so dunkelbraun, dass sie in der Nacht wie schwarz erschienen. Eine schmale Nase und sehr dunkle Haut. Er war der Gesellschafter an des Pharaos Seite. Er hieß Fatil, aber welche Bedeutung er außerdem für den König hatte, das hatte sich ihm noch nicht erschlossen. Er wusste nur, dass er dem Pharao nahe stand und nicht von ihm abging. Wenn er zum König wollte, musste er notgedrungen an ihm vorbei. Dieser Mann kam direkt auf ihn zu, blieb vor ihm stehen und blickte mit spitz funkelnden Augen an ihm herauf. Ein bisschen sah er aus wie eine Katze, welche jeden Moment fauchen wollte. „Lass dir eines gesagt sein“ zischte er ihm wütend entgegen, ohne dem Priester zur Begrüßung ein höfliches Wort zu geben. „Egal, was du willst, du wirst es nicht bekommen.“ „Bist du der Wüstenführer?“ fragte er umso ruhiger zurück. „Kannst du das Gegengift zu dieser Art Skorpione mischen?“ „Es wird dich wundern, aber ja, das kann ich“ antwortete er außerordentlich aggressiv, als hätte man ihn persönlich beleidigt. „Weißspitzenskorpione, dämmerungs- und nachtaktiv, große Art, fleischiger Körper, langer Schwanz, Männchen lange Vorderbeine, Weibchen kleinere Scheren. Treten zur Paarungszeit in großen Gruppen auf und suchen nach warmen Plätzen zur Eiablage. In den letzten Jahren sehr selten geworden, aber nicht ganz ausgestorben. Du glaubst doch nicht wirklich, dass der Führer der Majestät so etwas nicht weiß?“ Tja, da hatte Seth sich verkalkuliert. Dieser Fatil war vielleicht kein Kämpfer, aber seine Waffe war die Intelligenz. An ihm vorbeizukommen könnte schwerer werden, als gedacht. Diese drei Männer ersetzen für den Pharao wirklich eine ganze Armee. Kein Wunder, dass er bedenkenlos ohne großes Gefolge reiste - mit diesen Leibwächtern konnte er es sich erlauben. „Ich möchte zum Pharao“ bat Seth um Ruhe bemüht. „Bitte lasst mich mit ihm sprechen, Fatil. Ich wäre Euch sehr dankbar dafür. Es ist sehr wichtig für mich.“ „Du kannst auch mit mir sprechen, Priester. Also, was willst du schon wieder? Hat es dir nicht gereicht, dass wir dich vom Pferd geholt haben?“ „Ich muss zum Pharao persönlich. Bitte lasst mich zu ihm, Fatil.“ „Du brauchst gar nicht so respektvoll mit mir sprechen, das wirkt nicht. Du bist eine Schande für die Religion, eine Schande für den Wüstentempel. Jemand wie du wird seine Klauen niemals ins Fleisch des Pharaos schlagen. Nicht solange ich dazwischen stehe.“ Doch Fatils mutige Worte verhallten im Nichts, als Seths Blick auf den Stoff des Zelteingangs fiel, welcher von einem großen, schlanken Mann zur Seite gezogen wurde, die Statur erkannte er als den Bogenschützen, welcher sein Pferd zu Fall gebracht hatte. Und ihm folgte der bullige Schwertkämpfer, welcher den teuersten Schatz Ägyptens auf seinen Armen trug. Eingehüllt in eine wärmende Decke bei diesen eisigen Temperaturen. Wohl frisch geweckt aus dem Schlafe wurde er getragen, um ihn vor den giftigen Tieren am Boden zu schützen. „MAJESTÄT!“ rief er laut und wollte zu ihm laufen, doch seine Fesseln hinderten ihm daran. Sein Pferd trat nur überrascht einen Schritt zur Seite und würde sich kaum überreden lassen, ihm zu folgen, solange Fatil es am Geschirr festhielt. „Majestät, bitte sprecht zu mir!“ flehte er und wäre auf die Knie gefallen, wäre der Sattel nicht so hoch. „Es tut mir leid! Was auch immer ich getan habe, es tut mir leid!“ Aber Atemu blickte ihn nur an. Blickte mit diesen undurchdringlichen Augen direkt durch ihn hindurch ... oder in ihn hinein? Dieser Blick des Königs war so erhaben über alles Irdische und doch schien er so verletzlich wie eine Wüstenblume im Sturm. Diese Vereinigung der Widersprüche in sich. Er war so wunderschön, so mächtig, so herrlich und herrschend. Warum nur blickten seine Augen selbst durch diese schimmernde Dunkelheit hindurch noch so traurig wie im letzten Moment, bevor er ihn an jenem Abend verließ? „Hoheit bitte“ flehte er mit zitternder Stimme. „Bitte sagt doch etwas. Quält mich nicht mit Eurem Schweigen. Gebt mir nur ein Wort, nur einen Moment mit Euch.“ Doch er blickte ihn nur an. Seine unlesbaren Augen reflektierten das Mondlicht so hell, dass er wie ein Fabelwesen schien. So wunderbar, so weich und doch so hart. Er brachte sein Herz zum Klopfen und seinen Kopf zum Nachdenken. Warum nur stieß er ihn von sich? „Wenn ich irgendetwas tun kann, um mich zu entschuldigen“ rief Seth voller Verzweiflung in seiner zitternden Stimme. „Bitte, Majestät, irgendetwas! Bitte schweigt nicht! Ich flehe Euch an! Bitte!“ Doch sein kräftiger Träger setzte sich wieder in Bewegung, ging an Seth vorbei und der Pharao wand seinen Blick zu Boden. Er sah den jungen Priester nicht mehr an, entzog ihm seine Aufmerksamkeit. „Majestät! Bitte!“ Der König wurde auf eines der Pferde gesetzt, welches aus seinem Schlafe etwas erschrocken den Kopf hob und seinen Reiter doch sofort erkannte. Der große, schlanke Mann kam ihm mit einer zusätzlichen Decke nach und legte sie dem König über die Schultern. Die Wüste war des nachts so schrecklich kalt und ein so warmes Wesen wie der Pharao sollte nicht frieren müssen. Penu nahm die Zügel des Pferdes, band es von den schweren Taschen los und achtete bei jedem Schritt darauf, nicht auf einen der gefährlichen Skorpione zu treten, welche langsam wirklich zu einer mengenmäßigen Plage wurden. „Majestät!“ „Hör auf, ihn zu drängen. Er wird nicht mit dir sprechen“ stauchte Fatil ihn abermals zusammen und funkelte wütend aus seinen dunklen Augen. Es sah so aus als würde er ihn am liebsten nochmals schlagen, um ihn endlich zum Schweigen zu bringen. Dass dieser Mann eine Abneigung gegen ihn hegte, war so deutlich zu sehen. Ganz plötzlich erschien der Bogenschütze neben ihm, hatte einen seiner Pfeile in der Hand und stach damit so schnell auf den Boden, dass Seth dieser schnellen Bewegung kaum folgen konnte. Entsetzt sah er hinab und erblickte, dass die Pfeilspitze direkt in Fatils Fuß gestochen war. Was sollte das? Als Soldat ging man doch nicht seine eigenen Leute an. „Wir sollten auch langsam hier weg, Fatil“ sprach er dafür ganz ruhig, hob seinen Pfeil und hatte an dessen Ende einen recht großen Skorpion aufgespießt, welcher noch lebendig zappelte. Er hatte seinem Kumpanen nicht in den Fuß gestochen, sondern zwischen seine Zehen, um den Skorpion zu töten, welcher dort wohl gesessen hatte. Und Fatil hatte nicht mal gezuckt. Was mussten diese Männer für ein Vertrauen zueinander und in ihre gegenseitigen Fähigkeiten haben, dass jemand einen so guten Blick hatte und im Dunkel zwischen die Zehen eines anderen stechen konnte, während dieser nicht mal erschrak? An diesen Männern vorbeizukommen, war ein Ding der Unmöglichkeit. „Ja, du hast Recht, Faari“ antwortete er ruhig und trat vorsichtig einen Schritt zurück, wo schon das nächste Giftgetier entlang kroch. „Wir kommen morgen früh wieder und holen unsere Sachen. Dann müssten die Tiere fort sein.“ „Majestät, was machen wir mit ihm?“ nickte Faari auf Seth, der noch immer an sein Pferd gefesselt stand und sich langsam gewiss wurde, dass er kaum noch Aussichten hatte, an den Leuten des Königs vorbeizukommen. „Ich schlage vor, Faari bleibt bei ihm und bringt ihn zurück in den Tempel“ sprach Fatil seinen König an, während der auf seinem Pferd saß und den Kopf gen Boden gesenkt hielt. „Ich schreibe einen Befehl, dass man den Priester dort einzusperren hat, bis wir sicher im Palast sind. Faari wird dann mit der nächsten Karawane zu uns reisen.“ „Du hast Glück“ sagte Faari ganz ruhig und sah Seth gnadenlos kalt an. „Wärst du kein Priester, würden wir dich jetzt töten für deine Aufsässigkeit.“ Und damit hatte er Recht. Als Priester durfte er nicht getötet werden, wäre er ein anderer, wäre er schon längst des Todes. Doch so würde er nur eingesperrt werden bis er vor Gericht kam. Dem Pharao so aufdringlich nachzustellen, war unter Strafe verboten. „Nein.“ Die Stimme des Pharaos war leise und durchbrach doch alle anderen Stimmen seiner Leute. Das war das Wesens eines wahren Königs, wenn er sprach, schwiegen alle anderen. „Bindet ihn los und bringt ihn gleich zu mir. Ich werde mit ihm sprechen.“ „Aber Hoheit, er ...“ „Keine Sorge, er ist nicht gefährlich, Faari“ bat er sogleich und schaute doch nicht hoch, obwohl er die Zügel nahm und scheinbar selbst reiten konnte. „Penu, zünde uns ein paar Fackeln an dort hinten und hole noch Decken für euch. Auch für den Priester. Und sei bitte vorsichtig, ich will nicht, dass jemand gestochen wird.“ „Natürlich, wie Ihr wünscht“ antwortete Penu nur knapp als der Pharao seinem Pferd einen kleinen Stups gab und es langsam weiter in die Wüste gehen ließ. Nur weg von diesem Nest voll paarungswilliger Skorpione. Seth blickte ihm sehnsüchtig nach und wurde eigentlich nur noch nervöser als eben. Er würde ihn also empfangen, mit ihm sprechen - ganz entgegen der Ablehnung seiner Männer. Und doch konnte der junge Priester kaum darüber nachdenken, was er ihm sagen wollte. Viel eher musste er diese Anmut bewundern, mit welcher sein König sich bewegte. Wie die warmen Decken um seine Schultern lagen und in dem silbernen Mondlicht wie magisch schimmerten. Auf seinem grauen Pferd schien er so unwirklich wie ein wahrer Gott der Güte, so leuchtend und geheimnisvoll, so wunderschön. „Glück gehabt.“ Fatils Stimme riss ihn aus seinem Gedanken. Er blickte ihn an und schon spürte er, wie die Fesseln an seinen Händen gelockert wurden und ihn freiließen. „Aber ich warne dich“ drohte er mit dunkler, gepresster Stimme. „Auch nur ein einziger Fehltritt, ein einziges falsches Wort und du bist schneller fort, als der Pharao es verbieten kann. Du wirst ihm nicht schaden, verstanden?“ „Warum glaubt ihr denn nur, dass ich ihm schaden möchte?“ fragte er doch etwas gekränkt und enttäuscht, blickte Fatil und Faari an, welche ihn beide nicht aus den Augen ließen. „Ich bin Priester. Das Letzte, was ich bezwecken möchte, ist es, dem Sohn der Götter zu schaden.“ „Bezweckt oder nicht, behandle ihn mit dem gebührenden Respekt, du ...“ Er wollte es aussprechen, es lag ihm auf der Zunge. Sklave wollte er ihn nennen, ihn degradieren, an den Platz zurücksetzen, der seiner war. Doch er hatte versprochen, das Geheimnis des Pharao zu wahren. Dies wäre das letzte Mittel, diesen Sklaven zu vertreiben und er würde es auch einsetzen, um den Pharao vor seinen Intrigen zu schützen. Er traute diesem sogenannten Priester nicht eine Nasenlänge und wenn der König schon vor lauter liebender Verwirrtheit nicht auf sich zu achten wusste, so würde Fatil das eben für ihn übernehmen. Lieber tötete er ohne großes Aufsehen einen schmutzigen Lustsklaven, als den König traurig zu sehen. Wenn er wollte, könnte er Seth schneller verschwinden lassen, als es irgendwer mitbekam ... doch jetzt noch nicht. Blieb abzuwarten, was der König mit seinem Sklaven zu besprechen hatte. Kapitel 24: Kapitel 24 ---------------------- Kapitel 24 Er war ihm nachgekommen. Ihm einfach nachgeritten. Obwohl sie ihn niedergekämpft hatten, ihn zurück in den Tempel verwiesen. Trotz des eindeutigen Briefes war er ihm gefolgt. Warum? Atemu verstand es nicht. Warum sollte Seth so etwas tun? Jetzt, wo er endlich frei war. Jetzt, wo er seine Vergangenheit hinter sich lassen konnte. Warum? Und nun traute er sich nicht mal, ihn danach zu fragen. Innerlich hatte er mit ihm abgeschlossen. Sie würden sich niemals wiedersehen, Seth würde ein wunderschönes Leben haben und ihn irgendwann nur noch als Erinnerung kennen, während er selbst sein Leben im Palast fristete. So war es geplant und so hatte er es beschlossen. Und nun? Nun saßen sie doch wieder nebeneinander und allein seine Anwesenheit ließ ihn das Herz in den Ohren hören, ließ es schneller schlagen, ließ die Gedanken durch seinen Kopf wirbeln und doch kein einziges Wort über seine Lippen dringen. Nur ansehen konnte er ihn. Ihn ansehen, wie er neben ihm war. Beide eingehüllt in warme Decken, um sich vor der bitterlichen Nachtkälte zu schützen. Zwischen ihnen ein Feuer, welches diese wunderschönen blauen Augen beleuchtete, seine schimmernd gebräunte Haut wärmte. Über ihnen der klare Sternenhimmel und der strahlend helle Vollmond, welcher die Dünen ringsum in sein sanftes Licht tauchte. Doch zu seinen Füßen fehlte das kühle Gras. Er spürte Sand an seinen Zehen und grub sie tiefer hinein, wo noch die ganze Nacht eine angenehme Restwärme vom Tage zu finden sein würde. Und doch rief ihm dieses Gefühl des warmen Sandes ins Gedächtnis, dass sich die Beziehung zwischen ihnen nun verändert hatte. Sie waren nicht mehr Sklave und König. Sie waren ja nicht mal Freunde. Nichts sollte zwischen ihnen sein. Gar nichts mehr, niemals wieder. Und nun saßen sie mitten in der Wüste, ein loderndes Feuer zwischen ihnen, welches sie zwar wärmte, aber doch davon abhielt, sich zu berühren. Wie gerne würde er ihn nur ein Mal berühren. Seine braune Haut küssen, sein seidiges Haar streicheln, seine Lippen spüren, seinen Atem an seinem Ohr. Wie gerne würde er ihn bitten, zu bleiben. Ihn bitten, niemals mehr fort zu gehen. Ihn um Liebe bitten. Doch er hatte sich entschieden, seine Wünsche zu verbannen. Warum nur hielt sein Herz sich nicht an diesen Bann? Warum hatte sein Herz so laut gerufen, dass Seth ihm blind folgte und doch kein einziges Wort verstand? Warum verstand er ihn nicht? Warum? „Warum?“ „Was?“ Atemu blickte aus dem Feuer auf und fand sich gefangen in den wohl traurigsten Augen, die er jemals gesehen hatte. Seths Augen glänzten, seine Hände nestelten unter der Decke ein wenig fahrig herum. Er war schon wieder weg geträumt. Zwar hörte er die Stimmen seiner Begleiter, welche nur wenig weit von ihnen fortsaßen und ein wachendes Auge auf ihn hatten. Doch genaue Worte hören konnte sie ebenso wenig. Sie brauchten nur ein Zeichen und sie würden auf Seth losgehen, ihn selbstlos vor jeder Gefahr schützen. Und trotz dieser Anwesenheit, spürte er nur Seth, hörte nur seine Worte und sein eigenes Herz, welches so laut schrie, dass es bald an Heiserkeit eingehen musste. Warum empfand Seth nicht ebenso? Warum musste alles immer auf seinen Schultern lasten? „Ich habe Euch gefragt“ wiederholte Seth noch ein Mal in einem vorsichtigen, zurückhaltenden, aber respektvollen Ton, „warum stoßt Ihr mich von Euch, Majestät? Habe ich irgendeinen Fehler gemacht, der Euch beleidigt oder gekränkt hat? Was immer es ist, bitte lasst mich Euch meine Entschuldigung sagen.“ „Nein, du hast gar nichts falsch gemacht“ antwortete er und senkte den Blick traurig zurück ins Feuer. Seth glaubte, es wäre seine Schuld ... das würde er immer glauben, denn in seinen Augen machten Könige keine Fehler. „Es liegt nicht an dir, nur an mir. An mir allein.“ „Aber Majestät ... ich verstehe es nicht. Ich habe geglaubt, wir hätten Freundschaft geschlossen. Wenn ich nun Eurer Freundschaft nicht wert bin, so sagt es offen heraus. Ich werde es verstehen und Euch nicht länger belästigen. Ich möchte nur wissen, woran ich bin. Ich möchte es verstehen.“ „Du verstehst gar nichts“ flüsterte er mehr zu sich selbst. „Was willst du denn überhaupt hier? Warum bist du nicht im Tempel bei deiner Verlobten und deinen Freunden?“ „Weil ich bei Euch sein möchte“ sprach er frei heraus. So frei, dass es seinen König schmerzte. Warum nur sprach er so grausame Dinge? „Verstehst du es denn noch immer nicht?“ Er musste sich beherrschen, nicht plötzlich laut zu schreien. Es erfüllte ihn mit Wut und Trauer, mit Sehnsucht und Hoffnung - diese Gefühlsmischung war tödlich für jedes Herz. Sicher tat er es nicht absichtlich, er merkte nicht, wie er mit den Gefühlen seines Pharao spielte. Jedes Mal trieb er ihn hoch hinauf, machte ihm Hoffnungen und ließ ihn dann umso härter wieder auf den Boden prallen. Doch auch ein König konnte nicht unbegrenzt alles ertragen. Irgendwann würde er daran kaputt gehen. „Du sollst nicht bei mir bleiben, Seth! Ich habe niemals etwas in dieser Art gesagt! Du sollst glücklich werden mit deinem Leben. Ich will, dass du glücklich wirst und das kannst du nur, wenn du möglichst weit fort von mir bist. Wenn du bei mir bist, wirst du immer nur den Herren sehen, für den du versklavt wurdest. Ich will das nicht!“ „Wenn ich bei Euch bin, sehe ich in Euch nicht einen Herren, der mich benutzen und strafen will“ erwiderte er viel ruhiger als sein König. „Ich bin Euch dankbar dafür, dass Ihr Euch um mich sorgt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sich jemals ein Mensch so sehr um mein Wohl gesorgt hat wie Ihr. Ich bin Euch dankbar für mein Leben und für meinen freien Willen. Ich bin Euch dankbar für den Schutz, den Ihr mir gewährt. Ich sehe in Euch keinen Herren, der mich besitzt. Ich sehe in Euch einen teuren Freund. Einen Freund für den ich alles tun würde.“ „Es gibt Hunderte von Menschen, die alles für mich tun würden! Das musst nicht du sein! Geh einfach und genieße dein Leben! Du bist doch zu gar nichts verpflichtet! Warum gehst du nicht einfach?“ „Weil ich bei Euch sein möchte. Mehr als bei jedem anderen.“ „Aber warum denn? Warum, Seth? Sag mir nur einen guten Grund, damit ich es endlich verstehe! Warum tust du das?“ „Weil ich dem Rufen meines Herzens folge.“ Diese Worte ließen den König verstummen wie vom Donner gerührt. Er folgte dem Rufen seines Herzens? Dieses Gefühl kannte er selbst zu gut ... ... und er wusste, dass es schmerzhaft war. „Und was ... ruft dein Herz?“ >Wenn du mir jetzt sagst, dass du mich liebst, ist mir alles egal. Lieber gehe ich ins Exil als dich dann jemals loszulassen. Bitte ... Seth! Sag mir, dass du mich liebst! Bitte sag es doch!!!< Doch sein sehnlichster Wunsch blieb ungehört. „Ich weiß es nicht“ antwortete er mit gesenkter Stimme und blickte ihn doch so ehrlich an, dass man ihn keiner Lüge bezichtigen konnte. „Du weißt es nicht? Warum tust du das alles, wenn du gar nicht weißt, weshalb?!“ „Ich kann es mir selbst nicht erklären, mein Pharao“ sprach er ruhig weiter. „Als ich Eure Zeilen gelesen habe, als mir klar wurde, dass ich Euch niemals wiedersehe, wenn ich Euch nicht auf der Stelle folge ... da wurde alles andere so bedeutungslos. Ich weiß nicht, warum ... ich möchte einfach bei Euch sein. Eure Sorge um mich und meine Freiheit ehrt Euer edles Gemüt und zeigt nur ein Mal mehr, welch ein reiner Geist in Euch wohnt, dass Ihr ein göttergleiches Wesen seid. Meine Dankbarkeit für alles, was Ihr für mich tatet, kennt keine Grenzen. Und ich möchte bei Euch sein, um auf den Moment zu warten, in welchem ich Euch etwas davon zurückgeben kann.“ Doch Atemu wollte das nicht hören. Seths Worte waren so wunderbar gemeint und durchstießen sein Herz doch mit jeder Silbe wie mit einem Dolch gesprochen. Weit ab von ihm zu sein und nur von ihm zu träumen, war so viel einfacher als ihn bei sich zu haben und ihn doch niemals wirklich haben zu können. Was Seth forderte, war unmenschlich. Seine Zuwendung war wie ein Fluch und Dankbarkeit sein Zauber. „Aber warum?“ wiederholte er verzweifelt. „Was ist mit deiner Zukunft im Tempel? Was ist mit deiner Verlobten? Mit deinen Freunden?“ „Alles nichts wert ohne Euch“ erwiderte er viel zu selbstverständlich. „Majestät, warum glaubt Ihr mir nicht? Ihr seid das Einzige im Leben, was mir wirklich wichtig ist. Es gibt niemanden, der über Euch steht. Nicht, weil Ihr der Pharao seid, sondern weil Ihr ... weil Ihr ... weil Ihr seid, wie Ihr seid. Atemu.“ „Weil ich ... bin wie ich bin?“ So etwas hatte noch niemals jemand zu ihm gesagt. Als König wurde er immer über alle anderen gestellt - aber eben nur als König und niemals seiner selbst Willen. Noch niemals hatte jemand gesagt, er wäre gut so wie er war. Noch niemals hatte ihn jemand beim Namen genannt. Warum nur sagte Seth so viele schwere Dinge und doch niemals die drei Worte, welche Atemu sich mehr als alles andere wünschte? >Ich liebe dich ...< Warum konnte es keiner von beiden aussprechen? Atemu aus Schutz schon nicht ... und Seth, weil er es nicht so empfand. Warum nur das alles? Warum? „Weil Ihr seid, wie Ihr seid“ wiederholte Seth, als wäre dies die Antwort auf alle Fragen der Welt. „Atemu, bitte glaubt mir. Alles, was ich tue, will ich für Euch tun. Meine Dankbarkeit zu Euch ist unendlich und auch, wenn Ihr das Sklavenstigma von mir genommen habt, so gehört mein Leben noch immer Euch. Nicht, weil man es Euch verkauft oder schenkt, sondern weil i c h es Euch darbiete. Aus freiem Willen möchte ich Euch gehören. Ich verspreche Euch, ich werde Euch keine Last sein. Bitte lasst mich bei Euch bleiben bis ich den Moment nutzen konnte, in welchem ich Euch meine Dankbarkeit beweisen kann.“ „Aber Seth ...“ Das war zu viel. Das war doch wirklich zu viel! „Aber du liebst doch deine Verlobte! Du kannst sie nicht einfach verlassen! Was ist mit Eurer Zukunft? Du DARFST sie nicht verlassen!“ „Das habe ich schon getan“ sprach er und ließ damit das Herz des Pharaos stoppen. Er hatte was getan? Seine Verlobte verlassen? Um ihm zu folgen? Wofür das alles? Wenn er ihn nicht liebte, warum tat er das? Aus schlichter Dankbarkeit heraus? So etwas tat niemand! Niemand verließ die Frau, die er liebte für einen Herren, dem er untergeben wäre! Niemand! Obwohl ... Seth war nicht niemand. Seth hatte gelernt, seine eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, ja sie sogar zu unterdrücken, um ganz und gar einem anderen zu dienen. Dieses Wesen des Sklaven war noch immer in ihm. Selbst, wenn er jetzt einen freien Willen besaß, so würde er dieses Stigma vielleicht doch niemals loswerden. Es war ihm eingebrannt und trug den Namen des Amun. Er nannte sich Priester und war doch der Sklave der Götter, der Sklave des Pharao. Atemu hatte ihn befreit und unfreiwillig sofort wieder versklavt. Doch nun waren nicht Gewalt die Fesseln - es war die Dankbarkeit. Vielleicht brauchte er genau das zum Leben. Er brauchte einen Herren, um sich sicher zu fühlen. Das Gefühl, jemandem Höherem zu gehören. Er musste dienen, denn er hatte er so gelernt. Vielleicht wäre er nicht frei, wenn er jemandem diente ... aber wenn er sich dadurch frei fühlte ... dann sollte es so sein. „Seth, was du besitzt, habe ich dir gegeben“ versuchte er ihm möglichst ruhig zu sagen und hoffte, dass der Schein des Lagerfeuers den feuchten Glanz seiner Augen nicht zur Schau stellte. Seth liebte ihn nicht, das wusste er nun. Und doch ... auch wenn es ihn vernichten würde ... lieber weinte er selbst, als den verbotenen Traum eines Gottes in Trauer zurückzulassen. „Bitte überleg doch, was du aufgibst: Eine Frau, vielleicht gemeinsame Kinder, eine gute Zukunft in einem der angesehensten Tempel des Reiches. Du bist frei, Seth. Du bist ein freier Mann. Du darfst das alles nicht aufgeben. Nicht, weil du meinst, ich will deine Dankbarkeit.“ „Atemu.“ Dieser Name von diesen Lippen gesprochen schickten einen bittersüßen Schmerz durch seine Knochen, ließen sein Herz zucken und das Blut in seinen Ohren rauschen. Warum nur war der einzige Mensch, welchen er niemals lieben durfte, der einzige Mensch, welcher seinen Namen aussprach? Warum wurde ihm ein so schweres Schicksal auferlegt? Warum nur war er dazu verdammt, ihn unsterblich zu lieben und doch niemals wahrlich lieben zu dürfen? Was hatte er getan, dass ihm die Götter einen solch verbotenen Traum sandten, welcher ihm den Schlaf und letztlich den Verstand kosten würde? Warum nur redete er und doch kam der Sinn seiner Worte nicht dort an, wo er hingehörte. Er sagte Seth, er solle gehen oder ihn lieben. Doch nichts von beiden war der Effekt ... weder wollte Seth gehen, noch liebte er ihn. Warum nur musste das Leben so grausam sein? „Wenn ich Euch sagen würde, dass ich nicht zu Euch zurückkehren möchte, weil ich weit fern von Euch glücklicher sein kann, dann würdet Ihr mir glauben. Nicht wahr?“ „Ja“ antwortete er ungewollt trauriger. Er wollte ihm seine Gefühle nicht zeigen. Er wollte nicht, dass Seth sah, dass sein perfekter Pharao nicht wusste, was er tun sollte. Er wollte ihn am liebsten gefangen halten. Er wollte ihn nur für sich alleine. Er wollte ihn spüren mit allen Sinnen. Doch mehr als alles andere wollte er einen glücklichen Glanz in seinen Augen. Und den hatte er bisher nur gesehen, wenn Seth von seiner Verlobten sprach. Deshalb konnte er ihn nicht gefangen halten. Deshalb durfte er ihn nicht gefangen halten. Mehr als eigene Glücklichseligkeit, wünschte er sich Seths Glückseligkeit - auch wenn dies sein eigenes Verderben bedeuten würde. „Wenn Ihr mir das glaubt, mein Pharao, weshalb glaubt Ihr mir dann nicht, wenn ich Euch sage, dass mich nur Eure Nähe wahrlich glücklich macht?“ „Weil ich es dir nicht glaube. Das kann nicht dein freier Wille sein.“ „Und warum nicht?“ „Weil du deine Verlobte liebst. Seth, Liebe ist das stärkste aller Gefühle.“ „Nicht für mich“ antwortete er ihm überraschend abgeklärt. „Liebe ist ein wunderschönes, aber nicht das stärkste Gefühl für mich. Denn das ist die Dankbarkeit. Vielleicht wissen die meisten Menschen nicht, wie wertvoll die Dankbarkeit ist. Denn dankbar kann man nur jemandem sein, der selbstlos etwas für einen anderen getan hat. Liebe ist immer etwas selbstsüchtiges, fordert immer die eigene Befriedigung. Aber Dankbarkeit ist ebenso selbstlos wie das Gefühl, welches sie verursacht.“ „Ich glaube nicht, dass wahre Liebe selbstsüchtig ist“ erwiderte der Pharao traurig. Seth hatte nur zum Teil Recht. Häufig war Liebe selbstsüchtig - aber nicht immer. Er wusste nur nicht, dass er nicht dem Pharao dankbar war, sondern seiner Liebe. „Ich würde es mir niemals anmaßen, über Eure Liebe zu urteilen“ bat er mit gesenktem Haupt. „Ich sprach von der Liebe, welche die meisten Menschen empfinden. Aber unter den Menschen gibt es auch besondere. Wenige besondere mit besonderer Liebe. Und Ihr seid einer davon. Ich weiß nicht, weshalb Ihr mein Leben gerettet habt, aber ich weiß, dass ich Euch dafür dankbar bin. Und deshalb flehe ich Euch aus ganzem Herzen an: Bitte, Atemu. Bitte schickt mich nicht eher fort, bis ich Euch meinen Dank beweisen konnte.“ „Ich habe verstanden, dass du mir dankbar bist. Du hast dich durch die Wüste und an meinen Soldaten vorbeigekämpft, hast deine Zukunft verlassen, um hier bei mir zu sein. Ich habe es verstanden. Und das soll reichen. Bitte geh jetzt.“ „Aber mir reicht es nicht“ stritt er noch immer löwenhaft. „Majestät, wenn es Euch genügt, bin ich froh - aber mir selbst ist es noch nicht genug. Alles, was ich will, ist es, Euch zu zeigen, wie tief meine Dankbarkeit zu Euch ist.“ „Und wenn es mir aber genug ist? Wenn du einfach gehst und weißt, dass ich es verstanden habe?“ „Dann kann ich niemals glücklich werden. Nicht ohne Euch, Atemu.“ Es funktionierte nicht. Atemu würde aus diesem Zwiespalt nicht herauskommen. Auf der einen Seite stand Seth mit seinem Wunsch, ihm nahe zu sein, ihm seine Dankbarkeit zu beweisen und ihm zu dienen. Auf der anderen Seite stand Atemu mit einem Wunsch, welcher niemals Erfüllung finden würde und deshalb durch den bitterlichen Wunsch ersetzt werden musste, seinen Angebeteten niemals wieder zu sehen. Schickte er ihn fort, so würde Seth nicht glücklich werden. Behielt er ihn, so wäre Seth vielleicht eine Weile glücklich, doch Atemu nicht. Jedoch ... auch wenn Seth fort war, würde er nicht glücklich sein. So stand drei Mal Unglück gegen ein Mal Glück ... ... nur ein einziges Mal glücklich sein ... ... war das so schwer? Kapitel 25: Kapitel 25 ---------------------- Kapitel 25 Erschöpft ließ er sich auf das Laken nieder, welches über ein weiches Schafsfell gelegt war und ihn vor dem harten Sandboden schützte. Er drehte das Kissen aus zusammengerolltem Stoff richtig hin und bettete seinen müden, noch immer schwirrenden Kopf darauf, zog eine Lage von drei großen Stofftüchern über sich und schloss erschöpft die Augen. Auch dieser Tag war wieder sehr anstrengend gewesen. Überhaupt war diese ganze Zeit in der Wüste viel anstrengender als alles, was er jemals erlebt hatte. Nicht, weil ihn die Reise schwächte, weil ihm tagsüber die Sonne aufs Haupt brannte und abends die Kälte in seine Knochen drang ... nein, viel mehr war es sein Herz, welches ihn überanstrengte. Jeden Abend fragte er sich, warum er es nicht geschafft hatte, Seth fort zu schicken. Warum nur tat er sich das an? Es wäre besser, er würde ihn niemals wiedersehen. Sie sollten getrennt voneinander leben. Seth als Priester in einem Tempel und er selbst als Pharao in seinem Palast. Ihn niemals mehr sehen zu müssen, wäre das Sinnvollste, das Einfachste ... aber auch das Traurigste. Und wie jeden Abend sagte ihm sein Herz ganz andere Dinge als sein Kopf. Sein Herz machte jedes einzelne Mal einen Hüpfer, wenn Seth in der Nähe war. Wenn sich die blauen Augen auf ihn richteten, die immer eine neue Farbe hatten. Am Morgen glänzten sie hell in Erwartung eines neuen Tages. Am Mittag leuchteten sie in derselben Farbe wie der Wüstenhimmel, so brennend und klar. Nachmittags, zur größten Hitze, unterstrich die intensive Färbung das Rot seiner Wangen und wenn er die Augen schloss und ein wenig schlief, so war er der friedlichste Anblick, als würde er den Ruhepol der Wüste bedeuten. Aber am schönsten waren seine Augen am Abend. Wenn die Nacht eintrat, färbten sich seine Augen so dunkelblau. Atemu war noch niemals am Meer gewesen, aber das brauchte er auch nicht, wenn er in so tiefe Augen sah. Ein Blau, so stark wie ein Ozean, so glitzernd, funkelnd, unbezwingbar. Es war schwer, ihn den ganzen Tag um sich zu haben. Jeden Tag neu in diesen Wundern zu ertrinken. Er musste ihn ansehen. Erst heute Morgen hatte er ihn zufällig hinterm Zelt beim Waschen gesehen. Mit einem Tuch tupfte er das kühle Nass auf seine gebräunte Haut, von wo es auf den ausgetrockneten Wüstenboden perlte. Um seine Hüften nur ein Hauch von hellem Stoff geschwungen, welcher vom Wasser schon durchsichtig war. Sein Körper so kräftig, so wohlgeformt, männlich und weich zugleich. Seine Muskeln spielten bei jeder Bewegung, sein feuchtes Haar hing ihm bis ins Gesicht, seine sündhaften Beine leicht gespreizt, als er am Boden saß. Sein breiter Rücken, seine schmalen Hüften und überall schimmerte seine knusprig braune Haut ... es war grausam, ihm zuzusehen und er musste sich abwenden von diesem Anblick. Der Drang, ihn zu berühren, wurde größer von Tag zu Tag. 26 Tage waren sie nun schon gemeinsam unterwegs, waren Stunde um Stunde zusammen. Er hörte seine samtene Stimme und beim Beten kniete Seth direkt vor ihm, so nahe, dass er ihn fast leibhaftig spüren konnte. Er leitete seine Verse und seine sanften, getreuen Worte stiegen auf in den Wüstenhimmel und hingen doch im Herzen seines Pharaos fest, welcher sie nicht loslassen mochte. Es war schwer. Jeden einzelnen Tag. Er beobachtete ihn aus der Ferne, aus der Nähe, von allen Seiten, in jedem Moment. Seine Träume sponnen ihre eigene Realität, der Seth in seinen Wünschen tat ganz andere Dinge. Anstatt zu beten, stöhnte er genüsslich auf. Öffnete seine feuchten Lippen und schenkte ihm die lustvollsten Töne. Anstatt sich das Haar zu kämmen, wirrte es sich ein, wenn er vor lauter Ekstase seinen Kopf hin und her warf, seine Hände über seine sonnengeröstete Haut glitten. Anstatt zu schlafen, räkelte er sich lustvoll im Sand, fuhr mit seinen Fingern und den Zehen in den losen Boden und bäumte seinen Rücken auf, wenn die Empfindungen der Sinne ihn überkamen. Und wenn er die Hände seines Königs küsste, so fühlte es sich an, als würde er ihn am ganzen Körper liebkosen. Seine Worte waren nicht die eines Priesters, stattdessen sprach er schmutzige Dinge in des Pharaos Ohren. Diese erwünschte Realität, ließ ihn leiden. In jedem einzelnen Moment. Faari und Penu machten sich schon lustig darüber, dass ihr Pharao so häufig ins Leere schaute und rot wurde, obwohl nichts geschehen war. Sie hatten ihm einen Spitznamen gegeben ... Tagträumer ... sie wussten ja gar nicht, wovon er wirklich träumte, wenn er den keuschen Gebeten des Priesters lauschte. „Majestät?“ Da war sie schon wieder. Diese Stimme, welche sein Herz stoppen ließ. So sanft, so tief und rauchig. Er hörte den Atem hindurch, spürte die Vibrationen am ganzen Körper. Er wollte ihn so sehr! „Majestät, seid Ihr wach?“ „Seth ...“ Er blinzelte die Augen auf und sah zuerst den Schein einer Öllampe und dahinter die blausten Augen des Reiches. Er ertrank, sobald er sie auf sich ruhen spürte. „Was ist denn noch so spät?“ „Spät? Mein Pharao, Ihr seid lustig“ lächelte er so lieblich wie die ersten Sonnenstrahlen des Tages auf die kalte Erde trafen. „Die Sonne geht bald auf. Ich komme, um Euch zu wecken.“ „Wecken?“ fragte er verwundert und noch immer mit niederdrückender Müdigkeit in den Gliedern. Er hatte doch eben erst die Augen geschlossen, er war noch gar nicht eingeschlafen und schon sollte er geweckt werden? Wenn diese Nacht wirklich schon vorbei war, so hatte sie nicht eine einzige Minute ohne den Gedanken an ihn gebracht. „Ja, Ihr seid nicht selbst aufgewacht heute Morgen“ erwiderte er ihn seiner gesenkten Stimme, welche ihn so sanft aus der Nacht in den Tag holen wollte. „Doch wenn Ihr so müde seid, werde ich Euch heute Euer Frühstück hereinbringen. So könnt ihr noch einen Augenblick liegen bleiben.“ „Nein, lass nur“ murmelte er, strich sich eine Strähne verworrenen Haares aus dem Gesicht und stützte sich auf seine Ellenbogen, um ein wenig aufrechter zu sein, was hoffentlich die Müdigkeit vertrieb. „Ich stehe gleich selbst auf. Warum weckst du mich und nicht Fatil?“ „Eines der Lastenpferde hat sich einen Stein eingetreten“ antwortete er leise. „Er ist draußen und behandelt es. Da wollte ich die Gelegenheit nutzen und Euch einen Moment allein sprechen. Wenn es Euch nicht stört.“ „Allein?“ „Ja. Penu entfacht das Feuer neu und Faari packt bereits unsere Taschen zusammen.“ „Nein, ich meinte, worüber willst du sprechen, dass es die anderen nicht hören dürfen?“ „Möchtet Ihr nicht erst frühstücken? Ich möchte Euch nicht mit ...“ „Mein Seth, worüber möchtest du mit mir allein sprechen?“ seufzte er und blickte ihn ehrlich an. „Ich bin wach genug und störst mich auch nicht. Also, was bereitet dir Sorge?“ „Hoheit“ sprach er leise, stellte die Lampe zur Seite in den noch kalten Sand und setzte sich an sein Lager, kam ihm dabei so nahe, dass er das Herzklopfen des Pharao eigentlich hätte hören müssen. Es war nur eine Fingerbreite und ihre Arme hätten sich berührt, Atemu konnte seine Wärme herüberstrahlen fühlen, roch das Rosenöl, welches er aufgetragen hatte. Er hoffte, Seth würde das Zittern seiner Hände und seinen stockenden Atem nicht bemerken und danach eine unpässliche Frage stellen. „Ich brauche Euren Rat wegen Fatil“ fuhr Seth leise fort. So leise, dass man ihn außerhalb der dünnen Zeltwand nicht hören sollte. „Ich weiß nicht weshalb, aber ich habe das Gefühl, dass er mir ablehnend gegenübersteht. Zu Penu und Faari habe ich, so denke ich, eine recht gute Beziehung aufgebaut, jedoch Fatil spricht kaum mit mir. Ich spüre aber, dass er mich beobachtet und mir misstrauische Blicke zuwirft. Er betet nur halbherzig mit mir gemeinsam und holt seine Gebete lieber ohne mich nach. Er teilt kein Brot mit mir und weicht einem Gespräch aus, wenn ich ihm meine Bedenken erläutern möchte. Ich weiß nicht, ob es nur ein falsches Empfinden ist oder ob er mich wirklich meidet. Hat er etwas zu Euch darüber gesagt?“ Das hatte Atemu auch schon bemerkt und die anderen im Lager sicher ebenfalls. Fatil mied ihn tatsächlich, aber er sagte nicht, woran es lag und ließ auch nicht mit sich darüber diskutieren. Der Pharao aber wusste, woher diese Haltung kam. An erster Stelle misstraute Fatil dem Neuen. Er wollte Seth nicht direkt böser Absichten bezichtigen, jedoch behielt er ihn scharf im Auge. Er sah wie sehr Atemu unter seiner unerfüllten Liebe leiden musste und auch wenn er es nicht sagte, so hielt er es doch für möglich, dass diese Herzensqual einem bestimmten Zwecke diente, den er noch ergründen musste, um seinen Qualen ein Ende zu bereiten. An zweiter Stelle stand die Tatsache, dass Seth in seinen Augen nichts weiter als ein Lustsklave war und somit nicht würdig, an des Königs Seite zu stehen. Er fühlte seine Religion verraten und betrachtete den jungen Priester als Betrüger, als Schänder seiner Götter, als Bedrohung für den Pharao. Er sagte darüber jedoch nicht ein Wort, denn er hatte es seinem König versprochen. Er dachte es leise bei sich, beobachtete aber den verschwiegenen Sklaven und wartete nur auf den Moment, in welchem er die betrügerischen Pläne des sogenannten Priesters aufdecken konnte. Er tat dies nicht aus bösem Willen heraus, aber er sorgte sich um seinen König, welcher ihm ein Bruder im Herzen war. Ihn leiden zu sehen, machte ihn wütend und erfüllte ihn mit großem Zorn. Er wollte Seth fortjagen, ihn verraten, ihn verstoßen - doch das würde seinem Pharao das Herz brechen, weswegen er es bleiben ließ. Penu und Faari taten diese Verhaltensweise als Eifersucht ab, weil er nun nicht mehr der einzige Vertraute des Königs und deshalb neidisch war auf die hohe Stellung des Priesters. Seth jedoch schien zu spüren, dass mehr dahinter lag. Doch was sollte er ihm nun sagen? Die Wahrheit wäre sicher das Richtige, nicht aber auch das Beste. Er hatte versprochen, ihr Geheimnis zu wahren und niemandem von Seths Vergangenheit zu erzählen. Außerdem müsste er ihm dann auch alles sagen, was in seinem Herzen war ... und dann würde er diese nachtblauen Augen in Trauer und Enttäuschung betten - und das wollte er niemals tun. „Ich glaube, er braucht nur eine Weile, um sich an dich zu gewöhnen“ versuchte er seine Antwort ruhiger zu sprechen, als seine Stimme es zuließ. Dieser Rosenduft stieg ihm in die Nase und Seths bronzene Haut schimmerte so seidig in dem dämmrigen Licht der Lampe. „Ich habe dir doch erzählt, mein voriger Wanderpriester war alt und gebrechlich. Mit ihm habe ich mich nicht annähernd so gut verstanden wie mit dir. Ich vertraue dir und Fatil weiß das. Ich glaube, er ist nur eifersüchtig.“ „Glaubt ihr das wirklich?“ Diese Besorgnis in seiner ruhigen Stimme, die zarten Bewegungen seiner schmalen Lippen, seine unglaublich klaren Augen ... „Ja, das glaube ich. Mach dir keine Sorgen, Seth.“ Seine Worte kamen nur zitternd hervor, er spürte sein Herz schneller schlagen und die Hitze in seinen Kopf steigen. Dieser verbotene Traum war ihm so nahe und er konnte beobachten, wie sein warmer Atem in der kalten Morgenluft kondensierte. Er sah jeden Atemzug, sein breiter Brustkorb hob und senkte sich ... „Wenn Ihr es sagt“ seufzte er ein wenig getröstet, strich sich mit seinen schmalen Fingern das erdige Haar aus der Stirn und lehnte sich ein wenig entspannter zurück. Er stützte seine Hand so nahe neben des Pharaos Bein, dass diesem nur noch wärmer wurde. Er wünschte sich so sehr, er würde ihn berühren, ihn streicheln und am ganzen Körper küssen. Seine weichen Lippen auf die sehnsüchtige Haut legen und ihm süße Worte ins Ohr hauchen. Doch stattdessen sprach er in so samtener Stimme Worte, welche weit von einer lustvollen Süße entfernt lagen. „Wisst Ihr denn vielleicht einen Weg, wie ich ihm diese Eifersucht nehmen kann?“ fragte er um eine Lösung bemüht. „Ich ... nein ... ich weiß nicht ...“ Seine Stimme wurde klein, flach, zitterte. Er musste schwer schlucken und hoffte, sein Herz würde aufhören, ihm so unwirkliche Träume zu senden. Er hoffte, die Morgenluft war kalt genug, um seinen fiebernden Körper zu kühlen und ihn zu entspannen, ihn taub zu machen für diese Gefühle. „Aber Ihr kennt ihn doch seit Eurer Kindheit. Wenn Ihr einen Weg wüsstet, wie ich ihm ein Zeichen der Versöhnung geben kann, so würde ich dies gern tun. Wenn er Euer Freund ist, so soll er nicht mein Feind sein.“ „Ich ... ich ... bewundere dein ... Denken ... sehr.“ Es war doch kaum zu glauben. Er brachte kaum noch einen klaren Ton heraus. Sein Blut pumpte sich nervös durch seine Adern, pochte in den Ohren und seine Wangen glühten. Er begann zu schwitzen und die kalte Luft wollte ihm nicht wirklich hilfreich sein. Seth saß ihm so nahe. Er konnte seine langen Wimpern erkennen, das feine Haar an seinem Arm, seine Fingerknöchel. Seine Stimme schickte warme Ströme des Begehrens durch seinen Körper und entfachte einen wahren Feuersturm in seinem Herzen, brannte auf seiner Haut und verklärte seinen Blick. „Ich danke Euch dennoch für Euren Rat“ dankte er in seiner gemäßigten Stimme und senkte den Kopf demütig nieder. „Bitte ... gern ...“ atmete er, hob die Hand und strich sich abermals nervös das Haar aus den Augen. Er musste sich beruhigen, sonst würde er gleich in Ohnmacht fallen oder all seine unterdrückten Gefühle platzen aus ihm heraus. Wenn Seth seine Ruhelosigkeit bemerken sollte - nicht auszumalen, was er ihm erklären sollte! „Ich werde weiter mein Möglichstes versuchen, mich mit Eurem Gesellschafter zu versöhnen“ versprach er und streckte die Hand aus, öffnete sie mit einer bittenden Geste. Etwas zittrig reichte Atemu sie ihm hin und ließ sie sich küssen wie jedes Mal, wenn sein Priester ihm Respekt und Dank zollte. Und es war so wunderbar, sich küssen zu lassen - sei es auch nur ein keuscher Handkuss. Seine Lippen waren so kräftig, so seidenweich. Seine Küsse waren ganz besonders. Nicht nur, dass seine Hände so weich waren und sich so zärtlich an seine Ballen schmiegten. Anders als andere Menschen, hauchte er seine Küsse entweder so zart auf, dass man mit Mühe den Luftzug spüren konnte und manchmal tat er es so wie jetzt. Dann öffnete er seine Lippen, senkte sie auf seinen Handrücken herab und schloss sie erst dann wieder. Er drückte seinen Mund auf die sensible Haut und hinterließ manchmal ein wenig Feuchtigkeit, welche dann kühl von der Luft aufgetrunken wurde, während alles in ihm brannte. Ihm floss pure Hitze durch sein Blut und er musste schwer aufatmen. Wie sehr wünschte er sich doch, er würde ihn auch an anderen Stellen küssen. Auf die Lippen, die Wangen, auf den Hals, mit seinen Knospen spielen, seinen Bauchnabel lecken und ihm immer wieder sagen, er sei schön, begehrenswert und ... Doch eine Berührung zwischen den Beinen riss ihn aus seinem Traum, ließ ihn leise stöhnen und geschockt hob er den Blick, um Seths Gesicht zu sehen, als dieser plötzlich seine Hand und seine Lippen wegzog. Sein Mund war leicht zusammengekniffen, seine Augen ein wenig geweitet vor Schrecken und er blickte ... dorthin, wo der Pharao nun auch hin blickte. An sich hinab und mitten unter dem Laken ... die Schande. „Oh Gott!“ Schnell griff Atemu unter die Bettdecke und drückte seinen himmelschreienden Phallus herunter. Dass ihm ausgerechnet DAS passierte! Das war sicher das Peinlichste und Dümmste, was er jemals vor Seth getan hatte! Kein Versprecher, kein Stolpern konnte so schandhaft sein wie die Entblößung seiner Triebe. Und das auch noch so, dass Seth ihn berührt hatte. Er war mit dem Ellenbogen dagegen gestoßen, als er ihm seinen Handkuss darbot. Er hatte es überdeutlich gespürt, gesehen ... „Ich ... ich ... es ...“ Atemu wollte irgendetwas sagen. Eine Entschuldigung vorbringen, es irgendwie erklären. Doch bei aller Wortgewandtheit fiel ihm nicht ein einziger guter Grund ein. Was sollte er denn sagen? Dass Seth ihn erregte? Dass er ihn begehrte? Dass er wunderschön war? Dass er mit ihm schlafen wollte? Dass er ihn liebte? Alles, was ihm einfiel, war nicht geeignet, es auch auszusprechen. Niemals wollte er ihm von seinen Wünschen erzählen ... ... doch sein Körper sprach einfach ohne ihn. „Es ... es tut mir leid ... Seth ... ich ...“ „Nein, es ist in Ordnung“ unterbrach er ihn und blickte ihn mit so unlesbaren Augen an, dass es dem Pharao nur noch mehr in den Kopf stieg. Was mochte er wohl jetzt über ihn denken? Dass er notgeil war? Sich nicht unter Kontrolle hatte? „Ich ... Seth ... ich meine ...“ „Mein Pharao“ sprach er leise, ganz leise, so leise, dass man es kaum hörte. „Es gibt nichts, was ich nicht für Euch tun würde.“ „Seth, was ...?“ Aber seine Frage beantwortete sich von selbst, als sein verbotener Traum auf ihn niederkam. Er ließ seine Hände bis zu der drückenden Stelle gleiten und strich leicht darüber. Über die Hand, welche dort noch lag und die Schande zurückhielt. Atemu musste den Atem anhalten, um nicht laut auf zu stöhnen. Sein Drang war so groß und vor ihm alles, was er begehrte. Seths Hand war so zärtlich und brachte ihn zum Zittern, seine Haut zum Glühen, seine Augen zum Schwimmen. „Majestät, seid nicht verlegen“ bat er und nahm ihn mit einem so ruhigen Blick gefangen, dass sich sein Opfer am liebsten nur hinlegen und alles geschehen lassen wollte. „Ich weiß, wir waren lange nicht in einer Stadt und es ist Euch unwürdig, dies selbst zu tun. Wenn es Euch drängt, will ich Euch gern Erleichterung geben.“ „Du bist mein Priester“ stritt er mit eher verzweifelt hingebungsvoller Stimme ab und drückte seine Peinlichkeit selbst nur noch stärker herunter. Es wäre so einfach, die Hand fortzunehmen und sich von ihm berühren zu lassen. Er wollte es auch, sein ganzer Körper verlangte nach ihm. Seit so vielen Jahren hatte er nur diesen einen Traum - diesen verbotenen Traum eines Gottes, den er nicht träumen durfte ... denn er würde ihn dadurch zerstören, seinen Traum von Liebe verraten. „Vielleicht“ hauchte Seth und begann langsam die wie wahnsinnig krallende Hand vorsichtig, aber bestimmt zur Seite zu schieben. „Aber Ihr seid noch immer mein Herr. Und wenn Ihr einen Wunsch habt, so will ich dem entsprechen. Was auch immer es sei.“ „Seth ... nicht ...“ Sein Kopf schwirrte, sein Körper glühte und alles in ihm schrie danach. Er wollte ihn so sehr. Seine Berührungen, seine Küsse, seinen Körper. Er biss die Zähne zusammen vor diesem drängenden Gefühl. Er konnte sich nicht erinnern, dass er jemals solche Lust empfunden hatte, wie in diesem Moment als Seths Hand zwischen seine Oberschenkel fuhr und nur noch das Laken sie von der nackten Haut trennte. Er stöhnte flehend auf, als die starke Hand langsam begann, ihn zu reiben. Ganz zärtlich, voller Gefühl und mit solch einem Bedacht ... es fühlte sich großartig an. „Sagt mir, Atemu“ flüsterte er, beugte sich herab, ganz langsam immer tiefer und strich mit der anderen Hand, den letzten Schutz, das Laken beiseite. Nur noch wenige Momente und er würde ihn berühren, pur, Haut an Haut. „Mögt Ihr meine Hände oder lieber meinen Mund? Wie gefällt es Euch?“ „Seth ... hör auf ...“ bettelte er, aber der Ton der Worte sagte etwas anderes als der Sinn. Und das wusste Seth auch. Er konnte seinen Kopf nicht aufrecht halten und sank hilflos auf den Boden nieder, wo ihm der Duft des kühlen Sandes in die Nase strömte. Dieses Begehren wuchs ihm einfach aus seiner Kontrolle heraus. „Ich meine, mich zu erinnern, es war der Mund, den Ihr bevorzugtet. Nicht wahr, mein Pharao? Entspannt Euch, bitte. Ich werde Euch nichts Schlechtes tun.“ Aber spätestens dieser Satz jagte ihm erneut einen Dolch durchs Herz. Seth hatte damals alle Vorlieben seines Herren erlernen müssen. Er wurde gezwungen, die ekligsten Dinge zu tun, nur um ihn eines Tages zu befriedigen. Was er tat, das tat er nicht aus Liebe. Er berührte ihn nur, weil er es für seine Pflicht hielt. Weil er glaubte, es würde von ihm erwartet werden! Und das war es nicht, was er wollte. Weder sein Kopf, noch sein Herz wollten ihn ohne erwiderte Liebe. Nein, bevor er ihn ohne Liebe bekam ... da bekam er ihn lieber gar nicht. „NEIN!“ Laut und deutlich war seine Stimme, fast ein Schimpfen, ein Herrschen. Er schlug beide Hände weg, noch bevor das Laken ganz beiseite war - und dazu hatte nicht mehr viel gefehlt. Er erhob sich mit einem Ruck ins Sitzen und funkelte seinen Begehrten beinahe wütend an. „Du bist Priester! Verstanden? Ich will nicht, dass ein Priester so etwas tut!“ „Aber Majestät, Ihr ...“ „RAUS!!!“ schrie er und musste seine verschwommenen Augen schließen, um nicht zu weinen. „VERSCHWINDE! WASCH DIR DIE HÄNDE UND GEH BETEN! ICH WILL DICH NICHT MEHR SEHEN!“ „Aber Majestät ...“ Seth war erschrocken über die plötzlich harten Worte. Er wollte alles in treuem Dienst tun und nun hatte er seinen Herren beleidigt. „Ich wollte Euch nicht beleidigen. Ich wollte ...“ „Ich weiß, was du wolltest“ quetschte er sich mit schnell verschwindender Stimme qualvoll heraus. „Geh dir die Hände waschen und mach dann Frühstück. Ich will dich jetzt nicht mehr sehen.“ „Hoheit! Ist etwas passiert?“ Sie hatten sein Schreien gehört und kamen sofort herbei geeilt. Fatil ganz vorne, quetschte sich an Seth vorbei, stieß ihn dabei hart zur Seite und legte seinem König besorgt die Hände auf die Schultern, während Penu sich Seths Arm griff und ihn ins Stehen holte. „Hat er Euch etwas getan?“ „Geh raus, Seth ... geh ... bitte“ flehte er leise. „Mach frühstück ... geh dich waschen.“ „Hoheit, nur ein Wort von Euch und ich werde ihn ...“ „Nein, Fatil“ unterbrach er ihn zitternd. „Es ist nichts. Nur ein Missverständnis. Ich hatte mich erschrocken ... ein ... ein Käfer ... war in meinem Bett. Seth wollte mir nur helfen. Es ist nichts ...“ „Ein Käfer“ wiederholte er skeptisch. Seit wann hatte sein Pharao Angst vor Käfern? Die Sache hier stank nach Nashornscheiße. „Ja ... nur ein Käfer“ bekräftigte er schwach und konnte Seth nicht ansehen. Die Schande war zu groß. Er hob seinen Blick erst als er mit Penu das Zelt verließ und Faari den Stoff hinter ihnen zuzog. Was war ihm da nur passiert? Was musste er nur von ihm denken? „Mein Pharao“ sprach Fatil besorgt und wischte ihm eine verirrte Träne fort. „Ich habe doch gesagt, Ihr solltet ihn nicht mitnehmen. Er ist nicht gut für Euch.“ „Aber ich liebe ihn“ schluchzte er und vergrub sein schandhaftes Gesicht in den Händen. „Ich liebe ihn doch ... ich will ihn so sehr. Er soll doch nur nahe bei mir sein. Ich liebe ihn ...“ „Majestät, Ihr seid Euch selbst das größte Hindernis“ riet er. „Macht ihn zu Eurem Sklaven und Ihr habt das Recht, alles mit ihm zu tun.“ „Aber ich will es nicht mit ihm tun“ weinte er. „Ich will, dass er es mit mir tut. Weil er es will ... ich will, dass er mich liebt. Liebe kann man nicht erzwingen, Fatil. Man kann sie nicht erzwingen.“ „Bei allen guten Göttern“ seufzte sein Freundesbruder und schloss ihn ganz tief in seine Arme. „Wie soll das nur ausgehen? Majestät, wie soll das enden?“ „Ich weiß es nicht ... ich weiß es doch auch nicht. Ich weiß es nicht, Fatil. Ich weiß es nicht ... ich weiß es einfach nicht ...“ Kapitel 26: Kapitel 26 ---------------------- Kapitel 26 Seit Stunden waren sie schon unterwegs und seit Stunden hatten sie weder ein Wort, noch einen Blick gewechselt. Das Frühstück verlief wortlos. Die Unterhaltung übernahmen Penu und Faari, indem sie so taten als sei nichts geschehen. Sie mochten Seth und waren sich sicher, dass er nichts Böses im Sinn gehabt hatte. Und da ihr König betonte, es wäre nichts weiter gewesen, mussten sie ihm glauben. Oder zumindest so tun als glaubten sie ihm. Doch, dass weder er noch Fatil ein Wort mit ihrem Priester sprachen, fiel auf. Vielleicht war es auch nur ein kleiner Zwist - das kam vor zwischen Freunden. Dass der Pharao und der Priester Freundschaft geschlossen hatten, war in den letzten Wochen so eindeutig gewesen. Sie lachten gemeinsam, aßen gemeinsam, ritten nebeneinander her und unterhielten über alle möglichen und unmöglichen Sachen. Wenn eine Freundschaft so intensiv und noch ganz am Anfang war, stritt man sich nun mal auch ab und zu, ebenso wie man sich auch wieder vertrug. Dass Seth ebenso traurig blickte wie der König zeigte nur, dass es beiden auf der Seele lastete und sie würden sich sicher wieder vertragen, wenn sich die Wogen nur erst wieder geglättet hatten. Nur Fatil blickte den Priester dunkel an ... dunkler als sonst. Vielleicht war der Pharao hier auch nur zwischen die Fronten zweier ihm wichtiger Menschen geraten ... in so ein Chaos mischte sich ein intelligenter Soldat nicht ein. Nach dem Frühstück wurde das Lager zusammengepackt, die Pferde beladen und weiter ging es wie jeden Tag. Schier unendliches Wandern durch die heiße Wüste. Rundherum nur Sand, Sand, Sand und Sonne, blauer Himmel und Hitze. Ein Tag war wie der andere und auch die Gedanken drehten sich im Kreis. Jeder wollte nach Hause, zurück in den Palast zu Frau und Familie. Stunden um Stunden um Stunden vergingen, die Temperaturen stiegen und die aufregendste Aufgabe war, die Lastenpferde zu treiben oder darauf zu achten, dass ihr König genug trank. Wie jeden Tag. Doch heute schien ein Tag zu sein, welcher Abwechslung brachte. Nicht nur, dass man den ersten Zwist im Lager hatte, nein, heute gab es auch Positives. „Ein Dorf!“ Penu war außer sich vor Freude als er ins Tal der Dünen zeigte. „Fatil! Da ist ein Dorf!“ „Überraschung“ lächelte er den plötzlich so fröhlichen Soldaten an. „Und? Bist du mir noch immer böse, weil ich die Nachmittagspause gestrichen habe?“ „Warum hast du das nicht früher gesagt? Dann hätte ich bessere Laune gehabt!“ „Ich wollte euch doch überraschen“ schmunzelte er. „Was für ein Dorf ist das?“ fragte Atemu etwas ruhiger und blickte von der Düne herunter auf die ovale Sammlung von Häusern unten zwischen den Sandbergen. Umgeben war alles von einer hohen, aus hellgrauen Blöcken aufgetürmte Steinmauer, welche vor Eindringlingen und Angreifern ebenso schützte wie vor häufigen Sandstürmen in dieser Gegend. Vier große Holztore in alle Himmelsrichtungen waren weit geöffnet, aber es ging weder jemand ein noch aus. Hinten am Horizont sah man gegen den Sonnenschein einige schwarze Punkte allmählich hinter der Dünenspitze verschwinden. Wahrscheinlich eine Karawane von Händlern, welche nun ihren unermüdlichen Weg fortsetzte, nachdem sie das Dorf besucht hatte. Vielleicht war dies ein wichtiger Handelspunkt, denn dieses Dorf hatte fast die Ausmaße einer kleinen Stadt. Aus den Schornsteinen der Lehmhäuser drang schwarzer Rauch und sogar einige größere Bauten waren darunter. Man erkannte die niedrigen Hütten der Einwohner und einige höhere Gebäude mit bis zu fünf Stockwerken, wo eigentlich nur wohlhabendere Menschen leben konnten. Ein Dorf, welches mehrstöckige Häuser zeigte, hatte also mindestens einen gut gestellten Bürger. Somit war dies kein kleines Dorf, sondern ein echtes Wüstendomizil. In der Mitte erkannte man den Marktplatz und rundherum nach kurzem Zählen acht höhere Häuser und daneben gestreut viele kleinere Hütten aus hellbraunem Lehm oder, wenn jemand mehr Geld hatte, aus Stein. „Dies ist Nove Vaasa“ erklärte Fatil. „Vor etwa fünfzig Jahren ist hier eine unterirdische Wasserader entdeckt worden und nachdem sich die ersten Nomaden deshalb hier niederließen, wächst das Dorf stetig an. Der reichste Bürger hier, Abu Saphrem, hat bereits beantragt, Nove Vaasa als Stadt anzuerkennen und ihn als Stadthalter einzusetzen. Doch hierzu fehlen noch fünf mehrköpfige Familien, zumindest nach meinem letzten Stand. Es kann gut sein, dass die Kriterien auch bereits erfüllt sind und die Genehmigung erteilt wurde.“ „Ist denn das so wichtig?“ wollte Penu ungläubig wissen, als sie ihre Pferde langsam wieder in Bewegung setzten und die Düne hinab ritten. „Du hast wieder keine Ahnung von Politik“ lächelte Faari ihn neckisch an. „Wenn ein Dorf zur Stadt erklärt wird und einen Stadthalter bekommt, so erhält dieser Stadthalter für seine Dienste einen guten Lohn vom Palast. Er darf im Namen der Krone Steuern eintreiben, einen Teil für sich behalten und muss einen Teil an den Palast abtreten. Mit dem Rest des Geldes wird die junge Stadt weiter ausgebaut, was dem Stadthalter und dem Palast wieder Geld bringt und mehr Einwohner anlockt. So entstehen Städte, mein lieber Penu.“ „Das weiß ich auch“ moserte er. „Und warum fragst du dann?“ „Grm ...“ Okay, Penu verstand nun mal nicht viel von Politik. Na und? Hauptsache, er führte sein Schwert sicher. Keiner verlangte, dass er so gebildet sein musste, wie ein Adliger ... und dass Faari nicht adelig war und so etwas trotzdem wusste, war doch auch egal! „Auf jeden Fall können wir uns dort ein wenig ausruhen und neuen Proviant kaufen“ schlichtete Fatil. „Vorausgesetzt, unser Pharao ist einverstanden.“ „Natürlich“ nickte er. „Ein richtiges Bett, ein Bad und ein Mahl mit frischen Früchten wird uns sicher gut tun.“ „Wie groß ist Nove Vaasa denn überhaupt?“ wollte Seth genauer wissen. „Einen Tempel gibt es bestimmt. Kannst ja gleich da bleiben.“ „Fatil, bitte“ raunte sein König leise. „Lass das.“ „Entschuldige, Priester“ knirschte er sich notgedrungen heraus. „Versteh das nicht falsch.“ „Ich glaube, ich verstehe das ganz richtig.“ Die beiden blickten sich nicht an, aber dass zwischen ihnen eine Spannung herrschte, war schon seit dem ersten Tag zu spüren. Sobald sie im Palast waren, würden sie sich sicher aus dem Weg gehen. Und bis dahin mussten sie es eben miteinander aushalten ohne sich gegenseitig zu zerfleischen ... hoffentlich. „So? Wie hast du es denn verstanden?“ „So wie es gemeint war. Sag, Fatil, was ist dein ...?“ „Hört auf jetzt. Alle beide“ durchschnitt Atemu sofort diesen aufkeimenden Streit und blickte erst Seth, dann Fatil drohend an. „Ich wünsche nicht, dass ihr euch streitet. Ihr seid erwachsene Männer als benehmt euch auch so.“ „Euch steigt wohl die Hitze in den Kopf“ versuchte Faari ein wenig zu scherzen, um die Stimmung zu lockern. „Kloppt euch und geht dann einen Krug Wein trinken.“ „Es tut mir leid, Majestät“ sprach Seth leise, hob seinen Blick und Atemu spürte wie er ihn ansah mit seinen himmelblauen Saphiren voller Glanz. Seine Stimme klang ehrlich und dies waren nach Stunden die ersten Worte, welche er zu ihm sprach. Er meinte es ehrlich, er entschuldigte sich. Sein Ton war so bittend, so aufrichtig. Er wollte nicht streiten. Und er bat nicht um Verzeihung, dass er sich gegen Fatil wehrte, sondern um Vergebung für diesen Morgen. Vielleicht war auch er hilflos gewesen und wusste nicht, was er hätte machen sollen. Als er sich bereits erschrocken hatte, war es schon zu spät, um es noch zu ignorieren. Einfach weg zu gehen, wäre unhöflich gewesen ... letztlich war sein Handeln das einzig Richtige, um den Pharao nicht in Verlegenheit zu bringen. Dass er ihn damit wohl doch beleidigt hatte ... das tat ihm sichtlich leid. „Mir tut es auch leid, Pharao“ bat Fatil ebenso, auch wenn er wohl nur Seth das Wort abschneiden wollte. Außerdem war es leichter, sich beim König zu entschuldigen als bei einem verkleideten Sklaven. „Schon gut“ seufzte er geschlagen, blickte Fatil in seine dunklen Augen und nickte ihn verständig an ... bevor er seinen Blick auf den Priester richtete, welcher so stolz auf seinem Pferd saß, die Falten seines roten Gewandes unter der Sonne leichte Schatten warfen, seine gebräunte Haut ebenso unterstrichen wie seine schimmernden Augen. Ein Traum unter der Wüstensonne. „Beim nächsten Mal halten sich einfach beide etwas zurück“ nickte er auch ihn an. Doch er meinte damit nicht ihn und Fatil ... er meinte sich und Seth. Und der verstand ihn auch, nickte und sprach ein verständiges „Danke“. „Natürlich, mein König“ antwortete Fatil und strich sich sein schwarzes Lockenhaar aus der Stirn, welches schon langsam ganz eingesandet war, da ihr Wasser für größere Haarwäschen langsam knapp wurde. „Ich glaube, eine kleine Pause wird uns allen gut tun.“ „Endlich sagst du mal was Vernünftiges“ pflichtete Penu sogleich bei. „Und? Wisst ihr schon, was ihr in der Stadt machen wollt?“ „Ich hab meiner Frau versprochen, ich bringe ihr ein Schmuckstück mit“ antwortete Faari mit einem verliebten Lächeln im Gesicht. „Sie wünscht sich ein Armband mit grünen Steinen besetzt. Und ich wünsche mir, dass es einen Schmuckhändler im Dorf gibt.“ „Bestimmt“ meinte Fatil. „Und Penu, was ist dein Wunsch?“ „Keine Ahnung“ pustete er überlegend in die Luft. „Ich brauche erst mal ne Frau, bevor ich Geschenke kaufen kann. Vielleicht treffe ich ja eine auf dem Marktplatz.“ „Auf den Marktplatz möchte ich auch“ stimmte der Pharao zu. „Ich habe Lust, mit einem Händler zu feilschen. Aber dann unerkannt.“ „Warum denn unerkannt?“ fragte er verwundert. „Es lässt sich besser feilschen, wenn Ihr preisgebt, wer Ihr seid. Dann geht der Händler sicher mit dem Preis weit herunter.“ „Ja, so weit, dass er mir etwas schenken möchte. Und dann hat es sich mit dem Feilschen erledigt.“ „Ihr habt manchmal wirklich eigenwillige Wünsche, mein König“ schmunzelte Fatil ihn lustig an. „Dann vergesst aber nicht, Euren Geldbeutel einzustecken. Sonst müsst Ihr Euch doch beschenken lassen.“ „So schlau bin ich auch“ meinte er und fand selbst etwas überrascht ein wohltuendes Lächeln auf seinem Gesicht. „Und was hast du für Stadtwünsche, Fatil?“ „Ich werde wohl ein neues Pferd kaufen müssen“ überlegte er, drehte sich herum und nickte auf das braungescheckte Lastentier, welches sichtbar seinen rechten Hinterlauf nachzog und schwer an den großen Ledertaschen trug. „Dann lass mich doch darum feilschen!“ „Ihr geht mal lieber auf dem Marktplatz Früchte einkaufen. Das letzte Pferd, welches Ihr mitbrachtet, war eine alte Mähre zum überhöhten Preis. Man muss sich ja fast schämen für Euch.“ „Aber es hatte eine schöne Farbe!“ „Ja, das war’s dann aber auch schon an Nutzen“ lachte er. „Geht doch lieber schön gefärbte Trauben kaufen, das kostet weniger.“ „Nimm mich nicht immer auf den Arm, Fatil“ lachte er mit ihm. „Lass mich doch machen, wie ich will! Du untergräbst meine Autorität!“ „Oh Verzeihung, hoher Herr! Ich wusste nicht, dass Ihr Eure Autorität durch Feilschen erworben habt. Welche Farbe hat sie denn?“ „FATIL!“ Das war doch wirklich ein ziemlich fieser Witz und er verpasste dessen Pferd als kleine Rache einen so plötzlichen Klapps, dass es scheute und ihn fast heruntergeschubst hätte. Geschah ihm recht, wenn er den König ärgern wollte. Doch er landete ja nicht im Sand, lachte mit einem Kopfschütteln und überließ der Krone den feierlichen Triumph. Aufheiterung hatte der Arme mehr als nötig. „Und was wünschst du dir, Seth?“ Wohl aus Gedanken hervorgeholt, blickte er seinen König etwas überrascht an und suchte doch einen Augenblick zu lange, nach einer Antwort, was den eben noch erheiterten König allmählich wieder still werden ließ, das Lachen von seinem Gesicht nahm. Diese blauen Augen ... Selbst den anderen fiel auf, dass die beiden sich einen ganzen Moment wortlos ansahen, ohne erkennbare Mimik im Gesicht. Ihre Augen aufmerksam geöffnet, ihr Reiten ganz apart. Als würden sie sich nach langer Zeit wiedersehen und sich nicht sofort erkennen ... merkwürdige Blicke, welche dort zwischen ihnen schwebten. „Entschuldigt“ brach der Priester endlich das Schweigen, löste seinen Blick und damit auch die verworrene Aura in der heißen Luft. „Wie war Eure Frage?“ „Was du dir wünschst ... in der Stadt“ verbesserte er gleich. „In der Stadt. Was möchtest du dort tun? Faari wünscht sich ein Armband, Penu eine Frau und Fatil ein Pferd. Und du?“ >Was wünschst du dir?< Was hatte Atemu da nur gefragt? Als Seth niedergeschlagen im Herzen, in der Seele mehr tot als lebendig war - da hatte er ihn schon mal gefragt, was er sich wünschte. Ob diese unbedachte Formulierung ihn daran erinnerte? Ihn daran erinnerte, dass er bis vor wenigen Jahren noch ein Nichts gewesen war? Ein schmutziger Sklave, welcher seine Schande mit dem Leben bezahlen musste? Nein, das hatte er nicht gewollt. Er wollte diesen zerbrechlichen Blick nicht sehen. Er wollte Seth niemals das Gefühl geben, dass er nur ein Sklave war. Er war Priester, ein heiliger, gesegneter Mann, ein Mensch. Seth war ein Mensch. Niemals weniger als das. Und doch ... sein Blick war so furchtsam, so verletzlich. Seine Augen glänzten unter dem hellen Licht, welches den Himmel erleuchtete. Waren es Tränen, welche dort glänzten? Dass Seth nervös wurde, wusste er sicher gut zu verbergen und Atemu sah es doch. Er hatte ihn zu lange, zu intensiv beobachtet, als dass er es nicht bemerken würde. Diese wunderschönen Hände, welche nun so sauber und rein waren wie die Hände eines wahren Priesters, nicht wie die eines Sklaven. Sie kämpften miteinander darum, wer die Zügel fester halten konnte. Sein Atem ging bei längerem Blickkontakt nicht mehr so entspannt, sondern kürzer und flacher. Und seine Wangen, sie röteten sich ein wenig. War es aus innerer Aufruhr heraus oder lag es doch nur an der Sonnenhitze? Nur dieses Glänzen dieser götterblauen Saphire ... Was hatte er nur bewirkt mit dieser erinnerungsschwangeren Frage? Er wollte ihn doch nicht verletzen. Er wollte alles für ihn tun - aber ihn niemals verletzen. „Ich bin Priester, Majestät“ erwiderte er mit leerer Stimme. „Ich möchte in den Tempel gehen und sehen, wie man dort lehrt und lebt. Wenn Ihr mir die Erlaubnis dazu gebt. Mehr wünsche ich mir nicht.“ „Natürlich. Du bist ein freier Mann und kannst handeln, wie dir beliebt.“ Was war denn mit Seth los? Woher kam dieser verwundbare Blick? Diese flache Stimme? Diese steife Körperhaltung? Was lief nur gerade in seinem Kopf ab, dass es ihn vom einen auf den anderen Moment so ... unentschlossen wirken ließ? „Es beliebt mir nur, nach Eurem Belieben zu handeln. Mehr als Eure Zustimmung brauche ich nicht. Niemals würde ich Euch um etwas Unverschämtes bitten. Das schwöre ich ... denn auch Eure Güte sollte man nicht überspannen ...“ „Komm schon! Hör auf, ihm zu schmeicheln. Sonst wird er noch verlegen“ lachte Faari und klopfte dem orientierungslosen Priester auf die Schulter. „Du weißt doch, dass er mit so was nicht umgehen kann. Er mag es nicht, wenn man ihn wie einen Herren behandelt oder willst du ihn beleidigen?“ „Tue ich das?“ fragte er überrascht, drehte sich herum und sah den Pharao mit tief besorgten Augen an. „Euch beleidigen?“ „Selbst wenn“ frotzelte Faari, der diese Situation entweder nicht mitbekam, nicht verstand oder gewollt überging. „Unser Pharao ist nicht nachtragend. Wenn du dich entschuldigst, dann lächelt er und reicht dir seine Hand zum Kuss. Du musst dir schon etwas besonders Harsches einfallen lassen, um ihn dir zum Feind zu machen. Nicht wahr, Majestät? So seid Ihr doch! Oder Fatil? Penu?“ „Konzentriere dich lieber auf die Wachen dort vorn“ wies Fatil ernst an. „Nicht, dass sie uns als Bedrohung empfangen.“ „Warum wird die Stadt überhaupt so stark bewacht?“ stellte Penu fest und fragte sich zugleich nach dem Sinn. Unten am Tor, auf welches sie zuritten, waren ganze vier Wachmänner postiert. Das war ungewöhnlich viel für ein solches Dorf oder selbst eine kleine Stadt. Ein bewaffneter Mann pro Tor sollte doch eigentlich ausreichen. Doch diese Männer dort unten waren nicht nur bewaffnet mit Schwertern und Bögen, welche gängig waren, sondern mit viel schwererem Geschütz. Sie trugen Schilde und Helme aus Leder, Schleudern und Keulen. Ja, wahrscheinlich steckten selbst kleine Dolche irgendwo in ihrer Rüstung. „Ja, die Männer sind fast so schwer bewaffnet wie die Palastwachen“ meinte auch Faari. „Wozu so viel Aufwand? Oder ist in dieser Stadt etwas wichtiges, was sie verteidigen müssen? Fatil, weiß du etwas davon?“ „Nein, davon weiß ich nichts“ antwortete er bedächtig. „Aber wir werden sie fragen. Wenn es in der Stadt Unruhen gibt, werden wir dort keine Rast machen. Es wäre zu gefährlich für den Pharao. Dann werden wir unsere Identität nicht preisgeben, ihr reitet gleich weiter und ich gehe schnell das Nötigste besorgen. Wir können dann im nächsten Dorf einkehren.“ „Schade“ trauerte Penu schon jetzt. „Ich hab mich so auf den Marktplatz gefreut.“ „Vielleicht ist ja gar nichts Schlimmes dort drin und wir können doch hingehen“ baute der König ihn auf und verhüllte gleichzeitig sein Gesicht mit dem leichten Schleier aus weißem Stoff, welcher ihn sonst vor Sand und Sonne schützte und nun dazu diente, vorerst unerkannt zu bleiben. Erst wenn sie den Grund für diese erhöhte Bewachung kannten, konnten sie sich entscheiden, ob sie bleiben oder weiterziehen wollten. Als sie den Abstand zwischen sich und den Torwachen verkürzten, zeigten sie alsgleich, dass sie der Stadt nicht feindlich gesonnen waren. Einfach indem Faari und Penu von ihren Pferden abstiegen und den Rest zu Fuß weitergingen. Als Soldaten wollten sie ihren Genossen auf gleicher Höhe begegnen und zeigen, dass sie vom selben Schlag waren. Ein ganz normale Begrüßungsformalität im Reiche. Und auch Seth als Priester führte sein Pferd per pedes weiter. Als Mann der Götter würde er es sich niemals erdreisten, seinen Stand zur eigenen Erhöhung zu nutzen. Sicher war die Kaste der Priester auf gleicher Höhe mit denen der Hochadeligen, aber im Gegensatz zum Hochadel war die Heiligkeit den normalen Bürgern im Herzen näher. Und deshalb zeigte auch er als Priester, dass er in aller Höflichkeit zu ihnen trat. Nur Fatil als hochgeborener Adeliger blieb auf seinem Pferd sitzen und neben ihm selbstverständlich der Pharao, welcher für keinen Menschen im Reiche jemals sein Haupt senken musste. Zwar war seine Identität durch den leichten Schleier aus Stoff geschützt, jedoch sah man doch schon an der mehr als gut verarbeiteten Kleidung, dass er und Fatil ganz oben in der Ordnung standen. So näherten sie sich bis vors Stadttor und blieben respektvoll vor den vier schwer bewaffneten Männern stehen. „Seid gegrüßt, Wachmänner von Nove Vaasa“ sprach Fatil stark, aber auch gekonnt staatsmännisch. „Seid gegrüßt, Wandersleute“ erwiderte der Wachmann ganz links, welcher wie alle anderen unter seinem schweren Lederhelm kaum zu erkennen war. Aber an den zwei überkreuzten Speeren, welche auf seinem Schild aufgemalt waren, ließ sich erkennen, dass er der Hauptmann dieser Truppe sein musste. Er bewegte sich sogar von seinem Posten fort und stellte sich direkt in die Mitte, um mit den Gästen zu sprechen. Er verneigte sich im Namen seiner Männer tief vor den erkennbar adeligen Reitersleuten und trat danach direkt zu Seth heran, nahm seinen Helm ab und hielt sein Gesicht doch gen Boden gestreckt. Erst als ihm der Priester die Hand auf sein verschwitztes Haar legte und seine Segensworte „Die Götter mögen dich schützen, Soldat“ sprach, erhob er sich wieder und zum Vorschein kam ein recht gedrungener Ausdruck. Sein Gesicht hatte sicher schon viele Kämpfe erlebt und so war es von tiefen Narben geziert, seine Knollennase plattgedrückt und auch seine Augen waren eher zu Schlitzen verengt. Der Jüngste war er nicht mehr, aber sicher ein sehr erfahrener Krieger. Und selbst die Hitze der Wüste, welche sich heiß unter der dicken Rüstung staute, ließ ihn nicht die geringste Schwächer zeigen. „Sagt, was begehrt Ihr in Nove Vaasa?“ sprach er mit fester Stimme, aber es ließ sich nicht das geringste Misstrauen erkennen. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie einen Priester dabei hatten. Sonst mussten sie sich häufig erst zu erkennen geben, bevor man respektvoll mit ihnen sprach, aber ein heiliger Mann in ihren Reihen vereinfachte die Sache doch sofort allein durch seine Anwesenheit. Priestern misstraute man nicht, das wäre Gotteslästerung. „Ihr kommt vom Haupttempel, vermute ich. Dann habt Ihr einen langen Weg hinter Euch.“ Das musste er anhand von Seths dunkelrotem Gewand sehen, denn dies war die heilige Uniform, welche alle Priester trugen, welche aus dem roten Wüstentempel stammen. Diese dort gelehrten Priester erfreuten sich im Allgemeinen an großer Wertschätzung. „Ja, wir waren im Haupttempel zu Besuch“ nickte Fatil und übernahm damit als Gruppenführer wie selbstverständlich die Gesprächsleitung. „Sagt, weshalb wird die Stadt so schwer bewacht?“ „Verzeiht, hoher Herr“ antwortete er in allem Respekt. „Bitte beantwortet Ihr zuerst meine Frage. Was begehrt Ihr in unserer Stadt?“ „Rast und Vorräte. Wie Ihr schon feststelltet, haben wir einen langen Weg hinter uns. Unsere Tiere sind müde und wir sind es auch. Wir möchten hier Rast einlegen und unsere Brotsäcke auffüllen. Wir haben ausreichend Geld und können unser Begehren zahlen.“ „Dann seid willkommen“ nickte er freundlich. „Entschuldigt, wenn Euch meine Frage kränkt, aber wir haben Weisung, auf reichsfremde Kämpfer Acht zu geben. Aber wäret ihr ein solcher hättet ihr anders geantwortet.“ „Reichsfremde Kämpfer? Was genau bedeutet das?“ „In den letzten Wochen fallen immer wieder brutale Kämpfer in aufsteigenden Städten ein. Seit der Pharao seinen Besuch beim König von Tschad beendet hat, greifen fremde Truppen immer wieder unsere Wüstenstädte und auch Dörfer an. Aber sie sind nicht sofort als Truppen zu erkennen. Sie kommen in kleinen Gruppen von weniger als zehn Mann und stiften doch große Zerstörung. Unser Stadthalter will mit verstärkten Kontrollen verhindern, dass solche Truppen auch hier einfallen. Sagt bloß, Ihr habt noch nichts davon gehört?“ „Nein, wir sind schon sehr lang unterwegs. Nachrichten verbreiten sich zwischen den Städten wohl schneller als dass sie bis zu uns Wanderern durchhallen können.“ „Sagt mir, Hauptmann“ sprach der Pharao hinter seinem Schleier, „fallen diese Truppen auch in kleinen Dörfern ein?“ „Ja, mit Vorliebe“ erklärte der gesichtsnarbige Soldat. „Dort finden sich keine Kämpfer, welche ihnen Gegenwehr leisten und damit die Dörfer nicht zu schnell neu besiedelt werden, vergiften sie die Brunnen und brennen die Häuser ab. Bis jetzt gab es kaum Überlebende, welche von diesem Schrecken berichten konnten. Wir warten alle darauf, dass unser verehrter Pharao von seiner Reise in den Palast zurückkehrt und dem König von Tschad die Stirn bietet. Ägypten soll nicht wie Sudan oder Niger unter König Sarhs Herrschaft enden. Unser Reich will seine Götter und seinen König behalten. Wir sind bereit für den Pharao zu kämpfen, wenn er uns ruft.“ „Aber der Krieg darf niemals eine Lösung sein“ sprach der verhüllte Pharao ruhig weiter. „Dass König Sarh uns schon jetzt seine Kämpfer zur Drohung schickt, ist eine falsche Sache, welche von nicht allzu großem Gerechtigkeitssinn zeugt.“ „Genau deshalb müssen wir ihn bekämpfen!“ „JA! KÄMPFEN!“ riefen auch seine drei Männer hinter ihm. Die hatten sich wohl auch schon gegenseitig aufgestachelt ... „Ägypten darf sich nicht einschüchtern lassen!“ Der Hauptmann war eindeutig bereit, für sein Land zu kämpfen. Vielleicht hatte er schon zu viele Schlachten gesehen, als dass er noch lange Zeit hatte, sich mit Pazifismus zu umgeben. „Tschad hat schon zwei Reiche vernichtet und Ägypten wird nicht das nächste Land sein, welches ihm anheim fällt. Wir werden unser Reich und unsere Krone verteidigen.“ „Ägypten war aber von jeher friedlich“ sprach Atemu gegen ihn an. „Kriege fordern viele Opfer, berauben die Frauen ihrer Männer und die Kinder ihrer Eltern. Ich selbst habe meinen Vater im Krieg verloren und weiß welch ein Verlust das ist. Wenn Ägypten mit Gegengewalt reagiert, wird unser göttertreues Reich untergehen. Nein, Ägypten muss subtiler handeln, sich Verbündete suchen und mit stolzem Haupt den Kampf ablehnen.“ „Aber gegen ein kriegerisches Land wie Tschad hilft nur Gleiches mit Gleichem zu vergelten!“ war seine feste Meinung. „Ich habe schon im letzten Bürgerkrieg im Süden für Pharao Akanumkanon gekämpft und weiß, wie man eine Schlacht führt. Und hier sage ich: Feuer ist mit Feuer zu bekämpfen und nicht mit warmen Worten.“ „Der Bürgerkrieg zur letzten Revolution im Süden war vielleicht eine gerechte Sache, aber sicher nicht der ideale Weg“ hielt er stark dagegen. „Aber die Krone hat gegen die Rebellen gesiegt.“ „Nur zu welchem Preis?“ sprach er etwas traurig und so langsam hörte man die kriegsfeindliche Stärke in seiner Stimme beben. „Im Süden wurden tausende von Menschen im Namen der Revolution geopfert. Viele, selbst unbeteiligte, Bürger verloren ihr Leben, Kinder wurden gefangen genommen und in die Sklaverei verkauft, Felder niedergebrannt. Es ist gut, wenn die Menschen an die Krone glauben, aber andersherum muss auch die Krone an die Menschen glauben. Und deshalb ist Krieg nicht der Weg, den Ägypten beschreiten sollte.“ „Bei allem Respekt, hoher Herr“ schüttelte der Hauptmann lächelnd den Kopf. „Ich glaube nicht, dass Ihr mehr Erfahrung in Kriegsführung habt als ich. Und ich sage gegen Tschad: Feuer mit Feuer bekämpfen. DAS sollte Ägypten tun.“ „Und ich sage, Ägypten wird einen intelligenteren Weg als Krieg finden“ sprach er und setzte dem einfach ein Ende, indem er seinen Schleier löste und dem königstreuen, aber kriegsvernarrten Hauptmann sein Gesicht zeigte. Und der wurde wirklich sofort leichenblass in seinem vernarbten Gesicht, der Mund stand ihm offen und man sah deutlich den Schrecken, der ihm durch die Gebeine fuhr und ihn paralysierte, während die drei Wachmänner hinter ihm bereits in die Knie gingen und sich verneigten. „Ägypten wird keinen freiwilligen Krieg führen. Denn Feuer wollen wir nicht mit Feuer bekämpfen, sondern mit unserem göttergesegneten Wüstensand ersticken. Und auf den angehäuften Hügeln unseres Sieges werden wir Gras wachsen lassen, welches unseren Göttern ein Denkmal setzen soll für Frieden und Einigkeit zwischen den Menschen über alle Grenzen hinweg.“ „... Pharao!“ Schnell kniete er tief nieder in den Sand, senkte sein Haupt, genau wie seine drei Männer es bereits taten. Hätte er gewusst, mit wem er hier wirklich sprach, hätte er seine Worte vielleicht etwas gewählter hervorsprudeln lassen. „Es tut mir leid, ich habe Euch nicht gleich erkannt, Eure Hoheit. Bitte verzeiht meine harschen Worte. Selbstverständlich wird Ägypten den Weg beschreiten, welchen Ihr vorgebt. Eure Untertanen werden Euch folgen, was auch immer Ihr befehlt. Bitte, seid unserer Loyalität zur Krone versichert.“ „Ich weiß, bitte sei ganz beruhigt und steh auf.“ Er ließ die verunsicherten Männer erst mit ihrer schweren Rüstung auf ihre Beine zurückkommen, bevor er weitersprach. „Ich weiß, dass du der ägyptischen Königsfamilie treu und loyal bist. Ein alter, erfahrener Krieger wie du hat sicher viel zu berichten von vergangenen Schlachten. Jedoch bitte ich dich, mir so zu folgen wie du einst meinem Vater folgtest, welcher den Krieg stets so ablehnte wie ich es tue.“ „Ich folge Euch, wo auch immer Ihr Ägypten hinführt“ antwortete er und legte sich wie zu einem Schwur die Hand aufs Herz, so wie seine Männer es ihm gleichtaten und ihrem Pharao die Treue bezeugten. „Ich danke dir, Soldat. Bitte sag mir deinen Namen.“ „Ich bin Kerasheres aus der Familie der Katenen“ erbrachte er mit einer neuen Verbeugung. „Immer zu treuen Diensten, mein König.“ „Ich freue mich sehr, dich kennen zu lernen, Kerasheres“ nickte er. „Darf ich dich um einen Gefallen bitten?“ „Natürlich, Majestät! Was immer Ihr wünscht! Bitte lasst mich meine verfehlten Worte wiedergutmachen.“ „Oh, deine Worte waren nicht verfehlt“ lächelte er gutmütig. „Ich mag es, wenn man ehrlich heraus spricht. Sag nur, was du zu sagen hast, solange du auch andere Meinungen gelten lässt.“ „Nur, dass Eure Meinung stets geltungsschwerer ist, mein Pharao. Was Ihr tut, ist sicher richtig. Daran zweifle ich nicht. Bitte sagt mir, was ich für Euch tun kann.“ „Du kennst dich sicher in der Stadt aus“ bat er so freundlich wie eh und je, auch wenn ein König wie er eigentlich keine Freundlichkeit nötig hatte. „Meine Männer und ich brauchen ein Nachtlager. Gibt es in deiner Stadt eine Herberge, welche Zimmer für uns frei hat?“ „Für Euch gibt es immer einen Platz bei uns, Hoheit“ versprach er. „Ihr reist mit ... nur diesen vier Männern?“ „Diese vier Männer sind mehr als genug. Dies hier ist Fatil, mein Führer und Gesellschafter, mein Vertrauter“ wies er nach rechts auf ihn, welcher zur Begrüßung ebenso freundlich nickte. „Die beiden Soldaten sind Penu und Faari, meine Leibgarde und gute Freunde. Und unser Priester ist Seth Chuanch Amun Sanacht, er begleitet uns seit wir den Haupttempel verlassen haben.“ „Dann seit Ihr bei Chaba Djedef Re in die Lehre gegangen?“ fragte der Hauptmann ihn ganz entrückt. „Ja, er war mein Lehrer“ bestätigte er. „Warum? Kennst du ihn?“ „Jeder kennt den großen Hohepriester Chaba Djedef Re. Er ist ein beeindruckender Mann, welcher über diesen Teil der Wüste seine schützenden Hände hält. Wer ihn einst getroffen hat, wird ihn niemals mehr vergessen. Ich selbst hatte die Ehre, ihn einst ein Stück mit einer Karawane zu begleiten und seitdem habe ich ein ganz anderes Verständnis von unseren hohen Göttern. Die Priester aus dem roten Tempel sind uns stets willkommene Gäste. Unser Stadtpriester Jarha Timat Re war selbst vor Jahren sein Schüler und leitet hier nun im Namen seines Heimattempels unseren Stadttempel. Es ist eine Freude zu hören, dass einer unserer Wüstenpriester von Chaba Djedef Re in den Palast einkehren darf.“ „Du scheinst aber auch kein bürgerlicher Soldat zu sein“ stellte Fatil beobachtend fest. „Deine gewählte Ausdrucksweise passt teilweise nicht zu einem Krieger. Woher kommt die Familie der Katenen?“ „Meine Familie lebte früher als neuägyptischer Landadel an der Reichsgrenze. In dem Teil, welcher heute zu Sudan gehört. Damals fiel unser Land aufgrund der Befriedung mit dem damaligen sudanischen König an ihn. Es kam zwar zu keinem offiziellen Krieg, aber meine Eltern und Großeltern sind trotzdem bei den Kämpfen damals gestorben. Ich war neun Jahre alt und wollte kein Sudaner werden, nicht zu dem Reich gehören, welches meine Familie ausgelöscht hatte. Ich habe mich geweigert und wurde bei meiner Flucht von Zuhause von einem ägyptischen Soldaten aus dem Grenzgebiet mitgenommen und wuchs bei seiner Familie am nördlichen Nil auf. Obwohl sie mir ein gutes Heim gegeben haben, weiß ich jedoch, dass meine Wurzeln woanders liegen.“ „Ist das der Grund, weshalb du Soldat geworden bist?“ wollte Atemu interessiert wissen. Die Schicksale der Menschen interessierten ihn immer. Er wollte sich trotz der eigenen Reiseerschöpfung Zeit nehmen, um einzelne Bürger seines Volkes näher kennen zu lernen. Um aus ihren Geschichten zu lernen und ihnen das Gefühl zu geben, dass er sich um jeden einzelnen kümmern wollte. Und dieser Soldat hatte scheinbar eine bewegte Vergangenheit, aus welcher man viele Lehren ziehen konnte. „So ist es, mein Pharao“ erzählte er dankbar. „Damals habe ich mir vorgenommen, dass ich für das Land kämpfen will, für welches meine Familie gefallen ist. Ich habe niemals Anspruch auf meinen Adelstitel erhoben. Zum einen, da meine Heimat heute nicht mehr offiziell zu Ägypten gehört und zum zweiten als Dank an die bürgerliche Familie, welche mich so freizügig aufgenommen hat, obwohl sie selbst nicht viel besaßen. Ich bin wie mein Ersatzvater ein Soldat mit Leib und Seele für mein Land.“ „Und obwohl mein Großvater damals dein Land an Sudan gegeben hat, glaubst du an meine Familie?“ „Um ehrlich zu sprechen, ich war lange enttäuscht davon, dass Euer Großvater, der damalige Pharao Akinamun, nicht um das Land meiner Familie hat kämpfen lassen. Aber ich war noch ein Kind und wurde mit den Jahren eines besseren belehrt. Damals ist zwar meine Familie gestorben, aber mit dieser Befriedungsgeste ist eine gute Beziehung zum König von Sudan entstanden, welche für Jahre Frieden geschaffen hat. Und deshalb bin ich heute in meinem fortgeschrittenen Alter der Überzeugung, dass mein Weg, der Krone mit Kampfeskraft zu dienen, der richtige war. Ich bereue nichts und weiß, dass auch Ihr, unser jetziger Pharao, nur das Beste für Euer Volk wünscht. Ich vertraue auf die Götter, welche Euch ausgewählt haben, uns zu führen.“ „Ich danke dir für deine treuen Worte, Kerasheres“ erwiderte er mit einem langsamen Kopfnicken. „Ich werde deines und das Opfer deiner Familie für meinen Großvater in Ehren halten. Unser Reich braucht entschlossene und besonnene Männer wie dich.“ „Oh, mein Pharao, zu viel der Ehre“ lächelte er und wurde doch tatsächlich ein wenig rot in seinem vernarbten Gesicht. „Ich danke den Göttern dafür, dass ich Euch begegnen durfte. Nun habe ich in meinem Leben schon drei Dynastien gesehen. Den Pharao Akinamun, seinen Sohn Akanumkanon und nun Euch, seinen Enkel. Wenn ich lange genug lebe, sehe ich vielleicht ja sogar noch Euren Sohn auf dem Thron.“ „Vielleicht. Das wissen allein die Götter“ lächelte er und doch wurde ihm ein wenig traurig ums Herz. Wie würde man wohl von ihm sprechen, wenn er einst gegangen war? Die Namen der großen Pharaonen sprach man erst aus, wenn sie bereits zu Grabe getragen waren zu den Göttern gefunden hatten. Seinen Namen, den Namen Atemu, sprach man ebenso wenig aus wie den Namen seines Sohnes, des ägyptischen Prinzen und Thronfolgers Trimantep Ameramun. Ob Trimantep einst ebenso einsam leben würde wie er selbst? In stetiger Hoffnung, jemanden zu finden, aus dessen Mund man liebevoll seinen Namen hörte? Ob auch er heiraten und Kinder bekommen würde, ohne sein Glück jemals wahrlich zu finden? Ob auch er so sehr darunter leiden würde, dass nicht mal der eigene Vater den Namen aussprach? Nein, seinem eigenen Sohn wollte er so etwas nicht antun. Deshalb würde er Wege finden, noch vor Trimanteps Regentschaft die Regeln zu ändern. Beginnen würde es damit, dass er seinen Sohn beim Namen rief und enden würde es hoffentlich damit, dass man im Pharao nicht nur den auserwählten Sohn der Götter sah, sondern einen Menschen mit einem eigenen Namen. Wenn er schon sein Leben in sehnsuchtsgeplagter Einsamkeit leben musste, so sollte doch wenigstens seinem Sohn das erspart bleiben. Kapitel 27: Kapitel 27 ---------------------- Kapitel 27 Als er wieder erwachte, fühlte er sich zwar noch etwas matt, aber wenigstens ein wenig erholter. Es war Nachmittag und die heißeste Zeit des Tages, die Nacht hatte kaum Erholung gebracht, er war müde und der heutige Morgen steckte ihm noch in den Knochen. Er wollte sich nur noch einen Moment hinlegen ... doch er war tiefer eingeschlafen, als er es geplant hatte. Er war im Moment seines Augenaufschlags noch matt, da er schon wieder einen intensiven Traum ausgehalten hatte. Er konnte sich sogleich nicht mehr an ihn erinnern, aber sein Herz schlug hart gegen die Brust und sagte ihm auch ohne Worte, welchen Inhalt diese Sinnbilder des Geistes gehabt hatten. Und auch das drückende Gefühl zwischen seinen Beinen ließ sich nicht ignorieren. Er hatte schon wieder geträumt ... schon wieder von ihm und er erwachte erregt, wie viel zu häufig in der letzten Zeit. Jedes Mal, wenn er seinen verbotenen Traum träumte ... Aber auch erholt, weil er von selbst erwacht war. Er hatte geschlafen, ohne geweckt zu werden. Was für ein Glück, dass Seth nicht hier war und sah, wie er beschämt die Nachwirkungen seines Traumes herunterdrückte. Allein der Gedanke ... Und doch überkam ihn sofort wieder dieses Gefühl, dieses innere Bild der himmelblauen Augen vor seinem Geiste. So frei wie er sich eben noch fühlte, so gefangen war er nur wenige Sekunden später. Dieses drängende Gefühl wurde er einfach nicht mehr los. Seit Jahren schon nicht und seit Seth bei ihm war noch weniger. Es war jeden Tag das Gleiche. Dieses traurige, drängende, sehnsüchtige, unterdrückte Gefühl ... es erschöpfte ihn und trieb ihn doch immer weiter, immer noch zu dem Wunsch nach mehr. Entzog ihm selbst in dem wenigen Schlafe noch die Kraft ... wie lange würde er noch die Kraft besitzen, so weiterzuleben? „Majestät?“ Also war doch jemand da. Es wäre ja auch ein Wunder, wenn er wirklich mal alleine sein sollte. Gut, dass er seine Scham sofort verborgen hatte. Wirklich allein war er selten und er wusste das. Es war niemals wirklich anders gewesen. „Penu.“ Er drehte seinen Kopf herum und erblickte ihn auf dem Fensterbrett sitzen. Wahrscheinlich hatte er Wache gehalten über des Königs Schlaf. Doch was ungewöhnlich war ... „Penu!“ staunte er mit großen Augen über die dünne Schriftrolle, welche er in seinen prankigen Händen hielt. „Seit wann kannst du lesen?“ Penu war ein Soldat und konnte nicht lesen, musste er gar nicht können. Er musste sein Schwert führen, das Lesen überließ man anderen Leuten als Soldaten. „Oh, nicht doch, mein König“ lächelte er und drehte die Rolle herum, zeigte sie offen seinem Herrscher und der sah ... ein Bild. Mit feinen Strichen war dort ein Löwe gemalt. Die Farben waren hell und wie ein Abbild der Natur selbst. Ungewöhnlich für den sonst eher stilisierten Zeichenstil im Reiche. Der goldgelbe Löwe saß auf einem großen Stein, blickte über sein Wüstenreich und ließ sich vom Wind seine dunkle Mähne verwehen. Ein Bild, welches zum Träumen einlud und so ungewöhnlich wie schön war. Ein Hauch von Freiheit. „Hübsch, nicht wahr?“ „Ja, sehr hübsch“ gab er freimütig zu. „Wo hast du es her?“ „Es lag hier auf Eurem Tisch. Ich wollte es nur forträumen, aber bin dabei ins Träumen geraten. Wusstet Ihr, dass man auf Schriftrollen auch zeichnen kann?“ „Ich hab noch nie ein Bild gesehen, welches so gezeichnet ist. Erstrecht nicht auf einer Rolle. Bitte frag doch den Besitzer, ob ich es ihm abkaufen kann, ja?“ „Natürlich, wir werden es in den Palast mitnehmen und in Eure Gemächer hängen.“ „Nein, nicht für mich“ lächelte er. „Ich möchte es Piatra schenken. Als ich kurz vor meiner Abreise mit ihr durch den Palast ging, strahlten ihre Augen als wir gemeinsam an einer Löwenherde vorbeigingen und sie zeigte voller Freude auf die schönen Tiere. Vielleicht freut sie ein so schönes Bild.“ „Wenn es von Euch geschenkt wird, ganz sicher“ lächelte auch Penu. „Was meinst du? Ob sie schon sehr gewachsen ist? Ob sie schon Zähne hat?“ „Bestimmt. Wir waren lange fort und Kinder werden so schnell groß. Die Prinzessin wird sich sicher freuen, wenn sie Euch zurückhat.“ „Ja ...“ seufzte er und strich sich verträumt sein Haar zurück. Als er den Palast verließ, war seine Tochter noch so klein, konnte weder sprechen noch laufen. Nun waren sie bereits Wochen fort von Daheim und er begann sich zu fragen, wie es seiner Familie wohl gehen mochte. Ob seine Kinder gesund waren und glücklich, ob seine Königin den Palast gut verwalten konnte und das Volk ihr huldigte. Er liebte seine Gattin und ihre gemeinsamen Kinder. Er liebte sie wirklich. Liebe ... er liebte sie, aber begehren tat er etwas anderes ... jemand anderes ... und er musste wieder seufzen. Warum nur führte jeder Gedanke zu Seth zurück? Egal, welche Richtung, welcher Gedanke, welcher Ort - alles führte ihn zu seinem verbotenen Traum. Seth ... wo war er eigentlich? „Penu?“ hob er erneut an. „Wo sind die anderen?“ „Ausgegangen“ antwortete er und rollte das Papyrus sorgsam zusammen, um es sicher zwischen die anderen Schriftrollen zu stecken, welche dort auf dem Tisch lagen. Der Raum war wirklich nicht besonders pompös, eher bäuerlich. Hellbraune Lehmwände ohne Zier und Schnörkel, dafür sehr gerade. Die niedrigen Wände waren mit Holzplatten zur Ablage behängt und gefüllt mit verschiedensten Dingen, Stoffballen, Nähzeug, Lampen, Vasen und auch Schriftrollen mit Schreibfedern. Für jeden etwas. Der eckige Tisch in der Mitte nahm fast den gesamten Freiraum ein und war umgeben von je einem Kissen an jeder Ecke. Diese wie auch die Bettdecke und das Schlafkissen waren aus beigem Stoff und ungeschmückt. Neben dem Bett ein Hocker und ein weiteres Regal, gegenüber dem Bett eine leere Wand und links von ihm das Fenster gegenüber der Tür. Sehr gewöhnlich, aber wüstentypisch. Dafür sauber und gepflegt. „Faari ist zum Schmied gegangen“ hörte er Penus Stimme am Rande, während er sich seinen Raum eingehender betrachtete. Dazu war er gar nicht wirklich gekommen, bevor er sich nur für einen kleinen Moment aufs Bett hatte legen wollen. „Fatil ist zum Viehhändler und Seth in den Stadttempel.“ „Und du bist hier geblieben“ ergänzte er in einem dankenden Ton. „Du wolltest doch auf den Marktplatz und sehen, ob du eine Frau kennen lernst. Stattdessen bleibst du hier bei mir.“ „Ihr seid mir lieber als jede Frau. Ihr schimpft nicht so viel“ zwinkerte er ihn aufheiternd mit kecken Augen an. „Aber ihr vergaßt, wir wollten gemeinsam auf den Marktplatz gehen. Ich warte nur bis die Majestät ihren Schönheitsschlaf beendet hat.“ „Na, viel Schönheit bringt das wohl heute nicht mehr“ lachte er. „Dann lass und gleich los, bevor es dunkel wird.“ Ein bisschen Ablenkung würde ihm vielleicht gut tun ... vor allem, weil ihm sein Herz sogleich wieder einen Streich spielte. Wie gern würde er Seths Hand greifen und mit ihm gemeinsam über den Marktplatz streifen? Die vielen Dinge bewundern, über die schallend rufenden Händler lachen und vielleicht einen Strauch Trauben kaufen, welche sie gemeinsam an einem schattigen Platz aßen ... und ihr Mahl mit einem Kuss besiegelten ... nur ein einziger Kuss ... nur ein Mal im Leben diese Lippen küssen ... ... nur ein Mal in diesem Leben ... Der Marktplatz war so gleich und doch so anders wie alle Marktplätze. Die Händler boten ihre Waren in verschiedenen Ständen und Plätzen an. Die reicheren Händler hatten Wagen, welche sie nur aufklappten und abends zusammengeklappt wieder wegfahren konnten. Die ganz erfolgreichen hatten ihre Läden in den kleinen Häusern am Rande, wo es kühl und somit leichter auszuhalten und die frischen Waren leichter zu lagern waren. Die etwas ärmeren breiteten ihre Waren auf dünnen Stoffdecken auf dem Boden aus und bewachten sie mit Adleraugen, damit keiner darauf trat. Und es gab kaum einen Wunsch, der hier offen blieb bei den vielen Handelsleuten. Buntes, knackiges Obst, welches in der Sonne glänzte und so schwer zu bekommen war hier inmitten der Wüste. Schöne Stoffe, über weich bis rau, grob und fein in allen Farben über weiß, blau, rot, gelb und selbst mit Gold und Silber durchwebt, erblickte er ein Kleid. Sehr teuer, vielleicht das teuerste, was es hier auf dem Markt gab, aber es würde seiner Königin sicher gut stehen. Und so zeigte er nur darauf und Penu verstand ihn sofort, führte den verhüllten König auf seinem Pferd langsam durch die Menschenmenge bis vor den offenen Stand, an welchem das teure Kleid zur Schau gestellt war. Sie ritten auf den Händler zu, welcher sie sofort wahrnahm. Natürlich. Ein Reiter auf solch einem edlen Pferd, in solch feinem Zwirn gekleidet und von einem kräftigen Soldaten geführt, das Gesicht von einem Schleier verhüllt - das versprachen gute Kunden zu sein. Und er selbst sah auch aus wie ein verschlagener Fuchs. Hoch und schmal gewachsen, verwuscheltes, kurzes, schwarzes Haar, lange, schlichte Kleidung, eine große Nase im Gesicht und funkelnde Augen, welche sich von seinem schmuddelig wirkenden Tagesbart abhoben. Ein Händler, der sicher im Feilschen ein Könner war. Man sah sofort seine Berechnung, aber sicher hatte er nicht umsonst einen Stand mit so teuren Dingen hier. Da musste er schon gut sein und auch sicher nicht besonders arm. „Guten Tag, Fremder.“ Penu wurde gar nicht weiter begrüßt, was der aber gewohnt war. Er führte das Pferd seines Herren und achtete auf seine Sicherheit. Sprechen aber tat man nur mit dem Mann, welcher AUF dem Pferd saß. „Guten Tag“ erwiderte der Pharao mit einem freundlichen Kopfnicken. „Was kann ich für Euch tun?“ „Das Kleid dort“ zeigte er auf das wunderbar gefertigte Stück. Bei näherem Betrachten war es sogar noch schöner. Es war lang, ohne Stoff über den Schultern und wurde von einem hellgrau gewebtem Band gehalten. Die Taille eng angelegt und dann bis zu den Knöcheln wallend herunter. Auch wenn es dort nur auf einem Stock hing, so konnte er seine schöne Königin bereits darin erkennen. Und mit dem Brustmuster aus grünen Edelsteinchen besetzt und den Verzierungen aus Gold und Silber am Saum, war es wirklich nur einer hohen Frau würdig. „Was soll es kosten?“ „Ihr interessiert Euch wirklich für dieses Kleid, Herr?“ lächelte der Händler und rieb sich schon die Hände. Ja, das sah nach einem guten Gewinn aus. „Es ist wirklich ein edles Stück. Fein verarbeitet, die Nähte schnurgerade, nicht ein Loch darin, nicht ein einziger Fleck.“ Er nahm den Stock aus der Wand und präsentierte es auf seinem Arm, um noch mal die Schönheit dieser Kleidung herauszustellen. „Seht nur, wie fein der Stoff in der Hand liegt. Die Edelsteine sind so rein, dass sich die Sonne darin wiederspiegelt. Die Muster hier am Saum zu Ehren der großen Bastet sind der Traum einer jeden Frau. Ihr beweist Geschmack mit Eurer Wahl.“ „Danke. Sag mir, was soll es kosten?“ „Nun ja.“ Der Händler wusste, dass der Preis horrende war. Nicht ohne Grund hatte er es bis jetzt noch nicht verkauft. Für die meisten Leute, war solch eine Kunst unerschwinglich. „Ihr solltet auch hier die Rückseite sehen!“ Er drehte es um und zeigte den weiten Ausschnitt, welcher den schönen Rücken seiner Frau nur unterstreichen würde. An den vernähten Rändern erneut das gold-silberne Muster, so geschwungen und zart. „Jede Frau wird hierin zu einer Königin und der Anziehungspunkt eines jeden Festes. Ein wirkliches Edelstück in jeder Sammlung. Der Besatz ist aus purem Gold und auch das Silber ist echt. Beides aus Minen, welche weit im Süden zu gutem Ruf gekommen sind. Genäht in langer Handarbeit feinster, liebevollster Schneiderhände. Ich bin mir sicher, dieses Stück hat nur darauf gewartet, dass Ihr es einer ebenso schönen Frau zum Geschenk macht, welche würdig ist, es mit Stolz zu tragen.“ „Ja, sieht so aus.“ Unter dem Schleier konnte man es nicht sehen, aber man hörte den König lächeln. Der Händler legte es wohl wirklich darauf an, seine Ware im besten Licht zu präsentieren, bevor er einen völlig überteuerten Preis nannte. „Mein Herr, sagt mir. Ist dieses Kleid für eine bestimmte Frau gedacht?“ „Oh ja, das ist es.“ Für die Königin von Ägypten. „Für eine Eurer Frauen oder für Eure Geliebte?“ „Für meine einzige Frau“ antwortete er. „Es würde sie sicher freuen, dieses Kleid zu bekommen. Was willst du dafür haben?“ „Nun, in Anbetracht, dass es für Eure einzige Frau ist“ überlegte er. „Ist sie denn schön?“ „Ja, sie ist die schönste Frau im Reiche.“ Und seiner Meinung nach übertrieb er damit nicht. Die junge Königin Abunami war mit ihrer Schönheit in jedermanns Munde bekannt und wurde hoch verehrt. Sie hatte Liebreiz, viel Intelligenz und dem Reich einen Erben geschenkt, sowie ihrem Gatten eine wunderschöne Tochter. Natürlich war sie die wundervollste Frau in ganz Ägypten. „Nun, für die schönste Frau des Reiches“ schmunzelte der Händler und Penu fasste sich innerlich nur an den Kopf. Sein König war nicht gut im Feilschen und wenn er sofort preisgab, dass er so verliebt war, dass er dieses Kleid um jeden Preis haben musste, legte er seine Chancen gleich schlecht aus. Und das wusste auch der Händler, nicht umsonst fragte er erst nach, bevor er den Preis nannte. „Acht Goldstücke, mein Herr. Das ist nicht zu viel für die schönste Frau und ein solch edles Kleid.“ Penu war zwar nicht schlau, aber er sah sofort, dass dieses Kleid nicht mehr als vier GoldMÜNZEN wert war. Sicher war das noch immer teuer, aber acht Goldstücke waren zu viel. Da musste der Pharao aber gut feilschen, um den richtigen Preis zu haben. Erst mal musste er auf Münzen herunterfeilschen, über GoldSTÜCKE ließ sich doch schon mal gar nicht sprechen. „Das ist zu viel“ lehnte der König naturgemäß erst mal ab. „Sag mir einen niedrigeren Preis. Acht Goldstücke ist fast frech.“ „Das ist überhaupt nicht frech. Seht nur, wie fein es verarbeitet ist. Wie säuberlich die Edelsteine aufgenäht sind. Man sieht kaum den Faden und der Schliff ist einmalig. Und der Stoff erst. Hier berührt es ein Mal. Er ist weich und doch kräftig genug um großen Tänzen standzuhalten. Aber weil ich euch so mag“ nickte er. „Sieben Goldstücke und sechs Silberdukaten.“ „Das ist immer noch zu viel“ beschloss er eindringlich. „Ich mag dich auch, deswegen gebe ich dir vier Goldstücke und zwei Silberdukaten.“ Penu musste sich zusammenreißen, um ihm nicht ins Wort zu fallen. Der König spielte doch viel zu hoch! Der Händler hatte doch schon gewonnen! Und der schaute auch einen Moment ziemlich überrascht, wischte sich den siegesreichen Ausdruck aber sofort wieder weg. Musste ja nicht sofort jeder sehen, dass er schon jetzt das beste Geschäft seines Lebens abgeschlossen hatte. „Mein Herr“ grinste er ihn wohlwollend an. „Vier Goldstücke für so ein edles Stück? Seid nicht so grausam. Ich biete euch Sieben Goldstücke ohne Silber.“ „Fünf ohne Dukaten.“ „Sieben, weiter kann ich unmöglich gehen.“ „Nein, fünf. Das ist mehr als genug.“ „Mein Herr, sechs Goldstücke und drei Goldmünzen.“ „Fünf, es bleibt dabei.“ „Ihr treibt mich noch in den Ruin. Was soll ich meiner Frau sagen und meinen fünf Kindern? Sie wollen doch auch essen!“ Penu konnte es kaum glauben. Jetzt kam der Händler auch noch mit dem Frau-und-Kinder-Argument. Er hatte den Gewinn schon im Sack und wollte trotzdem noch mehr. Das war eindeutig frech! DAS musste der Pharao doch wohl merken! „Nun gut. Sechs Goldstücke, aber nicht ein bisschen mehr.“ Er roch den Braten nicht. Er konnte ein Reich führen, aber er konnte eindeutig nicht feilschen. „UND zwei Goldmünzen“ setzte er seinen Preis schnell noch mal hoch. „Mein Herr, sechs Goldstücke und zwei Goldmünzen. Denkt doch an Eure schöne Frau. Wie wundervoll sie in diesem Kleid aussehen wird. Wie dankbar sie Euch sein wird. Ihr wollt sie doch in diesem Stoff sehen, nicht wahr?“ „Nun gut, sechs Goldstücke und eine Goldmünze. Das ist mein letztes Wort.“ „Ihr seid ein harter Gegner“ lachte er und reichte ihm die Hand, um den Handel zu besiegeln. „Ihr habt mich besiegt, mein Herr. Glückwunsch.“ „Ich danke dir“ nickte er und reichte ihm seine königliche Hand vom Pferd herunter, um ihren Kaufvertrag zu besiegeln. Ja, er dachte, er hätte ein gutes Geschäft gemacht und der Händler dachte das auch ... nur eben, dass nur einer von beiden jetzt einen Gewinn gemacht hatte. „Bitte pack das Kleid doch gut ein, ja? Wir haben noch einen langen Weg vor uns.“ „Natürlich, das tue ich gern für einen Edelmann wie Euch“ schmeichelte er und hielt sein freudiges Kichern zurück. Mit dem vielen Gold konnte er sich allein ohne erlogene Frau und Kinder sicher für eine Weile zum Müßiggang geben. So ein reicher Mann und so schlecht im Feilschen - das war ein Glücksgriff. „Penu, bezahlst du den Mann, bitte?“ Und der hielt einfach den Mund. Man redete dem Pharao nicht rein, vor allem nicht, wenn er sah, dass sein König wohl doch einen Gewinn gemacht hatte. Es war kein finanzieller Gewinn, aber seine Augen hatten für einen kleinen Moment ihre Trauer verloren. Er schaute in den letzten Wochen häufig so leer, abwesend und so unendlich allein gelassen. Aber das Feilschen hatte ihm Spaß gemacht und er freute sich, dass er für sich einen guten Preis erzielt hatte und gleichzeitig noch ein schönes Geschenk für seine Königin. Der Händler hatte seinen Gewinn und der Pharao auch - am Ende hatten sie doch beide gewonnen. Penu kramte die länglichen Goldstücke und -münzen aus dem kleinen Beutel, welche zwar er am Gürtel trug, der aber eigentlich dem Pharao gehörte und er den hohen Besitz nur verwahrte. Das war, um seinen Herren vor diebischen Angriffen zu schützen. Er übergab sie dem strahlenden Händler in seine langen Finger und nahm dafür das teure Kleid entgegen. Es tat ihm zwar etwas weh, so viel zu bezahlen für ein Kleid, welches nicht mal die Hälfte wert war, aber er verdarb seinem König nicht die Freude darüber. Schnell brachte der Handelsmann seine Beute in Sicherheit und Penu verstaute den guten Stoff in den Satteltaschen des weißen Königspferdes. Doch eines konnte er sich dann bei aller Liebe nicht verkneifen, als sein König sich vom Händler mit einem freundlichen Kopfnicken verabschiedet hatte. „Nun, mein Pharao. Wo möchtet Ihr denn nun gern schauen?“ fragte er ganz unschuldig und trieb den armen Händler damit alsgleich in schwere Drangsal. „Ich hab da vorne eben etwas gesehen. Lass uns da mal bitte schauen, Penu.“ „Pharao ...?“ hörte er ihn nur flüstern als er das Pferd des Königs umdrehte und ihn durch die Menge davon führte. Und der Händler? Tja, der lebte nun mit der Tatsache, dass er den Sohn der Götter übers Ohr gehauen hatte - da musste er wohl demnächst im Tempel mal schwer Buße tun. Kapitel 28: ------------ Kapitel 28 Er führte seinen Pharao eine Weile auf dem Markplatz umher und zeigte ihm voller Elan die vielen bunten und schönen Dinge hier, um ihn auch weiter ein wenig abzulenken, über was auch immer er nachdachte. Und doch sah er die kurze Aufhellung schnell wieder vergangen. Nach nur wenigen Momenten der Freude und einem schnellen Kauf eines aus Holz geschnitzten Pferdes für den Prinzen Daheim, kehrte die alte Traurigkeit, die ewige Verträumtheit in seinen Ausdruck zurück. Er ließ seinen Blick über die vielen Menschen und Dinge schweben und schien doch kaum etwas davon wirklich wahrzunehmen. Seine Gedanken waren ganz woanders und er überhörte das vorsichtige Fragen seines Soldaten einfach. Nicht aus Unhöflichkeit, sondern einfach, weil er innerlich im Moment ganz woanders war. Was konnte es nur sein, dass es den sonst so überlegten Pharao so abwesend träumen ließ? Was sagte dieser sehnsüchtige Blick in seinen herrschaftlichen Augen? Was war es nur, was sein Herz forderte und selbst ein etwas stumpfer Mensch wie Penu dieses wortlose Bitten sehen konnte? Doch ihn danach fragen, konnte er nicht. Es wäre nicht nur unhöflich, sondern auch über seine Befugnisse hinaus. Wenn er etwas zu besprechen hatte, dann tat er das meist mit Fatil, wenn er einen Freund oder mit Seth, wenn er einen Mann der Götter brauchte. Mit einem Soldaten würde der König niemals die Dinge besprechen können, von welchen das Wohl des Reiches abhing. Denn das wusste letztlich jeder: Von der Stimmung des Königs wurde alles im Lande Ägypten gelenkt. „Penu?" „Ja, mein Pharao?" horchte er sofort auf, als er nach Minuten des Schweigens seinen Namen vernahm. „Was ist das für ein Haus dort?" Er zeigte auf ein rotgelb geziertes Haus am Rande des Marktplatzes. Es lag etwas entlegen an einer Ecke und davor war etwas weniger Gedränge. Dafür aber hatte es drei Stockwerke und mit dieser bunten Bemalung stach es doch ein wenig hervor, auch wenn es ganz in einer ruhigen Ecke lag. „Nun ..." überlegte nun auch Penu, dem dieses Haus auch schon ins Auge gefallen war. „Ich sehe dort seit einiger Zeit Männer ein- und ausgehen und eben auch ein auffallend hübsches Mädchen." Er führte seinen Pharao langsam durch die wabernde Menschenmenge darauf zu und erkannte es dann doch sofort. „Seht ihr das Zeichen über der Tür?" „Ja, dieses dreizackige schwarze" nickte er gleich. „Was bedeutet das?" „Majestät, Ihr könnt es nicht wissen, denn Ihr seid niemals da gewesen. Dieses Haus ist ein Freudenhaus." „Ein Freudenhaus?" „Ja, Ihr wisst schon" druckste er bei seiner nun doch etwas geflüsterten Erklärung dafür. „Ein Haus für ganz gewisse Freuden." „Ach, ein Freudenhaus" wiederholte er aufgeklärt. „Aber das Freudenhaus in der Hauptstadt trägt ein anderes Zeichen." „Das liegt daran, dass wir hier in der Wüste sind. Dieses Haus ist nicht so groß wie jenes bei uns Zuhause. Das Zeichen beschreibt, wie viel geboten wird und wie hoch die Preise sind. Es bedeutet die Qualität." „Ach ..." Das hatte er nicht gewusst. Er dachte, es gäbe nur dieses eine Zeichen für diese Art von Häusern. Dass es aber von der Größe und dem dortigen Angebot abhing, das hatte er nicht gewusst. Woher auch? Seine Lustsklaven kamen zu ihm und er ging nicht in ein solch öffentliches Gebäude. Und über Preise wusste er dort auch nicht viel. Er wusste aber, dass sich die Bordelle darin unterschieden, wie teuer sie waren. Das war wichtig und wurde auch von offizieller Stelle so gut es ging für die Kundschaft gelenkt. Ein billiges Haus versprach schnellen Sex für wenig Münzen, aber häufig auch kranke und ungebildete Sklaven, schlechtes Essen und schmutzige Räume. Ein teureres Haus bot im Mindestfalle ein sauberes Bett und achtete auf die Gesundheit der dort arbeitenden Lustsklaven. Es war wichtig, dass man wusste, worauf man sich einließ, um sich nicht unwillentlich eine Krankheit einzufangen. Zwar hatte der Palast erlassen, dass es einen gewissen Standard für die Sklavenhaltung geben sollte, aber leider wurde sich nicht immer daran gehalten, weil die Gesetze hierfür noch zu neu waren. Deshalb der Übergang durch die Kennzeichnung über den Eingangstüren. Somit waren indirekt auch die Bürger aufgerufen, schlechte Häuser mit kranken Sklaven zu meiden und somit in hoffentlich einigen Jahren diese Art von unwürdiger Menschenarbeit auszurotten. Nur eines von vielen Projekten, welche dem Pharao persönlich sehr am Herzen lagen. „Und?" fragte er auch etwas leiser weiter. „Ist dieses Haus ein gutes oder ein schlechtes?" „Ein gutes" antwortete Penu ihm. „Die Sklaven sind nicht wirklich gebildet, aber sie sind sauber und gesund. Sie leben dort auch und nicht auf der Straße. Das ist es, was das Zeichen sagt." „Aha ... woher weißt du das so genau?" „Majestät ..." Da wurde der Gute doch etwas berührt rot um die Nase. „Ihr wisst doch ... ich habe keine Frau Zuhause." „Ach so. Natürlich." Okay, Penu kannte sich bei so was also aus. Warum auch nicht? Er bekam als Soldat beim König einen guten Sold und hatte weder Frau noch Kind zu ernähren. Er war viel unterwegs und letztlich war auch er nur ein Mann mit gewissen Bedürfnissen. Ein Bordell zu besuchen, war keine Schande. Und eigentlich ... „Ich möchte dort hinein." Er wurde noch verrückt. Solche Sachen wie die Peinlichkeit vor Seth heute Morgen durfte einfach nicht noch mal passieren. Und auch vorhin war er wieder mit dieser Scham erwacht. Vielleicht würde eine Stunde mit einem Lustsklaven ein wenig Abhilfe schaffen und ihm wenigstens ein wenig Erleichterung für die Weiterreise geben. „Ihr wollt ... dort hinein?" flüsterte Penu noch mal etwas leiser. Konnte ja sein, dass er sich verhört hatte. „Majestät ... wir können auch zurück in die Herberge gehen und ich bringe Euch einen Sklaven. Ihr müsst nicht dorthin." „Ich will es aber" wiederholte er entschieden. Nur nicht in der Herberge. Seth hatte sein Zimmer doch ganz in der Nähe. Wenn er sah, wie Atemu sich einen Lustsklaven kommen ließ, einen Menschen, welcher ähnliches Leid wie er selbst erduldet hatte ... nein, er wollte nicht sehen, wie enttäuscht er blicken würde. Das würde nur wieder Erinnerungen lostreten, welche er nicht haben sollte. Seth sollte nicht sehen, wie unwürdig sein großer Retter war, dass er solchen Nöten nachgeben musste. Er hatte schon heute Morgen den Zwang verspürt, unheilig zu handeln. Wenn Atemu ihm nun noch einen Sklaven vorführte ... nein, er wollte nicht in Seths Augen blicken und ihm das erklären müssen. Langsam führte Penu das Pferd und seine teure Last an den Rande des Marktplatzes, wo der Pharao dann abstieg und die letzten Meter neben seinem Soldaten herging bis sie vor der großen Eingangstür Halt machten, welche einladend geöffnet war. Heraus drangen Töne eines ruhigen Gesprächs und ein guter Duft von Wasser und Ölen, von Blumen und kühler Luft, getragen von ein wenig leiser Flötenmusik. Die Schwelle der Tür war gut gefegt und es lag kein Müll herum. Ja, es sah aus, als wäre dies ein gepflegtes Haus. Penu band das Pferd an den Balken davor, als sogleich ein dünner Junge in dunkelgrauem Rock und etwas zu großem Wickelhemd herausgelaufen kam. Sein dunkles Haar ganz kurz geschoren und sein junges Gesicht ein wenig eingefallen, was seine tiefbraunen Augen nur noch größer scheinen ließ. Er blieb direkt an der Türschwelle stehen und verbeugte sich tief vor den zwei Gästen. „Guten Tag, werte Herren" sprach er voller Ehrerbietung. „Möchtet Ihr unser Haus besuchen?" „Ja, das möchten wir gern" sprach Atemu für sich selbst etwas erschrocken über das junge Alter. „Arbeitest du dort etwa?" „Oh ja!" nickte er sofort eifrig. „Seit einigen Tagen. Ich darf die Pferde, Esel und manchmal auch Kamele anbinden und auf sie aufpassen." „So ist das also." Er seufzte erleichtern auf, dass dieses Kind also nicht zu den Lustsklaven gehörte. Schlimm genug, dass es überhaupt erzwungene Lustsklaverei gab, aber Kindersklaverei war in dieser Sparte vom Palast streng verboten und wurde mit schwersten Strafen belegt. „Dann nimm mal unser Pferd, Junge" bat Penu und ließ sich von dem eifrigen Diener die Zügel aus der Hand nehmen. „Wie heißt es denn?" wollte der Junge aufgeregt wissen. „Eine sie" berichtigte Atemu freundlich. „Idema heißt sie. Gefällt sie dir?" „Ja, eine schöne Stute. Ich werde gut auf sie aufpassen und sie tränken. Soll ich ihr auch etwas Futter geben?" „Ja, tu das" lachte Atemu und hatte sein Herz sofort an diesen Jungen verschenkt. Er wusste nicht, wo er herkam, dass er seit kurzer Zeit im Freudenhaus arbeitete, aber er schien viel Freude an seiner Arbeit zu haben. Auf die Reittiere der Kunden aufpassen, war eine gute Arbeit für ein Sklavenkind. Und dass er ein Sklavenkind war, war nicht zu übersehen. In manchen Teilen des Landes wurden bis vor einiger Zeit noch niedere Sklaven, Sklavenkinder von Sklaven geboren, mit Narben an der Hand gekennzeichnet. Es war zwar mittlerweile verboten, aber dennoch gab es viele Menschen, welche so für ihr ganzes Leben verdammt waren. Und dieser Junge trug die typischen Narben in Form eines Kreuzes auf beiden Handrücken. Also war er schon als Sklave in diese Welt geboren. Auf ein Nicken des Pharaos hin gab Penu ihm eine kleine Silbermünze in die Hand und fing sich sofort einen überraschten Blick der großen, dunklen Kinderaugen ein. „Im Voraus für deine Arbeit" erklärte er. „Pass gut auf das teure Pferd auf." „Habt vielen Dank, werte Herren!" dankte er lautstark und kniete sich sogar auf dem Boden vor Penu nieder. „Vielen Dank!" „Gern geschehen." Penu hob den Jungen von dem staubigen Boden auf und klopfte ihm kumpelhaft auf die Schulter. „Vielen Dank" sagte er auch ergeben zu Atemu herüber, dessen Lächeln er unter dem Schleier gar nicht sehen konnte. „Schon gut" beschwichtigte der mit seichter Stimme. „Kommst du, Penu?" Der ließ den Sklavenjungen beim Pferd stehen und war sich sicher, dass er bestimmt gut für das königliche Tier sorgen würde. Er folgte seinem Pharao durch die offene Tür und stand gemeinsam mit ihm in einem großen Saal. Von draußen vermutete man gar nicht, die Größe hinter diesen Mauern. Die Fenster waren mit dünnem, lichtdurchlässigem Stoff vor neugierigen Blicken geschützt und in sicherem Abstand verteilt, fanden sich Sitzgruppen mit dickholzigen, kreisrunden Tischen und ebenso aufgeplustert gepolsterten Sitzkissen. Die Wände waren mit schönen Blumenranken im typisch ägyptischen Stil bemalt und die Farben waren ebenso gedämpft wie die Musik des Flötenspielers hinten in der Ecke. Alles wirkte sehr ruhig, einladend und gemütlich, direkt kuschelig. „Guten Tag, meine Herren." Sie standen kaum drei Sekunden an der Tür und blickten sich um, da kam ihnen auch schon eine Frau entgegen. Nicht besonders groß, ein wenig mollig, aber durchaus hübsch anzusehen. Ein paar Falten an den Augen und den Mundwinkeln zeigten, dass sie viel lächelte und ihre dunkelgelbe Kleidung passte sehr schön zu ihren aufwendigen Augenbemalungen. Das dicke, schwarze Haar kunstvoll zusammen- und hochgesteckt und mit einem Ring aus festem Webstoff gesichert und verziert, wie auch ihre Arme und Füße von ähnlich gefertigten Bändern geschmückt wurden. „Guten Tag" nickte Atemu sie freundlich an. „Willkommen in unserem Haus" lächelte sie und machte eine höfliche Verbeugung vor den beiden. „Womit kann ich Euch behilflich sein?" „Gibt es eine Ecke, wo wir ungestört sprechen können?" bat Penu, als er sah, dass der Pharao seinen Schleier abnahm und damit diese kleine Bitte von selbst erklärte. „Nein" hauchte sie ganz überwältigt bei diesem Anblick. „Seid Ihr der Pharao?" Auch sie erkannte ihn sofort, selbst wenn noch etwas unsicher. Die meisten kannten seine Beschreibung und hatten schon Bildnisse von ihm gesehen. Statuen und Skulpturen waren zu seiner Krönung überall aufgestellt worden, sodass jeder das Antlitz des Herrschers im Herzen trug und schon mal irgendwo gesehen hatte. Doch natürlich sah der König lebendig etwas anders aus als eine Steinstatue. „Der bin ich" antwortete er beruhigend. „Und dein Name ist?" „Paneferher" antwortete sie und küsste die gereichte Hand ihres Königs voll Untergebung. „Es ist mir die größte Ehre, Euch begegnen zu dürfen, mein Pharao." „Ich freue mich auch sehr, Paneferher" wiederholte er höflich ihren Namen und zeigte sich so volksnah wie immer. „Und mein Begleiter hier heißt Penu. Mein Leibwächter und Freund." „Penu?" Und das war die typische Reaktion. Dieser Name passte einfach nicht auf einen stämmigen Mann, der kräftig gebaut war wie ein Zuchtbulle. „Auch Euch ein herzliches Willkommen, Penu" erbrachte sie dann aber doch mit einem höflichen Kopfnicken. Dass er nicht von Adel war, zeigten seine schwere Kleidung und das Zeichen auf seiner Schwertscheide sofort, aber dennoch empfing sie ihn so höflich wie jeden ihrer Gäste. „Bitte folgt mir." Sie ging voraus und schnippte mit dem Finger zur Seite zu zwei in leichten, orangenen Stoff gekleideten Mädchen, welche an der Seite standen und wohl nur auf einen Befehl warteten. Sie liefen voraus und zogen gemeinsam eine Konstruktion aus zusammenfaltbarem Holz aus der Wand. Auch dieses helle Holz war mit den gleichen, sanften Blumenmustern geschmückt und schied eine Sitzecke von den anderen ab. Noch bevor die Gäste im Schlepptau angekommen waren, verschwanden die Mädchen bereits mit wehendem Haar und hatten in aller Eile ein wenig Privatsphäre in diesem Saal hergestellt. Wirklich intelligent gemacht, diese Aufteilung. „Bitte, nehmt doch Platz, Majestät." Sie bot ihm eines der dicken Kissen an, auf welchem der wohl höchste aller Gäste sich niedersetzte, sein Leibwächter direkt daneben und schon waren die beiden Mädchen wieder da und stellten ihnen mit tiefer Verbeugung jeweils einen Kelch mit Wasser auf den Tisch. Und auch diese Mädchen waren hübsch anzusehen. Keine Kinder mehr, aber Frauen auch noch nicht. Ihre bemalten Augen und die Lippen unterstrichen ihre zierlichen Gesichter und der leichte Stoff ihrer Gewänder schmeichelte der noch leicht kindlichen Figur. Dies hier war wirklich eine neue Erfahrung für den König. Er machte sich viele Gedanken über die Freudenhäuser, aber selbst in einem gewesen, war er noch niemals. Er wusste nicht mal, ob diese Mädchen nun Lustsklaven oder einfach Dienerinnen waren, da er ihre Hände so schnell nicht hatte sehen können. Und wenn er etwas nicht wusste, fragte er frei heraus. Egal, was es war. „Sag mir, Paneferher, arbeiten diese Mädchen für dich als Dienerinnen?" „Ja, nur als Dienerinnen" bestätigte beruhigend. „Wir halten uns an die Richtlinien, welche vom Palast gegeben werden. Unsere Lustsklaven hier sind erwachsen, werden gut versorgt und ebenso gut behandelt. Ihr fragt sicher auch wegen des kleinen Efrabtep, welcher Euch draußen bestimmt begegnet ist?" „Ja. Er achtet auf die Reittiere?" „So ist es. Wir hatten vor einigen Wochen einen Sklavenhändler hier, der Kinder mit sich führte. Unser Stadthalter Abu Saphrem aber ist sofort eingeschritten. Nach dem Gesetz ist es verboten, Sklavenkinder ohne ausreichend Versorgung durch die Wüste zu führen und die Jungen und Mädchen waren wirklich bei schlechter Gesundheit. Der Händler wurde sofort festgenommen und in die nächstgrößere Stadt zu Gericht geführt. Die Sklavenkinder haben dann hier bei uns eine Unterkunft und Arbeit gefunden. Fünf Jungen und drei Mädchen. Eines der Mädchen ist leider kurz nach ihrer Ankunft gestorben, aber die anderen haben sich gut erholt und sind nun für mich tätig, wie ihr seht. Ich habe auch die entsprechende Erlaubnis, sie hier halten zu dürfen. Die Mädchen sind nun Dienerinnen, vier der fünf Jungs arbeiten in der Küche oder lernen ein Handwerk, damit wir sie später, wenn sie erwachsen sind, gut beschäftigen oder weiterverkaufen können. Und der Jüngste unter ihnen hat eben die Möglichkeit, seine Tierliebe als Tagewerk zu verrichten." „Dann hast du eine gute Tat getan, sie hier aufzunehmen" stellte Atemu beeindruckt fest. „Und ihr?" wand Atemu sich zur Seite den beiden dort stehenden Mädchen zu, welche schüchtern zurückblickten. „Geht es euch gut hier? Werdet ihr gut behandelt?" „Ja, sehr gut" antwortete die linke leise. „Wir sind der Herrin Paneferher und dem Herren Shemai sehr dankbar, dass sie uns aufgenommen haben. Sie sind sehr gütig." „Dann ist es gut" lächelte er der molligen Herrin zu. „Shemai ist dein Mann?" „Ja" antwortete sie gleich. „Wir führen dieses Haus seit fünf Jahren hier gemeinsam. Wir und unsere Sklaven haben ein gutes Auskommen, da wir mehr sind als nur ein Bordell. Wir bieten auch Getränke und Speisen an, wie eine Gaststätte. Dies wird von den Bürgern gut angenommen. Besonders aber natürlich von den Männern, welche hier manchmal sogar Stammgäste werden. Mein Mann ist zurzeit auf einer Reise, deswegen müsst Ihr leider mit mir Vorlieb nehmen." „Vorlieb" wiederholte er belustigt. „Du meinst, weil du eine Frau bist? Ich halte viel von geschäftigen Frauen wie dir. Du hast meinen größten Respekt." „Zu viel der Ehre, Majestät" dankte sie und neigte ihren Kopf tief herunter. Nur langsam erhob sie ihn wieder und blickte ihn höflich an. „Bitte entschuldigt meine Frage, aber seid Ihr nur hier, um zu schauen oder kann ich Euch etwas mehr anbieten?" „In der Tat, ich bin schon wegen eines Sklaven gekommen" gab er freimütig zu. Weshalb sollte er auch eine Hehl darum machen? Es war ganz legitim, dass er auch als verheirateter Mann nach anderen Betten suchte. Und als Pharao ohnehin. „Und Ihr, Penu?" fragte sie auch ihn. „Kann ich auch Euch etwas anbieten?" „Ich?" SCHOCK! Doch nicht vor seinem König! Außerdem hatte er eine Arbeit zu erfüllen. „Ich habe gar keine Zeit. Ich bewache selbstverständlich die Tür." „Natürlich, verzeiht" lächelte sie und blickte wieder den Pharao an. „Aber Herrin" sprach das Sklavenmädchen mit leiser Stimme. „Die Zimmer sind alle besetzt und ..." „Natürlich sind sie das nicht" unterbrach sie sofort streng. „Für den Pharao wird getan, was wir können. Dann weist dafür einen anderen Kunden ab. Geh und bereite unser Mondscheinzimmer für ihn." „Ja, Herrin." Und sofort verschwanden die kleine Sklavin, während die andere brav stehen blieb und darauf wartete, ob sie noch etwas tun konnte. „Dein Haus läuft wohl gut, was?" „Ja, wirklich" nickte sie. „Aber heute haben einige Sklaven eine Ruhepause. Bis in die frühen Morgenstunden hatten wir eine Händlerkarawane hier und jetzt sind meine Sklaven müde. Aber für Euch unterbricht sicher jeder gern seinen freien Tag." „Sklaven mit einem freien Tag. Ich bin beeindruckt" sprach er anerkennend. „Aber deine Sklaven haben auch das Recht, einen Freier abzulehnen?" „Natürlich ganz wie der Palast es vorschreibt" versprach sie. „Aber diesen Fall hatten wir noch nicht. Betrunkene, Aggressive oder Kranke werden gleich abgewiesen. Wir sind ein gutes Haus und wollen unseren Ruf behalten. Nun, Majestät, an was hattet Ihr gedacht? Was trifft Euren Geschmack? Mögt ihr zierliche Frauen oder eher rundlich? Hell oder dunkel? Zärtlich oder eher harsch? Ein Rollenspiel vielleicht? Oder habt ihr einen eigenen, ausgefallenen Wunsch an meine Mädchen?" „Um ehrlich zu sein" sprach er doch etwas bittender. „Hast du vielleicht auch einen Mann?" „Einen Mann, Majestät? Nun ja ... ja, wir haben einen" antwortete sie doch sichtlich überrascht. „Er wird eher selten gefordert, aber wir haben einen." „Gut. Wie sieht er aus?" „Normal würde ich sagen. Er ist sauber und gesund. Dunkles, schulterlanges Haar, tiefbraune Haut. Er ist nicht schwach, aber besonders muskelbepackt ist er auch nicht. Ein Durchschnittsmann. Tutusah, lauf los und hol Werin her, damit der Pharao ihn ansehen kann." „Nein, warte" bat er und stoppte das Mädchen gerade noch, bevor sie in aller Eile verschwinden konnte, um den einzigen, männlichen Sklaven zu holen. „Ich habe da etwas bestimmtes im Kopf" schilderte er der guten Paneferher. „Ich möchte einen Mann haben. Stark soll er sein, muskulös und athletisch. Und groß, sehr groß. Schlank sollte er auch sein und brünettes Haar, nicht zu lang. Und am liebsten blaue Augen. Eine weiche, gebräunte Haut. Stolz soll sein Gang sein und sein Wesen gebildet. Hast du so einen?" „Es tut mir leid, ich glaube, ich muss Euch enttäuschen" seufzte sie und bedauerte dies wohl wirklich zutiefst. „An Frauen kann ich Euch alles bieten, aber Männer sind nicht besonders gefragt. Der Großteil unserer Kundschaft ist ja selbst männlich." „Ich verstehe." Das stimmte ihn nun doch traurig und enttäuscht. Aber was hatte er sich denn vorgestellt? Dass sie einen Ersatz für seinen Traum hier hatten? Dass es wirklich jemanden geben konnte, der ihn imitieren konnte? Nein, jemanden wie ihn gab es nur dieses eine Mal. Und den fand man eher im Tempel als in einem Freudenhaus. ... zum Glück. „Aber vielleicht habe ich eine Idee" schlug sie vor. „Tutusah, lauf rüber zu Menhet und frag, ob er uns seinen Sklaven leiht. Sag ihm nicht, für wen. Bring ihn einfach her." „Ja, Herrin." Jetzt aber beeilte sie sich, lief so schnell sie konnte fort und tat, was ihr befohlen wurde. Die Sklavenkinder hier waren wirklich sehr engagiert und führten alle ihre Arbeiten mit Schnelligkeit und Präzision aus. Sie wussten, dass sie es hier gut hatten und sie würden alles tun, um bleiben zu dürfen. Dieses Haus war für Sklaven scheinbar wirklich ein Glücksgriff, selbst wenn Bordelle im Allgemeinen einen eher fraglichen Ruf besaßen. „Unser Stadtaufseher Menhet hält sich einen Sklaven" erklärte sie dem Pharao. „Er hat ihn einst als ausgebildeten Lustsklaven erworben und viel Gold für ihn bezahlt. Nun behandelt er seinen Dengar fast besser als seine zwei Frauen. Er verreist mit ihm und man sagt, er würde ihn auch in kaufmännischen Dingen beraten. Er ist heute mehr Gesellschafter als Lustsklave, aber vielleicht leiht er ihn für Euch." „Dengar" wiederholte er unsicher. „Er behandelt ihn gut?" „Sehr gut. Wie gesagt, sind seine Frauen manchmal schon eifersüchtig auf ihn." „Aber ich will ihn nicht" beschloss er. „Was ist, wenn er seinen Dengar liebt?" „Liebt? Majestät!" Das riss sie doch zu einem entrückten Lachen hin und sie musste sich die Hand vor den Mund halten, um ihre Belustigung zurückzudrängen. Es war einfach das alte Bild in den Köpfen der Menschen - Sklaven waren Sklaven und keine Menschen. „Entschuldigt, mein Pharao" gluckste sie und seufzte ihn grinsend an. „Einen Lustsklaven lieben. Nein, ich glaube, das wird er so wenig tun wie wohl alle anderen Menschen auch." „Aber Sklaven sind auch Menschen." Was sie darauf sagen sollte, wusste sie wohl auch nicht so recht. Sklaven und Menschen? Na ja ... menschenähnliche Wesen vielleicht. Selbst wenn sie Menschen waren, so waren sie anders, geringer. Natürlich sollte man sie gut behandeln, sie nicht kränken oder schlagen. Aber sie lieben? Ging so etwas? Einen Sklaven lieben? Man konnte sie mögen, vielleicht auch sehr mögen, aber Liebe zu seinem Sklaven empfinden? Sklaven liebten einander und Menschen liebten einander. Niemals liebte jemand über diese Grenzen hinweg. Vielleicht liebte der Sklave seinen Meister insgeheim manchmal, aber diese Liebe war wenig wert und bedeutete nichts. Atemu sah in ihrem Gesicht ein Mal mehr diesen langen Weg, die Brücke welche noch nicht fertig geschlagen war zwischen zwei Ufern. Es war einfach, Gesetze zu erlassen - aber es war schwer, die Meinung in den Köpfen zu verändern. Selbst wenn Paneferher ihre Sklaven gut behandelte, so waren sie letztlich doch nur Sklaven für sie. Vielleicht mochte sie ihre Sklaven sogar, aber lieben? Liebe konnte man doch wohl nicht zu einem Sklaven empfinden. „Nun ja ..." Dem Pharao widersprach man nicht, aber so ganz nachvollziehen konnte sie seine Meinung ebenso wenig. Er blickte sie so ernst an ... sie hatte doch den König hoffentlich nicht verärgert mit ihrem Lachen? Da traf es sich gut, dass auch schon das Sklavenmädchen wieder zurückkam. Verdammt schnell die Kleine und sie atmete noch ziemlich schwer vom Rennen, auch wenn sie versuchte, es zurückzuhalten. „Und?" fragte Paneferher sie sogleich. „Warum bist du so schnell zurück?" „Ich hab Menhet gefunden" keuchte sie. „Auf dem Marktplatz. Sie sind gleich hier." „Sehr gut" nickte sie dankend. „Geh und hole dir einen Kelch Wasser. Ich will nicht, dass du wieder in Ohnmacht fällst in der Hitze." „Ja, Herrin. Danke." Sie machte eine kurze Verbeugung und entschwand dann auch etwas langsamer wieder. „Sie ist noch etwas schwach auf den Beinen" erklärte sie auf den besorgten Blick des Königs hin. „Sie braucht noch eine Weile, um ganz wieder bei Kräften zu sein." „Dass du mir gut auf sie Acht gibst" bat er. Nicht vorwurfsvoll, sondern wirklich in einem bittenden Ton. „Sie ist doch noch ein Kind. Lass sie nicht zu schwer arbeiten." „Ich achte auf ihre Gesundheit, wie auf die Gesundheit eines jeden meiner Sklaven" schwor sie. „Krank bringen sie mir auch nicht viel. Sie sollen schon bei Kräften sein." Atemu meinte eigentlich auch, dass sie dem Kind auch ein wenig anderes Wohl zukommen lassen sollte. Ein wenig menschliche Wärme. Sie sprach nicht hart zu den Kindern, aber doch streng. Kinder jedoch wollten in den Arm genommen werden, getröstet, gelobt und geliebt. Alle Kinder - auch Sklavenwaisen. Doch bevor er ihr in verschmückten Worten seine Meinung erklären konnte, erhob sie sich auch schon, da man Schritte nahen hörte. Sie trat ein Stück zur Seite an den Rande der Holzwand und schon schaute ein älterer Mann daran herum. Sein Haar war auf dem Haupt kaum mehr noch als ein Kranz, seine Figur war gedrungen und ein wenig zu dick schaute sein Bauch nach vorn. Doch seine feine Kleidung verriet, dass er durchaus Geld besaß. Mit diesem teuren Gürtel in Übergröße und fein bestickten Schulterpolstern wirkte er schon herrschaftlich. Sein feiner Bart sah gepflegt aus, auch wenn er langsam eingraute. Dies war dann sicher der Stadtaufseher. Und neben ihm ... ja, das musste sein Sklave sein. Er war wirklich schön und fesselte Atemus Blick, sobald er um die Ecke neben seinen Herren trat. Sein Haar war in etwa so lang wie Seths, aber um einige Töne dunkler. Seine Augen nicht hell, aber von schluckendem Schwarz, welches im seichten Licht hier funkelte. Seine Haut heller als Seths, aber durchaus gesund gefärbt. Seine Gesichtszüge sehr fein, eine schmale Nase und einen großen, sinnlichen Mund. Seine Statur wirklich hoch gewachsen und kräftig. Ein wenig kleiner als Seth, weniger muskulös, aber durchaus sehr ansehnlich. Ja, er kam Seth näher als er gehofft hatte. Er war anders, aber von erkennbarer Schönheit. Nun ja, seine Schönheit war seine Überlebenschance. Alle Lustsklaven, welche gut leben wollten, mussten hübsch anzusehen sein, um ihren Herren zu gefallen. Schade, dass sie noch immer alle trotz ihrer Schönheit als so schmutzig angesehen wurden. Diese Art von Sklaven stand noch weiter hinter der Wertschätzung des Viehs zurück. Wenn sie nicht in einem schmutzigen Loch enden wollten, so mussten sie alles tun, um schön und willig zu sein, sie mussten gefallen. Je schöner man war, umso teurer war man. Je gebildeter man war, desto unterhaltsamer und weniger langweilig wurde man. Ein Lustsklave konnte häufig mehr schöne Dinge, wusste manchmal mehr von Bildung als der eigene Herr - und doch waren sie nicht mehr als ein Schmuckstück, ein Ding. Und sie mussten sich jeden Tag aufs Neue bewähren, durften niemals Müßiggang einlegen - es passierte allzu schnell, dass der Herr das Interesse an ihnen verlor, was letztlich einen ungewissen Tod zur Folge hatte. „Deine Kleine hat gesagt, du bittest mich und Dengar herein?" wiederholte der runde Stadtaufseher fragend. „Hast du zu wieder zu viel gekocht oder einen dringenden Grund?" „Menhet" lächelte sie und wies zur Seite auf den König, welcher sich soeben von seinem Kissen erhob. „Darf ich dir unseren Pharao vorstellen?" „Unseren ..." Da blieb ihm doch das Wort im Halse stecken. Er starrte ihn an als würde er das größte Wunder der Menschheit betrachten. Sein Mund stand peinlich weit offen, fast so weit wie seine Augen. „Ich grüße dich, Stadtaufseher Menhet" nickte Atemu, als er recht schnell meinte, er sei nun genug angestarrt worden und reichte auffordernd seine Hand nach vorne. „Mein König" keuchte er, fiel sofort vor ihm auf die Knie und küsste die edle Hand etwas zu innig als es nötig war. „Es ist mir eine Ehre, Euch in unserer Stadt begrüßen zu dürfen." „Die Ehre ist ganz auf meiner Seite" erwiderte er nickend und zog seine Hand zurück, um erneut einen Blick auf diesen wunderbar hoch und kräftig gewachsenen Mann zu werfen. „Und du bist Dengar?" „Mein Name in Eurem Munde ist zu viel Ehre" erbrachte er ruhig, trat heran und kniete vor ihm nieder. Ganz tief kam er herunter, senkte seinen Kopf herab bis fast auf den Boden und küsste die sandigen Sandalen des mächtigen Herrschers. Als Lustsklave durfte er seine Hand nicht zum Gruße küssen, für ihn hatten die Füße zu reichen. Auch wenn es Atemu nur ein Mal mehr beschwerte, wie unwürdig sich ein so schöner, stolzer Mann vor ihm erniedrigen musste, so kam er dennoch nicht umhin, von oben ein paar gut geschwungene Schulterblätter zu bewundern. Ja, an diesem Sklaven war wirklich alles perfekt. Er war sicher sehr teuer gewesen. „Steh bitte auf." Er ließ den Sklaven zurück auf seine Beine kommen und einen Schritt zurück neben seinen Herren treten. Er wusste, wo sein Platz war und ein Händler würde sagen, er sei sehr gut erzogen. Es war merkwürdig einen solch zauberhaften Menschen neben einem so plump wirkenden, gealterten Mann zu sehen. Es wirkte so unwirklich. Doch der Stadtaufseher war sein Eigentümer und Dengar sein Eigentum, eine Art Haustier, ein schönes Spielzeug. „Menhet, wir haben eine Bitte an dich" sprach Paneferher nach getaner Begrüßung mit einem erbittenden Lächeln. „Ich kann dem Pharao nichts Passendes anbieten. Würdest du deinen Dengar für ihn leihen, wenn er Gefallen an ihm findet?" „Aber natürlich!" nickte er seinen König sofort eifrig an. „Natürlich! Was immer Ihr wünscht, Hochwohlgeboren. Ihr sollt alles bekommen, was ihr Euch wünscht hier bei uns. Dengar, komm." Er griff nach ihm und zog ihn freundlich, aber bestimmt nach vorn. „Zeig dem Pharao deinen Körper." „Nein, nein" brach Atemu gleich ab. „Das muss er nicht. Wirklich nicht." Er sollte sich doch hier nicht für ihn ausziehen und hergezeigt werden wie ein zu kaufender Gegenstand. Er war ein Mensch! Außerdem war ihm die Sache langsam unangenehm. Er wollte doch nur ein wenig Bettgeflüster und darum wurde nun so ein Trubel gemacht. Selbst der Stadtaufseher kam und engagierte sich zur königlichen Lustbefriedigung. Irgendwie stellte er an sich eine traurige Gemeinsamkeit mit diesem armen Lustsklaven fest. Beide wurden nicht als Menschen mit Gefühlen angesehen. Atemu besaß keine Privatsphäre, nicht mal bei der Wahl seiner Bettgefährten konnte er Diskrepanz bewahren. Sein Sex war nichts persönliches, er war öffentlich und ohne Scham. Und bei Dengar war es ebenso. Er durfte ebenso wenig ein Geheimnis haben und würde nicht als Individuum angesehen. In den Augen aller anderen waren sie beide seelenlose Wesen. Der eine als Sohn der Götter, der andere als niederes Leben. Sie hatten viel gemeinsam, der Pharao und der Lustsklave. „Und?" bestätigte die Hausmutter. „Habe ich Euch zu viel versprochen? Er ist doch wirklich hübsch anzusehen. Trifft er Euren Geschmack?" „Na ja ..." Ja, er war sehr schön und machte auch keinen dummen Eindruck. Er war nicht Seth, aber auch er hatte eine ganz eigene Anziehung. Doch auch, wenn er nur ein Lustsklave war, so wollte der Pharao ihn doch nicht demütigen. Der edle Dengar sollte doch selbst entscheiden, ob er sich hergeben wollte. Er sollte selbst sagen, ob das Gefallen aneinander auf beiden Seiten bestand. „Ich weiß nicht. Kommt darauf an, wie er ..." „Dengar." Mehr als seinen Namen brauchte sein Herr nicht sagen und unausgesprochen befahl sein Blick den Rest. Sein Sklave löste das breite Band, welches um seine Brust gewickelt war und öffnete daraufhin das helles Hemd, welches sich schnell verflüchtigte. „Nein, das meinte ich nicht!" wollte er sofort richtig stellen, doch das kam wohl im Verständnis bei niemandem so wirklich an. Der schöne Sklave ließ sein Hemd an den Armen herabgleiten und zeigte seinen kräftigen Oberkörper. Er war zwar zierlich, aber nicht schmächtig. Kräftig, ohne aufgeblasen zu wirken. Seine Muskeln waren deutlich zu sehen, sie bewegten sich in dem hellen Licht hier und seine Haut war ohne einen einzigen Makel, glatt, straff und er war gut genährt. Er brauchte sich wirklich nicht zu schämen für sein Äußeres und das tat er wohl auch nicht. Es war für ihn selbstverständlich, dass man ihn anfasste und von oben bis unten betrachtete. So etwas wie Scham empfand ein Mensch wohl nicht mehr, wenn er erst seinen Stolz abgelegt hatte. Gespannt blickten alle drei den König an, ob er denn wohl Gefallen an ihm fand. Ob er gut genug war, dass er des Pharaos Bett teilen durfte. Dies wäre nicht nur für den Sklaven, sondern in erster Linie für dessen Herren eine große Auszeichnung. Wenn jemand etwas besaß, was selbst der Herrscher als gut ansah - das war unbezahlbar. „Ihr dürft ihn gern berühren" forderte sein Herr und packte ihn von der Seite ohne jegliche Wertschätzung direkt an die Brust, wohl um seine wohlerzogene Fügsamkeit zu demonstrieren, wie man es auch bei einem Nutztier tat. „Er ist gesund und sehr kräftig. Er fühlt sich gut an und tut alles, was ihm befohlen wird. Er ist das Schmuckstück meiner Sammlung. Hier, langt nur ordentlich zu, er kann was ab. Ich lege Euch meine wärmste Empfehlung ans Herz." „Was weiß jemand wie du davon, wo mein Herz liegt?" fragte er zwar laut genug, aber sichtlich nachdenklich, ein wenig traurig fast. Zu sehen wie ein menschliches Wesen beworben und behandelt wurde wie ein Tier und es mit noch mehr Geduld, mit Gleichgültigkeit hinnahm. Doch wenn er in diese schwarzen Augen blickte ... nein, sie waren nicht gleichgültig. Von Gleichgültigkeit weit entfernt. Sie lebten. Seine Aufmerksamkeit galt in diesem Moment nicht seinem Herren, sondern allein dem Pharao. Er schaute ihn an voller Erwarten und er konnte wohl nur schwer verbergen, dass er auch Hoffnungen gewisse hegte. Wenn der Pharao seine Dienste annahm, wenn er IHN annahm, so wäre sein Leben gesichert. Dann würde sein Herr ihn niemals mehr fortlassen, ihn bis ins hohe Alter bei ihm halten, denn er wäre einer der wenigen, welche dem Sohn der Götter ein Stück Lust geben durften. Ein gemeinsames Bett mit dem Pharao wäre ihm eine Versicherung für ein gutes Leben. Atemu trat an ihn heran, ganz nahe und löste mit nur einem ruhigen Blick die herrische Hand von dieser feinen Brust. Dann erst blickte er zu ihm hinauf in ein leuchtendes Kohlenschwarz und sah nach und nach einen roten Schimmer auf diesen rosigen Wangen wachsen, je länger er sein Antlitz betrachtete. Er hob seine Hände und berührte nicht etwa, was jeder sofort berühren würde. Er prüfte nicht das Gemächt in seinem Schritt, wollte nicht die Festigkeit seines Hintern wissen, die ganze Taille war ihm egal und auch sein kräftiger Brustkorb, seine Muskeln reizten ihn nicht. Er hob seine Hände weit hinauf und berührte seine Wangenknochen, strich ganz leicht darüber und verklärte damit den Blick dieses göttlichen Geschöpfes. Als er sanft über seine feinen Augenbrauen strich, schloss der Sklave seine Augen und atmete tief ein. Dass er jemals zärtlich berührt worden war, war unwahrscheinlich. Es drehte sich niemals um sein eigenes Wohlbefinden. Und doch nahm er es sofort an, ungewöhnt, aber sichtlich dankbar. Er öffnete seine Augen langsam wieder als die königlichen Hände seine Kiefernknochen entlang strichen und versenkte seinen Blick auf das gütige Gesicht seines Herrschers. Niemals wohl hatten Hände ihn so liebevoll, so vorsichtig und unschuldig berührt. Wie ein Hauch von Göttlichkeit umspann es ihn und gab ihm eine Wertschätzung, welche er niemals zuvor empfangen durfte. Es war das erste Mal, dass ihn Berührungen nicht benutzten. „Wäre es denn in Ordnung für dich?" Die Stimme des Pharaos war ruhig, möglichst unbedrohlich. Er wollte eine ehrliche Antwort hören. „Natürlich ist es in Ordnung!" antwortete Menhet sofort eifrig. „Er tut alles auf Befehl. Nehmt ihn, wenn er Euch gefällt!" „Ich habe nicht mit dir gesprochen" herrschte er den dicken Stadtaufseher etwas schärfer an. Er war der Letzte, der hier etwas zu sagen hatte. Hier ging es nur um zwei Individuen, welche sich ähnlicher waren, als es ihnen zugestanden wurde. Er senkte seine Stimme, legte einen warmen Ton hinein, als er weitersprach. „Für dich, Dengar. Antworte bitte ehrlich zu dir selbst. Wäre es dir angenehm, mein Bett zu teilen?" „Majestät" hauchte er dankbar und sah ihm so intensiv in die Augen, dass Atemu einen Moment von einem wohligen Schauer überlaufen wurde. „Es wäre mir mehr als angenehm. Eine Ehre und eine Freude." „Dann ist es gut" lächelte er und war von der Wahrheit dieser Worte überzeugt. Dengar gefiel ihm und wenn er ihm im Gegenzug auch gefiel, so konnte er es vor seinem Herzen auch verantworten. Dieser Sklave sah nicht nur die Sicherung seines Lebens und seine Pflicht, sondern auch die Hoffnung auf ein wenig Zweisamkeit mit jemandem, der ihm zugeneigt war. „Wie viel willst du für deine Leihgabe haben?" sprach er nun ernster zu dem Stadtaufseher. Er wusste, dass ein Herr solch einen teuren Sklaven sicher nicht uneigennützig auslieh. „Nehmt die Zeit mit ihm als Geschenk von mir zu Eurem Willkommen in Nove Vaasar" sprach er geehrt mit einer tiefen Verbeugung. „Meinen Dank" nickte er und wand sich an die Hausmutter. „Was möchtest du für unsere Unterkunft haben?" „Eure Anwesenheit ist mehr als genug Lohn" lächelte sie und verbeugte sich ebenfalls. „Solltet Ihr über dem hinaus noch einen Wunsch haben, sprecht ihn bitte sofort ungezwungen." „Danke. Ich möchte dann bitte gern aufs Zimmer geführt werden und ungestört bleiben. Und gib meinem Leibwächter bitte ein kräftiges Mahl, während er meine Tür bewacht." Kapitel 29: Kapitel 29 ---------------------- Kapitel 29 „Möchtet Ihr noch etwas Wasser, mein Pharao?“ Seine Stimme war so angenehm ruhig, so glatt und sanft wie seichte Wellen in einer Schale frischen, kühlen Wassers. Atemu schmiegte sich so gern an seinen Körper, spürte seine Wärme in der eingetretenen Abendkälte, welche durch das stofflose Fenster hereinfloss. Ihre Körper hatten sich gemeinsam erhitzt, in einem intensiven Akt voller Lust und wohltuender Zärtlichkeiten. Und auch nun, wo sie sich nach ungezählten Momenten wieder abkühlten, fühlte er sich nicht unwohl. Es war schön, jemanden so nahe bei sich zu haben, zu spüren, festzuhalten. „Nein. Danke“ sprach er gedämpft zurück und schloss seine Augen langsam wieder als die zarte Hand des Sklaven durch sein verworrenes Haar strich und ihn mit einem liebenden Kraulen verwöhnte. Er konnte nicht anders, als es mit geschlossenen Augen zu genießen, obwohl er gern länger diese Bemalungen an der Decke betrachten wollte. Mondscheinzimmer war dieser Raum getauft worden und dieser Name passte wirklich gut. Die Decke und die Wände waren in dunklem Nachtblau gehalten, es war sicher teuer gewesen, so viel Farbe auf die glatten Lehmwände zu bringen. Doch darauf waren weiße Punkte gemalt wie der Sternenhimmel. Selbst einige Zeichnungen am Himmel konnte er erkennen, was ihm ein wenig das Gefühl gab, Zuhause zu sein, dort wo die Sterne nicht anders am Himmelszelt standen. Doch das Zentrum war der volle Mond. Hinten links in der Ecke war er aufgemalt und sah zum Fürchten real aus für ägyptisch stilistische Verhältnisse, hätte nicht das göttliche Zeichen des Horus darin geglänzt. Das dunkle Blau war in gedämpften Strahlen wie aufgehaucht mit einem silbrigen Ton angehellt und schwächte die Dunkelheit ab. Genauso wie auch die hellen Vorhänge und die Roben an den sonst unbehangenen Wänden der dunklen Farbe ihre Enge nahmen. Und im Zentrum von allem war dieses große, weiche Bett gestellt. Die Decken aus festem, schweren Stoff. Die Kissen so weiß wie auch der Rest der Stoffwäsche. Man konnte sich hier wohlfühlen, wenn man nicht gleichzeitig hier zu leben hatte. Auf Dauer war es zu viel, aber für eine Weile unverhohlen angenehm. Besonders angenehm, wenn man sich nach langer Zeit endlich ein wenig leichter fühlte. Wenn man sich nicht so einsam vorkam. Wenn jemand da war, der einen wärmte, mit einem sprach, obwohl man sich fast fremd war. Sein Körper war so müde und schwer, aber es war eine schöne Schwere. Schlafähnlich, wenn der Rausch langsam verklang und man doch zu gern daran festhalten wollte. Wie es wohl wäre, wenn es Seth war, der neben ihm lag und ihn so liebend in den Armen hielt? ... Seth ... ... dessen Name, Sehnsucht hieß. „Erlaubt Ihr mir eine Frage, Majestät?“ bat er leise und doch kräftiger als sein König es selbst war. Obwohl Dengar wirklich viel geschafft hatte, schien er doch noch reicher an Kraft zu sein. Anders als Atemu, welcher sich letztlich nur zurückgelehnt und sehnsüchtig hinzugeben vermochte. „Natürlich“ erwiderte er entspannt leise. „Frag nur, was du willst.“ „Danke, mein Pharao. Sagt, seid ihr verliebt?“ >Verliebt?< Warum stellte er eine solch merkwürdige Frage? Er konnte es nicht wissen, er durfte es nicht wissen. „Warum fragst du mich so etwas?“ „Nun, weil Ihr ...“ Er schien nach den passenden, treffenden Worten zu suchen, ohne bissig zu wirken. Er wollte ihm nicht zu nahe treten und doch ein wenig seine Neugierde zeigen. „Es ist ungewöhnlich, dass Ihr bei einem Sklaven wie mir nach dem Liebesspiel noch zum gemeinsamen Entspannen bleibt. Dass ihr die Nähe meiner Arme sucht ...“ „Warum sollte ich das nicht? Oder ist es dir unangenehm, wenn wir noch ein wenig zusammenliegen?“ „Alles andere als unangenehm“ versprach er und schmiegte sich selbst noch ein wenig mehr an den teuren Mann neben ihm, roch sein seidiges Haar und spürte diese göttergesandte Wärme seiner Haut. „Ihr seid so zärtlich gewesen, so voll der Hingabe. Ich hatte nicht erwartet, dass Ihr jemandem wie mir solch eine Ehre erlaubt. Jemand, der so liebevoll handelt, so intensiv genießt, der kann nur eine tiefe Liebe in sich tragen.“ „Ist es denn nicht normal, sein Gegenüber mit Respekt und gegenseitiger Wertschätzung zu behandeln?“ fragte er traurig, auch wenn er die Antwort sofort in seinem Kopf aufflammen sah . Nein, es war leider nicht normal. Es sollte normal sein, aber Normalität war bei Gottestränen ein anderer Zustand. „Das meine ich nicht“ ergänzte der geliehene Sklave und brauchte wohl doch ein wenig mehr Mut, den er allein durch seine besorgte Neugierde fand. „Mein König, wer ist Seth?“ Hätte es gewittert, so wäre es ein greller, knallender Blitz gewesen, welcher sein Herz durchstieß. Aber da der Himmel so abendrot und ruhig wie eh und je war, konnten es nur Worte sein, welche es zusammenzucken ließen. Seth ... Warum sprach er seinen Namen aus? In diesem Zusammenhang seiner Worte! Er kannte Seth nicht, er konnte ihn nicht kennen und sollte ihm auch beileibe niemals über den Weg laufen. Es reichte, dass Atemu ständig, in jeder Minute, jedem Moment, bei jedem Augenschlag an ihn dachte. Nicht auch Dengar nun! „Woher weißt du von Seth?“ flüsterte er und war selbst ein wenig erschrocken darüber, wie verletzt er sich plötzlich fühlte, wie ausgeliefert und durchschaut er sich vorkam. Der schmerzende Blitz war vergangen und hinterließ nichts als ein verkohltes Herz, einsam, allein und kalt ... ein letztes Zucken war Sehnsucht und sprach stetig fort wie in Trance nur diesen einen Namen. „Ich weiß nichts von ihm“ antwortete er vorsichtig, er sah, wie sensibel der große Pharao allein auf diesen Namen entgegnete und seine sich unruhig anspannten, seine geöffneten Augenlider nervös zitterten. „Aber Ihr sagtet seinen Namen. Mehrfach. Anstatt meinem, nanntet ihr seinen Namen. Seth, Seth, Seth - immer wieder er. Und ich frage mich, wer es war, nach dem ihr rieft. Ich habe gelernt, Seth sei der Gott der Wüste, aber den meintet Ihr sicher nicht, oder?“ Er rief seinen Namen? So wie in seinen Träumen, in seinem Herzen, bei jedem Atemzug? Seth, Seth, Seth - immer wieder er. Überall in ihm, um ihn herum, in jedem Menschen, in jedem Augenblick wünschte er sich nur den einen und übersah dabei sich selbst, vernachlässigte das Herrschen über seine Worte. „Bitte kein Wort zu niemandem“ bat er, entfernte sich von dem schön geschaffenen, warmen Körper, um voller Flehen in diese rabenschwarzen Augen zu blicken. „Bitte, sag es niemandem.“ Er wusste selbst, es war nicht gut, Angst zu zeigen. Wäre Dengar ein böser Mensch, so hätte er ihm nun die Macht in Händen gegeben, ihn zu erpressen, zu nötigen, zu zwingen. Eine weiche Seite an seinem Herrscher zu finden, war verlockende Süße für die Bosheit der menschlichen Seele. Und doch besaß er nicht mehr genug Kraft, noch länger zu kämpfen. Er focht verzweifelt darum, es vor Seth selbst zu verbergen - wie konnte er sich da noch an anderen Fronten zur Wehr setzen? Dies war ein Weg ohne Zurück und ohne Ausweg. Gezwungen, erschöpft und verzweifelt. Und es fühlte sich immer stärker so an, als würde dieser Weg Verderben bedeuten bis er in ein verdorbenes Ende führte. „Ich schwöre bei meinem Leben“ versicherte er voller Ehrlichkeit, „ich will niemandem auch nur ein Wort sagen. Wer auch immer Euer Seth ist, ich werde Euer Geheimnis bewahren. Der Mensch, welcher Euer Herz gewinnt, muss selbst eine reine Seele besitzen und auch ihn will ich nicht verraten.“ „Ja ...“ hauchte er verträumt, diese Worte sprachen ihm aus dem tiefsten Inneren nach außen. „Er ist ein Mensch ... mit einer reinen Seele ...“ „Liebt er Euch denn auch?“ „Nein“ war leider die niederdrückende Antwort, welche ihm nur allzu schnell über die Lippen floss. Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Keine Erklärung, keine Rechtfertigung, keine Hoffnung. Einfach nur ein entsetzlich klares Nein. Und es kam viel zu schnell, denn er wusste es genau. Nun war ihm auch die Lust auf menschliche Wärme vergangen. Ohne es selbst zu wollen, hatte Dengar ihm den wenigen Seelenfrieden geraubt, den er vor nur einigen Augenblicken noch in sich spürte. Also hielt ihn hier nichts mehr. Er war eh schon viel zu lang geblieben. Er erhob sich vom Bett und griff sogleich sein Gewand vom Kleiderhocker, um es sich überzuwerfen. Von den Spuren seiner Lust war er bereits von dem gut erzogenen Sklaven kurz nach dem Akt gesäubert worden. Er roch noch das warme Öl, welches er ins wassergetränkte Tuch geträufelt hatte, um alle körperlichen Düfte zu übertönen. Bei gewöhnlichen Männern würde man sofort wissen, dass sie ein Lusthaus besucht hatten, aber ein König roch immer nach teuren Essenzen. >Seth wird es niemals erfahren< war der Gedanke, welcher ihm sofort durchs Herz hallte. Seth würde es nicht riechen können, dass er einen Lustsklaven brauchte, um ihn für einige Momente zu vergessen ... oder für nur eine kleine Weile seinen Traum zu träumen. Ja, er hatte nicht an Dengar gedacht, als er ihn küsste, als er ihn auf sich zog, sich ihm anbot wie eine rollige Tempelkatze. Bei jeder Berührung, in jedem Atemzug, in jedem Augenblick hatte er an Seth gedacht ... so intensiv, dass er nicht mal hörte, wie er sehnsüchtig seinen Namen rief, als er einen anderen Mann in sich spürte. Wie unwürdig er sich nun fühlte. Einen Sklaven zu brauchen, um sich Erleichterung fürs Herz zu schaffen und hinterher eine nur noch schwerere Last mit hinaus zu nehmen. Es war nicht unwürdig für ihn, in ein Lusthaus zu gehen ... aber hier lag die Sache anders. Wenn Seth erfuhr, dass sein König noch immer Gebrauch von Lustsklaven machte, obwohl er immer von deren Befreiung sprach. Wenn er so böse Erinnerungen in ihm weckte ... es kam ihm vor wie Verrat gegenüber seine Liebe. Egal wie unerfüllt seine Liebe auch war ... durfte er sie denn verraten? Und doch hatte er keinen anderen Ausweg gewusst, um den Druck aus seinem Körper zu nehmen, als diesen Weg zu gehen. Diesen aussichtslosen Weg ins Verderben. „Majestät! Verzeiht! Lasst mich das ...“ Dengar sprang sofort mit ihm auf und lief um das große Bett herum, um ihm die Kleidung anzulegen, doch Atemu streckte nur seinen Arm aus und hielt ihn auf Abstand, während er zur anderen Seite nach seinem Gürtel aus schwerem Gold griff. „Danke, Dengar. Bitte lass mich das allein machen und zieh du dich selbst an.“ Auch wenn er gern den Blick auf diesem makellosen Körper ruhen ließ. Dieser Sklave war wirklich eine Schönheit und er war dankbar dafür, dass er ihn haben durfte. Diese Zeit mit ihm war wunderbar gewesen und sein Körper fühlte sich leicht und befriedigt an. Er hatte eine wunderbare Stimme und zärtliche Lippen, warme Hände und ein sanftes Wesen. Er bereute es nicht, dass er sich ihm hingegeben hatte ... er bereute nur, dass es Dengar war und nicht Seth, welcher ihn in den Armen hielt. Er sah seinen Liebesersatz ein letztes Mal wie die Götter ihm schufen und ihn dann sein leichtes Gewand wieder überwerfen. Schade, dass sich dieser stolze Körper wieder bedeckte und zu einem anderen zurückkehrte. Doch Atemu brauchte sich keine Illusionen machen, denn selbst ihm war es unmöglich jeden Lustsklaven aus seinem Schicksal zu befreien und ihn in die Hände der Götter zu geben. Und doch ... nachdem er Seth getroffen hatte war Dengar der erste Lustsklave, mit welchem er das Bett geteilt hatte. Direkt nach Seths Fortgang in den Tempel hatte er sich eine Frau genommen und war fortan von menschlichen Präsenten verschont geblieben, weil seine Manneskraft dann nur noch dazu diente, Ägypten einen Erben zu zeugen. Und doch ... Dengar war sicher ein toller Mensch, welcher nicht sein Leben an der Seite eines dickbäuchigen, kahlköpfigen Stadtaufsehers verbringen sollte. „Dengar?“ „Ja, mein Pharao?“ Er kam sofort zu ihm und kniete sich vor dem Bett nieder, auf welchem sein König sich nach dem Ankleiden noch einen Augenblick niedergelassen hatte. „Habt Ihr noch einen Wunsch?“ „Nur wenn du auch einen hast“ sprach er ruhig und suchte erneut diese in sich ruhende Zuversicht in den schwarzen Augen. Trotz seiner täglich schmutzigen Dienste, sah man ein reines Herz durch seine Augen scheinen. „Möchtest du, dass ich dich kaufe?“ „Mich ...?“ Er brauchte einen Moment, um diese Worte zu verstehen und wohl auch zu verinnerlichen. „Mich kaufen, Herr?“ „Ja, dich kaufen“ wiederholte er und legte vorsichtig sein Hand an die rosige Wange, welche ihn mit ihrer Wärme lockte. „Ich werde dich auslösen und mit mir in den Palast nehmen. Dort wirst du gut leben können. Du bist nicht gezwungen mit mir oder irgendwem sonst das Bett zu teilen. Ich wäre glücklich, dich als einen meiner Gesellschafter am Hofe zu haben. Wenn du es selbst auch möchtest.“ Doch im selben Moment schoss ihm das Bild zweier blauer Augen durch den Kopf. Seth. Wie sollte er ihm erklären, wo plötzlich dieser Lustsklave herkam? Wie sollte er vor Dengar geheim halten, zu welchem Menschen der Name auf seinen Lippen gehörte? Es würde nur Nachteile bringen, wenn er ihn von seinem Herren fortkaufte. Und doch ... für Dengar wäre es eine einmalige Chance. Und doch ... für den König wäre es ein weiterer Versuch, sein eigenes Verderben noch näher heranzuziehen. „Wenn ich es selbst möchte?“ „Ja, wenn du es möchtest“ wiederholte er entschlossen, seine Worte nicht zurückzunehmen. Es würde ihm viele Probleme bringen, doch aufkeimende Hoffnungen würde er niemals zerschlagen wollen. Selbst wenn er sie im Affekt geweckt hatte. Doch was sollte Dengar sagen? Er war ein Sklave und ein Angebot des Königs abzulehnen, wäre eine Todsünde! Genau wie Seth damals, brachte er auch diesen Sklaven in eine Zwickmühle, aus welcher er sich nicht selbst befreien konnte. Besonders Lustsklaven war ein eigener Wille untersagt. Wie sollte Dengar aus freiem Willen handeln, wenn seine Freiheit ihn verdammte? „Majestät, verzeiht“ bat er und senkte schuldbewusst den Kopf. „Ich möchte Euch nicht in den Palast begleiten. Aber bitte, lasst es mich Euch erklären.“ „Ja ... erkläre das.“ Er fühlte sich zugegeben sehr vor den Kopf gestoßen. Dengar lehnte sein Angebot ab? Ein Angebot des Königs? Er schlug es aus? Ein Sklave wie er durfte solch ein Angebot nicht ablehnen. Hatte er denn keine Angst vor dem Tod? „Es ist nicht wegen Euch“ bat er leise. „Ihr seid ein wundervoller Mann und in der kurzen Zeit habt Ihr mich mit Eurem Zauber gefangen genommen, mit Eurer Güte und Eurem großherzigen Wesen beeindruckt. Aber bitte versteht ... ich möchte bleiben um meiner Liebe wegen.“ „Deiner Liebe? Liebst du deinen Herren?“ War das möglich? Liebte Dengar seinen Herren so sehr, dass er bei ihm bleiben wollte und sich gegen den Palast entschied? Er hatte ja gehört, dass er gut behandelt wurde und sein Eigentümer regelrecht vernarrt in ihn war ... doch beglich der Sklave diese Fürsorge mit Liebe? „Ich liebe meinen Herren, wie es einem Herren gebührt“ antwortete er und senkte seinen Kopf noch ein wenig weiter gen Boden, bevor er gestand. „Majestät, mein Dasein ist schändlich. Ich liebe nicht meinen Herren, sondern sein zweites Weib. Wenn er für einige Stunden fort ist oder des nachts jemand anderen im Bett hat, so gehe ich sie besuchen, ohne dass er es weiß. Seine zweite Frau hat in etwa mein Alter und ist von unvergleichlicher Schönheit. Sie ist sehr gütig zu mir und wenn wir uns nicht küssen, so können wir gemeinsam lachen. Ich weiß, es ist Verrat an meinem Herren, da er es niemals gestatten würde, aber ich kann nicht anders. Ich liebe sie und sie sagt, sie liebt mich auch und ich glaube ihr. Bitte vergebt mir meine Sünde, wenn ich sie nicht verlassen will.“ „Liebe ist doch keine Sünde“ lächelte er und hob ihn liebevoll am Kinn so weit hinauf, dass er ihm einen Blick schenken konnte. „Wenn ihr euch liebt, so habt ihr meinen Segen. Ich werde dein Geheimnis bewahren und wünsche dir und deiner Geliebten, dass ihr lange zusammensein dürft. Ich bitte dich aber um das eine.“ „Um was, mein Pharao? Ich möchte alles für euch tun.“ „Bitte wende dich an mich, sollte dir Gefahr drohen. Eure Liebschaft ist nicht ungefährlich für dich. Dein Herr könnte dich zum Tode verurteilen, sollte er eifersüchtig werden. Sollte er herausfinden, dass du das Bett seiner Frau teilst. Seinem Weib wird nichts geschehen, aber um dich sorge ich mich. Deshalb nimm meine Bitte in deinem Herzen auf: Sollte dir Gefahr drohen, so laufe in den nächsten Tempel und verlange, man möge dich schützen bis deine Nachricht bei mir ist.“ „Ich danke Euch zutiefst“ keuchte er überwältigt, überrascht. „Aber Ihr vergesst, ich bin nur ein Sklave. Einen Tempel zu betreten, ist mir untersagt. Man wird mir dort nicht helfen.“ „Doch, das wird man, wenn du dir folgende Worte merkst“ antwortete er und sprach so langsam, dass er jedes Wort betonen konnte. „Der Amun ist mein Herr. Er setzte mich in seine Barke, so trennet mich nicht von seinem Urteil. Jeder ausgebildete Priester kennt diese geheimen Worte und weiß, dass jeder, der sie korrekt aufsagt, sie nur von mir erfahren hat. Und so werden sie deine Bitte nicht abschlagen, völlig gleich, ob du Sklave, Bauer oder Adel bist. Sollte dir Gefahr drohen, so nenne sie im nächsten Tempel und ich werde dich schützen, vor denen, welche dich bedrohen.“ „Majestät ... warum tut Ihr das für mich?“ „Weil auch du mich beeindruckt hast. Deine Augen sind so stolz und du antwortest mir ehrlich, auch zu meinem Nachteil. Du trägst dein Schicksal mit solch erhobenem Haupt, selbst dann wenn dein Haupt gesenkt ist. Obwohl du eine Frau liebst, bist du so zärtlich zu mir gewesen, dass ich mich an ihrer statt geliebt fühlte. Und hierfür danke ich dir.“ „Ich ... ich weiß nicht, was ich Euch antworten soll, mein König. Ihr überschüttet mich Unwürdigen mit zu viel Güte.“ „Du bist nicht unwürdig“ bat er und griff ganz tief, um seine Hände vom Boden in seinen Schoß zu legen und fest zu halten. „Du bist ein Mensch und auch, wenn du es mir jetzt, nachdem ich dich gebraucht habe, vielleicht nicht glaubst, ich kämpfe dafür, dass auch nicht versklavte Menschen dies irgendwann erkennen.“ „Doch, ich glaube Euch“ erwiderte er und ließ seine schönen Lippen von einem kleinen Lächeln zieren. „Bisher hörte ich nur von Eurer Güte, von Eurem edlen Gemüt, aber nun ... ja, ich glaube, Ihr seid wahrlich der Sohn der Götter und der größte Pharao, den Ägypten jemals hervorbrachte. Majestät, mir fehlen die Worte. Ich kann nicht mehr sagen, als dass ich Euch für Euer Vertrauen und für Euren Edelmut meine ewige Treue schwöre. Auch, wenn es vielleicht nicht viel Wert hat, mein König, so gelobe ich Euch, immer zur Stelle zu sein, wann auch immer Ihr mich brauchen könnt. Ob es das Bett sei oder das Schlachtfeld. Meine Dankbarkeit wird Euch bis ans Ende meiner Tage und weit darüber hinaus zu Füßen liegen.“ „Dankbarkeit ...“ Dengar wusste nicht, welche Gedanken allein dieses Wort in ihm weckte. Dankbarkeit empfand auch Seth und er gelobte sie ebenso glaubwürdig und untertänig. War Dankbarkeit das, was alle Sklaven einem gaben? Das einzige Zahlungsmittel, welches sie besaßen? Oder schätzte er ihr aufrichtig menschliches Wesen viel zu gering, dass er solche Schlüsse zog? Dengar beeindruckte ihn und gab ihm viele Fragen mit auf den Weg. Er war ein Lustsklave, hatte viel Schrecken und Grausamkeit erfahren und wurde jeden Tag daran erinnert, wie wenig wertvoll er war. Und doch erlaubte er es sich, eine Frau zu lieben und im Gegenzug an ihre Liebe zu glauben. Er sprach offen selbst zum Pharao und wäre er nicht in der Sklaverei gefangen, so hätte er es sicher weit gebracht. Er wusste, dass er ein Sklave war und glaubte doch unausgesprochen an sein Recht, ein Mensch zu sein. Warum konnte nur der Pharao nicht daran glauben, dass auch Seth so empfand? Warum hatte er noch immer Angst, er würde ihm seinen Stolz durch nur einen einzigen Kuss wieder rauben, wenn doch Dengar trotz des täglichen Beischlafes noch immer seinen Stolz besaß? War sein Denken so eingeengt, dass nicht Seth den Sklaven in sich sah, sondern Atemu ihn als solchen betrachtete? „Ich danke dir“ schloss er und erhob sich, griff sein Stofftuch und legte es sich über die Schultern, blickte zurück, sah, dass Dengar ihm zur Tür hinaus folgte und wusste, dass er dem König das letzte Wort gern ließ. Und doch hatte er noch immer an dieser Frage in sich zu beißen. Sah er Seth noch zu sehr als Sklaven? Würde es etwas ändern, wenn er versuchte, sein Denken umzustellen, ihn neu zu entdecken, ihn anders zu sehen? Wo gab es noch einen Weg, ihm sein Herz näher zu legen? Wo gab es noch einen Weg, seine Dankbarkeit in Liebe zu gießen? Mit diesen Fragen im Herzen ließ er Dengar vor sich treten, die Tür öffnen und hinaus treten, hörte ein Gespräch verstummen, welches Penu wohl bei seiner Wache gehalten hatte. Nur zwei Schritte später folgte er ihm aus dem Raum hinaus und ... ... hätte er sich noch bewegen können, so wäre er vor Verzweiflung fortgelaufen. Seth. Vor seiner Tür. Er trat heraus und da stand er. Gekleidet in sein dunkelrotes Priestergewand und nahm ihn sogleich mit dem klaren Blau seiner seltenen Augen gefangen, hielt ihn fest an Ort und Stelle. Nicht nur, dass er der Letzte wäre, den er hier vermutete - er war auch der Letzte, welchen er hier wünschte. Er wusste es! Er wusste es! Wie könnte er auch anders? Er sah, wie sein Pharao heraus trat und nur einen Lustsklaven bei sich hatte, eine Wache vor der Tür abstellte und nach frischem Öl duftete. Alles begann sich vor seinen Augen zu drehen, drehte sich um Seth herum und wurde unwichtig, unklar, beschämend. Er vergaß zu atmen und fühlte diese Leere in sich aufsteigen, niedergedrückt von einer bodenreißenden Schwere, angefacht von einem schmerzenden Herzen und glühendem Blut. Was sollte er sagen? Wie sollte er sich rechtfertigen? Wie konnte er verhindern, dass Seth ihn nun hasste? Wenn er in seine Augen sah, so spiegelte sich darin ein Gefühl, welches ihm tausend Dolche ins Seelenfleisch stach. Er konnte ihn nicht einordnen, diesen Blick. Seth versuchte etwas zu verbergen, das sah er sofort. Er kannte diesen Blick nicht, also konnte er nur das eine bedeuten. Er hatte seinen verbotenen Traum zutiefst enttäuscht. Er hatte seine Liebe verraten und den wichtigsten Menschen betrogen. Und er konnte es nicht rückgängig machen. Er konnte diesen Blick nicht abwehren und fühlte sich von ihm mehr angeklagt als durch einen Hof von Richtern, mehr niedergerungen als von einer Heerschar Soldaten und mehr verletzt als durch Myriaden von spitzen Worten. Allein dieser Blick öffnete ein tiefes Loch unter ihm und gab ihm der Unterwelt preis. Nur dieser verbotene Göttertraum vermochte es, einen Pharao zu verdammen. Weil er versucht hatte, ihn zu träumen. „Majestät.“ Ungeachtet, unbemerkt ob dieses Schocks ergriff Penu das Wort und wies nach vorn auf einen Mann, welcher dem Pharao nicht bekannt vorkam. Dieser Mann war etwa so groß wie er selbst, trug ein rotes Tuch, welches seine Haarfarbe nicht erkennen ließ, aber doch seine braunen Augen betonte. Seine Haut braungebrannt wie bei jedem Wüstenmann. Das tiefrote Gewand aber war dem von Seth gleich. Also war auch er offensichtlich ein Priester. „Lasst mich Euch vorstellen. Dies ist Ahmes Ankhu Herihor. Er ist der Oberpriester des Stadttempels.“ „Majestät, es ist mir eine Ehre“ sprach er und tat einen ehrerbietigen Kniefall vor ihm. Aus reinem Reflex heraus reichte Atemu ihm die Hand und zwang sein donnerndes Herz zum Einhalten. Jetzt musste er Haltung bewahren. Am liebsten würde er sich seinem Seth zu Füßen werfen, ihm alles sagen und sich rechtfertigen, aber ... er war der König und ein König hatte die Pflicht, seine Beherrschung zu wahren. „Ich grüße dich ... Oberpriester.“ Es war eine Schande, dass er nicht mal den heiligen Namen zu wiederholen wusste, aber er hatte genug mit seiner schreienden Seele zu kämpfen. Er musste fort hier, nachdenken ... weinen ... und versuchen, seine Stimme zur Ruhe zu zwingen. „Was tut ihr hier ... du und Seth?“ „Mein Pharao“ antwortete Seth mit flacher Stimme so tonlos. „Herihor führt mich herum und zeigt mir seine Arbeit. Für die Sklaven, welche nicht in den Tempel dürfen, wird der Glaube an Euch und unsere Götter auch hier her gebracht. Dorthin, wo ein heiliges Wort gebraucht wird.“ „Es ist ein Versuch“ lächelte der rotgekleidete Herihor sicher ganz zauberhaft, wenn Atemu ihm doch nur Aufmerksamkeit geschenkt hätte. „Unser Stadthalter Abu Saphrem, wie auch der Hohepriester Chaba Djedef Re gaben mir die Erlaubnis, diesen Versuch zu unternehmen, Sklaven das heilige Wort näher zu bringen. Seth sagte mir schon, dass Ihr persönlich sehr engagiert an den Sklavengesetzen arbeitet und es wäre mir eine große Ehre, wenn ich Euch meine Absichten hierzu näher bringen und die ersten Erfolge erläutern dürfte. Wenn Ihr ein wenig Zeit übrig hättet.“ Atemu wollte antworten, konnte es aber nicht. Er war engagiert, die Sklaven zu befreien und fand hier einen Geistesverwandten und konnte ihm doch gerade keinen Platz einräumen. Seth blickte ihn noch immer an ... mit seinen verschlossenen, verletzten Augen und diesem undeutbaren Blick. Er wusste, er musste etwas antworten und doch wusste er, es würde nur ein Schluchzen aus seinem Mund dringen, so wie die Tränen sich bereits hinter seinen Augen stauten und seinen Kopf zu sprengen drohten. Vor keinem Feind hatte er jemals so viel Furcht gehabt wie vor diesem Moment. Der Moment, in welchem er seinen Seth für immer verlor. „Wir wissen noch nicht, wie lang wir in der Stadt sein werden, aber der Pharao wird es sich sicher überlegen“ antwortete Seth schwach, leiser als normal. Er war verletzt, so eindeutig war er verletzt. „Führst du mich bis dahin vielleicht noch zur Schriftensammlung, bevor die Sonne ganz untergegangen ist?“ „Natürlich gern, mein Freund“ nickte er und verbeugte sich noch ein Mal tief vor seinem Pharao. „Ich werde geduldig auf Eure Antwort warten, mein König“ sprach er noch ein Mal, auch wenn seine Worte kaum gehört wurden. Auch Seth senkte seinen Kopf kurz vor ihm und wand sich dann mit dem Oberpriester zum Gehen. Atemu blickte ihm hinterher, sah wie die beiden Priester die Treppe hinabstiegen und wusste weder ein noch aus. Er hatte versäumt, die Situation aufzuklären. Er ließ Seth mit einem falschen Gedanken ziehen. Nachdem er von Penu ein weniger beunruhigtes „Bis heute Abend, Seth“ rufen hörte, spürte er fast zeitgleich, eine halbe Ewigkeit später, starke Hände am Oberarm. „Majestät?“ hörte er erneut an seinem Ohr, als sich der Mensch entfernte, um welchen sich eben noch alles gedreht hatte, was nun wild durcheinanderwirbelte und den Boden wabern ließ. „Ihr seht blass aus. Möchtet Ihr Euch noch einen Moment hinlegen?“ „Nein ... ich ...“ Er kam nicht weit, da flossen schon die Tränen hervor, welche er nicht zeigen wollte, nicht zeigen durfte und doch nicht festhalten konnte, so wie er nichts im Leben lange zu halten vermochte. „Ihr solltet Euch wirklich ein wenig Ruhe gönnen.“ Dies war Dengars Stimme, welche zu ihm durchdrang und ihm leiser zuflüsterte: „Ich wünsche, der Gott der Wüste möge Euch wohlgesonnen sein.“ Nun wusste er, wer Seth war. Der Name auf den Lippen seines Freiers und der Wunsch auf dem Herzen seines Pharao. Und er konnte nur erahnen, wie zerbrochen seine Hoffnungen nun wohl vor ihm liegen mussten. Es drang kaum in Atemus Bewusstsein vor, wie er die Treppe hinabgeführt wurde und Penu ihn auf sein Pferd setzte, ihn durch die Stadt zurückführte und in die bescheidene Herberge auf sein Zimmer brachte. Er selbst nahm nur zwei Dinge überdeutlich wahr: Zum einen seine zitternd gesprochene Bitte, vor dem nächsten Morgen nicht mehr gestört zu werden, um endlich in Ruhe schlafen zu können. Zum anderen in der Stille und Einsamkeit des fremden Raumes die Sinnlosigkeit seines Kampfes, die Vergeblichkeit seines Traumes und den gütigen Ausweg aus seinem Schmerz ... ... den Dolch auf dem Tisch. Kapitel 30: Kapitel 30 ---------------------- Kapitel 30 Die Sonne stand tiefrot über den hellen Lehmdächern dieser jungen Wüstenstadt, flutete alle Gassen mit hellem Orange und färbte die Hauswände rosa und Fatil beobachtete bei seinem Weg zurück in die Herberge, wie die Händler des Marktes ihre Waren zusammenpackten, ihre Stände schlossen, ihre Tiere versorgten und ihre teils schon auf den Armen schlafenden Kinder in Richtung ihrer Betten brachten. Hier und dort war noch der ein oder andere Bürger unterwegs. Eine alte Frau in verstaubter Kleidung, welche einen trockenen Laib Brot an einen kleinen, spärlich beharrten Mann mit einem maskierten Falken auf der Schulter verkaufte und beide aufgeregt am Feilschen waren. Und im nächsten Häusergang, welcher ihn vom Marktplatz wegführte, kamen ihm drei Männer entgegen, welche nun sicher ihren Feierabend begießen gingen. Hach, wie gern hätte auch er mal wieder so richtig Feierabend? Er liebte seinen König und war gern mit ihm unterwegs, aber mit der Palastwache nach Schichtwechsel noch auf einen Krug ins Wirtshaus zu gehen, fehlte doch nach so vielen Wochen langer Reise. Während sich hier die Menschen nun auf die Nacht vorbereiteten, war er noch in Gedanken bei der Planung des morgigen Tages und bei der Überlegung, ob er den Pharao heute Abend noch belästigen sollte. Er zog das neu erstandene Pferd hinter sich her und freute sich doch ein wenig, wie brav es war. Es war kräftig, gut zugeritten und würde den langen Marsch über bis in den Palast sicher treue Dienste leisten. Und dafür war es nicht mal besonders teuer gewesen. Nur drei Silberdukaten hatte er dafür gezahlt, allerdings auch mit einem kleinen Gegengefallen verstand sich. Er hatte sich heute als Beauftragter des Pharaos pflichtgemäß beim höchsten Mann hier, dem Stadthalter Abu Saphrem, vorgestellt und war dort mit offener Gastfreundlichkeit empfangen worden. Sie hatte ein langes Gespräch miteinander und nun war er fast schon zu spät in der Zeit, als dass noch viel Abend blieb, um ein geeignetes Pferd als Ersatz für das lahmende zu finden. Da traf es sich doch wie von den Göttern bewirkt, dass genau an diesem Tag ein Viehzüchter beim Stadthalter vorsprach, um ihm seine neuen Tiere anzupreisen. Er hatte dieses hervorragende Tier günstiger erstanden, als es diesem würdig war, aber im Gegenzug sagte er Abu Saphrem zu, er würde dem König die Bitte nach einer Audienz überbringen. Das hätte er zwar ohnehin getan, denn dass der Stadthalter zu einem Empfang geladen wurde oder selbst einlud, war eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch Abu Saphrem war selbst noch recht jung, was seinen großen Erfolg im Aufbau dieser Stadt nur mehr zu seinen Ehren rühmte. Nichtsdestotrotz hatte er kaum Erfahrung im Umgang mit hohem Hofadel, geschweige denn im Umgang mit der Königsfamilie - aber wer hatte das schon groß im Reiche? Die Frage, welche sich hier nun noch stellte, war, ob er den Pharao noch heute Abend fragte oder erst morgen früh. Für gewöhnlich besprach Fatil jeden Abend mit ihm die Planung für den nächsten Tag, was bei einer Wüstenreise in den meisten Fällen eh nicht wirkliche Fülle der Zeit brachte. Außer Wandern, Reiten und Sand gab es da nicht viel. Jedoch so ein paar Aktivitäten mussten sie hier schon bestreiten, wie zum Beispiel nicht nur die Audienz des Stadthalter, sondern auch einen Besuch im Tempel oder ein stilles Gebet am Stadtbrunnen. Es gehörte sich so für die Etikette und außerdem sah sich der Pharao gern in neuen Städten um, lernte neue Menschen kennen und hörte ihre Lebensgeschichte. Unglaublich, dass er trotz seines hohen Postens ein so großes Herz für die Unterschicht besaß. Nicht unglaublich, dass ihm dafür die Herzen der Unterschicht zuflogen. Ja, er würde sicher gern den Stadthalter kennen lernen, denn auch er hatte mit Bestimmtheit einiges zu erzählen und die Bürger dieser aufstrebenden Stadt eng auf die neuen Gesetze des Pharaos eingeschworen. Besonders seine Versuche, die Sklavenhaltung zu verändern, würden beim Pharao auf großes Interesse stoßen. Auch das Vorhaben, im örtlichen Lusthaus nun das heilige Wort an die Sklaven zu bringen, würde den König sicher brennend interessieren. Doch vielleicht sollte er erst morgen mit ihm über den Tagesplan sprechen. Heute Nachmittag war der Pharao bereits überraschend in der Herberge eingeschlafen. Ja, er hatte wirklich müde ausgesehen. Die Nächte schlief er unruhig, wenn er überhaupt schlief. Er aß weniger als gut für ihn war und viel zu oft machte er den Anschein, er wolle nur noch das Gesicht in die Hände betten und weinen. Sein Pharao war erschöpft von der langen Reise, ratlos ob der angespannten, politischen Situation mit den Nachbarländern und verzweifelte zunehmend an seinem Herzschmerz. Wenn er nicht bald eine Lösung für letzteres fand, so würde Fatil das in die Hand nehmen. Liebe hin oder her. Wenn Liebe ihm schadete, war sie nicht gut. Nicht nur, weil er der Pharao war, durfte er nicht wegen nur eines einzigen, so undurchsichtigen, verleumdeten Menschen in Verzweiflung geraten. Nein, auch weil er für Fatil wie ein Bruder war, so durfte er nicht wegen eines so nutzlosen Sklavenpriesters solch einen Herzschmerz erleiden. Und wenn der Pharao dem nicht selbst ein Ende setzte ... lange würde Fatil sich das nicht mehr mit ansehen. Er konnte in diesen Seth nicht hineinsehen, ihn nicht erforschen, da er sonst verraten würde, dass er alles wusste und sein Schweigeversprechen an den König brach. Er konnte ihm nicht zu nahe kommen. Und doch war dieser Mann dem König näher als es ihm lieb war. Sobald sie wieder im Palast waren und vorausgesetzt, es hatte sich bis dahin nichts an dem zunehmend schlechten Befinden des Pharaos geändert ... Fatil war kein Befürworter von Morden, aber er konnte Seth verschwinden lassen und er hatte genug Geduld, die Tränen des Pharaos zu trocknen. Lieber einen Sklaven ins Exil schicken als den König weiter leiden zu sehen wie ein gequältes Tier. Was Seth mit ihm tat, war unmenschlich. Das hatte der Pharao nicht verdient. Als hätten die Götter ihn heute schon ein zweites Mal erhört, gaben sie dem treuen Freund des Pharaos auch die Möglichkeit, den ersten Stein zu werfen. Bei einem Seitenblick in die schmale Nebenstraße kurz vor der Herberge bemerkte er ein tiefes Rot, welches ihm zu bekannt vorkam. Er blieb stehen und blickte genauer hin, was in der zunehmenden Dunkelheit nicht eben einfach war. Aber doch, er hatte sich nicht geirrt. Dies war ein Priestergewand, welches für diesen Teil de Reiches absolut üblich war. Doch auch seine hoch gewachsene Gestalt verriet sich durch Seths Schatten. Ja, es war Seth, welcher dort stand und einem viel kleineren Menschen, einem Jungen etwas in die Hand gab. Das Gespräch zwischen beiden schien in diesem Moment beendet und war so leise gewesen, dass er sie schon vorher nicht hatte verstehen können. So wenig wie durch das angestrengte Lauschen, welches er in den letzten Momenten versuchte. Das Hufscharren des Pferdes kam ihm viel lauter vor als die heimlichen Worte dort. Als sich die beiden eben wieder voneinander trennten, quetschte er sich schnell an sein Pferd heran, um nicht bemerkt zu werden. Einen Augenblick herrschte Ruhe in dieser kleinen Gasse. Nur in weiter Ferne hörte man noch das abendliche Treiben in den umliegenden Straßen und in den jetzt zur Hauptzeit besuchten Gasthäusern. Bis Fatil schnelle Schritte nahen hörte und schon an der Frequenz auszumachen wusste, dass es nicht Seth war. Seth war groß und tat langsame, weit ausschreitende, fast behäbige Schritte. Diese hier aber waren kurz und fix, sodass es nur der Junge sein konnte. Seth selbst war sicher weiter in Richtung Herberge gegangen. „Halt. Warte mal, Junge.“ Dass er plötzlich nach seinem Hemd griff, ließ den Kleinen doch zusammenfahren, sich erschrocken umdrehen. Aber er lief nicht fort, sondern tastete mit seinen geweiteten Augen schnell Fatil von oben bis unten, dann kurz das Pferd und wieder ihn ab. „Ich habe nichts Unrechtes getan“ rechtfertigte er sich sofort und drückte seine zerschlissene Ledertasche an sich. Er trug keine Schuhe und seine Kleidung war fast so schmutzig wie seine Füße, sein dunkles Haar zerwuselt und mit Wüstensand besetzt. Wie ein Sklave schien er nicht, dafür war sein Rock zu teuer und zu gut geschneidert, aber er war sicher ein nicht eben reicher Botenjunge. Diese Art von Ledertaschen war sehr verbreitet unter Kindern, welche zum Transport von kleinen Waren eingesetzt wurden und als guter Wüstenführer hatte Fatil so etwas schnell zu deuten gelernt. „Ich wollte dich nicht erschrecken, entschuldige.“ Er hatte den Jungen schon wieder losgelassen und sah unbedrohlich zu ihm herunter, als auch der Kleine einen Schritt auf ihn zutrat. „Kann ich etwas für Euch tun, Herr?“ bot er freundlich an. „Habt Ihr etwas zu schicken oder wünscht Ihr, dass ich Euch etwas besorge?“ „Nein, ich habe alles und brauche nichts schicken“ dankte er. „Aber sag mir, Junge, der Priester eben. Was hatte er mit dir zu handeln?“ „Entschuldigt, die Waren in meiner Tasche werden alle vertraulich behandelt.“ „Oh, es ist schon in Ordnung. Ich kenne den Priester. Er gehört zu meiner Gruppe. Ich bin nur neugierig.“ Aber darauf antwortete der Junge nicht weiter. Er hielt seine Tasche vor Diebstahl geschützt mit beiden Händen fest an sich gedrückt und tat so als hätte er diesen Informationswunsch nicht verstanden. So jedenfalls verstellte er die Aussage seiner dunklen Kinderaugen. „Komm schon.“ So langsam wurde Fatil ungemach. „Was hatte er mit dir zu besprechen? Was wollte er von dir?“ Eine Antwort bekam er nicht, aber gewitzt war der Kleine. Das musste man ihm lassen. Er streckte seine leere Hand aus und hielt sie dem Fremden vor ihm entgegen. Als Kind der Straße lernte man schnell, wie man sich seinen Lebensunterhalt verdiente. Und Fatil wusste auch das. Mit einem Seufzen griff er in seinen Geldbeutel und zog eine kleine Münze heraus, welche er dem Jungen in die offene Hand fallen ließ und sich seine Information eben erkaufte. „Einen Brief, Herr“ antwortete er dann auch und steckte das leicht verdiente Geld in einen Beutel, welcher an seiner Ledertasche hing. „Er gab ihn mir mit dem Auftrag, ihn sicher in den Haupttempel zu senden. Und nun werde ich ihn der nächsten Karawane mitgeben, welche in ein oder zwei Tagen ankommt und in diese Richtung abreist.“ „Ein Brief.“ Eigentlich nur ein schlichter Brief. Ein ganz schlichter, einfacher Brief. Es war ganz normal, dass Priester Botschaften in ihren Stammtempel sandten. Und doch ... Seth war ihm noch immer ein Rätsel, er traute ihm nicht zwei Ellenmaße über den Weg. „Zeig ihn mir.“ „Das kann ich wirklich nicht. Das Siegel untersteht dem Postgeheimnis eines Tempels. Er ist mit einem Knoten versiegelt.“ Also griff Fatil wieder in seine Tasche und zog eine zweite Münze heraus, zeigte sie ihm jedoch erst in dem Dämmerlicht des Abends. „Zeig mir den Brief, Junge.“ „Nein, mein Herr. Er ist versiegelt und außerdem von einem Priester. Ich muss ihn wirklich versenden.“ „Nun gut.“ Wieder tat er einen Griff in den Geldbeutel und ließ die kleine, läppische Münze zurückfallen. Dafür aber holte er eine glänzende Silbermünze hervor und brachte damit die Augen dieses Botenjungens zum Staunen. So eine hochwertige Münze sah man nicht alle Tage! „Eine Silbermünze, die du auf dem Marktplatz gefunden hast. Doch leider hast du eine Schriftrolle verloren. War es nicht so?“ „Ja, genau so war es“ stimmte er zu und öffnete seine abgegriffene Ledertasche, kramte kurz in den verschiedenen Waren darin herum und zog dann eine dünne Schriftrolle heraus, welche mit einem rot eingefärbten Stoffband verwoben war. Stoff verworben mit Papyrus bedeutete immer, dass ein Heiliger diese Schrift verfasste. Wer das Siegel brach, den traf der Unmut der Götter. Doch Briefe waren im Reiche eher uninteressant, da nur die wenigstens lesen oder schreiben konnten. Dies war den Adeligen vorbehalten und diese interessierten sich eher für andere Dinge als für Gebetsschriften. Er übergab dem Jungen die Silbermünze und empfing dafür dieses Objekt, welches sein Interesse geweckt hatte. Was hatte Seth jetzt schon an den Tempel zu schreiben? Was konnte er nach nur so kurzer Zeit schon wollen? Oder war es wirklich nur eine Gebetsschrift? Doch ein erster Blick verriet ihm sofort, dass sein Gespür noch immer funktionierte. Die Schrift ging nicht an einen der Priester, sondern an Shinasa, die Tochter des Hohepriesters. Seine Verlobte, welche er verlassen hatte. Ohne eine Verabschiedung hatte sich der Botenjunge davongestohlen und ging weiter auf die Suche, nach Dingen, mit deren Transport er sich sein Brot verdienen konnte. Fatil war das egal. Viel mehr reizte ihn nun, was hier auf diesem Papyrus geschrieben stand. Er wickelte sich die langen Zügel des Pferdes um seinen Bauch, um die Hände freizuhaben, das Siegel zu brechen. Eigentlich akzeptierte selbst er die Heiligkeit und die Unantastbarkeit eines solchen Priestersiegels, aber hier lag die Sache anders. Hier war es kein reinherziger Priester gewesen, welcher den teuren Stoff verwoben hatte, sondern ein schmutziger Lustsklave, welcher dem Pharao schaden wollte. Somit war dieses Siegel nichts wert. Seth spielte irgendein falsches Spiel mit dem König und dies hier war hoffentlich ein Hinweis darauf, was er wirklich plante, hinter seinen ungewöhnlich blauen Augen, welche im Pharao Liebe geweckt hatten - in Fatil aber nur Missgunst und Misstrauen. Er riss den Stoff aus dem teuren, fast noch feuchten Papyrus, rollte die Schrift auf und neigte sie ein wenig herunter, um noch das letzte Abendlicht für seine Augen zu nutzen. >Liebste Shinasa mein, du bist sicher verwundert darüber, weshalb ausgerechnet ich dir einen solch hoch versiegelten Brief sende. Ich bin mir sicher, er erreicht dich, noch bevor ich es tue. Ja, du hast richtig gelesen, mein Lieb. Ich komme Heim zu dir. Auch wenn ich mir unsicher bin, ob du deine Tür für mich überhaupt noch ein Mal öffnen magst. Und deshalb schreibe ich dir diese Zeilen, welche ich vorausschicken möchte, bevor ich selbst an die Tempeltore rufe. Bitte verzeih mein Verhalten. Ich war ungerecht dir gegenüber, harsch und ignorant. Ich wollte dich niemals kränken und doch musste ich gehen, um einem Rufen zu folgen, welches ich lang nicht verstanden habe und es doch seit heute Mittag tue. Ein besonderes Ereignis am heutigen Tage hat mich schmerzvoll verstehen gemacht, dass dieses Rufen vergebliche Hoffnung ist, jetzt wo ich es zu deuten vermag. Liebste, ich weiß nicht, wo ich beginnen soll mit meiner Erklärung. Ich möchte dir so gern sagen, dass es mir leid tut, was ich dir getan habe. Und eigentlich ist auch mein Schreiben nun eine himmelschreiende Ungerechtigkeit dir gegenüber. Und doch hoffe ich auf dein gutes Herz, von welchem ich mir nichts mehr als Vergebung wünsche, bevor die Götter am Ende meines Lebens über mich richten. Vorausgesetzt, eine Seele wie meine zergeht nicht zwischen den Welten. Denn ich muss dir gestehen, meine Shinasa, ich bin nicht würdig und zu unrein, als dass ich mich Priester nennen dürfte. Ich gestehe dir, ich habe dir niemals gesagt, dass ich unseren hoch geschätzten Pharao bereits vor einigen Jahren getroffen habe. Damals war mein Leben nicht mehr als eine Hand voll Pferdedung wert. Ich war dem Tode verdammt. Warum dies, kann ich dir hier nicht sagen. Es ist zu schmerzhaft und zu gefährlich, aber ich schwöre dir, ich werde dir alles im Vertrauen sagen, wenn ich erst wieder bei dir bin. Entscheidend für mein weiteres Leben war damals bis heute, dass der Pharao persönlich mich Unwürdigen errettet hat. Mit seiner Güte, seiner Herzlichkeit und seinem Edelmut nahm er mich gebrochen vom Boden auf und hauchte mir neues Leben ein, wie Amun die Toten von der Schattenwelt ins Licht bringt. Der Pharao war es, welcher mich in den roten Tempel schickte und meine Ausbildung zahlte. Von ihm waren die Briefe, welche ich stets vor dir geheim hielt und ihm galten meine Abendgebete. Obwohl ich dich wahrhaft und aufrichtig liebe, waren doch so viele Gedanken bei ihm. Als er dann vor kurzer Zeit zu meiner Weihe kam, erbrannte ein Feuer in mir, welches ich niemals zuvor fühlte. Meine Dankbarkeit war so groß, dass sie mich zu erdrücken drohte. Mit seinem Angebot, mit ihm zu gehen, eröffnete er mir die Verwirklichung all meiner Träume, meiner Wünsche. Doch hatte ich an deiner Seite über die Jahre andere Träume und Wünsche entwickelt. Unsere Ehe und die Absicht, unsere Leben miteinander zu verweben, war neben unserer Religion Lebensinhalt seit ich wieder leben konnte. Unser Pharao muss dies gespürt haben und so wollte er mir die Entscheidung abnehmen. Er zog sein Angebot zurück, lehnte mich ab und verließ den Tempel ohne ein Wort des Abschieds, mit dem Versprechen, wir würden uns nun niemals wiedersehen. Shinasa, ich war verzweifelt. Auf der einen Seite du, die Frau, welcher ich mein Leben versprochen hatte. Auf der anderen Seite der Mann, welcher mein Leben rettete. Bitte versteh, ich konnte ihn nicht ziehen lassen, ohne ihm zu zeigen, wie dankbar ich ihm bin. Es ist meine Pflicht, ihm mein Leben zu Füßen zu legen und ich habe mir gewünscht, er möge es aufnehmen. Ich war wie verblendet von dem Gedanken, ihm nahe zu sein. Und heute, vor nur wenigen Momenten, klärte sich meine Verblendung und ich musste erkennen, wo mein Platz im Leben ist. So abwertend, wie es sich anhört, ist es nicht gewollt. Mein Platz im Leben ist ein guter, denn er ist bei dir. An deiner Seite, weil du die wundervollste Frau bist, welche die Götter jemals schufen. Und ich möchte mir den Platz an deiner Seite zurückerobern, nachdem ich ihn so leichtfertig aufgab. Du fragst dich nach den Gründen meines Gedankenwandels und ich will sie dir gestehen, so wenig rühmlich sie für mich sind. Der eine einzige Grund ist, meine Shinasa, ich habe mich verliebt in unseren Pharao. Das habe ich heute erkannt, als ich ihn mit einem anderen sah und mein Herz in tausend Splitter brach. Seit Jahren habe ich dieses Gefühl nicht zu deuten gewusst, habe es als Dankbarkeit ausgelegt und es vor mir selbst verschwiegen. Meine Liebe zu ihm ist Sünde, Schmutz und Verdammnis. So für ihn zu fühlen, ist ihm nicht gerecht. Wenn wir unter uns sind, werde ich dir auch gestehen, weshalb diese meine Liebe für ihn keinen Wert hat und weshalb ich sie ihm niemals sagen darf. Doch für nun habe ich ungeschmückt gestanden, was geschah und ich hoffe, du verstehst meinen Wunsch danach, zu dir zurückzukehren. So sehr ich den Pharao auch verehre, ihn aus tiefstem Herzen liebe, so wenig kann ich ihm nahe sein, denn ich würde ihn nur beschmutzen. Er ist der Herr Ägyptens und ich bin nicht einmal von Adel. Mein Platz ist nicht bei ihm. Mein Platz im Leben ist an deiner Seite, denn dies ist ein Wunsch, den ich äußern darf. Sicher ist es ungerecht, einer so wunderbaren Frau wie dir zu schreiben, dass ich einen anderen liebe, noch dazu einen Gottessohn, aber dies mindert nicht meine Gefühle zu dir. Nun erkenne ich, was ich auch für dich fühle. Ich will es nicht Liebe nennen, aber es kommt dennoch aus dem Wunsch meines Herzens und der Klarheit meines Verstandes. Ich empfinde für dich Verehrung, Respekt und Zuneigung. Dein Lächeln erwärmt mich, deine Hände sind wie Träume und dein sanftes und doch heiteres Wesen vermögen mein Leben zu füllen. Vielleicht liebe ich dich auf eine besondere Art. Niemand wird jemals an den Pharao heranreichen, doch für mich bist du der zweite Mensch nach ihm. So wundervoll, dass auch du von einem Schein des Segens umgeben strahlst. Bitte verstehe dies nicht als Herabsetzung, denn ich möchte dir sagen, wie hoch du stehst, dass mein Herz so für dich fühlt. Diese meine Gefühle vermögen auch dir unwürdig zu sein. Zu sprechen, dass meine Liebe den Pharao beschmutzt und sie doch dir aufzudrängen, ist dreist. Das weiß ich. Denn auch dich würde ich beschmutzen und hoffe doch, dass mein brüchiger Glaube an das Gegenteil in deinem Herzen Bestätigung findet. Ich hefte es an dein Urteil. Weitere Worte würden nur verwirren oder mich weiter in deiner Gunst sinken lassen. Ich schicke sie dir so voraus bis ich dich selbst erreiche. Und dann werde ich dir alles erklären, alles was in meinem Herzen ist und auf meinem Haupt lastet. Du wirst dann selbst urteilen, ob du mich aufnimmst oder fortjagst. Sollte mir deine Tür verschlossen sein, so kann ich es dir nicht verdenken. Ich bin mir bewusst darüber, was ich für einen schlechten Charakter habe. Wäre ich an deiner statt, ich würde mich auf ewig verdammen. Doch weiß ich auch, dass du ein besserer, reiner Mensch bist als ich. Mein zukünftiges Leben soll an deiner Seite sein, dies ist mein Wunsch. Dass du mich verstößt, dies ist es, was ich verdiene. Doch bis ich dich erreiche, bete ich dafür, du mögest einen Platz in deinem Herzen finden für ein unwürdiges Geschöpf wie mich. Willst du mich erdolchen, so werde ich dein Urteil annehmen und den Göttern danken, dass du es warst, welche mir das Leben nahm. Doch willst du mich anhören, meine Hoffnungen aufkeimen lassen und dann zerwerfen, so werde ich auch dies wehrlos annehmen. Willst du mich aufnehmen, mir verzeihen für meine Sünden, so wird meine unreine Seele dir gehören bis ans Ende aller Zeiten. Doch bitte verzeih, dass mein Herz ein Leben lang zu Füßen des Pharaos liegt. Alles andere sei dein. Ich begleite den König noch zurück in seinen Palast, um ihn dort wohlbehalten zu wissen. Danach nehme ich mir noch am gleichen Tage ein Pferd und werde nicht eher ruhen bis ich mein Haupt vor dir senken kann, meine Knie beuge und die Götter ein letztes Mal bitte, mir Vergebung zu schenken. Sicher haben meine Worte dich verletzt, aber vielleicht ist es dir etwas wert, dass ich dir all meine Ehrlichkeit entbiete und nicht mehr das kleinste Geheimnis vor dir haben will. Auf bald, Geliebte.< Wütend stampfenden Schrittes kam Fatil durch die Tür der Herberge und stürmte den kleinen Saal, welcher um diese späte Uhrzeit schon fast verlassen war. Der letzte Gast in Person eines alten Wandersmannes saß noch hinten am Tisch und ließ sich sein Abendmahl aus Brot und Ziegenmilch schmecken. Ansonsten waren selbst die meisten Fackeln schon gelöscht, um das Haus bald zur Ruhe zu legen. Doch Ruhe war das Letzte, was Fatil jetzt zu finden vermochte. Er quetschte den unrechtmäßig erworbenen Brief in seiner Faust und sein Herz brauste vor Wut. Wie konnte dieser schmutzige Priester es sich nur erdreisten? Er wollte gerade weiterstürmen, als ihm die kleine, zierliche Herbergsmutter entgegentrat. Ihr Falten warfen dunkle Schatten in dem wenigen Licht und ihr linkes, fast blindes Auge schien auf diese Weise nur noch heller. Ihr Haar war schon zur Nachtruhe geflochten und ihre Mehlbestäubte Schürze geöffnet. Der Holzkeil in ihren Händen war eindeutiges Zeichen, dass sie eben auf dem Wege war, den Haupteingang der Herberge zu schließen. „Seid gegrüßt verehrter ...“ wollte sie sprechen, doch Fatil war zu aufgebracht, als noch an große Höflichkeitsfloskeln einen Gedanken zu verschwenden. „Wo ist unser Priester?“ quetschte er sich heraus. Lieber hätte er geschrieen, hätte die himmelsschreiende Ungerechtigkeit beschrieen, welche dem Pharao widerfuhr. Warum nur hatten die Götter seinem Königsbruder eine solche Last auferlegt? Warum nur quälten sie ihn so? Der Pharao war gut zu den Menschen und schenkte ihnen immer das, was ihm selbst fehlte. Fatil liebte ihn und er würde sich gegen alle stellen, welche ihm schaden wollten. Sei das nun ein Sklave oder seien es die Götter. „Er ging eben in unseren Gebetsraum“ antwortete sie ihm doch etwas eingeschüchtert. „Kann ich ihn für Euch rufen, Herr?“ „Nein, habt vielen Dank, gute Frau.“ Mit diesen Worten tobte er an ihr vorbei und ließ sie verwirrt stehen. Sie konnte auch nicht viel mehr tun als sich umzudrehen und dem abendessenden Wandersmann ratlos ins Gesicht zu sehen. Hinter sich hörte Fatil von ihm nur am Rande ein dunkel gerauntes „Adlige ...“, aber kümmerte sich nicht weiter darum. Viel wichtiger war ihm nun, das Bedürfnis zu stillen, welches ihn am ganzen Körper zur Tat drängte. Im Stechschritt fegte er den schmalen Gang entlang, drehte jedoch vor der kleinen Treppe ab, welche hinauf in ihre Gemächer führte. Stattdessen nahm er die Tür links davon, riss den abendlich windverspielten Stoff fast herunter, als er ihn zur Seite bewegte. Und innen in diesem recht kleinen Gebetsraum sah er die Wurzel allen Übels knien. Beschienen von zwei Fackeln, auf dem bastgewebten Gebetsteppich, an den Wänden die Zeichnungen der in der Wüste vorrangig herrschenden Götter und fast zu passend an der Krone des Raumes das Zeichen des Seth. Der Pharao hatte ihm diesen Namen geschenkt und er wusste nicht mal, wie weit fort dieses niedere Lebewesen dort von der Würde eines Gottes entfernt war. „Was ...?“ Es ging so schnell, dass Seth sich nicht mal richtig erhoben oder umgedreht hatte. Er sah in der Bewegung nur Fatil auf sich zustürmen und im nächsten Moment hörte er einen knallenden Schlag an seinem Ohr und fühlte einen stechenden Schmerz an seinem Wangenknochen. Er fiel zurück auf den Boden und hielt sich sofort seine schmerzende Gesichtsseite. Er blickte geschockt zu Fatil hinauf und sah nur das wutrote Gesicht, die feurigen Augen, welche ihn zu erdolchen drohten. „Warum schlägst du deinen Priester?“ rang er sich halb beleidigt, halb verwirrt ab. Körperliche Gewalt gegenüber einem Priester war selbst für Adlige eine Sünde. Man schlug heilige Männer nicht. Sie genossen Immunität gegenüber körperlichen Anklagen. „Du bist kein Priester.“ Fast war sein ungläubiges Lächeln eine grinsende Fratze. Fatil war in Wut, mehr als sonst. „Du bist ein Stück Fleisch mit Atem, nicht mehr. Was glaubst du, was du dir herausnimmst, du ...“ „Warum sprichst du so mit mir?“ hakte er noch mal ein und kam relativ ungeschwächt wieder auf die Beine. Okay, Fatil hatte viel Kraft im Arm, aber da hatte er schon wesentlich schlimmer Dinge weggesteckt. Er stellte sich aufrecht vor ihn hin und nahm auch demonstrativ unbeeindruckt die Hand von der pochenden Wange. „Was ist in dich gefahren, dass du mir gegenüber jetzt sogar körperliche Gewalt gebrauchst? Sind dir deine ewig spitzen Worte nicht mehr genug? Warum hegst du solchen Groll gegen mich, Fatil? Was habe ich dir getan?“ „Du solltest dich lieber fragen, was du unserem Pharao antust“ zischte er und hob den fest umkrallten Brief in die Höhe. Das Papyrus schon ganz zerknittert und eingerissen, aber an Seths Gesichtsausdruck ließ sich ablesen, dass der dieses Schreiben sofort erkannte. „Du ... du öffnest meine Briefe? Du stiehlst und liest sie?“ „Der Dieb von uns beiden bist du und das weißt du genau“ drohte er zurück und entgegnete seinem doch ziemlich geschockten Blick mit purer Wut. „Sag mal, du Miesling, bist du so dumm oder verstellst du dich? Was hast du vor, mit unserem König zu tun? Schämst du dich nicht?“ „Ich ...“ Dazu fiel ihm scheinbar keine Antwort ein. „Was wirst du jetzt tun?“ „Ich weiß es noch nicht“ antwortete er kurz, faltete und rollte das Papyrus ganz klein zusammen und steckte es in die breite Tasche an seinem Gürtel, bevor er ihn abermals voller Hass anblickte. „Ich behalte dich im Auge. Solltest du wirklich so dumm sein, hast du meinen Segen. Solltest du aber auch noch die Tochter des Hohepriesters in deine Intrige einziehen, werde ich einen Trumpf ausspielen, welcher dich niederstrecken wird. Merke dir meine Worte.“ Seth war so überrumpelt, dass er gar nicht wusste, was er darauf entgegnen sollte. Eben noch kniete er hier ins Gebet vertieft und im nächsten Moment wurde er geschlagen und mit mysteriösen Anklagen und Drohungen in die Ecke getrieben. Er verstand einfach nicht, was Fatil vom ihm wollte, warum er ihn so ablehnte oder was ihn so sehr an seiner Person störte. Er war vom ersten Moment an gegen ihn gewesen und nun drohte er ihm mit Worten, welche so unverständlich waren wie seine Taten. Doch was das Schlimmste war: Er wusste nun um seine Gefühle für den König. Dass es Sünde für einen Priester war, den Pharao so leidenschaftlich zu lieben, stand außer Frage. Aber er wäre nicht der erste Priester, welcher einem Pharao sein Herz schenkte und das Volk würde nicht mehr tun, als nur die Nase zu rümpfen. Was aber wahrlich schrecklich war: Warum reagierte er so empfindlich und drohte ihm mit einem Trumpf, welcher ihn niederstrecken würde? Warum wollte er seinen Segen geben, sollte er wirklich so dumm sein? Von welcher Intrige sprach er? Was nur ging in Fatils Kopf vor? Der drehte sich einfach um und ließ ihn mit seinem fragenden Blick stehen. Was scherte es ihn, ob dieser verlogene Priester ihn mit unschuldigen Blicken bewarf? Sollte er wirklich wie vermutet eine Intrige gegen den König planen, so war er nun vorgewarnt. Fatil war kein leichter Gegner. Er hatte vielleicht nicht so viel körperliche Kraft wie ein Soldat, aber seine Waffe war die Intelligenz und mit der hatte er noch jeden bezwungen, welcher sich gegen den Pharao stellte. Er bestieg die schmale Treppe, welche so steil hinaufging, dass er sie fast krabbeln konnte. Er wollte nur noch schnell schauen, ob sein König noch etwas brauchte und sich dann selbst nach einem beruhigenden Kelch Wein zur Ruhe legen. Er ging an seinem eigenen Zimmer vorbei, dessen Tür aussah wie jede andere der siebenen hier im zweiten Obergeschoss. Direkt neben ihm hatte sich der König einquartiert, denn es war der größte und komfortabelste aller Räume hier und im Gegensatz zu diesem tristen Flur ohne Teppich oder Wandschmuck, direkt hübsch herausgemacht. In dieser kleinen Herberge war man nicht auf königlichen Besuch eingestellt, aber es war zu spät am Abend, um noch in das Haus des Stadthalter umzusiedeln. Vielleicht morgen, sollte sich der König hier nicht wohl fühlen. Doch der war für gewöhnlich sehr genügsam und bescheiden. Selbst, wenn ihn etwas störte, würde er es nicht sagen. Deshalb war es so wichtig für Fatil, darauf zu achten, ob ihm wohl war. Selbst wenn er nicht der Pharao wäre, so würde ihm sein Wohl dennoch am Herzen liegen. Einfach, weil er ihn als Bruder liebte und schätzte und deshalb auf ihn achten würde. Seien es nun fehlende Kissen oder ein intriganter Sklave. Höflich klopfte er an die Tür, um sein Kommen anzukündigen ... er lauschte ... doch eine Antwort erhielt er nicht. Vielleicht schlief sein Pharao schon. Deshalb klopfte er auch kein zweites Mal, sondern drückte so leise wie möglich die schwere Tür bis er den Kopf hindurch stecken konnte. Erwartet hatte er einen müden König, welcher tief in seine Laken gekuschelt ganz entspannt das Traumland eroberte und endlich ein wenig Schlaf des Nachts fand. Doch der Anblick, welcher sich ihm bot, war alles andere als entspannt. Mitten auf dem Boden in einer Lache tiefroten Blutes lag sein König danieder gestreckt. Sein helles Gewand hatte sich mit rotem Saft vollgesogen und kletterte den Körper hinauf. Seine Haut so blass wie die unschuldigen Wolken am Morgenhimmel, seine Haltung wie schlafend so ruhig. Doch seine ausgestreckten Arme entließen noch einen Strom pulsierenden Blutes, welcher sich über den Steinboden ausbreitete und den König immer mehr im scheinbar selbst erwünschten Tod versinken ließ. Denn der zu Boden gefallene Dolch in der Nähe seines Kopfes verriet, dass dies hier kein Angriff von außen war. „MEIN KÖNIG!!!“ Ohne noch lang zu zögern, stürzte Fatil ins Zimmer, hob seinen Kopf ungeachtet des Blutes vorsichtig hinauf und schaute ihn geschockt an. Er war nicht bei Bewusstsein. „FAARI !!! PENU !!!“ Er brauchte Hilfe! Sein König brauchte ganz dringend Hilfe! Selbst wenn er sich den Tod wünschte, so durfte es doch nicht auf diese unwürdige und traurige Weise geschehen! Nicht aus unerfüllter Liebe! Er legte ihn vorsichtig wieder auf den Boden und griff zur Seite nach den Tüchern, welche eigentlich zur Körperwäsche bereitgelegt waren. „FAAARI! PENU! HERKOMMEN! SOFORT! FAARI!“ Er riss die weichen Tücher in zwei lange Streifen und reichte nach den aufgeschlitzten Handgelenken seines Bruders. Mit Tränen in den Augen schnürte er die Stofffetzen so eng um seine zugefügten Wunden, dass sie nicht weiter bluten durften. Wer wusste, wie lange er hier oben schon lag und das Leben aus seinen Adern fließen ließ? Sein Körper war noch warm. Er fühlte es als er unter ihn griff und ihn aus dem See verdammnisverheißenden Rotes heraushob. Die gleiche Farbe, welche sein persönlicher Untergang auf der Haut trug ... die Farbe in welcher sein Verstand versiegte, je mehr er sich nach hoffnungsloser Liebe sehnte. Kapitel 31: Kapitel 31 ---------------------- Kapitel 31 „Guten Abend, Faari“ grüßte Seth als er vorsichtig die Tür zum Königsgemach aufgedrückt hatte und einen kleinen Schritt hereintrat. „Hallo Seth.“ Er hob seinen Kopf und gähnte erst mal herzhaft. „Wie geht es ihm?“ „Unverändert“ seufzte er dann und schaute seinen schlafenden König voller Trauer an. Seit sie ihn gestern gefunden hatten, war er nicht mehr erwacht. Als wolle er niemals mehr etwas anderes tun als nur zu schlafen. „Warum nur hat er das getan? Er hat nie den Anschein gemacht, dass er so unglücklich ist. Dass er bedrückt war, haben wir alle gesehen, aber so etwas? Vielleicht hätten wir besser auf ihn Acht geben müssen.“ „Ja, vielleicht“ antwortete auch Seth voller Besorgnis. „Weiß Fatil denn keinen Rat? Er kennt ihn doch besser als jeder andere.“ „Wenn Fatil dies geahnt hätte, wäre er nicht eine Minute mehr von seiner Seite gewichen. Das kannst du mir glauben. Nur gut, dass er rechtzeitig hier war, bevor er all sein Blut verloren hat. Ausgeschüttet auf dem Boden wirkte die Blutmenge größer als sie war, sagte der Heiler.“ „Ja ...“ Was konnte er dazu noch sagen? Es wäre ihm lieber gewesen, er hätte den König selbst gefunden, bevor er den Dolch zur Hand genommen hätte. Über der ganzen Gruppe hatte sich Ratlosigkeit ausgebreitet. Niemand wusste, was im Kopf des Pharao vorgegangen sein musste, dass er sein teures Leben fortwerfen wollte. Er hatte in den letzten Tagen einen bedrückten Eindruck gemacht, war schlaflos, hatte keine Aufmerksamkeit und keinen Appetit. Aber dass es so enden würde, hätte keiner von ihnen für möglich gehalten. Umso trauriger waren sie. Umso größer waren die Vorwürfe, welche sie sich machten. Ihr König fragte immer nach den Herzenswünschen aller anderen um ihn herum, doch seine eigenen Wünsche hielt er zurück. Er sprach so gut wie niemals über sich selbst. Vielleicht war sein ewig tapferes, ungebrochenes Lächeln nur der Schein gewesen, dem sie aufgesessen waren. Im äußerlich hell strahlenden Herzen des Pharao, war im Grunde ein schwarzes, trauriges Nichts, welches sich selbst auffraß. „Hat der Heiler etwas gesagt, wann er wieder erwacht?“ fragte Seth vorsichtig. Der Heiler war schon vor einigen Stunden gegangen und mit ihm war auch Fatil für einige Zeit vom Krankenbett gewichen. Wahrscheinlich kümmerte er sich im Namen des Palastes um die Organisation ... was auch immer es zu organisieren galt. Seth hatte wenig Ahnung davon, was ein Pharao eigentlich so den ganzen Tag lang tat. Wichtig war nur, dass er jetzt endlich die passende Gelegenheit hatte, dem Pharao näher zu sein. Seit dem vorigen Abend hielt Fatil ihn vom König fern. Aus irgendeinem Grunde wollte er nicht, dass der Pharao nun seinen Priester sah. Dabei wollte Seth nicht mehr, als nur bei ihm sitzen und sichergehen, dass er noch atmete, dass noch Leben in ihm war. Er wollte sich um ihn kümmern, wenn er wieder erwachte, seinen Schmerz lindern, was auch immer für Schmerz ihn plagte. Selbst wenn er nicht viel bewirkten konnte, so wollte er es doch wenigstens versuchen, an seiner Seite sein und ihn nicht nur von Ferne mit Gebeten bedenken. „Es ist schwer zu sagen, wann er die Augen öffnet“ erwiderte Faari und strich sich sein langes, dünnes Haar aus dem Gesicht, um es zu einem Zopf zusammenzubinden. „Unser Pharao hat viel Blut verloren, aber nicht so viel, dass es lebensbedrohlich wäre. Der Heiler aber sagte, dass seine Schwäche damit zusammenhängt, dass er in der letzten Zeit zu wenig gegessen hat. Eine lange Reise durch die Wüste und fehlender Appetit sind eine gefährliche Mischung. Und wenn zudem noch das Herz schwer ist ... hach.“ Er stützte das Gesicht in die Hände, als wolle er seine Tränen verbergen. „Er hat sich ja nichts anmerken lassen. Gegen alle Feinde können wir ihn verteidigen, nur sein schweres Herz vermögen wir nicht zu sehen? Warum ist uns nicht früher aufgefallen, wie traurig er ist?“ „Weil damit nicht zu rechnen war“ antwortete Seth, welcher noch immer in der Tür stand und sich kaum hereintraute, nachdem er von Fatil Zimmerverbot bekommen hatte. „Er ist der Pharao. Es ist seine Aufgabe, undurchschaubar zu sein. Es ist ihm zur Natur geworden.“ „Aber doch nicht vor uns! Doch nicht vor seinen Freunden!“ Er schaute Seth voller Trauer an und doch sandte er so deutlich einen Hilferuf aus. Alles würde er tun, um zu erfahren, wie man dem Pharao helfen könnte. „Du bist doch ein heiliger Mann, Seth! Bete für ihn! Bitte die Götter, sie mögen ihm Stärke geben.“ „Ich bin nicht so heilig wie du glaubst. Vielleicht haben meine Gebete es nur schlimmer gemacht“ erwiderte er traurig. „Ist dir nicht aufgefallen, dass er erst so geworden ist, nachdem ich mich euch angeschlossen habe? Eigentlich hatte er doch schon klar gemacht, dass er mich nicht haben will und ich habe mich ihm aufgedrängt. Ein falscher Priester wie ich, schadet ihm nur.“ „Das ist nicht wahr“ sprach Faari ruhiger dagegen an. „Du hast selbst gesagt, es ist niemandes Schuld, dass wir nichts von seinem Unwohlsein bemerkt haben. Und vielleicht warst du der Grund, dass er so lange bis hierher durchgehalten hat. Ich kenne den Pharao seit einigen Jahren und ich habe ihn selten so lachen sehen wie mit dir. Wenn du bei ihm warst, haben seine Augen geleuchtet und sein Gesicht, seine ganze Aura haben gestrahlt wie Amun persönlich. Traurig wurde er erst, wenn du nicht an seiner Seite warst. Bitte, du darfst dir nicht die Schuld geben.“ „Aber vielleicht ...“ „Ich weiß, dass Fatil aus dir den Schuldigen machen will“ eröffnete er weiter mit vollstem Ernst. „Dass ihr beide euch nicht versteht, ist unübersehbar. Aber Penu und ich wissen, dass du kein schlechter Mensch bist. Und der Pharao weiß es auch. Lass dir von ihm nichts einreden. Er ist selbst nur ratlos und sucht nach einem Ausweg. Da kommt ein Neuer wie du nur gelegen. Aber sei versichert, dass weder Penu noch ich Misstrauen dir gegenüber haben. Wer den Pharao so strahlen lässt, der muss ein reines Herz haben. Du bist ein guter Priester, trotz deiner Jugend.“ „Danke“ seufzte er und schaute doch wieder auf das Bett, auf welchem ihr König noch immer schlafend daniederlag und gegen die aufgekommene Abendkühle schon mit zwei Laken geschützt worden war. „Ich wünsche mir nichts mehr, als dass der Pharao sein Glück findet und dafür bin ich bereit, alles zu tun. Glaubst du mir das?“ „Ja, das glaube ich dir“ nickte er. „So denken wir alle für ihn. Und das werden wir ihm auch sagen, wenn er wieder aufrecht steht.“ „Ja, das werden wir ihm sagen“ stimmte er verträumt zu. „Hoffentlich gesundet er bald. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ihn so schwach zu sehen.“ „Ja, man fühlt sich unsicher, wenn er so daniederliegt“ musste auch er mit einem besorgten Blick zugeben. „Er ist es, der uns vor allem schützt. Seine Heiligkeit schützt unser Reich vor dem Zorn der Götter und seine Stärke schützt uns vor den Angriffen unserer Feinde. Er ist so zart und doch so wichtig für uns. Erst wenn er schwach wird, spüren wir, wie sehr wir von ihm abhängig sind.“ „Selbst wenn er nicht der Pharao wäre“ sprach Seth leise. „Wenn man nur frei seinen Namen sagen dürfte, wenn er ein ganz normaler Bauernsohn wäre ...“ „Ja, selbst dann wäre er mir wichtig“ ergänzte auch Faari die erstorbenen Worte und seufzte tief, womit dann ein abendliches Schweigen in den Raum zurückkehrte. Zu hören waren nur ein paar leise Töne, welche von der Straße herhallten und sicher zu einem Wirtshaus gehörten und das ruhige Atmen des Königs, welcher in seinem ohnmächtigen Schlaf verblieb. „Seth?“ bat Faari dann mit einem Mal und erhob sich von seinem Hocker neben des Königs Bett. „Wärst du so gut und achtest auf unseren Pharao?“ „Aber Fatil sagte doch ...“ „Hey“ lächelte er ihn beruhigend an. „Fatil ist nicht unser König.“ „Aber er hat das Sagen, wenn der Pharao ...“ „Du bist doch Priester. Deine Herren tragen eine Krone oder wohnen im Götterreich. Auch Fatil hat nicht das Recht, seinem Pharao den Priester zu verweigern. Denkst du nicht auch?“ „Wo willst du denn hin?“ hielt er ihn am Arm fest als er sich an ihm vorbei durch die Tür schieben wollte. „In die Küche“ antwortete er ruhig. „Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen und die Herbergsmutter hat wohl meine Bitte nach etwas Brot vergessen. Sie ist ja auch nicht mehr die Jüngste. Ich bin Soldat, soll ich eventuelle Feinde denn mit dem Knurren meines Bauches in die Flucht schlagen? Zumal auch ich mal austreten muss?“ fragte er und lächelte ihn versöhnlich an. „Der Pharao ist bei dir in guten Händen. Nicht alles, was Fatil sagt, ist richtig. Als Priester stehst du ihm ebenbürtig gegenüber. Also lass dir doch von ihm nichts vorschreiben. Fatil ist nicht dein Herr.“ Faari wusste ja nicht, welche Drohungen Fatil ausgesprochen hatte. Für ihn war Seth ein heiliger Mann, der Wanderpriester des Pharaos, von ihm ausgesucht und akzeptiert. Warum sollte er ihm misstrauen, wenn er doch dem Urteil des höchsten aller Männer standgehalten hatte? „Aber du hast eine Weisung!“ rief Seth ihm hinterher, als Faari den Gang und auch bereits die Treppe hinunterging. „Ich bin ja gleich wieder da, Priester!“ winkte er ohne sich umzudrehen und war verschwunden. Und ließ damit Seth und seinen König allein. Was sollte der denn jetzt tun? Natürlich hatte er als Priester das Recht, gegen Fatils Wort zu handeln, aber ... ihm war doch etwas flau im Magen. Er hatte doch nur sehen wollen, ob der König schon erwacht war und nun hatte er ihn für sich allein? Selbst wenn es nur ein paar Minuten waren ... Aber was sollte denn auch schon groß passieren? Er sollte auf Faari hören und sich von Fatil nichts einreden lassen. Zwar hatte er seinen Brief gelesen und wusste nun auch, wie er für seinen Pharao empfand, aber alles andere wusste er nicht. Es war gut gewesen, dass er sein größtes Geheimnis nicht niedergeschrieben hatte, sonst wäre er wohl weder so angesehen, noch wäre er überhaupt noch hier. Wenn Fatil wüsste, dass er bis vor einigen Jahren ... nein, er hätte ihn im besten Falle fortgejagt. Also nahm Seth sich ein Herz und trat ein. Ganz leise setzte er seine Schritte auf und schloss die leichte Holztür hinter sich. Es war ein merkwürdiges Gefühl, nun mit ihm ganz allein zu sein. Seit sein Herz sich bewusst gemacht hatte, dass seine Dankbarkeit mehr als nur das war, seitdem fühlte es sich so anders an. Erst neulich morgens als der Pharao ihn fragte, was er sich wünsche, da war sein Herz übergequollen vor Gefühlen. So viele gute Gefühle hatte er noch niemals in sich gespürt. All seine Dankbarkeit, seine Treue, seine Bewunderung, seine Freundschaft und all das mehr mischten sich und erstrahlten in dem klarsten und hellsten aller Empfindungen. Und dann als er den Pharao im Lusthaus sah. Als er so eindeutig dort mit diesem hübschen Sklaven zusammengewesen war. Es hatte Seths Eifersucht geweckt. Mit ihm hatte der Pharao niemals das Bett geteilt und dann erblickte er, dass er sich einen anderen erwählt hatte. In diesem Moment wusste er, dass er seinen Pharao liebte. Er liebte ihn so wie er ihn nicht lieben durfte. Als er sich vorsichtig an den Rand seines Bettes setzte, drängte es ihn danach, dieses schlafende Gesicht zu berühren. Seine Haut war so blass und fahl, selbst seine sonst so rosigen Lippen zeigten kaum mehr als eine gräuliche Farbe. Warum nur hatte er es nicht bemerkt, dass seinem König so schwer ums Herz wurde? Als Priester war es doch Sinn seiner Existenz, dem Pharao auf seinen Reisen alle Herzenslast abzunehmen. Sie hatten so viel miteinander gesprochen, gelacht und sinniert ... warum nur hatte er niemals auch nur ein Signal empfangen, welches diesen Freitod hätte ankündigen wollen? Es lag daran, dass er niemals ein wahrer Priester sein würde. Sein Vater war ein heiliger Mann gewesen, aber sein damaliger Herr hatte ihm die Worte tief eingebrannt. Wer einst Sklave wurde, wird immer als Sklave existieren. Bei allem guten Willen, er konnte kein Priester sein. Er war nicht rein genug und sein Herz folgte den falschen Pfaden. Wenn der Pharao erfuhr, wie schändlich er war ... nicht auszudenken, welch ein Unglück über ihn kommen würde. Schlimmer als alle bösen Worte, schlimmer als alle erniedrigenden Berührungen war es, den Tod seines geliebten Königs zu verantworten. Atemu war so gutherzig gewesen, ihm die Erfüllung eines Wunsches zu gewähren. Und im Gegenzug dafür hatten die Götter ihn verflucht. Die Götter selbst wollten nicht, dass ein schmutziger Sklave als Priester getarnt an des Königs Seite war. Atemu hatte um Seth gekämpft und es war in Verzweiflung geendet. Weil ein falscher Priester seine Reinheit beschmutzt hatte. „Es tut mir so leid“ flüsterte er und musste dem Impuls nachgeben, die fahlen Wangen seines Pharaos zu berühren. Sie waren trotz allem ein wenig warm und so unendlich weich. So weich konnte nur die Haut des wundervollsten Wesens dieses Reiches sein. Er strich darüber, ganz sachte und fuhr auch vorsichtig über die blassen Lippen. Wie gern würde er ihn küssen? Wäre er damals einfach Sklave geblieben, hätte er den König nicht in ein solch verfluchtes Unglück gestürzt. Er hätte den Pharao lieben dürfen. Doch er dachte nur selbstsüchtig daran, Priester zu werden und seine schmutzige Vergangenheit abzuschütteln. Und nun hatte sein geliebter König beinahe mit dem Leben bezahlt. Warum nur gewährte er ihm diesen unheiligen Wunsch und nahm dafür den Zorn der Götter auf sich? „Warum nur habt Ihr das getan?“ hauchte er und kniff die Augen zusammen. Seine Tränen wollten ihn übermannen und rannen schon in kleinen Tropfen über sein Gesicht. Er musste dieses falsche Salz fortwischen, um nicht die Decke seines Königs damit zu beschmutzen. Ja, jetzt beweinte er ihn, aber diese Einsicht kam zu spät. Als Atemu ihn im Tempel zurücklassen wollte, hätte er sich ihm nicht widersetzen dürfen. Hätte er auf den Befehl des Pharaos gehört, wäre es sicher niemals so weit gekommen. Doch er als unwürdiges Geschöpf hatte gebettelt und gefleht und dabei nur an sich gedacht. Er hatte seine Verlobte verletzt und den Pharao ins Unglück gestürzt. Ein Sklave sollte Sklave bleiben und nicht mit seiner schmutzigen Liebe das Herz reiner Menschen vergiften. „Ich verspreche Euch“ hauchte er und nahm selbst kaum war, wie er sich nieder senkte, neben dem Bett kniete und seinen Oberkörper auf die weiche Matte bettete, um seinen Kopf nicht über den des Königs zu erheben. Er berührte mit seinem Handrücken das warme Antlitz seines Königs und wusste, er würde büßen, für das, was er ihm angetan hatte. „Ich verspreche Euch“ begann er noch mal neu mit zitternder, brüchiger Stimme, „ich werde Euch sicher zurück in den Palast geleiten. Ich werde Euch schützen und ich werde ohne Widerspruch für Euch sterben. Ich liebe Euch ... Atemu.“ Er blickte das schlafende Gesicht an, er traute seinen versalzenen Augen kaum und doch vermochte er sie nicht der Lüge anzuklagen. Die schlafenden Züge verschwanden und ganz langsam öffneten sich seine Lider. Müde und doch mit einem unendlichen Glänzen in seinen edlen Augen, welche der Reinheit und der Schönheit der edelsten Amethysten gleichkamen, öffnete er sie und schaute ihn einen Augenblick ohne Worte an. Seth vermochte sich kaum zu bewegen. Dieser Blick bedeutete mehr als das Gottesreich. Gegen diesen Blick verblasste alles. Nichts war mehr wert als das Schimmern dieser Gottestore, welche so tief und so unendlich zurückschauten und sein Herz trotz aller Schande einbetteten in weiche, warme Güte und Vergebung. Und seine blassen Lippen formten sich zu einem Lächeln. Er erwachte, öffnete die Augen und lächelte. So selig und so unschuldig wie ... wie es nur der Pharao Atemu konnte. Solch ein zufriedenes, liebendes und warmes Lächeln ward Seth noch niemals zuvor geschenkt worden. Atemu lächelte. Er hatte sich das Leben nehmen wollen, erwachte und lächelte ihn an. Den, der ihm den Zorn der Götter ausgeliefert hatte, den lächelte er an. Und das mit einem solchen Glanz, dass es ihm das Herz verbrannte. „Mein Seth ...“ hauchte er leise und seine Stimme war noch so schwach. Doch obwohl sie kaum hörbar war, hallte sie doch durch sein Herz als würde ein Gewitter über ihm tosen. „Atemu ...“ Seths Stimme war zittrig und er glaubte nicht, was er sah. Dieses Lächeln, diese schimmernden Augen und dazu sein unwürdiger Name auf seinen Lippen, welchen er mit solcher Zärtlichkeit aussprach. Warum nur ... warum? „Ich wusste es“ flüsterte der Pharao leise und bewegte seine Hand. Ganz langsam wollte er sie in die Höhe heben, aber er war noch so kraftlos. Doch als Seth danach griff und sie an seine tränennasse Wange legte, konnte er ihn berühren. „Was wusstet Ihr, Atemu?“ weinte Seth und schmiegte sich an seine weiche Hand. Er reichte ihm seine Hand, er lächelte und nannte seinen schmutzigen Namen mit solcher Reinheit. Warum nur tat er das? „Im Tode bin ich mit dir vereint“ erwiderte er leise und doch schien er so unendlich glücklich mit dem, was er sprach. Seine Hand blieb so sanft, so weich und so herzfüllend warm. Er war das reinste Geschöpf, reiner als die Morgensonne, reiner als der Mondschein, reiner als ein Kinderlachen. Atemu war der Segen dieses Reiches. „Atemu, Ihr seid nicht tot“ erbrachte Seth überglücklich. „Ihr lebt. Ihr seid nicht tot.“ Das waren sicher die schönsten Worte, welche er jemals gesprochen hatte. Sein Pharao lebte, er lebte und er lächelte. „Oh.“ Auch wenn im nächsten Moment sein Lächeln erstarb und seine Hand die wenige Spannung verlor, bevor Seth sie sanft zurücksinken ließ. Und was er hörte, konnte er nicht glauben. Über die Lippen seines Königs drang ein erkenntnisschweres „Schade“, bevor er die Augen schloss und tief einatmete. Als wäre es ein Unglück, welches er kaum verkraften konnte. Er war nicht glücklich darüber, dass er noch nicht zu Tode gekommen war? „Majestät, Ihr lebt“ versuchte Seth ihm doch nahe zu legen. Fast flehend hörte er sich selbst sprechen. „Fatil hat Euch gefunden und gerettet. Ihr habt nun lang geschlafen, aber Ihr habt noch Leben in Euch. Ihr lebt, Atemu.“ Aber darauf sprach der Pharao nichts. Er hielt einfach seine Augen geschlossen und eine bedrückte Stille legte sich über sie. Nur leise hörte er den Atem seines Königs, blickte in sein niedergeschlagenes Gesicht und wollte es nicht glauben. Warum musste ein so wunderbares Lächeln sterben? „Atemu, Ihr ...“ wollte er neu anheben zu sprechen, doch er wurde von der weichen, leisen Stimme seines Herrschers unterbrochen. „Du hast doch eben etwas gesagt“ bat er ohne Ton. „Bitte ... bitte, Seth. Bitte sag das noch mal, was du eben gesprochen hast. Ich habe dich gehört, aber ... bitte sprich noch mal dasselbe.“ „Ich ...“ Nein, er durfte es nicht gehört haben. Seth hatte ihn doch schlafend geglaubt. Ihn noch tiefer mit seiner schmutzigen Liebe ins Unglück zu stürzen und ihn damit irgendwann in die völlige Verdammnis zu bringen ... nein, das war es nicht, was er sich für ihn wünschte. „Ich sagte ...“ versuchte er befangen herauszubringen, „ich werde Euch sicher in den Palast geleiten und Euch auf unserem Weg mit meinem Leben beschützen. Denn mir ist Euer Leben teurer als mein eigenes.“ „Mehr hast du nicht gesagt?“ „Nein ... nur das. Beleidigt es Euch, wenn ich ...?“ „Dann tu das“ flüsterte er und wand sein Gesicht von ihm ab. „Bring mich in den Palast zurück. Ich möchte nach Hause ...“ Kapitel 32: Kapitel 32 ---------------------- Kapitel 32 „Möchtet Ihr eine Pause machen?“ Fatil spürte, wie der Pharao sich rückwärts an ihn lehnte und die Augen schloss. „Nein ... weiter“ bat er leise und schüttelte leise den Kopf. „Mir ist nur ein wenig warm.“ „Kein Wunder, Majestät“ lächelte Faari welcher neben den beiden herritt. „Ihr solltet noch etwas trinken. Nicht, dass Euch wieder schwindelig wird.“ „Hm.“ Er nahm den mit Wasser gefüllten Lederbeutel von Fatil entgegen und trank ein paar Schlücke. Er wusste auch, dass er nicht bei alter Kondition war. Er hatte viel Blut verloren und es hatte sechs Tage gedauert bis er sich eigenständig einige Stunden im Sattel halten konnte. Erst dann hatten sich seine Männer dazu bewegen lassen, aufzubrechen und den Weg zurück in den Palast fortzusetzen. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, würde ihr König noch immer das Bett hüten, aber der wollte nichts mehr, als endlich zurück in seinen Palast, an den einzigen Ort, welcher einem Zuhause gleichkam. Dort fiel es ihm sicher leichter, Seth aus dem Wege zu gehen. Leichter jedenfalls als dies hier in der Wüste zu tun. Hier waren sie ja nur zu fünft und ihre Nachtlager waren eng zusammen. Fast zu eng. Er hörte Seth jede Nacht atmen ... Aber die Stimmung hatte sich seit dem Dolchstich geändert. Seit Seth an seinem Bett saß, war er ihm nicht mehr nahe gekommen. Sie beteten getrennt voneinander, sahen sich kaum noch an und wenn, so wandten sie schnell ihre Blicke ab. Beim Essen bewahrten sie Stillschweigen und hatten keine gemeinsamen Momente mehr. Wo sie bis vor einiger Zeit noch gemeinsam gescherzt hatten, sich des Nachts den Mond ansahen und sich Geschichten über die Sterne erzählten, da war nun nur noch Schweigen. Wahrscheinlich war Seth enttäuscht von seinem hochverehrten König. Zuerst sah er ihn, nachdem er von einem Lustsklaven Gebrauch gemacht hatte und dann fand er ihn todeswünschend in seinem Gemach. Er hatte alles verraten, woran sie einst gemeinsam geglaubt hatten. Sklavenfreiheit war ebenso Vergangenheit wie Lebenslust. Dieses Schweigen zwischen ihnen war zwar schmerzlicher als ihre Freundschaft, aber es war eindeutig der leichtere Weg. „Hoheit, wir sollten unseren Weg für heute wirklich beenden“ bat Fatil als er ihm den Wasserbeutel wieder abnahm und diesen in der Satteltasche verstaute. „Ich bin noch nicht erschöpft. Ich kann noch ein paar Stunden“ bat er und schloss den Sandschutz vor seinem Gesicht wieder. „Wir können noch ein wenig weiter.“ „Ich glaube Euch ja, aber seht doch“ zeigte er in die Ferne. „Wir sind gerade in einem kleinen Tal. Hier ist der ideale Platz für unser Lager. Vor Einbrechen der Nacht werden wir es über die nächst Düne nicht schaffen.“ „Ja, wir sollten wirklich hierbleiben“ plädierte auch Faari dafür. „Ihr wisst doch, dass es hier in der Gegend nahe dem Palastvorland vor Räubern wimmelt. Auf einer Dünenspitze zu rasten, wäre zu gefährlich.“ „Das hätte aber auch den Vorteil, dass wir von dort oben sehen können, ob sich jemand nähert“ meinte Seth, dem es auch ganz lieb wäre, sie würden eher gestern als morgen den Palast erreichen. Jeder Meter mehr am Tage war kostbar gewonnene Zeit. „Falls du es noch nicht gemerkt hast“ sprach Fatil mit einem leicht aggressiven Unterton, „es ist dunkel in der Nacht. Da werden eher die Banditen unser Feuer sehen als wir ihr Kommen. Aber du kannst ja gern alleine da hoch und rasten.“ „Fatil, lass das“ bat der Pharao seufzend. „Ich bin es satt, dass ihr ständig aufeinander rumhackt. Ich will von dir nicht einen Ton mehr hören.“ Die anderen machten ebenso große Augen wie Fatil selbst in diesem Moment. Dies war das erste Mal, dass der Pharao ihn eindeutig zurechtwies und ihm den Mund verbot. Bisher hatte er Fatils Querelen immer ertragen und höchsten mit einer kleinen Mahnung bedacht, doch das hier war eindeutig ein scharfer Verweis, auch wenn seine Stimme sich dafür kaum erhoben hatte. „Wie Ihr wünscht, mein König.“ Er nahm das zwar so hin, aber da er hinter seinem König saß, um ihn festzuhalten, sah eben der nicht, wie Seth sich von ihm einen ziemlich spitzen Blick einfing, welcher verriet, dass das sicher noch ein Nachspiel haben würde. Doch merkwürdig war es auch, dass Seth ihm einen Blick erwiderte, welcher verraten könnte, dass es ihm relativ egal war, ob er Fatil verärgert hatte. Seth schien mit seinen verschlossenen Gedanken ebenso fernab dieser Welt wie der Pharao. Sie hatten nach einigen Minuten die scheinbar tiefste Stelle im Dünental gefunden und schlugen allem voran einen Unterschlupf für ihren König auf. Ein Kissen auf dem Boden und ein Tuch an zwei Stäben darüber gespannt, damit er nicht länger der prallen Sonne ausgesetzt war. Erst als sie ihn dort mit einer Wasserflasche verstaut hatten, begannen sie, ihr Nachtlager zu errichten wie jeden Abend. Und auch alles andere betrug sich wie jeden Abend. In der Wüste war jeder Tag wie der andere und veränderte sich nicht mehr, als dass sich die Dünen vom Winde formen ließen. Doch als dann in typisch schnellem Niedergehen die Sonne ihr Antlitz vor dem Monde versteckte, das Abendmahl eingenommen war und sie bald ihr Lagerfeuer löschen wollten, da ahnten sie nicht, dass diese Nacht doch anders werden würde als es nun noch aussah. Faari erhob sich als Erster vom Kreise um das Feuer, streckte sich und gähnte. Es war ein langer, heißer Tag gewesen und da tat es gut, abends die müden Knochen zur Ruhe zu legen. „Penu macht die erste Wache“ gähnte Fatil. „Nanu?“ schaute Atemu den überrascht an, als Penu nur noch ein Mal mehr von seinem Brot abbiss. „Gar keine Widerrede? Du hasst doch die erste Nachtwache.“ „Wir hatten ein Spiel am Laufen“ lächelte Faari schalkhaft. „Penu meinte, er hat eine Frau gefunden, bevor wir ins Palastvorland einkommen. Doch morgen werden wir da sein und er ist noch immer einsam. Vorrausgesetzt, es ergibt sich heute Nacht nichts für ihn.“ „Ja ja“ murrte er launisch. „Geh schlafen, sonst hau ich dich.“ „Du findest auch noch eine gute Frau, Penu“ versprach Atemu und heiterte ihn mit seinem so unendlich gütigen, wohlsorgenden Blick auf. „Wenn wir zurück sind, gebe ich dir einige Zeit Befreiung vom Wachdienst. Im Palast gibt es viele ledige Frauen oder Väter, welche ihre Töchter vermitteln wollen. Wenn du magst, höre ich mich für dich um.“ „Das würdet Ihr tun?“ strahlte er zurück. Und wenn ein bäriger Kerl wie er zu strahlen begann, hatte es den Anschein, er würde die wahre Freude eines Kindes über ein süßes Brot zurückholen. „Natürlich“ nickte der Pharao belustigt. „Du wirst sehen, wir finden eine gute Frau für dich.“ „Aber sie muss mich auch mögen und das ...“ „Das ist ganz einfach. Glaube mir. Du bist doch ein prächtiger Kerl und dein Sold reicht für viele Kinder. Du darfst nur nicht so schüchtern sein.“ „Ich bin nicht schüchtern.“ „Nein, mit dem Schwert bist du nicht schüchtern und kannst damit umgehen“ grinste Faari. „Aber sobald dir eine Frau zulächelt, wirst du ganz klein. Schade, dass Frauen keine Schwerter sind.“ „Faari, du mieser kleiner ...!“ Doch diesen kleinen Zwist konnten sie nicht weiter austragen, da stürmten bereits neue Probleme hinter den aufgebauten Zelten hervor auf die Fünferrunde ein. In der nur mit Feuer beschienenen Dunkelheit ließ sich nicht viel erkennen, auf jeden Fall waren es auf die erste Schätzung acht Männer in langen Gewändern, welche sich von hinten angeschlichen hatten und nun zum Angriff bliesen. Natürlich griffen Penu und Faari sofort zu den Waffen, aber dieser Überraschungsangriff kam einfach viel zu schnell. Es wurde laut geschrieen, man versuchte sich gegenseitig Befehle zu geben, wer auf den Pharao aufpassen sollte, doch in dem Gewusel der Dunkelheit ... ihre kleine Chance war allzu schnell verflogen. Das hier war sicher nicht das erste Mal, dass diese Männer nachtlagernde Wanderer überfielen. Hier in der Gegend wimmelte er vor Banditen. Sie waren einen kleinen Moment unaufmerksam und nur dieser kleine Fehler rächte sich alsbald. „Sieh an, sieh an. Wen haben wir denn hier?“ Als endlich etwas Ruhe einkehrte, sah die Lage nicht gut aus. Der Pharao wurde schmerzhaft am Handgelenk festgehalten von einem Mann, welcher so viel größer war als er selbst und die Möglichkeit, sich freizustrampeln hatte er bereits vertan. Dieser große Mann mit vollem Bart, seinem langen Lockenhaar, der kräftigen Statur und dem Grinsen aus zahnlosem Munde, würde ihn sicher nicht gehen lassen. Doch auch die anderen befanden sich in keiner guten Lage. Penu war in Fesseln gelegt und trug eine blutende Wunde am Kopf. Auch Faari hatte man viel zu schnell an Armen und Beinen festgesetzt, damit zumindest die Soldaten außer Gefecht waren. Fatil war zwar kein Kämpfer, aber auch ihn hielt man mit zwei Lederfesseln um die Hände in Schacht. Seth hatte sich bis jetzt noch ganz gut verteidigt, aber er befand sich in ähnlicher Lage wie der König, nur dass er gleich von zwei kräftigen Männern gehalten wurde, welche ihn so schnell nicht gehen lassen würden und ihm schmerzhaft die Arme auf dem Rücken hielten. „Da haben wir ja wirklich mal gute Beute gemacht“ grinste der kahlköpfige Kerl, welcher soeben Fatil zurück auf den Boden zog, als er seinem Pharao in hoffnungsloser Aktion zur Hilfe kommen wollte. „Was wollt ihr von uns?“ Fatil versuchte, ruhig zu sprechen. Aber das wäre in dieser Situation sicher niemandem leicht gefallen. „Wir wollen euch zum Tanz auffordern, was denn sonst?“ Als dies jemand aus der Gruppe der Banditen antwortete, brach ein hämisches Lachen aus. In Ordnung, die Frage war wirklich ebenso absehbar wie die Antwort, aber dennoch musste man ja ins Gespräch kommen. „Sehe ich das richtig, dass wir hier den Pharao gewonnen haben?“ schaute der zahnlose Hüne auf sein königliches Opfer herab und kickte herablassend die golden funkelnde Krone weiter in den Sand, welche dem Pharao bei dem Gerangel vom Haupt gestoßen worden war. Eine Antwort bekam er nicht, aber dieses Indiz abzustreiten, wäre schwer. „Lasst ihn frei“ versuchte Fatil erneut in eine Verhandlung zu kommen. „Lasst ihn und einen unserer Soldaten frei und behaltet uns hier. Nehmt unser Gold oder tut, was ihr wollt. Aber der Pharao muss in den Palast zurückkehren.“ „Merkwürdig“ schaute der fragend zurück. „Es ist doch eher typisch, dass man Adelsleute mit ihren Priestern freihandelt, anstatt mit Soldaten.“ „Wenn der Pharao erneut in einen Angriff geraten würde, dann helfen ihm Gebete auch nicht mehr viel. Unsere Soldaten sind mehr wert als der Priester.“ „Fatil!“ schimpfte Faari leise. „Hör auf damit. Nicht jetzt.“ „So so so, wir haben also den Pharao leibhaftig hier“ stellte er nur ein Mal mehr mit Freude fest und schien nicht gewillt, ihn freihandeln zu lassen. Weshalb auch? Er hielt doch alle Trümpfe in seiner Hand. Er blickte den König an und der schaute nur ziemlich erbost zu ihm zurück. Der Kerl war fast doppelt so groß wie er selbst und doch zeigte sein Blick nicht den Hauch von Angst, nicht die Spur von Unterwerfung. Er war der Pharao und würde sich von niemandem brechen lassen! Selbst in einer so festgetrampelten Situation behielt er seinen königlichen Stolz. Anscheinend stieß ihn nicht mal der üble Atem seines Gegners ab. „Was wir mit dir alles machen können“ überlegte er erfreut. „Wir können ein Lösegeld bei der Königin aushandeln“ schlug der vermummte Mann vor, welcher schon Penu in Fesseln gelegt hatte. „Dann müssen wir ihn solange nur gut verstecken.“ „Warum verstecken?“ grinste der zahnlose Mund im bärtigen Gesicht und sah so dreckig aus in dem seichten Schein des Lagerfeuers. „Wir können ihn doch in den Satteltaschen mit uns tragen.“ „Satteltaschen? Was soll das?“ schaltete Fatil sich ein. Ihr König passte doch beim besten Willen niemals in eine Satteltasche. „Natürlich, das ist nur praktisch“ meinte der. „Wir trennen ihm den Kopf ab, die Gliedmaßen und schneiden ihn ein Mal in der Mitte durch. So bekommen wir Lösegeld für jedes Teil, was wir von ihm zur Königin senden. Sie darf ihn dann selbst wieder zusammenbasteln. Dann hat sie sogar noch was zum Spielen.“ Natürlich brach wieder gehässiges Lachen unter der Bande aus. So eine Zusammenrottung von unangenehm riechenden, dreckigen, ungebildeten, respekt- und gottlosen Männern waren eine Beleidigung für den König. So etwas war ihm unwürdig und dem ganzen Reiche Ägypten. „Ihr dürft seinen Körper nicht zerteilen!“ schrie Seth ihn über das dreckige Gelächter der Bande völlig außer sich an. „Sein Körper ist heilig! Er braucht ihn, um ins Jenseits einzugehen! Wenn ihr ihn zerteilt, wird euch der Zorn der Götter treffen!“ „Götter“ spuckte der bärtige Riese ihm vor die Füße. „Du willst mir was von Göttern erzählen? Ich sage dir was, Priester. Die Götter haben Menschen wie uns schon lange verlassen. Alles nur Aberglaube.“ Dann schaute er zurück auf den König, welcher ihn zwar drohend anblickte, aber gegen ihn so verschwindend zerbrechlich wirkte. Er warf ihn nach einem überlegen wirkenden Blickkontakt herablassend auf den Boden und sprach streng: „Zerteilt ihn.“ „NEIN!“ Das einhellige Rufen der Königsgarde blieb jedoch ungehört. Zwei Männer lösten sich aus dem Hintergrund und griffen den König an beiden Armen, drehten ihn nach vorn als sich ein dritter Mann auf den Weg machte, welcher noch im Schritt sein glänzend scharfes Schwert herausholte. „Das könnt ihr nicht tun! Wenn ihr den Pharao am Leben lasst, kann er euch viel nützlicher sein! Seid nicht dumm!“ Doch egal, was nun Fatil ihnen entgegenrief, egal, was er ihnen anbot, diese Banditen schienen nur das zu machen, was ihnen selbst in den Kram passte. Auch wenn das für sie unklug wäre. Und der Pharao selbst erbrachte nicht einen Funken Gegenwehr. Lieber schloss er die Augen und würde sich seinem Schicksal durchs Schwert hingeben. Es brachte seinen Männern die Tränen in die Augen. Ihr Pharao, ihr teurer Freund hatte mit seinem Leben bereits abgeschlossen und wenn schon sein Freitod nicht wahr wurde, so würde er eben das stolze Opfer eines Mordes werden. Und ob sein Körper nun im Jenseits ankam oder nicht ... Hauptsache, er war fort von hier. Unter den lauten Anfeuerungen seiner Kumpanen, erhob der Schwertkämpfer seine blitzende Klinge und würde dem Pharao sicher problemlos den Schädel spalten. Wenn ihm nicht die Götter beigestanden hätten und ihm doch einen verbotenen Traum schickten. In der ganzen Ablenkung, in der Aufregung des Momentes spürte Seth, wie seine Arme nicht mehr ganz so stark gehalten wurden und er nutzte die Gelegenheit sofort. Mit einem Ruck hatte er sich befreit, sprang sogleich auf den Pharao zu und riss ihn durch die Wucht seines Aufpralls aus der Gefangenschaft seiner Entführer. Das Schwert sauste nieder und traf aber nicht den Kopf des Königs, sondern Seths Fuß. Dieser schrie kurz auf vor Schmerz, aber umso enger schloss er seine Arme um den Pharao, um ihn zu schützen. „Du dreckiger ...!“ Helle Aufruhr brach unter den Banditen aus. Die beiden, welche ihn noch bis eben gehalten hatten, stürmten hinterher und versuchten den Pharao zurückzubekommen. Doch Seth kauerte sich am Boden zusammen und versuchte mit seinem Körper möglichst viel vom Pharao zu bedecken. Er schlang sich um ihm mit Armen und Beinen und würde ihn nicht freiwillig den Räubern ausliefern. Ob sein Fuß dabei blutete und schmerzte, war reinste Nebensache. Er wusste nicht, wie er Atemu hier rausholen könnte, aber er würde ihn mit allem beschützen, was er hatte. Auch mit seinem eigenen Leben. Er hatte es ihm versprochen, es ihm geschworen. Auch wenn der Pharao sein Leben nicht mehr schätzte, Seth tat es dafür umso mehr, auf dass es auch für beide reiche. „Seth ...“ Die leise Stimme des Königs zitterte ebenso wie sein Körper, als die Männer begannen, an ihnen herumzureißen und sie trennen wollten. Doch Seth ließ ihn nicht los. Er verkrampfte all seine Gliedmaßen fast schmerzlich um seinen Pharao und würde ihn nicht zurück in die Gefahr geben. Er würde ihn bis zum allerletzten Atemzug schützen. „Ich beschütze Euch, Atemu“ versprach er ihm ins Ohr, bevor die Rufe um sie herum zu laut wurden. Durch die ganzen Zerrereien an ihnen, nahmen sie kaum war, was sonst um sie herum geschah. Sie hörten Fatil rufen und auch ihre beiden Soldaten, sie hörten das Brüllen der Räuber und das Ziehen von Schwertern. Doch eigentlich nahmen sie nur noch einander war. Die Wärme, welche sich zwischen ihnen ausbreitete, wie gut es tat, sich aneinander festzuhalten, umeinander zu kämpfen in diesem Chaos und sich nicht trennen zu lassen. Wenn er schon sterben musste, so fühlte es Atemu, dann in Seths Armen. Nur am Rande hörten sie die Worte: „Dann zerteilt sie beide!“ und sahen alsgleich wie sich hohe Gestalten vor ihnen aufbauten. Sie spürten wie sie zurück zu Boden fielen und man aufhörte an ihnen zu zerren. Das war der kleine Moment Ruhe vor dem Sturm. Durch die Schatten, welche das Feuer auf den Boden warf, erkannten sich auch noch mit halb geschlossenen Augen, fühlten es an ihrem Körper, dass jetzt alle bewaffneten Männer ihre Schwerter erhoben und sie auch gemeinsam töten würden. Doch als das Geschrei von Anfeuerungsrufen, Gelächter und Freudenausbrüchen der Banditen und die flehenden Bitten und Drohungen ihrer Gefährten fast ohrenbetäubende Ausmaße annahmen, da hallte nur eine einzige Stimme durch die Dunkelheit, welche alles sofort beendete. „Was ist hier los, Rantep?“ Diese Stimme war so klar und kräftig, dass sie alles durchbrach und auch sofort das Chaos ersterben ließ. Seth und sein Pharao wurden nicht auf der Stelle zerteilt, stattdessen wurde es still. Als sie ihre Augen öffneten, sahen sie einen Mann, welcher aus der Dunkelheit auf sie zutrat und zu seinen Seiten zwei riesige Hünen mit sich führte. Im fahlen Schein des Feuers erkannte man sein langes, schwarzes Haar zu einem hochgeflochtenen Zopf verbunden, sein Gewand war so dunkelschwarz wie die Nacht, aber seine Haut war hell, sofern man sie an Gesicht und Händen erkennen konnte. Und dieser Mann sah gar nicht aus wie ein Bandit. Er war nicht schmutzig, hatte all seine Zähne und ein wunderschönes Gesicht. Große, dunkle Augen, eine fein geschwungene Nase und dünne Lippen. Und doch schien er so kräftig, dass nicht nur sein Gang imposant wirkte, sondern auch seine Stimme alles zum Einhalten gebieten konnte. „Schau mal, was wir gefangen haben!“ zeigte der Zahnlose voller Stolz auf die beiden am Boden Liegenden. „Den Pharao und sein kleines Gefolge.“ „Und was wolltet ihr mit ihnen tun? Sie zerteilen?“ „Natürlich! Wir könnten für jedes Körperteil des Pharaos einen guten Preis ...“ „Idiot“ zischte er ihn an. „So etwas entscheidest du, ohne mich gefragt zu haben? DICH sollte man zerteilen und den Geiern zum Frühstück dalassen.“ Allein an seiner Stimme hörte man seinen vollmundigen Mut, seine Macht. Nur durch sein Auftreten hörte alles auf sein Kommando. Auch wenn er auf den ersten Blick eine Augenweide war, so spürte man doch überdeutlich, dass er gefährlicher war als diese Horde wilder, ungebildeter Rüpel. Er schien nicht nur kräftig und gesund gebaut, sondern auch intelligent - das war immer eine gefährliche Mischung. „Wenn ihr uns gehen lasst, werden wir euch ...“ versuchte Fatil, doch er wurde sofort wieder von dem scheinbaren Oberhaupt dieser Horde unterbrochen. „Ich verhandle nicht“ entgegnete er tonlos und schaute unter dem Schutz seiner Männer zum Pharao und seinen Priester hinab, welche sich zwar noch immer fest umschlungen hielten, aber doch zu ihm hinaufblickten. Und es entstand für alle überraschend ein Moment des vollkommenen Schweigens. Auffällig intensiv schauten er und Seth sich an, ganz tief in die Augen ohne ein Wort zu sprechen. Und auch alles um sie herum sprach nicht. Es war als würden der Priester und der Banditenboss ihren Machtkampf nur mit Blicken austragen. Der Räuber hatte eindeutig die Oberhand mit seinen vielen Männern, den Waffen und dem Überraschungsmoment. Doch Seth war angefüllt mit dem Willen und dem Mut, seinen Pharao bis zum letzten Moment zu schützen. Egal, wie aussichtslos es war, er würde ihn nicht kampflos ausliefern. Doch dann weiteten sich Seths Augen und sein Mund öffnete sich langsam zu einem wortlosen Staunen, bevor er endlich leise hervorbrachte: „Emenas?“ „Ich wusste, du kommst mir bekannt vor“ staunte auch der Banditenkönig und beugte sich so weit herab, dass er neben Seth knien konnte. „Du bist der Junge, dem sie den Namen genommen haben. Du lebst noch ...“ Es war für die Außenstehenden nicht erkennbar weshalb, aber als der Boss dieser gesetzlosen Horde plötzlich seine Arme um Seth schlang und auch dieser einen Arm vom Pharao löste, um die Umarmung zu erwidern, da waren doch alle relativ sprachlos. Was hatten ein Bandit und der Priesters des Pharaos gemeinsam, dass sie sich begrüßten wie alte Freunde? „Du lebst noch ...“ wiederholte der schwarze Räuber atemlos und löste sich alsgleich wieder von ihm, um ihn voll des freudigen Staunens anzusehen. „Endlich kann ich dir danken.“ „Was soll denn das werden?“ schaltete sich nun der zahnlose Bart dazwischen, der dem wohl ebenso wenig folgen konnte. „Boss, was hast du mit diesen Adeligen zu schaffen?“ „Sind das deine Männer?“ zeigte der mysteriöse Emenas auf Fatil und die anderen. „Ja, bitte lass sie frei“ bat Seth ihn ruhig. „Wir wollen nur in den Palast zurückkehren.“ „Lasst die Männer frei“ befahl er und erhob sich wieder zu vollster Größe. Doch seine Männer bewegten sich kaum vom Fleck. Viel zu erstaunt waren sie. „SOFORT!“ herrschte er sie an und zeigte auf Seth. „Das ist der Mann, der mein Leben rettete. Also lasst ihn und seine Mannen auf der Stelle frei!“ Wie als wäre dies die Erklärung aller Rätsel, wurde Fatil losgelassen und auch die Fesseln der beiden Soldaten waren schneller durchtrennt als angelegt. Genauso schnell wie sie gefangengenommen wurden, waren sie auch wieder freigelassen. Sofort hatte der Bandenboss einen dünnen Mann mit weißem Bart herangewinkt, welcher sich zu Seth kniete und seinen verletzten Knöchel betrachtete. Wohl ein Arzt oder zumindest jemand, der ihm einen Verband aus der Tasche zauberte. „Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass du noch lebst“ wiederholte Emenas nur ein Mal mehr und obwohl Seth und der Pharao sich noch immer leicht geschockt in den Armen hielten, bemerkte er den König gar nicht weiter. „Wie hast du es geschafft, ihnen zu entkommen? Bist du jetzt Priester?“ „Ähm ... ja“ antwortete Seth vorsichtig. „Emenas, bitte nicht hier. Die anderen ...“ und er senkte seine Stimme zu einem Flüstern, „... sie wissen nicht, wo ich herkomme.“ „Ich verstehe“ nickte er sofort und verstand alles. Er setzte in Gedanken die Worte hinzu, welche er in seinen blauen Augen lesen konnte: Sonst wäre ich jetzt kein Priester. „Bitte entschuldige, dass meine Männer dich angegriffen haben. Tut dein Knöchel sehr weh? Sag, ist es schlimm?“ „Nein, die Klinge hat ihn nur gestreift“ erwiderte die zittrige Stimme des alten Mannes, welcher ihm schnell einen Blutstopp bastelte. „Hab schon Schlimmeres erlebt“ meinte Seth und blickte hinunter, wo soeben der Verband an seinem Fuß verknotet wurde. „Dein Heiler ist schnell.“ „Ja, er ist alt, aber der Beste“ lächelte Emenas den dünnen, bärtigen Mann an. „Danke, Boss“ lächelte er zurück, nickte, erhob sich und war auch wieder im Hintergrund verschwunden. Er hatte erst mal nur eine fast flüssige Salbe aufgetragen und ein Stück Stoff darumgewickelt. Sicher würde er sich das später noch ein Mal ansehen wollen. „Emenas“ seufzte Seth und fasste sich etwas schwindelig an die Stirn. „Du bist ein Bandit geworden ... warum?“ „Ebenso könnte ich dich fragen, weshalb du Priester bist. Wir haben einfach zwei verschiedene Wege eingeschlagen. Umso erstaunlicher, dass wir uns so hier wiedersehen.“ Darauf konnte Seth nichts entgegnen. Langsam kam er wieder zu Bewusstsein, versuchte sein aufgeregtes Herz zu beruhigen und bemerkte dabei leicht erschrocken, dass er mit seinem anderen Arm noch immer den Pharao festkrallte. Auch der schien dies überrascht zu realisieren, dass er seinem Priester hing wie ein verschrecktes Weib und wie auf Kommando lösten beide zugleich ihren verkrampften Griff und wandten scheinbar verschüchtern die Blicke in entgegengesetzte Richtungen. „Ihr solltet euch in dieser Gegend nicht mit so wenigen Männern herumtreiben“ sprach Emenas nach einem Augenblick weiter, kam näher heran und kniete sich erneut zu Seth herab in den nachtkalten und vom Kampf aufgewühlten Sand. Den Pharao schien er dabei vollkommen zu ignorieren. Ein Fauxpas für die höfische Etikette, doch tief im Herzen war selbst Fatil erleichtert, dass das Oberhaupt dieser gesetzlosen Horde scheinbar ein freundschaftliches Band zu ihrem Priester hegte. Er war verwirrt und überrascht, aber für den ersten Moment erleichtert. „Doch dies ist der einzige Weg zurück zum Palast“ versuchte Seth zu erklären. „Eben aus diesem Grunde wimmelt es hier von Räubern. Hier ziehen die reichsten Karawanen und Wandersleute hindurch, um zum Palast zu gelangen. Warum reist ihr nicht mit großen Gefolge?“ „Ja, das ist in der Tat gewagt“ musste Seth zustimmen und hielt sich mit einem fassungsuchenden Seufzen das Haar aus der Stirn. Als der Pharao aufgebrochen war, hatte er noch ein großes Heer an seiner Seite. Die Entscheidung, sie nach Ausbruch von Krankheit zurückzusenden und allein weiterzureisen, war erst nach der Passage durch dieses Banditengebiet gefallen. Eigentlich war es Fatils Schuld, dass sie in Gefahr geraten waren. Als Wüstenführer war er ihr Taktiker. Er hätte darauf bestehen müssen, dass sie zumindest für das letzte Wegstück ein paar Söldner anheuerten, um sicher hier hindurchzugelangen. Doch die kranke Verfassung des Pharaos und sein Schwermut hatte wohl das vernünftige Denken aller Mitreisenden getrübt und die Motivation gelindert. Ein fataler Fehltritt für den er sich später persönlich zu verantworten haben müsste. „Bei uns seid ihr aber vorerst in Sicherheit“ versuchte Emenas den sichtlich orientierungslosen Seth zu beruhigen und legte ihm versöhnlich seine helle Hand auf die Schulter. „Aber Boss!“ protestierte sofort der zahnlose Bart, wohl scheinbar sein Vize. „Unser Ziel ist es, den Pharao und alle Adeligen zu ...“ „Du bist jetzt ruhig, Rantep“ gebot er ihm sofort und funkelte ihn mit einem drohenden Blick an, welcher sicher auch ganze Armeen zum Einhalten gezwungen hätte. „Widersprich mir nicht und steht hier nicht so rum. Verteilt euch und haltet Wache.“ „Aber Boss!“ Er hörte sich ja schon fast an wie ein quengelndes Kind. „Was weiter geschieht, sage ich euch, wenn ich mit dem Priester gesprochen habe. Und bis dahin rührt ihr nicht einen Finger an unsere Gäste und sprecht kein Wort mit ihnen. Falls doch, mache ich allein dich dafür verantwortlich, Rantep.“ „Aber Boss! Wenn sie nun ...?“ „Ihr sollt gern auf sie aufpassen, damit sie uns nicht auskommen“ gewährte er gütiger Weise und erhob sich aus seiner vertrauten Pose mit Seth. „Aber ich will keine weiteren Verletzungen. Keine Folter, keine Späße und keine Drangsalierungen. Und ich wiederhole mich nicht.“ „Ja, Boss.“ Irgendwie ließen alle Räuber ein wenig den Kopf hängen. Schließlich war ihnen ein Heidenspaß entgangen und ihr Plan, für jedes Körperteil eine einzelne Lösesumme auszuhandeln, war damit vereitelt. Doch ihr Anführer schien ihnen mehr Angst einzuflößen, als eine Lösesumme an Freude bringen konnte. Und irgendwie hallte wohl nicht nur ihnen, sondern auch Seths Begleitern der Satz in den Ohren ... der Mann, der mein Leben rettete ... nur, dass die Banditen diese Worte wohl zu deuten wussten und alle übrigen nicht ... Kapitel 33: Kapitel 33 ---------------------- Kapitel 33 Die Sonne war in diesem Moment im Begriff, aufzugehen. Die Nacht war lang und ungewiss gewesen. Sie hatten kaum geschlafen. Die beiden Soldaten, der Wüstenführer und der Pharao waren in ihrem eigenen Zelt mehr oder weniger wie Gefangene. Zwar ohne Fesseln, aber dennoch bewacht. Und ihr Priester war die ganze Nacht nicht zurückgekehrt. Die Banditen hatten sich ihre eigenen Unterschlupfe selbst erbaut, wobei nur ihr Anführer ein eigenes Zelt besaß, in welchem er die ganze Nacht mit Seth verblieben war. Und seine Gefährten quälte vor allem die Frage, wie es nun weitergehen würde. Würde Seth es schaffen, sie frei zu handeln? Würde er das Leben seines Pharaos retten können? Fatil wusste, wenn dieser Lustsklave wirklich eine Intrige plante, dann würde er sie jetzt in die Tat umsetzen. Wenn er ihnen wirklich etwas vorspielte, so waren diese dreckigen Kerle seine Komplizen. Weshalb sonst konnte er Kontakte zu solch unwürdigen Ausgestoßenen pflegen, wenn nicht zu seinem eigenen Vorteil? Fatil überlegte die ganze Nacht an einem Plan, wie er seinen Pharao hier unbeschadet herausbekommen könnte. Vielleicht ein Ablenkungsmanöver oder er bot dem Anführer eine Unsumme an oder ... hach, in solch eine schwere Situation waren sie niemals zuvor geraten. Er dachte von der einen in die andere Richtung und rätselte darüber, auf welcher Seite dieser verschwiegene Sklave nun stand. Intrige oder nicht? Allein das würde letztlich über die Zukunft des Pharaos und des ganzen Reiches entscheiden. Doch am nächsten Morgen schien alles ganz ruhig zu sein. Es wurde ein Feuer entzündet und natürlich bedienten sich die Banditen ausreichend an den mitgeführten Vorräten des Pharaos. Solange ihr Anführer ihnen nicht so genau auf die Finger schaute, durften sie alles tun, was ihnen nicht verboten war. Sie plünderten die Satteltaschen und tranken schon den wenigen Wein am frühen Morgen, was somit natürlich heiteres Lachen in ihren Reihen auslöste. Die Eigentümer der Waren konnten nicht viel mehr tun als ihnen dabei zuzusehen und innerlich den Kopf zu schütteln. Bei aufkeimendem Tageslicht wirkten diese Gestalten noch viel mehr wie der Abschaum des Reiches. Sie waren schmutzig mit fauligen Zähnen und einem ranzigen Geruch. Durch die Tore einer Stadt würden sie sicher nicht eingelassen werden. Kein Wunder, dass sie in der Wüste bleiben mussten. Doch bevor sie die Idee eines filzhaarigen Mitstreiters weiter verfolgen und eines der königlichen Pferde schlachten konnten, fuhr ihnen ihr Anführer dazwischen. „Was macht ihr für einen Lärm?“ Er trat aus seinem Zelt und war wohl aufmerksam geworden durch das laute Johlen seiner Männer und das ahnend ängstliche Rufen des Tieres im Angesicht der gezückten Klingen. Doch wie schon am Abend zuvor brauchte es nur einen Satz, um seine Mannen zum Einhalten zu gebieten. Alsgleich wurde es leiser und sie ließen ihre Schwerter sinken vor seiner Erscheinung. Und nun im aufkeimenden Morgenlicht sah er noch mal ganz anders aus als seine Gefolgsleute. Im Gegensatz zu ihnen war er nicht ungepflegt, sogar sein Haar glänzte ohne eine Fettschicht. Seine fast weiße Haut setzte sich von seinem schwarzen Gewand ab und seine dunklen Augen saßen wie Kohle in seinem weichen Antlitz. Solch eine Schönheit sollte nicht Räuber sein. „Frühstück, Boss!“ rief einer der Männer. „Aber wir lassen dir das beste Stück!“ „Lasst das Pferd in Ruhe“ antwortete er fast seufzend. Die ewigen Ausbrüche schien er schon lange gewohnt zu sein und ging mit Geduld damit um. „Aber wir wollen doch ...!“ „Ihr könnt es schlachten, wenn es an der Zeit ist. Wir haben Vorräte und das Tier ist noch nicht schwach genug. Also seid nicht dumm und esst Brot.“ Ein enttäuschtes Gemurmel brummte durch die morgendlich kühle Luft, aber sie ließen vom dem Pferd ab, setzten sich ans Lagerfeuer und wärmten ihre ungewaschenen Hände daran. Der Anführer ging dafür durch die Reihen seiner Männer hindurch direkt auf die fessellosen Gefangenen zu und setzte für den Pharao sogar ein Lächeln auf. Ein sanftes Lächeln, so rein und schön, dass es einem Räubergesicht nicht ähnlich sah. „Pharao“ sprach er mit ruhiger, gedämpfter Stimme. „Bitte entschuldigt das schroffe Benehmen dieser Meute. Ich will sie nicht entschuldigen, aber sie hatten es auch niemals leicht. Ich hoffe, Ihr hattet nicht zu viele Unannehmlichkeiten in der vergangenen Nacht?“ „Nein, ging schon“ antwortete er ebenso ruhig. Vielleicht war er nicht anders als seine Leute davon überrascht, wie gepflegt sich dieser Banditenführer auszudrücken wusste. Seine edle Erscheinung und sein gebildetes Sprechen schien jemandem, der ziehende Wandersleute in der Wüste überfiel, so gar nicht ähnlich. „Ich würde mich freuen, wenn Ihr mit uns gemeinsam in meinem Zelt das Morgenbrot teilt“ erwiderte er weiter mit einer hellen Freundlichkeit. „Dann seid Ihr auch nicht gezwungen, dem gefräßigen Schmatzen meiner Männer zu lauschen.“ Dass sie dort die Vorräte des Königs schmatzten, dafür entschuldigte er sich trotz allem nicht. Er schien einigermaßen wohlwollend, jedoch nahm er sich, was er wollte. Man durfte trotz seines wohlerzogenen Benehmens nicht außer Acht lassen, dass er ein Schurke war, welcher sein Brot dadurch auf den Tisch bekam, dass er die Gesetze brach, welche der Pharao selbst erlassen hatte. „Was ist mit Seth?“ fragte der König aber eher besorgt zurück. Er fragte sich schon die ganze Nacht, was mit ihm geschehen war. Ob es ihm gut ging oder ob er verletzt war. Immerhin war er schon wieder am Knöchel verletzt und nur notdürftig versorgt worden. „Sorgt Euch nicht“ lächelte er sanft. „Als ich ihn eben noch sah, befand er sich in einem angeregten Gespräch mit meinem Heiler. Bitte.“ Er wies mit offener Hand in Richtung seiner eigenen Unterkunft und bat ihn höflich, vorauszugehen. Selbst wenn es ein Befehl gewesen wäre, hätten sie keine andere Wahl gehabt als seiner Weisung zu folgen. Sobald sie auch nur die Hand gegen ihn erhoben hätten, wären sie ein gefundenes Fressen für seine Meute jetzt noch relativ friedlich fressender Ausgestoßener. Es war ohnehin ein Wunder, dass selbst so hervorragende Soldaten wie Penu und Faari wenig bis nichts tun konnten. Sie waren immerhin in der Leibgarde des Pharao und selbst einer Überzahl an Gegnern gewachsen. Selbst wenn sie nicht danach aussahen, so waren diese Banditen doch wohl bessere Kämpfer als man es ihnen zutrauen würde. Sie waren laut, respektlos, stinkend und ohne Manieren. Aber sie hielten die Elite des Pharaos in Drangsal und das konnte bei Weitem nicht jeder ohne weiteres tun. Als sie den kurzen Weg zu dem Räuberzelt geschafft hatten, sahen sie schon beim Eintreten Seth dort sitzen. Ganz unverletzt mit einem sauberen Verband um seinen Knöchel. Er hatte die letzte Nacht wohl ohne Probleme überstanden. Auch wenn es in diesem Zelt nicht gerade so komfortabel war wie im Zelt des Pharaos, so ließ es sich hier doch besser ruhen als unter freiem Himmel. Es lagen vier Matten hierin, wovon zwei an den Ecken und zwei andere gemeinsam in einer anderen waren. In der vierten Ecke war etwas Gepäck verstaut, wo wohl auch Vorräte angelegt waren. Ansonsten gab es hier nur ein paar Decken und Öllampen. Rustikal, aber für Räuber absolut annehmbar. Etwas überrascht waren die Gäste jedoch beim Eintreten, als sie neben Seth nicht nur den alten Heiler mit dem weißen, gestutzten Bart sitzen sahen, sondern auch eine junge Frau, fast noch ein Mädchen. Sie war ganz schwarz und wohl aus südlicheren Teilen eines fremden Landes. Ihr drahtiges Haar zu einem dicken Zopf gebändigt, ihre breite Nase von einem goldenen Ring geziert und ihre vollen Lippen ein wenig mit heller Salbe bestrichen. Doch ihr Gewand war nicht so farbenfroh, wie man es von den Südländern kannte, sondern so schlicht schwarz wie alle hier. Ungewöhnlich war aber nicht, dass sie scheinbar keine ägyptischen Wurzeln hatte, sondern dass sie eine Frau war. Räuberbanden führten selten Frauen mit sich. „Mein Pharao! Ihr seid wohlauf?“ Seth wollte aufstehen, wurde aber von dem schwarzen Mädchen am Arm gehalten und wieder zurückgezogen. „Du sollst noch warten“ belehrte sie ihn streng mit heller Stimme. Wahrscheinlich hatte er Weisung wegen seines Knöchels. „Ja“ lächelte Atemu aber erleichtert zurück. Ihn gesund zu sehen, war ein Glück im Unglück. „Und dein Knöchel?“ „Sieht schlimmer aus als es ist, Majestät“ lächelte er zurück. Auf die Außenstehenden musste es wirken als wollten sie sich am liebsten in die Arme fallen, so erleichtert schienen sie, einander zu sehen. Wenn man bedachte, wie sie gestern Abend beide am Boden gelegen hatten und sich gegenseitig schützen wollten, wie sie sich auch später kaum loslassen mochten. Und nun hielten sie an sich, um ihre Erleichterung nicht allzu sehr herauszukehren. „Bitte, nehmt Platz, Pharao.“ Der alte Mann hatte seine dünne Stimme erhoben und wies auf einen freien Platz neben sich auf der Decke. „Danke.“ Natürlich kam Atemu da herein und setzte sich neben ihn. So saß er zwar leider von Seth getrennt, aber sehen konnte er ihn dennoch. „Ihr auch, Männer. Kommt und setzt euch“ sprach auch das dunkle Mädchen, während sie aus einer Tasche am Rande Brot herausfischte. Auch die anderen drei nahmen Platz. Fatil direkt neben seinem König und Penu und Faari zu seiner linken Seite, womit Faari als erster das Brot von dem Mädchen gereicht bekam und der Kreis fast geschlossen war. Der schöne Räuberhauptmann setzte sich neben sie und neben Seth und ließ sich ebenfalls ein Brot reichen, welches er dann in etwas weißliche Flüssigkeit tunkte. Für Milch war sie zu hell, aber vielleicht hatte er es mit Wasser verdünnt. Der Rest bekam Wasser zu trinken. Immerhin besser als nichts. „Emenas, du bist unhöflich“ wies der alte ihn zurecht, womit der dann etwas verwirrt aufblickte und ihn mit seinen dunklen Augen ansah. „Stell uns vor.“ „Ja, natürlich. Entschuldige“ lächelte er dann, legte aber nicht sein Frühstück aus der Hand. „Pharao, dies sind mein Heiler Ahmose und seine Tochter Mudiwa.“ „Deine Tochter?“ schaute der Pharao ihn freundlich an. „Entschuldige, wenn ich das frage, aber ...“ „Nein, ich weiß Eure Frage schon“ stellte der Alte dazwischen. „Ich habe sie gefunden, als sie ein Kleinkind war. Trotzdem ist sie meine Tochter im Herzen.“ „Es freut mich sehr, Amohse“ nickte der Pharao freundlich und sah dann auch gegenüber das schwarze Mädchen an. „Mudiwa. Dein Name bedeutet ‚Sie wird geliebt’ in südischer Sprache, oder?“ „Ja, Ihr habt Recht“ lächelte sie zurück und zeigte ihre strahlend weißen Zähne, auf welchem ihr vorderer von einem Goldstück beklebt war. „Ich wollte Euch immer schon mal sehen, aber jetzt bin ich überrascht, wie klein Ihr seid.“ „Mudiwa!“ lachte der Alte belustigt. „So etwas sagt man doch nicht.“ „Warum denn nicht? Es ist doch wahr! Das war nicht unhöflich, oder Pharao?“ „Nein, warum denn?“ musste auch er ein wenig lachen. „Du hast ja Recht. Besonders groß bin ich wirklich nicht.“ „Könnt Ihr denn kämpfen?“ löcherte sie ihn. „Man sagt, Ihr wäret gut im Umgang mit Wurfmessern.“ „Nein, das kann ich nicht so gut. Das ist ein Gerücht“ gab er offen zu. „Ich bin kein besonders guter Kämpfer. Ich kann mich wehren, wenn mich jemand angreift, aber ein richtiger Kämpfer bin ich nicht. Aber ich bin ein guter Reiter.“ „Dann könnt Ihr ja wenigstens wegreiten, wenn Euch jemand angreift.“ „Ja, das ist wahr“ nickte er, während ein paar Leute ziemlich ihr Lachen unterdrücken mussten. Der alte Amohse schluckte leise und auch Emenas hielt sein Grinsen mit größter Anstrengung zurück. Seth hingegen sah den Pharao nur an und schien dem Gespräch wenig zu lauschen, während die anderen drei eher beobachtend zusahen. Der Pharao ging mit so jungen Menschen immer gütig um, auch wenn der Ton hier nicht unbedingt einem König angemessen war. Jetzt jedoch deshalb ein Aufsehen zu machen, würde ihre Lage wohl nur verschlechtern. „Mudiwa, sei höflich“ bat Emenas dann lieb, aber bestimmt. „Tu Seth den Gefallen und behandle seinen Pharao gut.“ „Ich bin ja schon ruhig“ murrte sie und versenkte ihre Nase im Wasserkelch. Bevor sie wieder irgendwas peinliches sagte, nahm sie lieber ihr Morgenbrot zu sich. „Nun, Ihr fragt Euch sicher, wie es jetzt mit Euch weitergehen wird“ nahm Emenas langsam das Gespräch wieder auf, ohne den Pharao direkt anzusehen. „Bitte habt keine Sorge. Wir werden Euch nicht gefangen nehmen und auch nicht zerteilt in den Palast zurücksenden.“ „Stattdessen?“ ergriff Fatil eigenwillig das Wort. „Was willst du jetzt mit uns machen? Wie viel Geld willst du für unsere Freilassung bekommen?“ „Wenn du mich so direkt fragst, wären drei Säcke Silber für den Anfang nicht schlecht“ antwortete er ihm ganz direkt und sah ihn dabei ruhig an. „Über die genaue Menge habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, aber wenn du unbedingt bezahlen willst, darfst du mir gern ein Angebot machen.“ Fatil blickte ihn einen ganzen Moment prüfend an, bevor er zu Seth schwenkte. „Was wird hier gespielt? Hast du das eingefädelt?“ „Seth hat mir erzählt, dass du ihm scheinbar nicht traust“ antwortete Emenas für ihn, bevor Seth es selbst vermochte. „Wahrscheinlich traust du mir noch weniger, deshalb spreche ich auch nur mit dem Pharao.“ Er sah diesen direkt an und reichte ihm eine kleine Kanne, die neben ihm stand. „Wein?“ „Nein, danke“ lehnte er freundlich ab. „Ich trinke außer Wasser und Milch nichts am Morgen.“ „Sehr lobenswert“ meinte er leise und stellte das Kännchen zurück. „Mudiwa, sei doch so gut und melke unsere Ziege für den Pharao.“ „Bitte nur keine Mühen“ bat der sofort. „So war das nicht gemeint.“ „Wollt Ihr etwa, dass die Burschen dort draußen die Ziege leer trinken, bevor wir es tun? Nein, Milch haben sie sich nicht verdient“ meinte das Mädchen und erhob sich, nahm ihr Brot und aß es beim Rausgehen langsam vor sich hin. „Aber ist das nicht gefährlich?“ fragte der Pharao mit ernster Sorge. „Ein Mädchen mitzunehmen bei so vielen Männern?“ „Wenn sie Mudiwa anrühren, bekommen sie es mit mir zu tun. Und das wissen auch alle“ sprach Emenas sanft, aber ernst. „Außerdem sind meine Männer nicht so schlimm wie ihr denkt. Sie sind ungehobelt und manierlos, aber es hat immer einen Grund, weshalb Menschen so sind. Was glaubt Ihr, warum sie Räuber geworden sind, Pharao?“ „Ich weiß es nicht“ antwortete er ebenso ernst. „Wenn ich es wüsste, könnte ich verhindern, dass es mehr Menschen in solche Lagen verschlägt.“ „Nehmen wir beispielsweise Rantep. Den Mann ohne Haare und Zähne“ erklärte er und nahm noch einen Schluck von seiner weißlichen Flüssigkeit. „Er war früher ein Bauer. Seine Familie besaß Vieh und ein paar Felder. Eines Tages wanderten Soldaten über sein Land. Sie kamen von einer Schlacht und wollten zurück in den Palast. Sie töteten seinen Sohn sofort und seine Tochter und seine Frau, nachdem sie sie die ganze Nacht gebraucht hatten. Ihn selbst ließen sie halb tot zurück, wahrscheinlich glaubten sie selbst, er sei tot. Seitdem hat er dem Pharao Rache geschworen. Er hasst Euch für das, was Eure Soldaten ihm angetan haben.“ „Schrecklich“ flüsterte er bedrückt. „Aber ich kann versprechen, dass solche Dinge nicht mit meinem Segen geschehen.“ „Oder ein anderer meiner Männer. Habib“ fuhr er einfach weiter fort. „Seine Ernte hat nach einem schlechten Sommer wenig eingebracht. Er konnte seine Familie nicht ernähren und wand sich an den örtlichen Tempel und bat um Hilfe. Vom Palast wurde versprochen, dass bei schlechter Ernte der Tempel helfen will. Doch man schickte ihn fort. Sein einziger Sohn verhungerte und seine Frau starb durch den Hunger geschwächt an einer schweren Krankheit. Auch er schwor Rache am Pharao, der ihm falsche Versprechen machte.“ „Davon habe ich nie etwas erfahren“ bedauerte er. „Hätte ich es gewusst, hätte ich umgehend mit dem Hohepriester der Region über diese Zuwiderhandlung gesprochen. Ich erinnere mich an diesen Sommer vor vier Jahren. Dass es Tempel gab, welche meine Anweisungen nicht befolgten, habe ich nicht gewusst.“ „Ihm hilft es aber jetzt nichts. Oder Jalil“ erzählte er weiter. „Er hatte ein Mädchen, welches er heiraten wollte. Jedoch fehlte ihm eine kleine Summe Geld hierfür. Er wand sich an den Palast, wo er um Hilfe bat. Mit seiner Geliebten wurde er von einem höfischen Adligen empfangen und kehrte ohne Frau zurück nach Hause. An seiner statt hat er sie geheiratet und ihn ausgelacht für seine Armut. Aus Trauer wählte sie den Freitod und er die Gesetzlosigkeit. Er schwor Rache an allen Adligen.“ „Auch wenn du es mir nicht glaubst, ich heiße so etwas nicht gut“ sprach der Pharao ehrlich. „Ich weiß, dass es Adlige gibt, welche ihre gesellschaftliche Stellung ausnutzen. Aber dies wird von mir nicht toleriert und wenn ich davon höre, bemühe ich mich persönlich, die Dinge richtig zu stellen. Aber auch ich kann nicht überall sein. Was deinen Männern passiert ist, ist traurig. Aber mehr als dagegen anzugehen, kann ich nicht tun. Ich bin nicht allmächtig.“ „Ihr seid der Pharao. Ihr seid Ägypten. Ihr seid allmächtig“ sagte der schöne Emenas ihm ins Gesicht. „Das ist es, woran alle glauben. Alle Männer, welche Ihr draußen seht, haben an Euch persönlich Rache geschworen. Auch ich habe das getan und ich verstehe ihren Groll.“ „Also willst du mich töten“ schlussfolgerte er aus diesen Worten. „Sagst du mir denn auch, wofür du persönlich mich töten willst?“ „Im Gegensatz zu meinen Männern will ich Euch nicht töten. Ich will Euch demütigen und qualvoll ohne Würde verenden lassen“ antwortete er und war bei diesen Worten ruhiger als es ihnen angemessen war. „Aber ich nehme Abstand von diesem Gedanken und werde dafür Sorge tragen, dass Ihr unverletzt in den Palast zurückkehrt.“ „Woher diese Meinungsänderung? Du hast mich in der Hand.“ „Es ist wegen Seth.“ Er blickte den Pharao mit seinen dunklen Augen an und sprach ohne Hast weiter. „Er hat mir einst das Leben gerettet, wobei er fast sein eigenes ließ. Ich stehe tief in seiner Schuld und bewundere Männer wie ihn. Wenn er mich bittet, meiner Rache abzuschwören und seinen Pharao in den Palast zu geleiten, so will ich dies für ihn tun. Er sagte mir, dass Ihr ein gutes Herz habt, voller Güte und Liebreiz. Ihm liegt viel an Eurem Wohl, da er euch zutiefst verehrt. Meine Dankbarkeit zu ihm ist größer als meine Rachsucht.“ >Dankbarkeit< schoss es Atemu durch den Kopf. Er sah Emenas an, seinen schönen Körper, seine reine Haut, seine klaren Augen, sein volles Haar. Er schien gebildet und sprach wortgewandt. Und dazu das Wort Dankbarkeit. Aus seinen Erfahrungen hatte Atemu dieses Wort schon so häufig gehört und das meistens aus dem Munde von Sklaven. Die Dankbarkeit war ihr einziges Zahlungsmittel. Sie hatten nichts mehr als ihre Dankbarkeit. Und innerlich fügte er seine Puzzlestücke zusammen. Weshalb Emenas so eine Schönheit war, weshalb er so gebildet war und auch, woher er Seth wohl kennen mochte. Atemu hatte gehört, wie er zu ihm sagte ‚Der Junge, dem sie den Namen genommen haben’ - woher konnte er so etwas wissen, wenn er ihn nicht damals schon kennen gelernt hatte? Das war die einzig sinnvolle Schlussfolgerung. Auch weshalb Emenas solchen Hass auf Adlige in sich trug. Bevor er Räuber wurde, musste er ein Lustsklave gewesen sein. Nur mit dem Unterschied, dass Seth sich dem Wohle der Menschen verschrieb und Emenas für sich die andere Seite, das Verbrechen, gewählt hatte. „Also seid unbesorgt“ sprach der schöne Bandit beruhigend. „Wenn ich es sage, werden meine Männer Euch nicht anrühren. Wir werden Euch unversehrt in Euren Palast zurückbringen.“ „Dafür danke ich dir und deinen Männern“ nickte der Pharao und deutete sogar eine kleine Verbeugung an. „Aber sag mir“ bat er, als er sich wieder erhob, „kann ich etwas tun, um deinen Schmerz und den deiner Gefährten zu lindern? Wenn ich etwas bewirken kann, was Euch hilft, so will ich dafür Sorge tragen, dass es geschieht. Ich könnte euch Amnestie geben und ein wenig Land, damit ihr in ein geregeltes Leben zurückkehren könnt.“ „Weder ich noch meine Männer werden Euch jemals um etwas bitten“ antwortete er tonlos. Ob ihn dieses Angebot nun ehrte oder doch eher verärgerte, war nicht zu erkennen. Sicher war, dass er es nicht annehmen würde. „Esst Euer Brot. Sonst müsst ihr hungrig aufbrechen.“ „Ich habe genug gespeist. Danke“ lehnte er ab und schob das Brot von sich weg, welches ihm der alte Amohse hinhielt. Der Appetit war ihm nicht nur vergangen, sondern er hatte tatsächlich kaum welchen. Die Lust am Essen war ihm lange abhanden gekommen. „Bitte, Ihr müsst etwas essen“ bat Seth und sah ihn tief besorgt an. „Ihr seid noch schwach und dürft nicht krank werden. Wir haben noch ein paar Tagesreisen vor uns.“ „Du brauchst dich nicht um mich Sorgen, mein Seth“ lächelte er tapfer. „Außerdem habe ich dir noch nicht dafür gedankt, dass du mich gestern gerettet hast. Ohne dich, hätte das Schwert meinen Kopf zerteilt. Für deinen Mut danke ich dir.“ „Ich habe es Euch geschworen, Majestät“ erwiderte er mit treuen Augen, welche so blau leuchteten, wie wohl draußen der Morgenhimmel langsam vom Antlitz des Sonnengottes erleuchtet wurde. „Niemals werde ich zulassen, dass Euch ein Leid geschieht. Ich werde alles tun, um Euch sicher im Palast zu wissen.“ „Und danach?“ fragte Emenas dazwischen und sah Seth zugewandt an. „Was willst du tun, wenn wir ihn zurückgebracht haben?“ „Ich ... ich weiß es noch nicht genau.“ Da schien er noch etwas unsicher zu sein. Dass er danach nicht bleiben würde, hatte er schon angedeutet und Atemu sah sich nicht in der Lage, ihn an etwas zu hindern. Was danach kommen würde, wusste er nicht. Aber Seth jeden Tag zu sehen, ihm nahe zu sein, ohne ihn berühren zu können, ohne ihm jemals das zu sagen, was er ihm sagen wollte ... es war eine grauenvolle Qual. Noch grauenvoller als wenn Seth aus freien Stücken sagte, dass er ihm fernbleiben wollte, selbst wenn das schmerzte. Wenn ihn jemand demütigen und langsam quälen wollte bis er den Tod fand, so musste er ihm Seth an die Seite geben. Der Schmerz seines Herzens übertraf alle Folter, die menschliche Wesen sich ausdenken konnten. Einen verbotenen Traum der Götter zu begehren, bedeutete Verdammnis bis zum süßen Tod. „Du sagtest, du weiß nicht, wohin du dann gehen willst. Dass du niemanden hast, der auf dich wartet“ sprach Emenas weiter und lächelte Seth zugetan an. „Vielleicht kann ich dir helfen, einen Ort zu finden, an dem du willkommen bist. So wie du bist.“ „Emenas“ flüsterte Seth leise. „Nicht.“ „Du weißt nicht, was ich meine.“ Er rückte ihm ein Stück näher, stellte seinen Kelch auf dem Boden ab und griff zärtlich an Seths Kinn, um ihm intensiv in die Augen zu sehen. Seth ließ sich das auch gefallen, auch wenn er das im Augenblick wohl erst nicht zu deuten wusste. „Vielleicht ist dir dies ein Anstoß ... Seth.“ Als Atemu sah wie Emenas Lippen auf Seths trafen, blieb sein Herz stehen, brach und fiel in den kalten, sandigen Boden. Er tat das, was er selbst sich schon seit vielen Jahren wünschte. Er durfte Seth küssen, ungestraft. Sie hatten eine gemeinsame Vergangenheit, sie waren sich ebenbürtig. Beide waren wunderschön und so verletzt. Zwei Seiten und doch eins. Emenas würde zu Seth passen. Äußerlich und vielleicht auch innerlich. Er würde ihn nicht demütigen, weil er selbst wusste, wie tief der Schmerz saß. Atemu konnte ihn nicht haben, niemals. Er durfte ihn selbst niemals küssen, egal wie sehr er es sich wünschte. Das wurde nur umso klarer, wenn er sah wie Emenas seine Arme um ihn legte, ihn näher an sich zog und seine Zunge ein leises, schmatzendes Geräusch durch die Morgenluft schickte. Wie gern wäre er an seiner Stelle. Wie gern würde er ihm alles sagen. Ihn berühren. Ihn küssen. Ihm ebenbürtig sein. Ihn so behandeln, dass er ihn nicht verletzte. In diesem Moment erkannte er, er konnte ihn nicht haben. Er hatte es immer gewusst, aber die Hoffnung ließ sich kaum ersticken. In diesem Moment tat sie ihre letzten Atemzüge, bevor sie ersterben würde. Der Pharao war allmächtig. Seine Liebe jedoch war hilflos in Fesseln gelegt. Kapitel 34: Kapitel 34 ---------------------- Kapitel 34 Vier Tagesreisen hatten sie hinter sich gebracht und in zwei oder drei Tagen würden sie den Palast erreicht haben. Das tatsächlich unbeschadet, wie versprochen. In diesen vier Tagen waren sie zwei Mal einer anderen Räuberbande begegnet. Die erste hatte sie nach einem kurzen Gespräch der beiden Anführer ohne Kampf weiterziehen lassen. Die zweite hatte ein Duell der beiden besten Schwertkämpfer gefordert, welches zu Gunsten ihrer eigenen Gruppe ausging. Dies aber hatte der Pharao kaum mitgehört, da es sich zu nachtschlafender Zeit abspielte. Man glaubte es kaum, aber die Männer des Emenas waren hervorragende Kämpfer. In ihrer Gesellschaft war der Pharao ebenso sicher wie mit einem ebenso großen Heer. Schade, dass es Banditen waren, denn sie würden wertvolle Soldaten abgeben. Sie würden ihn ganz sicher wie versprochen ohne große Bedrohungen zurückgeleiten können. Atemu zählte jede einzelne Sekunde bis er zurück war, dort wo er aufgewachsen war. Bis er zurückkehrte in seinen goldenen Käfig, in welchem er seinen Schmerz betäuben konnte. Nur wusste er noch immer nicht, welches Mittel dieses gebrochene Herz taub machen konnte. Die Arbeit würde ihn erschöpfen und wenn er ganz und gar erschöpft danieder lag, würden die Gedanken und die Gefühle ihn umso hilfloser überrennen. Seine Kinder würden ihn vielleicht ein wenig ablenken, doch zu sehen wie sie älter wurden, zu sehen wie die Zeit verging und zu sehen wie viel davon vorbeizog, ohne dass er Erfüllung fand, ließ ihn wieder leiden. Wenn er diese Räuber, diese gescheiterten Existenzen beobachtete, sah er wie fest sie daran glaubten, er wäre das glücklichste Geschöpf der Welt und sie hassten ihn dafür. Sie hatten ihm Rache geschworen und legten zwar keinen Finger an ihn, jedoch trafen ihn Moment um Moment hasserfüllter Blicke. Er konnte sie verstehen. Ihnen allen war Unrecht geschehen und es war ihr gutes Recht, sich an ihm zu rächen. Doch sie alle waren Menschen und er ein Pharao. An wem sollte ein Pharao sich rächen dürfen? An den Göttern? Atemu hatte niemanden, den er hassen konnte. Niemanden außer sich selbst. Und dass er nicht geliebt wurde war schon schmerzhafter als sich selbst zu hassen. Es tat weh, zu fühlen, wie das Herz jede Stunde einen Tropfen mehr an Blut verlor und bald leer sein würde. Sein Herz starb einen langsamen Tod und sein Körper wollte nicht folgen. So wandelte er also weiter. Man sollte ihn nicht den gütigen Pharao, sondern den untoten Pharao nennen. Würde man ihn schon jetzt bei lebendigem Leibe begraben, er würde es nicht spüren. Seth ritt all die Tage vor ihm, direkt neben Emenas, mit welchem er all seine Zeit verbrachte. Sie sahen fantastisch zusammen aus. Zwei so schöne Männer, so stark und so intelligent. Der Räuber und der Priester. Sie waren perfekt zusammen. Wie sie miteinander sprachen, miteinander lachten, sich spielerisch berührten und sich Blicke schenkten. Und des nachts gemeinsam auch das Lager teilten, so hieß es wenn sie allein sein wollten im Zelt. Atemu wusste, dass Seth bei ihm glücklich sein konnte. Sollte er doch die Freiheit haben, der Priester eines Banditen zu werden. Was er tat, war doch egal. Hauptsache es machte Seth endlich glücklich. Wenn Atemu ihn nicht haben durfte, so sollte Seth dennoch sein Glück finden. So wäre sein Leben wenigstens nicht verwirkt. Er seufzte und senkte den Blick. Es war nicht zu ertragen. Den starken, breiten Rücken seines verbotenen Traumes durfte er betrachten und davon träumen, wie seine Hüften sich anfühlten, wenn er sie so geschmeidig auf seinem Pferd bewegte. Da kam ihm der Gedanke, er würde im nächsten Leben gern ein Pferd sein. Wenn er starb und die Götter darum bitten konnte, wiedergeboren zu werden, so wäre er gern Seths Pferd. Auf jedem Fall wäre er ihm dann näher als jetzt. „Mögt Ihr es auch?“ „Was?!“ Atemu schreckte hoch und sah Seth direkt neben sich. Nach all den Tagen richtete er aus heiterem Himmel das Wort an ihn. Und nun ritt er sogar neben ihm. Er hatte seinen Platz an der Spitze ihrer Karawane verlassen und sich zurückfallen lassen in die Mitte, wo der Pharao vor äußeren Angriffen geschützt neben seinen eigenen Männern ritt. Doch ihn so plötzlich so dicht neben sich zu haben, ließ sein todgeglaubtes Herz neu aufleben. Sicher nur, um es alsbald wieder sterben zu sehen. „Ihr habt so versteckt gelächelt“ antwortete Seth leise und senkte leicht seinen Kopf, um ihn deutlicher anzusehen. „Ich dachte, Ihr mögt es auch. Aber ... entschuldigt. Ich wollte nicht ... entschuldigt ...“ Er gab seinem Pferd einen kurzen Tritt und ritt zurück nach vorn, wo Emenas eben die Karawane von der Düne hinunter führte. Und als Atemu somit seinen Blick nach vorn richtete, wusste er Seths Worte sofort zu deuten. Vor ihnen im Tal der Düne erstreckte sich ein Fluss. Es war nicht der Nil, denn den hatten sie bereits hinter sich gelassen. Es musste einer seiner Seitenarme sein, womit der Palast nicht mehr weit lag. Und zu dieser Jahreszeit, wenn die Überschwemmungen langsam zurückgingen, lag an den Wasserläufen ein kleines Paradies. Unten im Tal war alles grün. Es blühten bunte Blumen, das Schilf wuchs im Wettbewerb mit Moos und ... kniehohem Gras. Ihr Gras. Wann immer Atemu seinen Fuß darauf setzte, überkam ihn ein süßes Gefühl der Erinnerung. Die Erinnerung daran, wie es war, Hoffnungen zu haben. Das grüne Gras war in der Wüste so selten, wie nichts anderes. Es bedeutete ihm so viel und er wusste, dass auch Seth daran viele Gefühle knüpfte. Ein paar wenige Erinnerungen seiner verblassten Kindheit lagen darin. Ähnlich wie Atemus Hoffnungsgefühl musste Seth es empfinden, wenn er an seine Familie dachte. An eine Zeit als noch alles in Ordnung war. Und hier wuchs das Gras so hoch in großen Feldern, dass man darin versinken konnte. Seth hatte sich zurückfallen lassen, weil er glaubte, das Lächeln seines Pharaos galt dem Anblick des Grases, welches beiden so viel bedeutete. Und Atemu hatte es nicht verstanden und ihm alsgleich vor dem Kopf gestoßen. Nun dachte Seth, es würde ihm nichts bedeuten. Ohne es zu wollen, trieben sie immer weiter fort voneinander. >Warum nur muss es so sein?< Da war er wieder. Dieser Drang danach, weinen zu wollen. Am liebsten würde er seinen Mund aufreißen und seinen Schmerz hinausschreien. Er sah Seth und sich dort unten im Grase liegen, verzückt von seinen Küssen, gewärmt von seinen Berührungen und eingebettet in die Laute der Lust, welche er ihm entlocken würde. Doch dies war wieder nur ein Traum, ein Wunschdenken, ein weiterer Tropfen Blut, den sein todesringend zuckendes Herz verlor. >Was ich auch tue, es wird niemals so sein. Die Götter hassen mich ebenso wie diese Räuber hier. Ich habe nichts getan und doch wollen beide mich quälen. Nein, im nächsten Leben werde ich kein Pferd. Ich werde ein Grashalm, einer unter vielen. Nur dann werde ich irgendwann dazugehören. Und wenn die Sonne mein Haupt verdorrt, so sterbe ich glücklich.< „Mein König“ hörte er Fatil von der Seite flüstern. Er spürte ihn näher neben sich reiten und nach seiner Hand greifen. „Lasst diese Banditen nicht Eure Tränen sehen. Ich verspreche Euch, wenn Ihr das Tal erreicht, werdet Ihr niemals mehr vor Schmerz weinen müssen.“ „Und weshalb sonst?“ hauchte er zurück und wischte sich beschämt seine feuchten Augen. „Vor Glück?“ „Ja.“ Atemu wand seinen Blick zur Seite und sah Fatil lächeln. Sei Tagen hatte er nicht gelächelt und nun? „Was meinst du damit?“ „Jetzt bin ich mir sicher“ flüsterte er und richtete sich zuversichtlich auf. „Seid stark, mein Pharao. Und wenn ich Euer Glück zwingen muss, so tue ich auch das. Es ist mir egal. Aber wenn ich Euch schon weinen sehen muss, so sollen es süße Tränen sein und keine salzigen.“ „Was meinst du damit?“ fragte er nur wieder und war umso verwirrter als Fatil sein Pferd antrieb und es nach vorn zwang, wo er erst neben Seth wieder langsamer wurde und das Wort an ihn richtete. „Was haben die denn zu besprechen?“ sprach Penu genau die Frage aus, welche auch Atemu sich in diesem Moment stellte. Fatil und Seth mieden sich ebenso wie Wasser und Öl. Und nun erst diese merkwürdig tröstenden Worte und dann eine Unterredung? Atemus Gespür sagte ihm, dass heute noch irgendetwas geschah ... Sie rasteten direkt am blühenden Flussufer. Nachdem einige Männer ausgesandt wurde, um Krokodile und sonstige lebende Gefahren zu vertreiben und hoffentlich auch fern zu halten, konnten sie ihre Nachtlager aufschlagen. Obwohl die Räuber so ungehörige Kerle waren, befolgten sie doch jedes Wort, welches ihr Anführer sprach. Und somit mussten die Mannen des Königs und er selbst niemals unter freiem Himmel in Gesellschaft von gemeinen Insekten schlafen, sondern durften ihr Zelt errichten. Die Banditen selbst blieben außen vor und lehnten es trotz Einladung des Pharaos entschieden ab, ein Lager mit Adligen zu teilen. So weit konnte man ihre Räubertreue dann doch nicht biegen. Was auf der anderen Seite somit den Vorteil brachte, dass man unter sich war. Während der Pharao nun im Zelt saß und sich sein Abendbrot hinunterquälte, stand Fatil überraschend von der Tafel auf, entschuldigte sich und war schneller verschwunden, als man ihm Fragen stellen konnte. Doch er hatte jetzt einen Entschluss gefasst. Zu sehen wie sein König sich hin und her wand wie ein sterbendes Tier und leise in sich hinein litt und nur im Geheimen ganz für sich brennende Tränen vergoss, versetzte auch ihm den Anstoß, ihn jetzt entweder zu heilen oder ihm den Teil abzutrennen, welcher ihm solche Qual bereitete. Und hierfür musste er nicht lange suchen. Er hatte sich schon seit mehreren Tagen zurechtgelegt, was er tun würde, wenn es erst so weit war. Fatil war ein Mensch, der lange ruhig blieb, aber wenn er sich erst entschieden hatte, zu handeln, tat er dies, ohne Widerstand gelten zu lassen. Entschlossenen Schrittes und ungehindert von den umstehenden Räubersleuten ging er direkt bis ins Zelt ihres Anführers vor und sah dort Seth, welcher sich soeben ein Brot mit seinem wohl alten Freund Emenas teilte. „Was willst du?“ sprach eben der ihn sofort harsch an. Da Seth ihm sicher erzählt hatte, dass sie so ihre kleinen und großen Hakeleien hatten, war auch er selbstverständlich nicht auf ihn gut zu sprechen und begegnete ihm mit Abstand. „Seth. Auf ein Wort. Bitte.“ Das letzte Wort drückte er sich mehr heraus. Wenigstens solange andere in der Nähe waren, musste er seine Form bewahren. Sobald er Seth allein vor sich hatte, würde er ein unnachgiebigeres Wort sprechen. „Du siehst doch, dass wir beschäftigt sind“ verbat sich der große Anführer dieses respektlose Auftreten. „Lass nur. Ich bin gleich wieder da“ bat Seth, legte sein Brot zur Seite und erhob sich, wurde aber im gleichen Moment von Emenas am Handgelenk festgehalten und intensiv angesehen. „Bleib nicht zu lange, wenn es nicht unbedingt sein muss“ sprach er mit einer Stimme, in welche Fatil schon fast Sehnsucht interpretieren wollte. „Du hast mir versprochen, du entscheidest dich, bevor wir im Palast sind.“ „Nein, das hast du gesagt“ erwiderte er und löste die Hand von sich ab, hielt sie aber noch einen Augenblick fest. „Entschuldige, Emenas. Du kennst meine Antwort bereits. Bitte hör auf, mich zu bedrängen.“ Der tat ein tiefes Seufzen und ließ ihn endgültig los. „Du weißt ja nicht, was gut für dich ist.“ „Aber ich weiß, was das Richtige ist.“ Mit diesem Worten folgte Seth Fatil hinaus. „Komm. Ich will allein mit dir sprechen. Ohne andere Ohren.“ Und sein Ton konnte sich nicht zur Freundlichkeit zwingen. Seth folgte ihm ein paar Schritt vom Lager fort bis sie hinter dem Platz verschwanden, an welchem die Pferde an einen alten, toten Ast gebunden waren. Hier war es ruhiger, das laute Reden und Gelächter und Gejohle der Räuber drang bis hier nur leise durch die abendliche Luft hervor. Sie wurden langsamer und Seth wartete bis Fatil sich endlich zu ihm umdrehte und ihm erklärte, was dieses persönliche Gespräch nun erwirken sollte. Dass sie sich nicht mochten und wohl auch niemals mehr zusammenfinden würden, wussten doch beide bereits. So etwas musste man nicht besprechen. „Ich weiß alles.“ Mit diesem Worten wand Fatil sich zu ihm um und blickte entschieden mit hartem Ton an ihm hinauf. „Und was soll mir das sagen?“ entgegnete Seth ebenso ablehnend. „Warum willst du dich mit mir streiten? In ein paar Tagen bist du mich ohnehin los.“ „Eben genau da liegt das Problem. Du willst den König wirklich verlassen?“ „Hör auf damit“ schoss Seth zischend zurück. „Ich habe gesagt, ich belästige ihn nicht länger. Das kann dir doch nur lieb sein. Du hast doch schon ausspioniert, was ich für ihn empfinde. Und? Willst du mich verraten? Das bringt dir wenig, denn wir sehen uns in zwei oder drei Tagen niemals wieder. Also lass mich in Frieden mit deinen ewigen Sticheleien.“ „Hör zu, ich mag dich ebenso wenig wie du mich“ sagte er ihm ebenso ohne Sympathie. „Aber soll ich dir auch mal sagen, weshalb ich dich abscheulich finde? Weil du der dümmste und blindeste Mensch bist, der jemals geboren wurde.“ „Danke für das Kompliment. Hast du noch etwas zu sagen oder kann ich jetzt meinen Fisch aufessen?“ „Jetzt hör mir mal zu.“ Fatil funkelte ihn aus seinen dunklen Augen an und trat einen Schritt näher. Es hätte nur wenig gefehlt und er spuckte Seth seine Worte direkt ins Gesicht, aber der wich auch nicht einen Zentimeter zurück. „Ich weiß alles, wirklich alles von dir. Also solltest du genau tun, was ich dir sage.“ „Du weißt also alles, ja?“ grinste Seth ihn ebenso hasserfüllt an. „Dann mal herzlichen Glückwunsch, oh großer Wisser.“ „Zügle deine Zunge, Lustsklave.“ Das rührte Seth dann doch auf wie ein Donner. Sein Grinsen verging ihm und er konnte nichts dagegen tun, dass sich seine Brust langsam zuschnürte und die Luft so dünn wirkte. Allein dieses eine Wort reichte, um ihn vom Angriff in die Defensive zu zwingen. Mit diesem Wissen hielt Fatil Trümpfe in der Hand, die kaum zu schlagen waren. Genau das, was er ihm angedroht hatte. Er würde gegen ihn kämpfen mit allem, was er hatte. „Ich sehe, wir verstehen uns“ fuhr er leise fort. „Woher weißt du das?“ Seine Stimme war mehr nur ein Keuchen. Der Schock saß ihm sichtlich tief. „Woher ist egal. Wichtig ist, dass ich es weiß. Du denkst nur an dich. Daran, dass du Priester bist, der eigentlich noch an seiner Vergangenheit hängt. Du bist so auf dich selbst fixiert, dass du alles andere völlig ausblendest. Du Ignorant.“ „Das nützt dir gar nichts“ wehrte er sich mit einem letzten Aufbäumen. „Wenn du das groß herumsprichst, wird nur der Pharao Probleme haben. Wenn ich bei Emenas bleibe, bin ich ohnehin gesetzlos und du kannst mir nichts anhaben. Also überleg dir zwei Mal, wem du was sagst.“ „Du verstehst es wirklich nicht“ schüttelte er genervt seinen Kopf. „Wenn ich wollte, würde ich dir Herrschaaren auf den Hals hetzen, ohne dass jemals jemand erfährt, weshalb. Selbst der Pharao würde nichts davon wissen. Ich habe die Macht, dich auszulöschen wie es mir gerade passt. Und genau deshalb tust du jetzt, was ich dir befehle.“ „Du kannst mir gar nichts befehlen!“ „Oh doch, das kann ich“ fauchte er mit gesenkter Stimme. „Und das weißt du sehr genau. Und wenn du nicht tust, was ich dir sage, wirst nicht nur du, sondern auch dein Freund Emenas das Jenseits schneller kennen lernen, als ihr denkt. Ich lösche dich und diese dreckige Räuberbande mit nur einem Wort aus. Sobald wir im Palast sind, wirst du nicht einmal mehr Zeit zur Flucht haben.“ „Das tust du nicht.“ „Das tue ich nur nicht, wenn du meine Bedingung erfüllst“ stellte er weiter seine unbegründete Forderung. „Du wirst jetzt sofort zum König gehen, ihn bei der Hand nehmen, ihn zum Ufer dieses Flusses führen und ihm deine Liebe gestehen. Solltest du das nicht tun, werde ich gern deinen Tod auf mich nehmen.“ Denn wenn Seth es ihm nicht sagte, würde es früher oder später den Tod des Pharaos nach sich ziehen. „Lieber sterbe ich als ihm das zu sagen.“ Er konnte es nicht. Es würde alles in den Schmutz ziehen, was sein Pharao für ihn getan hatte. Seine Liebe zu ihm war schmutzig und schändlich. Ein Sklave, welcher den König liebte - da konnte er ihn ebenso gut mit Pferdeäpfeln bewerfen. Nur weil der König ihm half und damit den Zorn der Götter auf sich zog, durfte er ihn nicht auch noch mit seiner Liebe verschandeln. Anstatt um seine Liebe zu buhlen, musste er den einzigen Weg gehen, welcher seinen König von ihm befreite. „Mit dir aber sterben alle diese Räuber“ drohte Fatil ihm mit dunkler, zischender Stimme. „Überlege genau, Seth, ob du das willst. Sollen wegen eines schmutzigen Lustsklaven wie dir all diese Menschen sterben? Willst du ihren Tod verantworten?“ Dazu wusste Seth nichts zu sagen. Die Angst vor Fatil überwog mehr als er es ihm eigentlich zeigen wollte. Woher er wusste, dass er eigentlich kein Priester war, konnte er nicht sagen. Klar war jedoch, dass Fatil immer meinte, was er sagte. Er würde ihn nicht vor solche Forderungen stellen, wenn es ihm nicht ernst wäre. Für seinen Pharao würde er alles tun. Fatil war im Palast ein mächtiger Mann, einer der mächtigsten, da seine Familie über Generationen große Kronentreue bewiesen hatte. Und da zählte für ihn ein Lustsklave nicht viel - und Seth wusste das. Doch nur wegen seines unwürdigen Stolzes konnten nicht Menschen wie Emenas und seine Männer mit ihm ins Verderben gehen. Auch wenn es schmerzte, so musste Seth sich eben vom Pharao fortjagen lassen. Fatil und die Götter ließen ihm keine Wahl. Was Atemu an diesem Abend wunderte, war, dass Fatil sich so schnell von ihm entfernt hatte und bis zum jetzigen Moment auch nicht mehr erschienen war. Der Pharao hatte bereits mit Faari und Penu das Abendbrot hinter sich, wobei es heute nach langer Zeit trockenen Brotes wieder frischen Fisch aus dem Fluss gab. Dazu ein wenig gebratene Schlange und saftige Früchte. Doch trotz des reichlich gedeckten Tisches, brachte der König kaum einen Bissen runter - wie jeden Abend. Eigentlich aß er nur ein paar Happen, um die Sorgen seiner Männer zu lindern. Hunger entwickelte er nicht wirklich, eher Übelkeit. Sein gebrochenes Herz wirkte sich auf alle Teile seines Köpers aus, nachdem es zunehmend auch seine Seele hinrichtete. Wenn ein Herz brach, hatte es scharfe Kanten und schnitt alles, was ihm nahe kommen wollte. Ob Freund oder Feind erkannte es dabei nicht mehr. Und so wunderte es Atemu nur, dass nicht auch seine Tränen blutig waren, sondern so klar wie eh und je. Er dachte gerade daran, sich zu erheben und zur Nacht zu legen, als Fatil zurückkam und ihm scheinbar jemanden mitgebracht hatte. Seth war ihm gefolgt und stand nun direkt vor seinem Pharao. Seine Hände zitterten und er schien in dem bunten Licht, welches die untergehende Sonne durch den Zeltstoff schickte, ein wenig blass. „Seth, was ist denn?“ Er sah nicht gut aus. Seine Haut ein wenig milchig und seine blauen Augen abgewandt, sein Haupt zu Boden gesenkt. Schnell stand Atemu auf und wollte zu ihm, da streckte der ihm seine offene Hand hin und hob langsam seinen Blick, fast schüchtern. „Majestät ... ich wollte fragen, ob ... würdet Ihr mich auf einen Spaziergang begleiten?“ Seine Stimme klang unsicher, fast traurig. Der Pharao blickte Fatil an, der doch sicher irgendwas hiermit zu schaffen hatte. Seit Tagen hatte Seth kaum ein Wort mit ihm gesprochen und suchte nur die Nähe seines wiedergefundenen Freundes. Und nun plötzlich diese merkwürdigen Begebenheiten. Doch Fatil ignorierte den verwirrten Blick seines Königs. Er nahm sich ein großes Stück Fisch und biss herzhaft hinein, als wäre nichts an dieser Situation anders als sonst. „Hoheit?“ Seth weckte ihn zurückhaltend aus den Gedanken und fing erneut seinen Blick ein. Und aus diesem Blick konnte sich der sehnsüchtige Pharao auch kaum selbst befreien. Er wusste, wenn er mit Seth ging, würde er mit großem Schmerz zurückkehren. Wie jedes Mal, wenn er mit ihm zusammen gewesen war. Er würde in Träumen versinken, in Wunschvorstellungen und hart auf dem Boden aufschlagen, sobald er wieder allein gelassen wurde. Und doch konnte er nicht anders. Mit ihm zusammenzusein drängte ihn, diese blauen Augen fesselten ihn und versprachen ihm wenn auch zaghaft seine Hand zu berühren, ein Stück seiner Haut, seine Wärme zu fühlen und vielleicht ein paar Augenblicke seiner Stimme zu lauschen. „Natürlich. Sehr gern“ antwortete er endlich und griff Seths Hand. Wie weich seine Haut war, wie warm und geschmeidig und wie fest er sie hielt. „Ich danke Euch.“ Seth ließ ihn nicht los, drehte sich herum und führte seinen Pharao hinter sich her ins Freie. Er steuerte an der lärmenden Räubermeute vorüber in Richtung des Flussufers. Atemu traute sich nicht zu fragen, woher dieser plötzliche Antrag nach einem gemeinsamen Spaziergang aufkeimte. Wahrscheinlich würde er Seth damit nur wieder von sich fortstoßen und somit nicht nur sich selbst, sondern auch ihn verletzen. Vielleicht sollte er sich einfach gehen lassen und diesen Moment ohne Gedanken am Kommendes genießen. Es würde das letzte Mal sein, dass er und Seth so vertraut miteinander allein waren. In zwei oder drei Tagen würden sie den Palast erreichen. Seth würde sich dann verabschieden und niemals zurückkehren. Jetzt waren die letzten Minuten, welche sie zusammen hatten und wahrscheinlich würde Seth sie für ein abschließendes Gespräch nutzen wollen, bevor er ihn dann auf ewig verließ und der Pharao in seine schmerzliche Einsamkeit zurückkehrte. „Seth?“ Emenas kam eben hinter einem Pferd hervor und sah die beiden vorübergehen. Er stellte sich ihnen in den Weg und sah ihn mit einem kaum zu deutenden Ausdruck an. „Was tust du?“ „Ich tue ein paar Schritte mit dem Pharao unten am Flussufer“ antwortete er ebenso ruhig, auch wenn seine Worte ein wenig bedauernd klangen. Besonders als er wie entschuldigend hinzufügte: „Ich muss ihm etwas sagen.“ „Ich verstehe.“ Emenas schien als würde er seufzen wollen, doch er trat nur ein Schritt näher, blickte Seth mit einem traurigen Lächeln an und löste dann das schwarze Tuch um seine Schultern, welches er ihm dann fürsorglich umlegte. „Es wird bald sehr kalt werden, mein Freund. Und ich will, dass du es warm hast.“ „Danke ... Emenas.“ Für Atemu schien es, als würden sie nicht über einen Spaziergang sprechen oder über einen verliehenen Umhang. Etwas steckte hinter diesen Worten, doch er vermochte es nicht zu lesen. Etwas spielte sich zwischen den beiden ab, doch für Außenstehende war dies nicht zu deuten. Sie hatten ihre eigene Welt, in welche niemand hineinkam. Ebenso wie der Pharao seine eigene Welt hatte, in welche niemand hineinkam. Nicht, weil er sie abhielt, sondern weil es niemanden gab, der seine Welt teilen wollte. Er wollte sie ja nicht mal selbst teilen. Emenas verschwand zurück in Richtung des Lagers und Seth führte seinen Pharao schweigend weiter an den Fluss. Dort angekommen wuchs das Gras bis zu ihren Knien so hoch und es machte einen berauschenden Klang, als sie es durchstreiften. Die Schuhe auszuziehen wäre wegen Schlangen wohl zu gefährlich, aber es kitzelte an der Haut und wiegte sich im Einklang mit dem auffrischenden Abendwind. Über ihnen neigte sich die Sonne zur Ruhe und das dunkle Blau eroberte sich den Abendhimmel. Wie zweigeteilt schien das Weltendach. Hinter ihnen schon sternenbehangener Himmel und vor ihnen die letzten glutroten Strahlen der warmen Sonne. Der Mond stand ihr gegenüber und würde sicher seine volle Größe erreichen, wenn sie selbst erst im Palast zurückwaren. Wie als würde er ihnen zum Abschied winken. Wie von selbst blieben sie am Ufer des leise dahinfließenden Flusses stehen und blickten über seine Grenzen hinweg, über den grünen Streifen in die rosa gefärbte Wüste. Hier war es still, es war kaum mehr zu hören als das Zirpen einiger Insekten und ab und an ein Aufjohlen der Meute im Lager. Aber hier drang wenig hervor, ihr eigener Atem war lauter und das Plätschern des Flusses, wenn sich hier und dort noch ein Fisch regte. Wäre dieses Erlebnis nicht so abschiedsschwer, könnte man viel mehr noch romantische Gefühle erwecken. Doch so breitete sich in Atemu nur bittersüßer Schmerz aus. Er horchte auf, als Seth seine Hand losließ und sich von ihm abwand. Dieser hatte sich umgedreht, sich leicht gebückt und strich das hohe Gras zur Seite, fuhr mit seinen Fingerspitzen über den Boden und hockte sich dann hin, um seinen Pharao von unten anzusehen. „Es sind keine Schlangen hier. Möchtet Ihr Euch setzen, Hoheit?“ „Wenn du dich zu mir setzt“ antwortete er leise und setzte sich auf das glattgestrichene Gras. Er bräuchte nur seine Beine auszustrecken und das Wasser des Flusses würde an seinen Zehen lecken. Neben ihm fiel eine leuchtend blaue Blume ins Auge. Ihre riesige Blüte streckte sich ihm entgegen und verträumt musste er über ihre fast menschliche Haut streichen. Sicher war sie giftig, aber sie war wunderschön. Genau wie Seths Augen für ihn. Wunderschön und doch träufelte das Gift langsam in sein Herz und ließ es qualvoll langsam sterben. „Du wirst mich also verlassen, sobald wir in der Hauptstadt sind?“ fragte er leise, traurig. Er wusste, dass es das Beste so war und trotzdem schmerzte es. Hätte er einen Wunsch zu erfüllen, so würde er anders lauten. „So wird es sein“ flüsterte er bedrückt zurück. „Ich bin von keinem guten Nutzen für Euch.“ „Du musst keinen Nutzen haben, um bei mir sein zu können“ erwiderte er und wand seinen Blick nicht von der dunkelblauen Blüte ab. „Aber wenn du dich verabschieden möchtest, so werde ich dich nicht gefangen halten. Fühl dich frei, zu tun, was dir beliebt.“ „Ich danke Euch sehr dafür, Majestät.“ Er senkte seine Stimme und auch seinen Blick. „Aber bevor ich mich von Euch lossage, muss ich Euch ein schändliches Geständnis machen.“ „Ein Geständnis?“ Jetzt drehte er doch seinen Kopf und sah seinen Priester an. Wie bedrückt er dort saß. Mit ringenden Händen, verborgenem Blick und sein erdbraunes Haar fiel ihm tief in die Stirn, verbarg seinen wundervollen Blick. „Es ist nicht schändlich, Seth. Sicher nicht“ versuchte er ihn trotz des eigenen Schmerzes zu trösten. „Wenn du Emenas liebst und bei ihm bleiben willst, dann ist dies nicht schändlich. Ich wünsche mir nichts mehr auf der Welt, als dass du glücklich bist.“ „Emenas lieben?“ Er hob seinen Kopf und sah ihn ratlos an. „Majestät, ich liebe ihn nicht. Nicht im geringsten.“ „Nicht? Aber es scheint so“ erwiderte er ebenso verwirrt. „Er spricht so liebevoll zu dir und ihr teilt Euer Lager. Er möchte, dass du bei ihm bleibst. Sicher ist er sehr zärtlich zu dir. Du hast es verdient, dass man dich zärtlich behandelt. Ihn zu lieben, wäre nur verständlich.“ „Aber in seinem Zelt haben wir niemals mehr getan, als nur zu sprechen. Hoheit, ich könnte ihn niemals lieben. Ich fühle mich Emenas sehr verbunden und er ist ein wichtiger Freund und ich weiß, dass er etwas für mich empfindet, aber ich kann das nicht erwidern. Niemals würde ich Euch verlassen, um bei jemand anderem zu sein. Bitte glaubt das nicht!“ „Es ist doch aber so naheliegend“ lächelte er ihn traurig an. „Majestät, Ihr seid das Wichtigste in meinem Leben“ schwor er und wand sich ihm vollkommen zu. „Niemand kann Euch übertrumpfen. Wenn ich mich für jemanden entscheiden müsste, so wäre es immer zu Euren Gunsten. Ihr bedeutet mir um ein Vielfaches mehr als er.“ „Was ist es dann?“ schaute er ihn tränennah an. „Du könntest niemals etwas Schändliches tun. Das weiß ich, Seth. Und wenn du mich verlassen willst, so ist es in Ordnung. Ich will dir nicht das Gefühl geben, dich gefangen zu halten. In meinen Augen bist du ein Priester, ein Mensch mit Recht auf Persönlichkeit. Wenn du dich in meiner Gegenwart an etwas Böses erinnert fühlst, ist das nicht schändlich, sondern durch und durch verständlich. Und ich möchte dir niemals wehtun.“ „Ich weiß das. Deshalb ist es ja so schändlich“ entgegnete er und senkte seinen Kopf, fast kniete er vor ihm. „Majestät, ich ... ich ...“ „Seth, nicht.“ Er fasste sich ein Herz und legte seine Hände an Seths Wangen um einen Blick zu sich hinaufzuziehen. Wie weich und wie warm seine Wangen sich an seine Handflächen schmiegten. „Sag nichts, was dir Schmerz bereitet. Rede über nichts, was nicht über deine Lippen will. Du musst rein gar nichts tun.“ „Atemu“ flüsterte er und seine tiefblauen Augen füllten sich mit Tränen. „Ich habe mich in Euch verliebt.“ In diesem Augenblick glaubte Atemu, er würde sterben. Diese Worte von Seths Lippen hatte er nur in seinen Träumen gehört. Er glaubte nach all dem Leid nicht einmal mehr daran, dass sie im Tode vereint sein würden. Und nun hörte er sie leibhaftig. Seths Augen waren so ehrlich, seine Augen so klar und seine Stimme so voller Vertrauen. Atemu hatte immer geglaubt, er würde ihn vor Glück küssen, ihn umarmen und laut weinen, sollte er es jemals aussprechen. Und nun war er wie betäubt, wie tot. Er konnte sich kaum bewegen, vergaß fast zu atmen. Er hatte sich auf größten Schmerz vorbereitet und nun? War dies wieder ein grausiger Streich der Götter? „Bitte verstoßt mich“ flehte Seth ihn in seiner Starre an. „Ich weiß, meine Liebe ist Euch unwürdig. Sie beschmutzt und beschämt Euch. Aber ich kann nicht anders. Ihr habt so viel für mich getan, immer sorgt Ihr für mich und fragt nach meinen Wünschen. Und als ich Euch mit diesem Sklaven sah, da entbrannte mein Herz vor Eifersucht und ich erkannte, wie unwürdig ich Eurer Güte bin. Ich bin Euch nicht würdig, ich bin nichts für Euch. Ihr seid so rein und ich bin weniger Wert als der Schmutz der Straßen. Ich weiß das. Ich weiß, wie schändlich meine Gefühle sind. Bitte verstoßt und bestraft mich, bevor ich Euch noch mehr beschmutze mit meinen ehrlosen Gefühlen.“ „Deine Gefühle sind nicht ehrlos“ erbrachte er trocken und abgeklärt, während er seine tränennassen Wangen losließ. „Aber ich glaube nicht, dass du mich wahrlich liebst. Ich bin kein Geschöpf, das man lieben kann. Vielleicht verehrst du mich und bist mir dankbar. Aber Liebe kann das nicht sein. Glaube mir, ich wünsche mir nichts mehr auf dieser Welt, als dass du mich endlich liebst. Aber ich weiß auch, dass ich dich immer demütigen würde. Du findest deine Freiheit nur ohne mich. Wenn du bei mir bleibst, wirst du immer Sklave sein. Und ich will doch, dass du frei bist.“ „Ihr glaubt, ich liebe Euch nur, weil ich ein Sklave bin?“ schluchzte er und sah ihn doch die ganze Zeit fest an. „Warum sagt ihr das? Ihr verspracht mir, Ihr würdet in mir nicht den Sklaven sehen.“ „Das tue ich auch nicht. Seth, du bist der wundervollste Mensch für mich. Aber wenn du mich ansiehst, wirst du dich immer als mein Eigentum fühlen. Und das will ich nicht. Ich will, dass du frei bist.“ „Aber ich bin doch frei“ hauchte er und verstand diese mystischen Worte ganz und gar nicht. „Ihr habt mich befreit, Atemu. Ihr seid meine Freiheit. Es ist mir egal, ob ich Euer Wanderpriester oder Euer Lustsklave bin. Ihr habt niemals auf mich herabgeblickt und mich immer wie einen Menschen behandelt. Ich weiß, dass meine Liebe Euch nur zu beschämen mag, aber sie ist echt. Und deshalb und nur deshalb allein werde ich Euch verlassen müssen. Ich könnte es niemals verantworten, dass Ihr meinetwegen in der Gunst der Götter weiter sinkt. Bitte verstoßt mich und stimmt die Götter wieder gnädig.“ „Du liebst mich ...“ Es war keine Frage, es war keine Feststellung, er konnte es nur einfach wiederholen. Er hatte alles erwartet. Alles. Alles. Alles. Aber nicht ein solches Geständnis. „Und ... seit wann?“ „Schon ewig“ antwortete er niedergerungen und senkte sein Haupt. „Lange habe ich geglaubt, es sei Dankbarkeit darüber, dass Ihr mich errettet habt. Doch als ihr mich vor Nove Vaasa fragtet, was mein Wunsch sei, da stieg dieses unendlich warme Gefühl in mir auf, welches herausdrängte und nur gedeutet werden wollte. Und als ich Euch sah, mit diesem Sklaven, in dem Lusthaus und dazu Eure glänzenden Augen, da wusste ich es sicher. Ich war so enttäuscht, denn ich durfte niemals Euer Bett teilen. Wäre ich nur niemals Priester geworden, dann hätte ich vielleicht bei Euch bleiben können. In diesem Moment wusste ich, dass es keine Dankbarkeit ist, sondern Liebe. Ich habe niemals zuvor Liebe eine solche empfunden und wusste nicht, wie es sich anfühlt.“ „Aber was ist mit diesem Mädchen? Shinasa? Du warst doch verlobt und liebst sie.“ „Ich liebe sie auch. Aber nicht so sehr wie ich Euch liebe. Damals wusste ich nicht, was mich dazu trieb, Euch nachzureiten. Ich wusste nur, dass ich es unbedingt tun musste. Und nun weiß ich den Grund. Ich liebe Euch aus dem tiefsten Inneren. Ihr habt so viel für mich getan, doch wenn ich Euren Gesundheitszustand sehe, weiß ich, dass die Götter Euch dafür verflucht haben, dass Ihr einem dreckigen Sklaven wie mir eine Tempelausbildung ermöglicht habt. Deshalb lehnt bitte meine Liebe ab und schickt mich weit fort von Euch. Ich werde Räuber werden, ein Gesetzloser. Auch wenn ich Emenas nicht liebe, werde ich ihm auf die andere Seite folgen. Weit fort von Euren Geboten, weit fort von Religion. Nicht, weil ich ihn liebe, sondern weil ich Euch liebe. Stimmt die Götter wieder gnädig, indem Ihr mir alles nehmt und zeigt, dass der Fluch der Götter auf Euch Unrecht ist. Ihr seid rein und ich bin es nicht. Entscheidend ist nicht ein Brandmal auf meiner Schulter, sondern das Stigma in meinem Herzen. Nur das sehen die Götter. Ich weiß, es wird das Beste für Euch sein. Und wenn ich eines mehr als alles will, so ist es, dass Ihr glücklich werdet.“ Das war es also. Seth wollte Räuber werden und bei Emenas bleiben, weil er glaubte, Unglück über seinen Pharao zu bringen. Seine Religion und seine Königstreue gingen so weit, dass er alles aus Liebe verraten würde. Er wollte den Göttern zeigen, dass der Pharao seinen Fehler einsah und die Götter ihn von ihrem Fluch erlösten. Er ahnte nicht mal, dass das Unglück des Pharaos genau die Liebe war, welche erwidert wurde, ohne es zu wissen. Dass es ein verbotener Traum war, der geträumt werden musste. Seth war ihm nicht deshalb so treu, weil er es als Sklave gelernt hatte, sondern weil er ihn wahrlich liebte. Er würde selbst seinen hart erkämpften Kindheitstraum von der Priesterschaft aufgeben und ein gesetzloser Bandit werden, um seinen Pharao vor dem Zorn der Götter zu schützen. Seth sagte nicht, dass er ihn liebte, sondern er handelte. Im ganzen Reiche gab es Menschen, die ihm sagten, dass sie ihn liebten, aber sie handelten niemals so. Und der einzige Mensch, der es ihm niemals gesagt hatte, war der einzige, der so handelte. Noch niemals hatte Atemu sich so aufrichtig geliebt gefühlt wie in diesem Augenblick. ************************************************************************************************* Ende? Nein, noch nicht! Wenn Ende ist, schreibe ich das drunter. Ihr braucht also nicht ängstlich zu fragen, ob da noch was kommt. ^^ Und auch hier ist die Story noch ganz sicher nicht zuende. Wer allerdings auf Zuckerendings steht, der darf hier gern aufhören zu lesen, denn es gibt eine kleine Träne im Knopfloch, wenn ich erst mit den beiden fertig bin. Wäre ja sonst langweilig, oda? ^^ Eigentlich wollte ich mich auch hier noch mal kurz zu Wort melden und allen Kommentatorinnen für ihre unglaublichen Worte danken. Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. Deshalb sage ich es mit den Worten meiner teuren Nekoi, die ich hier mal zitieren darf (hoffe ich ^^): „Nirgendwo; bei keiner anderen Autorin oder Autor, habe ich solche langen Kommentare gesehen, wie bei dir. Ich lese sie mir selbst gerne durch, weil es mich interessiert, was die andere so darüber denken. Aber es sind ja nicht nur lange Kommentare - sondern sie befassen sich auch tiefgehend mit dem Inhalt. Manche könnten doch glatt als eine Interpretation durchgehen. Das finde ich toll!“ Da kann ich mich nur anschließen. Ihr alle schreibt Kommentare, wo ich merke, dass ihr die Story wirklich versteht und auch versteht, was ich damit meine. Teilweise eröffnet ihr mir selbst neue Einblicke und ohne es wahrscheinlich zu wissen, schreibt ihr die Geschichte selbst mit. Kommentare wie eure sind pures Gold wert (oder eben Silber, da ich von einer Leserin gelernt habe, dass Silber in Ägypten noch seltener und teurer war als Gold) und wenn ich sage, dass ihr die Besten seid, dann glaubt mir das. Ich weiß, ich bin schlampig mit dem Antworten, weil ich sonst gar nicht mehr zum Schreiben komme, aber ich lese alles von euch und manchmal hüpfe ich vor Freude so laut durch die Wohnung, dass schon die Nachbarn an die Wände klopfen (das ist leider keine Lüge T_T). Ihr bedeutet mir wirklich viel. Das schreibe ich zwar jedes Mal, aber ich meine es auch jedes Mal. Und bei euch weiß ich wenigstens, dass ihr versteht, was ich schreibe. Ich danke euch für alles. Eure masamume. Kapitel 35: Kapitel 35 ---------------------- Kapitel 35 Seine Fingerspitzen strichen über die handgroße, blaue Blüte und befühlten ihre fleischige Konsistenz. So ein wunderschönes Gewächs inmitten einer brennenden Wüste zu finden, war ein Geschenk, welches man zu würdigen wissen musste. Über lange Zeit hinweg war hier nichts anderes als trockener, lebensfeindlicher Sand. Doch in ihm lagen Samen, welche jederzeit zum Keimen bereit warteten. Sobald die ersten Tropfen der Überschwemmung ihr lebensfeindliches Grab erreichten, erblühten sie in vollster Schönheit und verwandelten die eintönige Ödnis in ein prächtiges Farbenmeer, diktiert von Grün mit vielen schimmernden Akzenten. Ebenso zufällig wie er gestern diese blaue Blüte fand, so zufällig fand er auch Seth. Wie ein Samen lag seine Seele begraben und er brauchte nur ein wenig Liebe und Fürsorge, um zu erblühen. Atemus Wasser hatte ihn erreicht. Langsam war diese Blüte gewachsen, lag geschlossen und versteckt an ihrem Stängel. Doch gestern hatte er sie pflücken dürfen. Seth hatte ihm diese Blume geschenkt, da Atemu sie so fasziniert anblickte. „Ich habe nichts, was ich Euch geben kann“ ... so hörte er noch seine Worte am abendkalten Flussufer. „Außer meiner reinen Liebe, die ich selbst niemals für möglich hielt. So ungewöhnlich wie diese Blume. Eine Blume, welche ihre Blüten bei Mondenschein öffnet. Für nur einen einzigen Falter, der sie zu bestäuben vermag. So öffnet sich meine Liebe für Euch, Atemu. Nur für Euch.“ Er musste lächeln, als er sich diese Worte ins Gedächtnis rief. Seths Stimme war so aufwühlend ruhig, so samtweich schwingend. Und er trennte die nachtblaue Mondblüte ab, um sie dem Pharao zu Füßen zu legen. Als Symbol seiner Liebe, welche in dunkelster Nacht erblüht war. Atemus Herz klopfte noch immer und mit jedem Mal stärker, je öfter er sich an die vergangene Nacht erinnerte. Er konnte es noch immer nicht glauben. Sein Seth hatte ihm Liebe gestanden. Keine Freundschaft, keine Dankbarkeit, einfach nur Liebe. Reine, ungewöhnliche, unsichtbare Liebe. Eine Liebe, die wie eine Blume war. Zwischen saftig hohem Gras streckte sie ihre Schönheit empor und pries sich selbst im Mondenschein, in der Hoffnung, dieser eine einzige Falter möge zu ihr fliegen und sie ihrer Bestimmung hingeben. Und nun lag diese Blüte neben ihm und ihre Haut war fest und kühl. Sie gehörte ihm und hatte im ersten Licht der aufgehenden Sonne ihre blauen Blüten geschlossen. Ein wenig wehmütig wurde Atemu, wenn er daran dachte, dass sie nun sterben würde, da sie gepflückt ward. Und nun lag Seth neben ihm und seine Haut war weich und warm. Er gehörte ihm und hatte trotz des ersten Lichts der aufgehenden Sonne seine blauen Augen geschlossen. Gestern Nacht hatten sich seine Blüten geöffnet und ihren Falter gelockt. Hoffentlich würde seine Liebe im Angesicht des neuen Tages nicht ebenso eingehen wie eine abgerissene Blume. In ihm breitete sich neben diesem warmen Gefühl ein wenig Angst aus. Angst vor dem, was nun kommen konnte. In der letzten Nacht hatte er alles beiseite geschoben und vergessen. Sein Herz hatte gesiegt und war in einem triumphalen Marsch an jeglicher Vernunft vorbeigezogen. Bedenken waren betäubt, Erinnerungen verblasst. Nur noch der süße Geschmack des ersten Kusses, die Wärme des geliebten Körpers hatten sich als wirklich nötig gezeigt. >Ich liebe dich, mein Seth.< Das hatte er so häufig in seinen Träumen gesagt, ebenso wie er ihn in seinen Träumen berührte, ihn küsste, liebkoste und sich seine erotische Stimme vorstellte, seinen muskulösen Körper, seine harte Männlichkeit, seinen heißen Schweiß und den kräftigen Halt seiner Hände. Und gestern war es kein Traum gewesen. Es war wirklich. „Ich liebe dich, mein Seth.“ Er hatte es laut ausgesprochen und die Wirklichkeit seine Träume noch übertroffen. Seine Hände waren noch zärtlicher, seine Stimme noch weicher, sein Körper härter und sein Geruch, sein Geschmack, das ganze Gefühl ... es war bar jeder Beschreibung. Würde Atemu schildern müssen, was er letzte Nacht wie in Trance erlebte, er fände keine Worte. Er fand keinen Moment mehr, um noch zu sinnieren, ob es Traum war oder Wirklichkeit. Es war einfach geschehen. „Ich liebe dich.“ Es war so leicht, es auszusprechen und trotz dieser so gering scheinenden Laute, rollte eine ganze Lawine, die Last der Welt von seinen Schultern, seiner Seele und seinem Herzen. Er fühlte sich frei. Noch niemals hatte er sich so leicht gefühlt und doch so verbunden mit irdischen Gefühlen. Das Gefühl des Grases, in welches sich seine Hände vor Ekstase krallten, war ebenso neu wie drängend und vollführend. Das Gras als schützender Boden und Mauer für zwei sich begehrende Menschen. Die Erde unter ihm, der nachtblaue, sternenbesprenkelte Himmel über ihm und mit ihm verbunden der einzige Mensch, der jemals seinen Namen sprach ... der ihm jemals eine solche Erfüllung schenkte. Seth Küsse brannten wie Feuer und löschten wie Wein. Seine Haut war wie Seide und die Muskeln darunter wie weiches Silber, seine Männlichkeit wie warmer Stein, seine Hände wie Federn und Erdenkraft gleichermaßen. Und seine Stimme, seine wundervolle, tiefe, verzückende Stimme ... wie sie sich mit der seinigen mischte und ihre Seelen verband, wie ihre Körper sich in verlangendem Einklang wiegten. Erst draußen am Flussufer, im Gras von Mond und Sternen belächelt. Und als es zu kalt wurde, im warmen Zelt vom seichten Schein der Öllampe beschützt. Zwei Plätze, zwei wahrgewordene Träume, zwei Menschen, die eins wurden. Beim ersten Mal war es viel zu schnell vorbei, so sehr hatte es Atemu gedrängt, durchbebt und erschüttert, trotz der einziehenden Nacht, die seinen Schweiß kühlte. Zu lange hatte er darauf gewartet, hatte sich sein Körper danach verzehrt, als dass er nicht gierig nahm, was ihm geschenkt wurde. Doch beim zweiten Mal im warmen Zelt mit der Gewissheit, dass es nicht aufhören würde. Mit mehr Ruhe hatte er Seths Körper berührt und ihn an Stellen geküsst, nach denen sich seine Lippen zu lang sehnten, ihn gestreichelt und geliebt. Und ebenso Seths Hände und Lippen und Zunge und Zähne, welche seinen heiligen Körper eroberten. Wie eine Blume, welche ihrem Falter den süßesten Nektar schenkt, ihn speist und erhält. Ein Gebet an das Leben. Weltlich und doch wie von Götterhand gewiesen. Diese Nacht fühlte sich zu gut an, um wirklich wahrhaftig geschehen zu können. Und so hatte Atemu nicht einen Moment davon verpasst, nicht geschlafen. Selbst als Seth ihn erschöpft in seine starken Arme bettete und allmählich eindämmerte, selbst da hatte er sich nicht vom Schlaf besiegen lassen. Diese Nacht war wie ein Traum. Doch Träume endeten und Atemu wollte nicht, dass es endete. Wollte, dass diese Nacht ewig andauerte. Wollte dieses erfüllte Gefühl in Körper und Herz zurückbehalten, es festhalten, es gefangenhalten. Ein Gefühl in ihm drin ließ ihn nicht zur Ruhe kommen, es war zu stark. Einschlafen bedeutete aufwachen. Und aus diesem Traum wollte er niemals mehr aufwachen. Dafür dieses Erlebnis, die ganze lange Nacht neben Seth zu liegen. Er schmiegte sich an seinen warmen, nackten Körper, hörte seinen Atem und strich ihm immer wieder verträumt das Haar aus dem Gesicht, wenn es ihn kitzelte. Immer wieder legte er ihm seine Lippen auf und küsste ihn, ohne seinen Schlaf zu stören. Er küsste seine Wangen, seinen Hals, zog ihm das Laken herunter, um seine Brust zu küssen, seinen Bauch. Immer wieder, die ganze Nacht hindurch. Jedes Mal, wenn es sich zu sehr aufstaute, erlöste er sich selbst mit einem Kuss für den Träumenden. Wenigstens diese Nacht. Doch nun, wo er Seth an seinem Rücken geschmiegt spürte und sein schwerer Arm über ihm lag und festhielt, Atemu seinen eigenen Kopf auf dem kräftigen Oberarm gebettet hatte und verträumt über die blauen Pflanzenblüten strich, da kamen ihm Bedenken. Sein Herz fühlte sich so erfüllt wie niemals zuvor und diese innere Wärme war so angenehm wie der Wüstensand, welcher auch in der Nacht tief unten noch warm war. Doch wenn Seths Liebe eine Blüte war ... würde auch sie an diesem Morgen ihre Blätter schließen und sterben? Der schwere Arm über seiner Hüfte bewegte und entfernte sich, die warme Hand wanderte seine Seite hinauf, an seinem Arm entlang bis sie Atemus Hand fand und festhielt. In seinem Nacken ein warmes Seufzen. Seth war also erwacht. Kein Wunder, denn draußen tobte bereits das Leben. Die Räuber schliefen meist nicht länger als die Sonne und schienen schon wieder ihre zweifelhaften Späße mit den königlichen Pferden zu treiben, denn beide - Räuber und Pferd - schrieen bis das ganze Lager erwachte. Da konnte selbst der müdeste Wanderer nicht friedlich schlummern. „Du bist wach“ stellte Atemu leise fest. Leicht beunruhigt, denn mit Seths Erwachen, begann auch der Tag. Hier endete sein Traum von letzter Nacht. Sein Traum von Gras, Blüten, Sternen und Begehren, Verlangen und Ekstase. Sein Traum von Seth. Sein verbotener Göttertraum, welchen er leibhaftig gelebt hatte. Und mit seinem ganzen Herzen schickte er den mächtigen Göttern ein Stoßgebet, das verzweifelte Flehen nach einem Wunder. >Lasst Seths Liebe beständiger sein als eine Blüte.< „Guten Morgen, Majestät“ flüsterte er und mit einem warmen Kuss in seinem Nacken, atmete Atemu so losgelöst auf wie selten in seinem Leben. Seth küsste ihn. Das bedeutete, seinem Traum war eine lebende Chance zur Seite gestellt. „Guten Morgen, mein Seth“ antwortete auch er mit tränenzitternder Stimme. „Ich liebe dich.“ „Ich liebe Euch auch.“ Seth hörte sich noch ein wenig verschlafen an, aber er sagte es und Atemu konnte nicht anders als mitzufühlen, wie seine eigenen warmen Tränen die Wange hinab aufs Laken troffen. Er war so glücklich. Es war ausgesprochen und seine Liebe wurde gespiegelt, war nicht länger ein formloser Schmerz ohne Gesicht. Niemals hatte er es für möglich gehalten, dass es geschah. Aber Seth hatte es zuerst gesagt. Hätte der Pharao ihm die Liebe gestanden, so wäre Seth im Zwang gewesen, sie zu erwidern. Doch wenn er den ersten Schritt tat, so war eine Erwiderung weniger Fessel. „Ja ... ich liebe dich“ wiederholte er nochmals. Wie einen Schwur, ein Trancegebet. Solange er es sagte, blieb die Erwiderung. Ein wenig räkelte Seth sich hinter ihm und erhob seinen Kopf ein Stück. Jedoch ließ seine Hand nicht von ihm ab und hielt ihn fest. „Ich sehe, sie hat sich geschlossen.“ Atemu drehte seinen Kopf und sah ein Stück zu ihm auf. Seth hatte bemerkt, wie seine Hände die Blüte befühlten und interessierte sich dafür, was seinen Pharao am frühen Morgen so gefangennahm. „Ja“ hauchte er. Dieses Sinnbild wollte ihm nicht aus dem Kopf. Seths Liebe war eine Blüte, doch hoffentlich von längerem Leben. „Letzte Nacht war sie so schön. Aber sie hat sich geschlossen und stirbt jetzt ... vielleicht hätten wir sie nicht pflücken dürfen.“ „Oh nein, mein Pharao“ hauchte er ihm warm ins Ohr. „Wir mussten sie pflücken. Nur so kann sie Früchte tragen.“ „Was?“ Er drehte sich ein Stück in seinem Arm, ließ dabei seine Hand los und fand sich an seine nackte Brust gelehnt. Diese Wärme zwischen ihnen war so voller Geborgenheit und doch auch ein wenig mit der Furcht vor dem Unbekannten verwandt. „Hätten wir sie nicht gepflückt, wäre sie noch lebendig.“ „Nein, dann wäre sie wahrhaft gestorben. Atemu, kennt Ihr nicht die Lehre der blauen Mondblume?“ „Blaue Mondblume ...?“ Nein, die kannte er nicht und sein Gesichtsausdruck musste so ratlos aussehen, dass Seth sich gezwungen sah, ein wenig belustig zu lächeln und ihm liebevoll auf die Sprünge zu helfen. „Die blaue Mondblume ist ein sehr seltenes Gewächs“ erklärte er sanft. „Sie wächst nur im feinen Sand des Nilufers und einiger Seitenarme. Lange liegt ihr Kern dort verborgen und wird er nicht von Vögeln oder Nagern geholt, so keimt er bei der nächsten Überschwemmung auf. Doch sie erblüht nur in einer einzigen Nacht. Sie verströmt ihren lieblichen Duft für den weißen Nebelfalter, der ihren Nektar sehr schätzt und sie in dieser Nacht gezielt anfliegt. Doch nachdem er sie bestäubt hat, schließt sie ihre Blätter für immer. Wird die Blüte nicht abgetrennt, so stirbt sie mit dem Rest der Pflanze ab. Fällt jedoch ihr Kopf zu Boden, so wird er von der Sonne getrocknet und bevor die Trockenheit ganz zurückgekehrt ist, schläft schon ihr Samen im Boden. Solange bis ihn das Wasser erreicht und sie für diesen einen Falter erneut wächst.“ „Das heißt“ flüsterte er überwältigt, „hätten wir sie nicht gepflückt, würde sich kein neuer Samen entwickeln?“ „Vorausgesetzt, sie ist bestäubt.“ „Das ist sie“ lächelte er mit dicken Tränen in den Augen. „Ich weiß, ihre Schönheit hat den Falter erreicht. Sie ist nicht umsonst abgefallen.“ „Dass Euch eine schlichte Blume so erfreuen kann“ belächelte er diesen so glücklichen Ausdruck in seinen feuchten Augen. „Seth“ hauchte der Pharao und legte sehnsüchtig seine Hände an die warme, breite Brust. „Ich liebe dich so sehr.“ „Ich liebe Euch auch ... Atemu.“ Seine ganze Aura war so wunderbar ruhig, so gelassen und vollkommen. Und diesen Namen mit diesen Worten von seinen Lippen zu hören, war die Erfüllung aller verbotenen Träume. „Ich hoffe, Ihr habt wohl geruht und etwas Schönes geträumt.“ „Geträumt habe ich ohne zu ruhen“ lächelte er zufrieden zurück. „Denn ich war bei dir. Das ist Traum genug.“ „Bedeutet das, Ihr habt nicht geschlafen?“ fragte er ein wenig überrascht. „Nicht einen einzigen Moment. Mein Herz hat so laut geklopft, dass ich es nicht zähmen konnte. Hier.“ Atemu nahm seine Hand und legte sie in die Mitte seines Brustkorbes. Dort fühlte er es schon rhythmisch vibrieren, es schlug so fest und schnell, noch schneller seit Seth erwacht war. Dieser Moment war so aufregend, so aufwühlend und wahrhaftig, dass er vor Glück zu zerspringen drohte. „Atemu ...“ Ganz sicher spürte er das wilde Schlagen und blickte ihn daraufhin erstaunt an. „Es tut mir leid ... ich ...“ „Seth, nein“ hauchte er, bevor beginnen konnte, was er erahnte. „Entschuldige dich nicht schon wieder. Egal, wofür. Ich weiß nicht, wofür du dich jetzt entschuldigen willst, aber du hast keinen Grund.“ „Doch, den habe ich“ gestand er bedrückt und zog zaghaft seine Hand von der entblößten Haut fort. „Ich habe alles, was ich erlernt habe, ignoriert. Ich hätte wachend bleiben müssen bis ich Euch in sicherem Schlaf weiß. Selbst vor Euch zu ruhen ...“ Atemu seufzte und legte ihm vorsichtig die Fingerspitzen auf die Lippen. Er wusste jetzt, was ihn alsbald ereilte. Als ausgebildeter Lustsklave hatte er lernen müssen, dass er nicht vor seinem Herren ruhen durfte. Sich zu befriedigen und dann vor ihm einzuschlafen, entsprach nicht einem guten Dienst. Und Seth war gestern erschöpf eingenickt, nachdem die Ekstase von ihnen abebbte. Nur mit einem „Danke“ und einem seufzenden „Ich liebe Euch“ auf dem Herzen. „Es macht mich ein wenig traurig zu sehen, dass der Sklave jetzt noch durch deine Augen sieht“ antwortete er gedämpft. „Dabei muss ich mich bei dir entschuldigen.“ „Aber ... wofür ...? Ihr müsst ...“ „Schschd“ machte er leise. „Du hast niemals bei jemandem gelegen. Niemals wirklich. Du warst unberührt ... nicht wahr?“ Seth nickte nur vorsichtig, zumal noch immer die weisenden Finger auf seinem Munde ruhten. Und Atemu wusste, dass die letzte Nacht Seths erste Nacht gewesen war. Als Sklave war er einst für den Pharao bestimmt. Obwohl er in allen Liebeskünsten unterwiesen ward, hatten kein Mann, keine Frau jemals Hand an ihn gelegt. Er sollte rein bleiben für den König, um seinen Wert durch Können und Unschuld zu erhöhen. Und da er auch mit seiner Verlobten nach eigener Auskunft niemals den Beischlaf vollzogen hatte, war er letztlich seiner einstigen Bestimmung doch gefolgt. Nämlich, dem Pharao allein seine Jungfräulichkeit zu schenken. „Ebenso wie du jetzt denkst, dass du nicht hättest schlafen dürfen, ebenso wird mir klar, dass ich gestern sehr viel von dir abverlangt habe. Du hast so viele schreckliche Dinge erlebt, so viele schmerzliche Erfahrung mit der Körperlichkeit gemacht und ich bin als Liebhaber kaum auf dich eingegangen.“ „Es war nicht schrecklich und auch nicht schmerzlich mit Euch“ antwortete er voll der Ehrlichkeit und mit doch ein wenig unschuldigem Ton. „Noch niemals habe ich mich so wohl gefühlt wie in Euren Armen. Ich wusste, was Beischlaf bedeuten würde, aber Ihr wecktet in mir Verlangen, Begehren und wahre Lust. Ein Gefühl, auf welches ich nicht vorbereitet war. Doch es fühlte sich unendlich schön an. Ich hatte nicht einen Gedanken an das, in was ich einst unterwiesen wurde. Ich wusste nur noch ... nur noch, dass ich Euch nahe sein und dieses Feuer in mir stillen will. Ebenso wie ich Euer Feuer für mich entfachen wollte. Gestern blickte kein Sklave durch meine Augen ... dafür vielleicht eher ein schlechterer Verehrer, der diese Vereinigung nicht gerecht wurde.“ „Ich habe mit vielen Menschen den Beischlaf getrieben, doch niemals habe ich mich wahrhaft mit jemandem vereint“ erwiderte er ihm aus tiefstem Herzen. „Dir habe ich mich zum ersten Male wirklich nahe gefühlt. Nicht als Pharao, sondern als Mensch. Du hast mir keinen Dienst erwiesen, sondern Liebe. Und wenn du mir sagst, dass es Liebe war, wenn du auf dem Höhepunkt deiner Lust meinen Namen keuchst, dann bist du die Erfüllung all meiner Wünsche.“ „Es war Liebe ... es i s t Liebe. Ich weiß nicht viel von Liebe, aber wenn es sie gibt, dann habe ich sie gestern Nacht gefühlt ... dann fühle ich sie jetzt ... dann fühle ich Euch, Atemu.“ „Dann denke niemals mehr daran, du müsstest dich für mich zu etwas zwingen“ bat er und fühlte, wie wieder Tränen aus Bedauern und zugleich unendlichem Glück in ihm aufstiegen. „In meinen Armen bist du weder Sklave noch Priester. Ich fühle für dich als den Menschen, der du für mich bist. Wenn du auch mir meine taktlose Tat verzeihen kannst.“ „Ihr ward nicht taktlos. Alles andere als das“ versprach er und griff fest nach seiner Hand, führte sie an seine Brust. „Auch ich fühle für Euch ein Gefühl, welches tiefer geht als alle Welten. Was auch immer Ihr mit mir tut, ich werde Euch immer ehren, Euch zu Diensten sein und Euch lieben. Es ist sicher eigensinnig, dies zu sagen ... aber niemals war ein Schlaf so ruhig wie neben Euch, in Euren Armen. Ich fühlte als würden die ganze Nacht zarte Küsse auf mich einregnen und eine Ruhe und Geborgenheit meine Seele behüten. Noch niemals erwachte ich mit einer solchen Erfüllung.“ „Und wenn ich dir sage, dass ich glücklich bin? Dass auch ich Erfüllung in dir gefunden habe? Glaubst du mir dann?“ „Ihr habt keinen Grund, mich zu belügen. Und wenn Ihr ...“ Und auch er stockte mit feuchten Tränen, mit bebender Stimme. Er schien ähnlich überwältigt, ähnlich aufgerührt und ebenso nervös. „Und wenn Ihr mir sagt, Ihr liebt mich, dann kann ich es mir nicht vorstellen, aber ich glaube Euch. Ihr lügt mich niemals an. Ich glaube jedes Eurer Worte. Selbst, wenn Ihr mir keine Vorhaltungen macht.“ „Das tue ich nicht“ hauchte er und wischte ihm die Tränen fort, obwohl er selbst salzigen Tropfen das Leben schenkte. „Ich liebe dich, mein Seth. Vom ersten Moment an als ich dich sah. Seitdem wollte ich nichts mehr, als dich zu besitzen, ohne dir Fesseln anzulegen. Ich bete zu allen Göttern, sie mögen dich an meiner Seite belassen ... aus eigenem Willen.“ „Wenn Ihr betet, so erhören unsere Götter sicher keinen mehr als Euch“ hauchte er und schloss verzweifelt seine nassen Augen. „Ich bin Euch unwürdig, ich ziehe so viel Schmutz auf Euch und doch betet Ihr um mein Seelenheil. Ihr seid gütiger als jeder Gott. Und dafür kann ich nicht anders, als Euch zu lieben.“ „Ich liebe dich auch und ich danke dir für deine ehrlichen Gefühle“ sprach er und ließ sich selbst mit zitternden Fingern das Salz fortwischen. „Ich liebe dich, mein Seth.“ „Ich liebe Euch auch, Atemu.“ Der Pharao reckte sich zu ihm hinauf, öffnete seine Lippen, wie er auch seine Augen schloss, um seiner Küsse noch einen mehr zu begehren. Selbst die ausladenst gestandene Liebe konnte nur mit einem Kuss wahrlich bekannt werden. „Hey, Ruhe da drin und aufstehen!“ Von außen schippte jemand Sand an den Stoff des Zeltes und schimpfte. Der dunklen Stimme nach zu urteilen, ereiferte sich dort einer der Räubersmänner über das morgendliche Liebesgeplauder, welches in seiner Gruppe sicher eher selten zu hören war. „Teraiip, lass sie doch reden. Hast du nichts Besseres zu tun?“ schnauzte ein anderer gegen ihn an, als dessen Stimme am Außenstoff vorbeizog. Kein Wunder, es war helllichter Morgen und das ganze Lager war bereits erwacht. Dem vielen Licht nach zu urteilen, waren sie wohl die Einzigen, welche noch in ihrem Quartier lagen, während alle anderen mit höchster Wahrscheinlichkeit schon das Morgenbrot beendet hatten. „Vielleicht sollten wir auch aufstehen“ vermutete Seth, wenn auch ein wenig traurig, da ihr Kuss verhindert ward. „Nein, sollten wir nicht“ murrte er leiser. „Ein Pharao sollte gar nichts.“ „Wenn aber der Pharao in seinen Palast zurückwill, sollte er möglichst aufstehen“ schmunzelte er ihn neckisch an. „Majestät, Ihr seid so unglaublich süß.“ „Süß?“ Jetzt schaute er sicher ebenso intelligent wie eine Kuh vor der Sphinx. Noch niemals hatte ihn jemand als süß tituliert. Man nannte ihn herrisch, mächtig, erhaben oder auch göttlich. Niemals in seinem ganzen Leben hatte ihn jemand süß genannt. Süß waren Früchte und Kinder, vielleicht auch Tierbabys - aber keine Könige. „Ja, süß“ nickte er und zeigte seine weißen Zähne vor Entzücken. „Ihr seid so unglaublich süß. Das ist eine Seite, die ich heute Morgen an Euch zum ersten Mal erblicke. Und ich bin bezaubert.“ „Nein, ich bin bezaubert von dir, mein Seth“ antwortete er ihm und blickte zufrieden zu ihm auf. Seth sprach so frei mit ihm. Als wäre er niemals Sklave gewesen, als wäre Atemu niemals Pharao gewesen. Als wären sie beide ganz normale Menschen, ganz normale Liebende, die jetzt begannen, mehr aneinander zu erforschen, zu entdecken und zu lieben. „Ihr sagt so liebe Dinge, Hoheit“ schaute er und nickte mit seinem Kopf erneut ein wenig tiefer, schloss seine Augen und wollte ihn küssen. Ebenso wie sich auch der Pharao zu ihm hinaufreckte, um endlich seinen Liebesdurst durch seinen nährenden Kuss zu stillen. „ACH DU SCHRECK!“ Nur aus dem Augenwinkel hatte Atemu den Vorhang wackeln sehen, einen Kopf erkannt, bevor alles schon wieder vorbei war und Penus Stimme neben ihnen ertönte. Und dass Seth auch seinen zweiten Versuch des Kusses sofort abbrach, sagte ihm, dass auch er sich erschrocken hatte. „Was ist denn jetzt wieder?“ hörten sie Faaris Stimme zwar ebenso nahe, aber ein wenig ferner als Penus eben noch. „Die sind schon wieder ... sie ... sie küssen sich ...“ Anscheinend war es Penu peinlich, dass er sie mitten in ihren Liebesschwüren ertappt hatte. Und nun hörten sie seine kurzen, kräftigen Schritte leise im Sand knirschen. „Ja, und?“ fragte Faari viel entspannter zurück. „Die haben gestern noch ganz andere Sachen gemacht, als sich nur zu küssen. Tu nicht so, Penu.“ „Aber ich kann ... gestern hab ich ja nicht hingesehen.“ „Aber gehört hast du es. Also jetzt bring den beiden das Wasser, bevor sie noch zusammenkleben.“ Doch dann durchschnitt Fatils Stimme die beiden und man sah einen verschwommen lichten Schatten am Vorhang vorbeigehen, als er ins Zelt kam. „Ihr wisst aber schon, dass der Pharao euch durch den Stoff ebenfalls hören kann?“ Daraufhin wurden beide still und Atemu konnte sich nur vorstellen, wie die zwei Soldaten genau jetzt beschämt ihre Köpfe senkten. Und es brachte ihn zum Schmunzeln, ebenso wie auch Seth sich ein belustigtes Augenfunkeln nicht verkneifen konnte. Wie zwei Kinder, die man beim Mopsen von süßem Brot ertappte, welches sie aber bereits verputzt hatten. Dann hörten sie Fatil seufzen und ganz nahe neben ihnen eine leise Bewegung im Sand, bevor seine Stimme folgsam fragte: „Guten Morgen, mein Pharao. Darf ich den Vorhang öffnen?“ „Natürlich. Guten Morgen, Fatil“ lächelte Atemu und schon wurde langsam der schützende Vorhang beiseite gezogen und sie erblickten ihn im Sande knien. „Guten Morgen, Seth“ sagte er dann mit einem etwas dunkleren Unterton. Er kam mit ihm noch immer nicht wirklich zurecht, aber er würde sicher von nun an versuchen, mit ihm auszukommen. Und so zwang er sich zur Höflichkeit. „Guten Morgen“ entgegnete Seth ebenso ein wenig gesenkt, gedrängt höflich. „Majestät, wir bringen Euch etwas Wasser, damit Ihr Euch reinigen könnt.“ Er stellte ihm eine große, runde Schale in den Sand, an dessen Rande ein weißes, zusammengefaltetes Leinentuch hing. Für gewöhnlich verwendeten sie diese Schalen immer außerhalb des Zeltes, um sich zu waschen. Einfach, um ihr Inventar nicht einzufeuchten. „Warum bringst du es mir hier her? Ich kann mich auch draußen waschen. Wie jeden Morgen“ fragte der Pharao ratlos nach. Dass er seine Waschschale ans Nachtlager bekam, war noch niemals geschehen. „Ich dachte, vielleicht möchtet Ihr heute Morgen nicht, dass die Banditen Euch zusehen.“ „Aber sie haben mich doch schon häufiger gesehen ... Fatil ...“ Er wusste ganz anscheinend nicht, wo der eigentliche Sinn hinter diesem Gedanken steckte. Und er erkannte ihn auch nur mit einem eindeutigen Wink. „Jedoch nicht mit solcherlei Spuren bedacht, welche die Meute notgedrungen zu noch mehr Scherzen anreizen wird“ nickte Fatil und blickte höflich zu Boden. „Ach so ...“ Ja, jetzt hatte selbst Atemu es verstanden. Diese ganz bestimmten Spuren meinte Fatil also. Ja, es würde vielleicht wirklich ein paar Blicke auf sich ziehen, wenn der König dieses Reiches sich solch menschliche Spuren abwusch. „Wenn Ihr fertig seid, könnt Ihr draußen Euer Morgenbrot zu Euch nehmen. Wir würden gern bald das Zelt abbauen, bevor wir weiterreiten.“ „Ja. Danke, Fatil“ nickte er und war überrascht als er noch eine zweite Schale zu der ersten stellte. Wahrscheinlich war es eigentlich Penus Aufgabe gewesen, dem Pharao sein Waschwasser zu bringen, aber der genierte sich ja doch zu sehr, sodass Fatil dies in seine eigenen Hände nehmen musste. Doch wofür die zweite Schale? „Für dich, Seth“ beantwortete Fatil den Gesichtsausdruck seines Königs ganz selbstständig. „Sei so gut und wasche auch den Pharao. Und bekleide ihn.“ „Werde ich. Danke“ erwiderte Seth und mit einem Kopfnicken schloss Fatil den Vorhang wieder und ging zurück seiner Wege. Und Atemu musste doch noch einen Augenblick nachhallen lassen. Fatil hatte sonst niemals zugelassen, dass Seth ihn wusch. Für gewöhnlich war es Penus oder Faaris Aufgabe, den König jeden Morgen zu reinigen. Im Zweifelsfalle nahm er auch dies selbst in die Hand. Doch heute Morgen ... „Kommt, Majestät. Ich möchte Euch waschen“ bat Seth, griff sich eine der Schalen und setzte sich auf. Er rutschte ein Stück vor, dorthin, wo ein kleiner Tisch stand und sonst nur eine Matte auf dem Boden lag. Für gewöhnlich wurde dieser kleine, private Bereich dazu genutzt, das Abendgebet zu halten. Doch da der König gestern Abend nicht gebetet hatte, konnten sie ihn nun ebenso gut als Waschplatz nutzen. Dabei beobachtete der Pharao nur mit Faszination, anstatt ihm zu folgen, wie wunderbar Seths entblößter Apfelpo sich niedersetzte und wie kräftig die Muskeln an seinem breiten Kreuz hinaufliefen und oben diese wunderbar männlichen Schultern formten, an welchen er sich letzte Nacht festgehalten hatte, als er glaubte, er würde vor Lust sterben. „Seth ...!“ Erstaunt und entsetzt sah er aber noch mehr. Er erkannte, dass Seths ganzer Rücken von ein paar langen und vielen kurzen Kratzern geschunden war. Es blutete nicht, aber er war ganz rot. Als hätte er mit einem Tiger und dessen stumpfen Krallen gekämpft. „Dein ganzer Rücken ist zerkratzt!“ „Ich weiß.“ Er drehte sich um und lächelte ihn an, mit einer solchen Herzenswärme, als wären die Wunden ein Geschenk. „Aber Ihr ward so wundervoll.“ „Ich ... ich hab ...“ Wenn er so darüber nachdachte, wenn er sich richtig erinnerte, war er der Tiger gewesen. Atemu hatte sich an ihm festgekrallt, ihn näher gedrückt und vor Ekstase vollkommen die Kontrolle verloren. Er hatte gestöhnt, geschrieen, gezuckt, gekrampft und es so unendlich genossen. Er wollte alles auf ein Mal und ihn dabei um keinen Umwand loslassen. Dass er Seth dabei so gezeichnet hatte, war ihm in diesen Momenten nicht bewusst gewesen. „Das tut mir leid.“ „Nicht doch“ schmunzelte er ihn keck an. „Ich war so frei, mich an versteckter Stelle an Euch zu rächen, mein Pharao.“ Atemu blinzelte ihn an, dachte einen Moment darüber nach und sah dann an sich herab. Seth hatte sich gerächt? Aber wo ...? Ja, da war es! Er fühlte es, aber im ersten Moment hatte er es für einen juckenden Moskitostich gehalten. Blickte er jedoch genauer hin, erkannte er das Mahl eines saugenden Kusses, welches Seth sehr hoch oben an der Innenseite seines Oberschenkels gelassen hatte. An versteckter Stelle. „Ich hoffe, Ihr seid mir nicht böse, Majestät“ sprach er nun mit doch ein wenig Vorsicht in Stimme und Blick. Doch Atemu strich verträumt darüber und lächelte selig. „Das ist das Schönste, was ich je bekommen habe.“ Er sah auf und schenkte ihm einen tiefen Blick. „Aber du hast mehr davongetragen.“ „Oh, sorgt Euch nicht“ schmunzelte er erleichtert. „Wo das herkommt, gibt es noch viele mehr. Wenn es um Euch geht, bin ich erstaunt, welch eine Rachsucht ich entwickeln kann.“ Und Atemus Herz schlug ihm bis zum Halse. Seth plante schon am frühen Morgen, dass ihre Leidenschaft in der letzten Nacht nur begonnen und sicher nicht geendet hatte. Wie frei er damit umging und das Verlangen ebenso zurückgab, welches Atemu ihm im Inneren seines Herzens entgegenbrachte. Seine Liebe war nicht wie eine gewöhnliche Blume, welche nach dem Pflücken einging. Seine Liebe war die das grüne Gras. Unscheinbar und mit stetigem Wasser selbst in der trockensten Wüste unbesiegbar. Man konnte darauf treten, sitzen oder liegen. Man konnte es ausreißen oder lang wachsen lassen. Und ganz manchmal wuchs auch im dichtesten Gras eine seltene Blume des Nachts hervor, welche für ihren Falter immer wieder neu erblühen würde. Seine Liebe war wie das seltene Gras und seine Leidenschaft eine von den ganz besonderen Blüten. Kapitel 36: Kapitel 36 ---------------------- Kapitel 36 „Warum sehen sie immer so merkwürdig herüber?“ Schon seit sie nach dem Morgenbrot aufgebrochen waren, blickten die Räuber unverhohlen immer wieder auf den Pharao. Er und Seth ritten leider relativ in der Mitte der Gruppe, sodass sich der König doch mehr beobachtet fühlte als sonst. Diese ungewaschenen, bärtigen Gesichter wandten sich ihm zu, ihre Münder grinsten, bevor sie sich verbargen und verstohlen etwas tuschelten. Nur worüber? Aufgefallen war es schon, dass einige Räuber sich darüber belustigten, als sie heute Morgen erblickten, wie der Priester seinen Pharao auf versteckte Weise an der Hand nahm. Jedoch waren darüber nur ein paar Witze gemacht worden, bevor man zur Tagesordnung überging. Es sprach nun auch niemand gezielt etwas darüber, jedoch war eindeutig zu bemerken, dass etwas in der Luft lag, was die Banditen zu erheitern schien. Und keiner von ihnen sprach es laut aus. „Ich weiß es nicht, Hoheit“ flüsterte Seth ihm zurück. Er war ebenso ratlos. Eine Weile hatten sie sich während des Reitens noch an den Händen gehalten. Als sie jedoch ihr übertrieben scheinend, verliebtes Gebärden und die Reaktion darauf bemerkten, hatten sie sich losgelassen. Zumal es nun um die frühe Nachmittagszeit auch zu heiß wurde, um angenehmen Körperkontakt zu pflegen. „Ihr wundert Euch nicht wirklich über meine Männer, Pharao.“ Emenas hatte sich von der Spitze der Gruppe zurückfallen lassen und ritt nun neben dem König, um das Gespräch zu suchen. Zumal mittlerweile nur noch Räuber um ihn waren, welche sich schon in den letzten Tagen ständig einen Spaß daraus gemacht hatten, sein Gefolge unbemerkt an die Außenflanken abzudrängen und diese dann versuchten, ebenso unbemerkt wieder zurück in die Mitte zu kommen. Das war das Einzige, was den langweiligen Marsch ein wenig zeitvertreibend gestaltete. Doch nun mit diesen belustigten, überspitzt wissenden Gesichtern allein zu sein, verunsicherte Pharao und Priester dann doch gleichermaßen. „Doch, um ehrlich zu sein ... schon“ antwortete der König dem Räuberhauptmann in leiser Stimme. „Hat es einen bestimmten Grund, weshalb deine Männer uns so ansehen?“ „Dass Ihr Eurem Priester wohlgesonnen seid, ist sicher an niemandem vorbei gegangen. Und da wundert Ihr Euch?“ stellte er seine Frage als Antwort dagegen. „Na ja ...“ schaute er ihn forschend an. „So ungewöhnlich ist eine Liebe zwischen Männern doch nicht. Es ist jedenfalls nicht verboten. Als Priester zum Pharao vielleicht ein wenig anstößig, aber durchaus keine Sünde.“ „Meine Güte, Ihr seid so naiv“ seufzte er und blickte hinüber zu Seth. „Sag mir nicht, du schämst dich ebenfalls kein Stück.“ „Ich wüsste nicht, wofür“ antwortete er klar heraus. „Aber es stört mich, dass deine Mannen meinen König so belustigt ansehen. Sag Ihnen, sie sollen ihn mit ihren Blicken verschonen.“ „Ich habe ihnen schon gesagt, sie sollen Euch beide mit noch viel mehr verschonen. Sie halten sich bereits zurück und einsperren kann ich sie nicht.“ Emenas warf sein schwarzes Tuch zurück über die Schultern und zog es noch ein Mal um seinen Kopf fester. So speicherte es nicht zu viel Wärme. „Aber du kannst nicht erwarten, dass sie nicht doch ein wenig tratschen. So ein Schauspiel bekommen sie nicht jeden Abend.“ „Was für ein Schauspiel? Drück dich klar aus, Emenas.“ „Oh, Seth. Bitte“ seufzte er und durch den Schlitz des Tuches funkelten seine schwarzen Augen zu ihm herüber. „Wenn du dich das nächste Mal von deinem Geliebten zum Hengst machen lässt, dann lösche wenigstens das Licht. Ansonsten kannst du es diesen frauenfernen Männern nicht verübeln, wenn sie nicht doch eure Schatten beobachten.“ Atemu hustete überrascht auf und Seth wurde ganz blass. Man hatte sie gesehen? Alles? Ja, das hatte sicher ein hervorragendes Schauspiel gegeben. Wenn sie im Inneren des Zeltes die Lampe am Brennen hielten und es draußen dunkel war ... so konnten ihre Schatten an den Stoff geworfen und sie selbst bei allem beobachtet werden. Besonders bei eines Liebesart wie dieser, war der König mit Bestimmtheit deutlich zu erkennen gewesen. Wenn sie beide am Boden lagen vielleicht eher weniger, aber sie waren ja nun recht ungehemmt gewesen in ihren Liebesbezeugungen. Und der Pharao war in vielerlei Hinsicht ein guter Reiter. Gestern in diesem Rausch der Sinne war ihnen nicht ins Bewusstsein gedrungen, dass man sie durch das Licht sehen konnte ... und es ließ sich auch denken, dass man sie nicht nur gesehen, sondern auch gehört hatte. Denn der dünne Stoff des Zeltes hielt kaum Geräusche ab ... und weder Atemu noch Seth hatten sich gezügelt. Sie waren beide so überwältigt gewesen, als es endlich geschah, dass keiner noch einen Gedanken an Anderes vertat. Vielleicht hätten sie ein wenig verborgener agieren können. Nun hatten sie den Spott der gesamten Mannschaft. „Aber es ist in Ordnung, Seth“ beschwichtigte Emenas mit ruhiger Stimme. „Ich denke, ihr habt lang genug nacheinander gehungert. Wenn euch die Konsequenzen gestern nicht gekümmert haben, so sollten sie es heute auch nicht. Oder bereust du es?“ „Nein“ sprach er klar und blickte seinen Pharao verliebt an. „Ich bereue nichts.“ Von weiter rechts hoben zwei oder drei Männer ein Lachen an. Die Scherze auf ihre Kosten würden also wohl noch eine Weile weitergehen. Aber es war wie Emenas sagte. Hatten sie gestern nicht über Folgen nachgedacht, so mussten sie auch nun das Ergebnis ertragen. Er hatte seinen Männern verboten, laute Witze zu machen - aber ihnen das Lachen ganz verbieten, das konnte er nicht. Letztlich durfte man niemals vergessen, dass auch er ein Räuber und ein Gegner der Krone war. Er tat das alles hier nur Seth zuliebe. Aus Dankbarkeit. Aber groß hofieren würde er den König nicht. Es war Etikette genug, dass er ihn hoch ansprach. Mehr Freundlichkeit konnte man wirklich nicht erwarten. „Seth?“ Fatil hatte es tatsächlich geschafft, in die Mitte zurückzukehren. Nicht unbemerkt und spielerisch, sondern gewollt aktiv. Und nun ritt er neben ihm und sah ihn mit ernsten Augen an. „Kann ich dich einen Moment sprechen?“ „Natürlich. Worum geht es?“ antwortete er überrascht. Fatil wollte mit ihm sprechen? Das Thema konnte er sich denken, nur der Inhalt offenbarte sich ihm nicht sofort. „Allein“ fügte er noch hinzu und ließ sein Pferd langsamer gehen, sodass er recht schnell in der dahinziehenden Menge zurückblieb. Seth tat einen letzten Blick auf den Pharao und bremste dann ebenfalls ein wenig ab, um Fatils Wunsch zu entsprechen. Und Atemu blieb ein wenig nervös allein. Er wusste genau, dass Fatil Seth nicht traute. Er trug noch immer die Befürchtung, dass der Lustsklave den Pharao willentlich verführt hatte und damit einen wohl überlegten Plan verfolgte. Dass er dem Pharao im Ansehen schaden, ihn putschen oder vielleicht sogar töten wollte. Atemu wusste, dass das Unsinn war, aber ihn ebenfalls davon zu überzeugen, war schwer. „Euer Gesellschafter ist ein sehr misstrauischer Mensch“ bemerkte Emenas mit ruhigem Blick nach vorn, wohin ihn seine Männer langsam wieder geleiteten. Er als Führer gehörte an die Spitze, selbst wenn der Pharao bei ihm war. Und der folgte ihm dorthin, indem er seinem Pferd einen kleinen Tritt gab. „Nimm es ihm bitte nicht übel“ bat er für ihn. „Fatil wurde von klein auf an dazu erzogen, auf mich Acht zu geben, mich zu schützen. Es ist seine Pflicht und er tut es, weil er mein Freund ist. Es ist nicht deshalb, weil er jemanden hasst, sondern weil ich ihm zu wichtig bin.“ „Dabei scheint es mir, Ihr nehmt Euch selbst nicht allzu wichtig“ bemerkte er weiter mit ebenmäßiger Stimme. „Wie meinst du das?“ „Pharao, Ihr macht es einem sehr schwer, Euch zu verachten. Wisst Ihr das?“ „Ich ...?“ Was sollte ihm damit denn gesagt werden? Er machte es jemandem schwer, ihn zu verachten? Sollte das heißen, er wurde gemocht? Er tat doch gar nichts. Er war nur so, wie er immer war. Hier in dieser Räubermeute vielleicht sogar noch weniger von königlichem Benehmen befangen. „Wie meinst du das?“ „Ihr seid der König dieses Reiches. Ihr badet in Gold und völlt Eurer Macht. Und doch sprecht Ihr zu meinen Männern wie zu Brüdern. Ihr lacht mit ihnen, Ihr esst mit ihnen, Ihr reitet mit ihnen, Ihr wascht Euch in ihrer Anwesenheit, als wäret Ihr ihnen gleich. Mein Leben lang habe ich Euch gehasst. Doch obwohl ich nun mehr Grund denn je habe, fällt es mir schwer, meine Hassgefühle Euch gegenüber zu halten.“ „Ich weiß, dass ihr Räuber mich hasst“ erwiderte er etwas bedrückt. „Aber was euch widerfahren ist, bedauere ich sehr. Ich kann mich dafür schlecht entschuldigen und Wiedergutmachung lehnt ihr ab. Ich kann nur versuchen, zu erreichen, dass es weniger Menschen so ungerecht ergeht wie euch.“ „Genau das meine ich“ sprach er voller Ruhe fort. „Warum verachtet Ihr uns nicht? Warum verachtet Ihr Seth nicht? Ihr wisst doch, was er einst war. Dass er ein Sklave der untersten Würde war. Warum lächelt Ihr ihn an, anstatt ihn zu treten?“ „Du liebst ihn, oder?“ Atemu löste sein Kopftuch, um ihn mitfühlend anzusehen. Das war der Grund, der diesen Hass auf ihn noch weiter schüren sollte. Emenas hasste den Pharao ohnehin schon und dass der ihm nun auch noch seine Liebe stahl, musste ihn sehr verletzen. Er wusste bei eigenem Leibe, wie schmerzhaft, unerfüllte Liebe stach. „Ja, das tue ich“ antwortete er frei heraus. „Aber ich weiß auch, dass er Euch liebt. Ich habe versucht, ihn von Euch fortzuholen, ihn für mich zu gewinnen, doch dieses Vorhaben musste ich schnell aufgeben. Gegen die Gefühle, die er Euch entgegenbringt, kann ich nicht bestehen. Er sagte mir, Ihr wäret ein guter König. Voller Liebreiz, Freundlichkeit, Menschenliebe und Mitgefühl. Und voll der unendlichen Güte und Nachsicht. Ich mochte ihm nicht glauben und doch stimmte ich zu, es mir anzusehen. Euch anzusehen. Ihm zuliebe. Und nun ... ich glaube ihm nun seine Worte. Und deshalb möchte ich mich für mein rüdes Denken Euch gegenüber entschuldigen.“ „Du musst dich für nichts entschuldigen. Du warst immer höflich zu mir und vor allem ehrlich. Ich mag ehrliche Menschen. Egal, ob diese Ehrlichkeit positiv oder negativ für mich ausfällt. Lügner habe ich zu viele um mich herum. Doch durch dich und deine Männer, durch eure Geschichten und einen Einblick in euer Leben, habe ich viel gelernt. Sollte ich wirklich in den Palast zurückkehren dürfen, so werde ich dieses Wissen einsetzen, um die Missstände im Reiche zu begleichen. Ich weiß, es wird immer Menschen geben, welche andere ungerecht behandeln. Aber das ist kein Grund für mich, dieses einfach ungestraft zu lassen. Und die Tage mit euch haben mich in dieser Überzeugung bestärkt. Und dafür danke ich dir.“ „Ihr müsst mir nicht danken. Ihr wisst, ich habe es nicht für Euch getan. Allein wegen Seth habe ich Euch vor meinen Männern geschützt und auch Euer Gefolge unversehrt gelassen. Wäre er nicht bei Euch gewesen, hätte ich anders gehandelt.“ „Ich weiß“ lächelte er ihn freundlich an. „Trotzdem danke ich dir. Nur weil etwas nicht mutwillig gegeben wird, ist dies kein Grund, sich nicht doch dafür zu bedanken. Und ich danke dir, dass du Seth frei gelassen hast“ fuhr er mit gesenkter Stimme fort. „Ich weiß, wie sehr es schmerzt, ihn nur aus der Ferne zu lieben, ihn nicht haben zu können. Und ich danke dir, dass wir darüber sprechen können, bevor noch größere Feindschaft zwischen uns steht.“ „Nicht ich habe ihn frei gelassen, Hoheit. Ihr ward es, der ihn befreite.“ Er entgegnete seinem Blick mit aller Aufrichtigkeit und einem dunklen Glanz. „Ihn so glücklich zu sehen, verdanke ich Euch. Ihr schenktet ihm ein neues Leben und das scheinbar völlig ohne Vorbehalt, trotz all des Wissens über ihn. Und deshalb kann ich Euch nicht hassen. Und meinen Männern geht es ähnlich. Sie sind keine schlechten Menschen. Wir sind letztlich nur eine Zusammenrottung Ausgestoßener, die das Unrecht, welches ihnen widerfahren ist, nicht verkraften können. Vielleicht sollten wir uns ein Beispiel an Seth nehmen, welcher das Unrecht nicht verdammt, sondern es fahren lässt. Ich wäre gern so stark wie er.“ „Emenas?“ Unsicher blickte er an ihm herauf und hielt seinen Kopf ein wenig gesenkt, um ihm nicht zu forsch zu begegnen. „Darf ich dich etwas fragen? Etwas persönliches?“ „Ihr wollt fragen, woher ich Seth kenne. Er hat nicht über uns gesprochen?“ Nein, das hatte er nicht und Atemu schüttelte fragend den Kopf. Das brannte ihm schon lange auf dem Herzen. Er hatte bisher nur Vermutungen angestellt, doch woher er und Seth sich kannten, war in all der Zeit hier, nie wirklich aufgeklärt worden. Und er wollte nicht nur etwas über das Leben wissen, von welchem Seth nicht sprach, sondern auch ein wenig mehr über Emenas erfahren. Er schien so voller Geheimnisse, voller Grausamkeit und doch Mitgefühl. Er war ein komplexer Charakter und obwohl er so gebildet sprach, führte er doch das Leben eines Wilden. Die Fragen über ihn, lockten den Pharao, welcher am Liebsten die Geschichte eines jeden einzelnen Ägypters kennen wollte. „Das sieht ihm ähnlich“ seufzte er und sah gerade hinaus, fern in die Wüste, welche sich vor ihnen erstreckte und in etwas mehr Anstrengung für die Pferde, an einer sanften Düne hinauftrug. „Was glaubt Ihr, was ich bin?“ „Was du warst, bevor du Wüstenräuber wurdest?“ „Ja. Was glaubt Ihr?“ So deutlich wollte der Pharao es nicht ausdrücken. Ihm an den Kopf zu werfen, er entsprach genau seinem Bild über elitäre Lustsklaven, war nicht eben höflich. Zumal er damit auch falsch liegen konnte. Vielleicht war dem mysteriösen Emenas seine Schönheit niemals zum Verhängnis geworden und er war von Natur aus ein sehr intelligenter Mensch. Doch mit Intelligenz allein erreichte man noch lange keine Bildung. Und Emenas war unabstreitbar gebildet. „Ich weiß es nicht. Sagst du es mir?“ „Ich denke, Ihr hegt bereits Vermutungen. Es ist ja auch nicht schwer zu erraten, oder? Woher könnte jemand wie ich Seth kennen? Woher könnte ich wissen, dass er früher keinen Namen trug?“ „Ich ... ich möchte eher ... eher möchte ich wissen, weshalb du ihm so dankbar bist. Du bist ihm vom ersten Moment an respektvoll und freundschaftlich begegnet. Also müsst ihr euch früher einst getroffen haben.“ „Sprecht es doch einfach aus. Ihr glaubt, ich sei ein Lustsklave“ antwortete er ihm hart und ein wenig Verbitterung schwang in seiner Stimme mit. „Aber Ihr habt Recht. Seth und ich hatten denselben Herrn.“ Dem wusste Atemu nichts zu hinzuzusetzen. Seine Vermutung war also richtig gewesen und sie waren beide durch schweres Leid gegangen. Vielleicht sogar einst Hand in Hand als Freunde. Aber im Gegensatz zu Seth, welcher diese Erlebnisse mittlerweile fast mit zu viel Leichtigkeit zu ignorieren oder anzunehmen versuchte, so sah man Emenas seinen Schmerz noch sehr an. Er hatte vielleicht niemanden gehabt, der sich seiner annahm und ihm Schutz gewährte. Niemanden, der ihm seine Träume zurückgab. Seth hatte seinen Ausgleich in der Religion gefunden, aber Emenas fand mit Bestimmtheit keinen Ausgleich in der Gesetzlosigkeit. Vielleicht hatte ihn das Leben hart gemacht. Vielleicht war er deshalb Räuber. Aber vielleicht waren das alles auch nur die typischen Thesen, in welche sich Menschen zu leicht flüchteten. „Wenn du nicht darüber sprechen willst, Emenas ... ich will nicht in dich dringen.“ „Das ist es nicht. Meine Männer wissen um meine Vergangenheit und akzeptieren mich vielleicht deshalb als ihren Führer, da ich das größte Leid zu bieten habe. Ich habe es mir nur niemals vorgestellt, mit dem Pharao darüber zu sprechen. Denn genau wie Seth war ich dazu bestimmt, als Geschenk in Euer Bett zu gehen. Und nun mit Euch zu sprechen, fast auf selber Augenhöhe ... zugegeben, es ist ein merkwürdiges Gefühl.“ „Ich bin gegen die Sklaverei“ sagte der König und sah ein wenig niedergeschlagen zu Boden. „Ich finde es abscheulich, dass Menschen mit Seelen und Herzen Zwangsarbeit tun müssen, welche einfach jedem Leben unwürdig ist. Aber ich kann nicht so schnell handeln, wie ich gern würde. Als Pharao bin ich gebunden und wenn ich die Sklaverei sofort verbiete, so wird das ganz sicher den Aufstand des Adels heraufbeschwören, womit viele Unschuldige leiden werden. Noch mehr als ohnehin schon. Doch ich tue, was ich kann. Die gesetzlichen Bedingungen für Sklaven habe ich bereits verbessert und sehe diese Bemühungen allmählich Früchte tragen. Nach und nach verändert sich das Denken der Menschen und ich werde diese Absichten, welche ich mit ganzem Herzen hege, auch an meinen Sohn weitergeben. Wenn der Prinz Trimantep Ameramun einst als Pharao meinen Thron besteigt, wird er meinen Wünsche hoffentlich folgen und seinerseits an seine Kinder weitergeben. So verändert sich Ägypten Schritt um Schritt, von Generation zu Generation. Derzeit ist Trimantep noch ein Kind, aber einst wird er ein Mann sein und das Reich in bessere Zeiten führen. Bessere Zeiten für alle Menschen. Und ich hoffe, dass es in der Generation meiner Enkel dann keine unfreien Menschen mehr geben mag. Dies ist mein Ziel, mein Lebensziel.“ „Ihr seid ein großer Redner“ sprach Emenas gedämpft. „Ich hoffe, dass Eurem Reden die entsprechenden Taten und Ergebnisse folgen.“ „Taten sicher. Nur die Ergebnisse bedürfen inniger Gebete. Doch ich verspreche dir, ich bin kein Mann der Lüge.“ „Das habe ich auch nicht behaupten wollen, Majestät. Es ist merkwürdig für mich selbst, aber ich glaube Euch. Um Euch zu mögen, dafür hege ich zu großen Schmerz. Aber meinen Glauben, den schenke ich Euch.“ „Und diesen nehme ich und werde ihn in Ehren nicht enttäuschen wollen.“ Beide blickten sich einen Moment an und es war, als würden sie im Herzen Frieden schließen. Emenas löste sein Kopftuch und zeigte dem König respektvoll sein makelloses Gesicht. Sein Blick trug einfach zu viel Sorge, zu viele Erinnerungen mit sich, als dass er der Krone seine Treue und Loyalität hätte schwören können. Doch durch Seth hatte er gelernt, dass es nicht unbedingt der Pharao war, dem die leidige Schuld seines Lebens anlastete. An ihm Rache zu üben, würde dem Lande nur noch mehr Hass bringen und dem Täter keine Genugtuung. Den wohlwollenden Weg des Verzeihens zu gehen, dem Pharao darauf zu folgen und die Ungerechtigkeiten langsam aussterben zu lassen ... es war kein schneller Weg, aber ein sanfter, ein sicherer. Verzeihen konnte er nicht, aber sehen, das konnte er. Und er sah, dass man Hass nicht mit Hass bekämpfen konnte. Blut nicht mit Blut. Man heilte eine Wunde nicht, indem man sie weiter aufriss. Man musste sie verbinden und ihr Zeit zum Heilen geben. Atemu hoffte nur, dass auch Emenas das eines Tages so sehen mochte. „Möchtet Ihr erfahren, wie es geschah, dass Seth mir das Leben rettete?“ fuhr er nach einem langen Moment des Schweigens ruhiger fort. „Wenn du es mir erzählen magst, sehr gern.“ Er wollte ihn nicht zum Reden zwingen, wirklich nicht. Aber er wollte erfahren, was ihm und Seth geschehen war. „Ich weiß nicht, inwiefern Ihr mit der Ausbildung und der Lebensweise von Lustsklaven vertraut seid“ begann er mit tiefer Stimme. „Nicht besonders gut. Ich wünschte mir, mehr zu verstehen“ gestand er. „Ich weiß, Lustsklaven sind die schlecht angesehensten. Das Leben als Sklave im Allgemeinen ist hart, aber als Lustsklave dient man seinem Herrn nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit dem Willen und dem Geist. Je weniger Wille ein Sklave hegt und je schöner und gebildeter er ist, desto besser kann er leben. Sofern man es denn als besseres Leben bezeichnen kann, wenn man sich für einen reichen Herrn vollends aufgibt. Weniger attraktive Sklaven mit weniger Bildung und mehr Eigenwillen landen schnell in billigen Bordellen, wo sie bald an Erschöpfung, Unterernährung oder Krankheiten zugrunde gehen. Ich habe eine derartige Sklavenbehandlung verboten, doch die Gesetze werden noch lange nicht überall umgesetzt. In den großen Städten schon eher als in den Vorstädten oder Dörfern. Jedoch weiß ich kaum etwas über die Lebensweise der Sklaven in den Zwischenstufen. Bei reichen Herrn können sie mitunter sehr alt werden, aber wie ist es mit Sklaven, welche weniger reichen Besitzern unterstellt sind? Wie ist der Sklavenhandel organisiert? Wie kann es dazu kommen, dass Kinder entführt oder verkauft werden? Die Kinder von Sklaven und anderen Bürgern gleichermaßen? Ich verstehe so wenig davon, denn dies ist wie eine eigene Welt, welche sich mir nur widerwillig eröffnet. Wirkliche Kenner sprechen nicht mit mir oder tischen mir Lügen auf, die ich ihnen nicht nachweisen kann. Mit dem Sklavenhandel würde ein wichtiger Wirtschaftszweig wegbrechen und da gibt es natürlich Menschen, welche sich in ihrer Existenz bedroht sehen. Insofern weiß ich leider nicht viel darüber, was dir oder auch Seth hätte widerfahren sein können. Ich kann es mir nur vorstellen, aber wissen, tue ich kaum etwas.“ „Dann will ich euch meine Geschichte erzählen. Wenn es Euch interessiert. Wenn es Euch verstehen lehrt.“ „Ja, bitte.“ Er sah ihn behutsam an, aber Emenas hatte sein Gesicht wieder unter dem schwarzen Tuch verborgen und hielte seine Augen geradeaus gerichtet. „Ich bin ein Sklavenkind“ begann er mit dumpfer Stimme. Er schob den Ärmel seines langen Umhangs ein wenig höher und zeigte ihm seinen einen Handrücken. Und was der König dort erkennen konnte, bewies die Wahrheit seiner Erzählung. Er trug das Stigma, mit welchem alle Sklavenkinder gekennzeichnet wurden. Zwei Narben wie ein Kreuz in die Haut eingebrannt. Um ihn zu kennzeichnen. Um ihm niemals den Stand eines Menschen zu gewähren. Und er würde es sein Leben lang unter langem Stoff verbergen müssen. „Meine Eltern waren beide Sklaven eines wohlhabenden, aber nicht reichen Kaufmanns. Sie kannten sich kaum und ihr Zusammentreffen diente eher der Belustigung dieses Herrn. Meine Mutter war Lustsklavin und mein Vater Feldarbeiter, so viel ich weiß. Nachdem ich geboren wurde, hat meine Mutter viel gekämpft, um mich behalten zu dürfen. Ursprünglich wollte der Herr mich verkaufen, aber sie schützte mich vor einer ungewissen Zukunft. Mein Vater wurde verkauft, bevor ich ihn kennen lernen durfte.“ Er ließ seinen Ärmel wieder herunter und legte seine Hand zurück an den Zügel. „Doch je älter ich wurde, desto schwerer fiel es meiner Mutter, mich durchzubringen. Damals diente ich meinem Herrn als Kammerjunge, doch er sagte, ich würde zu viel kosten. Essen und Unterkunft. Und ich war ein Tollpatsch, ständig ließ ich etwas fallen. Außerdem war ich schon immer etwas vorlaut und mit steigendem Alter wurde das nicht besser. Ich begehrte immer wieder gegen meinen Herrn auf und strapazierte seine Geduld. Ich wollte ihn herausfordern. Meine Mutter ermahnte mich immer wieder, ich dürfe nicht so respektlos sprechen, doch ich wollte nicht hören. Ich empfand es als ungerecht, dass ich nicht bei den Kindern meines Herrn am Tisch sitzen durfte. Dass ich arbeitete, bevor sie überhaupt am Morgen erwachten und noch immer arbeitete, wenn sie am Abend bereits lange in den Betten lagen. Sie bekamen das gute Essen und ich nur, was sie übrig ließen. Meine Mutter sagte, das sei Güte genug und ich solle glücklich sein, ein warmes Lager zu haben, doch ich schlug ihre Warnungen in den Wind. Eines Tages, es war zu der Zeit, da ich im Begriff war, zu einem jungen Mann zu reifen, wurde ich wütend. Ich geriet mit dem jüngsten Sohn meines Herrn aneinander. Er war sogar jünger als ich. Ich brachte ihm wie er es wünschte sein Brot. Er wollte warmes, doch die Köchin gab mir kaltes. Er schlug mich dafür ins Gesicht. Mit einem Stock. Da wurde ich wütend und schlug zurück. Es ist nichts geschehen, er war nicht mal verletzt. Doch mein Herr fand dies eine gute Gelegenheit, mich loszuwerden. Endlich hatte er ausreichend Grund. Ich war ihm immer ein Dorn im Auge. Er wollte mich totprügeln, doch meine Mutter warf sich vor mich. Sie liebte mich.“ Er atmete einen Moment und schöpfte neue Kraft. Es war sichtlich schwer für ihn, darüber zu sprechen. Besonders wenn er es dem Pharao erzählte, den er insgeheim immer für alles verantwortlich gemacht hatte, da er Schicksale wie das seine duldete. „Ich musste zusehen, wie er seine Hunde losließ und wie sie meine Mutter zerfleischten. Ihr habe ihr Blut gesehen, ihre Schreie gehört bis sie sich nicht mehr bewegte. Er hätte mich auch getötet, doch an diesem Tag erwartete er einen wichtigen Gast und hatte keine Zeit mehr. Er sperrte mich ein und wollte mich am Abend erschlagen. Vielleicht war es mein Glück, dass sein Gast nach einem Lustsklaven verlangte. Meine Mutter war die Einzige, die er sich hatte leisten können, nachdem sich seine Handelsgeschäfte weniger fruchtbringend gestalteten und seine zweite Lustsklavin an einer Krankheit verstorben war. Und da sie nun nicht mehr war, bot er mich in seiner Not an. Anscheinend wollte er diesen wichtigen Mann nicht enttäuschen. Letztlich teilte ich nicht das Bett dieses Gastes, sondern wurde für einen guten Preis an ihn verkauft. Mein neuer Herr nahm mich mit auf eine Reise, welche in einem Haus etwas abseits einer Stadt ihr Ende fand. Ich wusste genau, was geschehen sollte, als sie mich begutachteten. Die Auslese war streng. Verschiedene Männer und Frauen betrachteten meinen Körper, tasteten mich an allen Stellen ab. Sie prüften mein Haar, meine Zähne, meine Haut, meine Hände, einfach alles. Auch meine intimsten Stellen. Zwar bemängelten sie das Sklavenkreuz auf meinen Handrücken, jedoch vermuteten sie, man könne mich lehren, es gut zu verstecken. Im nächsten Schritt wurde ich einigen Fragen unterzogen, welche meine Intelligenz ausweisen sollten. Ich war widerspenstig und weigerte mich, zu antworten. Doch ich war im richtigen Alter und nach Ansicht meiner Prüfer ein „außergewöhnlich hübsches Exemplar“, wie ich sie sagen hörte. So bekam mein kurzzeitiger Herr einen guten Preis für mich und ich selbst wurde mit anderen jugendlichen Sklaven weitergeschickt. Nach einer erneuten Reise, welche so lange dauerte, dass ich dachte, sie würde niemals enden, erreichte ich das Haus, wo ich damals auch Seth traf. Er war schon länger dort als ich, denn er ist ein wenig älter. Ich erinnere mich noch genau daran, wie leer sein Blick war. Vom ersten Moment an. Er ging immer an der Seite seines Lehrers. Selbst als ich ihn ansprach, wich er nicht von ihm. Er tat keinen Schritt, keinen Blick ohne Aufforderung von ihm. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Wie ein atmender Toter schritt er immer neben ihm her. Wir wurden kurz nach unserer Ankunft gewaschen und in einen Raum geleitet, wo wir einen ersten Auslesetest leisten sollten. Ich und noch eine Hand voll ausgewählter Jungmänner. Seth wurde uns nur als fortgeschrittener Schüler vorgestellt, seinen Namen habe ich niemals erfahren. Wahrscheinlich hatte er ihn selbst bereits vergessen. Ich war erschrocken, als er seinem Befehl völlig ohne Widerspruch folgte. Unsere Aufgabe war es, ein paar Männer mit unserem Munde an ihren sexuellen Höhepunkt zu bringen und uns nicht an ihrem Lustsaft zu verschlucken. Seth wurde angewiesen, es uns vorzumachen und er tat es ohne jegliche Gegenwehr. Noch niemals hatte ich etwas so Widerliches gesehen und es erfüllte mich mit Ehrfurcht vor seiner Beherrschung, aber auch mit Angst. Als er fertig war, sollten wir es ihm nachmachen. Ich weigerte mich, so etwas zu tun. Die Prüfer wollten mich mit einigen anderen Versagern ausmustern, jedoch sprach Seths Lehrer für mich. Wegen meiner außergewöhnlichen Schönheit, hätte ich noch eine Chance am nächsten Tage verdient, so sagte er. Er schickte mich auf mein Zimmer, wo ich mich zur Nacht legen sollte. Ich beschloss, von dort zu fliehen und hätte es wohl auch getan, wäre Seth nicht des Abends zu mir gekommen. Sein Herr habe ihn geschickt, sagte er. Er sollte mir erklären, weshalb es besser sei, wenn ich mich füge. Ich könne nicht ewig darauf hoffen, meine Schönheit würde mich retten. Ich wollte ihn überreden, mit mir fortzulaufen, doch er sprach mit einer solch einfangenden, fast hoffenden Stimme auf mich ein, dass ich ihm einfach glauben musste. Nicht nur, dass die Wachen überall auf dem Gelände, jeden Flüchtigen sofort erschlugen und ich wahrscheinlich nicht lebend hätte entkommen können. Seth machte mir auch Hoffnungen auf Besserung, indem er mir erklärte, wie es weitergehen würde. Er erklärte mir, dass nur einige wenige Jungen und Mädchen für den Pharao ausgewählt und ausgebildet wurden und es eine Ehre sei, wenn man sein Bett teilen oder ihn unterhalten durfte. Die Ausbildung wäre demütigend und manchmal sehr schmerzhaft, doch man würde ausreichendes und gutes Essen bekommen und körperlich von anderen Männern unversehrt bleiben, da man die Jungfräulichkeit erhalten sollte. Dies sei ein spezielles Merkmal, welches bei Lustsklaven nicht häufig zu finden wäre und unseren Wert steigere. Man würde in Lesen und Schreiben und auch Rechnen unterrichtet. In Geschichte, Biologie, Religion, Gesang und Tanz. Selbst politisches Wissen würde man uns lehren. Bewährte man sich in dieser einen Nacht mit dem Pharao gut, würde man in ein besseres Haus kommen, wo man weiter nahrhaftes Essen und nur einen Herrn bekam. Alles, was man tun musste, war, sich selbst aufzugeben, um sein Leben zu retten und den Hunger zu stillen. Wir sprachen fast die ganze Nacht miteinander und am Ende hatte er mich überzeugt, dass ich mein Leben nicht leichtfertig auf einer Flucht riskieren sollte.“ „Und deshalb bist du ihm so dankbar?“ fragte Atemu vorsichtig, als Emenas einen kurzen Moment schwieg und das Gesagte nachhallen ließ. „Weil er dich von der Flucht abhielt und somit dein Leben rettete?“ „Nein, wirklich gerettet, hat er mich auf andere Weise“ fuhr er allmählich fort und seine Stimme war so scheinbar ohne Empfindungen, dass es dem Pharao einen kalten Schauer über den Rücken fror. Er sprach über sein Leben als wäre es das eines anderen. „Anders als Seth und einige weitere weigerte ich mich, meinen Charakter aufzugeben und meinen Namen zu vergessen. Ich tat nur widerwillig, was von mir verlangt wurde und war ein durchschnittlicher Schüler. Immer gerade gut genug, um meine Prüfungen zu bestehen. Aber ich war schon immer ein wenig rebellisch. So legte ich Eidechsen in die Betten meiner Lehrer, verwürzte ihr Essen oder zerstörte auch einige Dinge. Dies waren meine kleinen Racheakte, ohne die ich mich, wie ich noch immer glaube, selbst verloren hätte. Leider wurde ich häufig ertappt und entsprechend bestraft. Ich war schön und so hatte ich meine Fürsprecher, doch meine widerspenstige Art, brachte mich immer in Gefahr. Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, aber eines Tages habe ich es übertrieben. Es war während des Tanzunterrichts, da schmetterte ich in einem guten Moment eine Vase vom Tisch. Unsere Lehrerin trat in die Scherben und verletzte sich. Niemand hatte es gesehen, aber letztlich wusste jeder, dass nur ich es gewesen sein konnte. Wir wurden befragt, wer es getan hätte, aber niemand sagte etwas. Niemand konnte mich beschuldigen, denn auch meine Mitsklaven hatten es nicht mit eigenen Augen gesehen. In ihrem Zorn rief die Lehrerin unseren Herrn dazu, denn sie ahnte genau, dass ich es war. Unser Herr war ein strikter, sehr reicher Mann, der ohne Gnade über uns alle entschied. Auch er fragte, wer die Vase zerschlagen hatte, doch niemand antwortete. Auch ich nicht. Er drohte uns, er würde herausfinden, wer es gewesen sei und den Täter dann mit Sonnentod bestrafen.“ „Sonnentod?“ fragte der Pharao leise dazwischen. „Was ist das?“ „Der Sonnentod“ atmete er tief und senkte seinen Kopf. „So haben wir es genannt, wenn ein Sklave langsam starb. Unser Haus hatte einen Innenhof, wo der Verurteilte angebunden wurde. Ohne Wasser oder Nahrung wurde er dort gefesselt und in der prallen Sonne sitzen gelassen bis er starb. Danach wurde er noch drei Tage dort liegen gelassen, bevor man ihn ohne Begräbnis in der Wüste den Aasfressern vorwarf. So sollte jeder den Missetäter sehen und sich daran fürchten. In meiner Zeit dort habe ich acht junge Menschen so verenden sehen.“ „Wie schrecklich ...“ „Dementsprechend hatte ich noch mehr Angst, meine Tat zuzugeben“ erzählte er weiter. „Mein Herr wusste, dass ich es war und ich wusste, dass er es wusste. Sonst hätte er uns nicht eine solch harte Strafe angedroht. Er würde einen Weg finden, mich zu entlarven. Ich glaube, das wäre mein Tod gewesen an diesem Tage. Das war die eine Tat zu viel und da rettete mich auch meine Schönheit nicht mehr. Ich weiß nicht weshalb, aber als ich vor Angst in Tränen ausbrechen wollte, da trat Seth vor. Er gestand die Tat und bat um Vergebung. Die Vase sei ihm versehentlich herabgefallen, da er sie beim Tanz angestoßen und Furcht hatte, es sofort zuzugeben. Unser Herr war verwirrt, aber er fand keinen Grund, an Seth zu zweifeln. Er war immer der beste Schüler gewesen und die größte Hoffnung des Herrn.“ „Aber warum hat er das getan?“ fragte der Pharao ihn rätselnd. „Wenn er doch so ohne Willen war, weshalb hat er da gelogen?“ „Ich weiß es nicht“ gestand er leise. „Vielleicht wollte er mich retten. Vielleicht hat ihn aber auch der Sonnentod angezogen und er hatte nur nie selbst den Mut, ihn heraufzubeschwören. Ich weiß es nicht. Aber sicher ist, dass er mich gerettet hat und dafür bin ich ihm dankbar.“ „Was ist dann mit euch geschehen?“ wollte er weiter wissen. „Seth wurde nicht getötet.“ „Unser Herr konnte von einer harten Bestrafung nicht mehr zurücktreten. Er hätte sonst seine Glaubwürdigkeit verloren“ antwortete Emenas ernster. „Aber Seth zu töten, wäre dumm gewesen. Einen so intelligenten, schönen und folgsamen Mann. Zu viele Lehrstunden steckten bereits in ihm und er war schon fast reif für das königliche Bett. Jedoch strafen musste er ihn gewiss. So wurde Seth zwei volle Mondzyklen in den Besinnungsraum gebracht.“ „Den ...?“ „Der Besinnungsraum war ein karges Zimmer in den Katakomben des Hauses. Es war dunkel dort, stockdunkel“ erklärte er auch dieses mit leerer Stimme. „Nach dem Sonnentod war dies die schlimmste Strafe. Ich selbst habe nur ein Mal drei Tage darin verbracht und glaubte, ich würde sterben. Es war kalt dort unten, sehr kalt. Wir mussten uns entkleiden, bekamen Arme und Beine aneinandergefesselt und harrten dann aus. Völlig nackt und wenig Nahrung, ohne Bewegung. Nur etwas Wasser lief von der Wand herunter, welches wir ablecken konnten und manchmal warf man uns von irgendwoher ein Stück Brot oder Früchte herein, was wir vom Boden essen mussten. Es gab dort kein Licht, keine Wärme und überall war Stein. Und diese ohrenbetäubende Stille. Nach einer Weile verliert man die Orientierung, weiß nicht mehr, wo oben und unten ist. Man friert und beginnt zu schreien, um sich nicht zu verlieren. Aber man ist ganz allein mit sich und seinem Schicksal. Nie weiß man, wann die Tür wieder aufgeht und doch wünscht man es sich mehr als alles andere. Tausend Hiebe wären angenehmer als diese schreckliche Stille.“ „Wie kann man nur so grausam sein?“ Atemu hatte nicht gewusst, dass es solche Strafen überhaupt geben konnte. Dass man jungen Menschen so etwas antat. Ihm war Folter bekannt, aber diese diente meist zum Verhör oder zur Tötung. Doch niemals zur Strafe. Zumal dies eine vielfach härtere Strafe war, als erlaubt. Harte Foltermethoden hatte er selbst verboten, aber diese Erzählung sagte ihm, dass es noch viel mehr gab, was er einfach nicht wusste. Dass es Methoden gab, den menschlichen Willen zu brechen, zu zerstören, zu töten. „Körperlich wurden wir niemals bestraft, denn wir mussten unversehrt bleiben. Selbst alle Fesseln waren aus weichem Stoff, um keine Narben zu hinterlassen. Deshalb diente jede Strafe in erster Linie dazu, unseren Geist zu brechen“ sagte er in einem kalten Ton. „Alles zu Ehren des Pharaos.“ „Das tut mir leid.“ Er senkte seinen Kopf und Tränen stiegen in ihm auf. Nur, damit er seine Lustsklaven bekam, mussten diese vorher solches Leid erdulden. Je teurer ein Sklave war, desto mehr Leid hatte er erfahren. Es war ein Wunder, dass dies überhaupt jemand überlebte. Und umso mehr verstand er allmählich, weshalb Seth damals so leer gewesen war. Man hatte ihn gebrochen, ausgehöhlt und als Körperhülle weiterverkauft. Zu seinen Ehren. „Um mich zu retten, hat Seth eine lange Zeit dort unten verbracht.“ Seine Stimme war kalt, tonlos und ohne Gefühl. So völlig ohne Gefühl, dass sie angefüllt war davon. Die Mimik seines Gesichtes war unter dem Tuch verdeckt, jedoch war es unschwer zu erkennen, dass er unter diesen Erinnerungen litt. „Was ist danach geschehen? Wie hat er es verkraftet?“ wollte Atemu behutsam erfahren. „Ich glaube, danach war er vollkommen gebrochen“ erwiderte er zitternd. „Der wenige Ausdruck in seinem Gesicht war vollkommen verschwunden und zeigte sich nur noch gefälscht, wenn er eine Rolle spielte. Er wechselte niemals mehr mit einem Mitsklaven ein Wort. Unsere Lehrer und unser Herr waren begeistert von ihm. Ich selbst habe bis heute Schuldgefühle, da ich mich dafür verantwortlich zeichne. Und damals habe ich mir geschworen, wenn ich ihm jemals einen Dienst erweisen kann, so werde ich dies tun. Und wenn es mein eigenes Leben kostet. Auch Jahre später noch musste ich immer wieder an ihn denken. Sein leerer Blick verfolgte mich in meinen Träumen. Zu sehen, dass er in Euch sein Gefühl wiedergefunden hat, stimmt mich glücklich und traurig zugleich. Glücklich, weil er glücklich ist. Traurig, da nicht ich es bin, der ihm dieses Glück gibt.“ „Und dafür danke ich dir. Danke, dass du mich ihn lieben lässt, Emenas“ entgegnete er sanft. „Darf ich auch fragen, was mit dir danach geschah? Wie bist du zu einem Wüstenräuber geworden?“ „Das ist schnell erzählt“ sagte er und nahm langsam seinen gewohnten Ton an. Diesen dunklen, erhobenen und zugleich weichen Ton. „Ich hätte die Ausbildung zur Elite wohl nicht bestanden. Doch ein wenig später rettete mich nicht nur meine Schönheit, sondern eben meine Widerspenstigkeit. Ein Sklavenhändler kam zu uns, um zu sehen, ob schon jemand für den Pharao dabei sei, den er kaufen und ihm schenken könnte. Ich weiß nicht weshalb, aber er interessierte sich für mich. Ich wurde ihm nicht mal vorgeführt, sondern er begegnete mir lediglich auf dem Gang. Ich wusste nicht, wer er war uns so verbeugte ich mich nicht vor ihm. Natürlich wurde ich von meinem Lehrer zurechtgewiesen, aber der Händler lachte und wollte eine Kostprobe meiner Künste. Mein Herr sagte, ich wäre wohl der Letzte, den er derzeit für den Pharao empfehlen könne, aber er fand Gefallen an mir. An meinem scharfen Blick, sagte er. Er folgte mir auf mein Zimmer und wollte, dass ich ihn berühre. Aber ich sagte ihm, ich würde nur den Pharao selbst berühren. Er forderte, ich solle ihn küssen und ich weigerte mich. Nur den Pharao wollte ich und damit eine gute Zukunft. Ich sagte ihm, er könne mir niemals die Möglichkeiten eröffnen, welche der Pharao mir eröffnen könne. Doch er schätzte meine Widerspenstigkeit und so teilte ich nicht das Bett des Königs, sondern seines.“ „Er hat ... dich ...?“ „Ja, er hat mich beschmutzt. Ich weigerte mich, aber er tat es trotzdem und hat mir all meinen Wert genommen. Ein Weiterverkauf war damit nicht möglich. Und auch mein Aufenthalt im Sklavenhaus war unnütz geworden, da ich nicht mehr unberührt war.“ „Was wurde dann aus dir? Hat man dich fortgejagt?“ „Ach, Pharao. Ihr seid so gutgläubig“ lachte er und schüttelte seinen schwarz betuchten Kopf. „Man jagt doch Sklaven nicht fort. Man erschlägt sie, wenn überhaupt.“ „Aber es war doch nicht deine Schuld!“ plädierte er ernst. „Du wolltest das doch nicht! Man kann dich doch nicht für etwas strafen, was du nicht selbst verursacht hast!“ „Majestät, als Sklave seid Ihr grundsätzlich immer schuldig“ gab er die Antwort auf alle Ungerechtigkeiten. Sklaven hatten eine angeborene Schuld. Das war nun einmal so. „Aber er fand Gefallen an mir und so kaufte er mich für sich selbst. Und mein alter Herr war nicht traurig, dass er mich los wurde und dafür sogar noch gutes Geld bekam. Er hätte mich wohl eh nicht mehr lange behalten und an irgendwen verscherbelt. Wenn ich überhaupt so leicht davongekommen wäre. Ich folgte meinem neuen Herrn also zu seinem Anwesen und diente ihm dort eine Weile. Er lachte darüber, dass ich unnütz für den Pharao geworden sei und meine Zukunft nun bei ihm lag. Er lachte über alles, was ich mir noch an Zukunft gewünscht hatte. Er verspottete mich. Er verlieh mich auch mit Vorliebe an seine Gäste und prahlte mit mir, meiner Schönheit und meiner rebellischen Art. Er liebte es, zuzusehen, wie seine Gäste sich an mir vergingen und noch mehr liebte er es, wenn ich vor Wut und Schmerzen schrie. Er liebte es, meinen Willen brechen zu wollen und er liebte es, zu sehen, wie ich meinen Willen verteidigte. Er liebte es, mit mir zu kämpfen. Er selbst und all seine Gäste waren adelig und einige von ihnen sogar regelmäßig bei Hofe zu Gast. Ich begann, alle Adeligen unabdinglich zu hassen und auch den Pharao zu verachten, der sich mit solchen Leuten umgab. Eines Tages war mein Hass zu groß. Als mein Herr mich des Nachts in sein Bett rief, nahm ich eine Schlange mit und zwang ihre Zähne in seinen Arm. Er starb schnell und ich war frei. Ich nahm mir sein Gold, ein wenig Wasser und ein Pferd und ritt fort. Ich nahm mir vor, Seth zu befreien und suchte mir ein paar Männer, die meinen Hass teilten. Nach einigen Wochen hatte ich eine ganze Bande Gesetzloser beisammen und wir stürmten das Sklavenhaus. Wir töteten die Lehrer und meinen damaligen Herrn band ich mit aufgeschnittenen Adern persönlich im Innenhof an und lachte ihn aus, während er sein qualvolles Ende in der Sonne fand. Doch Seth war fort. Ich erfuhr, dass er zum Pharao gebracht wurde, kurz nachdem ich fort war. In unserem Siegeseifer wollten wir den Palast stürmen und den König zu Fall bringen, aber ich verlor mehr als die Hälfte meiner Männer im Kampf gegen die Hofsoldaten. Ich hatte es mir zu leicht vorgestellt. Und Seths Spur war im Palast verloren gegangen. So entschied ich, in die Wüste zurückzukehren und seitdem fangen wir Adelige auf der Durchreise ab, rauben sie aus und häufig töten wir sie.“ „Aber glaubst du, dass das der richtige Weg ist? Morde zu begehen und ...?“ „Ihr wisst nicht, wie das ist“ unterbrach er ihn und funkelte ihn hart an. „Wisst ihr, was es für ein Gefühl ist, gefangen zu sein? Jemandem untergeben zu sein? Wie es ist, keinen Wert zu haben? Und wie gut das Gefühl der Rache ist? Ich bin zu meinem ersten Herrn zurückgekehrt und er erkannte mich sofort. Ich werde niemals die Angst in seinem Blick vergessen. Ich nahm mir seinen jüngsten Sohn und ließ ihn meine Füße lecken, bevor ich die Hunde auf ihn hetzte. Mein Herr sah dies und flehte um sein und das Leben seiner Familie, aber ich lachte ihn aus und trennte seinen Kopf vom Körper. Und es war ein unglaublich befeiendes Gefühl.“ „Und hat es deinen Schmerz gelindert?“ sprach Atemu und sah ihn sanft an. In seinem Blick lag kein Urteil, keine Anklage. Seine offenen Augen zeigten nur Mitleid mit diesem armen Menschen, der nichts kannte als Schmerz und Rache. Der niemals gelernt hatte, dass Macht nicht nur dazu da war, um zu quälen. Der niemals erfahren hatte, dass Macht auch ein Mittel zum Schutz sein konnte. „Ihr wisst nicht, wie es ist, wenn man ...“ „Du hast Recht, ich kann das Leid, welches du erfahren hast, nicht nachfühlen“ unterbrach er nun ebenfalls. „Aber ich frage dich dennoch, Emenas. Hat die Rache deinen Schmerz gelindert? Kann das Blut deiner Peiniger wirklich deine Wunden heilen und dir Glück schenken? Du sehnst dich nach Gerechtigkeit, aber kannst du der Welt Gerechtigkeit bringen, indem du das tust, was du gleichzeitig verachtest? Du bist kein schlechter Mensch. Du hast ein empfindsames Herz und einen großen Stolz. Aber machen die Dinge, welche du tust, dich wirklich glücklich? Hast du jemals darüber nachgedacht, ob der Vergeltung nicht langsam genug getan ist? Ob du mittlerweile nicht mehr Schmerz verteilt als eingesteckt hast? Wer sagt dir, dass alle Adeligen schlecht sind? Du machst ihre Kinder zu Waisen, ihre Frauen zu Witwen und dann schimpfst du auf Menschen, die Böses tun. Ich urteile nicht über dich und will dich nicht bekehren. Aber ich sorge mich, ob du auf diese Weise wirklich dein Glück findest.“ Es entstand ein langer Moment des Schweigens, welcher nur von dem leisen Geräusch des Pferdeatmens und dem samtenen Ton der Hufen im Sand durchzogen wurde. Emenas war so voller Hass, voller Schmerz, dass er auf die nüchternen Worte des Pharaos keine Antwort wusste. Er umgab sich mit Menschen, welche seine Hassgefühle teilten und ihm darin niemals widersprachen. Und dann wurde er ausgerechnet vom König persönlich die Dinge gefragt, die er sich niemals selbst vorgeworfen hatte. Er wusste, es war sein gutes Recht, sich an denen zu rächen, welche ihm und anderen Böses taten. Doch dass er dabei letztlich trotz allem als der gelten könnte, an dem man sich vielleicht eines Tages selbst rächen wollte ... er wusste, dass er als Räuber zu den Menschen gehörte, die man als böse bezeichnete, doch er hatte sich selbst niemals als jemand bösen gesehen. Musste da wirklich erst der Pharao kommen und seine Rache infrage stellen? War sein Recht auf Rache wirklich Unrecht? War es nicht sein Recht, wo er doch selbst Waise war, auch andere Kinder zu Waisen zu machen? Zeitgleich ritten am Ende der Karawane Seth und Fatil und ließen erst ein wenig Abstand zwischen sich und der Gruppe, um vertrauensvoll miteinander sprechen zu können. Doch so ruhig wie Seth auch wirken wollte, so sehr beunruhigte ihn auch Fatils Gegenwart. Er hatte ihm angedroht, er könne ihn ohne Aufsehen schnell aus dem Leben und vom Pharao fortziehen. Und Seth wusste, dass dies durchaus keine leere Drohung war. Fatils Familie besaß große Macht, viele Ländereien und ein hohes Ansehen. Und er war als ältester Sohn der Erbe dieses kleinen Imperiums innerhalb des Palastes. Seth wusste, dass er sich notgedrungen mit ihm gutstellen musste, wenn er am Hofe geduldet werden wollte. Aber auf der anderen Seite wollte er sich auch nicht von irgendjemandem einschüchtern lassen, aus reinem Stolz heraus. „Und? Weswegen möchtest du mich sprechen?“ setzte er dann dennoch als Erster an, um das drückende Schweigen zu brechen. „Kannst du dir das nicht denken?“ fragte er zurück und hatte doch einen ungewöhnlichen Ton in seiner Stimme. Er klang nicht vorwurfsvoll oder so hasserfüllt, wie Seth es gewöhnt war. Aber auch nicht, als würde er sich sofort mit ihm verbrüdern wollen. Eher, als würde er sich zu diesem vergleichsweise friedlichen Ton überwinden müssen. „Des Pharaos wegen also. Ja, das hatte ich mir gedacht“ beantwortete er sich also seine Frage selbst. „Aber du wirst es nicht schaffen, uns jetzt noch auseinander zu reißen. Ich werde um meinen Platz bei ihm kämpfen. Auch wenn es gegen dich sein sollte. Du wirst uns nicht trennen. Niemand.“ „Ich habe mit keinen Wort geäußert, dass ich dieses Vorhaben jetzt hege“ entgegnete er ohne ihn anzusehen. Eher blickte er fest geradeaus, als würde ihm das Sprechen dadurch leichter fallen. „Für meinen Ton dir gegenüber möchte ich mich entschuldigen. Ich gebe zu, dass ich dich nicht sofort in mein Herz geschlossen habe und noch immer nicht verstehe, was der König an dir so sehr mag. Trotz dessen ist dies kein Grund, dich so harsch zu behandeln. Grundlos habe ich dies nicht getan, aber die Tat war härter als der Grund. Und hierfür entbiete ich dir mein Vergebungsersuchen.“ „Du entschuldigst dich?“ Es fehlte nicht viel und Seth wäre rückwärts von seiner edlen Stute gepurzelt. Dass Fatil ihn um Vergebung für seine harten Worte bat, war das Letzte, was er nun erwartet hatte. Und er wusste auch nicht alsgleich, was er darauf antworten sollte. „Ja, das tue ich“ wiederholte er erneut. „Vielleicht magst du nun denken, ich hätte dich so behandelt, weil du als Lustsklave nicht meinen adligen Rang teilen kannst. Aber dem ist nicht so. Ähnlich wie der Pharao denke ich, dass auch Sklaven Menschen mit einem Recht auf eigenen Besitz und körperliche, sowie seelische Unversehrtheit sind. Deine Vergangenheit hat jedoch sehr dazu beigetragen, dass ich dir nicht traute und das tue ich noch immer nicht wirklich. Es liegt nicht allein daran, dass du als Sklave unter mir stehst, sondern einfach, weil ich schon viele Menschen getroffen habe, welche dem Pharao schaden wollen. Aus allen Gesellschaftsstufen. Und ich will nicht, dass man ihm schadet. Er hat sich so sehr in dich verliebt, dass er an nichts anderes mehr denken konnte. Und du hast es erlernt, Männer wie ihn zu verführen. Ich mag es nicht, dass du eine solche Macht über ihn hast. Ich denke nicht so, weil du als Sklave Macht über ihn hast, sondern weil niemand Macht über ihn haben sollte. Weder Sklave, noch Bauer, noch Priester oder ein Adliger. Niemand auf dieser unserer ägyptischen Erde sollte ihn beherrschen, niemand sollte über ihm stehen außer die Götter selbst. Und zu sehen, dass jemand wie er so von jemandem wie dir abhängig ist, macht mich misstrauisch.“ „Glaubst du etwa, ich bin freiwillig als Lustsklave geendet?“ fragte er ihn auf den Kopf zu. „Weißt du eigentlich, was der Pharao für mich getan hat? Wenn jemand Grund hat, ihn zu ehren, dann bin ich es.“ „Wenn jemand Grund hat, ihn zu hassen, dann bist du es“ erwiderte er mit dunkler Stimme. „Ich weiß, dass du jemand bist, der einem leicht etwas vorgaukeln kann. Du kennst den Pharao besser als die meisten Menschen. All seine Verlangen, seine Eigenheiten, seine Vorlieben und seine Abneigungen. Es wurde dich gelehrt wie andere ein Handwerk lernen. Und es gibt viele Sklaven, besonders Lustsklaven, welche den Pharao für ihr Schicksal hassen. Und ich will nicht zulassen, dass ihn ein Hass trifft, dessen Vater er nicht ist. Der Pharao ist nicht der Grund, weshalb es Leid unter den Menschen gibt. Er ist der Grund, dass die Menschen Hoffnung haben. Und ich werde es nicht zulassen, dass ein hasserfüllter Mensch dem Volke seine Hoffnung nimmt. Ich werde nicht zulassen, dass du dem Pharao ein Leid tust.“ „Ich habe ihm niemals ein Leid getan und ich habe dies auch nicht vor. Nur weil ich einst Sklave war, soll das nicht bedeuten, dass ich ihn hasse.“ „Wie soll ich es denn noch betonen? Du könntest auch ein echter Priester oder ein Kaufmann oder ein König aus einem fremden Lande sein. Ich traue dir nicht, weil sein Herz dir gegenüber verletzlich ist. Du kannst ihm Leid zufügen. Deshalb.“ „So kommen wir nicht voran“ seufzte Seth und schüttelte den Kopf. Selten hatte er jemanden getroffen, der einen solchen Sturkopf hatte wie Fatil. Selten gab es Menschen, mit denen er sich nicht einigen konnte. Selbst wenn er ihn nicht als Sklaven sah, so sah er ihn doch als Bedrohung für den König. „Es ist traurig, dass wir uns nicht einigen können. Dabei haben wir doch etwas so Wichtiges gemeinsam.“ „Und was wäre?“ forderte er hart zu wissen. „Die Liebe zum Pharao“ antwortete er überzeugt. „Ich weiß, dass er dir ebenso viel bedeutet wie mir. Du liebst ihn wie deinen Bruder und du willst Leid von ihm fernhalten. Und ebenso ich. Ich liebe ihn ebenfalls und will nicht, dass ihm ein Leid geschieht. Warum können wir nicht Seite an Seite für sein Wohl arbeiten, anstatt uns zu zerstreiten und ihn damit in Konflikte zu bringen? Warum kannst du mir nicht ebenso vertrauen, wie ich dir vertraue?“ „Weil der Pharao dir verfallen ist“ war seine feste Antwort. „Der Pharao ist ein weiser Mann“ entgegnete er. „Er sieht alles mit nüchternen Augen. Niemals würde er mir trauen, wenn ich ihm etwas Schlechtes wollte.“ „Wenn du das denkst, kennst du ihn nicht wirklich“ riet Fatil ihm und wurde ein wenig ruhiger, etwas bedrückt fast. „Er liebt dich so sehr, dass er alles für dich aufgeben würde, wenn du ihn nur bittest. Deine Worte wiegen für ihn mehr als seine Pflicht. Und diese Macht in den Händen eines anderen, noch dazu von jemandem, der Grund hätte, ihn zu hassen ... nein, das ist schwer zu akzeptieren. Er ist dir verfallen mit all seinem Denken und seinem Fühlen.“ „Das glaube ich nicht. Er weiß um seine Verantwortung. Immer würde er zum Wohle Ägyptens entscheiden.“ „Siehst du das wirklich nicht? Bist du so dumm oder spielst du nur so gut, da du das Schaustellen lerntest?“ fragte er und sah mit ratlosen, schier ungläubigen Augen zu ihm herüber. „Aus unerfüllter Liebe wählt er den Tod als Erlösung und du behauptest, er sei dir nicht verfallen? Denkst du wirklich, ich sehe das nicht und schenke dir Glauben, du würdest ihn nicht eines langsamen Todes verwünschen?“ „Aus unerfüllter Liebe?“ Den Sinn dahinter verstand er nicht. Oder zumindest hätte er sich niemals ein solches Denken angemaßt. „Du meinst ... er hat den Tod gesucht, um mir zu entkommen?“ „Tu nicht so, als wäre dir das neu“ warf Fatil ihm verbittert vor. „Es kann dir nicht entgangen sein. Seine Blicke, wenn er dich ansieht. Dass er nachts deinen Namen ruft. Dass er nach deiner Nähe sucht und immer wieder im letzten Moment zurückzieht. Wie aufreizend du ihn lockst und ihm dann den Zugang verwährst. Du treibst ihn in die Verzweiflung.“ „Aber ... er ...“ „Weshalb sonst sollte er sein Volk allein lassen, wenn nicht aus großer Not? Du magst sagen, wenn du ihn töten wolltest, hättest du es schon längst getan. Aber ich sage, ich weiß nicht, wie du ihn töten willst. Vielleicht forderst du seinen Freitod ja heraus oder du willst warten bis wir im Palast sind, um ihn vor den Augen aller hinzurichten. Ich weiß nicht, was du vorhast. Und deshalb traue ich dir nicht.“ „Du bist ungerecht“ warf er ihm vor, auch wenn sich seine Augen langsam mit Tränen füllten. Nicht, da Fatil ihm sein Vertrauen verweigerte, sondern da er erfahren musste, dass der Pharao sein Leben hatte fortwerfen wollen, da seine Liebe unerfüllt blieb. Insofern hatte Fatil Recht und der Tod des Pharaos ging zu seinen Lasten. Ob nun erzielt oder nicht, es wäre seine Schuld gewesen. „Du kannst mir keinen Vorwurf machen, dass ich die Liebe des Pharaos nicht sah!“ verteidigte er sich. „Woher sollte ich wissen, wie sich Liebe anfühlt? Wie sie aussieht? Ja, ich habe gelernt was Lust bedeutet, aber niemals Liebe! Ich bin vielleicht ein schlechter Mensch, aber ich bin kein Mörder! Das kannst du mir nicht vorwerfen!“ „Ich werfe dir nichts vor, ich spreche mit dir“ antwortete er und wand seinen Blick von ihm ab. „Und meine Entschuldigung ist ernst gemeint. Ich verachte dich nicht und ich muss dir sagen, dass auch mein Misstrauen dir gegenüber wankt. Dass ich dir nicht vertraue, bedeutet nicht, dass ich dir misstraue.“ „Und was soll das dann alles hier?“ forderte er zu wissen und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Dieser Stich hatte gesessen und vielleicht war das die Strafe der Götter dafür, dass er seine Verlobte von einem Tag auf den anderen verlassen und ihre Träume mit Füßen getreten hatte. Die Strafe für seine eigenen, schlechten Taten. Seth behauptete nie, ein guter Mensch zu sein. Aber er behauptete, dass er seinem Herzen folgte. Manchmal etwas zu rasch vielleicht und nicht frei von Strafe oder Sünde. Aber sein Herz hatte an Stärke gewonnen und trug jede Strafe, solange er nur seinem Pharao nahe sein durfte. Jedoch wollte er ihm mit seiner Nähe doch niemals schaden. „Ich habe dich nicht zum Gespräch gebeten, um dir Vorwürfe zu machen, sondern um mich zu erklären“ sprach er gestrafft weiter. „Als die Räuber uns überfallen haben, da hast du dich vor den Pharao geworfen und dein Leben für ihn gesetzt. Ich weiß nicht, ob das vielleicht zwischen dir und Emenas abgesprochen war, aber ...“ „Wie hätten wir das denn absprechen sollen? Ich war jahrelang im Tempel eingeschlossen und ...“ „Bitte, lass mich ausreden“ unterbrach er und sah ihn tief an. „Das war der Moment, in welchem ich angefangen habe, zu denken. Du wusstest nicht, dass wir einen Abstecher über deinen Tempel nehmen würden und zu deiner Weihe anwesend sind. Das war etwas, was du nicht planen konntest. Ich wüsste jedenfalls nicht, auf welche Weise du dies hättest tun wollen. Und wenn du dies nicht geplant hast, so habe ich vielleicht auch mit anderen Dingen falsch gelegen. Ich mache nicht häufig Fehler, aber wenn ich welche zu verschulden habe, stehe ich dazu. Und deshalb will ich mich für meinen harschen Ton und die Anschuldigungen entschuldigen und hoffe, du kannst mir vergeben.“ „Für jemanden, der sich entschuldigt, bist du noch immer sehr harsch“ musste er ihm doch sagen, denn er empfand es so. „Ich kann nicht anders. Einen anderen Ton zu finden, fällt mir schwer. Häufig habe ich mich nicht entschuldigt in meinem Leben und wollte auch niemals etwas tun, was ich hätte bereuen müssen. Umso mehr hoffe ich, dass du meine Worte annimmst und vielleicht ein wenig Verständnis für mich aufbringst. Wenn ich dich wirklich verachten würde, so würde ich bei keinem Lustsklaven jemals Vergebung suchen. Ich hoffe, du siehst damit, dass mir dein Stand egal ist. Ich will mir Mühe geben, dich als Priester zu akzeptieren und auch meinen Ton in Zukunft zu ändern. Hauptsächlich, um dem Pharao sein Glück zu lassen. Denn wie du schon sagtest, haben wir die Liebe zu ihm gemein.“ „In Ordnung“ entbrachte er und auch wenn seine Stimme noch etwas belegt war von dem Schock seiner Schuld, so wollte er sich doch vor Fatil keine Schwäche eingestehen. „Lass uns vergessen, was war und einen neuen Anfang machen. Ich vergebe dir, wenn du dein Misstrauen ablegst.“ „Mögen die Götter unseren Pakt segnen“ sprach er, sah ihm in die Augen und streckte ihm den Arm entgegen. „Wenn du den Pharao wirklich liebst, so will ich dein Bruder sein.“ „So die Götter es gestatten, will ich dich Bruder nennen“ antwortete er und packte ihn am Handgelenk, ebenso wie auch Fatil seines festhielt und sie sich forschend in die Augen sahen. Zwar hatte selbst ihr Vergeben noch etwas Rüdes in sich, jedoch war es ein guter Anfang für einen Frieden zu des Pharaos Ehren. „Jedoch lass mich noch ein einziges Mal etwas anbringen“ sprach Fatil dennoch fest und sah ihn voller Stärke an. „Wenn du dem Pharao ein Leid antust, bist du ein toter Mann.“ „Wenn ich dem Pharao ein Leid antue, so bitte ich dich“ antwortete er gleichermaßen, „dann töte mich mit deinen eigenen Händen. Ich werde mich nicht wehren.“ „Gut. Und fortan wollen wir nicht mehr davon sprechen“ beschloss er und ließ seinen Arm wieder frei, ebenso wie Seth seine Hand zurück an den Zügel legte. Es war ein ungewohntes Gefühl für beide, aber vielleicht entwuchs ihrem schroffen Anfang eine feste, treue Bruderschaft. Ebenso wie aus steiniger Erde manchmal die duftensten, farbenfrohesten Blumen entwuchsen. Kapitel 37: Kapitel 37 ---------------------- Kapitel 37 „Was ist mit dir, mein Seth?“ Die Stimme des Pharaos war gedämpft, um nicht wieder durchs ganze Lager zu schallen. Er lag neben seinem Liebsten, hatte den schweren Kopf auf der breiten Brust niedergelegt und streichelte mit verträumten Fingerspitzen über seinen muskulösen Bauch, über die schöne Haut, die von der Sonne so anrüchig tief gebräunt war. Während die anderen Reisenden die Mittagshitze wie jeden Tag zum Rasten und Schlafen nutzten, konnte sich jedoch die endlich entbrannte Liebe nicht so einfach zur Ruhe legen. Kaum waren sie in das schützende Bodenzelt gekrochen, um sich vor der Sonne zu flüchten, war das Begehren nacheinander kaum noch auszuhalten. Jedoch hatten sie dazu gelernt und sich ein wenig gezügelt. Zwar ahnte jeder, dass man ihren „Mittagsschlaf“ nicht stören sollte, aber dennoch wollten sie sich bedeckt halten. Der Spott über die letzte Nacht war bereits überreichlich. Doch was sollte man tun, wenn die Lenden brannten und das Herz klopfte? Diesen Durst konnte man nicht mit Wasser stillen. Nun, wo sie beide erschöpft nebeneinander lagen, stellte der Pharao unumwunden fest, dass Seth ein überaus zärtlicher, achtsamer Liebhaber war. Bei ihm fühlte sich jede Berührung tausend Male schöner an, intensiver. Und er war so einfühlsam, so vorsichtig trotz seiner Kraft, dass dem königlichen Körper auch im Nachhinein kaum Schmerz verlitten war. Andere männliche Liebhaber hinterließen nach ihrem Lustspiel unangenehme Spuren, welche ihn oft noch bis in den nächsten Tag hinein begleiteten. Bei Seth war es anders. Mit Seth so dicht bei ihm war alles anders. Jedoch als sie die Stille im Lager genossen, nur ein wenig Wind und leises Gerede an ihre Ohren drang, da sah der Pharao doch, dass sein Geliebter einen undeutbaren Blick an die Decke des niedrigen Zeltes warf und konnte nicht umhin, ihn danach zu fragen. „Nichts, Atemu“ antwortete er leise, nahm seine Hand und küsste sie sanft, bevor er sie an sein Herz drückte. „Ich habe nur nachgedacht.“ „Und worüber? Magst du mir das auch sagen?“ „Verschiedene Dinge. Sorgt Euch nicht, Majestät“ versprach er und schloss seine Augen, legte seinen kräftigen Arm um ihn und schmiegte seinen zarten Pharao an sich. Es tat gut, ihn zu spüren. Seine weiche Haut war so warm, ebenso wie seine Stimme einen so ebenen Klang in sich trug. Er war wirklich ein göttergleiches Wesen mit seiner Sanftheit und seinem treuen, etwas naiven Wesen und einem überraschend klaren Verstand, mit welchem er nur allzu schnell spürte, wenn einem anderen etwas auf dem Herzen brannte. „Doch, ich sorge mich“ erwiderte er und streichelte verliebt seinen Bauch. „Wenn du so abwesend blickst und ich in deinen Augen nicht lesen kann, dann sorge ich mich. Bitte sag mir, was dich beschwert.“ „Atemu, bitte sagt mir. Als Ihr Euch verletzt habt ...“ sprach er leise, ganz leise und berührte sein zartes, warmes Handgelenk. Auch wenn er es nicht sah, so war doch eine frische Narbe dort zu spüren, welche nur allmählich verheilte und sein Leben lang zu sehen sein würde. Er würde für alle Jahre lange Kleidung oder breiten Schmuck tragen müssen, um sich nicht dieser Schwäche bezichtigen lassen zu müssen. Und es war seine Schuld, dass der Pharao diesen Makel trug. „Verzeiht mir, aber ... bin ich der Grund, weshalb Ihr Euer Leben fortwerfen wolltet?“ „Ja ... es tut mir leid“ hauchte er bedrückt und senkte seinen Kopf noch ein wenig schwerer auf ihn herab. Er hätte ihn gern angelogen, um ihm keine Schuld zuzuweisen. Aber er konnte ihn nicht anlügen, zu lange hatte Stille zwischen ihnen geherrscht. Und auf Lügen konnte niemals Vertrauen entwachsen. „Meine unerfüllte Liebe wurde unerträglich. Ich wollte dich damit nicht einengen, aber ohne dich zu leben und dich doch an meiner Seite zu wissen, das hat mich geschmerzt. Und als du mich damals im Lusthaus gesehen und mich mit deinem Blick gestraft hast ...“ „Nein, ich wollte Euch nicht strafen. Niemals“ beschwor er ihn, drehte sich auf die Seite und blickte nun von oben auf ihn nieder. „Hoheit, warum glaubt Ihr das? Wie könnte ich Euch strafen?“ „Weil ich nicht nach meinen Worte handle“ erwiderte er und konnte seine Tränen nicht abhalten, die Augen zu füllen und die Stimme zu irritieren. Er spürte noch immer dieses dunkle Gefühl in seinem Herzen. Das Gefühl von Einsamkeit und Verzweiflung. Und er fürchtete sich davor. „Ich spreche davon, die Sklaverei zu bekämpfen und nehme mir selbst einen Lustsklaven. Ich weiß, dass ich dich damit beleidigt und verletzt habe. Wenn ich dein Vertrauen verliere, will ich auch mein Leben nicht mehr.“ „So dürft Ihr nicht reden. Majestät, bitte nicht.“ Er legte ihm seine Lippen auf die Stirn und griff mit beiden Händen in sein volles Haar, wollte ihn spüren und nicht glauben, dass er der Grund sein sollte, der Ägypten seines Königs beraubt hätte. „Nicht für mich. Ich wollte Euch nicht strafen mit meinem Blick und wenn dies so schien, so bitte ich um Vergebung. Darf ich Euch sagen, was ich wirklich in diesem Moment gedacht habe?“ „Ja“ flüsterte er und schlang seine Arme um ihn. „Sag es mir. Sprich mit mir. Lass mich nicht alleine ...“ „Ich war eifersüchtig“ gestand er leise und sank auf ihn nieder. „Zugegeben, im ersten Moment war ich erschrocken, Euch dort mit diesem schönen Mann zu sehen, doch im zweiten Moment war ich eifersüchtig. Ich habe mich gefragt, warum Ihr lieber ihn nehmt als mich. Ob ich Euch nicht gut genug bin.“ „Aber es war doch ganz anders. Ich ...“ „Ich weiß, dass es anders war. Ich weiß es jetzt“ versicherte er und schmiegte sich an seinen Hals, spürte seinen Herzschlag. „Ich war dumm, Eure Liebe nicht zu sehen. Ich bin ein blinder, täppischer Mensch. Niemals hätte ich zu glauben vermocht, dass Ihr meine schmutzige Liebe mit so reinen Gefühlen erwidert. Hätte ich geahnt, Euch in solch eine Verzweiflung zu stürzen, wäre ich Euch niemals gefolgt.“ „Aber du bist mir gefolgt und es war gut so“ versprach er ihm mit ein wenig beruhigter Stimme. „Ich weiß, dass es ein Fehler war und meine Schwäche tut mir sehr leid. Und deshalb möchte ich nun auch nicht weiter darüber sprechen. Ich will nicht mehr darüber weinen, die Angst und die Verzweiflung vergessen. Endlich bist du bei mir und ich bin glücklich. Lass uns über das, was war, niemals mehr sprechen.“ „In Ordnung. Wie Ihr wünscht.“ Er sank noch schwerer auf ihn herab und wäre er an ihm festgewachsen, es hätte ihn nicht gestört. Er wollte ihn nur spüren, spüren, spüren. Spüren, so lang sein Leben andauerte. „Ich werde Buße tun bei den Göttern. Wenn Ihr mir wirklich vergeben könnt, so können es die Götter hoffentlich auch. Gern werde ich mein Leben in Euren Dienst stellen, so wie ich es in den Dienst der Götter stelle. Ihr sollt mein heiligster Gott sein. Ich werde Euch anbeten, Euch verehren und Euch treu folgen. So lang mein Leben andauert.“ „Aber lass uns ein Versprechen geben“ bat er, schob sich vorsichtig unter ihm heraus bis er neben ihm lag und ihn auf selber Augenhöhe anblicken konnte. „Jedes, mein König“ schwor er und hielt ihn in seinen himmelblauen Augen fest gefangen. „Lass uns von nun an ehrlich sein“ bat er und griff nach seiner Hand, um sie an sich zu halten. „Unser Schweigen hat uns beide verletzt und die Kluft zwischen uns vergrößert. Ich will nicht, dass eine unüberwindliche Schlucht zwischen uns klafft. Wenn ich dich verletze, dich einenge oder dich ungerecht behandle, dann bitte ich dich, mich darauf hinzuweisen. Folge mir nicht blindlings und forme nicht jedes meiner Worte zu einem Befehl. Ich will dich nicht verletzen, aber ich kann nicht in dein Herz sehen. Ich bin darauf angewiesen, dass du dich mitteilst. Dass du deinen Stolz und deine Persönlichkeit vor mir nicht in den Hintergrund schiebst. Blinde Fürsprecher habe ich mehr als mir gut tut. Bitte versprich mir, ehrlich zu sein mit deinen Gefühlen. Sei mir kein Sklave, sei mir kein Priester. Ich bitte dich, sei mir der Mensch an meiner Seite. Sei mir so ehrlich und besonders wie das Gras unter meinen Sohlen.“ „Und ebenso Ihr“ bat er ihm Gegenzug. „Wenn ich respektlos bin oder Euch behindere. Wenn ich Euch beschäme oder beschmutze, bitte straft mich. Ihr sagt, ich darf frei sein bei Euch, aber ich weiß nicht, wo Freiheit begrenzt ist. Ihr seid und bleibt trotz aller Worte noch immer der Pharao. Auch wenn ich den Menschen unter der Krone liebe. Diese Gefühle sind neu für mich und ich will Euch nicht schaden. Wenn ich unglücklich bin, will ich es Euch gern sagen. Aber bitte erwidert dies. Habt keine Angst, mich zu verschrecken oder zu demütigen. Ich weiß nicht, was Liebe ist oder wie man sie lebt. Ich weiß nur, dass Ehrlichkeit der fruchtbarste Boden für alles Gute ist. Sei es Religion, Freundschaft oder eben Liebe.“ „Lass uns all das vergessen, wenn wir zurück im Palast sind“ bat der Pharao mit einem erleichterten, fast zuversichtlichen Ton. Es würde sich wohl niemals ändern, dass Seth ihn unwillkürlich von einer Gefühlslage in die andere spülte. „Ich habe gehört, du hast dich auch mit Fatil versöhnt?“ „Wir haben es zumindest versucht. Er hat mir seine Beweggründe erklärt und sich entschuldigt. Auf eine gewisse Weise verstehe ich sein Misstrauen sogar. Ich wäre wohl auch misstrauisch gegen mich gewesen. Auch wenn es noch eine Zeit dauern wird, hoffe ich, dass wir ein wenig näher zusammenwachsen.“ „Das würde mich freuen. Ich weiß, dass Fatil ein sehr schwerer Mensch ist, aber eines kann ich dir versprechen. Wenn du ihn erst zum Freund hast, dann ist er dir treu und überaus loyal. Ich stünde vor einer schweren Entscheidung, müsste ich einen von euch wählen.“ „Ich will Euch niemals vor eine Wahl stellen. Ich bin dankbar genug, dass Ihr mich überhaupt an Eurer Seite duldet.“ „Ich dulde dich nicht, ich brauche dich“ verbesserte er und drückte sich ganz nahe an ihn, wollte ihn dicht bei sich spüren. Er sah schon jetzt, ein gemeinsames Leben von ihnen gemeinsam würde sich auch zukünftig nicht leicht gestalten. Nüchtern betrachtet, waren ihre Leben nicht mit einander zu vereinbaren. Aber dem Herzen war das egal. Und nach so vielen Jahren forderte eben auch das geduldigste Herz irgendwann seinen Tribut. „Majestät“ flüsterte Seth, während sie sich zusammenschmiegten und in der Gluthitze, welches ihr flaches Zelt umgab, nicht mal ein Laken über ihren Körpern nötig hatten. Müssten sie nicht daran denken, dass es außerhalb von Räubersleuten nur so wimmelte, hätten sie ihrer Reise noch etwas mehr Romantik abgewinnen können. „Was ist denn, mein Seth?“ Er fuhr ihm verliebt über die braungebrannte Haut und fand an einer Stelle ein wenig Sand, den er sanft herunterstrich. „Bitte mach dir keine Gedanken mehr darüber. Lass uns nicht mehr davon sprechen. Meine Traurigkeit ist vergangen.“ „Das beruhigt mich“ seufzte er und küsste seine Schulter. „Aber, mein Pharao, da ist etwas anderes, was mich beschäftigt. Bitte entschuldigt, wenn ich Euch damit belaste.“ „Belaste mich. Bitte, belaste mich“ bat er liebevoll. „Was macht dir Sorgen?“ „Der Palast“ war seine bedrückte Antwort. „Ja, das verstehe ich“ seufzte er. Darüber hatte er bereits nachgedacht. Damals kam Seth in den Palast, um über sein Leben entscheiden zu lassen. Ein Leben, welches er kaum noch als sein eigenes sah. Und nun würde er erneut in den Palast kommen. Jedwede Angst war verständlich. „Es müssen schlimme Erinnerungen für dich sein, dorthin zurückzukehren. So gern, wie ich dir das ersparen möchte, aber ich muss in den Palast zurück. Ich werde mich aber bemühen, bald einen neuen Reisegrund zu finden und ...“ „Entschuldigt, wenn ich Euch unterbreche“ bat er und streichelte seine Wange. Ihm die Finger auf die Lippen zu legen, würde er nicht wagen. Es war frech genug, ihm ins Wort zu fallen. „Meine Liebe zu Euch lässt die Erinnerungen blass erscheinen. Meine Sorge ist, was uns im Palast erwarten wird. Was mich erwarten wird. Was erwartet Ihr, was ich tun soll?“ „Du wirst Priester im Tempel“ antwortete er, legte seinen Kopf zurück und blickte ihn ratlos an. „Oder was genau besorgt dich? Es ist nicht ungewöhnlich, dass Priester von außerhalb im Palast heimisch werden. Es war doch dein Wunsch oder hat sich das geändert? Sind es nicht böse Erinnerungen, welche dich besorgen?“ „Mich besorgt eher, ob ich mich richtig verhalten werde“ versuchte er ruhiger zu erklären, als er es empfand. „Ich habe zwar die Etikette gelernt, als Sklave wie auch als Priester. Jedoch bin ich unsicher, was Ihr von mir erwartet. Nicht nur, dass ich fürchte, man könne mich wiedererkennen und Euch des Standesbruches anklagen. Ich weiß auch nicht, wie nahe ich Euch kommen darf, ohne Euch Probleme zu bereiten. Wenn Ihr mich als Euren Geliebten wollt ... so kenne ich keine Etikette, an der ich mich orientieren kann.“ „Um ehrlich zu sein, habe ich mir darüber schon viele Gedanken gemacht. Jedoch bevor ich Gelegenheit bekam, meine Gedanken in die Wirklichkeit zu holen“ antwortete er mit sanfter Stimme. Natürlich hatte er auch darüber bereits sinniert, was wäre, wenn sie im Palast zusammensein würden. Über all die Probleme, die entstehen konnten. Aber das alles, vor dem gestrigen Abend. In den letzten Stunden war er im Herzen frei gewesen und genoss sein Glück. Jedoch holte ihn die Wirklichkeit nun allzu schnell wieder ein. Wenn die Pferde kräftig genug waren, könnten sie schon heute Abend den Palast erreichen, sonst spätestens in den Morgenstunden. Und damit scharten sich um sie herum keine spaßenden Wüstenräuber, sondern Adlige, Minister, Diener und Regierungsmänner mit ihren stechenden Augen auf des Pharaos Verhalten. Das würde ihnen ihr Glück nicht vereinfachen. Sollte jemand wirklich erkennen, dass er einen Lustsklaven in den heiligen Priesterstand erhob, würde das den Bruch mit sämtlicher Ordnung und der Religion bedeuten. Zumal sich Ägypten eh in einem angespannten Verhältnis zu den Nachbarreichen befand, was ja der ursprüngliche Grund seiner Reise gewesen war. Einen Bürgerkrieg konnte der Pharao derzeit nicht riskieren. Erst recht nicht wegen seines persönlichen Glücks. Aber auf der anderen Seite stand Seth, ohne den er nicht mehr sein konnte. Und mit einem wehmütigen Pharao würde das Volk auch nicht glücklich werden. „Mein Pharao, was sollen wir tun?“ fragte Seth ihn und seine himmelblauen Augen erhofften sich so dringend eine Antwort. „Ich möchte so gern bei Euch sein, doch ich will nicht Euren Putsch verschulden. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“ „Mach dir darum keine Gedanken, mein Seth. Diese Verantwortung liegt bei mir“ beruhigte er und lächelte ihn verliebt an. „Dass dich jemand wiedererkennt, wäre die größte Gefahr, aber die sehe ich gering. Es kommen und gehen tagtäglich so viele Sklaven, dass dich sicher niemand im Gedächtnis behalten hat.“ „Ihr seid in Nachtkleidung durch die Gänge gelaufen und habt mich in Euren Gemächern gesund gepflegt. Ich glaube kaum, dass ihr das für jeden Sklaven tut.“ „Glaube mir, wenn die Götter uns ein wenig wohlgesonnen sind, wird dich niemand wiedererkennen“ versprach er. „Wir müssen auf unser Glück vertrauen. Und da vertraue ich auf Fatil. Nicht nur auf den jungen, sondern vor allem auf den alten Fatil. Er hat seit Jahrzehnten beste Verhältnisse zu den Dienern und Sklaven, ebenso wie zu den höheren Männern. Ich weiß, dass man ihn hinter vorgehaltener Hand als den eigentlichen Herrscher im Palast bezeichnet. Und das ist wahr. Im Palast geschieht nichts, ohne sein Zutun. Ich weiß, dass er sich an dich erinnern wird, denn er war es auch, der deine Vergangenheit verwischt und meine Hände reingewaschen hat. Seine Familie ist fast so mächtig wie die meinige und jeder achtet darauf, sich mit ihm gut zu stellen. Und selbst wenn jemand etwas wissen könnte, wird er ihn zum Schweigen bringen. Und du vergisst, ich bin der Pharao. Ein bisschen Macht habe ich ja auch, weißt du?“ Aber das liebevolle Zwinkern konnte ihn nicht wirklich beruhigen. Eben weil er der Pharao war, durfte er nicht mit Vorwürfen beschwert werden. Besonders nicht mit welchen, die seine Göttlichkeit infrage stellten. „Komm, sei nicht so besorgt“ tröstete er und kraulte sein seidiges Haar. „Je verdächtiger wir aussehen, umso mehr wird man fragen. Überlass das Denken mir, dafür überlasse ich dir das Beten, hm?“ „Ob die Götter meine Gebete überhaupt erhören wollen?“ seufzte er und blickte schuldbewusst zu Boden. „Es tut mir leid, Hoheit. Wäre ich schlicht Sklave geblieben, hätten wir nun weniger Gefahr. Als Sklaven könntet Ihr mich unbeschwerter bei Euch haben.“ „Du wirst mir jetzt nicht anbieten, die Priesterschaft ruhen zu lassen!“ blickte er ihn erschrocken an. „Seth, es war immer dein Traum, den Beruf deines Vaters zu leben. Sollen die ganzen Jahre des Studierens denn vergebens gewesen sein?“ „Aber überlegt doch mal“ argumentierte er ernsthaft. „Wenn ich mein Priestergewand ablege, mich in schlichte Leinen kleide und Ihr mich als Euren Sklaven einführt, wird niemand etwas gegen Euch oder mich einzuwenden haben.“ „Doch, ich werde etwas gegen mich einzuwenden haben“ sagte er nun doch mit hörbarer Strenge. „Ich habe dich damals gegen meinen Herzenswunsch fortgeschickt, um dich zum Priester zu machen. Wenn du jetzt aufgibst, wirst du dein Leben lang Sklave sein. Willst du das?“ „Ich will nur bei Euch bleiben, ohne Euch zu gefährden. Und wenn ich hierfür Euer Sklave bin, soll es mir gleich sein.“ „Aber mir ist es nicht gleich. Ich will, dass auch du glücklich bist. Und das nicht nur mit mir, sondern auch mit deinem Leben. Du liebst das Beten und das Dienen für die Götter, das Arbeiten mit den Menschen. Es ist dein Traum, Priester zu sein und als Sklave ist es dir gar untersagt den Tempel betreten. Du darfst deinen Traum nicht aufgeben. Für niemanden. Es kann nicht deine Bestimmung sein, mir aufs Wort zu dienen. Das ist es nicht, was ich will. Ich habe nicht all die Jahre ohne dich gelitten, um jetzt alles zum Alten zurückkehren zu lassen.“ „Eure Worte sind gütig zu mir. Jedoch bedenkt, was ...“ „Ich habe bereits alles bedacht und ich will jetzt kein Wort mehr davon hören.“ Jetzt bat er nicht mehr, er befahl. Er wollte nicht, dass Seth sich aus Angst in sein altes Muster von Hörigkeit flüchtete. Er war glücklich als Priester und Sklaven hatten nicht einmal das Recht auf ein Gebet. Wer wusste, wie lange er als sein Sklave glücklich sein würde? Vielleicht ein paar Jahre, aber sein Leben sollte länger dauern! Nein, er brauchte Ausgleich in der Religion. Er sollte frei sein. Das und nichts anderes. Es durfte nicht alles vergebens gewesen sein. „Wie Ihr wünscht.“ Er senkte seinen Kopf wie zur Buße. „Ich wollte nicht gegen Euch ansprechen. Ich habe nur Angst, dass ...“ „Ich weiß, dass du Angst hast. Aber das brauchst du nicht“ versprach er und hob sein Kinn an, um ihm tief in seine wunderschönen Augen zu blicken. „Ich will die Vergangenheit auslöschen. Was du einst warst, bist du nie gewesen. Wir werden im Palast auch nicht darüber sprechen und strafen jeden Lügen, der etwas anderes behauptet. Du bist ein Priesterschüler, den ich einst förderte wie ich viele andere auch fördere. Daran ist nichts ungewöhnlich. Und du bist ein Priester, der mir empfohlen wurde und fortan im Palasttempel dienen wird. Auch daran ist nichts ungewöhnlich. Und du wirst mein offizieller Geliebter sein, so wie viele andere Könige vor mir ihre Geliebten hatten.“ „Ihr wollt mich als Euren Geliebten? Ohne Geheimhaltung?“ fragte er mit einem staunenden Blick an ihm hoch. „Eine heimliche Liebschaft wird früher oder später bekannt werden und dann gibt es Fragen. Bei Hofe wird über Affären nicht gesprochen, man hat sie einfach. Ich bin der König und niemand wird mich aufgrund meiner Liebschaften kritisieren. In Ordnung, Fatil wird das vielleicht tun, aber seine Worte sind etwas anders gewichtet“ lachte er ihn beruhigend an. „Soll ich dir sagen, dass man mir sogar schon Fragen gestellt hat, weshalb ich keine Konkubinen habe?“ „Nein! Hat man das?“ „Seth, du bist ja so niedlich unwissend. So gebildet in der Etikette und doch so naiv für das Leben bei Hofe“ lächelte er und kraulte ihm durchs Haar wie einer kleinen Katze. „Man erwartet es geradezu, dass der König Affären hat. Am Liebsten mehrere nebeneinander. Viele der späteren Pharaonen waren Geburten von Frauen, welche der König dann zur Nebenfrau nehmen musste. Sonst wäre die Königsfamilie bald ausgestorben. Mein Vater war auch von einer Nebenfrau geboren, weil die Königin, meine unleibliche Großmutter, nur Mädchen das Leben schenkte und ihn somit als ihren eigenen Sohn annehmen musste. Sonst hätte es keinen Thronfolger und Gerangel um die Machtergreifung gegeben. Ich selbst bin mit nur einer Hochzeit davongekommen, weil ich meiner Königin bereits einen Thronerben gegeben habe. Ansonsten würde man darauf bestehen, mir noch eine Zweit- oder Drittfrau zu geben. Ich denke, es wird viele kritische Münder stopfen, wenn ich endlich eine Affäre habe. Je skandalöser sie ist, desto weniger wird davon gesprochen. Und was sollte gegen die Verbindung von Krone und Religion schon einzuwenden sein?“ „Seht Ihr das wirklich so einfach? Was soll werden, wenn ich einen Fehler mache? Ich habe nicht gelernt, mich als Geliebter bei Hofe zu bewegen.“ „Dafür gibt es auch keine Regelarien, mein Seth“ heiterte er ihn auf. „Du verhältst dich einfach, wie es sich für einen Priester gebührt. Alles andere wird man uns ansehen, es wissen und hinter geschlossenen Türen ausreichend belästern. Unpassend ist es nur, sich in Gesellschaft auf die Lippen zu küssen, denn dies darf nur meine Königin, als Zeichen ihres Standes. Und meine Mutter. Aber wenn ich dich auch nur auf die Wange küsse und du viel an meiner Seite weilst, wird jeder wissen, wer wirklich in meinem Herzen ist. Also mach dir keine Gedanken. Der Hof ist nicht so streng, dass er jeden Regelbruch mit Steinigung straft. Und da ich die höchste Instanz der Gerichtsbarkeit darstelle, gibt es niemanden, der dich verurteilen könnte.“ Natürlich sah er das nicht so einfach, wie er es aussprach. Er wusste von Intrigen und Korruption bei Hofe. Seth wäre nicht der erste Geliebte, der unter Schmach und übler Nachrede zu leiden hätte. Es gab viele hohe Adlige, deren Beziehungen unter dem Druck des Regierungsstabes in die Brüche gegangen waren. Viele Nebenfrauen lebten getrennt von ihren Ehemännern oder uneheliche Kinder verschwanden von einem Tag auf den anderen. Der Palast war ein Staat im Staat und gehorchte seinen eigenen Gesetzen, welche nicht niedergeschrieben standen. Jedoch würde Seth selbst wissen, wie weit er gehen durfte. Er war intelligent und vorsichtig, beobachtete viel und hatte diplomatische Qualitäten. Das Wichtigste war vorerst, ihm den Druck der Angst zu nehmen. Sobald er ein paar Tage Zeit zum Einleben hatte, würde er sich schon zurechtfinden. Und ein Gespräch mit dem alten Fatil würde ihm Sicherheit geben, dass er hohe Männer bei sich hatte, welche ihre schützende Hand über ihn halten würden. Wenn er selbst als Priester mit gehobenem Haupt durch die heiligen Hallen wandelte, würde man sich vor ihm verbeugen. Ganz sicher. Dann würde niemand einen Sklaven in ihm sehen. Kapitel 38: Kapitel 38 ---------------------- Kapitel 38 Am späten Abend war es dann so weit. Die Pferde hatten durch den Aufenthalt am angeschwollenen Fluss neue Kräfte gewonnen, ausreichend getrunken und frisches Gras gefressen, sodass sie ihre Herren nun mit Rückenwind über die letzten Steindünen und Berge trugen. Vor ihnen breitete sich das Zentrum der Macht, der wichtigste Ort im ägyptischen Reiche aus. Der Pharaonenpalast. Gut vor den scharfen Winden geschützt, lag er zwischen steinigen Dünen am Ufer des allmächtigen Nils versteckt, welcher sich von hier aus in die grünenden Feldern der Bauern legte, die sich bis weit in die Landschaft erstreckten. Die untergehende Sonne tauchte die hellen Mauern in verliebtes Rosa und spiegelte sich an den hohen Kuppeln aus reinem Gold. Vier Türme ragten herauf und überblickten alles, zogen den Blick zuerst dorthin, bevor man den Rest ins Auge nahm. Die Tore der Stadtmauer waren noch geöffnet, auch wenn zu so fortgeschrittener Stunde kaum noch Wanderschaft hindurchkam. Allein diese Mauer war ein Wunderwerk der Architektur. Sie war hoch wie drei Männer und dick wie ein Elefant. Die Tore auf jeder Himmelsseite waren mit tiefen Verzierungen beschlagen und segneten die Einwohner der Hauptstadt, welche innerhalb und außerhalb von ihr lebten. Die kleineren Häuser lagen gemütlich ins Tal und ihre Mauer eingeschmiegt. Um alle Menschen zu fassen, so weit reichte die helle Hauptmauer nicht. So war im Laufe der Zeit eine zweite gezogen worden, welche blau und grün bestrichen war und eindeutig neuerer Zeit. Allerdings auch nicht ganz so hoch. Es war üblich, dass der Palast im Zentrum lag und daneben die Häuser der hohen Adligen. Je näher am Pharao, umso begehrter und teuer wurde Grund und Boden. So lebten innerhalb der zweiten Mauer eher normale Bürger und Bauern, welche so einen kürzeren Weg zu ihren Feldern nach außerhalb hatten. Neben dem Blickfang des Königsbaus befand sich der Prachtbau des Tempels, der selbst schien wie ein eigener Palast innerhalb des Stadtzentrums. Die blauen und grünen Töne seiner Dächer verbanden ihn mit den Bürgern außerhalb der hellen Mauer und ehrten den freundlich gesandten Fluss, der Leben für das Reich bedeutete und die Felder ringsum ernährte. Im Gegensatz zum Palast aber war der Tempel flach gehalten und eher langgezogen, um sich nicht über die königliche Herrschaft zu erheben und näher zu sein an dem Großteil der Bevölkerung. Der Palast selbst schien wie ein Gott inmitten von Menschen. Er besaß selbst eine eigene Mauer, welche aber leicht zu überspringen wäre und lediglich den Boden abgrenzte. Sein heller Stein strahlte beseelte Wärme aus, die hohen Säulen Herrschaftlichkeit und die Balkons zeigten, dass dort gelebt und repräsentiert wurde. Seit Generationen lebten hier die Herrscher des Reiches mit ihrem Stab und dem Hauptteil ihrer Familie. Aus der brennenden Wüste plötzlich der Zivilisation gegenüberzustehen, war Schock und Faszination gleichermaßen. „Das ist also Pe-Amun“ staunte einer der Räubersmänner und hielt wie alle anderen am höchsten Punkt der Steindüne sein Pferd an, ließ seinen Blick respektvoll über die pulsierende Hauptstadt gleiten. „Ja, das ist Pe-Amun. Die Stadt der Könige“ antwortete Emenas in einer herrschaftlichen Stimme und drehte sein Pferd herum, damit er frontal die ganze Gruppe ansehen konnte. Ihm war die Schönheit und die Gewaltigkeit dieses seltenen Anblicks gleich. „Und hier endet auch unser Begleitschutz. Den Rest des Weges werdet ihr sicher auch allein schaffen. Seth?“ „Natürlich“ nickte er und erwiderte seinen tonlosen Blick. Dann bedeutete es jetzt, Abschied zu nehmen. Ein wenig schwer, nach dem man so eng zusammengewesen war und immerhin vor zwei feindlich gesonnenen Räubersgruppen beschützt worden war. Die Zeit war zwar nicht lang gewesen, aber dafür intensiv. Ohne Emenas und seine Männer hätten sie den Palast wohlmöglich nicht so schadfrei erreicht. „Kann ich noch etwas für dich tun, Emenas? Für dich und deine Männer?“ fragte der Pharao ihn. „Ich möchte mich nicht verabschieden, ohne euch gedankt zu haben.“ „Nein, wir brauchen nichts von Euch“ lehnte er ab, aber andere waren da anderer Meinung. „Aber ein wenig Gold wäre doch gut“ meinte Rantep, der zahnlose Hüne zu seiner Rechten. „Oder die Pferde mit ...“ „Ich sagte, wir brauchen nichts“ fuhr er ihm über den Mund. Sein Stolz würde es nicht zulassen, etwas zum Dank anzunehmen. Erstrecht würde er sich von keinem Adligen danken lassen. „Na ja, unsere Vorräte habt ihr doch eh schon aufgebraucht“ lächelte Faari den zahnlosen Räuber an. „Außer Pferden haben wir ja nicht mehr viel.“ „Emenas.“ Sein alter Heiler, Ahmose stand neben ihm und legte ihm väterlich die Hand aufs Bein. In all der Zeit, die sie zusammengewesen waren, hatten sie gesehen, dass nur der Alte einen Rat geben konnte, den der Räuberhauptmann auch befolgte. Ein wenig schien es, als würden sie wirklich wie Vater und Sohn zueinander sein. Als würde er Respekt vor seinem Alter hegen. Und so scheute er sich auch nicht, mit seiner dünnen Stimme zu ihm zu sprechen. „Nimm die Pferde. Wir können sie gut brauchen.“ „Dann will ich auch die Zelte und alles Gepäck“ forderte er dann noch mehr. Wenn er schon forderte, dann richtig, dann alles. „Alles bis auf diese Satteltasche“ bat Seth und zeigte auf eine ganz bestimmte an einem braun gescheckten Pferd. „Bitte, Emenas. Lass uns die.“ „Deine wollte ich natürlich nicht nehmen“ nickte er. „Entschuldige.“ „Nein, das ist nicht meine“ lächelte er. „Darin sind die Geschenke für die Königin und die Kinder. Damit können deine Männer sicher nichts anfangen.“ „Ach, ein schönes Kleid für Mudiwa“ überlegte er mit Blick auf das schwarze Mädchen am Rande. „Mudiwa, möchtest du das Kleid der Königin haben?“ Aber sie schien ganz in Gedanken, blickte zum Palast und hatte ihn gar nicht gehört. „Junge Dame!“ rief er etwas strenger. „Willst du das Kleid oder nicht?“ „Was? Nein“ antwortete sie aus ihren Gedanken hochgeschreckt. „Warum machen wir Halt?“ „Weil wir uns jetzt verabschieden“ wiederholte er nochmals und stieg von seinem Pferd ab. Die Männer machten sich schon daran, die teuren Lastentiere inklusive sämtlicher Taschen an sich zu nehmen. Nur die ausgewählte Tasche wurde wahllos in den Sand geworfen und nicht geraubt. Aber besonders wertgeschätzt wurden die ausgewählten Geschenke nicht. Was interessierten sie sich für Kleider und Spielzeug, wenn sie warme Zelte und Fleisch haben konnten? Aber da Emenas abgestiegen war, stiegen auch seine Schutzbefohlenen von den Pferden. Auch wenn er ein Gesetzloser war, zollte selbst der Pharao ihm Respekt, indem er sich auf seine Höhe begab. Ja, er war sogar noch ein ganzes Stück kleiner. Während Faari die Tasche aufhob und sie zurück auf des Königs Pferd schnallte, ging der Pharao selbst zu Emenas und hielt ihm seine Hand entgegen. „Ich danke dir“ sprach er ihm friedvoll zu. „Für dein Geleit und für alles andere.“ Emenas aber nahm den Dank nicht an und schenkte ihm nur einen glänzenden Blick aus seinen dunklen Augen. Alles Gepäck und alle Pferde konnten ihn nicht für das entschädigen, was der König ihm wirklich nahm und so musste der seinen Arm unverrichteter Dinge wieder sinken lassen. „Falls du irgendwann doch nach Amnestie suchst“ bot er ihm trotzdem an, „dann bist du mir immer willkommen. Du und jeder deiner Männer.“ „Ihr solltet aufpassen, dass Euch Eure Güte nicht irgendwann zu viel kostet“ entgegnete er mit tiefer Stimme. „Lebt wohl, Pharao.“ „Danke“ lächelte er und beließ es dabei gut sein. Mehr freundliche Worte sollte er sich lieber nicht erhoffen, denn letztlich stand Emenas noch immer auf der anderen Seite. Er war ein Gesetzloser und stellte sich selbst als erklärter Feind der Krone dar. Dass er ihn überhaupt unbeschadet entließ, war mehr als genug Freundlichkeit. Und außerdem sollte er auch seinen Stolz behalten und nicht zugeben müssen, dass er sich ohne seine „Gefangenen“ sicher ein Stück einsamer fühlen würde. „Ja, hab Dank, Emenas“ sprach auch Fatil, der sich neben seinen König stellte und es aber gleich unversucht ließ, ihm die Hand zu reichen. „Trotz allem war es eine schöne Zeit mit dir und deinen Männern. Wir haben sicher alle viel hinzugelernt.“ „Vor allem, dass man nicht ohne Gefolge reisen sollte, Wüstenführer.“ Die Räuber lagen fast auf dem Boden vor Lachen und auch der Pharao und seine zwei Soldaten konnten sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. Ja, da hatte er Fatil wirklich an der Ehre gepackt. Hätte er daran gedacht, in Nove Vasaa ein paar Soldaten mehr anzuheuern, wären die Räuber ihnen gleich vom Leib geblieben. Tja, das musste er nun mal grummelnd über sich ergehen lassen und den Fehler beim nächsten Mal vermeiden. „Aber es hatte ja auch sein Gutes“ meinte Seth als Emenas zum Schluss auf ihn zutrat und in greifbarer Nähe vor ihm stand. „Es war schön, dich gesund wiederzusehen. Und auch ich danke dir für deinen Schutz. Emenas.“ „Seth ...“ Ihm gegenüber war seine Stimme anders und auch sein Blick. Im Grunde seines Herzens wollte er ihn nicht mit dem Pharao ziehen lassen, ihn nicht hergeben nach so langer Zeit des Wartens. Aber er wusste auch, dass er sich nicht zwischen ihn und sein Glück stellen durfte. Ein Platz am Hofe, immer versorgt und dazu noch glücklich verliebt - das konnte ihm ein unbequemes Leben in der Wüste nicht abspenstig machen. Die Wahl war auf den geliebten König gefallen und nicht auf einen Freund aus erinnerungsschmerzender Zeit. Sie blickten sich an und taten sich beide schwer mit dem Abschied. Wer wusste, wie viel Zeit vergehen würde bis sie sich wiedersahen? Wenn sie sich überhaupt jemals wiedertrafen. Wenn Emenas nicht eines Tages doch einer anderen Banditengruppe unterlag und aufgeknüpft oder von der Palastwache eines Tages abgegriffen und wegen seiner Verbrechen gegen die Adligen und seine Herrn verurteilt wurde. Sein Leben hier war gefährlich, aber er schlug die Möglichkeit eines neueren Lebens aus. Sein Stolz gebot ihm, die wohlwollenden Worte des Königs abzulehnen. Und dennoch würde Seth ihm fehlen. Auch wenn es fortan nichts mehr gab, was sie verband. Außer einer Vergangenheit, welche beide vergessen wollten. So standen sie voreinander und wussten keine gerechte Verabschiedung. War es ein Abschied für immer oder für einige Zeit? Wie sollte man jemanden verabschieden, mit dem man so viel gemeinsam hatte? Von jemandem, der einen verstand, wenn man nur einen bestimmten Blick auflegte? Von jemandem, der einem das Leben gerettet hatte? Jemandem, den man liebte? Ohne es wirklich zu wissen, traten sie aufeinander zu und schlossen sich in die Arme. Sich noch ein Mal spüren, bevor das Leben sie erneut in zwei entgegengesetzte Richtungen trieb. Und hierfür ließ selbst die sonst stetig lärmende Meute Ruhe einkehren. Sie wussten, wie sehr ihr Anführer an diesem Priester hing, was er ihm bedeutete. Seit Jahren hatte er allen von dem namenlosen Jungen erzählt, ihn gesucht, endlich gefunden und nun musste er ihn gehen lassen. Er konnte ihn nur noch ein letztes Mal eng an sich drücken und die letzten Erinnerungen an ihn sammeln, bevor er ihn erneut verlor. Seth warf seinem Pharao über die breite Schulter des schönen Wüstenführers einen fragenden Blick zu, den sein König mit einem gütigen Nicken beantwortete. Er konnte sich denken, was Emenas sich wünschen würde. Er hing ja schon an Seths Hals, roch seinen süßen Duft und spürte ihn an seinen schlanken Hüften. Atemu konnte es sich ausmalen, wie schrecklich es war, seinen Geliebten fortgeben zu müssen. Doch Seth entfernte sich dann nur ein kleines Stück und ihre Augen trafen sich, sahen wie in einen Spiegel. Warum nur mussten zwei so wunderbare Männer einen solchen Schmerz teilen? Und doch war es ein schöner Anblick, als sich ihre Lippen zu einem Kuss trafen. Beide waren so hoch gewachsen und so schön von Statur, dass ihr leise schmatzender Kuss anregend wirkte. Doch im Gegensatz zu Emenas, der seine Augen genüsslich geschlossen hielt und sich in den Moment fallen ließ, seine Hände leidenschaftlich in die rote Robe krallte, hielt Seth seine himmelblauen Augen einen kleinen Spalt offen. Auch er genoss die Wärme der Lippen, jedoch schlug sein Herz in eine andere Richtung. Er liebte Emenas, aber den Pharao liebte er mehr. „Ich danke dir für alles“ hauchte Seth ihm zu, als er sich selbst wieder von diesen verlangenden Lippen trennte. „Ich danke den Göttern, dich getroffen zu haben, Emenas. Mein Bruder.“ Der edle Wüstenräuber schluckte seine Abschiedstrauer laut herunter und blickte ihn dann mit schwimmenden Augen an. Aber seine Stimme war fest und seine Lippen zeigten ein gefälschtes Lächeln. „Pass auf dich auf, Seth“ sprach er mit überspielender Fröhlichkeit, verpasste ihm einen Klaps auf den Po und wand sich ab. Noch einen Moment mehr und er würde weinen. Und Tränen erlaubte er sich niemals. Stattdessen griff er sich sein Pferd, schwang sich herauf und herrschte seine Männer an. „Dann kommt. Wir schlachten uns ein Tier zur Feier.“ Natürlich erntete er dafür wildes Gejohle und hungrige Lefzen. Ein Pferd zu schlachten, war immer eine besondere Sache, denn frisches Fleisch gab es nicht oft, geschweige denn, dass es für alle reichte. Doch mit der guten Ausbeute von königlichen Tieren, würde sicher ein Stück für jeden dabei sein. Und Emenas wusste, wie er seine Männer bei Laune hielt. Feiernd und lärmend ritten die ersten Räuber bereits mit den todgeweihten Tieren die Düne herunter, um bald in der schützenden Wüste zu verschwinden. Doch er und einige andere Männer mit ihm stoppten um sich nochmals umzudrehen. Es war ihrem Anführer nicht entgangen, dass sein alter Heiler und die schwarze Tochter nicht sofort gefolgt waren. Stattdessen waren sie etwas abseits verblieben und sprachen leise miteinander. „Ahmose! Worauf wartet ihr?“ rief einer der verbleibenden Männer dann nochmals rüber. Mit einer nuschelnden, rauen Stimme. „Mudiwa! Los! Sonst kommst du wieder zu kurz und wir fressen das Pferd ohne dich!“ „Ja!“ lachte auch der daneben mit dem verfilzten Lockenhaar. „Wenn du nicht kommst, schaffst du es nie, uns Manieren beizubringen.“ „Emenas“ sprach der Alte etwas ruhiger und winkte ihn heran, worauf der auch reagierte und trotz bereits erfolgter Verabschiedung zurückkam. „Was ist denn?“ wollte er wissen und blickte von seinem hohen Pferd aus besorgt zu dem schwarzen Mädchen herunter. „Mudiwa, was ist mit dir? Fühlst du dich nicht wohl?“ „Ich ...“ Sie schaute mit ihren ölschwarzen Augen zu ihm auf und nestelte an ihrem weiten Wüstengewand. „Ich glaube ... wärest du sehr böse, wenn ich den Männern doch keine Manieren beibringen kann?“ „Damit stehst du doch eh auf verlorenem Posten“ lächelte er sie gütig an. Wie ein großer Bruder. „Ist das alles? Dann komm jetzt, bitte.“ „Nein ... ich ...“ „Was ist denn?“ Irgendwas war doch. So scheu sah sie ihn sonst nie an. Sie war frech, vorlaut und rüde. Eine echte Räuberbraut. Immerhin war sie bei diesen manierlosen Rüpeln aufgewachsen. Und nun dieses Zögern wollte nicht wirklich zu ihr passen. „Na los, frag ihn“ ermutigte Ahmose sie liebevoll. „Meinen Segen hast du. Jetzt musst du ihn noch fragen.“ „Was willst du mich fragen?“ hakte er sofort nach. „Wenn du die Pferde retten willst, könnte das schwer werden. Das weißt du.“ „Nein“ lächelte Ahmose mit feuchten Augen zu ihm auf. „Meine kleine Tochter möchte uns verlassen und als rechtschaffende Frau nach Pe-Amun gehen.“ „Wie bitte?“ „Ich ... ja, ich ... weißt du ...“ brachte sie gedrückt hervor und blickte sich zu der königlichen Truppe um, sah Penu sehnsüchtig an und dann wieder zurück zu ihrem Anführer. „Penu und ich ... er hat mich gefragt und ich ... ich möchte bei ihm bleiben. Ich will ihn heiraten.“ Jetzt sah der sonst so souveräne Emenas aber zwei Mal hin und her. Der bullige Schwertkämpfer des Königs und das schwarze Räubermädchen? Doch nicht nur er, sondern auch die Garde des Königs schien damit ziemlich überrumpelt zu sein und sah ihren Soldaten überrascht an. „Nun ja, wisst ihr ...“ versuchte er zu erklären und sein Kopf färbte sich fast so rot wie die untergehende Sonne. „Mudi, ich dachte, du willst nicht“ fragte er dann doch sichtlich verunsichert zu ihr zurück. „Doch, jetzt will ich aber“ antwortete sie ziemlich patzig. „Oder willst du mich nicht mehr heiraten? Hast du mich etwa angelogen, du Feigling?“ „Nein, nein, nein!“ beteuerte er mit winkenden Händen. „Aber ich hab den Pharao noch gar nicht gefragt!“ „Dann mach das doch!“ befahl sie ihm wie ein Waschweib. „Mach schon.“ „Ich ... äh ...“ Er guckte mit seinen kleinen Augen auf seinen ziemlich überrumpelten König und zwang sich die Worte förmlich heraus. „Majestät ... gebt Ihr Euren Segen für ... für meine Verlobung?“ „Nicht Verlobung! Hochzeit!“ verbesserte das Räubermädchen, stapfte zu ihm herüber und ließ es sich nicht nehmen, ihm einen gepfefferten Schlag auf den Hinterkopf zu verpassen. „Na los. Frag schon richtig, du Memme!“ „Ja, natürlich habt ihr meinen Segen“ prustete der Pharao und musste sogar noch mal Luft holen, um sein überraschtes Lachen neu zu füttern. Da verkam sein Schwertkämpfer zum Pantoffelheld und keiner bekam etwas mit. „Habt ihr das gewusst?“ zeigte er auf die beiden. „Nein“ lachte Fatil und klopfte Penu auf die Schulter. „Warum hast du uns denn nicht gesagt, dass du eine Geliebte hast?“ „Weil ihr nur wieder eure Scherze macht“ schimpfte er und sah warnend in die Runde. „Wir lieben uns, ja? Also Klappe halten.“ „Ist ja gut, keiner macht Scherze“ beruhigte Faari, konnte sein feixendes Grinsen jedoch kaum zurückhalten. „Aber du weißt schon, dass man auch den Brautvater fragt, bevor man die Tochter mitnimmt? Und was ist mit einer Mitgift? Hast du schon ausgehandelt?“ „Aber ich meine doch“ stotterte er und sah zurück auf den leise kichernden Pharao, der sich die Faust vor den Mund hielt. „Weil Mudi doch Amnestie braucht.“ „Die bekommt sie schon. Keine Bange“ schmunzelte Fatil als Antwort für den König. Wenn der jetzt antwortete, würde er nur wieder lachen, so rot wie er schon war. Der schien nicht nur erfreut, sondern geradezu belustigt über diese Verbindung. „Siehst du? Hab ich doch gesagt, Mäuschen“ nickte das schwarze Mädchen vollauf zufrieden und brachte den Pharao doch wieder zum lauten Lachen. Ausgerechnet der herbe Penu, die bullige Maus, der Kerl, der keine Frau bezaubern konnte, suchte sich so eine dominante Frau. Zwar war sie fast noch ein Mädchen, aber sie hatte ihn ja wohl sehr schnell im Griff. Wer es jahrelang mit Räubern aushielt, für den musste ein Soldat ja der Himmel auf Erden sein. Selbst wenn er außer Kämpfen keine große Bildung besaß. Aber die Liebe ging manchmal eben verschlungene Wege und selbst für Penu gab es noch Frauen. Selbst wenn sie schwarzhäutig und ungehobelt waren. „Du willst wirklich mit ihm gehen?“ fragte Emenas skeptisch nach. „Du weißt schon, was eine Hochzeit für dich bedeutet? Du verlierst deine Freiheit.“ „Ja. Überleg dir was Mudiwa“ meinte auch der verfilzte Räuber auf seinem schnaubenden Pferd. „Wenn du den heiratest, sperrt er dich in seinem Haus ein, macht dir ein paar Kinder und lässt dich auf dem Feld arbeiten. Bei uns geht’s dir doch besser.“ „Du hast keine Ahnung, weißt du das?“ Und sie hatte auch kein Problem damit, einen verlausten Räuber in seine Schranken zu weisen. „Erst mal arbeite ich nicht auf dem Feld, weil Penu Soldat ist und gar kein Feld hat. So. Und er sperrt mich auch nicht ein, sondern er gibt mir Geld, damit ich mir endlich mal was schönes zum Anziehen kaufen kann. Er baut mir ein Haus und ich werde viele Ziegen besitzen. Er verdient nämlich sehr viel beim Pharao. Nicht wahr, Mäuschen?“ „Na ja, weißt du ...“ „Und die Kinder?“ gab Emenas gefasst zu bedenken. „Jeder Mann will irgendwann Kinder von seiner Ehefrau haben. Meinst du, du willst das auch? Habt ihr euch darüber Gedanken gemacht?“ „Penu kriegt Kinder, wenn ICH welche will“ antwortete sie fest. „Und wenn du keine willst und er sich eine zweite Frau nimmt?“ fragte ein Räuber mit weitem, versandeten Bart. „Dann bist du abgemeldet und wirst doch zur Feldarbeit geschickt.“ „Hey! Ich will sie doch nur heiraten und nicht versklaven“ keifte Penu beschämt dazwischen. Der ganze Trubel war ihm wohl sichtlich unangenehm. Ebenso wie das Gelächter des Pharaos, der sich kaum einkriegen konnte über dieses ungleiche Paar. „Ist ja gut, Mäuschen“ beruhigte sie und tätschelte seine Hand. „Die haben doch gar keine Ahnung.“ „Und nenn mich nicht immer Mäuschen!“ „Ist gut, Mäuschen.“ Nun gut, also würden zwei neue Menschen nach der Hauptstadt ziehen. Mudiwa würde bei Penu mit Sicherheit ein ruhigeres und sicheres Leben führen. Weit fort von Mord, Geschrei und Gestank. Bei Seth würde man mehr Vorsicht walten lassen müssen. Ihn in ein geregeltes Leben bei Hofe einzugliedern, ihn dort akzeptieren zu lassen ... ... blieb zu hoffen, dass die Götter dem Pharao einen Traum und kein Nachtmahr geschickt hatten. Kapitel 39: Kapitel 39 ---------------------- Menschen, die auf Gras Wandeln III Kapitel 39 >Ob Seth wohl schon wach ist? Ob er wohl gut geschlafen hat im Tempel? Die Sonne steht schon so hoch. Ob wir es schaffen, zusammen zu mittag zu essen? Ob ich es überhaupt schaffe, heute zu essen? Hoffentlich. Seth macht so ein lustiges Gesicht, wenn er in saure Trauben beißt. Hach, wie gern würde ich ihn jetzt sehen. Hoffentlich war seine erste Nacht angenehm.< „Majestät?“ Sein Minister für Grenzbeziehungen weckte ihn aus seiner Träumerei. Der dunkelbraune, dünne Mann mit den kurzen, grauen Haaren sah ihn mit kritischen Augen an. Aber er schaute immer kritisch. Das lag daran, dass er schlecht sehen konnte, wie ihm eine Dienerin mal erzählt hatte. Trotzdem fühlte er sich schuldig. Er wusste, er sollte lieber dem lauschen, was er ihm zu sagen hatte, aber hätte sich über Nacht wirklich so viel ändern können, dass dieses zweite Treffen notwendig war? Wie auch immer, Atemu war müde. Er hatte die vorletzte Nacht in der Wüste nicht geschlafen, da sein Herz so laut gepocht hatte. Und die letzte Nacht zurück im Palast fand er auch keinen Schlaf, weil sofort hundert Männer etwas von ihm wollten. Die Beziehungen zum Reich Tschad hatten sich dramatisch verschlechtert. Trotz des kürzlich erfolgten Besuches beim König Sarh, hatte das den Tyrannen nicht milde stimmen können. An den Grenzen zu Tschad und auch zu Sudan, welches von König Sarh annektiert worden war, tobten bereits die ersten Kämpfe zwischen Bauern, die ihr Land gegen Eindringlinge verteidigten. Und auch die zwar kleinen, aber folgeschweren Überfälle auf ägyptische Dörfer und Kleinstädte mehrten sich. Das hatte der Pharao bereits während seiner Reise feststellen müssen. Das ausgebrannte Dorf mit dem leichenvergifteten Brunnen, die Sicherheitsvorkehrungen vor Nove Vasaar und die Erzählungen des Wachsoldaten dort. All das war das Werk von König Sarh, der den ägyptischen König unter Druck setzte. Tschad wollte mit Ägypten das dritte Reich an einen Grenzen unterjochen und dass der Pharao länger als geplant auf der Rückreise weilte, hatte nicht eben zur Lösung des Problems beigetragen. Und kaum war er zurück, stürmten sämtliche wichtige Männer auf ihn ein, die ihn informieren, beraten und ihm Entscheidungen abringen wollten. Sie hatten nur darauf gewartet, dass er endlich zurückkehrte. Doch der Pharao hatte weder geschlafen, noch seine Familie gesehen, noch Seth bis jetzt treffen können. Stattdessen saß er hier und musste überlegen, ob Ägypten Krieg führen sollte. Seine Heimkehr hatte er sich wahrlich anders vorgestellt. „Majestät, was gedenkt Ihr zu tun?“ Und sein Minister ließ ihm so viel Ruhe wie ein Moskitostich. „Ich werde es überdenken“ antwortete er und lehnte sich müde zurück, stützte seine Hände auf den weichen Teppich. Wie gern hätte er sich einen Moment zurückfallen lassen und die Augen geschlossen. „Dazu müsst Ihr aber noch wissen, dass ...“ „Ich weiß. Ich kann lesen“ unterbrach er ihn, bevor er wieder in einen minutenlangen Monolog verfiel. Er meinte es ja nicht böse, er wollte die Grenzen schützen. Aber er nahm keine Rücksicht darauf, dass sein Pharao derzeit nicht länger aufnahmefähig war. „Lass mir die Schriftrollen hier. Ich werde alles bis heute Abend durchlesen.“ „Wenn ich es Euch erläutere, könnt Ihr vielleicht schneller ...“ „Bashrim, lass mich ehrlich sein, ja?“ bat er und sah ihn tonlos an. „Ich bin müde und unkonzentriert. Ich möchte etwas essen, meine Familie sehen, beten und dann schlafen. Vorher kann ich weder Krieg noch Frieden schaffen. Es tut mir leid, aber ich bitte dich, jetzt zu gehen.“ „Majestät, Ihr macht Euch keine Vorstellungen, wie prekär diese Lage ist. Wir müssen möglichst schnell ...“ „Bashrim“ hob er nun einen Ton lauter seine Stimme an. „Ich werde dich heute Abend rufen lassen. Danke.“ „Mein Pharao.“ Ein wenig eingeschnappt war er wohl schon, aber er verbeugte sich noch im Sitzen, nahm seine Ledertasche an sich und sah ihn mit seinen kritischen Augen an. „Heute Abend.“ „Ja, heute Abend.“ Er beobachtete noch wie sein Minister sich auf die stacksigen Beine rappelte und aus dem Raum hetzte. Immer wichtig, wichtig, wichtig unterwegs und alles am liebsten gestern erledigt. „Und lass dich nicht von den Ratten beißen“ murmelte er ihm noch etwas mürrisch hinterher und ließ seine Augen über das Chaos auf dem Tisch gleiten. Das waren mindestens 20 Schriftrollen mit Informationen, Daten, Vorkommnissen, Vorschlägen, Namen, Finanzierung und noch mehr ermüdenden Dingen. Sicher war die politische Lage angespannt und er musste eine Entscheidung fällen. Aber nicht, wenn sein Kopf schwerer war als ein Obelisk. Würde man ihm jetzt ein Kissen zeigen, würde er wohl auf der Stelle einschlafen. „Du“ sagte er und blickte gezielt den jungen Kammerdiener an, der links in der Ecke bei der kleinen Palme stand und dahinter fast verschwand. „Hoheit“ antwortete er fromm, lief herbei, verbeugte sich und erwartete seinen Befehl. „Bring die Schriftrollen bitte in mein Arbeitszimmer.“ „Natürlich. Wie Ihr wünscht, Majestät“ antwortete er sogleich und verbeugte sich erneut. Atemu fragte sich, in welchem Alter seine Dienerschaft eigentlich der ersten Rückenschaden befiel. Bei diesem ewigen Verbeuge. Aber er wartete bis der Pharao ihn entließ oder selbst ging. Erst dann konnte er mit seiner Arbeit starten und die Rollen wegschaffen. „Und sag mir, ist die Königin zugegen?“ „Ich weiß es nicht, Hoheit. Aber ich kann ...“ „Sie weilt im Turm, wo sie die Mittagshitze im Bad abwartet“ antwortete ein anderer Diener zwar unaufgefordert, aber hilfreich, lief herbei und verbeugte sich. Manchmal senkten sie so schnell ihren Kopf, dass er sie gar nicht richtig erkennen, geschweige denn mit Namen ansprechen konnte. „Darf ich sie für Euch rufen?“ „Nein, lasst sie baden“ seufzte er und wischte sich müde über die Augen. „Aber bitte sagt ihr, dass ich sie und meine Kinder zum Essen sehen möchte. Meine Kinder sind doch im Palast, oder?“ „Natürlich, Herr. Der Prinz weilt in seiner Sprachstunde und die Prinzessin schläft bei der Amme um diese Zeit. Wann gedenkt Ihr zu essen, wenn ich dies fragen darf? Damit die Königin dann auch verfügbar ist.“ „Ich möchte erst in den Tempel“ antwortete er und stand schwergliedrig von seinem weichen Teppich auf. „Wenn ich zurückbin, könnt ihr sie rufen. Weiß sie eigentlich, dass ich gestern Abend zurückgekehrt bin?“ „Natürlich, die ganze Stadt weiß es“ lächelte er ihn begeistert an. Ja, auf den Straßen war gestern ein ziemlicher Tumult ausgebrochen. Alle haben sich gefreut, ihren König gesund zu begrüßen, hatten ihm Blumen geschenkt und ihn auf offener Straße gesegnet. Selbst die Kinder hatte man aus den Betten gerissen und auf die Straße gezerrt, damit sie ihm zuwinkten. Er war wirklich lange fort gewesen und es war schön, wenn sich sein Volk über die Rückkehr freute. Auch wenn es vor allem der jungen Mudiwa ein wenig Angst gemacht hatte. Sie war solche Menschenaufläufe nicht gewohnt. Sie war ja im Leben auch nie in einer Großstadt gewesen. Deshalb hatten sie und Penu sich auch dann recht schnell verabschiedet, als die Torwachen das Geleit übernahmen. Faari hatte ihn noch bis zum Palast begleitet und war dann ebenfalls nach Hause zu seinen Frauen geritten. Seth hatte er einem anwesenden Priester übergeben, mit der Bitte, ihn gut unterzubringen und Fatil war nach einem kurzen Abschlussgespräch ebenfalls zu seiner Familie gegangen. Nur der Pharao hatte den Fehler gemacht, einer sofortig anberaumten Konferenz zuzusagen und damit seinen Schlaf verpasst. Doch, dass die ganze Stadt von seiner Ankunft wusste, hieß noch lange nicht, dass man auch der Königin Bescheid gegeben hatte. Denn sie war in die Regierungsgeschäfte weit weniger verstrickt als seine Königin Mutter, welche aber nicht hier im Palast weilte, sondern schon seit Jahren etwas weiter südlich lebte und von dort aus die Fäden in der Hand hielt, wenn ihr Sohn nicht im Palast anwesend war. Doch über Krieg und Frieden konnte auch sie nicht entscheiden. Hierfür brauchte es den Pharao persönlich. „In Ordnung. Bittet die Königin einfach nur um ein wenig ihrer Zeit“ wies er an und wand sich zum Gehen. „Majestät! Wartet! Ich rufe Euch ein Geleit für den Tempelgang und ...“ „Danke, den finde ich gerade noch selbst“ winkte er und sah zu, dass er möglichst schnell verschwand. Mal einen Moment selbstständig ein paar Schritte gehen, bevor man auch diese kurze Zeit nutzte und ihm einen Wachmann oder schlimmer noch einen Minister an die Seite gab. Gedankenverloren lief er die weiten Prachtgänge des Palastes entlang und nahm mit Absicht nicht den direkten Weg, sondern wanderte ein wenig mehr die Treppen hinauf, um auf dem hohen Balkongang einen Blick über seine Stadt zu werfen. Wenn er wie ein Vogel auf die geschäftigen Leute in den Straßen niederblickte, fühlte er sich manchmal freier. Dann konnte er sich vorstellen, wie sie lebten, handelten, ihre Kinder rügten, ihre Wäsche aufhingen, ihre Pferde beschlugen ... dann bekam er manchmal mehr Gefühl vom Leben als nur die Fakten, die ihm zugetragen wurden. Und er konnte einen Moment davon träumen, wie es wäre einer von ihnen zu sein. Dann würde er sich mit seiner Frau keinen Termin zum Essen machen und einen endlos langen Weg zu seinem Geliebten gehen müssen, er würde seine Kinder sehen können, wann immer er wollte und sein Sohn müsste nicht schon im Alter von vier Jahren die dritte Fremdsprache lernen müssen, während andere Kinder in dieser Hitze im Waschwasser planschten. „Majestät? Braucht Ihr ein Geleit?“ „Nein. Danke für deine Aufmerksamkeit.“ Den Diener ließ er einfach stehen, wo er war. Auch wenn ihn manchmal die höfische Umschwirrung nervte, es war nur gut gemeint. Wenn ein Diener den ganzen Tag herumstand und nur darauf wartete, dass jemand vorbeikam, war er natürlich immer schnell eifrig bei der Sache. Und ein Pharao, der einsam seine Gänge beging, war natürlich etwas Verwirrendes. Leider war der Gang über die Balkonagen nicht so lang wie er ihn gern hätte, aber umso schneller würde er am Tempel sein. Für die Adligen und speziell für die Königsfamilie gab es einen Gang, der nicht über die öffentliche Straße führte, sondern unterirdisch direkt in die Haupthalle mündete. So sparte man sich nicht nur eine Menge Zeit, sondern auch ausladende Gebetsräume innerhalb des Palastes. Natürlich gab es im Palast eine Kapelle für den Pharao und seine Familie und eine für die nicht sklavischen Diener. Es weilten dort sogar ein bis zwei Priester, welche Tag und Nacht zur Verfügung standen. Aber zum Beten machte der Pharao sich gern den Weg hinüber in den Haupttempel, wo auch sein Hohepriester sich über jeden Besuch freute und ihm ein guter Freund geworden war. Vielleicht hatte er Seth sogar schon kennen gelernt. Nach einem ruhigen Gespräch würde er sicher auch eine gute Aufgabe für ihn innerhalb des königlichen Haupttempels finden. Für einen Zögling von Chaba Djedef Re gab es immer einen Platz. Aber vorher musste der Pharao ihn küssen. Bevor er das nicht getan hatte, würde er keine Ruhe finden. Er wurde ja jetzt schon ganz unruhig, wenn er diesen Tunnel entlangging. Die schönen Zeichnungen an den Wänden, tagsüber von kleinen Ritzen an der Decke von Sonnenlicht, abends von Fackeln beschienen, den reich bewebten Teppich und die teuren Goldapplikationen, welche ihm den Weg geradeaus versüßen wollten, sah er kaum noch. Zu häufig war er hier schon entlanggegangen und doch war es etwas Schönes in besonderer Art. Zwar kannte er diesen Gang in- und auswendig, aber er ging heute trotzdem noch gern hier lang. Weil es ein Stück Zuhause war. Damals hatte er sich einen Spaß gemacht und war mit seinem Bruder Fatil die Strecke gerannt, um zu sehen, wer schneller war. Die Diener mussten dabei Schiedsrichter spielen und ärgerten Fatil manchmal, wenn sie dem Prinzen den Vorzug gaben. Aber sonst hätte er ja niemals gewonnen, denn Fatil war nicht nur älter und ein Stück größer, sondern auch sportlicher als er. Genau betrachtet, war er der einzige Mensch, der ihm einen Sieg niemals geschenkt hatte. Aber ihn heute zu fragen, ob er mit ihm den Tempeltunnel entlang spurtete - die Diener würden wahrscheinlich etwas überrascht schauen. „Majestät, schön, dass Ihr gutgelaunt zurückseid“ lächelte der junge Priesterschüler in seinem typisch hellgrünen Gewand ihn an und öffnete die Tür für ihn, damit er in die Haupthalle eintreten konnte. Er hatte wohl das Lächeln auf des Pharaos Gesicht entdeckt und freute sich mit ihm. Wohl auch, weil den ganzen Tag Türdienst schieben, eher eine Strafarbeit für Schüler war. „Danke“ lächelte er ihn noch ein wenig gedankenverloren an und trat an ihm vorbei in die lange Haupthalle des Tempels. Im Gegensatz zu allem, was man erwartet hätte, war der königliche Haupttempel, obwohl der mächtigste im Reiche, auch der, welcher eher durch Bescheidenheit glänzte. Natürlich gab es eine Prachthalle für große Anlässe, aber der Hauptteil bezauberte durch seine Schlichtheit. So auch die lange Halle, deren Seiten mit grünen Pflanzen geschmückt waren und einen künstlichen Wasserlauf zierten. Die Farben von dunklem Blau und sattem Grün waren überall wiederzufinden. Ob auf den Wandzeichnungen, den Deckensprossen oder den Webteppichen. Für das Grün sorgten hier die Pflanzen, für das Blau die offene, mit Holz gestützte Decke, deren Farbe angenehm dunkler war und sich doch mit dem hellen Blau des Himmels vereinte. Es war jedes Mal schön, wieder nach Hause zu kommen. „Bitte, sag mir“ bat der Pharao und drehte sich zu dem Schüler um. „Gestern ist ein neuer Priester aus der Wüste eingetroffen.“ „Ich weiß, wen Ihr meint“ nickte er eifrig. „Er wohnt dem Unterricht der älteren Schüler bei.“ „Das wäre meine nächste Frage gewesen“ lächelte er. „Das weiß ich deshalb so genau, weil Gadjaf Nut mich eben raus- und herschickte“ gestand er etwas schuldbewusst. „Und jetzt musst du Türdienst schieben? Hast du denn etwas angestellt?“ „Ja~a“ murrte er leise und kickte einen kleinen Stein in die Halle, der ihm zu Füßen lag. „Muss ich Euch auch sagen, was?“ „Nein, musst du nicht“ lachte er. „Die Unterrichtsräume für die Älteren sind nahe den Stallungen, oder?“ „Jawohl“ bestätigte er. „Kann ich Euch Geleit geben oder jemanden rufen?“ „Danke, ich kenne mich hier aus. Verrätst du mir deinen Namen?“ „Tiba“ antwortete er verwundert. „Warum wollt Ihr denn meinen Namen wissen?“ „Nur so.“ Er musste ihm ja nicht sagen, dass er ihn irgendwie lustig fand. Eigentlich waren es meist die etwas schlechteren, vorlauten Schüler, die er ins Herz schloss. Sie sprachen nicht so fromm und höfisch, sondern frei heraus und wirkten natürlicher. Er schätzte es sehr, wenn man natürlich mit ihm sprach. Und die Namen derer, die ihn erfreuten, merkte er sich nun mal lieber. „Dann wünsche ich dir noch einen schönen Tag, Tiba.“ „Danke. Den wünsche ich Euch auch, Majestät.“ Höflich verbeugte er sich und ließ den König seiner Wege ziehen. Vielleicht war Türdienst doch nicht die schlechteste Strafe, wenn man dabei sogar einen kurzen Plausch mit dem Pharao bekam. Der ging weiter am Rande der Haupthalle entlang, nickte freundlich ein paar in hellem Grün gekleideten Jungen zu, welche sich tief vor ihm verbeugten, als er vorbeiging. Jungen in grün sah man hier reichlich. Grün war die Farbe der Schüler bis sie geweiht wurden. Danach trugen sie blaue Gewänder. Aber diese sah man seltener. Zum Einen weil viele Jungen die harte Lehrzeit bis zur Priesterweihe gar nicht durchhielten und sich vorher doch lieber einen anderen Beruf suchten, der gewinnbringender war und weniger Strebsamkeit erforderte. Viele waren ohnehin nur auf Weisung ihrer Eltern hier, denn ein Jahr Priesterlehre machte sich gut im Lebenslauf von Adligen und mit dem teuren Schulgeld finanzierte sich auch dieser Tempel zum großen Teil. Aber die Zeit bis zur Weihe schaffte nur ein kleiner Teil und der wanderte dann häufig ab in kleinere Tempel, welche interessante Aufgaben und ein gutes Auskommen boten. Denn vielen Priestern war es lieber, sie würden Leiter eines kleineren Tempels als ewig ein kleines Licht im großen Tempel zu bleiben. Außerdem konnte der Palasttempel in manchen Jahren gar nicht alle Priester fassen, welche sich weihen ließen. Wenn sich im Jahr nur zwei Priester weihen ließen, waren das meist zwei mehr als man beschäftigen konnte. Zumal auch aus anderen Tempeln einige Priester hier heimisch wurden und somit nur eine Stelle frei wurde, wenn ihr Inhaber verstarb oder abwanderte. Es bestand somit ein reger Austausch zwischen den sieben Haupttempeln und ihrem Verwaltungsgebiet, was Netzwerke und Kulturaustausch schuf. Aber der Tempel am Palast war mit Abstand der mächtigste von allen, da er direkt am Pharao saß. Und eben weil dies so war, waren die Priesterarbeiten hier sehr begehrt, zumal schwer zu bekommen. Es würde nicht einfach werden, eine Stelle für Seth zu finden, die seiner hohen Bildung gerecht wurde. Aber sein Hohepriester würde hierfür sicher eine Lösung finden, wenn der Pharao ihn darum bat. Mit dieser Zuversicht trat er in den Trakt der Lehrräume ein, wo aus den nur mit Vorhängen verschlossenen Räumen allgemeines Reden zu hören war. In einem Raum wurde gesungen, in einem anderen gesprochen und in wieder anderen war es still. Zu dieser heißen Tageszeit lernten nur die fortgeschrittenen Schüler, welche ernsthaft auf ihre Weihe hinarbeiteten und somit nicht mehr den Schutz der Jüngeren genossen. Die jungen Schüler schliefen meist oder spielten und nahmen erst in den kühleren Abendstunden ihren Unterricht wieder auf. Bei den Älteren, die es wirklich ernst meinten, sah das anders aus. Sie waren strebsam und arbeiteten auch bei großer Hitze. Als geweihtem Priester würde es ihnen da ja nicht anders gehen. „Entschuldigt? Pharao?“ Ein junger Mann sprach ihn an und hatte ihn wohl an seinem lachsfarbenen Alltagsgewand erkannt. Eine solche Farbe trug nur die Königsfamilie in ihren eigenen Hallen. Und hier jemanden umherstreifen zu sehen, der weder Grün noch Blau trug, war eh ungewöhnlich. „Ja?“ Er drehte sich zu ihm herum und erblickte einen etwas kleineren, recht fülligen Menschen mit großen Augen. Sein Gewand war noch grün, aber er schien schon älter zu sein. Sein Haar war sehr kurz rasiert, was seiner gedrungenen Art nur noch mehr Gestalt verlieh. Sicher einer der älteren Schüler. „Mein Pharao. Ich begrüße Euch“ erbrachte er und verneigte sich vor ihm, wie es sich gehörte. „Kann ich Euch behilflich sein, mein König?“ fragte er als er sich wieder erhob und respektvoll einen Schritt zurücktrat, da er merkte, dass er ihm doch aufdringlich nahe stand. So etwas gehörte sich nicht. „Ja, vielleicht kannst du das“ dankte er und setzte sein gewohntes Lächeln auf. Dieser Schüler konnte ihm seinem Seth sicher schnell weiterbringen. „Ich suche den jungen Priester, der gestern Abend angekommen ist. Ich hörte, er nimmt an der Klasse von Gadjaf Nut teil.“ „Ihr meint Seth aus dem roten Tempel“ wiederholte er. „Wusstet Ihr, dass er seinen Weihnamen zu Ehren des Amun ausgesucht hat?“ „Ich weiß. Das ist einer der Gründe, weshalb ich ihn mitgenommen habe.“ „Ach, dann kennt Ihr ihn bereits? Das spare ich mir die Erläuterungen.“ „Ja, ich kenne ihn“ lächelte er fröhlich. „Ich habe ihn auf meiner Reise getroffen und würde ihn jetzt gern sehen. Kannst du mir sagen, wo er ist?“ „Natürlich. Wenn Ihr mir folgen mögt?“ Er nickte und wies erst voraus, bevor er vorging und ihn ein Stück den Flur entlangführte. Der Pharao spürte, wie sich seine müde, genervte Stimmung augenblicklich aufhellte. Der Gedanke an Seth erfüllte ihn mit Wärme und Vorfreude. Er hatte es tatsächlich geschafft, ihn in den Palast zu bringen und wie es schien, wurde er sofortig in das Tempelleben integriert. Wenn man die viele Arbeit außen vor ließ, würden sie vielleicht ein schönes Leben haben können. Palast und Tempel lagen hier in der Hauptstadt dicht beieinander und seit sich auch ihre Herzen angenähert hatten, würde keine noch so weite Strecke sie wieder trennen können. Und je näher sie zusammen lebten, um so besser fühlte es sich an. Endlich würde vielleicht auch der Pharao einen Ausgleich zu seinem bewegten und zwangerfüllten Alltag finden. Nämlich, indem er sich für einige Zeit in den Augen seines Geliebten badete. Der ältere Schüler legte den Vorhang zur Seite und gab dem Pharao den Weg frei in den vorletzten Raum auf der rechten Seite. Der trat mit einem dankenden Nicken ein und sah vor sich eine Klasse mit etwa zehn erwachsenen Schülern in grün, welche auf ihren kleinen Teppichen saßen und vor sich Papyrus und Federkiele hielten, während sie den Ausführungen des blaugewandeten Priesters vor ihnen lauschten. Seth jedoch fiel durch sein rotes Wüstengewand sofort ins Auge. Er saß in der vordersten Reihe am Rande und folgte den Ausführungen, welche der Pharao an nur den wenigen gehörten Worten als Landwirtschaftskunde ausmachen konnte. Aber nicht nur durch sein rotes Gewand stach er heraus, sondern einfach, weil er der schönste und jüngste von allen Männern hier war. Allein wie seine grazilen Hände die Schreibfeder hielten, war eine eigene Kunst und ließ das Herz des Königs einen schmerzenden Sprung tun. „Mein Pharao.“ Sofort stoppte der lehrende Priester seine Worte und verneigte sich tief vor ihm. Ebenso wie sich die sitzenden Schüler zu ihm umdrehten und ihre Stirn noch tiefer auf den Boden senkten. Leider tat Seth dasselbe und versperrte so den Blick auf seine schönen Hände, bei denen der Pharao sich wünschte, selbst Feder zu sein. „Danke. Bitte erhebt euch“ bat er und trat einen Schritt mehr herein, ließ auch den Schüler nach ihm in den Raum kommen, während er selbst durch die Reihen schritt und zuerst den Lehrer begrüßte. Nicht jedoch, ohne dass er Seth ein kleines Lächeln zuwarf und ein ebensolches zurückbekam. Zumindest für einen hier würde der Unterricht gleich beendet sein. „Entschuldige, dass ich deinen Unterricht störe, Gadjaf“ bat der König und hielt ihm seine Hand zum Gruße hin. „Es ist uns eine Ehre, Euch begrüßen zu dürfen“ dankte er, nahm die Hand und küsste sie mit so viel Respekt, dass er seine Lippen fest auf die wohlriechende Haut drückte. „Seid willkommen Daheim, Pharao.“ „Danke.“ „Hattet Ihr eine angenehme Reise?“ fragte er und lächelte ihn erfreut an. Mit seiner Zahnlücke und den weit auseinanderliegenden Augen, fand Atemu immer, er sah ein wenig aus wie ein Fisch, zumal einem solchen auch seine längliche Statur ähnelte und ihm die Haare vor Jahren ausgegangen waren. Aber er war ein guter Lehrer und die Schüler mochten ihn. Er war ein angenehmer Gesprächspartner und dem Tempel seit Jahren treu verbunden, hatte schon so manch hoffnungslosen Fall in einen vorbildlichen Priester verwandelt. Er war mit Recht ein geschätzter Lehrer. „Nun ja, so angenehm wie Wüstenreisen eben sind“ scherzte er ausweichend. Nein, angenehm waren mehr nur die letzten zwei Tage gewesen. Alles davor wollte er kein zweites Mal erleben. Auch wenn er selten auf einer Reise so viel gelernt und so viel gewonnen hatte wie auf der letztigen. „Ich bin froh, wieder zurück zu sein.“ „Und wir sind froh, Euch gesund begrüßen zu dürfen“ lächelte er erleichtert. „Was kann ich für Euch tun, mein König? Oder schlendert Ihr mal wieder nur so durch unsere Räume?“ „Nein, dieses Mal komme ich mit Grund. Aber nichts, worüber du dich sorgen müsstest, Gadjaf“ antwortete er und tat einen Blick zur Seite, setzte ein Lächeln für seinen Liebsten auf. „Wärest du mir sehr böse, wenn ich dir Seth entführe?“ „Majestät, natürlich nicht“ erwiderte der hagere Priester freundlich. „Auch wenn uns dadurch ein interessanter Erzähler entgeht. Er wollte uns eben berichten, wie der Unterricht im roten Tempel gestaltet wird und wie er es geschafft hat, so jung schon geweiht zu werden. Wir haben seine Erzählung extra an das Unterrichtsende verlegt, damit die Schüler sich Fragen überlegen können.“ „Nun, ich denke, er wird geduldig alle Fragen auch zu einem späteren Zeitpunkt beantworten. Oder sehe, ich das falsch, mein Seth?“ zwinkerte er ihm neckisch zu. „Natürlich nicht, mein Pharao“ antwortete er und wurde ein wenig rot auf den Wangen. Wenn der König ihn vor all den Menschen hier so verführerisch anzwinkerte und flirtete, stieg in ihm das Gefühl auf, etwas Besonderes zu sein. Er war seinetwegen hier. Nur für ihn allein, um ihn persönlich abzuholen. Niemals hätte er gedacht, dass der Pharao selbst ihn so hofierte und schon am ersten Tage durchscheinen ließ, dass er ihm wohlgewogen war. „Und ich denke, die Klasse wird es mir auch nachsehen, wenn ich ihren Redner für heute so eigenmächtig fortnehme“ vermutete er und blickte in die Reihen der Schüler, welche selbst von der hohen Anwesenheit ein wenig nervös waren. Zwar sah man den Pharao häufiger im Tempel, aber so wirklich nahe kamen ihm nur die wenigsten. „Selbstverständlich. Fühlt Euch frei, mein Pharao“ bat Gadjaf Nut und lächelte ihn freundlich an. „Wir werden sicher noch Gelegenheit bekommen, uns mit ihm zu unterhalten. Vorausgesetzt, Seth mag uns nochmals besuchen.“ „Das werde ich gern tun. Danke für Eure Einladung, Gadjaf“ nickte er ebenso freundlich. Freundlichkeit wurde im Tempel sehr hoch gehalten und jeder gab sich Mühe, eine entspannte Beziehung zu jedem zu pflegen. Aber sicher war das Lächeln, welches dem Pharao geschenkt wurde, wirklich aufrichtig und mehr als bloße Höflichkeit. Der Pharao war beliebt, das hatte Seth hier schnell mitbekommen. Und wer von ihm ausgewählt wurde, kam ebenfalls in den Genuss dieser herzlichen Art. Auch wenn er es bisher nicht mutwillig erzählt hatte, wie er zum Pharao stand. Erst wollte er abwarten, wie der sich verhalten würde. „Gut. Möchtest du mir dann folgen, mein Seth?“ bat der Pharao und streckte seine Hand nach ihm aus, damit er sich erhob und zu ihm kam. „Mein Pharao.“ Er neigte kurz seinen Kopf zum Dank und griff sich dann das vor ihm liegende Papyrus und wollte es zusammenfalten. „Lasst Eure Dinge ruhig liegen“ bat der Priester. „Wir werden uns darum kümmern und sie auf Euer Zimmer bringen, Seth.“ Es wurde auch nicht gefragt, weshalb der Pharao ihn persönlich abholte. Vorschrift war nur, ihm jeden Wunsch so schnell wie möglich zu erfüllen. Und wenn Seth erst noch seine Sachen forträumte, würde der Pharao warten müssen, was nicht zu verantworten wäre. „Danke, das ist sehr freundlich von Euch.“ Also ließ er seine Dinge liegen und erhob sich, um den König gesondert zu begrüßen. Was ihn doch noch etwas vorsichtiger werden ließ. Wie genau sollte er ihm nun begegnen? Wie weit wollte der Pharao ihre Beziehung publik machen? Wie nahe durfte er ihm wirklich kommen? Es gab so viele Fehler und so wenig richtige Wege. Aber der Pharao machte es ihm leicht. Er hielt ihm seine Hand hin, Seth durfte sie greifen und in einer Verbeugung küssen. Das war durchaus angebracht. Weniger angebracht, aber im Sinne des Pharaos, war mehr. Nachdem er seinen obligatorischen Handkuss eingefordert hatte, ließ er ihn sich aufrichten, legte ihm die Hände an sich rötenden Wangen und schenkte ihm einen tiefen Blick. Er zog ihn zu sich herunter und schenkte ihm drei langsame, genießende Küsse. Den ersten auf die Stirn, den zweiten auf die linke Wange und den letzten auf die rechte. Nicht auf die Lippen, aber so dicht bei ihnen und er nahm sich so viel Zeit dafür, dass es ebenso gut ein echter Liebeskuss hätte sein können. Seth genoss es, ihn nach so vielen Stunden dicht bei sich zu spüren, aber er wagte nicht, ihn seinerseits zu berühren. Das Beste wäre es, dem Pharao alles zu überlassen und sich selbst noch etwas zurückzuhalten. Damit war jedoch nicht nur Seth, sondern auch der Klasse und dem Priester klar, welche Beziehung hier angekündigt wurde. Der Pharao wollte es also nicht geheim halten. Genau wie er es sagte. Über Affären sprach man nicht, man hatte sie einfach. Und so machte er keinen Hehl darum, was sie füreinander waren. „Darf ich dich noch etwas fragen, Gadjaf?“ bat der Pharao als er sich von seinem Priester löste und wie selbstverständlich neben ihm stand. Er zeigte weder Scham noch irgendwelche Bedenken über sein Handeln. Einen König zu kritisieren, hätte ohnehin niemand gewagt. „Ja! Ja, natürlich, mein Pharao“ antwortete er und schluckte doch hörbar. Er wusste, er durfte zu solchen Handlungen nichts sagen, aber seine Überraschung konnte er nicht vollends verbergen. „Habt Ihr noch einen Wunsch?“ „Warum trägt mein Seth noch sein rotes Gewand?“ fragte er frei heraus. „Ist er hier noch nicht anerkannt worden?“ „Entschuldigt. Wir wussten nicht, dass es Euch so wichtig ist“ bat er und verbeugte sich schnell zur Reue. „Ich werde natürlich dafür Sorge tragen, dass er noch heute hier anerkannt wird. Bis jetzt fehlte uns der Segen von Djiag Bes Anchnun oder von Ashraf Ptahti. Sie waren heute beide noch nicht erreichbar, um die Einführungsurkunde zu unterzeichnen. Aber wir ...“ „Keine Sorge. Ich wollte nur fragen“ beruhigte er mit gelassener Stimme. Wie schnell die Menschen doch nervös wurden, wenn sie fürchteten, er wäre nicht vollkommen zufrieden. „Aber darf ich fragen, warum weder Djiag noch Ashraf bei mir waren? Immerhin bin ich schon einige Stunden wieder zurück.“ „Djiag wollte Euch gestern Nacht nicht mehr stören und Euch heute Abend aufsuchen. Soweit ich weiß, hat er Euch bereits eine Nachricht in Euer Gemach legen lassen“ erklärte er doch ein sehr schwimmend. „Na ja, da bin ich ja heute auch noch nicht gewesen“ lachte er freundlich, um ihn zu beruhigen. Djiag konnte ja nicht ahnen, dass der Pharao in der letzten Nacht kein Bett gesehen hatte. „Und wo ist Ashraf?“ „Er ist auf einer Reise in den Süden. Auch über ihn wird unser Hohepriester einiges zu berichten haben. Es hängt mit den Grenzstreitigkeiten zusammen und soweit ich informiert bin, hat er Ashraf geschickt, um dort die Landpriester zu unterstützen.“ „Dann ist mit ihm ein guter Mann unterwegs“ nickte er. „Ich danke dir für deine Mühen, Gadjaf und dafür, dass du dich solange um Seth gekümmert hast. Bitte entschuldige, dass ich deinen Unterricht gestört habe.“ „Ihr seid uns immer ein willkommener Gast, Hoheit“ versicherte er und küsste erneut die königliche Hand, die ihm hingehalten wurde. „Nun, dann lasst euch nicht weiter stören“ lächelte der Pharao in die Runde der schweigenden Schüler und fasste seinen Liebsten am Arm. „Kommst du dann, mein Seth?“ „Gern, mein Pharao.“ Er hatte bis jetzt eher still neben ihm gestanden und hielt sich zurück. Nicht nur, dass er dem König nicht ins Wort fallen wollte, sondern er hatte auch einfach gelernt, sich aus solchen Gesprächen herauszuhalten. Egal ob als Sklave oder als Priester. Wenn der Pharao für ihn sprach, legte er kein Veto ein. Zumal er selbst noch unsicher war, wie er sich verhalten sollte. Der Palast und der Haupttempel hier war für ihn noch ungewohnter Boden. Da kannte sein König sich vielfach besser aus als er. Umso erleichterter seufzte er als sie schweigend nebeneinander den Weg hinaus in die Haupthalle gefunden hatten und mit der Größe des Raumes auch ein wenig Anspannung abfiel. „Sei nicht nervös, mein Seth“ beruhigte er und streichelte sanft seinen Arm. „Ich kann nicht anders. Ihr macht mich nervös, Hoheit“ lächelte er mit glänzenden Augen und blickte ihn verliebt an. „Seid Ihr sicher, dass Ihr das alles noch wollt?“ „Natürlich bin ich mir sicher. Und sobald du dich hier eingelebt hast, wirst auch du sicherer werden. Sag, hat man dich im Tempel gut aufgenommen?“ „Ja, sehr gut“ nickte er. „Noch gestern Abend hat mich der Hohepriester kurz zur Abendandacht empfangen und man hat mir ein Zimmer mit schönem Ausblick gegeben. Man behandelt mich sehr freundlich, obwohl ich fremd bin.“ „Gastfreundlichkeit ist eine bekannte Tugend unseres Haupttempels. Magst du mir dein Zimmer zeigen? Ich würde gern sehen, ob dir das blaue Gewand passt, welches man dir gibt.“ „Natürlich. Sehr gern, mein Pharao“ Er wies in die Richtung, in welche sie dann auch gemeinsam aufbrachen. Die wenigen, anwesenden Jungschüler verbeugten sich, sobald sie die beiden sahen, aber bekamen kaum mehr Notiz als ein freundliches Nicken. Ansonsten war die Halle glücklicherweise annähernd leer. „Darf ich fragen, weshalb es Euch so wichtig ist, mir mein rotes Gewand wegzunehmen?“ „Ich will es dir nicht wegnehmen“ antwortete er und konnte dieses stetig andauernde Lächeln nicht verbergen. Mit Seths Anwesenheit waren alle Leiden der letzten Zeit und die Sorgen über den drohenden Krieg wie fortgewischt. Zwar war sein Kopf von Müdigkeit ein wenig beschwert, jedoch in Seths Nähe zu sein, war alles, was er sich im Moment wünschte. Alles, was er sich so lang erträumt hatte. Und dass ließ ein Lächeln festbrennen. „Aber aus zwei Gründen möchte ich dich gern umkleiden. Der wichtigste Grund ist ein ganz abstrakter. Ich habe einfach das Gefühl, du bleibst eher, wenn du die örtliche Tempelfarbe trägst. Dass du hier heimisch wirst und dich wie Zuhause fühlst. Oder bestehst du auf rot? Darüber können wir natürlich sprechen.“ „Nein, ich bestehe nicht darauf“ lächelte auch er das Lächeln seines Herzens. Der Pharao war froh zu sehen, dass er lächelte und es so echt aussah. Ja, vielleicht könnte Seth hier tatsächlich heimisch werden. „Mit dem roten Tempel verbinden mich viele Erlebnisse und Lehren. Dort habe ich zu mir selbst gefunden, habe Heilung gefunden und Glück. Dort habe ich das erste Mal wirklich an Zukunft geglaubt und an die Güte der Menschen. Von daher hängt mein Herz schon ein wenig an dieser Farbe.“ „Du musst dich hier nicht eingliedern lassen. Du kannst auch bleiben, wenn du eine andere Tempelzugehörigkeit hast. Das ist zwar selten, dass Priester ihre Farbe nicht ablegen, aber wenn du es wünschst ...“ „Nein, das wollte ich damit nicht sagen. Entschuldigt“ bat er und griff seine warme Hand, um sie sanft zu küssen. Kein Kuss aus Respekt, ein Kuss aus Liebe mit zwei Augen, welche so hell glänzten wie die tiefe Farbe des Wüstenhimmels. „Ich wollte nur sagen, dass ich sehr dankbar bin. Ihr habt mir die Lehre im Wüstentempel möglich gemacht, habt sie finanziert und mich mit Euren Briefen unterstützt. Ihr gabt mir die Möglichkeit, ins Leben zurückzufinden. Nur deshalb hänge ich an meinem Gewand. Doch nun beginnt ein neues Leben für mich. Ein Leben an Eurer Seite. Und wenn ein neues Gewand zeigt, dass Ihr mich bei Euch behalten wollt, so werde ich es mit Ehren tragen. Die Liebe zu meinem Heimattempel geht weit. Aber die Liebe zu Euch geht weiter.“ „Dann muss ich mir darüber keine Sorgen machen? Du fühlst dich nicht entwurzelt?“ „Nein, sicher nicht. Ich möchte nun bei Euch Wurzeln schlagen. Ich trage das Gewand, welches Ihr Euch wünscht und ich werde es gern tragen.“ „Ich vertraue dir dabei“ erwiderte er nachdenklich. „Du sagst das hoffentlich nicht nur, um meinem Wunsch zu entsprechen.“ „Wenn ich einen anderen Wunsch als Euren hätte, würde ich es Euch sagen“ versprach er und drückte fest seine Hand, die er die ganze Zeit über hielt. „Bitte vertraut mir. Ich bin gehorsam Euch gegenüber, aber ich will Euch nicht hörig sein. Wenn ich etwas anders sehe, werde ich Euch zwar niemals öffentlich kritisieren, aber es in privaten Minuten äußern. Ist das in Ordnung für Euch?“ „Natürlich ist das in Ordnung. Ich danke dir, mein Seth.“ „Nein, ich danke Euch, geliebter Pharao.“ „Ja, das hört sich schön an“ schwärmte er und ließ seinen Blick an ihm hinaufglänzen. „Magst du das nochmals sagen?“ „Was? Ich danke Euch?“ „Nein“ flüsterte er verliebt. „Geliebter.“ Seth lächelte, schloss seine Augen und beugte sich während seiner großen Schritte zu ihm herab. „Mein geliebter Pharao“ flüsterte er in vertrauter Weise mit tief herabgedämpfter Stimme. „Wenn ich Euch so nennen darf.“ „Jederzeit. Wann immer du kannst“ bat er. Eine solche Ansprache war nicht anmaßend, aber zeigte einen sehr vertrauten Ton. Es steckte das Wort Geliebter darin. Wenn sie sich noch ein wenig mehr annäherten, würde sich das Zusammenleben vielleicht viel einfacher gestalten, als sie es mit Umständen erhofften. „Die Treppen hinauf“ bat Seth und stieg vor ihm eine schmale Treppe hinauf, auf welcher leider keine zwei Männer nebeneinander gehen konnten. „Hier oben bin ich nie gewesen“ stellte er da fest, als sie die Spitze erklommen hatten und sich vor einem langen, schlichten Flur wiederfanden. Auf der linken Seite befanden sich hohe, ungeschmückte Fenster, auf der rechten lagen nacheinander verschiedene Türen, welche von außen alle gleich aussahen. „Es sind die Schülerquartiere der Älteren“ erzählte Seth, der seinen König an der Hand nahm und weiter führte. „In der Kürze der Zeit fand man kein passendes Zimmer für mich. Jedoch sagte man mir, man würde bis heute Abend etwas Schöneres finden. Ich weiß nicht, wie viel schöner ein Zimmer sein kann, denn die Aussicht ist fabelhaft und ich habe ein Bett, sowie einen Arbeitstisch. Mehr brauche ich nicht.“ „Ich denke, es liegt eher daran, dass sie einen geweihten Priester nicht bei den Schülern unterbringen wollen.“ „Ach, mich stört es nicht“ meinte er. Seth war genügsam und stellte nicht viele Ansprüche. Selbst wenn er des Hohepriesters Lieblingsschüler und des Pharaos Geliebter war. Er war mit simplen Dingen zufrieden. „Viele der Schüler hier auf dem Gang sind älter als ich und entsprechend ruhig geht es hier zu. Ich fühle mich fast wie ein Kind zwischen all den gestandenen Männern.“ „Nun ja, du hast deine Weihe ja auch sehr früh bekommen“ erinnerte er sich. „Chaba hat mir erzählt, er selbst hat 15 Jahre bis zu seiner Weihe gelernt, du nur sieben. Das ist eine unglaublich kurze Zeit für einen Priester.“ „Ich hatte einen Bildungsvorsprung“ versuchte er dieses Wunder zu erklären. „Ich konnte bereits Lesen und Rechnen und hatte eine gute Allgemeinbildung. Ich habe die Jahre zuvor bereits gelernt, was andere in der Priesterschule erlernen. Nur in den wissenschaftlich religiösen Fächer musste ich ernsthaft strebsam sein. Ohne Vorbildung wäre ich auch nicht so bald fertig geworden.“ „Darüber sollten wir noch sprechen, wenn wir unter uns sind“ bat er. Das wäre wichtig. Wenn jemand Seth fragen sollte, woher er diese Vorbildung hatte, würde er in Erklärungsnot kommen. Es war wichtig, dass sie dieselbe Geschichte erzählten, denn die Wahrheit war hier mehr Hindernis als Tugend. Besser, wenn ihre kleine Lebenslüge nicht weiter auffallen würde. „Wie Ihr wünscht. Wir auch schon da.“ Seth tat eine leichte Holztür auf und ließ den Pharao in sein kleines Zimmer eintreten. Mit der schlichten Art hatte Seth wahrlich nicht untertrieben. Der Raum war recht klein und spärlich eingerichtet. Ein paar Tierfelle und Ledermatten auf einer menschengroßen Anhöhe aus Lehm diente in der einen Ecke als Schlafplatz. Gegenüber lag ein bunter Gebetsteppich mit heiligen Gegenständen und Räucherkräutern und in der dritten Ecke befand sich ein niedriger Tisch mit einem Sitzkissen. Darauf ein paar Tücher Papyrus und wenige Kerzen. Die dunkelholzige Truhe am Fenster war mit Abstand das Schönste im Raum mit ihren schillernden Bemalungen. Darin konnten die Schüler nicht nur private Dinge aufheben, sondern sich auch daraufsetzen. Alles in allem für eine Person ausreichend, jedoch mit drei Personen würde der Raum schon sehr beengt sein. Priesterschüler weilten zwar ohnehin mehr im Unterricht oder in Gesellschaftsräumen als in ihren Gemächern. Jedoch ein geweihter Priester durfte höhere Ansprüche an Privatsphäre stellen. „Als Priester steht dir wahrlich ein größerer Raum zu“ meinte er, nachdem er die karge Einrichtung erfasst hatte. „Warum? Mögt Ihr es nicht?“ „Das habe ich nicht gesagt. Ich denke nur, dass man hier auf Dauer sehr beengt und schlicht leben würde. Einem Priester sollte man einen richtigen Raum zur Entfaltung geben. Besonders dir.“ „Ihr vergesst, ich habe auch nicht viele Dinge mit mir geführt“ gab er freundlich zu bedenken. „Wenn man hier länger lebt, würde man natürlich mit der Zeit weitere Gegenstände anhäufen. Teppiche für Wände und Boden oder bemalte Matten. Vielleicht auch ein wenig Geschirr oder Kleidung. Ich denke, man kann es sich schon wohnlich machen, wenn man möchte.“ „Du bist zu bescheiden, mein Seth. Du solltest mehr fordern. Immerhin gibt es wenig, was der Pharao dir nicht gern bieten würde. Nutze deine Vorteil gern aus“ meinte er und stellte sich ans Fenster. Mit der tollen Aussicht jedoch hatte er ebenfalls nicht untertrieben. Man hatte von hier aus einen schönen Blick über den Platz, welcher mit mannshohen Statuen der Götter geschmückt war, an welchen viele Bürger vorbeikamen und Blumen, sowie Opfergaben oder Räucherwerk niederlegten. Auch konnten sie dort ein kurzes Gebet halten, wenn sie keine Zeit fanden, lang in den Tempel zu gehen. Die Kinder beschäftigten sich mit einigen zahmen Katzen am Fuße der Statue des dickbäuchigen Hapi und ihr Lachen über die Ungeschicklichkeit der Kitten schallte fröhlich über den Platz. Dahinter sah man die belebte Straße, welche die Verbindung zwischen dem Marktplatz und dem nördlichen Stadttor darstellte. Man könnte ewig hier stehen und den Menschen zusehen, wie sie ihre Waren transportierten oder sich zum Beten niederließen. Ein Platz an der Hauptstraße wäre etwas, was der Pharao sich für seinen Palast auch wünschen würde. Bei seinem interessierten Blick hinaus spürte er wie Seth hinter ihn trat und seine Arme um ihn legte. Ja, das war es, was er sich noch viel mehr wünschte. Mit ihm zusammensein. Das war es, wovon er so lang geträumt, was er sich so intensiv gewünscht hatte, dass er fast wahnsinnig wurde. Und nun hatte er ihn hier. Seinen verbotenen Göttertraum, aus welchem er nun nicht mehr erwachen wollte. Genüsslich seufzte er und lehnte sich zurück. Er schloss die Augen und genoss die warmen Lippen, welche sich feucht an seinem Hals entlangküssten. Seths Hände strichen sein Haar zur Seite und liebkosten die aufgeregt glühende Haut. Wenn sie allein waren, durften sie sich so berühren. Denn das wirklich Frivole waren nicht ein paar seichte Küsse, sondern dass aus ihren Berührungen schnell mehr werden wollte. Vielleicht würde das mit den Jahren abebben, aber nach so langer Durststrecke spürte Atemu, dass er nur noch nach ihm verlangte. Mit Körper und Seele. Er wollte, dass Seth über ihn herfiel und ihn liebte. Ihn am ganzen Körper berührte, die Erregung ihn im weckte und höher trieb bis sein Atem in Seufzen und Stöhnen überging. Bis sich sein ganzer Körper nach dieser Nähe verzehrte, die Härte in sich spürte, die Muskeln zuckten und sich wie ein Beben entluden. Er wollte Seth, seine tief erregte Stimme, seinen heißen Atem, seine schwitzende Haut, seinen festen Körper und die Kraft, mit welcher er ihn wohldosiert traktierte. Er wollte einfach träumen wie die Götter es taten. „Seth ...“ Seine Stimme war mehr nur ein Hauchen als die Hände an seinen Hüften tiefer glitten und sich sein Ohr zwischen zwei nassen Lippen wiederfand. „Geliebter“ flüsterte er ihm hinein, bevor er tief mit seiner Zunge einfuhr, seine Hände über den Stoff der drückenden Härte strichen und ihm damit ein erstes Keuchen abverlangten. „Bitte verzeiht. Eure Rückseite ist zu verführerisch“ raunte er ihm so tief ins Ohr, dass der sich erhitzende Körper von einem wohligen Schauer geschüttelt wurde. Was für eine abgrundtief erotische Stimme er doch sein Eigen nannte. „Nur meine Rückseite?“ hauchte er und streckte sich zu ihm hinauf, um die Hitze aus seinen Lungen zu blasen und die Lust ungehindert durch den Körper fließen zu lassen. Wenn Seths Hände doch nur schon unter dem Stoff wären, sein Gewand hochschieben würden und ihm mehr gäben. Aber stattdessen löste sich eine der starken Hände und strich höher an die zarte Knospe, welche seinen Fingerspitzen sofort entgegenschwoll. Ebenso wie auch seine Männlichkeit von einer zärtlichen Hand zum Schwellen angeregt wurde. „Seth“ erflehte er sich mit bettelnd zitternder Stimme. „Mehr ... bitte ... aahh wheiter ... jha ...“ „Ihr seid so süß“ raunte er und leckte die andere Seite seines Halses entlang. Seine warme Zunge brannte wie Feuer, wenn ihre Glut an die Luft geriet. „Ihr seid so süß, dass ich an Euch nippen will wie an Honig.“ „Seth, lass mich nicht warten. Ich aaaahhh!“ Er stöhnte auf, als seine Hand seine Schwellung zudrückte und sie trotz des Stoffes weit hinauf massierte. „Ich komme ... Seth! Bhitte! Aaahhh, ich komme!“ „Nicht doch. Ihr seid zu schnell.“ In der Stimme schwang ein Lächeln, als sich seine Hände lösten, die königlichen Handgelenke griffen und sie an den kalten Stein der Fensterbank legten. Er wusste, was er wollte und so gab er seinem Gönner gierig alles von sich preis. Er beugte sich ein Stück vor und drückte ihm seinen flehenden Unterleib entgegen wie ein rolliges Kätzchen seinem Kater. Egal, was er bekam. Er wollte es schnell. Und er wollte es sofort. „Nimm mich“ keuchte er als Seths großen Hände wie unschuldig die Innenseiten seiner zitternden Schenkel rieben und sich die ebenfalls harte Männlichkeit zwischen seine Pobacken drückte. Ach, wären sie doch nur unbekleidet. „Nimm mich, Seth. Jetzt.“ Ein Pochen fuhr in seinen Kopf, ließ die Welt vor seinen Augen verschwimmen. Es gab nur noch ihn, nur noch Seth. In solchen Momenten gehörte er nicht Ägypten, er gehörte nur diesem einen Traum. Das drückende Gefühl breitete sich wie süßes Gift so schnell über all seine Glieder aus und ließ ihn erneut schwer ausseufzen als Seths Zähne ihn sanft am Nacken zwickten. Er war wundervoll, aber für seinen Geschmack zu grausam, die Erregung zu groß. Er fühlte, er müsse sterben, wenn ihm nicht sofort Erfüllung geboten wurde. Seit Jahren sehnte er sich nach solchen Momenten, dass er nur die kleinsten Berührungen gierig in sich aufsaugte. Und sein durchgängig hörbarer Atem wollte ihm keine Erleichterung, geschweige denn ausreichend Luft schenken. „Geliebter“ sprach die tiefe Stimme ihm sanft ins Ohr, als eine Hand höher fuhr, über die pulsierende Härte strich und ihm doch den direkten Hautkontakt vorenthielt. „Zieh mhich aus ... Seth. Nimm mich ...“ „Entspannt Euch.“ Die zweite Hand strich langsam die glatten Oberschenkel entlang, fuhr unter den Rock des seidenen Gewandes und massierte zärtlich die Rundungen seines Pos. „Bhitte ... bhitte! Seth! Nnngh, Seth!“ Er hatte Mühe, seine Stimme zurückzuhalten und nicht aus dem Fenster hinauszustöhnen. Seine Lungen schnürten sich zu und der Druck wurde fast so unerträglich wie der Schwindel in seinem Kopf. Seine Augen sahen wie durch einen Tunnel ein verschwommenes Licht und seine Ohren hörten die Stimme seines Traumes nur noch verzerrt. „Hoheit, ist alles in Ordnung?“ Seine Hände hatten das Streicheln gestoppt und hielten ihn an den Oberarmen fest und aufrecht, dass es eigentlich wehtun müsste. Aber er spürte kaum noch etwas anderes als seinen eingeschnürten Atem. „Mhir ist ... schwindlig ...“ Seine eigene Stimme kam ihm vor wie weit entfernt und er spürte seine Beine nicht mehr. Dafür aber den kalten Schweiß auf seinem Gesicht und ein schreckliches Kribbeln, welches sich um die Nase langsam über sein ganzes Gesicht ausbreitete. „Ganz ruhig, Majestät. Ganz langsam atmen.“ War das Seths Stimme? Wenn ja, klang sie wie durch Wasser gesprochen. Er nahm verwischt wahr, wie er von seinen tauben Beinen gehoben und zum Bett getragen wurde. Dort sank er auf die weichen Tierfelle nieder und sein wabernder Blick ging an die Decke, die in ihrer Glätte nicht zu ihm sprechen wollte. Sie drehte sich einfach mit kleinen Lichtpunkten um sich selbst. Trotzdem vernahm er, wie seine Beine angehoben und etwas erhöht abgelegt wurden. Es tat gut, es fühlte sich gemütlich an und im Liegen fiel das Atmen leichter. „Majestät, hier. Trinkt einen Schluck.“ Sein Hinterkopf wurde ein Stück angehoben und ein Kelch mit kühlem Wasser an seine Lippen gelegt. Brav trank er ein paar Tropfen, drückte sie seine Kehle hinunter und erlebte ihre Kälte wie klare Morgenluft. Noch einen Schluck nahm er, bevor sein Kopf wieder abgesenkt und seine Stirn bis zu den Augen von einem feuchten Tuch bedeckt wurde. Mit der Kühle legte sich das Kribbeln in seinem Gesicht und das Rauschen in den Ohren wurde leiser. Ebenso wie ihm weniger heiß war und Seths Stimme langsam wieder Formen annahm. „Könnt Ihr mich hören? Seid Ihr ansprechbar?“ „Jha ...“ Seine Stimme klang für ihn selbst noch recht verschwommen, aber es wurde ebenso besser, wie es ihn eben überfallen hatte. Die Kühle um ihn herum war wohltuende Heilung und allmählich kehrte Gefühl in seine Glieder zurück. „Gut“ sprach Seth ihm sanft zu. „Wird es besser oder soll ich einen Heiler rufen?“ „Nein ... besser“ hauchte er und suchte mit vorsichtig seitlich neigendem Kopf nach seinen blauen Augen, als ihm das warm gewordene Tuch langsam von den Augen genommen wurde. „Sehr schön. Ihr bekommt auch langsam wieder Farbe im Gesicht.“ Die Hand auf seiner Wange flößte Wärme in sein Herz, so wie ein frisches Tuch auf seiner Stirn langsam Klarheit durch seinen Körper spülte. Und als er seinen Blick weiter zur Seite richtete, konnte er auch wieder klarer sehen. Er erkannte Seths wunderschönes Gesicht. Seine sonnengebräunte Haut, das Glänzen seines erdigen Haares, seine sinnlichen Lippen, die wohlgeformte Nase und seine unendlich leuchtenden, blauen Augen. „Und lächeln könnt Ihr auch“ seufzte er und streichelte erleichtert seine Wangenknochen entlang. „Wie fühlt Ihr Euch?“ „Besser. Wirklich“ lächelte er zurück. „Ich weiß nicht, was das war. Mir ist ganz plötzlich schwindlig geworden.“ „Das habe ich wohl bemerkt“ beruhigte er mit sanfter Stimme. „Ich dachte, Ihr fallt mir gleich auf den Boden, als Eure Beine nachgaben. Fühlt Ihr Euch wirklich besser? Soll ich nicht lieber doch einen Heiler rufen?“ „Es geht schon wieder.“ Er wollte sich aufrichten, aber er wurde gleich wieder heruntergedrückt. „Bleibt lieber noch einen Augenblick liegen. Ihr wollt den Schwindel doch kein zweites Mal herausfordern.“ „Aber da bist du so weit weg.“ Er streckte seine Hand nach ihm aus und kam doch bloß bis zu seinem Arm. Eben noch war er ihm so nahe und nun wegen eines dummen Missgeschickes scheinbar so weit fern. „Ihr seid wirklich ein Honigtöpfchen“ seufzte er und seine Augen glänzten. Er nahm den Kelch vom Boden in seine Hand und wechselte den Platz zu ihm aufs Bett, legte sich neben ihn und flößte noch ein paar Schlücke des wohltuenden Wassers in seine Kehle, während er das nasse Tuch entfernte. Erst als der Kelch geleert ward, stellte er ihn zur Seite, schob den Arm unter des Pharaos Nacken und bot ihm einen Platz zum Kuscheln. Wenn es mit der körperlichen Ekstase schon nichts wurde, war ein Moment ruhiger Geborgenheit ein heilender Ersatz. „Ach, Seth“ seufzte er und schmiegte sich an ihn. Er roch nach Rosenöl und nach Sand. Er liebte diesen Duft und die Wärme seines Körpers. Er fühlte sich so fest an, so gesund und so unendlich sinnlich. „Tut mir leid. Ich hab alles verdorben.“ „Entschuldigt Euch nicht“ bat er und küsste ihn mitten in sein zerzaustes Haar. „Habt Ihr eine Vermutung, woran Euer Schwindel liegen könnte? Vielleicht vertragt Ihr die Mittagshitze schlechter, wenn Ihr nicht ruht.“ „Ja, in der Wüste haben wir um diese Tageszeit gerastet“ erinnerte er sich. Vor allem an die gestrige Hitzepause konnte er sich rege erinnern. Und da war sein erotischer Schwindel noch etwas Angenehmes im Gegensatz zu eben. „Ich glaube, ich bin einfach unausgeruht. Sorge dich nicht.“ „Habt Ihr denn schlecht geschlafen letzte Nacht? Ist die Umstellung auf ein komfortables Nachtlager schwer gefallen?“ „Nein, um ehrlich zu sein, habe ich gar nicht geruht“ gestand er und zog nochmals Seths leichten Duft tief in seine Nase. „Gestern Abend ist sofort eine wichtige Konferenz einberufen worden und danach habe ich die ganze Nacht mit verschiedenen Ministern gesprochen. Ich bin froh, dass ich überhaupt Zeit zum Umziehen und Waschen bekommen habe.“ „Aber Majestät“ wiederholte er besorgt, erhob sich und sah ihn erschrocken mit seinen tiefen Augen an. „Dann habt Ihr nun zwei Nächte nicht geschlafen. Trotz der Strapazen in einer Wüstenreise.“ „Ich hatte einfach keine Zeit“ lächelte er entschuldigend. „Ist doch nicht so schlimm.“ „Ihr sagt nicht schlimm? Hoheit, lasst Euch von mir rügen“ tadelte er mit ernster Stimme. „Ihr müsst doch schlafen. Da ist es kein Wunder, wenn Ihr bei der geringsten körperlichen Anstrengung in Schwindel verfallt.“ „Das war keine geringe Anstrengung. Du hast mich gefoltert“ schmunzelte er. „Seid doch mal ernst.“ Er verzog beleidigt seinen Mund und tippte ihm auf die Nase wie einem kleinen Kind. Nie hatte er bemerkt, dass sein Seth so fürsorglich und besorgt sein konnte. Und so leicht zu besorgen. Und an sich selbst hatte er nie bemerkt, wie kindisch er sein konnte. Bei ihm fühlte er sich ganz anders. Irgendwie geliebter und angenommener. Er hatte nicht das Gefühl, sich zum König verstellen zu müssen oder seine Worte genau zu wählen. Er konnte einfach sprechen, wie es ihm in den Sinn kam. Er konnte sich einfach in seine Arme fallen lassen, ohne den Boden zu berühren. Bei ihm durfte er ein Mensch sein. „Sag ihn“ bat er und schmiegte sich ganz nahe an seine starke Brust. „Bitte, sag meinen Namen. Ich hab ihn so lang nicht von dir gehört.“ „Wenn ich ihn noch häufiger sage, werde ich Euch wohl doch der Verdammnis preisgeben“ sorgte er sich, aber er lächelte. Er war vielleicht einer der wenigen Menschen, die wussten, wie wertvoll ein Name war. Seinen wirklichen Wert konnte man nur erahnen, wenn man keinen mehr hatte. Ohne Namen war man kein Mensch. „Wenn in deinen Armen die Verdammnis liegt“ antwortete er und sah ihn mit liebesverschleierten Augen an, „dann will ich auf ewig verdammt sein. Mein Seth.“ „Mein Pharao ...“ „Bitte, Seth“ bat er und streichelte seine Hand, die er über seinen Bauch hinweg gegriffen hatte. „Ich gab dir einen Namen, um dich zu einem Menschen zu machen. Bitte gib du mir einen Namen und lass mich Mensch sein.“ „Es gibt nichts, was ich nicht für Euch tun würde. Aus Liebe“ flüsterte er, nickte zu ihm herab und kam seinen sich öffnenden Lippen verführerisch nahe. „Mein Atemu.“ Doch ihre Zweisamkeit wurde jäh gestört von einer Tür, die sich ohne Klopfen öffnete und einen unbekannten, grün gekleideten Priesterschüler mit langen Zöpfen hereinschickte, der mindestens so erschrocken erstarrte wie die Szene auf dem Bett innehielt. Der junge Mann sah den Pharao mit zerwühlter Kleidung und wirrem Haar unter dem neuen Priester liegen, welcher sich über ihn gebeugt einen Kuss, wenn nicht gar mehr stehlen wollte. Der Moment war denkbar schlecht gewählt. „Verzeiht, Hoheit!“ Schnell senkte er seinen Kopf und legte die mitgebrachten Dinge neben dem Türrahmen ab. Er vermied es auch, sich wieder zu erheben und hochzusehen. „Ich bringe Seths Dinge und ein Gewand. Ich wusste nicht, dass Ihr Euch zurückgezogen habt. Verzeiht. Verzeiht.“ Ohne noch seinen Freispruch abzuwarten, taumelte er rückwärts hinaus und schloss schnell die Tür hinter sich. Ihm war die Sache wohl peinlicher als jedem anderen. Der Pharao und der Priester sahen sich an und verfielen in ein überraschtes Lachen. Wie sonst hätte man dieses Problem lösen sollen, wenn nicht, gemeinsam darüber zu lachen? „Also, mein Seth“ kicherte der Pharao und atmete laut und tief durch, um zu Worten zu finden. „Ich denke, spätestens jetzt sind wir aufgeflogen. Das wird schneller die Runde machen als freier Wein.“ Doch vielleicht wäre das so auch gar nicht schlecht. Gerüchte sparten Schauspiel und Aufklärung. Bald würde die ganze Stadt vom Geliebten des Pharao wissen. Und es hoffentlich akzeptieren. Kapitel 40: Kapitel 40 ---------------------- Kapitel 40 Sie schritten die hohen Gänge des Palastes entlang und ein jeder, an dem sie vorbeigingen, neigte nicht nur seinen Kopf, sondern sah ihnen auch verstohlen hinterher. Der Pharao hatte einen blaugewandeten Priester an seiner Seite, den niemand je gesehen hatte. Es war nicht ungewöhnlich, dass er einen Priester mit sich führte, aber ungewöhnlich war es, dass er über andere Dinge als Religion mit ihm sprach. Und ungewöhnlich, dass der Priester so seltenschön war. Groß, sehr groß, kräftig von Statur wie ein Bauer, grazil in seinen Bewegungen wie eine Frau und so gebildet im Sprechen wie ein Gesellschafter. Eine wahrhaft seltene Erscheinung für einen Priester. Und der Pharao, man konnte es nicht beschreiben, hatte sich verändert. Ihn umstrahlte eine warme Aura von Glück und Ausgelassenheit, von Zufriedenheit. Eine Aura von Verliebtheit, das sah jeder. „Mein Pharao“ bat Seth als sie in die große Halle eintraten, in deren Mitte ein gedeckter Tisch umgeben von Sitzkissen lag. Er war fasziniert von der ganzen Gewaltigkeit und der Schönheit dieses Palastes und so war auch diese wunderbare Halle mit den himmelhohen Säulen zwischen den Wänden ein wahres Kunstwerk. Jedoch fragte er sich: „Weshalb laufen wir durch so viele Gänge für nur ein kurzes Essen? Wäre es nicht leichter, im Saal zu essen, den Ihr mir zeigtet?“ „Die Wege im Palast sind immer lang, mein Seth“ antwortete er mit einem verliebten Lächeln. „Morgen werden wir privat speisen. Heute möchte ich dich ein wenig herumführen und vorstellen.“ „Herumgeführt habt Ihr mich ja nun“ meinte er und ließ seine Blicke voller Respekt vor den Bauherren über die aufwändig verzierte Hallendecke gleiten, welche ihm in ihrer Feinheit beinahe sämtliche Gedanken raubte. „Aber wem wollt Ihr mich vorstellen?“ „Der Königin.“ Erschrocken ließ Seth die Decke Decke sein und wand seinen Blick unumwunden zurück auf ihn. „Der Königin? Aber darauf bin ich nicht vorbereitet!“ „Du musst dich nicht vorbereiten. Überlass alles mir“ beruhigte er und tätschelte seine Hand, bevor er sie losließ. „Aber Hoheit“ flüsterte er und beugte sich geheim zu ihm hinab. „Haltet Ihr das nicht für übereilt? Wir haben uns noch keine Geschichte ausgedacht und Eurer Königin einfach so einen Liebhaber vorzustellen ...“ „Beruhige dich und komm herein“ bat er und wies auf den Tisch. Nervös schweigend ging Seth hinter ihm her, lauschte ihren Schritten, welche auf dem glänzenden Mosaikboden hallten und beobachtete, wie der König seine Diener fortwinkte, um ungestört zu sein. „Wein oder Wasser?“ fragte er, als er selbst zu den Kelchen griff und einschenkte. „Wasser“ antwortete Seth abwesend und nahm erst zu spät war, dass unpassender Weise der Pharao ihn bewirtete, anstatt umgekehrt. Er war viel zu sehr mit dem Gedanken beschäftigt, was er der Königin sagen wollte. Immerhin war sie die mächtigste Frau im Reiche. Er wollte ihm den Kelch abnehmen, aber da war es schon zu spät. Seine Gedanken überschlugen sich. „Lass nur. Entspann dich, mein Seth“ lächelte er und lehnte sich selbst völlig sorglos auf seine Hände zurück. „Die Essen mit meiner Königin sind meist eine sehr entspannende Zeit. Sie ist eine herzliche und unkomplizierte Frau. Ihr werdet euch gut verstehen, ihr beide.“ „Aber wie soll ich mich verhalten? Gibt es Themen, über die sie besonders gern spricht? Dinge, auf die sie Wert legt?“ „Verhalte dich ganz normal. Es wird sich ergeben“ beruhigte er und beugte sich zu ihm, um ihm einen kleinen Kuss auf die Wange zu geben. „Außerdem mag sie schöne Männer und du bist unabdingbar schön.“ „Geliebter ...“ Er seufzte und lehnte sich ihm leicht entgegen, legte ihre Stirn aneinander und ließ sich in den Arm nehmen. Der Pharao spürte wie nervös er war. Doch selbst wenn er sich selbst kaum anders fühlte, war er hier für ihn verantwortlich und musste ihn stützen. Je geschickter er ihn in die höfische Gesellschaft einführte, umso leichter würde er es haben. An Seths Benehmen würde es sicher nicht scheitern, denn er hatte alles Wissen, welches man für eine gepflegte Konversation benötigte. Und die Königin stellte wahrlich nicht die größte Gefahr dar. Wirklich gefährlich konnten ihnen mehr die Menschen werden, welche im Stande nicht so hochrangig waren und von Eifersucht und Neid zerfressen wurden. Und Neid würde Seth mit Sicherheit früh genug zu spüren bekommen. Doch ganz sicher nicht von der Königin. „Meine Königin ist wirklich eine sehr liebenswerte Frau“ erzählte er, um ihn ein Stück ruhiger zu stimmen. „Sie spricht sehr natürlich und volksnah. Sie ist ein fröhliches Wesen der Götter.“ Er drückte ihn ein Stück fort und lächelte ihn an. „Anders als ich ist sie auf dem Lande groß geworden. Sie wurde geboren als die älteste Tochter einer angesehenen, adligen Kaufmannsfamilie, welche im Westen in den letzten Jahrzehnten zu großer Macht und vielen Ländereien gekommen ist. Wir wurden verheiratet, um den Westen des Landes an die Krone zu binden und Streitigkeiten vorzubeugen. Und es hat gut geklappt. Es gab keine Regierungsprobleme und ich habe in ihr eine gute Freundin gefunden.“ „Aber Majestät, bitte sagt mir“ bat er und sah ihn vorsichtig an. „Liebt sie Euch? Und Ihr? Liebt Ihr sie?“ Er hob ein kleines Lachen an und streichelte seine Wange. „Bei den Göttern, Seth. Denkst du, ich würde ihr in diesem Falle einfach so meinen Geliebten vorstellen?“ „Nein, das denke ich nicht“ entschuldigte er und fuhr sich atmend sein seidiges Haar aus der Stirn. „Bitte verzeiht. Ich bin nervös.“ „Das musst du nicht sein. Wirklich nicht. Sie ist eine wundervolle Frau, die du sicher ebenso ins Herz schließen wirst wie ich. Wir sind gute Freunde, sehr gute Freunde. Aber unsere Liebe ist rein politischer Natur.“ „Ich dachte nur ... ich kann es mir nicht vorstellen, wie man Euch nahe sein kann, ohne Euch wie wahnsinnig zu lieben. Ich könnte das nicht.“ „Ich bin einfach nicht jedermanns Geschmack. Aber danke für deine lieben Worte.“ „Ich werde euch nicht beschämen“ versprach er und richtete sich würdevoll auf. „Ihr werdet sehen. Ich werde mich gut mit der Königin anfreunden und ihr ein gepflegter, angenehmer Unterhalter sein.“ „Das wirst du sicher“ nickte er stolz. „Bei dir habe ich keine Bedenken. Da kommt sie auch schon.“ Er wies in Richtung der Tür, zu welcher Seth sich erst umdrehen musste. Er sah eine bildschöne Frau in Begleitung einiger Diener hereinkommen. Ihr rabenschwarzes Haar fiel glatt über ihre Schultern und war mit einer schmalen Krone in Form eines Ringes um die Stirn gehalten. Die Kohle um ihre schmalen Augen ließ sie einen Ton blasser wirken, obwohl sie ein tiefes Braun zierte. Ihr hellgraues Kleid war schlicht, fast formlos und schmiegte sich an ihren elegant schwingenden Körper wie Wind an einen Baum. Sie trug keine Schuhe, aber Ringe um ihre Zehen und Goldschmuck an ihren Handgelenken, sowie ein aufwändig mit Goldfedern verziertes Geschmeide am schmalen Hals. Das Volk schwärmte von einer gottgleich schönen Königin und es übertrieb nicht. Sie war eine Frau von dem Atem einer Göttin berührt und mit Schönheit reichlich gesegnet. „Wer ist der Mann bei ihr?“ fragte Seth im Flüsterton, als er sich gemeinsam mit dem Pharao von seinem Kissen erhob. Der Mann neben ihr war eindeutig kein Diener. Er war in etwa so groß wie sie, trug sein lockenschwarzes Haar zu einem leichten Zopf gebunden. Mit seiner dunkelroten Kleidung und den gelben Bestickungen wirkte er ein wenig ausländisch, zumal er keinen Rock, sondern eine weite Hose um die Beine trug. Sein kantenloses Gesicht wurde von einem Lächeln geziert, trotzdem wirkte es neben dem Glanz der Königin verschwindend. „Ich sehe, er ist hier“ murmelte der Pharao und flüsterte Seth zu. „Der Mann ist Ephrab Inasis Enkh. Ein Sohn aus reichem Hause nahe der östlichen Grenze zum Orient. Seine Familie hat viel Besitz, ist aber nicht geadelt. Er kam vor zwei Jahren in die Stadt, um Geschäftsbeziehungen aufzubauen und meine Frau zu verführen.“ „Er ist ihr Liebhaber?“ fragte er überrascht und sah ihn genauer an. Die Königin hatte also auch eine Affäre! „Ja, das ist er und ich wusste nicht, dass sie ihn heute hier hat. Wir mögen uns nicht besonders, da er sehr radikale Ansichten vertritt, die ich nicht teile, aber das wirst du selbst schnell feststellen. Wir kommen aber ihr zuliebe miteinander aus, da er in Regierungsangelegenheiten nicht involviert ist. Bis jetzt jedenfalls nicht. Abunami! Meine Liebe!“ Er breitete seine Arme aus und strahlte seine schöne Königin an, welche in einen aufgeregten Trabschritt einfiel und ihm in den Arm lief. Wie zwei lang vermisste Freunde umarmten sie sich, küssten ihre Wangen und blickten sich glücklich an. „Wie geht es dir, meine Königin?“ „Hervorragend“ strahlte sie ihn erfreut an, ihre Stimme so sanft und honigsüß, wie man es erwartete. „Und Euch, mein Gemahl? Wie habt Ihr die lange Reise überstanden? Ach, ich kann kaum sagen, wie sehr ich Euch vermisste!“ „Ich habe dich auch vermisst, Liebe“ antwortete er und drückte sie nochmals, bevor er sie losließ und sich ihrem Verehrer zuwand. Ganz der Sitte nach, grüßte nicht er ihn, sondern ließ sich ansprechen, während er ihm seine Hand darbot. „Mein Pharao.“ Der fremd orientalisch wirkende Mann nahm die gereichte Hand, verbeugte sich tief und küsste sie. „Ich freue mich über Eure gesunde Rückkehr.“ „Schön, dich zu sehen, Ephrab“ antwortete er freundlich, aber ein wenig trocken. Eher geschäftlich. Ganz anscheinend hielt er an sich, um seine kleine Abneigung nicht herauszukehren. Er war der Liebhaber seiner Frau, mehr nicht. Er nahm seine Hand zurück und drehte sich zu Seth herum, streckte seinen Arm aus, um ihn herantreten zu lassen. „Abunami, ich möchte dir einen neuen Priester vorstellen“ lächelte er und sprach viel liebevoller zu seiner Frau als zu ihrer Begleitung. „Dies ist Seth Chuanch Amun Sanacht. Ich habe ihn aus dem roten Wüstentempel auf Empfehlung von Chaba Djedef Re mitgebracht und er wird fortan meine Seite zieren.“ „Ja, eine Zier ist er wahrlich.“ Sie ließ ihren Blick wohlwollend an Seths hoher Statur hinauf und hinunter wandern und legte einen anerkennenden Gesichtsausdruck auf ihr zartes Gesicht. „Sei mir willkommen, Seth Chuanch Amun Sanacht.“ Auch sie streckte ihm zum Gruße ihre Hand entgegen und er nahm sie dankend an. „Es ist mir eine Ehre, Euch kennenlernen zu dürfen. Verehrte Königin Abunami.“ Er verbeugte sich, ging auf die Knie und hauchte einen ergebenen Kuss auf die grazile Frauenhand. Sie war wirklich zart und roch nach würzigen Ölen. Die Königin war eine wunderschöne Frau und wurde des Pharaos absolut gerecht. Eine solche Frau war dazu berufen, Königin genannt zu werden. „Hab Dank. Bitte steh auf“ bat sie und trat nahe an ihn heran, als er sich zu voller Größe erhoben hatte. Sie war so frei, an seine Unterarme zu greifen und ihm tief in die Augen zu sehen. Wie ein fasziniertes Mädchen vor einem Schmuckstück stand sie da und betrachtete ihn eingehend. „Seth, du bist wirklich wunderschön“ strahlte sie und blickte ihn unverhohlen bewundernd an. Ja, sie hatte eine Schwäche für schöne Männer. „Dieses wunderbare Haar und die Farbe deiner Augen. Bist du wirklich Ägypter?“ „Jetzt mach ihn nicht verlegen“ lachte der Pharao und erlöste ihn von seiner Frau indem er sie freundlich am Arm nahm und zurück zog. „Einen schönen Priester, den Ihr uns da bringt“ gratulierte sie ihm gut gelaunt und lachte fröhlich zurück. „Seth, du wirst dich hoffentlich gut in unserem Tempel einleben. Versprichst du mir den ersten Tanz auf dem nächsten Fest?“ „Nichts lieber als das, verehrte Königin“ antwortete er mit einem respektvoll neigenden Kopf. „Darf ich Euch ebenfalls ein Kompliment machen? Ihr seid noch viel schöner, als ich es mir vorgestellt habe. Das Volk untertreibt nicht mit seinen verehrenden Worten. Es wird mir eine Ehre sein, Euch in meine Gebete einzuschließen.“ „Du bist sehr liebenswert, Seth. Ich hoffe, wir werden uns gut anfreunden.“ „Das werdet ihr sicher“ bestärkte der Pharao und nahm ihn zum Zeichen seiner Worte an der Hand. „Abunami, bevor du es über Gerüchte erfährst. Ich möchte mit Seth zusammensein und würde mich sehr freuen, wenn du uns deinen Segen gibst. Ich weiß, es kommt etwas überraschend, was mir sehr leid tut. Aber ich habe mich in ihn verliebt und möchte ihn bei mir haben. Ich sage es dir, damit wir ehrlich vor dir stehen.“ „Ja, das ist in der Tat überraschend“ meinte sie und blickte zwischen den beiden ein paar Mal hin und her. „Ein Mann? Mein Gemahl, ich wusste nicht, dass Ihr Männern so zugeneigt seid. Ihr sagtet niemals etwas derartiges.“ „Ich neige weder zu Frauen noch zu Männern, Liebste. Aber Seth ist in meinem Herzen und ich hoffe, dass er hier auch deine Freundschaft genießen darf.“ „Und das, wo der Gott Seth doch Eure liebste Gottheit ist.“ Sie fand ihr Lächeln wieder und nickte ihm bejahend zu. „Aber wenn Ihr es Euch so wünscht, werde ich dem gern entsprechen. Zugegeben, bei einem so schönen Mann wäre ich auch schwach geworden.“ „Zu spät, der ist nun vergeben“ lachte er. „Na, da seid Euch nicht so sicher. Die Waffen der Frauen hat noch kein König übertrumpft.“ „Du machst mir Angst, Abunami.“ Das Königspaar lachte ganz herzlich, während die beiden Liebhaber eher gezwungen freundlich einstimmten. Seth war die große Bewunderung der Königin ein wenig peinlich und Ephrab schien ein wenig eifersüchtig zu werden, dass seine Geliebte so positiv über einen fremden Mann sprach. Jedenfalls ließ er seinen Blick eher kritisch, wie zufällig über Seths hochgewachsenen Körper wandern und schien sich innerlich mit ihm zu vergleichen, was seinen Augen ein kleines Blitzen verlieh. „Nun schau doch nicht so gequält“ klopfte sie ihm da aber auch schon auf die Schulter und zwinkerte ihm zu. „Begrüße unseren neuen Priester, Ephrab.“ „Ich grüße Euch, Seth Chuanch Amun Sanacht.“ Seine Stimme war kräftig und klar und zeigte, dass seine Verbeugung eher aus Standesgründen erfolgte. Er schien ein etwas mürrischer Mensch zu sein, das hörte man an seiner Stimme. Aber vielleicht war er zur Königin auch einfach anders als zu Männern. Trotzdem verneigte er sich so tief wie nötig und küsste Seths Hand, als er sie ihm hinhielt. Immerhin hatte er als Priester auch eine gewisse Stellung und musste ehrbar begrüßt werden. „Mögen die Götter dich segnen, Ephrap, und dir ein langes Leben schenken“ sprach er und ließ ihn hochkommen. „Ich danke Euch, Seth“ nickte er und damit war das auch für ihn erledigt. „So, Männer. Und nun lasst uns sitzen und essen.“ „Nach dir, Liebste“ bat der Pharao und reichte ihr höflich die Hand, um ihr beim Setzen zu helfen. Neben ihr nahm ganz selbstverständlich ihre Affäre Platz, während sich der Pharao mit seinem Priester auf der anderen Seite niederließ. „Und nun erzählt“ zwinkerte sie ihrem Gemahl zu und griff sich einen großen Bund Trauben, den sie genüsslich zu den Lippen führte, während der Pharao die Diener mit den Gaben heranwinkte. „Wie habt Ihr so einen schönen Mann inmitten der Wüste gefunden? Verratet mir Euer Geheimnis.“ „Das ist kein Geheimnis, Liebe. Das ist Glück“ lachte er und nahm sich selbst ein Stück Brot aus dem Korb, den man ihm hinhielt. „Wir sind auf dem Rückweg aus Tschad in ein paar Sandstürme geraten und mussten einen Umweg machen. Zufällig sind wir zum Festtage des Imhotep in der Nähe des Haupttempels gewesen und haben beschlossen, dort ein wenig Rast einzulegen und unsere Vorräte aufzufüllen. Seth feierte an diesem Tag seine Weihe und da sah ich ihn. Ich sah ihn und es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe ihn gefragt, ob er mit mir kommen möchte, zumal Chaba ihn empfohlen hat. Erst hat er ein wenig gezögert, ist mir dann aber doch gefolgt. Und nun sind wir hier.“ „Dann hat er Eure Liebe sofortig erwidert? Ach, wie romantisch.“ „Nein, nicht sofort“ musste er eingestehen. „Erst haben wir ein wenig Zeit miteinander verbracht. Seth war da nicht ganz so schnell wie ich. Aber als wir kurz vor dem Palast am überschwemmten Nil entlangkamen und des Abends gemeinsam am Ufer saßen, da hat es ihn wohl überkommen. Das ist nun erst zwei Tage her.“ „Zwei Tage. So frisch noch“ lächelte sie und sah Seth herzlich an. „Ich hoffe, du weißt, worauf du dich einlässt. Mein Gemahl hat einige sehr merkwürdige Angewohnheiten.“ „Ach ja?“ lachte er und lehnte sich gespannt zu ihr herüber. „Wollt Ihr mir verraten, welche das sind?“ „Mal davon abgesehen, dass er leidenschaftlich viel und ausdauernd im Palastgarten arbeitet“ überlegte sie und schmunzelte ihn dann dick an. „Er ist auch sehr leicht erregbar, wenn man ihn an den Ohren küsst.“ „Abunami, nicht bei Tisch.“ Der Pharao wurde ganz rot und reichte ihr die Platte mit dem gedünsteten Gemüse. „Iss, sonst wirst du noch dünner.“ „Ha ha ha.“ Sie hatte eine wunderbar helle Stimme und nahm ihm die Speisen ab, reichte sie aber gleich an Ephrap weiter, während sie sich selbst erst von einem Diener den Kelch füllen ließ. „Und sagt, habt Ihr mir etwas von Eurer Reise mitgebracht, Lieber?“ „Natürlich, Liebste. Es wird dir sicher gefallen“ erwiderte er. Daran hatte er glücklicherweise noch gedacht, um sie zufrieden zu stellen. „Möchtest du es jetzt haben oder nach dem Mahl?“ „Gern jetzt. Aber erst muss ich mal bestaunen, was Seth da tut.“ Sie lehnte sich über den Tisch und beobachtete genau seine Hände. Er hatte sich einen spitzen Stab aus Metall und ein langes Messer genommen und schnitt ein großes Stück Fleisch aus dem gereichten Braten. „Schneidest du dir dein Fleisch immer selbst?“ „Warum? Ist es Euch nicht recht?“ „Lasst das die Diener machen“ meinte Ephrap abgeklärt. „Dazu sind sie doch da.“ „Verzeiht, das habe ich nicht gewusst.“ „Das stellte man vor einigen Jahren am Hofe ein, sich selbst das Fleisch zu schneiden, da sich einige ungeschickte Gäste am Messer verletzt haben“ erklärte der Pharao. „Aber Seth ist noch ein Mann der traditionellen Etikette.“ „Dann werdet Ihr Euch hier umgewöhnen müssen“ warf Ephrap ein. „Wenn Ihr mögt, werde ich Euch eine Zofe senden, welche Euch gern die Neuerungen der höfischen Etikette näher bringen wird, die anscheinend noch nicht bis in die Wüste vorgedrungen sind.“ „Ach, das ist doch so viel schneller erklärt“ meinte die Königin. „Es ist nur das Schneiden des Bratens und dass der Teller für den Abfall neben dem Tisch gelagert wird, anstatt darauf. Mehr gibt es da nicht. Dafür braucht Seth keine Zofe und die Priester im roten Tempel sind für ihre gute Erziehung bekannt.“ Aber dann strahlte sie Seth an und senkte verführerisch ihren Blick. „Ich würde es aber gern mal versuchen, ein Stück abzuschneiden. Zeigst du es mir?“ „Abunami“ echauffierte sich ihr Geliebter. „Du weißt doch, dass du das nicht tun solltest. Wenn du dich verletzt!“ „Das sehe ich aber auch so“ lächelte der Pharao. „Bei dir sieht der Braten hinterher immer aus wie ein Kriegsfeld. Zu schneidest nicht, du rupfst, meine Liebe.“ „Nicht nur deshalb. Es ist einer Frau von deinem Stande unzierlich, Fleisch zu schneiden.“ „So ein Papperlapapp“ schnippte sie und stemmte die Hände in die Hüften. „Die Frauen im Volke schneiden auch ständig ihr Fleisch selbst, Ephrap. Und Euch, mein Gemahl, lasst Euch sagen, dass auch ich noch lernfähig bin. Bei schönen Männern lernt es sich leichter.“ „Aaaaaahhhhh, sind wir etwa nicht schön?“ schimpfte der Pharao scherzend heraus. „Schön ja, aber nicht so elegant wie Seth“ meinte sie und zwinkerte den an. „Zeigst du mir, wie du den Braten schneidest?“ „Ihr macht mich verlegen, Majestät.“ Trotzdem erhob er sich und setzte sich zur ihr neben ihr Kissen, wo sie sich auch sofort an seinen Arm schmiegte wie ein junges Kätzchen. „Nicht schmusen. Hier, macht selbst“ forderte er sie freundlich auf und hielt ihr höflich das lange Messer hin. Dass er sie dabei leicht umarmte, schien ihrem Gefährten dabei in den Augen zu stechen, so tief wie er langsam den Atem einzog. „Ich?!“ Die Majestät war entzückt. Sofort griff sie ihm das Besteck aus der Hand und machte sich an dem Braten zu schaffen. Sie spießte den Stab hinein, um ihn festzuhalten und begann mit kräftiger Hand zu schneiden. Der geschockte Blick ihres Geliebten und das Kichern ihres Gemahls schien ihr entweder zu entgehen oder sie beachtete es nicht weiter. Doch so wirklich wollte es nicht klappen. Sie säbelte und schnitt und rupfte, doch ein anständiges Stück bekam sie nicht aus dem dicken Brocken von Tier, welches den beiden Dienern, die ihr das Opfer hinhielten, langsam lange Arme machte. „Gleich hab ich’s“ knirschte sie entschlossen mit den Zähnen. Die Königin und ihr ewiger Kampf mit dem Braten. Der König hatte Recht. Sie war eine sehr natürliche und unkomplizierte Frau. „Darf ich Euch helfen?“ bot Seth freundlich an. Er griff respektvoll an ihre sanften Hände und erlöste das tote Tier von noch mehr Qualen. „Schaut her, Majestät. Hier, wo ihr schneidet, befindet sich der Rückenknochen. Da könnt ihr lange sägen bis Ihr den durchtrennt habt. Besser, Ihr schabt das Fleisch in länglichen Stücken ab. So.“ Er führte ihre Hände mit ganz viel Sanftheit und verwunderte sie damit, wie leicht das ging. Stück für Stück trennte sich ein saftiges Teil nach dem anderen vom Knochen ab und fiel auf die Platte. „Und ich dachte, es läge am stumpfen Messer.“ „Nein, das Messer ist scharf. Nur der Knochen ist sehr hart. Ihr müsst Euch vorstellen, das Tier wird meist mit dem Bauch nach unten gelegt. So könnt Ihr Euch denken, wo die Knochen sind.“ „Ah! Ach so!“ Sie leuchtete ihn an und zeigte ihr glücklichstes Lächeln. „Jetzt weiß ich! Das hat mir nie jemand erklärt!“ „Es geziemt sich ja auch nicht für eine Königin, Fleisch zu schneiden“ meinte Ephrap ernst. „Abunami, lasst mich das doch für Euch tun.“ „Nein, nicht doch. Man weiß doch nie, in welche Situationen man mal kommt. Vielleicht ist mir das irgendwann nützliches Wissen. Zum Beispiel, wenn ich zu einem Landherren eingeladen werde. Dann kann ich ihn beeindrucken.“ „Das könnt Ihr sicher, Hoheit“ nickte Seth und ließ zufrieden ihre Hände los. „Ich glaube, die Gazellen müssen sich in Zukunft vor Euch in Acht nehmen.“ „Solange sie schon tot sind zumindest“ meinte sie. „Die Jagd ist nichts für mich. Ich mag Fleisch, aber nur, wenn es schon zubereitet ist. Sag, Seth. Hast du schon mal gejagt?“ „Gejagt nicht, aber Tiere ausgesucht und zubereitet. Ich denke, mein Gansbraten ist recht genießbar. Und Ihr?“ „Was für eine Frage“ schlug Ephrap dazwischen. „Priester, ich bitte Euch. Eine Tochter aus gutem Hause bereitet doch keine Speisen zu.“ „Aber zugesehen habe ich schon“ erzählte sie frei heraus. „Als ich noch bei meiner Familie liebte, hatten wir eine Sklavin. Die dicke Ashka haben wir sie genannt und sie war immer sehr lieb. Wie eine zweite Mutter haben meine Schwester und ich sie empfunden. Obwohl sie nur eine Sklavin aus dem Süden war, hat sie für uns erstaunliche Dinge getan. Ich durfte ihr oft in der Küche Gesellschaft leisten und sie hat mir das Kochen erklärt. Leider hat mein Vater mir Sklavenarbeit verboten, aber ich fand es schön, mit ihr zusammenzusitzen und mir alles erklären zu lassen. Sie hat viel gelacht und manchmal aus den Früchten lustige Tiere geschnitzt. Aber so fingerfertig bin ich nicht. Leider.“ „Jeder hat andere Talente“ meinte Seth. „Und wenn ihr da noch mehr Fleisch abschneidet, könnt Ihr die ganze Kompanie versorgen.“ „Oh!“ Da war sie so ins Reden gekommen und hatte sicher schon die Hälfte des Bratens in längliche Stücke zerteilt, so eifrig war sie dabei. „Ach je!“ lachte sie und legte das Besteckt hin. Wohl auch zur Erleichterung der Diener, welche noch immer die schwere Platte hinabhielten. „Nun, Männer. Möchte jemand ein Stück Fleisch? Ephrap, du vielleicht?“ „Natürlich. Dann lasst sehen, was Ihr da bei dem armen Tier verursacht habt.“ „Sei nicht immer so gemein.“ Sie haute ihm lachend auf den Arm und nahm sich selbst noch ein kleines Stück Braten, bevor die Diener dann um den Tisch wanderten und auch den anderen etwas anboten. „So, jetzt bin ich aber bereit“ beschloss sie und schenkte ihrem Gemahl einen funkelnden Blick. „Was habt Ihr mir mitgebracht?“ „Eine Überraschung.“ Er gab einem der Kammerdiener den Wink, dass er jetzt die Geschenke zu überreichen wünschte. Dieser griff neben sich unter ein Tuch und trug dann ein in gelben Stoff gewickeltes Päckchen herüber, kniete nieder und reichte es dem Pharao. „Für dich, Liebes.“ Er nahm das Geschenk und überreichte es ihr über den Tisch hinweg aus eigenen Händen. „Dankeschön.“ Sie nahm es sofort, rutschte ein Stück zurück und wickelte voller Spannung den Stoff ab. Sie liebte Geschenke! Zum Vorschein kam das hellgraue Kleid, welches er auf dem Markt in Nove Vasaa zum überteuerten Preis erfeilscht hatte. Die grünen Steinchen auf den Brustbestickungen und die Verzierungen des Saumes aus Gold und Silber wurden ausgiebig befühlt. Dann stand sie auf, hielt das lange, schulterfreie Kleid vor sich, drehte es, ließ es lang herunterfallen und legte es sich dann freudig über den Arm. „Es ist wirklich schön, mein König.“ „Ich wusste, dass es dir gefällt“ lächelte er und nahm sie in den Arm als sie sich zum Dank neben ihn kniete und ihm einen Kuss auf die Wange schmatzte. „Das Kleid ist wunderbar. Ich freue mich schon darauf, es bei nächster Gelegenheit zu tragen. Wo habt Ihr es erstanden?“ „Wir haben auf unserer Reise einen Aufenthalt in Nove Vasaa gehabt. Das ist eine kleine Händlerstadt, die langsam heranwächst, da dort leicht Wasser zu schöpfen ist und die Handelsstraße nicht fern liegt.“ „Dann kommt das Kleid sicher von weit her“ schätzte sie und legte es behutsam zusammen. „Wenn es aus einer Händlerstadt kommt. Habt Ihr gefragt, wie weit es gereist ist?“ „Nein, leider nicht. Aber der Händler hatte viele schöne Waren. Ich denke, es wurde von Reisenden mitgebracht. Diese grünen Smaragde sind im Orient sehr begehrt bei den Frauen. Ich denke, es ist wohl orientalisch. Was meinst du, Ephrap?“ „In der Tat. Es könnte aus dem Osten stammen“ nickte er skeptisch. Er stammte zwar selbst aus orientalischen Landen, jedoch schien er sich für Damenmode nicht besonders ereifern zu können. „Auf jeden Fall ist es sehr schön“ lächelte sie ihn lieb an. „Habt Dank, mein Gemahl.“ „Für die Kinder habe ich auch etwas mitgebracht. Weißt du, wo sie sind? Ich hatte gebeten, sie mitzubringen.“ „Der Prinz schließt erst noch seine Sprachstunde ab“ antwortete sie. „Und Piatra schläft bei ihrer Amme. Ich wollte sie nicht wecken, aber ich bat darum, sie zu bringen, wenn sie erwacht. Ugani?“ Sie drehte sich herum und sprach zu einer klein gewachsenen Dienerin, welche sich ihr Kleid etwas sehr eng um ihren korpulenten Körper gewickelt hatte. „Sieh doch bitte nach, ob die Prinzessin wach ist und bring sie uns dann, ja?“ „Wie Ihr wünscht, Majestät.“ Sie verneigte sich und verschwand dann durch den Vorhang hinter sich. „Wie geht es den Kindern denn? Sind sie gesund?“ wollte Atemu wissen und nippte an seinem Kelch. „Es geht ihnen sehr gut“ antwortete sie und hielt sich weiter daran, ihre saftigen Trauben zu naschen bis der Braten sich abgekühlt hatte. „Piatra hat vor einiger Zeit gehen gelernt und fragt aufgeweckt nach allem, was sie sieht. Ihre wachsenden Zähnchen lassen sie nachts unruhig schlafen, jedoch wird sich das geben, meinten die Ammen. Wenn sie allzu arg weint, schläft sie bei mir im Bett und dann beruhigt sie sich meist. Sie ist wirklich ein Sonnenschein.“ „Und unser Sohn?“ Es stimmte ihn traurig, dass er seinen Namen nicht nennen durfte. Erst wenn ein Pharao gestorben war, durfte man seinen Namen aussprechen und bis dahin hörte er ihn nie selbst. Aber er hatte sich vorgenommen, das zu ändern. Dafür brauchte er allerdings die Zustimmung der Königin, des Hohepriesters und des Ministerrates. Das würde er dann in den nächsten Tagen in Angriff nehmen, sobald er sich um den drohenden Krieg gekümmert und irgendwann vielleicht auch mal geschlafen hatte. „Er ist sehr gelehrig und fromm. Du kennst ihn“ erzählte sie weiter. „Er lernt fleißig und besonders die Gebetszeiten im Tempel genießt er sehr. Ich denke aber, das liegt daran, dass wir ihn danach eine Weile mit den dortigen Schülern spielen lassen.“ „Ja? Spielt er?“ fragte er erfreut nach. „Er war doch so schüchtern.“ „Das ist er noch immer, aber ich habe mich durchgesetzt. Seine Lehrer waren der Ansicht, er müsse mehr Sport treiben, um seinen Stolz zu stärken und gesünder essen, um mehr Energie zu bekommen. Ich aber habe befohlen, dass er täglich eine Spielzeit haben soll, die er frei verbringen darf. Seitdem er diese Zeiten bekommt, hat er mehr Energie und ist strebsamer. Auch gesünder, er hat beim Spielen in der Sonne eine ganz dunkle Haut bekommen. Ich denke, es war die richtige Entscheidung, auch wenn sich viele dagegen ausgesprochen haben. Ich hoffe, ich habe dies in Eurem Sinne entschieden.“ „Hast du“ nickte er. „Ich weiß um deine Qualitäten als Mutter. Ich habe den Zeitplan des Prinzen ohnehin für sehr strikt gehalten und bin froh, wenn du ihn etwas lockerst.“ „Jedoch solltest du vielleicht mehr Zeit auf deine königlichen Pflichten verwenden“ meinte Ephrap freundlich zu ihr und sah dann den König an. „Abunami sagt in letzter Zeit vermehrt Empfänge und Besuche ab und kümmert sich nur noch um die Erziehung der Kinder. Ich denke, sie sollte mehr Wert auf ihre Pflichten legen und die Erziehung den Ammen und Lehrern überlassen. So war es seit je her.“ „Du sprichst wie meine Mutter“ erwiderte Atemu trocken. „Ich finde es lobenswert, dass die Königin sich liebevoll für ihre Kinder einsetzt. Wir haben es so besprochen, dass sie an erster Stelle Mutter ist und sich aus der Politik heraushält. Für die Bildung des Thronerben trage ich persönlich Sorge, aber für die persönliche Entwicklung ist die Mutter unabdingbar. Ich möchte nicht, dass meine Kinder ohne elterliche Wärme und soziale Erfahrungen aufwachsen. Wie soll mein Sohn einst ein Volk führen, wenn er nur sich selbst und die Schriftrollen kennt?“ „Ich sehe das genauso“ meinte auch die Königin. „Ich habe keine Kinder geboren, um sie mir dann wegnehmen zu lassen. Weißt du, Seth“ erzählte sie ihm vertrauensvoll. „Mein Gemahl hat sich mit der Königin Mutter zerstritten. Als sie noch hier im Palast lebte, hat sie den Prinzen an sich genommen und ihn mir in jeder Hinsicht vorenthalten. Deshalb hat der Pharao ein Machtwort gesprochen und sie nicht am Gehen gehindert.“ Sie warf einen Seitenblick auf ihren Gemahl, der ganz eindeutig nichts anderes als Zuwendung ausdrückte. „Ich bin ihm noch heute dankbar dafür, dass er sich gegen seine Mutter und für mich ausgesprochen hat. Seit sie fort ist, bin ich selbst erst wirklich eine Mutter.“ „Ich kann schon verstehen, dass die Königin Mutter darüber erzürnt ist“ antwortete Seth mit ruhiger Stimme. „Es war seither Gang und Gebe, dass die Großeltern den Thronfolger erziehen und der regierende Pharao seine Kräfte auf die Amtsgeschäfte konzentriert.“ „Ein wahres Wort, Priester“ stimmte auch Ephrap mit ein. „Ich denke, die alten Traditionen werden zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Man sollte sie mehr bewahren, um auch für nachfolgende Generationen die Ordnung zu erhalten.“ „Nein, so war meine Aussage nicht gemeint“ erwiderte Seth. „Ich wollte sagen, ich kann es verstehen, dass die Königin Mutter sich dadurch beleidigt fühlt. Dennoch denke ich, dass der amtierende Pharao bereits viele gute Neuerungen eingeführt hat, die dem Reiche zum Vorteil dienen. Es wäre allerdings alles vergebens erarbeitet, wenn der Sohn daraufhin die Politik des Großvaters wieder aufnehmen würde. Damit ginge eine ganze Regentschaft der Sinnlosigkeit entgegen.“ „Darüber sollten wir hier jetzt nicht sprechen. Ich wollte Seth nur ins Bilde setzen“ lächelte Abunami, die sich in der Rolle der Mutter demnach wohl ausgefüllter fühlte als durch Königspflichten. „Mein Gemahl und Ephrap sind in politischen Dingen häufig unterschiedlicher Meinung. Deshalb wird beim Speisen über Politik nicht gesprochen. Streiten können die beiden sich, wenn ich ihnen den Rücken zukehre.“ „Wir Ihr wünscht, Majestät“ nickte er folgsam. Wenn dies denn so war, wollte er sich auch daran halten. „Nun, Seth. Erzählt uns doch ein wenig von Euch“ bat Ephrap und füllte seinen Teller erneut mit Brot und Früchten. „Wie seid Ihr dazu gekommen, Priester zu werden? Ihr scheint mir noch sehr jung. Darf ich fragen, wie alt Ihr seid?“ „Im Sommer fülle ich drei Jahrzehnte“ antwortete er. „Das ist jung für einen geweihten Priester. Jedenfalls denke ich, Ihr seid geweiht, da Ihr das blaue Gewand tragt.“ „Du musst auch zuhören“ ärgerte die Königin ihn. „Der Pharao hat doch erzählt, Seth hatte seine Weihe am letzten Tage des Imhotep.“ „Natürlich, entschuldigt bitte meine Unaufmerksamkeit“ nickte er respektvoll dem Pharao zu, bevor er sich wieder an Seth wandte. „Nun, dennoch ist das sehr jung für einen Priester. Wie seid Ihr dazu gekommen?“ „Seth hat das Priestertum von jung auf kennen gelernt“ antwortete der Pharao wie selbstverständlich. Er und Seth hatten sich noch nicht abgesprochen, was genau sie auf solche Fragen antworten sollten, doch das ließ er sich nicht anmerken. Als König musste er stets überzeugend und ehrlich wirken, selbst wenn er log oder ahnungslos war. Er musste spontan auf alles eine überzeugende Antwort wissen. Und dass er sich genau in diesem Moment in seinem intelligenten Kopf ein paar Sachen zusammenzimmerte, ließ er nach außen hin nicht erkennen. „Sein Vater war bereits Priester in EshkEphrab. Als vor etwa zehn Jahren dort das Land an den Sudan abgetreten wurde, hatte der Bürgerkrieg bereits viele Opfer gefordert, wie du weißt. Unsere Tempel wurden zerstört und alle, welche sich nicht zum neuen Glauben bekehren ließen, wurden gemordet. Ebenso Seths Familie, da sie unserem Glauben nicht abschwören wollten. Nur er konnte sich noch auf ägyptischen Grund retten und unsere Religion behalten. Er hat sich zwei Jahre lang mit Feldarbeiten auf dem Hofe eines alten Bauern durchgeschlagen bis er genug Geld angespart hatte, um seine Priesterlehre fortzusetzen.“ „Ist Feldarbeit bei Grundbesitzern nicht eher Sklavenarbeit?“ mutmaßte Ephrap mit eindeutiger Skepsis. „Wie gesagt, es war ein alter Bauer und es war keine Sklavenarbeit, da ich dafür Lohn erhalten habe“ erklärte Seth mutig. „Sein einziger Sklave war gestorben und er konnte sich keinen neuen kaufen. Jedenfalls keinen, der kräftig genug gewesen wäre, denn Ihr wisst, wie wenig schwache Sklaven zur Feldarbeit taugen. Zumal der Weg in die nächste Stadt sehr weit für ihn war. Deshalb habe ich ihm geholfen, seine überzähligen Waren manchmal in den Dörfern verkauft und meinen eher schmächtigen Lohn gespart bis ich nach zwei oder drei Jahren genug für ein halbes Jahr Tempellehre zusammenhatte. Ich hoffte, wenn ich mich in dem halben Jahr gut bewähre, würde man mir vom Palast aus eine freie Ausbildung zukommen lassen.“ „Und so war es dann auch“ lächelte der Pharao und schämte sich seiner Lüge nicht im Geringsten. „Damals habe ich sogar persönlich das Ersuchen um eine bezahlte Lehre unterschrieben, wie bei vielen anderen Priesterschülern auch, von welchen man sich gute Ergebnisse verspricht. So wurde Seth von dem kleinen Tempel bei Shinkah in den großen Haupttempel in der Wüste verschickt.“ „Shinkah? Ist das nicht der Tempel, der vor Jahren während der großen Dürre ausgebrannte und nie wieder aufgebaut wurde?“ Ephrap wusste anscheinend sehr gut bescheid über die Geschehnisse in den letzten Jahren. Und er erinnerte sich schnell an Dinge, die er einst gehört hatte. „Djiag sagte damals, ein Wiederaufbau würde sich nicht lohnen, da die Bevölkerung wegen des ausgetrockneten Flusslaufes ohnehin abwandere.“ Man konnte ihm ja vieles vorwerfen, aber ein schlechtes Gedächtnis hatte der Pharao nicht. Er suchte sich gezielt die Orte aus, welche mittlerweile in anderen Reichen lagen oder welche seit Jahren nicht mehr existieren. Nachzuweisen, dass Seth diese Orte niemals gesehen hatte, könnte schwer werden, wenn nicht gar unmöglich. Und die wenigen Menschen, welche damals dort gelebt hatten, waren mittlerweile über alle Teile des Landes verstreut oder würden sich kaum noch an einen einzelnen Jungen auf dem Markt erinnern können. Zumal darunter keine nennenswert reichen oder adligen Familien waren, welche von Interesse für Ephrab wären. Das hatte der Pharao sich gut zusammengereimt. Wenn sie diese Geschichte gemeinsam noch durch abgesprochene Kleinigkeiten untermauerten, würde ihnen niemand auf die Schliche kommen. Kapitel 41: Kapitel 41 ---------------------- Kapitel 41 Und dann kam Seth in den Genuss einer ganz besonderen Ehre. Waren seine Gedanken doch eben noch dabei, sich die erzählte Geschichte über sein Leben zu merken, so wechselten sie sofortig den Platz in gar bezauberte Gefilde. Die fortgeschickte Sklavin kam zur Tür herein und trug an ihrem fülligen Busen ein Kind, welches auf den ersten Blick ungewöhnlich war, denn es hatte goldenes Haar auf dem Haupt. Eine so helle Farbe war für Ägypten ungewöhnlich und verriet in Einlang mit der fein verarbeiteten Seidenkleidung in lachsener Farbe, dass dies kein Kind aus dem Fußvolke war. „Ah, sie ist ja erwacht.“ Die Königin erhob sich, ging dem Kindermädchen entgegen und nahm das teure Bündel Mensch an sich, bevor sie sich umdrehte und zurück zu der kleinen Tischgesellschaft kam. Mittlerweile regte sich der schimmernde Goldschatz auf ihren Armen und quietschte aufgeregt, als kleine Hände hervorschossen und der Königin in die Nase kniffen, die das lachend über sich ergehen ließ. „Schau mal, wer da ist“ lächelte sie und setzte sich auf das eilig herbeigebrachte Kissen neben ihren Gemahl. Der blickte erst mal ganz entzückt über ihren Arm und auch Seth linste neugierig herüber. Es war ein kleines Mädchen mit hellbraunen Augen und einem strahlenden Lächeln, welches unten schon die ersten Zähnchen zeigte. Sie war ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Nicht nur das Haar, sondern die ganze Ausstrahlung war ganz die des Pharaos. Sie war ohne Zweifel als des Königs Tochter zu benennen. „Da?“ Sie zeigte fragend auf den Mann vor ihr, der sie so liebevoll ansah. Sie blickte zu ihrer Mutter zurück und verlangte eine Antwort. „Das ist dein Vater“ erklärte sie der Kleinen geduldig. „Kannst du das sagen? Vater?“ „Aada“ plapperte sie nach und zeigte auf des Königs Nase. „Pia Aada seh.“ „Ja, Piatra sieht ihren Vater“ lobte sie ganz richtig und setzte die Kleine dann ihrem Vater auf den Schoß, der sie tief verliebt betrachtete und über den goldenen Kopf strich. Er hatte sie schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Als er zu seiner Reise aufbrach, war sie gerade ein paar Wochen alt. Nun war sie zu einem süßen Mädchen herangewachsen, welches mutig die ersten Worte lernte. Erinnern jedoch konnte sie sich an ihren Vater nicht mehr und musste ihn neu kennenlernen. Dafür erinnerte er sich an sie und bewunderte wie schön sie geworden war. Dafür schien er die Welt einen Augenblick um sich auszublenden. Selbst Seth trat für einen Moment in den Hintergrund seiner Gedanken, welche er kurzzeitig nur seinem kleinen Stolz schenkte. „Hallo, Piatra, mein Schatz“ lächelte er und streichelte ihre kleine Hand, die nach seinem Gewand griff. „Alles gut bei dir?“ „Aada“ wiederholte sie und blickte ihm tief in die Augen, bevor sie sich schüttelte und herzerwärmend kicherte. Sie war ein fröhliches Mädchen mit einem sonnigen Gemüt. Der Mutter und dem Vater zu gleichen Teilen verwandt. „Schön, wie fröhlich du bist“ lächelte er und küsste sie warmherzig auf die Stirn. Dann erst drehte er sich herum und blickte Seth mit leuchtenden, glückserfüllten Augen an. „Seth, ich möchte dir meine Tochter vorstellen. Prinzessin Piatra.“ „Pia“ sagte sie gleich und guckte Seth an. „Da? Pia seh?“ „Seth“ half der Pharao ihr zärtlich. „Das ist Seth.“ „Eeh“ grinste sie und zeigte sofort auf ihn. „Pia Eeh seh. Pia Aada seh. Dut.” „Jaaa, sehr gut“ lachte der Pharao und drückte sie an sich. „Ach, du bist so ein Schatz geworden. Abunami, ist sie nicht wunderschön?“ „Sie ist wirklich ein bildschönes Mädchen“ lächelte sie zurück. Sie war ja selbst bewegt davon, wie sehr ihr Gemahl sich über das Lachen ihrer Tochter freute. Es war bei Hofe nicht allzu häufig, dass sich der amtierende Pharao oder anders hohe Adlige um ihre Kinder kümmerten. Für gewöhnlich wurden diese von den Großeltern erzogen und sahen ihre eigenen Eltern nicht häufig. Jedenfalls nicht bevor sie nicht eine gewisse Reife erreicht hatten. Aber bei diesem Pharao war es anders. Er liebte seine Kinder von klein auf und selbst wenn die Prinzessin nicht seine Thronerbin war, so schien sie doch all seine Liebe zu besitzen. Er war auch als König ein stolzer und zärtlicher Vater. „Sie ist wirklich ein Augenstern“ pflichtete Seth bei und küsste die kleine Hand, welche frech nach seinem Gewand gelangt hatte und daran zog. „Ihr werdet sicher einst so schön werden wie Eure Mutter, Prinzessin.“ „Du bist ein Charmeur“ lachte die Königin erfreut. „Ich denke, Piatra hat eher Ähnlichkeit mit ihrem Vater ... aber wenn du mich schöner als ihn findest, Seth ... vielleicht wird das doch noch etwas mit uns beiden.“ „Majestät, ihr bringt mich in einen Gewissenskonflikt“ lächelte er scherzend zurück. „Genau. Spann mir meinen Liebhaber nicht aus“ lachte auch der gut gelaunte Pharao, der für einen Moment seine Alltagssorgen vergaß und sich im Kreise seiner eigenen Familie sichtlich wohl fühlte. „Was meinst du, Pia, mein Schatz?“ fragte er die Kleine und zwinkerte sie an. „Soll Seth bei Vater bleiben?“ „Pia Aada. Muma“ zeigte sie auf die Königin. „Muma seh.“ „Ja, Mutter siehst du. Du bist sehr schlau. Ach, Abunami. Wie gelehrig sie doch ist“ lobte er und kuschelte sie an sich, seufzte tief und genoss diesen kleinen Menschen. In ihr schlief sein Geist und würde noch auf Erden weilen, wenn er selbst gegangen war. Sie lebte die Fröhlichkeit, die er niemals so hatte leben dürfen. Und er schien erleichtert zu sehen, dass es seiner Tochter an nichts mangelte. Weder an Frohsinn noch an Liebe. Ephrab indessen hielt sich aus dieser Familienidylle fern. Ja, er beäugte sie aus seinen skeptischen Augen und konnte solch ein Verhalten wohl nicht nachvollziehen. Er war ein Mann von alter Tradition und durchaus der Meinung, dass sich das Königspaar um anderes als Kindererziehung zu kümmern hatte. Aber er war nicht in der Position, dem Pharao seine Meinung aufzudrängen. Nur weil er der Königin Bett teilte und bei Hofe anerkannt war, hatte er dennoch keinerlei Befugnis, in irgendetwas einzugreifen. Zumal die Königin keinerlei politische Macht ausübte. Und vielleicht, ja ganz vielleicht, besah er sich auch deshalb Seth so genau. Sollte dieser mysteriöse Jungpriester seinen Einfluss auf den Pharao verstärken, so könnte er durchaus politischen Einfluss erreichen. Denn er weckte des Königs Liebe und Liebe machte blind. Selbst den Mann auf dem Thron. Ja, er würde den Neuen sicher im Auge behalten. Und so wie Seth seinen forschenden Blicken entgegnete, wusste er auch, von wem er sich bei Hofe fernhalten sollte. Er hatte zwar den jungen Fatil als designierten Palastvorsteher vorerst auf seiner Seite, aber Intrigen waren bei Hofe keine Seltenheit. Zwar hatte der Pharao immer versucht, ihn zu beruhigen und die Gefahren zu verharmlosen, aber Seth wusste genau, dass der Palast eigene Gesetzte besaß, welche man kennenlernen musste, um nach ihnen leben zu können. Besonders für den Geliebten des Königs galt eine eigene Vorsicht. Und sein Gespür sagte ihm ... vor Ephrab sollte er sich besser in Acht nehmen. Nicht nur, dass der sich hier besser auskannte - er hatte sicher auch keine Vergangenheit zu verbergen. „Was starrt ihr euch so an?“ unterbrach die Königin den intensiven Blickkontakt der beiden Geliebten. „Ist etwas nicht in Ordnung? Ephrab?“ „Nein, alles in Ordnung, Abunami“ erwiderte er und setzte für sie sein freundliches Lächeln auf. „Seth, seid Ihr so gut und reicht mir den Brotkorb?“ „Natürlich. Gern, Ephrab“ antwortete er höflich und reichte ihm eben diesen. Auch wenn er spürte, dass sein forschender Blick eine unausgesprochene Warnung war. Das lief ja ganz toll. Kaum hatte Fatil von ihm abgelassen, kündigte sich schon der nächste Kritiker an. Das Leben bei Hofe würde sicher nicht so unbekümmert werden wie das im Wüstentempel. Doch wenn er seinen Pharao ansah, der eben jetzt aufmunternd zu ihm herüberblickte, dann wusste er, für wen er hier war. Für seinen geliebten Pharao würde er sich auch in der Unterwelt einrichten können. „Oh ja. Vielen Dank.“ Die Königin antwortete eben einem Diener, welcher sich zu ihr herabgekniet und höflich etwas zugeflüstert hatte. Er entfernte sich schnell wieder, während sie sich herumdrehte und ihren Gemahl anlächelte. „Sagt, Lieber, wolltet Ihr nicht auch den Prinzen zur Tafel bitten?“ „Natürlich möchte ich das“ antwortete er sofort. „Lass ihn eintreten.“ „Er wartet schon.“ Sie nickte auf einen Vorhang, der soeben von dem geschickten Diener geöffnet wurde. Es war durchaus normal, dass der Kronprinz um Erlaubnis bat, bevor er seinem Vater vor Augen trat, selbst wenn dieser ihn hatte rufen lassen. Für ihn als Thronfolger galt eine andere Etikette. Eine strengere. Doch mit dieser Erlaubnis durfte er eintreten und an der Tafel seines Vaters erscheinen. Er hielt sich an die höfischen Gesetzte und das obwohl er offensichtlich noch ein Kind war. Im Gegensatz zu seiner Schwester hatte er kaum erkennbare Ähnlichkeit mit seinem Vater. Sein ohrenlanges Haar war zwar nicht schwarz wie das seiner Mutter, aber in einem fast schwarzen Erdton. Seine Haut ein wenig heller gebräunt und seine dunklen Augen von einem kunstvollen Kohlestift verziert. Die kleine Federkrone aus glänzendem Gold auf seinem Haupt saß perfekt, um seinen Stand zu zeigen. Ebenso wie sein lachfarbenes Gewand, welches dem seines Vaters mehr ähnelte als er ihm selbst. Dies also war der Prinz Trimantep Ameramun. Der zukünftige Pharao. Aber beim Nähertreten konnte man doch eine kleine Gemeinsamkeit erkennen. Seine Augen waren zwar dunkel, aber sie hatten einen ungewöhnlichen Violettstich. Er hatte wenig vom Pharao geerbt, aber diese Augen waren ganz die seinen. Auf dass er die Welt hoffentlich ebenso sehe wie sein Vater es tat. Der erhob sich von seinem Sitzkissen und gab die fröhlich quietschende Prinzessin an ihre Mutter zurück. „Ich grüße Euch, Vater.“ Seine Stimme war jung und hell, als er vor ihm niederkniete und den Kopf senkte. Er bemühte sich sichtlich um Ruhe und doch sah man an seinen Haarspitzen ein leichtes Zittern. Er wollte es nicht zeigen, aber sicher war er nervös, dem Pharao vorzusprechen. Nervös, seinen eigenen Vater zu treffen. „Ich freue mich, Euch gesund und wohlauf zu sehen, mein Sohn.“ Er ging in die Hocke, um nicht ganz so einschüchternd vor ihm zu stehen. Er legte ihm sanft die Hand auf seine kleine Schulter, die schon in jungen Jahren solch eine unkindliche Last tragen mussten. „Lasst Euch ansehen.“ Der Kleine erhob sich und blickte den König mit zurückhaltenden Augen an. Auch schien er langsam in sich einzusinken vor Respekt, fast ängstlich. Aber der Blick wurde nicht feucht vor Angst, sondern seine Lippen zitterten, als sie ein Lächeln zeigen wollten, welches er sich selbst verbot. Er war der Kronprinz und wurde gelehrt, seine Gefühle nicht zu zeigen. Egal vor wem. „Ihr seid groß geworden“ lächelte der Pharao ihn beruhigend an und senkte seine Stimme zur Zärtlichkeit. „Ich habe viel daran gedacht, wie es Euch wohl geht. Aber Eure Mutter lobte Euch bereits in den höchsten Tönen. So gehe ich davon aus, dass es Euch gut ergangen ist, während meiner Abwesenheit.“ „Ich habe auch viel an Euch gedacht ... Vater.“ Seine Stimme bebte und seine Augen konnten die Tränen kaum noch halten. Diese Anspannung war weit zu viel für einen Prinzen, der vielleicht gerade seinen fünften Sommer erlebte und noch eher an seine Eltern dachte als an hohen Lehrstoff. Er brauchte die Liebe seines Vaters und nicht die Ermahnungen, seinem Ruhm zu folgen. „Mein Sohn, wollt Ihr Euch umarmen lassen?“ fragte er höflich und lächelte, als der Kleine seinen Kopf nicken und sich in die väterlichen Arme schließen ließ. Das sagte noch mehr als hundert Höflichkeiten und Seth beobachtete tief berührt wie die beiden wichtigsten Personen im Reiche sich lieber in die Arme schlossen und füreinander nicht Pharao und Prinz, sondern Vater und Sohn sein wollten. Ob Atemu zu seinem Vater eine ähnlich enge Beziehung hatte? Oder ob er nach alter Tradition von seinem Großvater erzogen ward? Seth hatte ihn nie danach gefragt, woher er seine gütige Weltanschauung hatte. Aus welcher Quelle er die Liebe in seinem Herzen schöpfte. Er war in einer harten, gezwungenen Umgebung groß geworden. Wie kam es, dass er nicht selbst hart und gezwungen war? Eigentlich wusste er kaum mehr vom Pharao als das, was er gelernt hatte. Aber hatte er ihn überhaupt wirklich kennengelernt? Zu sehen, dass er nicht nur ein verletzlicher und mitfühlender Mensch war, sondern auch ein liebevoller, stolzer Vater ... er wollte mehr sehen von Atemu. Von dem Mann, der hinter der Krone stand. Von dem Pharao, der sich gegen die Tradition seiner Ahnen und für die Zukunft seiner Kinder entschied. Er ließ sich von seinem Sohn nicht die Hände küssen, sondern küsste liebevoll seine Wangen. Er schien in ihm nicht den zukünftigen Pharao, sondern ein kleines Kind zu sehen. „Ihr seid groß geworden“ lobte er, als er nach ausgiebigem Drücken seinen Sohn liebevoll anlächelte. „War ich denn so lang weg?“ „Ihr wart lang fort“ antwortete er mit bebender Stimme. Und nun schien er erleichtert. Die Anspannung war aus seinem Gesicht gewichen und ganz offensichtlich konnte er nur Freude darüber zeigen, dass sein Vater endlich zurückgekehrt war. Alle Menschen lehrten ihn, Respekt für den Pharao zu empfinden. Der Pharao aber lehrte ihn, Liebe zu empfinden. „Vater ... ich habe so oft an Euch gedacht. Ihr habt mir so gefehlt.“ „Ihr habt mir auch sehr gefehlt.“ Er strich stolz über seinen Kopf und wischte eine kleine Träne fort, die dem jungen Prinzen herausgerutscht war. „Begrüßt auch Eure Mutter, ja?“ „Natürlich.“ Er wand sich herum, drehte der Königin sein Gesicht zu und deutete eine kleine Verbeugung an. „Guten Tag, Mutter. Vielen Dank, dass du mich heute Morgen hast ausschlafen lassen.“ „Ihr saht gestern Abend so müde aus, mein Schatz“ lächelte sie zurück und küsste seine Hand, die er ihr reichte. Aber danach trat er näher und ließ sich auch von ihr seine Wangen küssen. Es fiel ihm sicher nicht ganz leicht, schon in so jungen Jahren einen Unterschied zwischen Etikette und Gefühl zu machen. Davon abgesehen, dass ihm das kindliche Sprechen fehlte. Er wählte bereits Worte und Formulierungen, die denen eines Erwachsenen glichen. Sicher bekam er täglich viele Lehrstunden, die ihn auf den Stolz des Thrones vorbereiteten. Und Seth fragte sich ... was für ein Kind war Atemu gewesen? Durfte er jemals wirklich Kind sein? Oder wurde auch sein Tag von Höflichkeit und Regeln bestimmt? „Guten Tag, Ephrab“ grüßte der kleine Prinz und sah ihn direkt an. „Ich grüße Euch, mein Prinz.“ Er verneigte sich leicht und senkte den Blick. So wie es sich gehörte. Mehr Höflichkeiten tauschten sie jedoch nicht aus. Mit Sicherheit war er niemand, der sich mit Kindern gut verstand. Da wand sich der Prinz schon dem Fremden zu, der dort an der Seite seines Vaters saß und ihn mit warmen Augen anblickte. „Ich möchte Euch vorstellen, mein Sohn“ lächelte der Pharao, streckte seinen Arm nach ihm aus und zog ihn heran. Vertraut legte er ihm seine Hand um die Hüfte und stellte ihn an seine Seite. „Dies ist Seth Chuanch Amun Sanacht. Ich habe ihn von meiner Reise aus dem roten Tempel mitgebracht und er wird zukünftig hier bei uns im Tempel leben.“ „Ich grüße dich ... Chu ... Amun ...“ Er streckte ihm zwar höflich seine Hand hin, aber mit der Wiederholung seines langen Namens tat er sich doch noch etwas schwer. Er versuchte zwar, der Etikette zu folgen, aber er war eben noch ein Kind. Er bemühte sich, aber es war nicht ganz leicht, als Fünfjähriger in der Welt eines Erwachsenen zu bestehen. „Seth“ lächelte er und nahm dankbar die gereichte Hand an, welche er in einer Verneigung küsste. „Ihr dürft mich Seth nennen, mein Prinz.“ „Seth“ wiederholte er und wollte sich diesen Namen gewiss merken. „Sei willkommen, Priester Seth.“ „Ich danke Euch, mein Prinz. Es ist eine Ehre, Euch begegnen zu dürfen. Mögen die Götter Euch ewig wohlgesonnen sein.“ „Ich freue mich ebenfalls, dich kennen zu lernen ... Seth.“ Er befolgte brav seine Lehren, wie man jemanden neues begrüßte, aber sein Blick verriet, dass er gedanklich ganz woanders war. Er sah dem neuen Priester tief in die Augen, ja er ließ sogar ein wenig seinen Mund offen stehen. Er hatte anscheinend doch eine niedliche Seite. „Habt Ihr eine Frage, mein Prinz?“ fragte Seth mit einem beruhigenden Lächeln. „Nein. Danke“ antwortete er gleich. Er behielt seine Gedanken also vorerst für sich und zog auch beschämt seine Hand zurück. Vielleicht war er auch einfach schüchtern und wollte erst beobachten, bevor er sich ein weiteres Gespräch zutraute. „Kommt nur. Setzt Euch zu uns“ forderte sein Vater auf und wies ihm das Kissen zu, welches ein Diener schnell an die Stirnseite des kleinen Tisches legte, sodass der Prinz neben Vater und Mutter gleichermaßen sitzen konnte. Er setzte sich folgsam auf seinen Platz und wies den Kelch, den ein Diener ihm anreichen wollte, mit einer schlichten Handbewegung ab. Den Umgang mit Bediensteten also war er durch und durch gewöhnt. Was für ein konträres Kind. „Erzählt mir, mein Sohn“ sprach er liebevoll weiter und stützte seinen Kopf auf die Hände um ihn liebevoll zugewandt anzusehen. „Was habt Ihr so getrieben, während ich verreist war?“ „Ich habe gelernt“ antwortete er brav. „Wie Ihr es Euch gewünscht habt.“ „Eure Mutter hat mir erzählt, Ihr dürft im Tempel spielen?“ lächelte er ihn an. Es kam ihm nicht darauf an, zu hören, was und wie viel sein Sohn lernte. Viel eher interessierte er sich für seine persönliche Entwicklung. „Bereitet es Euch Freude, mit den Priesterschülern zu spielen?“ „Oh ja.“ In seinen Augen machte sich ein schüchternes Strahlen breit. „Ich habe ein Spiel gelernt, in dem man dem Gegner Steine abnimmt. Ich habe bereits einen ganzen Beutel voll erkämpft. Es sind sogar ein paar Edelsteine dazwischen.“ „Tatsächlich? Das Spiel kenne ich gar nicht“ schmunzelte er. „Ist das denn weit verbreitet?“ „Die anderen Kinder im Volk spielen es auch häufig. Allerdings nicht so gut. Viele können ja noch nicht zählen. Djiag sagte, das sei ein Vorteil, den ich nutzen sollte.“ „Stimmt, das Zählen hast du schon gelernt“ lächelte er. Das war etwas, was durchaus nicht gängig war. Schreiben, Lesen und Rechnen lehrte man nur Adlige und gehobene Priesterschüler, welche entweder ebenfalls adlig waren oder reiche Eltern besaßen. Und auch dort längst nicht alle. Bildung war ein Privileg. Natürlich hatte der Prinz eine hohe Bildung. Aber warum sollte er sie nicht einsetzen, um damit spielerisch Erfahrungen und erste Erfolge im Kampf zu sammeln? „Nur gegen Amphrit verliere ich ständig. Aber es wird der Tag kommen, an dem ich ihn besiege. Ganz sicher.“ „Wer ist denn Amphrit?“ fragte sein Vater interessiert. „Ist das ein Freund von dir?“ „Ja ... ein Freund ... im Tempel“ antwortete er und schlug schüchtern seinen Blick nieder. Es war ihm anscheinend peinlich, das zuzugeben. Vorstellbar, dass er als Prinz nicht viele Freunde hatte. Und weil es ihm scheinbar peinlich war, bohrte sein Vater auch nicht weiter nach. „Das freut mich. Freunde sind wichtig und etwas sehr schönes“ lächelte er den jungen Prinzen verträumt an. „Pflege deine Freunde, mein Sohn. Gute Freunde, werden dir das Leben sicher und angenehm machen. Sie stärken dein Herz und deinen Verstand.“ „Mutter sagte, Ihr hättet ebenfalls Freunde“ fragte er zurückhaltend und blickte schüchtern auf. „Ist das wahr?“ „Natürlich ist das wahr. Meine besten Freunde waren jetzt mit mir auf Reisen und haben mich beschützt. Wir hatten viel Spaß zusammen und haben viele Gefahren überwunden. Dank ihnen bin ich sicher zurückgekehrt.“ „Bitte erzählt mir davon.“ Er wurde ganz rot auf den Wangen, als er seinen Vater gespannt ansah. „Was habt Ihr Spannendes auf Eurer Reise erlebt? Mein Lehrer sagt, es ist gefährlich, durch die Wüste zu reisen. Man begegnet dabei vielen Gefahren.“ „Oh ja, das ist wahr. Kommt her, Sohn.“ Er breitete seine Arme aus und lud den Prinzen ein, sich zwischen seine Beine zu setzen. Aufgeregt krabbelte er zu ihm, lehnte sich an seine Brust und genoss die Nähe zu seinem Vater. Es war geradezu zu beobachten, wie der Pharao den befangenen Prinzen in ein Kind zurück verwandelte. Und sich selbst dabei in eine Rolle begab, die der eines Königs so gar nicht ähneln mochte. Aber das schien ihm gleich. „Eines nachts haben wir wie so oft mitten in der Wüste unser Lager aufgeschlagen“ erzählte er mit spannend gesenkter Stimme. „Diese Nacht war besonders kalt und schwarz und so lagen wir in unseren Zelten versteckt. Ich war todmüde und doch spürte ich im Halbschlaf wie etwas mein Bein entlang streifte.“ „Eine Schlange?“ riet er gespannt und sah sich mit großen Kinderaugen zu ihm um. „Das vermutete ich auch. Ich wollte mich ganz langsam umdrehen und nachsehen, aber da spürte ich, wie sich etwas Kaltes an meinen Arm entlang hangelte.“ Voller Spannung zog der kleine Prinz die Luft ein und wagte es nicht, dem Quietschen und Winken seiner kleinen Schwester zu antworten. Viel zu spannend war die nächtliche Wüstengeschichte über unbekannte Gefahren. „Bevor ich die Lampe hochstellen und nachsehen konnte, war schon Fatil an meinem Bett und wollte mich wecken. Er sagte, wir sind in großer Gefahr und müssen ganz leise das Lager verlassen. Es war sehr gefährlich und der Schein der Lampen brachte nicht viel Sicht.“ „Vater ...“ hauchte er und fieberte richtig mit seiner Erzählung. „Es war eine Riesenschlange?“ „Nein, keine Schlange“ flüsterte er mystisch zurück. „Ich bin aufgestanden und wisst Ihr, was ich da gesehen habe?“ „Nein ...“ „Unter meinem Laken saßen lauter schwarze Skorpione. Bestimmt zehn Tiere.“ „AH! Mitten im Lager?“ Er wand seine Hände umeinander und schien sich schrecklich zu ekeln. Skorpione waren kribbelig, hässlich und besaßen einen schmerzenden Stachel. Der Königin war ein unterdrücktes Lachen ins Gesicht geschrieben als sie der Gruselgeschichte lauschte. Ephrab hingegen beobachtete diese für ihn alberne Szene eher missmutig. Der König sollte doch wohl anderes zu tun haben, als dem Prinzen Geschichten zu erzählen. Und Seth wusste, dass diese Geschichte nicht mal wirklich ausgedacht war, sondern nur ausgeschmückt. Und die kleine Prinzessin? Die konnte mit einem Skorpion noch nichts anfangen und blubberte lieber vergnügt auf Mutters Arm vor sich hin. „Ja, mitten im Lager“ erzählte der Pharao dunkel weiter. „Die Skorpione liegen am Tage im Wüstensand versteckt und kommen erst in der Nacht hervor, um nach Wärme zu suchen. Nach der Wärme von menschlichen Körpern.“ „Menschliche Körper ...“ wiederholte er gespannt. „Waren sie giftig?“ „Oh ja. Sehr giftig. Es waren Weißspitzen-Skorpione. Sie sind sehr selten und haben das tödlichste Gift von allen. Sie töten einen Menschen mit ihrem Stich in wenigen Sekunden. Giftiger als der Biss einer Schlange.“ „Giftiger als von einer Schlange ...“ „Wir mussten da weg“ berichtete er gehetzt. „Aber wir mussten aufpassen. Einige lagen noch im Sand versteckt und wenn wir daraufgetreten wären, dann wäre es aus gewesen. Aber sie suchten nach Wärme und so liefen sie uns mit ihren spitzen, pulsierenden Stacheln gierig nach. Wir durften keine Panik haben, denn dann wären sie aggressiv geworden. Das durfte nicht passieren. Aber wir konnten ja kaum etwas sehen in der dunklen Nacht.“ „Wie seid Ihr da rausgekommen, Vater? Wurdet Ihr gestochen?“ „Ganz vorsichtig sind wir aus dem Zelt rausgekrochen und weißt du, was ich da gesehen habe? Das ganze Lager war voll von giftigen Skorpionen. Überall krabbelten sie. So viele, dass der Wüstenboden zu leben schien. Es gab kein Entkommen. Und ich glaube ...“ „Ja ...?“ „Sie sind mir gefolgt“ flüsterte er. „Sie sind an meinen Beinen hochgekrabbelt, meine Arme entlang und nun ... AH! DA IST EINER!“ „AAAAHHHHHH!“ Er sprang geschockt auf, als sein Vater ihm die Schulter kitzelte und ihn ganz furchtbar erschreckte. So eine gemeine Gruselgeschichte. Der Prinz wirbelte herum, sprang sicher zwei Meter vom Tisch fort und sah seinen Vater dann außer Atem mit ungläubigen Augen an. Da hatte er sich jetzt aber richtig erschreckt. „Reingefallen“ grinste der Pharao ihn triumphierend an. „VATER! IHR SEID GEMEIN!“ schimpfte der Kleine wütend. Aber er musste dann doch ein wenig Abstand von seinem Schrecken nehmen, als die Königin in Gelächter ausbrach und auch der König sich amüsierte. „Macht das nicht noch mal. Ich hab mich erschrocken“ schimpfte er und folgte den ausgebreiteten Armen, um zu ihm zurückzukommen und seine Entschuldigung zu akzeptieren. „Tut mir leid. Ihr seid noch immer so ein leichtes Opfer für Gruselgeschichten“ lachte er und drückte ihn an sich, als er zurück zwischen seine Beine kam und sich an ihn lehnte. „Ihr habt Euch gar nicht verändert, mein Sohn.“ „Also ist die Geschichte gar nicht wahr“ unterstellte er etwas pikiert. „Ihr habt mir Unsinn erzählt. Mal wieder.“ „Oh doch. Sie ist wahr. Na ja, zum Teil“ schmunzelte er. „Um ehrlich zu sein, lagen die Skorpione nicht in meinem Bett, aber unser Lager stand wirklich auf einem Skorpionnest. Wir mussten die Nacht woanders verbringen und erst am nächsten Morgen konnten wir unsere Sachen holen und weiter reisen.“ „Dann habt Ihr aber Glück gehabt“ lächelte der Kleine ihn erleichtert an. Er konnte seinem Vater nicht lang böse sein. „Gut, dass Ihr immer zu Seth betet. Eure Lieblingsgottheit hat Euch sicher beschützt.“ „Ja, der Seth hat mich beschützt“ lächelte er zurück. „Du heißt auch Seth.“ Jetzt traute der Prinz sich und wand sich an den fremden Priester, von dem er sich eben noch so schüchtern abgewandt hatte. „Sagst du mir deinen ganzen Namen noch mal? Bitte?“ „Seth Chuanch Amun Sanacht“ antwortete er mit sanfter Stimme und sprach auch besonders langsam, damit der Junge ihm folgen konnte. „Gefällt er Euch, Majestät?“ „Ja, er klingt sehr schön“ nickte er mit roten Wangen. „Was bedeutet er?“ „Seth, welcher unter dem Schutz des Amun zu seiner Ehre erblüht“ übersetzte er für den jungen Prinzen. „Amun ist auch unser Patron“ strahlte der Kleine aufgeregt und sah stolz seinen Vater an. „Nicht wahr, Vater? Amun ist der Schutzpatron der Pharaonen. Das hat Djiag mich im Tempel gelehrt.“ „Ja, das ist wahr, mein Sohn“ lächelte er zurück. „Dann ist Seth ja ein Glücksbringer. Euer Lieblingsgott und Euer Schutzpatron. Das hat Euch vor den Skorpionen gerettet.“ „Ja, wahrscheinlich.“ Wie gescheit er das doch verknüpfte. Sein Sohn war wirklich ein Junge, auf den man stolz sein konnte. „Wenn ich älter bin, Vater, nehmt Ihr mich dann auch auf eine Wüstenreise mit?“ „Warum? Damit Skorpione in dein Bett kriechen?“ lachte er ihn fröhlich an. „Nein“ erklärte er mit ernster Vorfreude. „Ich will mir auch einen Glückspriester suchen.“ „Einen Glückspriester“ wiederholte er und warf Seth einen verliebten Blick zu. „Hast du das gehört, mein Seth? Ab sofort bist du mein Glückspriester.“ „Wenn der Prinz es sagt“ nickte er zustimmend und wusste damit endlich, was er hier sein würde. „Dann will ich Euer Glückspriester sein. Das ist doch eine schöne Arbeit. Ich danke für die schnelle Beförderung.“ Kapitel 42: Kapitel 42 ---------------------- Kapitel 42 Obwohl in allen Gängen Wachen und Diener standen, fühlte Seth sich ein wenig verloren. Wie lange irrte er nun schon hier im Palast herum? Er hatte sich selbst überschätzt. Als Atemu sich von seinem aufgeregten Sohn fortschleifen ließ, um sich in seinem Prinzengemach die im Spiel gewonnen Steine anzusehen, war auch die Tischgesellschaft aufgelöst. Seth hatte großspurig behauptet, er würde den Weg zurück in den Tempel allein finden, aber anscheinend hatte er sich getäuscht. Er war der festen Überzeugung, Atemu hätte ihn rechts herum durch einen langen Gang über eine Treppe geführt, aber plötzlich fand er sich in den riesigen, vollgestopften Vorratskammern wieder, welche mit dem Tempel recht wenig Ähnlichkeit hatten. Jedoch einen der Diener nach dem Wege zu fragen, war ihm peinlich. Kaum weilte er einen Tag hier, schon ging er verloren. Vielleicht lag es auch daran, dass seine Gedanken zunehmend um das Erlebte kreisten. Die Königin war eine wundervolle, eine umkomplizierte und eine bildschöne Frau, mit welcher er gern ein wenig mehr Zeit verbracht hätte. Die Prinzessin war ein fröhlicher Sonnenschein, der neugierig nach allem fragte, was ihre leuchtenden Augen einfingen. Und der Prinz war ein etwas schüchterner Junge, der sich bemühte, seiner Erziehung gerecht zu werden und sich doch eigentlich nur nach Geschichten und Spielen sehnte. Wie aufgeregt er war, als er nach langer Zeit endlich seinen Vater sehen konnte und wie schnell seine Anspannung von Freude und Neugier verdrängt wurde. Das Mittagessen mit der Königsfamilie hatte ihm jedoch auch viele Fragen aufgegeben. Nicht nur darüber, wie der Pharao selbst seine Kindheit verbracht haben mochte, dass er nun trotz seines verantwortungsvollen Amtes solch ein mitfühlender und zugewandter Vater war. Man sah so deutlich, wie stolz er war, Seth seine kleine Familie vorstellen zu dürfen. Und der fühlte sich in ihrem Kreise herzlich aufgenommen. Die Königin flirtete mit ihm, die Prinzessin zog an seinem Ärmel. Ja, er war sogar zum Glückspriester befördert worden. Mehr hätte er sich doch gar nicht wünschen können. Jedoch trübte sich seine Freude, wenn er an die kritischen Augen des konservativen Ephrab dachte. In den fröhlichen Momenten lächelte er nur höflich, anstatt von Herzen mitzulachen. Vielleicht hatte er einfach einen anderen Humor. Vielleicht lag es auch daran, dass Seth sich in seiner neuen Position als Priester und Geliebter noch etwas unsicher fühlte. Und dennoch ... er konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass er in Ephrabs Anwesenheit Vorsicht walten lassen sollte. Er hatte einfach zu viel zu verbergen, als dass er sich solch forschenden Augen preisgeben mochte. Mit einem Seufzen strich er sich das Haar aus der Stirn und bog um die nächste Ecke. In seinen Gedanken hatte er nun gar nicht mehr auf den Weg geachtet und wusste nicht mal mehr, in welcher Richtung er die Vorratskammern überhaupt verlassen hatte. Besser, er wartete mit dem Grübeln bis er sein Zimmer erreichte. Zu allem anderen konnte er Atemu noch immer befragen. Es gab so viele Dinge, die er wissen, die er über ihn erfahren wollte. So vieles, was er ihm sagen wollte. Er wollte ihm sagen, wie aufgewühlt er war wegen der süßen Kinder und Ephrabs spitzen Blicken ... ach, könnte er doch nur schon wieder in seinen Armen liegen. Aber er war nun mal der Pharao und als solcher hatte er eben nicht viel Zeit für private Dinge. Neben seinen Kindern, der Religion und der Politik auch noch Zeit für einen Geliebten aufzubringen ... Jetzt erst spürte Seth, dass Atemus zurückhaltenden Warnungen keine leeren Worte waren. Das Leben im Palast war stressig, gezwungen und einengend. Seth wusste, wie man als Sklave lebte. Er wusste auch, wie man als Priester lebte. Jetzt musste er lernen, wie man als Geliebter lebte. Er durfte den Pharao nicht blamieren und nicht für sich selbst beanspruchen. Er würde ihn sicher nicht so viel sehen wie auf ihrer Reise. Und es würde sicher einige Zeit dauern bis er sich hier zurechtfand. „Glückwunsch, Seth. Wenn du dich mal nicht nur in den Gängen verläufst“ seufzte er und blieb vor der nächsten Gabelung stehen. Jetzt gab es nur noch links oder rechts. Es war ja nicht so, dass jeder Gang gleich aussah. Nein, jeder war ganz verschieden gestaltet. Aber dennoch musste man sich hier auskennen, um schnell von hier nach dort zu kommen. Die Gepflogenheiten hier waren ähnlich verwirrend und verschlungen wie die Gänge. „Suchst du etwas?“ Seth hörte eine Stimme neben sich, drehte seinen Kopf herum und sah „Fatil!“ Den hatte er hier nicht erwartet. Vor allem hatte er ihn bis eben nicht bemerkt. Vielleicht lag es daran, dass er die Wanderkleidung gegen feine Palaststoffe getauscht hatte und gleich wesentlich herrschaftlicher wirkte. Dennoch hätte er ihn doch bemerken müssen. Wenn schon nicht sehen, dann doch hören. Aber Fatil hatte ja schon von Anbeginn ein Talent dafür, ihn aufzuspüren. „Ich habe dich gar nicht gesehen.“ „Ja, das habe ich wahrgenommen“ antwortete er trocken. „Ich bin schon seit dem letzten Gang hinter dir. Ich habe dich sogar gerufen, aber du hast dich nicht mal herumgedreht.“ „Entschuldige, ich war in Gedanken.“ „Anscheinend.“ Er verschränkte die Arme und sah ihn skeptisch an. So eindringlich, dass Seth nur wieder zum Seufzen zumute war. Warum nur wurde er von allen Seiten immer so streng beäugt? „Das blaue Gewand steht dir gut.“ „Danke“ erwiderte er etwas angespannt. „Du siehst auch anders aus.“ „Du bist in den Tempel unterwegs?“ Er erwiderte seine Antwort gar nicht weiter. Ein wenig wirkte er, als sei er skeptisch, dass Seth hier so ganz allein durch die Gänge stromerte, die ziemlich nahe am Pharao lagen. „... ja.“ Seth überlegte einen Moment, ob er noch mal auf ihr angespanntes Verhältnis zu sprechen kommen sollte. Ob er betonen sollte, dass er hier keinesfalls spionierte oder ähnlich böse Dinge tat. Aber er entschied sich dazu, sich nicht zu rechtfertigen. Fatil war zwar hier im Palast ein mächtiger Mann - aber bei Weitem nicht so mächtig wie der Pharao. Und der würde sicher jederzeit ein gutes Wort für ihn einlegen. Wenn es ihm selbst schon nicht gelang, Fatil vollkommen von seiner Gutartigkeit zu überzeugen. Er würde ja gern ihre Beziehung verbessern, aber es war nicht so einfach, diesen strengen Blicken standzuhalten. „Dann bist du aber in die falsche Richtung unterwegs. Zum Tempel geht es dort lang“ nickte er zurück in die Richtung, aus welcher sie gekommen waren, bevor er sich selbst umwand zu langsam voraus ging. „Komm, ich bringe dich zurück. Ich wollte ohnehin mit dir sprechen.“ „Danke.“ Er folgte ihm nach und da Fatil so langsam ging, hatte er in mit nur wenigen Schritten eingeholt. Was sollte er sagen, wenn sie so nebeneinander gingen? War eine Unterhaltung überhaupt angebracht? Oder würde das doch nur wieder Streit provozieren? Sagte er nicht eben, er wolle ohnehin mit ihm sprechen? Weshalb? Sie hatten sich erst gestern gesehen. Er traute Fatil nicht. Ja, er fürchtete ihn sogar ein wenig. Aber auf der anderen Seite hatte er ihm viel zu verdanken. Er war es, der ihn dazu genötigt hatte, dem Pharao seine Gefühle zu gestehen. Nur durch sein Eingreifen wusste er, dass seine Gefühle durchaus erwidert wurden. Obwohl sie wie Wasser und Öl lebten, hatten sie doch einen Pakt für Frieden geschlossen. Ja, sich sogar Bruderschaft versprochen. Dennoch ... Seth fühlte sich bloßgestellt und ungewollt in seiner Nähe. Es war ein gegensätzliches Verhältnis und verbinden tat sie im Grund nur der Pharao. „Du hast mit der Königsfamilie gegessen?“ Wie aus dem Nichts heraus fragte Fatil einfach. War dies nun, um ihn auszuforschen oder bloß, um ein Gespräch zu beginnen? „Der Pharao hat mich geladen.“ Jetzt rechtfertigte er sich doch, obwohl er das nicht wollte. Es kam so automatisch ... sein neues Selbstbewusstsein als Geliebter musste er anscheinend noch erarbeiten. „So habe ich das nicht gemeint“ antwortete er, ohne ihn anzusehen. „Ich wollte wissen, ob es dir gefallen hat. Die Königin hat dich herzlich aufgenommen, nicht wahr?“ „Ja, das hat sie durchaus. Woher weißt du das?“ Woher wusste Fatil das überhaupt? Er war doch gar nicht dabei gewesen. Woher wusste er, dass er mit dem Pharao und dessen Familie gespeist hatte? „Zum Einen ist die Königin eine herzensgute Frau und zum Anderen hat sie eine Schwäche für schöne Männer“ antwortete er und wandte seinen Blick zur Seite und das Stück zu ihm hinauf. „Außerdem gibt es wenige Vorgänge im Palast, von denen ich nicht weiß.“ „... aha.“ War das eine Drohung? Sollte das heißen ‚Ich behalte dich im Auge’ oder war das lediglich eine Feststellung? Fatil war schlecht einzuschätzen und hier im Palast war Seth durch und durch in seinem Revier. Er sollte vorsichtig sein. Oder sollte er doch lieber einen Vorstoß wagen und ihm vertrauen? Fatil war vielleicht undurchschaubar, aber eines wusste Seth: Er war seinem Pharao treu ergeben und er würde ihm nichts antun, solang es dem Pharao gut ging. „Fatil, kann ich dich etwas fragen?“ „Natürlich.“ Die Antwort kam schnell und hörte sich selbstverständlich an. „Worum geht es?“ „Um ... den Pharao.“ „In Ordnung. Und worum genau?“ hakte er nach und schenkte ihm einen tiefen Blick auf seinen herrischen Augen. „Frag nur rund heraus.“ „Ich möchte nicht, dass du denkst ...“ „Ich denke gar nichts, Seth“ unterbrach er ernst. „Wir haben uns verbrüdert und es ist mir ernst damit. Also frag mich, wenn dir etwas auf dem Herzen liegt. Ich habe das Gefühl, du bist ein wenig aufgewühlt.“ Er konnte nicht verbergen, dass er über die freundlichen Worte sehr überrascht war. Fatils Stimme und sein Blick zeigten nicht, dass er in Seth einen Freund sah. Aber seine Worte sagten es. Es war verwirrend. Und doch ... vielleicht sollte er versuchen, zu ihm ein besseres Verhältnis aufzubauen. Wenn er hier bei Hofe überleben wollte, würde Fatil eine wichtige Rolle spielen. Und es war nicht an ihm, sich bei Seth einzuschmeicheln. Eher umgekehrt. Fatil brauchte ihn nicht im Geringsten. Umgekehrt lag der Fall. Und Fatil war nicht dumm. Je mehr Seth sich verstellte, umso skeptischer würde er beäugt werden. Er wusste doch ohnehin schon alles ... wie viel Schlimmes hätte Seth denn noch über sich verraten können? Außerdem war er ein enger Vertrauter des Pharaos ... Fatil konnte kein schlechter Mensch sein. Wenn er das wäre, so hätte er Seth als Sklaven abgetan und ihn schon in der Wüste fortgejagt. Aber das hatte er nicht getan. Eigentlich war er wieder und wieder auf ihn zugekommen. Nicht unbedingt mit offenen Armen, aber geschadet hatte er ihm bisher nicht. Und er besaß eine gute Beobachtungsgabe. Seth war tatsächlich aufgewühlt. „Du bist doch mit dem Pharao aufgewachsen“ begann er und bemühte sich, seiner Stimme einen gleichberechtigten Klang zu verleihen. „Bitte erzähl mir etwas über seine Kindheit. Eigentlich weiß ich kaum etwas über ihn ...“ „Du fragst, weil du den Prinzen und die Prinzessin getroffen hast“ unterstellte er und kam ihm insofern entgegen, dass er die Härte in seiner Stimme ein wenig besänftigte. „Es mag ungewöhnlich sein, aber der Pharao ist ein sehr liebevoller Vater. Er hängt an seinen Kindern. Sicher stößt er mit seiner Erziehung bei vielen Adligen auf Unverständnis, besonders bei der Königin Mutter. Aber er lässt sich nicht beirren. Er und Abunami stehen fest zusammen, wenn es um das Wohl ihrer Sprösslinge geht.“ „Ja, das ist mir aufgefallen“ erwiderte er ruhig. „Besonders der Prinz scheint sehr zu ihm aufzublicken.“ „Das ist wahr. Der Prinz liebt seinen Vater und eifert ihm nach. An sich ist er ein recht schüchternes Kind. Ganz im Gegensatz zu seiner Schwester. Aber er blüht schnell auf. Der Pharao hat das Talent, ihn zum Lachen zu bringen. Ich denke, das liegt auch daran, da er viel Verständnis für seinen Sohn aufbringt. Er weiß, wie hart die Ausbildung eines Prinzen ist und wie einsam man sich dabei fühlen kann. Zudem war er früher selbst ein eher schüchterner Junge.“ „Tatsächlich?“ Das versetzte ihn doch ins Staunen. Der Pharao, der ein riesiges, mächtiges und kultiviertes Reich regierte, war schüchtern? Oder schüchtern gewesen? „Man mag es kaum glauben, was?“ seufzte Fatil und schlug in alten Erinnerungen den Blick nieder. „Man merkt es ihm kaum an, aber im Grunde ist er sehr schüchtern. Was glaubst du, warum er so lang gezögert hat, dir seine Liebe zu gestehen? Er ist ein großartiger Pharao mit wahrer Durchsetzungskraft und einem festen Glauben, aber im Herzen ist er nicht so hart. Mit Gefühlen geht er sehr vorsichtig um.“ „Woher kommt das? Er ist nicht nur mächtig, sondern auch sehr gut aussehend. Er hat keinen Grund, schüchtern zu sein.“ „Er ist der Pharao. Er weiß, dass er allein durch die Krone auf seinem Haupt auf die Menschen sehr einschüchternd wirkt und das wiederum lässt ihn vorsichtig werden. Er hat diese Schüchternheit heute gut im Griff, aber früher war es anders. Ich weiß noch, wie er als Kind war. Als Prinz wirst du zwar höflich behandelt und hoch angesprochen. Dennoch lehren sie dich, wie unperfekt du bist. Die Lehrer des heutigen Pharaos haben ihm klar gemacht, dass er nicht um seiner Persönlichkeit etwas zählt. Wichtig ist Bildung, Intelligenz und Abstammung. Wahrhaft wichtig ist nur der Pharao, nicht der Prinz. Ein Prinz wird Demut gelehrt und gleichzeitig soll er herrschen. Für Kinder ein nicht leichtes Unterfangen. Das wäre es auch für Erwachsene nicht. Er musste lernen, lernen, lernen und hatte hauptsächlich alte Männer und Priester um sich. Er sagte mir damals häufig, wie ängstlich er sich fühlte, wenn er nach einem anstrengenden Tag allein in seinem dunklen Gemach lag und nicht schlafen konnte. Selbst wenn er weinte, kam niemand, um ihn zu trösten. Den Dienern stand es nicht zu und der Rest hat es ignoriert. Als Pharao wäre er ja auch auf sich selbst gestellt. Er sollte lernen, Trost in den Göttern zu finden und nicht in den Menschen. Das ist die Welt, in der er groß geworden ist.“ „Hart“ gab er bedrückt zu. „Aber heute ist er ein so warmer und gütiger Mensch. Und seine Eltern? Haben Sie ihn die Güte gelehrt?“ „Die Königin Mutter ist eine unnachgiebige Frau, die auf ihren Traditionen beharrt“ erzählte er geduldig. „Als Kind habe ich sie auch gefürchtet, da sie eine sehr rigide Stimme und stechende Augen hat. Der alte Pharao Akanumkanon hingegen war ein herzlicher Mann, der sich jedoch nur bedingt gegen sie durchsetzen konnte. Ihre Hochzeit war rein politisch und sie verstanden sich nicht annähernd so gut wie der Pharao und Königin Abunami.“ „Bitte erzähl mir davon“ bat Seth als er Fatil um eine Ecke in einen langen Gang folgte, an dessen Ende eine einzige Tür mit einem Wächter lag. War er mit Atemu auch hier entlang gegangen? Anscheinend gab es mehrere Wege zum Tempel. „Der Pharao wuchs nach alter Tradition unter Obhut seiner Großeltern auf. Wie schon erwähnt, fühlte er sich häufig einsam und überfordert. Er sehnte sich immer nach einem Familienidyll, welches für ihn doch unerreichbar war. Der alte Pharao Akanumkanon und dessen Vater vor ihm jedoch waren eng mit meinem Vater befreundet und so kam es, dass der junge Prinz häufig unser Gast war. Ich hatte die Ehre, sein Spielgefährte zu sein. Eigentlich ist es nicht üblich, den Prinzen spielen zu lassen, jedoch haben unsere Väter dafür gesorgt, dass wir wenigstens manchmal eine Zeit für uns hatten und ich ab und an seinen Lehrstunden beiwohnen durfte. Eigentlich war ich nicht mehr als sein kindlicher Gesellschafter, der seine eigenen Lehrer und Aufgaben hatte, aber wir haben uns darüber hinaus lieben gelernt.“ „Deshalb bist du ihm heute so eng verbunden.“ „Die Verbundenheit zur Königsfamilie ist meiner Familie über Generationen geradezu angeboren. Aber nicht nur deshalb ist der Pharao an mein Herz gewachsen. Ich bewundere es, wie er mit seinem Leben umgeht. Obwohl er unter der Fuchtel einer harten Mutter und strengen Lehrern aufwuchs, ist sein Herz von so viel Liebe und Mitgefühl erfüllt. Ich denke, seine Regierungsmethoden und Ansichten hat er dem Vorbilde seines Vaters abgeschaut. Als er genug gelernt hatte, wurde er der Obhut seiner Eltern zurückgegeben, um das Königshandwerk direkt zu lernen. Damals wuchs er recht bald mit seinem Vater zusammen und es entstand eine enge Beziehung zwischen beiden, als sie sich Tag um Tag sahen. Zwar war die Politik des Akanumkanon nicht so offen und tolerant wie die seinige es heute ist, jedoch waren ihre Grundgedanken dieselben. Sie verstanden sich im Herzen und ich glaube, der alte Pharao gab ihm Ideen mit, welche er selbst nicht verfolgen konnte den Prinzen seine Ideen und Grundsätze, um sie weiter zu tragen. Als sein Vater dann bei einer Schlacht umkam, war er nicht nur tief betrübt, sondern er schwor sich auch, dass Ägypten unter seiner Herrschaft niemals mehr Krieg führen sollte. Seit seiner Krönung kehrte Frieden ein. Zwar gab Ägypten einige Ländereien an seine Nachbarstaaten ab, jedoch forderte dies nicht annähernd so viele Opfer wie ein weiterer Krieg es getan hätte. Bisher ist seine Politik aufgegangen und ich wünsche mir von Herzen, dass es so bleiben möge.“ „Ich danke dir für deine Erzählung“ antwortete er höflich. „Ich denke, nun kann ich einiges besser verstehen.“ „Das freut mich.“ Auch wenn in seiner Stimme keine wirkliche Freude erkennbar war. „Dennoch klingst du besorgt“ tastete Seth vorsichtig an und verlangsamte seinen Schritt als auch Fatil es tat. „Du sprachst über des Pharaos Politik, als deine Stimme schwer wurde.“ „Vielleicht hast du mitbekommen, dass es derzeit große Probleme mit König Sarh von Tschad gibt ...“ „Am Rande, ja“ bestätigte er. „Der Wachmann in Nove Vaasa erzählte, dass Kämpfer aus fremden Landen in ägyptischen Dörfern einfallen.“ „Und das obwohl unser Pharao mit Sarh direkt sprach. Er hat sich den weiten Weg gemacht, um mit ihm über die Grenzstreitigkeiten zu sprechen und doch schickt Tschad seine Kämpfer zu uns. Auf unserem Wege haben wir ihr Werk gesehen. Sie morden, sie brandschatzen und sie vergiften unsere Brunnen. Bisher hat Ägypten keine echten Gegenmaßnahmen beschlossen, aber an den Grenzen breitet sich Verunsicherung aus. Ebenso wie bereits erste Kämpfe zwischen Bauern und Soldaten toben. Dass der Pharao so lang unterwegs war, hat nicht eben zur Entspannung dieser Lage beigetragen.“ „Tschad ist ein kriegerischer Staat, der bereits viele Länder unterworfen hat“ pflichtete Seth wissend bei. „König Sarh soll ein menschenfeindlicher Kriegsherr sein, der aus dem Nichts heraus fremde Königshäuser stürzt und ihre Reiche annektiert. Er besitzt ein riesiges Heer und Unmengen an Waffen. Er hat einen sehr schlechten Ruf, selbst bei seinem eigenen Volke.“ „Ich sehe, du verstehst dich auf politischem Wissen“ nickte Fatil und wies den Diener an, die Tür zu öffnen, durch welche er sich von Seth folgen ließ. „Dann wirst du es sicher auch verstehen, wenn ich dich darum bitte, den Pharao in nächster Zeit nicht zu sehr zu vereinnahmen. Er hat derzeit wahrlich anderes im Kopf, als dir beim Einleben zu helfen. Entschuldige meine harten Worte, aber bedenke, dass die aktuellen Regierungsgeschäfte vorgehen müssen.“ „Ich hatte nicht vor, Ägypten für meine eigenen Angelegenheiten ins Unglück zu stürzen, falls du das meinst.“ „Das wollte ich auch nicht sagen ... Seth.“ Er hielt an und wand sich in einem leiseren Ton an ihn. „Seth, wenn dir etwas auf dem Herzen liegt oder du das Gefühl hast, jemand behandelt dich nicht angemessen. Oder sollte dir etwas merkwürdig vorkommen, so wende dich bitte an mich. Ich weiß, wir beide haben nicht das beste Verhältnis zueinander, aber ich meine es wirklich ernst. Ich werde dich nicht hintergehen und ich vertraue darauf, dass du und ich diejenigen sind, die dem Pharao den Rücken stärken. Also, bitte versprich mir, dass du den Pharao nicht mit deinen Sorgen belastest. Schaffe ihm Erleichterung und keine Arbeit. Wenn du etwas brauchst, was auch immer es sei, dann sprich mit mir. In Ordnung?“ „Meinst du das wirklich ernst?“ Er blickte ihn an und fühlte sich etwas verunsichert. Das war eine merkwürdige Aufforderung. Er sollte seine Probleme mit Fatil besprechen und nicht mit Atemu, der doch sein einziger Halt hier im Palast war? „Das ist mein voller Ernst, Seth. Ich sage es dir in aller Ehrlichkeit. Sei vorsichtig, mit wem du dich unterhältst. Nicht alle Menschen im Palast sind des Pharaos Freund. Und so sehr er dich auch liebt ...“ Er blickte sich um und verfiel in ein vorgehaltenes Flüstern. „Du bist sein Schwachpunkt. So halte dich bedeckt. Bitte.“ „Fatil, dein Sprechen verunsichert mich“ gestand er offen und trat berührt einen Schritt zurück, um ihn besorgt anzusehen. „Du bist eigenartig heute.“ „Ich weiß ... um ehrlich zu sein, schwirrt mir der Kopf.“ Er strich sich durchs Haar und wand sich dann an den Türdiener zu seiner Seite. „Geh“ befahl er schlicht und wand sich zur anderen Seite, wo am Flurende eine weitere Wache postiert war. „Und du auch“ befahl er ruhig. „Und auch die Flurwachen.“ Aus den Ecken lösten sich zwei weitere Männer, welche mit geneigtem Kopf an ihm vorbei und hinausgingen. Auf seinen Befehl hin entfernten sie sich schnellsten aus seiner Nähe. Nun waren Seth und Fatil allein auf dem Gang und um sie herum nur Tepiche und Steinwände. Nicht einmal Fenster gab es hier, sodass dieser Übergang lediglich vom Schein der Wandkerzen erhellt wurde. „Warum schickst du sie hinaus?“ Das verunsicherte ihn noch mehr. Fatil verhielt sich wirklich eigenartig. „Seth, lass uns unsere Differenzen zur Seite schieben“ bat er herbe. „Ich gebe zu, ich habe Probleme, dir zu vertrauen, aber aus zwei Gründen will ich mich überwinden. Zum Einen lastet deine Vergangenheit zu schwer, als dass du wirklich eine Gefahr darstellst. Im Zweifel werde ich sagen, du hättest den Pharao getäuscht. Also wirst du ihm nicht schaden können.“ Seine Stimme war hart, aber es war ihm bitterlich ernst. „Und zum anderen wird deiner Rolle hier mehr Aufmerksamkeit zuteil werden als mir lieb ist.“ „Wie bitte?“ Hörte er richtig oder sprach Fatil nur wirres Zeug? „Leider ja. Ich muss dir vertrauen, denn ich weiß nun, du liebst den Pharao und willst ihm nicht schaden. Außerdem bist du ein intelligenter Mann, den ich einzusetzen gedenke.“ „Fatil, meine Sklavenzeit ist vorbei“ erwiderte er harsch. „Ich lasse mich nicht von dir einsetzen.“ „Schieb doch diese Sklavengeschichte mal zur Seite.“ Was Seth nur noch mehr verwirrte. Er sollte vergessen, was dem Pharao so schaden konnte? „Solange du in dir selbst den Sklaven siehst, wirst du auch einer bleiben. Bitte, Seth, sieh dich endlich als Priester. Ich jedenfalls tue das.“ „Fatil, was willst du?“ fragte er ihn dann auf den Kopf zu. „Ich habe das Gefühl, du redest wirres Zeug.“ „Seth, hör zu.“ Er trat an ihn heran und blickte ohne Scheu und Skrupel an ihm hinauf. „Während unserer Abwesenheit hat sich im Palast einiges geändert, was mir Sorge bereitet. Und ich brauche dich, um dem auf den Grund zu gehen. Als des Pharaos Geliebter und frisches Blut im Palast, kannst du mit Leuten sprechen, welche mich anlügen. Du hast hier noch keinen Ruf, aber das wird nicht lange so bleiben. Du bist gebildet, aufmerksam und außerdem wunderschön. Und du solltest diese Dinge zu des Pharaos Vorteil einsetzen. Ich bin mir sicher, auf dich werden demnächst einige wichtige Männer zukommen. Denn hier weiß noch niemand, ob du aus Liebe an des Pharaos Seite bist oder aus Eigennutz.“ „Was willst du mir sagen?“ „Du hast Ephrab kennengelernt“ sprach er weiter und verschränkte beobachtend seine Arme. „Sag mir, was du für ein Gefühl bei ihm hast.“ „Ich weiß nicht ... weshalb?“ „Tu es einfach. Sag mir, wie du ihn einschätzt.“ „Nun ja, wir haben nicht viel miteinander gesprochen“ musste er zugeben. „Ich habe das Gefühl, er hat wenig Humor und sehr konservative Ansichten. Außerdem ist er der Geliebte der Königin ... und ...“ „Und?“ „Es ist vielleicht nur eine emotionale Wahrnehmung“ formulierte er nachdenklich. „Ich hatte das Gefühl, seine Blicke drohten mir. Vielleicht lag es daran, dass die Königin mit mir flirtete, aber ... ich weiß es nicht. Seine Blicke waren so ... tief.“ „Genau darauf wollte ich hinaus. Ich denke nämlich, dass diese emotionale Wahrnehmung von dir gar nicht so falsch war“ bestätigte er und nickte zustimmend mit ernstem Blick. „Du bist nämlich eine Figur, welche nicht in sein Spiel passt. Mit dir hat er nicht gerechnet.“ „Fatil ... wovon sprichst du?“ „Es ist ganz einfach. Du bist unerwartet in den Palast eingezogen, noch dazu bist du Priester und des Pharaos Geliebter. Er weiß dich nicht einzuschätzen. Es könnte sein, dass du ihm in die Quere kommst. Ich sage dir das nicht, um dich zu verunsichern, sondern um dich zu warnen. Du solltest Ephrab nicht über den Weg trauen.“ „Und weshalb?“ Er senkte seinen Kopf und konnte ihm nicht ganz folgen. „Du willst mir nicht andeuten, er würde gegen den Pharao intrigieren.“ „Warum glaubst du, will er der Königin mehr politische Macht aufdrängen? Sicher nicht, weil er sie so abgöttisch liebt wie er es ihr beteuert. Seth, wenn du angreifbar wirst, wird er den Pharao stürzen können. Er sägt bereits an seinem Thron.“ „Nein.“ Was sollte er dazu sagen? Er war gerade mal einen Tag im Palast, gerade mal drei Tage des Pharaos Geliebter und schon geriet er mitten in den Sumpf von Intrigen und einem nahenden Putsch? Er kannte sich auf dem höfischen Boden noch nicht wirklich aus und schon begann sein einst größter Feind ihn vor Unheil zu warnen? Das war doch wohl ein Scherz! „Seth, ich kann es weder beschwören noch beweisen. Aber Ephrab spricht mit den falschen Leuten“ erklärte Fatil ihm aber völlig humorlos. „Dass es Minister und reiche Landherren gibt, welche die Politik des Pharaos nicht unterstützen war schon immer so. Aber wenn sich der Geliebte der Königin mit Kritikern der Krone zusammenfindet und dies nicht mal öffentlich tut, so bekommt das einen sehr herben Beigeschmack.“ „Und du bist dir sicher, dass das nicht wieder so ein verirrter Gedanke ist? Du hast auch geglaubt, ich wolle dem Pharao schaden, obwohl ich nichts dergleichen jemals angedeutet habe.“ „Ich gebe zu, bei dir hat mich deine Vergangenheit vorsichtig werden lassen. Aber bei Ephrab ist es anders. Dies ist keine Vermutung, sondern festes Indiez. Er will nicht des Pharaos Tod, sondern seinen Thron. Auch wenn beides Hand in Hand geht.“ „Woher willst du denn wissen, dass er mit des Pharaos Kritikern spricht? Er wird dir das kaum auf die Nase binden. Er weiß doch wohl, auf wessen Seite du stehst.“ „Seth, auch ich habe Beziehungen“ deutete er ungenau an. „Es gibt wenig im Palast, was mir verborgen bleibt und auch ich habe Freunde in den richtigen Reihen. Ich weiß nicht ganz sicher, was Ephrab plant, aber das Eine weiß ich genau: Er will mehr als der Königin Bett. Er nennt Ansehen, Geld und Verbündete sein Eigen. Ägypten steht kurz vor einem Krieg mit Tschad und Ephrabs Bruder Anhay, welcher sich in den letzten Jahren einen Namen als angesehener Feldherr im Orient verdient hat, ist bereits mit seinen Truppen hierher unterwegs. Dies hat der Ministerrat in Abwesenheit des Pharaos mit Unterstützung der Königin offiziell angefordert. Selbstverständlich, um die Stadt zu schützen. Aber ich traue dem nicht. Seth, ich traue ihm nicht. Für einen Geliebten mischt Ephrab sich meiner Meinung nach zu sehr ein. Und hierfür unsere Abwesenheit und die Krankheit meines Vaters zu nutzen, zeigt doch, dass er nicht so sauber ist, wie er die Königin glauben macht.“ „Weiß der Pharao davon?“ fragte er atemlos. „Fatil, wenn deine Befürchtungen war sind, dann droht ihm ein Putsch. Hat der Ministerrat überhaupt die Macht, so etwas zu beschließen? Was ist mit deinem Vater? Ich dachte, er hätte so viel Macht hier im Palast. Hätte er das nicht verhindern können?“ „Mein Vater liegt im Sterben“ antwortete er und wand seinen Blick ab. Wahrscheinlich war auch das der Grund, weshalb er so unruhig und schwankend war. Sein Vater lag im Sterben. „Seth, alles hängt jetzt an mir. Und auch wenn es mich beschämt, ich fühle mich im Augenblick überfordert. Ich habe es unterschätzt, dass sich die Lage in wenigen Wochen so zuspitzen kann. Und deshalb muss ich dich zur Hilfe bitten. Ich habe noch keinen vollen Überblick über die Lage oder darüber welche Personen genau involviert sind. Aber sicher ist, dass du eine Rolle spielen wirst. Nur welche, das ist noch nicht entschieden. Ich weiß, das kommt jetzt alles sehr plötzlich für dich. Für mich auch. Aber wenn wir den Pharao nicht schützen, wer soll es dann tun? Und insofern sollten wir uns jetzt zusammentun. Ob wir uns mögen, sei dahin gestellt. Aber ich vertraue darauf, dass wir eines gemeinsam haben. Und zwar die tiefe Liebe zu unserem Pharao.“ Und Seths Kopf war in diesem Moment wie leer ... Oh bitte, das war doch wohl alles nicht wahr ... Fatil wollte ihm doch nicht ernsthaft klarmachen, dass ein ehemaliger Lustsklave, den man in ein Priesterkostüm gesteckt hatte, jetzt die ägyptische Krone retten sollte. Er war ja talentiert in vielen Dingen, aber damit hatten die Götter ihm ein wahrhaft schweres Schicksal angedacht. Hoffentlich nicht zu schwer, als dass er es nicht tragen konnte. Einst hatte der Pharao ihm das Leben gerettet ... ... vielleicht war dies die Zeit, es ihm zu vergelten. To be continued ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Okay, ich gebe es zu. Eigentlich ist Fatil der heimliche Star dieser Geschichte geworden. Es gibt wohl einige, die ihn nicht mögen, aber ich hab einen Narren an ihm gefressen. ^^ Aber hiermit ist jetzt auch der Schlussspurt eingeleitet. Wer hätte denn gedacht, dass Seth gleich nach seiner Ankunft in die nächstbeste Intrige reinrutscht? Der kann doch echt Glück haben, was? ;) Also, bleibt noch ein Weilchen dabei und schaut, was am Ende rauskommt. Ich liebe euch! Kapitel 43: Kapitel 43 ---------------------- Kapitel 43 Die Tage vergingen und Seth war sich ungewiss, ob die äußerliche Ruhe nun Beruhigung war oder nur die letzte Entspannung vor dem drohenden Sturm. Er selbst verbrachte seine Zeit damit, sich in die Gepflogenheiten des Haupttempels einzuleben. Er lernte alle wichtigen Priester kennen, bekam die Gelegenheit zu eingehenden Studien der Staatsbibliothek, er wohnte verschiedenen Unterrichten bei und bereitete sich darauf vor, als Vorbeter bei der nahenden Volksmesse zu sprechen, was ihm eine besondere Ehre war. Die Volksmesse fand jedes Jahr am Tage mit den meisten Sonnenstunden statt, welchen man zur Ehre des Amun weihte. Dies war der Tag, an welchem das Reich den vergangenen Pharaonen gedachte, für die zukünftigen Pharaonen betete und dem amtierenden Pharao huldigte. Der höchste Feiertag des ägyptischen Reiches. Es wurde gesungen, Speisen zubereitet, Tänze aufgeführt und an diesem einen Tage im Jahr verwischten die Sorgen ein wenig, da es Tradition war, die Armen zu speisen und zu beschenken. Jedes Opfer, welches dem Pharao dargebracht wurde, leitete man die Armenhäuser weiter, sodass auch die Menschen, welche es schwer hatten, für einen Tag Erleichterung fanden. Dies war Tradition. An diesem Tage vorbeten zu dürfen, war eine ausgesuchte Ehrung. Und diese Auszeichnung war ihm nicht etwa vom Pharao beschieden worden, sondern vom Hohepriester Djiag Bes Anchnun und seinen Nebenpriestern persönlich. Man hatte ihn ausgewählt, um das Volksgebet zu sprechen, da man ihn für einen guten Redner hielt, der die Menschen begeistern konnte. Und hierfür wollte er sich bestgehend vorbereiten. Zumal sicher viele Menschen kommen würden, um ihn zu sehen. Dass der Pharao einen Geliebten hatte, sprach sich schnell herum. Seth bemerkte es daran, dass, wenn er einen Ausritt tat, die Leute in der Stadt ihn unverhohlen neugierig betrachteten und tuschelten. Aber er fühlte das nicht als negativ, sondern man winkte ihm, lächelte ihm zu. Er hatte noch keinen Ruf und so formte das Volk selbst einen für ihn. Und so sprach man recht bald von einem wunderschönen Priester mit einem bezaubernden Lächeln und einer sanften Stimme. Sie kannten seinen Charakter nicht und so schlossen sie von seinem Äußeren auf den Rest. Eine Freude war es, als eine fremde Frau ihm überraschend einen Arm voll Blumen entgegenhielt und ihn inniglich bat, sie dem Pharao zu überreichen. Das Volk liebte den Pharao und somit auch ihn. Und seine Schönheit war ihm ein Vorteil, um an des Königs Seite akzeptiert zu werden. Das erste Mal, dass Seth sein Aussehen nicht als Nachteil oder Fluch betrachtete. Doch so herzlich wie er im Tempel und im Volke aufgenommen wurde, so misstrauisch begegnete ihm der Ministerrat. Hier ging es nicht um Attraktivität oder Romantik, sondern um Macht. Die Adligen und reichen Kaufleute, welche die Politik des Palastes mitbestimmten, beäugten ihn streng. Als Priester, ausgerechnet noch als neuer Priester, hatte er eigentlich eher wenig Kontakt mit den Ministern. Die Einmischung in die Politik lag dem Hohepriester und seinen Nebenpriestern zu eigen. Jedoch war er als ungewöhnlich junger Priester und dazu noch als Geliebter des Königs durchaus von Interesse - selbst wenn ihm das so deutlich niemand zu spüren gab. Es war eher ein Gefühl, welches Seth für sich gewann. Auch Minister gingen zum Beten in den Tempel und sie begegneten ihm anders als die übrigen Menschen. Höflich, aber dennoch ... er wusste noch nicht genau, ob es wirklich daran lag, dass sie ihn mit ihren kritischen und forschenden Augen erkunden wollten oder daran, dass er vielleicht ihnen misstrauisch gegenüber stand. Seth hatte etwas zu verstecken und genau diesen Fakt versuchte er zu verheimlichen. Zumal er wusste, dass sich der Palast derzeit in einer angespannten Lage befand und man deshalb auf jeden seiner Schritte besonderes Merk legte. Der Pharao jedoch sprach mit ihm kaum über politische Gegebenheiten. Selbst wenn Seth das Thema anschnitt, schweifte der König bald wieder ab und gab ihm auch wortlos zu verstehen, dass er über den nahenden Krieg keine Worte verlieren wollte. Wenn er ihn traf, was sich meist erst am späten Abend ergab, so musste Seth nicht lang raten, um zu wissen, nach was er sich sehnte. Nämlich nach Ruhe. Der Pharao suchte schlicht nach Ruhe und Zerstreuung in seinen Armen. Er sprach den ganzen Tag über komplizierte Dinge, beschäftigte sich derzeit vornehmlich mit der politisch angespannten Lage. Seine Gedanken waren in Aufruhr und die Minister ließen ihm wenig Pausen. Seth beobachtete, dass er in den letzten Tagen dramatisch an Gewicht verloren hatte. Wie sollte es auch anders sein? Er war von der jüngsten Reise und seinem Schwermut noch geschwächt und bekam nun auch gar keine Gelegenheit zum Essen. Mit vollem Munde konnte man nicht regieren. Und dem gelegentlichen Schwindel, den dies in Verbindung mit dem Mangel an Schlaf mit sich brachte, dem schenkte der König keine Notiz. Er wusste, wenn er jetzt strauchelte, konnte ganz Ägypten mit ihm fallen. Seth versuchte seinen Pharao aufzufangen, ihm Ausgleich zu verschaffen. Doch die zwei Stunden am Abend, welche ihm vergönnt waren, konnten einen ganzen Tag voller Stress, Hetze und Problemen nicht gleichmachen. Er versuchte es und doch fragte er sich insgeheim, ob Atemu überhaupt davon wusste, was Fatil ihm erzählt hatte ... Dennoch versuchte er auch heute Abend seinem Gemüt ein wenig Ruhe und Wohltat zu geben. Als Atemu ihn in sein Gemach rufen ließ, kamen Seth bereits die Diener entgegen, welche schon hinausgeschickt wurden. Der Pharao wünschte allein zu sein mit seinem Geliebten. Die Diener nickten ihm freundlich zu und kannten ihn bereits. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie gehen mussten, wenn der junge Priester kam. Selbst die beiden Wachen an der Tür zu des Pharaos Privaträumen kannten ihn und ließen ihn ohne Widerstand durch. Ja, sie öffneten ihm sogar die Tür und schlossen sie wieder, sobald er hindurch war. Der Pharao saß am Rande und bespritzte sich das Gesicht mit ein wenig kaltem Wasser. Seth musste sich ein Seufzen unterdrücken, wenn er ihn so von hinten sah. Der entblößte Rücken des Pharaos glich dem einer armen Frau. Er war viel zu dünn. Besonders, wenn er so wie jetzt kein Oberhemd trug. Er war blass und die Knochen schimmerten durch. Wenn er nicht bald Ruhe bekam, würde sein Körper noch vor seinem Geist aufgeben. Dass er sich für Ägypten einsetzte, war selbstverständlich. Dass er sich aber aufopferte, das war schädlich. Für Ägypten und für ihn. Als Seth sich hinter ihn kniete und ihm seine warmen Hände auf die Schultern legte, zuckte der Pharao erst kurz zusammen und hob erschrocken den Kopf. „Entschuldigt. Habe ich Euch erschreckt?“ fragte Seth schuldbewusst. Der Pharao war gerade mitten in seiner Abendwäsche und er schlich sich so herein. „Nein, ich war in Gedanken“ antwortete er mit selbstberuhigender Stimme und wollte sich zu ihm herumdrehen. Jedoch konnte er das erst tun, nachdem sein Seth ihm einen warmen Kuss in den Nacken gehaucht hatte. Erst dann wand er sich herum und blickte in die tiefblauen Augen, die er den ganzen Tag vermisst hatte. Am Abend veränderten sich seine Augen vom hellen Himmelblau in dunkles Abendblau. Als hätte seine Seele eine Verbindung zu den Göttern. „Ihr solltet nicht nass und unbekleidet am kühlen Fenster sitzen“ riet Seth, nahm ihm das Tuch vom Schoß und trocknete ihm liebevoll das Gesicht ab. Mit einem erleichterten Aufatmen ließ sein Pharao sich in die zarten Berührungen fallen und genoss es mit geschlossenen Augen, dass sich zur Abwechslung mal jemand um ihn kümmerte und nicht er immer derjenige war, der handeln musste. Seth sah wie sehr sein Liebster die Zuwendung genoss, aber irgendwann musste er sich etwas anderes einfallen lassen. Sein Gesicht war trocken gerieben und seinen Hals hatte er bis zu den Schultern mit abgetupft. „Majestät“ flüsterte er mit gesenkter Stimme, um die ruhige Abendstimmung nicht zu stören. „Möchtet Ihr ein entspannendes Bad mit mir nehmen?“ „Nein“ seufzte er, öffnete seine Augen und blickte ihn müde an. „Ich würde mich gern ein wenig hinlegen und zudecken. In deinem Arm.“ „Auch eine gute Idee. Entspannt Euch und überlasst mir den Rest.“ Er legte das klamme Tuch beiseite und nahm dafür seinen Pharao auf den Arm. Besonders schwer hatte er an ihm nicht zu heben und so war es keine Anstrengung, ihn zu tragen und sanft aufs Lager zu legen. Sobald er ihn an sich genommen hatte, drückte Atemu sich nur noch näher, schmiegte seinen Kopf an ihn und suchte die Nähe. Armer Pharao. Sicher hatte er einen besonders anstrengenden Tag gehabt. Seth ließ ihn nicht mehr los und legte sich gleich mit ihm gemeinsam aufs Bett. In der Enge seiner Umarmung schaffte er es ein wenig umständlich, nach dem Laken zu greifen und es über den halb entblößten Körper zu ziehen, bevor er ganz auskühlte. Er streckte den Arm aus und ließ Atemu an seiner Schulter einen Platz der Wärme und der Geborgenheit finden. So kehrte ein zerbrechlicher Augenblick der Stille ein. Draußen hörten sie die Insekten im Palastgarten zirpen und der kühle Abendwind trug einen Hauch von Sternenhimmel durch die halb geschlossenen Vorhänge. Die Nächte im Palast waren selten so ruhig. In den Regierungsräumen tagten selbst um diese Uhrzeit wichtige Männer, es rannten Diener umher, Priester wurden gerufen, Vorräte angeliefert, Räume hergerichtet. Der Palast war wie ein Bienenstock, der niemals schlief. Und alles wurde regiert von dem Bienenkönig, welcher in diesem Moment lieber seine Augen schloss und den süßen Duft des Geliebten in sich aufsaugte, der sein Herz beruhigen wollte. Es war schwer, in solch einem Umfeld, in solch einer Position die Ruhe und den Überblick zu behalten. Seth hatte von Anbeginn gewusst, dass der Pharao bedeutend für das ganze Reich war. Doch wie abhängig wirklich alles von nur einem Mann war, bekam langsam gruselige Ausmaße. Wenn der Pharao auf ein Mal nicht mehr wäre, so würde Anarchie ausbrechen, die ein junger Prinz nicht kontrollieren könnte. Alte, verbohrte Männer würden die Macht an sich reißen und dem Volke mehr Diktator als Diener sein. Sollte Atemu etwas geschehen, würde Ägypten nicht mehr es selbst sein. Ägypten war Atemu. Und Atemu war Ägypten. Und Seths Herz wurde schwer, als ihm dies zum ersten Male wirklich klar war. Er hielt das Herz Ägyptens in seinem Arm. „Seth“ hauchte der Pharao leise. „Woran denkst du gerade?“ „Ich? Weshalb?“ „Dein Herz schlägt so schnell“ antwortete er müde und rutschte ein Stück höher, um näher an seinem Gesicht zu liegen. „Wenn du Sorgen hast, dann sag sie mir, damit ich sie zerstreuen kann.“ „So müsstet Ihr Euch selbst zerstreuen“ antwortete er beschwert. Auch ohne, dass er etwas sagte, spürte Atemu, wie ihm Sorge das Herz einengte. Obwohl er den Kopf so voller Dinge haben musste, so trug er noch immer einen Blick auf jeden einzelnen. Er besaß wirklich die Liebe und die Güte eines Sohnes, der vom Amun selbst gesegnet war. „Mich selbst?“ Er hob nun doch seinen müden Kopf und blickte auf Seth herab, der ihm sanft entgegnete. „Ist dir das Leben im Palast doch zu beengt? Wenn ja, so tut es mir sehr leid. Ich kann ...“ „Nein, das ist es nicht. Ich lebe ja mehr im Tempel als im Palast“ beruhigte er, hob seine Hand und streichelte die Wange des Königs, welche ein wenig eingefallen einen tiefen Schatten des Dämmerlichts innehielt. „Aber der Tempel ist ein Teil des Palastes. Wenn ich etwas tun kann, um es dir erträglicher zu machen ...“ „Nein. Mir geht es gut“ versprach er und seufzte tief. Ewig konnte er nicht dazu schweigen. Es zerriss ihm das Herz. Er musste es endlich aussprechen, was ihn des Nachts nicht schlafen ließ. „Mein Pharao, ich sorge mich um Euch. Ihr macht keinen gesunden Eindruck im Augenblick.“ „Das kommt nur dadurch, dass ich heute vor der Sonne aufgestanden bin“ lächelte er matt. „Ich meine nicht nur heute. Die letzten Tage stehen Euch ins Gesicht geschrieben“ versuchte er vorsichtig zu erklären. „Ihr seht müde aus und blass. Und Ihr verliert an Gewicht, was mir Anlass zur Besorgnis gibt.“ „Ich war schon immer ein wenig dünn“ beschwichtigte er. „Und sobald ich mich einen Tag in die Sonne setze, bekomme ich auch wieder Farbe.“ „Das ist es nicht. Es ist Euer Gesamtbild. Atemu, ich habe Sorge, dass Ihr krank werdet. Ihr esst kaum, Ihr schlaft kaum und seid länger auf den Beinen als die Sonne Stunden zählt. Jedes Mal, wenn ich Euch sehe, seid Ihr müde und tragt Sorgen im Blick. Und wenn ich Euch darauf anspreche, lenkt ihr die Sprache ab.“ „Ich habe wirklich ein wenig Sorge“ gab er traurig zu und wand seine Augen beschämt zur Seite. „Aber ich will dich damit nicht belasten. Es ist wichtig, dass du dich im Tempel wohlfühlst und dich richtig einlebst. Schließlich will ich nicht, dass du mich wieder allein lässt.“ „Ich würde Euch niemals allein lassen. Für Euch würde ich es an jedem Ort aushalten. Sorgt Euch weniger um mich und mehr um Euch selbst.“ „Aber du bist ein Teil von mir. Von meinem Herzen. Es ist mein Wunsch, dass dir wohl ist.“ „Wie kann mir wohl sein, wenn ich Euch so belastet sehe? Atemu.“ Er glitt mit seiner Hand um den Kopf herum und zog den Pharao sanft herab, um ihn zu küssen. Obwohl er so voller Sorge war, dachte er noch immer daran, dass sein Geliebter sich wohlfühlen musste. Die Furcht, ihn zu verlieren, war zu groß. Doch wie sollte Seth ihm verständlich machen, dass er ganz sicher niemals freiwillig gehen würde? Für ihn war es egal, ob er in einem Tempel lebte, in der Wüste, im Palast oder an jedem anderen beliebigen Ort. Ein Zuhause kannte er nicht. Zuhause war er dort, wo Atemu war. Egal ob der nun Pharao war oder ein normaler Bürger. Er würde ihn lieben. Nicht, weil er den Pharao liebte, sondern weil er Atemu liebte. Und genau deshalb sorgte er sich so sehr. Als König opferte er seine Gesundheit dem Volke und würde als Person darunter leiden. Doch wie sollte er einen Pharao stützen, der sich selbst nur in den Worten der Götter Hilfe suchen konnte? Seth wusste nur, dass er bei ihm sein würde, so lange Atem in ihm war. Weil Atemu ihm alles bedeutete. „Sorge dich nicht. Mein Seth. Deine Küsse halten mich aufrecht.“ Er löste sich von ihm, kam auf seiner Brust zu liegen und fuhr mit seinen Fingerspitzen über das weiche, dunkelblaue Stoffgewand, spürte seinen muskulösen Bauch, während er Seths kräftige Hand durch sein Haar kraulen fühlte. „Wenn alles vorüber ist, reiten wir gen Norden. Wie fändest du die Idee?“ „Norden“ wiederholte er fragend. „Was wollt Ihr im Norden?“ „Ans Meer“ erwiderte er mit leiser Stimme. „Ein Wandersmann erzählte mir einst davon, dass wenn man den Nil entlang reitet, man irgendwann ans Meer kommt und die Landschaft dort so anders sein soll. Das Land wird grüner, die Sonne angenehmer und das Meer soll so groß sein, dass das Auge nichts weiter sieht als Wasser. Am Meer zu stehen, muss ein unglaubliches Gefühl sein. Er sagte, man fühle dort die Anwesenheit der Götter im unendlichen Wasser. Man fühle, wie klein der Mensch ist und wie gewaltig die Natur. Und es soll dort goldene Felder geben und dunkelgrüne Wiesen. Seth, Wiesen so groß und saftig, dass man das Leben selbst an den Fußsohlen spürt. Ich möchte gern den Norden des Reiches sehen und spüren wie es sich anfühlt. Ich möchte dort mit dir über grünes Gas gehen und die Halme flechten. So wie in unserer ersten Nacht am Arm des Nil, als wir uns die Liebe gestanden. Ich will wissen, ob das Gras dort anders ist.“ „Dann werden wir dorthin reisen“ versprach er und strich das zerkraulte Haar glatt bis es sich seidig anfühlte und in dem Fackellicht verführerisch schimmerte. „Und wir reisen zum Gabal Musa. Wenn wir auf dem Weg ans Meer sind, würde ich gern den Suez überqueren und den Berg besteigen. Wenn man bei Sonnenaufgang dort oben steht, so heißt es, sieht man, wie die Götter Ägypten wachküssen. Ich würde es gern sehen. Wenn das Land sich rot färbt und die Kühle aus dem Stein weicht. Ich würde gern ein erwachendes Ägypten sehen. Die Teile des Reiches, welche mir noch fremd sind. So wie die Nordküste oder das östliche Sinai-Reich. Ich kenne nur die Wüste und die Städte. Aber die wirkliche Schönheit meines Landes ... ich würde sie gern erkennen. Sie kennenlernen. Mit dir gemeinsam.“ „Ich werde von Herzen gern bei Euch sein“ antwortete er, als des Königs verträumten Wunscherzählungen langsam zurück in die Wirklichkeit kamen. Zwar war die grüne Landschaft am Nil ebenfalls durchaus eine Schönheit, jedoch sehnte sich der Pharao fort von hier. Fort von der gezwungenen Hektik, fort von einengender Etikette und fort von den Problemen, die er lösen musste. In seinen Gedanken war er längst fort. Er liebte sein Reich, er liebte Ägypten. Doch hatte Ägypten ihm bisher wenig zurück gegeben. Er wollte fort vom Palast und die wahre Schönheit des Landes sehen. Seine Füße auf unbekannte Landschaften setzen. Mit seinem Geliebten Seit an Seit. „Das ist gut“ hauchte er und schloss müde seine Augen. „Die Zeit wird bald sein“ tröstete er mit sanfter Stimme. „Wir werden gemeinsam reisen, wohin es Euch zieht. Ans Meer und in die Berge. Wir werden fremde Gerüche erkunden, neue Farben sehen und seltene Lieder hören. Gemeinsam werden wir Ägyptens Schönheit kennenlernen und sie genießen.“ „Ich kenne die größte Schönheit Ägyptens bereits“ flüsterte er in einem langsamen Hauchen. „Sie liegt in deinen Augen. Ich versinke darin wie der Tag in der Nacht, wie Hitze in der Kühle. In deinen Armen komme ich zur Ruhe. Bei dir fühle ich mich das erste Mal wirklich geliebt. Du bist das Schönste, was Ägypten jemals hervorgebracht hat.“ „Eure romantischen Worte beschämen mich“ hauchte er, drehte sich auf die Seite, krümmte den Rücken und legte die Wange an seine Schulter. „Ich liebe Euch, Atemu. In Eurer Nähe zu sein, ist alles, was ich mir wünschen kann.“ „Mein Seth ... bitte sei nicht böse ...“ „Nein“ beruhigte er erst, bevor er noch ein Stück näher rückte und den königlichen Kopf behütet in seinen Schoß einschloss, sich um ihn wickelte wie eine Schlange um warmes Licht. „Weshalb sollte ich auf Euch böse sein? Wie könnte ich?“ „Weil ich so müde bin. Ich lasse dich rufen und bin so kraftlos. Seit Tagen haben wir uns nicht mehr geliebt und ...“ „Macht Euch darüber keine Gedanken.“ Sanft unterbrach er ihn, um jedwedes Bedenken im Keim zu erdolchen. „Ihr müsst nicht mit mir schlafen. Ein Kuss und Eure Nähe sind mir Liebe genug. Ganz wie Ihr Euch wohlfühlt.“ „Dann fehlt dir nichts?“ „Vertraute Momente wie diese sind mir angenehm. Ich liebe es, Euren Körper zu liebkosen und Eure süße Stimme zu hören. Aber ebenso liebe ich es, Euch seelisch nahe zu kommen und Euch Ruhe zu spenden. Für den Moment ist es gut so. Meine Liebe zu Euch umfasst mehr als nur Euer Bett zu teilen.“ „Dann bin ich erleichtert“ seufzte er warm an Seths Bauch. „Du bist immer so lieb zu mir.“ „Darf ich vielleicht dennoch so dreist sein und Euch um die Erfüllung eines Wunsches bitten?“ „Jeden“ versprach er mit matter, müder Stimme. „Was immer es sei. Du bekommst es. Was wünschst du dir?“ „Ein Frühstück mit Euch“ bat er sanft. „Wenn Ihr nun einschlaft und Euch morgen bei Sonnenaufgang mit mir gemeinsam in den Palastgarten setzt, würde mich das sehr glücklich machen.“ Er bat das nicht für sich, sondern vorrangig für den Pharao. Damit er am Anfang des Tages Kraft schöpfte und sich die Gelegenheit nahm, ein wenig zu essen. Er durfte nicht weiter abnehmen. Er brauchte Kraft für sich selbst. Und wenn er sich diese nicht selbst abdingte, so würde Seth versuchen, ihn zu stärken. „Ich will es versuchen“ versprach Atemu matt. „Was meint Ihr mit versuchen?“ „Morgen vor Sonnenaufgang gebe ich eine Audienz für die Generäle, welche direkt darauf an die westlichen Grenzen aufbrechen. Es ist wichtig, dass meine Worte sie für ihre Mission stärken. Aber ich werde es abkürzen und dich dann treffen.“ „Bevor Ihr dann weiterhetzt“ unterstellte er ein wenig trauernd. „Ich fände es angenehmer, wenn wir gemeinsam aufstehen, beten und dann die Sonne begrüßen. Wenn Ihr mir einen ganzen Morgen schenkt und es keinen Stress bedeutet, wenn Ihr Zeit mit mir verbringt.“ „Es tut mir leid. Im Augenblick hat der Tag mehr Arbeit als Stunden.“ „Und ich befürchte, mehr Arbeit als Ihr Kraft habt. Atemu, ich sorge mich um Eure Gesundheit. In aller Ehrlichkeit, Ihr seht nicht nur kränklich aus, sondern auch als würdet Ihr Euch so fühlen.“ „Ich bin heute Abend nur sehr müde.“ „Ihr seid an allen Abenden sehr müde“ gab er besorgt zur Antwort. „Atemu, wenn Ihr Euch so viel abverlangt, werdet Ihr zusammenbrechen.“ „Seth, bitte“ seufzte er und bewegte sich nicht ein Stück. „Bitte lass uns nicht streiten. Dein Zorn ist das Letzte, was ich jetzt brauchen kann.“ „Ich bin nicht zornig, sondern besorgt. Ich sage das nicht, um Euch zu ärgern oder ...“ „Bitte“ sprach er noch mal müde, aber nun eine Ecke deutlicher. „Lass uns nicht diskutieren. Nicht jetzt. Ich habe dich verstanden, aber bitte verstehe du auch mich. Versuche es wenigstens.“ „Wenn Euch etwas geschieht ... Atemu, Ihr seid doch alles, was mir wichtig ist. Ich würde ...“ „Ich liebe dich auch“ versprach er, regte sich und kuschelte seinen Kopf tiefer in den Stoff des blauen Gewandes. „Aber Seth, bitte. Ich schätze deine Worte und nehme sie an mein Herz. Aber bitte belehre mich nicht.“ „Ich habe verstanden“ entgegnete er ein wenig enttäuscht, aber auch verständig. Er hatte vorher gewusst, dass er sich auf den Pharao einließ und nicht auf einen gewöhnlichen Mann aus dem Fußvolke. So sanft sein König auch war, er ließ sich ungern in Dinge reinreden, von denen er überzeugt war. Er nahm Seths Bedenken sicher ernst und würde gern kürzer treten ... aber es gab eben auch Leute, die würden gern Ägypten annektieren. Im Augenblick spürte Seth, dass ein weiterer Streit darüber keinen Sinn hätte. Es würde nur dazu führen, dass Atemu ihn darum bat, zu gehen. Dies war das erste Mal, dass er wirklich hart blieb. Er las seinem Priester jeden Wunsch von den Augen ab, aber hier schien er keine weitere Thematisierung zu dulden. Sonst lenkte er galant in eine andere Richtung, doch wenn Seth nicht abwich, so wurde er eben deutlich. Freundlich zwar, aber deutlich. Für heute konnte er nichts anderes tun, als seinen König in die Arme zu betten oder eben in seinen Schoß, ihn warm zu halten und ausruhen zu lassen. Ihm das zu geben, was kein anderer ihm ließ - einen Moment Ruhe und wortlose Liebe. Doch leider hielt dieser ruhige Moment nicht nennenswert lang. Seth hörte gerade erleichtert, dass sich der Atem seines Pharaos vertiefte und die Spannung aus seinem Körper wich. Er fühlte sich wohl und driftete langsam in den Schlaf, als es an der Tür klopfte. Der Ton ließ den Pharao zusammenzucken, bevor er den Kopf hob und Seth verwirrt anblickte. Er war gerade dabei gewesen, sein Denken abzuschalten und Ruhe zu finden, dass ein solcher Ton nur seinen Stresspegel erneut anhob. „Erwartet Ihr noch jemanden?“ fragte Seth, als die Tür nicht sofort aufsprang. Aber wahrscheinlich fürchtete man, den Pharao und seinen Geliebten in einer prekären Lage zu ertappen. „Eigentlich nicht.“ Er wand seinen Kopf zur Tür und rief ein fragendes „Herein“, worauf die schwere Tür sich dann von Wachenhand öffnete und eine junge Frau hereinließ. Seth erkannte sie sofort. Wenn nicht an der feinen, dunkelbraunen Kleidung, so doch an ihrer schmalen Gestalt und dem hennarot gefärbtem Haar. Sie war Fatils zweite Frau. Dass sie im Palast verweilte, war nicht ungewöhnlich. Sehr wohl aber, dass sie den Pharao zu so später Stunde noch aufsuchte, obwohl doch anscheinend bekannt war, dass er Gesellschaft hatte. „Sipari“ sprach der Pharao verwundert ihren Namen und richtete sich zum Sitzen auf, als auch sie sich aus ihrer Verbeugung erhob. „Was kann ich für dich tun?“ „Verzeiht, dass ich Euch störe, mein Pharao. Seth.“ Auch dem nickte sie zu, als sie dem Pharao einen Blick schenkte, der ihn selbst erblassen ließ. Ihre schwarzen Rehaugen formten dicke Tränen und ihre helle Stimme zitterte unter ihrer Beherrschung. „Was ist denn passiert?“ „Ich bitte Euch, zu kommen“ erwiderte sie mit verletzter Trauer. „Es ist so weit. Er wünscht sich, Euch noch ein Mal zu sehen.“ Kapitel 44: Kapitel 44 ---------------------- Kapitel 44 Als Seth dem Pharao in ein Nebengebäude des Palastes folgte, fiel ihm zunehmend auf, wie still es hier war. Sonst spielten Kinder in den Gängen und Menschen standen schwatzend herum. Fatils Familie war sehr groß, allein bedingt dadurch, dass er drei jüngere Brüder und eine Schwester hatte, welche ebenfalls Familien besaßen und diese hier oder in der Nähe wohnten. Selbst seine Schwester, welche eigentlich in einer entfernten Stadt bei ihrem Gatten lebte, war herbeigekommen, um die Tage hier zu verbringen, wenn das älteste Familienoberhaupt schied. Doch in den Arealen der wohl einflussreichsten Adelsfamilie war es nun so still, dass man den Abendwind um die Ecken der unverzierten Wände wispern hörte. Kein Wort wurde gesprochen, als der Pharao durch die Gänge schritt und letztlich in einen offenen Raum kam, welcher an einem kleinen Brunnen endete, der von wild wachsenden Blumen geziert wurde. Etwas wind- und sichtgeschützt standen für gewöhnlich Verweilmöglichkeiten zum Sitzen und Entspannen zur Verfügung, doch nun war dort eine Liege aufgestellt, auf welcher ein alter Mann umgeben von seiner Familie die letzten Stunden verlebte. Seth wusste, dass der alte Fatil sehr krank war. Sein Magen behielt keine Nahrung bei sich und seine Lungen spieen mehr Blut aus als sie Atem tranken. Die Heiler hatten ihr Möglichstes getan und all ihr Können angewandt, jedoch erlag der Palastvorsteher von Tag zu Tag mehr dieser rätselhaften Krankheit. Es war bekannt, dass diese Erkrankung bereits viele Opfer gefordert hatte, jedoch fand man bisher kein Heilmittel. Gütig war die Krankheit, wenn sie schnell zum Ende führte. Grausam, wenn die Menschen über Wochen dahinsiegten. In Fatils Falle war das Schicksal grausam und schenkte ihm viele Tage des Leids. Bereits vor zwei vollen Monden, als sein ältester Sohn auf Wüstenreise weilte, war er erkrankt und nun schien sein Leid ein Ende zu nehmen. Glücklicherweise erst dann, als all seine Kinder und Enkel zusammengekommen waren, um ihm beizustehen. Als der Pharao sich näherte, blickte die Familie auf und nickte ihm dankbar zu. Seth bemerkte, dass man die Kinder zu dieser späten Stunde bereits zu Bett gebracht hatte. Und nun erhoben sich wortlos zuerst die neun Frauen, gingen an ihnen vorbei und warfen dem Pharao traurige Blicke zu, welche er mit einem leisen Seufzen erwiderte. Wortlos küssten nun die drei Männer die Hand des Alten und folgten ihren Frauen ebenso wortlos hinaus. Seth kannte die Fremden nicht, aber vermutlich waren dies die Söhne des Hauses, welche sich von ihrem Vater verabschiedeten. Nur Fatil als ältester Sohn blieb noch mit gesenktem Haupt sitzen und atmete schwer ein. Es war eine traurige Atmosphäre, in welcher Seth sich wiederfand. Als Priester hatte er zwar gelernt, Sterbenden in den letzten Minuten beizustehen, jedoch war er niemals wirklich in die Pflicht gekommen, dies auch wahrlich zu tun. Wenn nicht das Schwerste darin bestand, die Trauer der Familie zu sehen. Er wusste, sie schwiegen, weil es so üblich war. Wenn man sich von einem Sterbenden verabschiedete, ließ man ihm das letzte Wort und sagte kein Lebewohl. Der Tod bedeutete für einen Ägypter den Übergang in eine andere Welt, in welcher man sich früher oder später wiederfand. Ein Ägypter verabschiedete sich nicht. Deshalb war es hier so still. Erst als bis auf den ältesten Sohn alle Familienmitglieder gegangen waren, setzte sich der Pharao neben den Alten und legte dem jungen Fatil die Hand auf die Schulter. Seth selbst nahm alleinig auf der anderen Seite Platz, jedoch eher auf Bauchhöhe, da er zu dem Sterbenden nicht in einem engen Verhältnis stand. In dem Dämmerlicht wirkte die Haut des Alten wie aufgedunsen, ledrig und gelblich. Seine dunklen Augen waren getrübt wie durch einen Milchschleier und sein Haar lichtete sich kränklich auf dem erkahlenden Kopf. Der rasselnde Atem ging schwer und quälend langsam, als der Pharao seine gereichte Hand nahm und ihn mit feuchten Augen ansah. Seth wusste, dass der alte Fatil ihm selbst ähnlich wie ein Vater war. Er hatte Atemu angeleitet, nachdem der erst seinen Vater verloren und dann die Krone gewonnen hatte. Er war nach dem Pharao der mächtigste Mann. Zwar nicht unbedingt vom Stande her, aber dass sein Wort im Palast ein ungeschriebenes Gesetz darstellte, hatte Seth schnell verstanden. Diese kronesnahe Familie bestimmte, wer den Palast betrat und verließ, wer Waren lieferte, wer befördert oder degradiert wurde. Die gesamte Organisation des Palastes und damit des Tempels und der ganzen Hauptstadt lag in den Händen dieser Familie. In den Händen dieses alten Mannes. Doch, was noch wichtiger war - er stand dem Pharao so nahe wie es nur ein Verwandter konnte. Zwar gehörten sie nicht zur selben Familie, aber er war immer ein guter Ratgeber gewesen, den der König hoch schätzte und liebte. Ihn zu verlieren, bedeutete mehr als nur seinen Palastvorsteher einzubüßen. „Nun schaut doch nicht so bedrückt, Pharao“ lächelte der Alte ihn mit heiserer Stimme liebevoll an. „Oder trauert Ihr darum, dass ich Euren Ruheabend unterbrochen habe?“ „So was darfst du nicht sagen“ erwiderte Atemu mit Tränen in den Augen und in der Stimme. „Oder hast du etwa vor, mir noch mehr Arbeit aufs Auge zu drücken?“ Mit einem Husten lachte der Alte und war zu schwach, um dazu noch seinen Kopf zu heben. So kam nach dem ungesunden Lachen bald die Hand seines Sohnes, welche ihm mit einem Tuch ein wenig Blut aus dem Mundwinkel wischte. „Sprich nicht so viel, Vater“ bat er mit belegten Worten. „Es strengt dich zu sehr an.“ Aber dem schenkte der Alte nicht viel mehr als ein schwaches Lächeln, bevor er seinen Blick wieder auf das sanft beschienene Gesicht des Pharaos lenkte. „Majestät, Ihr ward mir immer wie ein fünftes Kind“ sprach er langsam und heiser unter viel Aufbringung von Atem. „Und Ihr habt mich sehr stolz gemacht.“ „Danke.“ Er senkte seinen Kopf und unterdrückte die schweren Tränen, welche ihm sichtlich die Kehle zuschnürten. „Es wird schwer werden ohne dich, Fatil. Ohne deinen Rat und deinen strengen Blick.“ „Ich weiß, ich war häufig streng zu Euch. Besonders nachdem Ihr gekrönt worden seid“ lächelte er und drückte des Königs Hand voller Liebe. „Aber aus Euch ist ein stattlicher Pharao geworden. Ihr seid klug und willensstark. Ägypten kann stolz sein, Euch zu gehören. Und ich bin stolz, Euch gedient zu haben.“ „Fatil ...“ „Aber nun gebe ich meine Aufgabe an meinen Sohn weiter. Bis auf einen letzten Rat und eine letzte Bitte.“ „Du kannst mich um alles bitten“ versprach der Pharao und schämte sich nicht für die Träne, welche ihm über die Wange rollte. „Ich bitte Euch, meinem Sohn Geduld zu schenken“ erbat er und kreiste mit seinem milchigen Blick über das gesenkte Gesicht seines Sohnes bis er zurück zum Pharao kam. „Ich weiß, er ist ein Hitzkopf und manchmal mischt er sich zu sehr in Eure Dinge ein. Aber bitte seid nachsichtig mit ihm. Er tut dies aus Liebe zu Euch. Deshalb habe ich kein schlechtes Gewissen, nun zu gehen. Ich weiß, dass mein geliebter Pharao bei ihm in guten Händen ist.“ „Darum mach dir keine Sorgen“ lächelte Atemu und schenkte dem jungen Fatil einen vertrauten Blick, welchen dieser mit unverhohlener Traurigkeit erwiderte. Für Seth war es merkwürdig zu sehen, dass auch der junge Fatil verletzlich war. Sonst gab der sich immer stark und unüberwindbar. Aber mittlerweile wusste er, dass er sich für den Pharao aufopfern würde, wie der sich für Ägypten aufopferte. Seinen Stand herauszukehren und die Feinde der Krone von vornherein einzuschüchtern, war nur Teil seiner Treue. Dennoch war Seth das Wissen darum, wie seine Augen in Tränen dreinblickten, fast unangenehm. Eigentlich würde er jetzt gern gehen. Dem Tode eines so wichtigen und dem Pharao nahestehenden Mann beizuwohnen, war ein wenig unangenehm. Aber seit er sich gesetzt hatte, konnte er auch nicht einfach so wieder aufstehen und fortgehen. Das tat man weder als Priester, noch als anständiger Mensch. „Fatil und ich werden schon miteinander auskommen“ versprach der Pharao mit einem ehrlichen Blick. „Ich vertraue ihm wie ich dir vertraue.“ „Vertrauen ist etwas Gutes. Aber vertraut auch den richtigen Menschen“ riet er ihm und sein beruhigendes Lächeln wich einer ernsten Mine. „Mein Pharao, nehmt meinen innigen Rat bitte in Eure Gedanken auf. Verschenkt weder Euer Herz noch Euer Vertrauen leichtfertig.“ „Das tue ich nicht. Ganz sicher nicht.“ „Doch, das tut Ihr leider nur zu leicht. Ihr glaubt sehr lang daran, dass die Menschen gut sind. Das ehrt Euch, aber es birgt auch Gefahren. Es gibt nicht nur gute Menschen auf der Welt. Ebenso wie es gute Menschen gibt, so gibt es auch schlechte. Es ist keine schöne Lehre, aber eine wahre. Deshalb versprecht es mir und gebt Euer Wohlwollen nicht zu leicht aus der Hand. Verschenkt Euch nicht.“ „Ich danke dir für deinen Rat“ nickte er berührt. Atemu wusste selbst, dass er manches Mal zu gutgläubig war. Deshalb waren der alte, wie auch der junge Fatil so wichtig für ihn. Ihr Misstrauen war es, welches sein naives Herz zum Einhalten zwang. „Für eines jedoch möchte ich Euch noch danken, mein Pharao“ sprach er und wurde von einem kurzem Keuchen begleitet, welches seinen zerfallenen Körper schüttelte und noch schwächer scheinen ließ. „Es gibt nichts zu danken. Du hast mir jahrelang mehr gegeben als ich dir.“ „Doch. Für das Eine danke ich Euch“ beteuerte er und wandte müde seinen Kopf auf dem flachgedrückten Kissen. „Ihr habt mich auf meine alten Tage hin gelehrt, was Güte in einem Menschenleben bewirken kann. Ihr habt mir bewiesen, dass Ihr das Wort der Götter wahrlich im Herzen tragt.“ „Ich weiß nicht genau, was du meinst, Fatil. Ich ...“ „Ich meine, den wunderschönen Priester, der seit Eurer Heimkehr des Pharaos Seite ziert“ erklärte er mit einem kurzen Blick auf Seth, dem das Herz schwer wurde bei dieser Zuwendung. „Sicher erinnert Ihr Euch noch daran, wie ich Euch riet, ihn für Euer Bett zu behalten oder ihn zu verkaufen, vielleicht zu verschenken, in diesem Falle ihn fortzusenden.“ „Ja. Daran erinnere ich mich“ bestätigte er mit trauriger Stimme. „Aber Ihr habt mir nur halb entsprochen. Ihr schicktet ihn trotz Eures verschenkten Herzens in den Tempel und ludet damit große Gefahr und großen Schmerz auf Euch. Ich war mir unsicher, ob dies der richtige Weg ist, doch Ihr ...“ Er musste sich einen Augenblick ausbedingen, um Atem zu schöpfen. Seine Augen wurden schwer, aber er wollte noch loswerden, was er zu sagen hatte. „Doch Ihr zeigtet mir den Willen eines Gottes“ fuhr er schwach fort. „Ich hielt ihn für niedriger als einen Menschen, doch Ihr rücktet nicht von Eurer Überzeugung ab und lehrtet mich, was Güte wirklich heißt. Ich zweifelte an Euch und Eurer Entscheidung, doch ihr belehrtet mich. Zu sehen, dass Ihr ihn nach Jahren des Verzichts nun an Eurer Seite habt, gab mir im letzten Moment den wahren Glauben. Ihr habt die Macht, aus einem Vorurteil Gerechtigkeit und Liebe zu formen. Mit Geduld und Güte, welche den Göttern gleich sind.“ „Ich war’s nicht allein“ dankte er mit gesenktem Kopf. „Du hast mir deinen Rat gegeben und dein Sohn hat mit, wenn auch rüder Hand, eingegriffen. Allein wäre ich nicht das, was ich heute bin.“ „Macht Euch nicht zu klein. Ihr seid ein großer Mann“ lächelte der Sterbende ihn dankbar an. „Euch zu kennen, erfüllt mein Herz mit Wärme. Und mit Zuversicht. Dass Ihr mir einen selbst geformten Priester an mein Sterbelager bringt, verheißt mir, dass die gütigen Götter existieren. Wenn unsere Götter nur halb so gütig sind wie Ihr, so wird jeder Mensch seinen Frieden finden. So muss ich nichts fürchten.“ „Fatil, nicht.“ Seine Stimmte bebte, als er seine Hand drückte und den blassen, hustenden Mann traurig anblickte. Außer Atem seufzte er und blickte ein letztes Mal mit müden Augen seinen ältesten Sohn an. „Behüte den Pharao“ sprach er mit leiser Stimme. „Behüte sein Leben und sein göttliches Herz.“ „Das verspreche ich dir, Vater“ antwortete er mit brüchigen Worten. „Ich liebe euch beide. Von Herzen.“ Einen Augenblick noch sah er die zwei an und wand mit letzt verbleibender Kraft seinen Kopf zu Seth um. Er öffnete den Mund, verhieß einen Atem und Seth sah, er wollte ihm noch ein paar letzte Worte sagen. Doch sein Körper erlag der Schwäche und so formte der alte Mund nur noch ein kaum durchscheinendes Geheimnis, bevor ein letzter Atem seinen blutenden Lungen entkam und den Augen das trübe Licht nahm. Erst als Atemu die alte Hand losließ und über die erstorbene Brust legte, war es Gewissheit. Sein letzter Lehrmeister war gegangen und ließ ihn in einem denkbar schlechten Moment zurück. Nicht nur, dass das Gemüt des Pharaos ohnehin schwer war und er nun auch noch einen Todesfall zu beklagen hatte. Nein. Im Palast herrschte bereits angespannte Stimmung und nun einen wichtigen Mann wie den alten Fatil zu verlieren, die graue Eminenz nicht mehr bei sich zu haben, würde sicher zu Problemen führen. Kapitel 45: Kapitel 45 ---------------------- Kapitel 45 Dieses Erlebnis saß Seth noch lange in den Knochen. Obwohl nun bereits zwei ganze Tage vergangen waren, wollte ihm dieses traurige Bild nicht mehr aus dem Kopf gehen. Das Bild, in welchem sich der Pharao und der junge Fatil weinend in den Armen lagen und um den Toten trauerten. Und die Hilflosigkeit, welche er selbst in diesem Moment empfand. Obwohl er als Priester dazu verpflichtet war, Trauerhilfe zu leisten, wusste er nichts Aufbauendes zu sagen. Es hatte ihn im Herzen berührt, dass Fatil, mit dem er sich nie ausgesprochen gut verstanden hatte, ihn in solch einem privaten Moment nicht fortschickte. Es deutete es als Zeichen des Vertrauens. Aber gleichzeitig beschwerte es ihm das bisher ohnehin verwirrende Leben im Plast. Er fühlte es, als wäre ihm selbst ein Familienmitglied gestorben, obwohl er solch eine Trauer kaum nachempfinden konnte. Seth selbst wusste nichts von seiner Familie. Er wusste, er hatte einen Bruder und zwei Eltern. Aber ihre Gesichter waren verschwommen. Obwohl er sich gewiss war, dass zumindest seine Eltern nicht mehr lebten, so stellten sich doch Gewissensbisse ein, dass er darüber nicht traurig sein konnte. Er hatte zu wenige Erinnerungen als dass er trauern könnte. War dies nicht verwerflich? Er fühlte sich elend, wenn er daran dachte und keine Emotionen empfand. Es stimmte ihn traurig, Fatil weinen zu sehen. Es stimmte ihn noch trauriger, den Pharao so verletzt zu sehen. Doch er konnte nicht um seine eigenen Eltern trauern. Vielleicht fand er deshalb keine Worte. Er konnte sich nicht daran erinnern, welche Gefühle man zu einer Familie empfand. Und sollte sein Bruder wirklich noch am Leben sein ... würde er ihn erkennen? Und wenn er tot wäre? Würde er genauso um ihn weinen, wie der Pharao um den alten Fatil weinte? Oder würde er einfach gar nichts spüren? So wenig, wie er gespürt hatte, bevor er Atemu begegnet war ...? Konnte das Nichtsfühlen schlimmer sein als Schmerz? Diese Gedanken kreisten Stunde um Stunde in seinem Kopf und wollten ihn nicht ruhen lassen. Immerzu musste er daran denken, wie wenig er verstand. Wie sollte er dem Pharao jetzt und in Zukunft beistehen, wenn er die grundlegensten Gefühle nicht verstand? Den Pharao konnte er damit nicht beschweren, denn der hatte eigene Trauer zu bewältigen. Wer konnte ihm da anderes zuhören und Rat geben, wenn er außer Atemu keinen Menschen hatte, der sich seiner Sorgen annahm? Da der Pharao ihn heute Abend noch nicht gerufen hatte und Seth schweren Herzens ahnte, dass er dies wohl auch nicht mehr tun würde, stand er von seinen Abendstudien auf, ließ die Schriftrollen offen liegen und suchte seinen Weg in einen Gebetsraum. Er wollte Ruhe im Gebet suchen, den Göttern seine Seele erleichtern und sie um Kraft bitten. Kraft für sich selbst, seine abgestumpften Gefühle zu verstehen. Und Kraft für seinen Pharao, welchem er Erleichterung in so dunkler Stunde herbeisehnte. Und auch Kraft für Fatil, dessen Schmerz er selbst weder lindern noch verstehen konnte. Kraft, um aus all dem zu lernen und ein besserer Mensch zu werden. Um nicht mehr dumpf zu sein, sondern ein Mensch mit hohen und tiefen Gefühlen wie jeder andere auch. Nach seiner Erfahrung war der Gebetsraum, welcher direkt von der Halle in den Innenhof führte, der ruhigste von allen und auch der, welcher bei eintretender Nachtkälte am längsten warm blieb. Durch den speziellen Stein, welchen man dort verarbeitet hatte, war das Niederknien vor dem kleinen Altar besonders angenehm, da die wolligen Teppiche noch einige Zeit von unten gewärmt wurden. Dies wussten aber nur die geweihten Priester, welche um diese Zeit aber meist schon in ihren Zimmern weilten und sich auf die Nacht vorbereiteten. So hoffte Seth, den Raum für sich allein zu haben. Als er die bunt verzierte Holztür aus leichtem Holz öffnete, atmete er erleichtert auf. Es standen keine Schuhe vor dem heiligen Raum. Es schien niemand hier zu sein und er hatte genug Zeit, um in aller Ruhe sein Gebet zu sprechen und bei den Göttern um Hilfe zu bitten. In dem kleinen Vorraum setzte er sich am Rande auf den schlichten Holzhocker und machte sich daran, die Schnüre um seine Sandalen zu lösen. Da dieser Raum mit so speziellem Stein belegt war, musste man wahrlich keine Schuhe tragen, um warme Füße zu behalten. Es war ohnehin normal, dass man sich in abgeschiedenen Räumen barfuß zum Gebet setzte, es sei denn man hatte Grund die Kälte zu fürchten - was hier eindeutig nicht der Fall war. Selbst dieser kleine Raum war noch aufgeheizt von der Tageshitze. Die Wände fühlten sich warm an und der zugezogene Vorhang aus schwerem Wollstoff tat sein Übriges, um die Wärme noch länger zu halten. So erwägte Seth sogar noch, seinen Umhang abzulegen und in das kleine Bord zu hängen, welches zur Ablage der persönlichen Sachen diente. Er durfte nur nicht vergessen, in später wieder mitzunehmen. Gerade schärfte er sich diesen Gedanken ein, als er eine Stimme hörte, die sehr dicht bei war und dessen bekannter Ton ihn erstarren ließ. „Sehr schön. Ich sehe, du hast all meine Änderungen eingearbeitet.“ >Ephrab?< Seth traf der Schlag. Der Gebetsraum war nicht nur überraschend von jemandem besetzt, der so respektlos war, seine Schuhe nicht abzulegen, sondern es war auch noch Ephrab. Und ganz sicher war noch jemand bei ihm, denn nach einem Gebet war sein Ton nicht gestaltet. „Es war nicht leicht, aber am Ende haben alle zugestimmt.“ Seth nahm seinen Mut zusammen und linste durch den kleinen Spalt zwischen dem schweren Vorhang und der hellbraunen Wand. Er erkannte erst nur die Statue des Osiris, welche mit ihrem Glanz den Schein der Fackel reflektierte. Als er aber seinen Kopf ein wenig senkte und herumdrehte, konnte er mit etwas Bewegung zwei Männer erkennen. Ephrab war allein durch seine auffällig ausländische Kleidung zu identifizieren, welche heute Abend hellgelb war. Den Mann an seiner Seite hatte Seth auch schon einmal gesehen. Er trug keine Haare mehr auf dem Kopf und war kräftig beleibt. Seine Kleidung dunkelrot und seine Schuhe wegen eines Gehfehlers an den Spitzen immer sehr abgestoßen. Er war einer der Minister und ein nicht unwichtiger Mann im Palast. Seth war noch nicht vollends hinter die Rangfolge des Ministerrats gestiegen, aber er wusste, dass ein so hoher Mann mit jemandem wie Ephrab, welcher ‚nur’ Geliebter war, eigentlich nichts zu schaffen haben sollte. „Außerdem konnte ich Isapas für unser Vorhaben gewinnen“ fuhr der kahlköpfige Alte fort. „Er wird uns mit seiner ...“ „Du hast was?“ fuhr Ephrab ihn in einem Ton an, der Seth erzittern ließ. Nicht, weil er so laut war, sondern eher, weil er durch seine Ruhe in den Ohren schnitt. Dieser Stimmfall erinnerte ihn an einen seiner Lehrer im Sklavenhaus. Eine Assoziation, welche er in dieser Form noch nie gehabt hatte. Und das machte ihn nervös. „Du hast mit jemandem gesprochen, ohne das mit mir abzustimmen?“ „Isapas ist ein reicher Mann“ versuchte der Dicke uneingeschüchtert seine Handlung zu rechtfertigen. „Er hat Grund, uns zu folgen. Das neue Abgabengesetz, welches der Pharao beschlossen hat, beraubt ihn immenser Steuereinnahmen. Trotz der Vergünstigungen, die wir für den Adelsstand erwirken konnten. Er ist schon lange kein Freund der aktuellen Politik mehr.“ „Nur wegen ein paar Steuereinbußen heißt es noch lange nicht, dass uns jemand so folgt, wie wir es brauchen“ wand Ephrab misstrauisch ein. „Nun gut, jetzt ist es zu spät für einen Rückzug. Aber keine neuen Verbündeten mehr ohne Absprache. Dafür stehen wir zu dicht vor unserem Ziel.“ „Welches zum Greifen nahe ist“ erwiderte der Kahlköpfige mit einem hörbaren Lächeln in der Stimme. „Seit der alte Fatil vor zwei Tagen gestorben ist, haben wir freie Hand. Seine Anhänger sind mit seinem Sohn noch nicht so vertraut und ...“ „Du solltest das nicht auf die leichte Schulter nehmen“ unterbrach er ihn mit deutlicher Mahnung. „Der Alte mag vielleicht tot sein, aber wir sollten seinen Sohn nicht unterschätzen. Er hat unser Tun bereits im Auge und ich bin mir sicher, er ahnt etwas. Er überwacht uns auf Schritt und Tritt, aber noch kann er uns zu nichts bezichtigen und er kennt unseren Plan nicht. Aber auch der junge Fatil hat durchaus seine Anhänger und verfügt über ein enges Netzwerk. Er kennt den Palast besser als wir. Ihn zu unterschätzen wäre ein Fehler, der uns den Kopf kosten kann. Auch wir sollten aufpassen, mit wem wir wann und wo sprechen.“ „Ich unterschätze ihn nicht. Sei nicht so nervös, Ephrab. Es wird alles sauber ablaufen, sobald dein Bruder erst mit seiner Armee eintrifft.“ „Ich bin nicht nervös“ stritt er ernst ab. „Aber wir müssen uns beeilen und den Tod des Alten zu unserem Vorteil nehmen. Wir müssen die allgemeine Trauer und Verwirrung nutzen und den Pharao stürzen, bevor die Königin von Libyen hier eintrifft.“ „Beobachter sagten mir, sie wäre in etwa zehn bis zwölf Tagen hier.“ „Weiß der Pharao schon davon?“ „Bisher nicht. Ich habe ihre Briefe persönlich abfangen lassen“ erzählte er mit gesenkter Stimme. „Aber es ist nur noch eine Frage der Zeit bis Königin Ras Lanuf ihre ersten Botschafter schickt. Bisher konnte ich diese Information zurückhalten, aber wenn der Pharao von ihrem Besuch erfährt, wird sich seine Politik sofortig ändern. Er wird die Stadt unter Bewachung stellen und seine Familie in Sicherheit bringen. Er weiß, dass Ras Lanuf schwer zu berechnen ist.“ „Libyen wird eine entscheidende Rolle gegen Tschad spielen“ sprach Ephrab wissend. „Ras Lanuf braucht Ägyptens Hilfe, da sie noch immer Krieg gegen Algerien führt und sich derzeit keine zusätzliche Auseinandersetzung mit König Sarh liefern kann. Jedenfalls nicht allein. Meiner Meinung nach hätte unser Pharao eher sie, als König Sarh besuchen müssen.“ „Er hat versucht, Tschad zu beschlichten. Eine Verhandlung mit Libyen käme einer Kriegserklärung gleich, da beide Länder schon lange im Zwist liegen. Außerdem hieße es, dass er Algerien bekämpft, sollte er Ras Lanuf unterstützen ...“ „Ja, der Pharao sucht immer nach Schlichtung“ knurrte Ephrab. „Aber mit Frieden kann er sein Reich nicht zusammenhalten. Er wird Ägypten in Grund und Boden befrieden. Unsere Armee wäre nicht mal der von Libyen gewachsen. Die Friedenspolitik hat Ägypten geschwächt.“ „Ich gebe dir Recht, Ephrab. Aber es gibt noch immer viele Menschen, welche seine friedvolle und diplomatische Politik in sehr positivem Licht sehen.“ „Aus diesem Grunde müssen wir handeln, bevor Ras Lanuf hier eintrifft. Und bevor der Pharao Wissen von ihrem Vorhaben bekommt.“ „Dann müssen wir unsere Pläne beschleunigen.“ „Sieht so aus“ überlegte er und ließ einen Moment Ruhe einkehren. Wohl um nachzudenken. Und Seth saß mit aufgeregt schlagendem Herzen hinter dem Vorhang und wollte nicht glauben, was er hörte. Fatil hatte tatsächlich Recht gehabt! Man plante einen Putsch gegen den Pharao. Und das sehr bald. „Wann wird dein Bruder hier sein?“ fragte der Alte, als von Ephrab keine weiteren Worte folgten. „In drei Tagen, schätze ich“ war seine nachdenkliche Antwort. „Dann muss ich noch heute Abend beginnen. Hast du das Öl bereits hinterlegen können?“ „Shaiph hat es bei sich und wartet nur auf deinen Besuch“ antwortete er. „Stark duftendes Rosenöl mit Gift versetzt. Zwei Anwendungen und die Königin wird dahin sein. Die Kinder noch schneller. Und niemand wird nachweisen können, woher das Gift stammt. Dafür verbürge ich mich.“ „Wenn du so weiter machst, wird dich das wirklich deinen Kopf kosten“ fuhr Ephrab ihn zischend an. „Abunami badet niemals in Rosenöl. Sie liebt den Lotus.“ >Er will die Königin töten!< Seth brachte all seine Beherrschung auf, um nicht geschockt auszurufen. Er drückte sich die Hände auf den Mund und kämpfte den Schrecken zurück. Ephrab gab vor, die Königin zu lieben und stattdessen wollte er diese wunderbare Frau töten! Vergiften! Und so wie es sich anhörte, ihre Kinder ebenfalls! Das war schrecklich! Er spielte ihr etwas vor, um seine Fäden im Palast zu spinnen. Er hinterging nicht nur die Frau, die ihn liebte, sondern er plante sogar Mord an den Thronfolgern. All dies war ein sauber durchgeplantes Komplott! „Lasst das Rosenöl vernichten“ befahl Ephrab mit strengem Geheiß. „Es muss Lotus sein. Sie badet in nichts anderem. Der Pharao liebt Rosenduft, aber der Plan, ihn zu vergiften, ist schon lange gelöscht.“ „Gut, dass du das sagst“ nickte der Alte und wand sich ihm zu. „Niemand kennt die Königin so gut wie du.“ „Ab jetzt keine Fehler mehr. Hörst du? Ich hole das neue Öl morgen Mittag bei Shaiph ab“ fuhr er leicht erzürnt fort, aber er konnte jetzt nicht mehr zurück. „Ich werde selbst mit ihr beim ersten Mal darin baden, damit keiner Verdacht schöpft. Die zweite Anwendung wird sie dann gemeinsam mit den Kindern nehmen. Danach haben wir drei Probleme weniger und der Thron keinen Nachfolger mehr. Die Königin Mutter wird ebenfalls nicht zurückkehren. Dafür sorgt mein Bruder bereits jetzt. Wenn er es nicht schon getan hat. Damit ist die Blutlinie der Krone beendet.“ „Und sobald wir den Pharao aus dem Weg geschafft haben, tritt unsere neue Kronklausel in Kraft, welche uns Ministern die Macht über Ägypten garantiert.“ „Ich werde die Schriftrolle im Tempel austauschen lassen“ erwiderte Ephrab und Seth sah, wie er die Rolle, welche der Dicke ihm mitgebracht hatte, in seinem langen Ärmel verschwinden ließ. „Ich will, dass du Gapthi bis dahin informiert hast. Noch heute Abend. Das war es soweit. Warte noch einen Augenblick, bevor du gehst. Man muss uns nicht zusammen sehen.“ Worauf Seth der nächste Schlag traf. Er kannte Gapthi und wusste, dass er einer der Nebenpriester war, welcher als verlängerter Arm des Hohepriesters die niedergeschriebenen Gesetze hütete. Wenn er mit zu Ephrabs Komplott gehörte, konnte er das Gesetz tatsächlich so verändern, dass die Erbfolge nach des Pharaos Tod seinen Ansprüchen diente! Seth wusste, dass wenn der Pharao starb, der Prinz als nächster Thronfolger gekrönt wurde. Nach dem Prinzen war es die Prinzessin und wenn auch die nicht mehr war und es auch keine Königin oder Königinmutter mehr gab, würde ein vom Pharao bestimmter Mann die Krone verwalten - und das war bisher der alte Fatil gewesen, welcher dann die Macht hatte, den Hohepriester des Palastes zum Pharao zu erheben. Nach dem Ende der königlichen Blutlinie würde der Hohepriester Djiag Bes Anchnun durch den alten Fatil zum Pharao ernannt werden. Sicher war bereits hinterlegt, dass nach dem alten Fatil sein Sohn des Pharaos Vertreter war, welcher dies dann tun und den Hohepriester krönen würde. Aber wenn Ephrab das ändern konnte, so würde der junge Fatil nicht die königlich anvertraute Vollmacht haben, den neuen Pharao zu ernennen. Dann würde die Verwaltung Ägyptens dem Ministerrat zukommen ... anscheinend hatte er all das von langer Hand geplant und die Aufruhr über den Tod des alten Palastvorstehers kam ihm dabei nur zugute. Wenn er den Pharao und seine Familie auslöschte, durch seinen Bruder ausländisches Militär im Palast postierte und den Putsch für die Minister anführte, welche durch seine Führung weniger Risiko daran trugen - Ephrab benutzte die Liebe der Königin für seine eigenen Ziele. Seth verstand die Worte des alten Fatil. Es gab gute Menschen - und es gab schlechte. Gefährlich wurde es, wenn die schlechten sich ungehindert zusammenrotteten ... Kapitel 46: Kapitel 46 ---------------------- Kapitel 46 Es war zum Verzweifeln. Er musste mit dem Pharao sprechen, doch der befand sich auch zu so später Abendstunde noch in eine Konferenz, in welche man einen Priester wie Seth nicht vorließ. Man beschäftigte sich mit Kriegsstrategien und mit der Aufrüstung der Armee - die Wachen hatten Weisung niemanden vorzulassen. Und somit auch nicht den Geliebten des Pharao. Seth war weder ein mächtiger Priester noch ein Minister. Er würde den Pharao erst sehen können, wenn der seine Unterredung beendet hatte. Und das konnte noch die halbe Nacht dauern. Sein Herz schlug ohnehin bereits in einem donnernden Takt wie Pferdegalopp. Er war nur froh, dass er den Gebetsvorraum leise und flugs verlassen konnte, bevor Ephrab entdeckte, dass er gehört worden war. Seth wartete noch einen langen Atem, bevor er sich aus seinem Versteck hinter einer Säule hervorwagte und direkten Kurs auf den Pharao nahm. Doch da man ihn unverrichteter Dinge fortgeschickt hatte, musste er kurz überlegen, was es nun zu tun galt. Wenn er das alles richtig zusammenfügte, würde Ephrab spätestens morgen früh das Gift holen, welches die Königin nach nur zwei Bädern dahinraffen würde. Es musste schnell gehandelt werden. Doch es schwirrten ihm auch die nahende Armee Ephrabs Bruders, die drohende Mordung der Königin Mutter und der Besuch der Königin von Libyen im Kopf herum. Er wollte nur ein wenig Ruhe im Gebet suchen und wurde Mitwisser eines ausgeklügelten Putschversuches. Wenn sie nicht bald einen Ausweg fanden, würde dies Ägypten in die falschen Hände spielen und den Pharao ... nicht auszumalen, was ihm geschehen würde. Und da er den Wachen keinen guten Grund nennen konnte, weshalb sie ihn vorlassen sollten, kam ihm nur der eine Rettungsgedanke. Glücklicherweise fand er sich allmählich in den verschlungenen Wegen des Palastbaus zurecht und so ging er mit schnellen, ausladenden Schritten durch viele Türen, Vorhänge und über Treppen. Menschen, welche ihn hetzen sehen würden, waren offenscheinlich keine mehr unterwegs. Als er jedoch an einer Gruppe schwatzender Dienerinnen vorbeiging, grüßte er trotzdem freundlich und spielte gelassene Ruhe vor. Er wusste nicht, wen Ephrab noch weiter in seine Fäden eingesponnen hatte. Sicher war nur, dass es mehr Menschen waren als befürchtet. Menschen, denen der Pharao vertraute. Und Fatil war der einzige, welcher dem Pharao unabdingbar treu blieb. Mit ihm musste Seth reden, wenn es galt, den König zu schützen. Er fand ihn nach seiner schnellen Wanderung wie angenommen in seinen privaten Räumen im Nebenbau des Palastes. Die Diener kannten ihn und ließen ihn mit einer kleinen Verbeugung passieren. Er musste die Bediensteten nicht fragen oder bitten, denn er hörte seine Stimme bereits und folgte ihr. „Junger Priester!“ Dennoch tauchte einer der Türgarden vor ihm auf und hielt ihn vom Weiterhetzen ab. „Kann ich etwas für Euch tun?“ Schließlich war es auch nicht eben höflich, einfach in fremde Räume zu dringen, ohne angeklopft zu haben. „Ich suche Fatil“ antwortete er und hatte Mühe, seinen Atem zu zähmen. „Bring mich bitte zu ihm.“ „Natürlich. Folgt mir.“ Er verneigte sich und ging ruhigen Schrittes vor ihm her, führte ihn zu seinem Herren, der wie vermutet nicht so weit fort weilte. Er saß mit zwei anderen Männern bei offener Tür vor glänzenden Kelchen. Frauen und Kinder waren schon zu Bett gegangen und so unterhielt er sich noch ein wenig. Auch wenn Seth die Männer nicht persönlich kannte, vermutete er doch, dass es seine Brüder waren. Der Raum war für einen schlichten Aufenthalt ausgelegt, zeigte nicht mehr Verzierung als zwei Teppiche an den Wänden und eine Skulptur des heiligen Phönix, welche das einzig wahrlich prunkvolle hier war. Von den beiden bildschönen ägyptischen Siams abgesehen, welche auf ihren Stoffkissen liegend den Raum mit ihrem Schnurren verzierten. Der Tisch war ein wenig erhöht, sodass man seine Ellenbogen gut darauf stützen und sich in Gesprächen verlieren konnte, ohne den Rücken zu belasten, wie es bei vornehmen Möbeln sonst der Fall war. Die Räume hier waren zwar größer als die in normalen Volkshäusern, jedoch wirkte es als würden ganz schlichte Personen hier leben, ohne Prunk oder Schätze. Dass hier eine mächtige Familie lebte, mochte man nicht vermuten. „Herr“ sprach der Diener als er hereintrat. „Der Priester Seth wünscht, Euch zu sehen.“ „Seth? Er soll hereinkommen.“ Fatil drehte sich herum und als Seth einen Blick auf ihn bekam, stutzte er kurz. Seit dem Tode seines Vaters hatte er ihn nicht gesehen und fand seine schwarzen Locken nun abrasiert. Sein Haupt zierte kein Haar mehr, nur eine Glatze ohne Stoppeln. Es war üblich, dass sich der älteste Sohn als Nachfolger seines Vaters nach dessen Tod die Haare abschnitt, um seiner Trauer und seinem Respekt Ausdruck zu verleihen. Dies war gängiger Brauch in Ägypten und wurde über alle Gesellschaftsschichten hinweg so getan. Dennoch stockte Seth als er erkannte, wie dunkel Fatils Augen in seinem fahlen Gesicht wirkten. So ganz ohne Haar schien es als könne er seine Trauer noch schlechter verbergen. „Was siehst du mich so an?“ fragte er ihn auf den Kopf zu. „Entschuldige.“ Seth senkte seinen Kopf zum Gruße und blickte ihn dann wieder etwas gefasster an. „Ich hatte nicht erwartet, dich ohne Haar zu sehen.“ „Hast du erwartet, ich breche die Tradition und versage meinem Vater den letzten Respekt?“ Er schien nicht beleidigt zu sein, eher als würde er versuchen, sich ihm zu erklären. „Komm her, Seth. Setz dich. Kennst du meine Brüder?“ „Nein, noch nicht“ nickte er den beiden Männern zu, welche mit ihm am Tisch saßen. „Dann will ich dich vorstellen.“ Fatil erhob sich und kam Seth auch halbem Wege entgegen, legte seinen Arm ohne Berührung um ihm. „Dies sind zwei meiner drei Brüder. Links, das ist Shirin, der Jüngste. Und neben ihm Ahmes, der Zweitgeborene. Dies ist Seth Chuanch Amun Sanacht, von dem ich Euch bereits berichtete.“ Freundlich nickte Seth ihnen zu und ebenso freundlich wurde er empfangen. Shirin sah man an, dass er der Jüngste war. Er war wohl gerade erst seiner Kinderkleidung entwachsen. Sein Gesicht zierte eine lange Narbe über der rechten Augenbraue, aber ansonsten war er ein ansehnlicher Junge mit polangem Haar, welches er zu einem dicken Zopf gebunden trug. Seine Kleidung war ein hellbeiger Rock, wie es hier im Palast üblich war. Er trug ebenso wie sein Bruder nur wenig Schmuck in Form einer goldenen Halskette und einem Armband. Nur dass sein älterer Bruder zusätzlich noch einen Haarreif ins dunkelbraune Haupt gesetzt hatte, um seine ohrenlange Lockentolle zu bändigen. Auch wirkte Ahmes kräftiger, ja direkt muskulöser noch als andere Männer. Beiden sah man an, dass sie nicht dumm waren und einer wohlhabenden Familie entsprangen, welche sie wohlerzogen geformt hatte. Und sie hatten eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Fatil. „Es ist schön, Euch endlich kennen zu lernen“ sprach Shirin und lächelte ihn freundlich an. „Man hört, Ihr hättet Licht in des Pharaos Augen gezaubert.“ „Shirin, sei nicht so respektlos“ bat Fatil ihn gleich. Dies war ja doch eine sehr direkte Ansprache von einen so jungem Mann zu einem Priester. „Verzeiht ihm, Priester“ bat Ahmes mit dunkeltoniger Stimme. „Er ist recht lebhaft und ungestüm. Was meinem kleinen Bruder schon häufig in Probleme gebracht hat“ ergänzte er mit einem leicht höhnischen Grinsen zu dem. „Schon gut. Ich freue mich auch, Eure Bekanntschaft zu machen.“ Er verneigte sich nochmals und bekam eine kleine Verneigung erwidert. „Kommt Seth, setzt Euch“ bat Shirin und klopfte neben sich aufs Kissen. „Erzählt, was Euch zu so später Stunde zu uns treibt. Trinkt mit uns.“ „Verzeiht“ erwiderte er ruhig. „Ich würde gern einen Augenblick mit Fatil allein sprechen.“ Er blickte ihn bittend an und fand sich von seinen dunklen Augen einen flüchtigen Moment erforscht. „Es ist mir wichtig, dich um einen privaten Rat zu bitten. Du sagtest, wenn ich etwas auf dem Herzen habe, darf ich zu dir kommen.“ „Was sich nicht geändert hat“ bestätigte er und wies hinein. „Ahmes, Shirin. Bitte seit so gut und entschuldigt uns einen Augenblick.“ „Na klar“ meine Shirin, nahm seinen Kelch und erhob sich. „Komm, Ahmes. Wir sind hier nicht erwünscht.“ „Bei dir kann ich das ja noch verstehen. Aber bei mir ...“ „Du bist auch nicht die beste Trinkgesellschaft“ warf er neckisch zurück. „Und du solltest nicht so viel Wein trinken, Kleiner. Sonst wirft dein Weib dir wieder Schimpf und Schande nach.“ Auch er nahm seinen Kelch und ging mit einem Lächeln an Seth vorbei. „Als hättest du deinen Frauen irgendwas zu sagen, du Möchtegern.“ Sie schlossen die Tür hinter sich und ließen die beiden allein. „Deine Brüder sind nette Menschen“ bemerkte Seth, während er sich neben Fatil an den hohen Tisch setzte. „Sie versuchen, einander aufzuheitern“ seufzte er und nahm einen Kelch vom Tablett, um ihn Seth anzubieten. Als der aber mit glatter Handfläche ablehnte, stellte er ihn zurück. „Nun denn, Seth. Was treibt dich zu mir?“ „Fatil, es ist sehr dringend“ begann er und versuchte, die eben ansetzende Ruhe nicht sogleich fortziehen zu lassen. „Es geht um den Pharao.“ „Ich weiß, ich sorge mich auch um ihn“ erwiderte er und drehte seinen Kelch am Stiel zwischen den Fingern. „Er ist dünn geworden und scheint müde. Er war ohnehin nicht ganz gesund, als wir zurückkehrten und die derzeitigen Regierungsgeschäfte lassen ihm kaum eine freie Minute.“ „Es ist mehr als das. Fatil ...“ Er blickte sich um und suchte nach Dienern, welche sich manchmal sehr unscheinbar in versteckten Ecken tarnten. „Wir sind allein“ beruhigte er. „Du scheinst nervös zu sein. Was ist los?“ „Ich wurde eben im Gebetsraum Zeuge eines Gespräches. Zwischen Ephrab und einem Minister.“ „Einem Minister?“ „Ja. Ich kenne seinen Namen nicht. Es war der mit dem verdrehten Bein. Seine Schuhspitzen sind immer abgestoßen. Glatzköpfig, runder Körper ... „Du meinst Kenefer. Er ist der Landsherr der nördlichen Felder.“ „Ich glaube ja“ nickte er und zwang seine Hände zum Einhalt, als er bemerkte, wie sie sich nervös umeinander rangen. „Sie wussten nicht, dass ich sie belausche. Es war ein Zufall, aber einer, der von den Göttern gesandt wurde.“ „Was haben Ephrab und Kenefer miteinander zu schaffen?“ Fatil beugte sich vor und sah ihm ernst ins Gesicht. „Sprich, Seth. Ich höre zu.“ „Deine Vermutung, dass Ephrab einen Putsch plant, scheinen sich zu bewahrheiten. Sie sprachen davon, die Königsfamilie auszulöschen und dann den Ministerrat als Regierungsinstanz einzusetzen.“ „Wie wollen sie das anfangen? Sollte dem Pharao und seiner Familie etwas zustoßen, so tritt die alte Königin Mutter auf den Thron zurück.“ „Auch sie haben sie im Blick“ betonte Seth und atmete langsam und tief. „Fatil, sie planen, die Königin und die Kinder mit Gift zu morden. Selbst der Priester Gapthi gehört zu ihrem Netzwerk.“ „Gapthi“ wiederholte Fatil skeptisch. „Er verwahrt die Schriftrollen, welche die Erbfolge regeln. Es ist hinterlegt, dass ich den Hohepriester zum Pharao kröne, sollte der Kronfamilie etwas zustoßen.“ „Aber den Tod deines Vaters wollen sie zu ihrem Vorteil nutzen und die Schriftrollen austauschen. Sie haben alles genau durchgeplant.“ „Und der Pharao?“ fragte er besorgt. „Wie wollen sie ihm ans Leder? Er ist ständig von Wachen umgeben. Es ist unmöglich, sie alle zu kaufen.“ „Ich weiß es nicht“ musste er bedauernd zugeben. „Sicher ist aber, dass sie die Königin morden wollen. Und das schon bald. Spätestens morgen soll sie die erste Dosis Gift im Bade bekommen.“ „Ephrab, dieser doppelzüngige Betrüger“ fluchte er mit unterdrückter Wut in seinen Kelch hinein. „Abunamis Liebe so auszunutzen ...“ „Fatil, wir müssen das verhindern!“ „Natürlich“ murmelte er und trank in langsamen Zügen seinen Kelch aus. Wahrscheinlich wollte er nicht drauflos stürmen, sondern erst kurz überlegen, was nun am Besten zu tun war. Als er das leere Gefäß absetzte, blickte er Seth eindringlich an. „Hast du noch mehr gehört? Haben sie etwas über die Armee gesagt, welche Ephrabs Bruder schicken will?“ „Sie sprachen davon. Ja“ antwortete er und erinnerte sich genau. „Sie planten mit den Streitkräften in Verbindung mit dem Besuch der Königin von Libyen.“ „Die Königin von Libyen?“ wiederholte er nun noch überraschter. „Ras Lanuf will nach Ägypten kommen?“ „Ich denke ja.“ „Das hat uns gerade noch gefehlt. Ausgerechnet jetzt. Ras Lanuf ist eine unberechenbare Frau“ seufzte er und fuhr sich durch sein nicht vorhandenes Haar. „Und ich hörte, sie soll bald eintreffen. Innerhalb der nächsten Tage bereits. Ephrabs Schergen haben ihre Botschaften abgefangen.“ „Das bedeutet Ras Lanuf hat entweder noch gar keine Antwort vom Pharao oder eine gefälschte. Bei den Göttern, welch ein Unglück.“ „Fatil, wir müssen handeln“ beschwor er ihn innig und krallte seine Hände ins Sitzkissen, als er sich vorlehnte. „Abunami ist eine so wundervolle Frau und die Kinder sind ein Gottesgeschenk. Und die alte Königin soll gemordet werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass Ihnen etwas geschieht.“ „Ich sehe das genauso“ nickte Fatil und blickte ihn ernst an. „Ich denke, die Königsfamilie ist nur sicher, wenn wir sie möglichst schnell an einen geheimen Ort bringen. Der Pharao jedoch kann nicht fort, wenn Ras Lanuf den Palast erreicht. Das würde einen sofortigen Krieg mit Libyen zur Folge haben. Von der Bedrohung, welche von Tschad ausgeht ganz zu schweigen. Wir müssen uns mit dem Pharao beratschlagen.“ „Ich habe bereits versucht, ihn aufzusuchen, jedoch die Wachen haben mich abgewiesen. Er befindet sich noch immer in einer wichtigen Besprechung mit seinen Kriegsministern.“ „Das macht nichts“ beschwichtigte er und stand auf, um zu einer kleinen Truhe zu gehen, welche er von einem dezent mit Gebetszeichen bestickten Stoffstück befreite und dann öffnete. Daraus hervor zog er ein Stück hartes Papyrus und einen fein golden verzierten Federkiel. Hiermit bewaffnet, setzte er sich zurück an den Tisch, stippte die Feder in das zusätzlich mitgenommene Farbenfässchen und begann eine kurze Nachricht zu schreiben. „Ich schreibe dem Pharao eine verschlüsselte Notiz, deren Worte nur er zu deuten mag“ erklärte er. Selbst wenn er Seth nicht anblickte, spürte er seinen fragenden Blick. „Ich werde einen Diener anweisen, man möge sie ihm sofortig vorlegen.“ „Meinst du, dass der Diener denn zu ihm vordringen kann? Wie berichtet, haben die Wachen selbst mich der Tür verwiesen.“ „Seth, bitte verstehe meine Worte nicht als Angriff, ja?“ erwiderte er mit sanfter Stimme, während er weiter ein paar filigrane Schriftzeichen malte. „Ich bin nicht des Pharaos Geliebter, sondern sein Palastvorsteher. Meine Angelegenheiten stehen über den deinen. Wenn ich den Pharao zu sprechen gedenke, haben alle anderen zu warten. Einzig die Anliegen der Königin sind höher denn meine.“ „Wahrscheinlich“ seufzte er leise. „Wahrscheinlich kannst du dem Pharao viel hilfreicher sein als ich. Nur weil ich sein Bett teile, besitze ich noch lange keine Macht. Ich kann nicht mehr tun, als ihn nur mit Worten zu trösten, die ich selbst kaum verstehe.“ „Vielleicht liegt es daran, dass du nie gelernt hast, Macht auszuüben“ war Fatils ehrliche Meinung. „Du bist zur Unterwürfigkeit geformt und das hast du bis jetzt nie wirklich abgelegt. Aber lass dir sagen, Seth, du bist dem Pharao wichtiger als du denkst. Nicht nur in Herzensdingen, sondern auch politisch. Du solltest dir mehr zutrauen und deine Stellung einfordern. Du solltest dir deiner Rolle bewusst werden und sie einnehmen. Sieh, was Ephrab aus seinem Einfluss geformt hat. Selbst wenn es unvorteilhaft für uns ist, so wird derjenige, der das Herz eines Mächtigen erobert, immer auch ein wenig seiner Macht teilen. Meinen Rückhalt jedenfalls zur Ausübung dieser Macht gebe ich dir.“ Seth konnte hierzu noch kein Wort erwidern, als Fatil das Papyrus zusammenrollte und an den Seiten einknickte, damit es nicht aufsprang. Und vielleicht erwartete Fatil auch keine Antwort. Seine Worte waren schwer, aber Seth spürte, dass es ehrliche Worte waren, deren Sinn er noch zu erfassen hatte. „Seth, tu mir bitte den Gefallen und geh hinauf in die Gemächer des Pharao. Dort wirst du seinen Gebetsraum herrichten und wenn dich jemand fragt, so gibst du vor, auf Befehl des Königs einen Segensspruch vorzubereiten, welchen du der Kronfamilie widmen wirst. Der Pharao und ich werden dir zeitnah folgen. Ich selbst werde noch einigen Männern einen Besuch abstatten und dann haben wir hoffentlich eindeutigere Informationen und können beschließen, was nun zu tun ist.“ Kapitel 47: Kapitel 47 ---------------------- Kapitel 47 Zwischen dem Moment an, als Seth in die Gemächer des Pharaos ging und bis zu dem Moment, in welchem er die Tore der Stadt hinter der Dünenspitze zurückließ, verging nur wenig Zeit. Es war noch dieselbe Nacht, in welcher er den Palast verließ und die Königsfamilie mit sich führte. Damit es keinen Aufruhr gab, waren die Königin und ihre Kinder vermummt und an den Toren entließen die Nachtwächter die angeblichen Händler in den erwachenden Morgen, ohne die Reisenden weiter zu bedenken. Nur der Pharao und Fatil wussten, dass in diesem Moment die Königin und ihre Kinder aus der Stadt geschmuggelt wurden, um sie außer Gefahr zu wissen. Nicht nur die Gefahr, welche durch den Geliebten der Königin drohte, sondern auch die Vermutung, dass die Königin von Libyen bald eintreffen würde, veranlassten den Pharao zu diesem schnellen Schritt. Wenn ihm selbst etwas widerfuhr, so musste zumindest sein Erbe unbeschadet bleiben. Seth war nicht wohl dabei, ihn allein im Palast zurückzulassen und doch war es unvermeidlich. Er musste den Prinzen und die Erbfolge schützen und trug damit eine schwere Aufgabe. Nicht wohl war auch der armen Königin Abunami. Sie wollte nicht glauben, was ihr Gemahl sprach, nachdem er sie aus dem Schlaf geholt hatte. Dass Ephrab, der Mann welchen sie so inniglich liebte, ihr nur etwas vorspielte und sie nun für seine eigene Machtergreifung opfern wollte, brach nicht nur ihr Herz, sondern auch ihren Glauben. Sie hatte ihn zur Rede stellen, die Dinge aufklären wollen, jedoch durfte sie sich dem ausdrücklichen Befehl ihres Gemahls nicht widersetzen. Wenn der Pharao sie fortschickte, musste sie dem folgen. Sie hatte geweint und gefleht und nun saß sie schweigend neben Seth auf dem von drei Pferden gezogenen Handelswagen, ihre schlichte, hellgraue Kutte um sich geschlungen und blickte mit feuchten Augen in die erwachende Wüste hinaus. Seit sie den Palast verlassen hatten, sprach sie kein Wort mehr und Seth wusste, dass er ihr schwerlich Trost spenden konnte. Ihr Herz schmerzte über diesen schweren Betrug. Nur die kleine Prinzessin hielt sie schlafend auf ihrem Arm und wärmte sie gegen die nächtliche Kälte. Der junge Prinz saß ebenso in verhüllende Kleidung geschlungen wachend neben ihr und war zu aufgeregt, um zu schlafen. Noch niemals hatte er die Stadt verlassen. Er kannte den Grund für ihren plötzlichen Aufbruch nicht, aber für ihn war dieses Erlebnis eine Empfindung zwischen Spannung und Ehrfurcht. So traute auch er sich auf das Schweigen seiner Mutter hin lange kein Wort, bis es ihm dann doch zu sehr auf der Zunge brannte. „Seth?“ fragte er leise. „Ja, mein Prinz?“ antwortete er mit sanfter Stimme. Wenn er auch unruhig war und ungewiss, ob Fatils Plan funktionieren würde, so wollte er doch die Kinder und die Königin nichts von dieser Unsicherheit spüren lassen. „Warum sendet Vater uns in die Wüste?“ Darüber dachte er wohl schon länger nach, aber nun erst traute er sich auch die Frage auszusprechen. „Weil er Euch liebt“ erwiderte er. „Ihr wolltet doch schon lang ein Abenteuer in der Wüste erleben. Nun habt Ihr die rechte Gelegenheit dazu.“ „Aber die Wüste ist gefährlich. Hier gibt es Schlangen“ sprach er und blickte zu seiner Mutter herum. „Nicht wahr, Mutter?“ „Gefährlich sind ganz andere Dinge. Menschen, hinterhältiger als Schlangen.“ Ihre Stimme klang gebrochen und tief betrübt. Wie konnte sie ihrem Sohn Mut und Hoffnung machen, wenn sie selbst gerade so schmerzlich betrogen worden war? „Mein Prinz“ bat Seth und berührte ihn vorsichtig am Arm. „Es wäre sicher gut, wenn Ihr nach hinten in den Wagen gehen würdet. Ihr solltet noch etwas ruhen, bevor die Hitze Euch schwächen wird.“ „Jawohl, Seth.“ Auch wenn er ein Prinz war, so war er folgsam und wohl erzogen. Er gehorchte dem priesterlichen Rat und ließ sich von ihm aufhelfen, um über die kleine Bank zu klettern und im hinteren Teil des Wagens sein Lager zu beziehen. Dort standen für ihn und die Königin weiche Matten zur Verfügung, um die unkomfortable Reise ein wenig angenehmer zu gestalten. Auch schliefen sie auf diese Weise sichtgeschützt, da der Wagen von schwerem Stoff überspannt war, um auch bei Tage vor der brennenden Sonne zu schützen. Als Händler hatten sie einige Waren mitführen können, jedoch den Luxus, welchen der Pharao auf seinen Reisen genoss, hatten sie zurücklassen müssen. Wenn jemand entdeckte, dass die Königsfamilie aus dem Palast fortgebracht wurde, so würde Ephrab seine Schergen ausschicken, um sie zu finden. Und das durfte nicht geschehen. Die Königin war eine bodenständige und natürliche Frau, welche sicher auch ohne Luxus eine Weile auskommen konnte. Mit einem gebrochenen Herzen jedoch haderte auch sie. „Meine Königin.“ Als der Prinz sich nach hinten begeben hatte, wollte Seth die Ruhe nutzen und ihr hoffentlich ein wenig die Sorge nehmen. „Bitte verzeiht, dass wir Euch so plötzlich fortbringen. Aber solltet Ihr einen Wunsch haben, werde ich mein Möglichstes tun, um es Euch ein wenig angenehmer zu gestalten.“ „Danke, Seth“ hauchte sie und schürzte ihre Lippen. „Aber ich kann es einfach nicht glauben. Warum sollte Ephrab mich und meine Kinder vergiften wollen? Und Shaiph … er tat meinem Körper mit seinen Essenzen stets nur Gutes. Was hat man für Grund, mir etwas anzutun? Welchen nur? Welchen?“ „Den Grund, welchen der Pharao Euch bereits zu erklären suchte“ erwiderte er und fand viel Verständnis für sie. Es war nicht so, dass sie den Worten des Pharaos misstraute, aber zu glauben, dass sie so hintergangen worden war, musste ihr schwerfallen. „Abunami, ich weiß, es fällt Euch schwer, uns Glauben zu schenken. Ich hörte es jedoch mit meinen eigenen Ohren. Im Palast droht Euch Gefahr.“ „Durch Ephrab“ wiederholte sie und senkte ihren Kopf. „Warum lerne ich nur nichts daraus?“ „Woraus, meine Königin?“ „Das ist nun bereits das zweite Mal, dass mich jemand hintergeht, dessen Liebe ich mir so sicher war.“ Ihre Stimme klang bitter und entmutigt. Nicht jedoch brüchig. Sie war eine starke Frau, aber mit ebenso starken Gefühlen. „Das tut mir leid“ antwortete er betroffen. Sie war bereits ein Mal hintergangen worden? Davon hatte er niemals etwas erfahren. „Wollt Ihr mir davon erzählen?“ „Ja.“ Seth hatte nicht vermutet, dass sie ihm so offen antwortete und blickte sie fragend an. Jedoch sah sie ihn nicht und hielt ihren Blick auf die von links nach rechts schwankenden Schweife der Wagenpferde geheftet. Ihr Gesicht wirkte blass unter der grauen Kutte und ihre gepflegten Hände streichelten abwesend das Bein der schlummernden Prinzessin. „Damals“ begann sie mit schwerer Stimme. „Ich hatte eine Schwester, welche ich sehr liebte. Sie war nur ein Jahr jünger als ich und wir haben Jahre unserer behüteten Kindheit miteinander verbracht. Alles haben wir gemeinsam getan. Wir lernten und spielten gemeinsam. Wir teilten uns sogar häufig ein Bett. Manchmal sagten die Leute, wir hätten Zwillinge werden sollen, so sehr hingen wir aneinander. Ich habe sie sehr geliebt … und ich dachte, sie liebte mich auch.“ „Tat sie das denn nicht?“ Obwohl die Königin schöne Dinge sagte, so klang sie doch so schwermütig. Als würden sie diese liebevollen Erinnerungen schmerzen. „Ich weiß es nicht.“ Sie wischte sich über ihre ungeschminkten Augen und kämpfte die Tränen zurück. „Als der Tag gekommen war, ließ mein Vater verkünden, dass der Pharao einem Kennenlernen zugestimmt habe. Er würde vielleicht eine von uns zu seiner Verlobten erwählen. Wir waren sehr aufgeregt und so kleideten wir uns in die schönsten Gewänder und in die betörensten Düfte schon Tage vor seiner Ankunft. Als er dann endlich unser Land betrat und unser Haus besuchte, waren wir beide sehr aufgeregt. Wie Mädchen nun mal so sind.“ Sie legte ein bitteres Lächel auf und blickte traurig zu Seth herüber. „Ich kann mir vorstellen, wie nervös Ihr gewesen sein müsst“ lächelte er aufbauend zurück. „Die Zeit mit dem Pharao war eine schöne“ erzählte sie weiter und wand ihren Blick an den Wüstenhimmel, welcher sich allmählich in ein kräftiges Rot tauchte. „Wir taten gemeinsame Spaziergänge, pflegten lange Unterhaltungen. Er war viel freundlicher und aufmerksamer als wir es uns ausgesponnen hatten. In unseren Gedanken malten wir die schönsten Feste, die reichsten Tafeln und sahen unsere Kinder im Palastgarten spielen.“ Sie strich über den Kopf ihrer Tochter und erinnerte sich wehmütig an diese gemeinsamen Zeiten zurück. „Als der Pharao wieder abreiste, hatte er keine Entscheidung getroffen und ließ uns Schwestern beide mit unserer Schwärmerei zurück. Erst Wochen später erreichte uns ein Botschafter, welcher das Verlobungsangebot des Pharaos überbrachte. Jedoch nur für die ältere Tochter. Nur für mich.“ „Und das hat Eure Schwester gekränkt?“ hinterfragte Seth vorsichtig. Wenn sie ihm von einem Betrug erzählen wollte, drängte sich diese Vermutung geradezu auf. „Sie zeigte nichts derlei. Sie beteuerte mir, wie sehr sie sich für mich freue und gemeinsam bewunderten wir den Hochzeitsschmuck, welchen der Pharao vorausgeschickt hatte. Wenige Tage später brachen wir auf, um in den Palast zu gehen. Wir wollten ihn auch nochmals fragen, ob meine Schwester nicht als Zofe bleiben dürfe, aber so weit kam es nicht.“ Sie atmete schwer und drückte ihre kleine Tochter an sich. „Sie hat versucht, mich im Schlaf zu töten.“ „Bitte?“ Seth wand seinen Blick beunruhigt herum und betrachtete ihr tapferes, bitteres Lächeln. „Eure eigene Schwester?“ „Sie konnte es nicht ertragen, dass ich Königin sein sollte und nicht sie. Ihr Neid und ihre Eifersucht waren großer als ihre Liebe zu mir.“ Nun entkam ihr doch eine Träne, welche sie beschämt fortwischte und mit erhöhter Stimme weitersprach. „Sie kam mit einem Dolch an mein Bett und wollte mich meucheln. Jedoch bemerkte eine der mitreisenden Palastwachen ihr sonderbares Verhalten und zog sie von mir fort, bevor mir ein Leid geschah. Ich erinnere mich noch genau daran. An ihre Schreie und ihre Beschimpfungen. Hure nannte sie mich und verlogen. Sie war wie von Sinnen und als die Wache ihr den Dolch abnehmen wollte, stach sie ihm in den Arm und sich selbst dann ins Herz.“ „Abunami …“ Was für eine schreckliche Geschichte. Ein Mordversuch von der geliebten Schwester und dann ihren Selbstmord zu sehen. „Sie starb nicht sofort. Tagelang taten wir Rast und ich hoffte inniglich, dass sie es überleben würde. Ich harrte an ihrem Bett und beteuerte ihr meine Vergebung. Ich hielt ihre Hand und ich sehe noch den vorwurfsvollen Blick in ihren Augen, als sie ihre letzten Worte zu mir sprach. ‚Verflucht seiest du, Königshure, für deine Eitelkeit.‘ Dann starb sie unter meinem Blick.“ Seth wusste nichts anderes zu sagen oder zu tun, als sie respektvoll an der Hand zu berühren und ihr seine Anteilnahme zu zeigen. „Ich habe geglaubt, sie liebe mich und freue sich für mein Glück“ sprach sie mit laufenden Tränen. „Aber in Wirklichkeit hat sie mich gehasst, weil ich die Ältere war. Weil der Pharao mich erwählte und nicht sie. Hätte ich gewusst, dass sie so empfindet … ich hätte niemals Königin sein wollen. So langsam glaube ich, auf dieser Krone liegt in Fluch.“ „Das dürft Ihr nicht sagen, Abunami. Ägypten könnte keine bessere Königin haben als Euch.“ Doch sein Trost war zu wenig, als dass er sie erheitern konnte. „Erst Shanti und jetzt Ephrab. Warum wollen mich immer die Menschen morden, welche ich am meisten liebe? Nur weil ich Königin bin? Wenn dies der Grund ist, so will ich die Krone nicht. Was habe ich denn getan, dass ich immer nur gehasst werde?“ „Sagt so etwas nicht. Es wird Euch nicht gerecht.“ Er legte die Zügel beiseite und ließ die Pferde auch ohne Kontrolle ein Stück laufen. Eher musste er die Königin in den Arm nehmen und ihre Tränen trocknen. Auch wenn es sich nicht ziemte, sie einfach so in seinen Arm zu ziehen, so war es doch das einzig menschliche. Sie war nun schon ein zweites Mal verraten worden von jemandem, dem sie ihre unbedingte Liebe schenkte. Ihr Herz musste schmerzliche Qualen leiden, nur weil sie die Krone trug. Und diese Krone lastete schwer auf ihrem zarten Haupt. Sie nahm Seths Trostangebot dankbar an, ließ sich an ihn drücken und schluchzte tief, als er seine starken Arme um sie schloss und ihre Trauer besänftigen wollte. Ihm selbst wurde ganz schwer ums Herz, wenn er die ganzen Ausmaße bedachte, welchen die Königsfamilie unterlag. Auch Atemu hatte ständig zu kämpfen mit seinem hohen Stand, auch für ihn lagen Treue und Verrat eng beieinander. Jetzt konnte Seth verstehen, weshalb er seit Kindertagen so an Fatil hing, dem er ohne Vorbehalt vertrauen konnte. Jetzt verstand er, weshalb er sich so schwer damit getan hatte, seine Liebe zu gestehen. Und auch Abunami wusste um die Probleme, welche die Krone mit sich brachte. Auch für sie war es schwer, wenn man einsehen musste, dass manchmal das Gold heller strahlte als das Herz. Wie schwer es war, sich den Glauben an das Gute im Menschen zu bewahren, wenn man selbst so schwer betrogen wurde. „Ephrab ist ein Narr“ versuchte er sie mit sanfter Stimme zu trösten. „Eine wundervolle Frau wie Euch sollte man ehren und auf Händen tragen. Euch alle Bewunderung zu Füßen legen, das gebührt Euch. Euch zu bitteren Tränen zu zwingen, ist eine Schande vor den Göttern und wird bestraft werden. Das ist Euch ungerecht. Ihr seid eine begehrenswerte und schöne Frau, eine wahre Königin. Er ist ein Dummkopf, dies zu missachten.“ „Aber ich habe ihn geliebt“ weinte sie an seine Brust gedrückt. „Ich dachte, er würde mich auch lieben. Ich hab ihm geglaubt. Warum, Seth? Warum musste das passieren? Warum leben Menschen hinterhältiger als Schlangen?“ „Auch wenn es Euch wenig tröstet, geliebte Königin“ sprach er in gedämpftem und einfühlsamen Ton. „Alles was endet, gibt Nahrung für etwas Neues. Egal, wie dunkel die Nacht auch ist, es wird Euch das Morgenlicht umso strahlender erscheinen.“ „Mögen die Götter dir Recht geben“ schluchzte sie und griff nach Seths beruhigender Hand. „Und mir ein Licht in der Dunkelheit. Und die Kraft, Schlangen von mir fern zu halten.“ „Einen treuen Diener, welcher dies für Euch tut, Hoheit. Mögen die Götter Euch einen treuen Diener senden.“ Die Königsfamilie sah sich wahrlich ihrer dunkelsten Stunde gegenüber. Während Seth sich erneut durch die Wüste kämpfte, um die Königin und die Thronfolger in Sicherheit zu bringen, so kämpfte sich der Pharao im Palast durch Trauer und Verrat. Noch während die Sonne ihre ersten Strahlen auf den Platz des Palastes schickte, stand der Pharao bereits am Turmfenster und blickte hinaus auf die erwachende Stadt. Seine Stadt, die seinen Namen trug und seine Macht demonstrierte. Eine Macht, welche sich nun nicht wanken lassen durfte. Vor sich sah er die reichste Stadt Ägyptens, unter sich wusste er im Palast die niedersten Verräter des Landes und hinter sich versammelten sich nun seine engsten Vertrauten, welche ihrem Schwur hoffentlich die Treue hielten und dem Pharao niemals mit Verrat schadeten. Anwesend in diesem höchsten Raum im seitlichen Turm waren bereits Fatil, welcher trotz flauen Appetits auf einem Stück Brot herumkaute und es eher herzlos in ein wenig Ziegenmilch tunkte. Er hielt den Brotkorb auch dem Hohepriester hin, welcher das Frühstück jedoch ablehnte, sich nur an dem wässrigen Saft einer Kokosnuss bediente und das Schweigen des Pharaos beobachtete. Als Hohepriester gehörte er zu den wenigen Männern, welche dem Pharao so nahe waren, dass er zu einer privaten Unterredung gebeten wurde. Er war damals noch von dem alten Pharao eingesetzt worden und diente nun seinem Sohne bereits seit Jahren. Und er wusste, dass er ein seltenes Vertrauen mit der Krone genoss. Er war direkt nach dem Pharao der Herr über den Glauben und somit einer der mächtigsten Männer des Reiches. Und er trug nicht nur seine Macht mit erhobenem Haupt, sondern auch die Nachteile, die sie mit sich brachte und welche er über die Jahre alle hatte lernen müssen. In dieser Riege war er mit Abstand der Älteste, aber auch der Erfahrenste. Mit seinem kurzem, weißen Haar wirkte seine dunkle Haut ein wenig mystisch. Seine dunkelgrün bis schwarzen Augen ließen ihn geheimnisvoll, verschwiegen und doch wachsam erscheinen. Viele Menschen hatten sich schon in ihm getäuscht und versucht, ihn mit fraglichen Mitteln für sich zu gewinnen. Doch er hatte sich niemals durchschauen lassen und dem Pharao immer zum Wohle gedient. Trotz seines Alters war er mit robuster Gesundheit gesegnet und hatte erst vor kurzer Zeit entschieden, seine Reisetätigkeiten einzustellen, um sich zu schonen. Er wurde nicht jünger, aber dennoch machten ihm Frauen jeden Alters Angebote. Seine kleinen Falten im Gesicht und seine zarten Hände täuschten darüber hinweg, was er bereits alles sah. Und seine hohe, breite Gestalt täuschte manches Mal darüber hinweg, wie gütig er war. In früheren Jahren war er sehr schlank gewesen, doch in letzter Zeit hatten die Speisen auf wundersame Weise an Gehalt gewonnen und ihn untersetzt. Dennoch war er ein stattlicher, ehrenvoller Priester. Ein Priester, welcher noch nach den alten Traditionen unterrichtet worden war und doch dem Pharao bei seiner ungewöhnlich aufgeschlossenen Politik stets folgte. Die einen sprachen von ihm als Segen für die Krone und den Glauben. Und doch einige hinter vorgehaltener Hand als Verräter der alten Werte. Gerade nahm er sich eine Hand voll Nüsse aus dem kleinen Holzgefäß, als sich die Tür auftat und ein vierter Mann in die Runde trat. Auffällig war eine tiefe Narbe am Hals und eine an seiner Unterlippe. Er war ein sehr stämmiger Mann, an welchem der hellorangene Rock fast unpassend wirkte. Seine Schuhe waren geschlossen und aus dicken Lederstriemen, ebenso wie seine Armbänder klobig wirkten, im krassen Gegensatz zu seiner feinen Kleidung. Sein dunkles, stoppelig geschorenes Haar sorgte dafür, dass die großen, goldenen Ohrringe an seinen fleischige Läppchen betont wurden. Sein fülliges Erscheinungsbild ähnelte einem Elefanten, jedoch konnten auch diese bei Bedarf Kraft und Geschwindigkeiten entwickeln, vor denen man sich hüten sollte. Und auch im Volke war bekannt, dass man ihn lieber zum Freund als zum Feind haben wollte. Zumal er seit Jahren das oberste Amt über die ägyptische Armee bekleidete. Der Pharao in jedem Falle sah in ihm trotz seiner Waffen einen Freund. Einen treuen Diener in jeder Lebenslage. Und er würde ihn nicht rufen, wenn er nicht auch seine Erfahrung und seine Intelligenz neben seiner Treue schätzen würde. „Danke, dass du kommen konntest, Ranab.“ Der Pharao drehte sich zu ihm herum und streckte ihm seine Hand entgegen. „Verzeiht, mein Pharao. Es ging nicht schneller.“ Er trat auf ihn zu, nahm seine Hand und kniete nieder, während er mit seinen fülligen Lippen einen innigen Kuss auf die zarte Haut drückte. „Nun ja, es ist ja auch noch fast Nacht“ entschuldigte er und trat einen Schritt zurück, um ihn aus seinem Kniefall zu entlassen. „Danke, dass du gleich gefolgt bist.“ „Bitte lasst uns allein“ bat dann Fatil zu den beiden Dienern, welche sich nach einem Kopfnicken an den Wachen vorbeidrückten und die Türen sich schlossen. „Dann sind wir jetzt vollzählig“ stellte Fatil fest und schob den Brotkorb von sich fort. „Mögt Ihr nun erzählen, weshalb Ihr uns so früh rufen lasst?“ bat der Hohepriester und blickte den Pharao unverhohlen besorgt an. „Ist ja eine sehr kleine Runde“ stellte der kräftige Ranab fest, welcher das Kissen neben Fatil ergriff und sich wie ein vertrauter Freund neben ihn setzte. „Da mir der Laufbursche sagte, es sei dringlich, bin ich nun doch etwas besorgt“ gab auch er zu und beobachtete den Pharao, welcher sich seufzend neben dem Hohepriester niederließ. „Djiag, ist dies dein scherzendes Werk? Nur weil ich ein einziges Mal das Gebet verschlafen habe?“ „Bitte lass das. Ich glaube nicht, dass wir zum Scherzen hier sind“ bat der alte Priester und wand sich zum Pharao um. „Was treibt Euch diese Falten ins Gesicht, mein König?“ „Fatil. Bitte“ bat er und nahm sich selbstständig einen Kelch vom nebengestellten Tablett, welcher sofort vom Hohepriester mit Kokosmilch gefüllt wurde. „Der Pharao dankt dem Hohepriester und dem Armeeherren für das frühe Erscheinen.“ Er nickte den beiden zu und bekam ebenso ein höfliches Nicken zurück. Die nötigste Etikette zumindest sollte doch bewahrt werden. „Er hat euch gerufen, um euren Beistand und euren Rat zu erbitten.“ „Was immer unser Pharao wünscht“ sprach der vernarbte Ranab. „Was bereitet Euch Sorgen, mein König?“ „Es muss etwas Vertrauliches sein, wenn Ihr diesen engen Kreis einberuft und uns bittet, dieses Treffen vertraulich zu halten“ schloss sich Djiag dieser Vermutung an. „Ich will euch kurz erzählen, worum es geht“ führte Fatil fort. „Bitte verzeiht, dass ich im Namen des Pharaos spreche, aber er hat eben eine traurige Kunde erhalten. Die alte Königin wurde das Opfer von Attentätern.“ „Attentäter“ wiederholte der Hohepriester beunruhigt. „Die Königin Mutter?“ „Die Mutter unseres Pharaos“ nickte er und tat einen kurzen Seitenblick auf den Pharao, welcher sein schweres Haupt gesenkt hielt. „Laut der Botschaft gab es bei einem ihrer Ausritte einen Überfall auf dem Markt. Sie geriet in ein Handgemenge und wurde dabei erstochen. Die Heiler kämpften um ihr Leben, jedoch waren es zu viele Stiche und sie verblutete noch am Ort. Dies legt die Vermutung nahe, dass es sich hierbei nicht um einen Unfall, sondern um ein Attentat handelt.“ Die beiden sahen den Pharao betroffen an und senkten ihr Haupt. Es war bekannt, dass er niemals ein ausgesprochen inniges Verhältnis zu seiner Mutter gehabt hatte. Ja, er hatte sie damals auch nicht aufgehalten, als sie im Streit mit der Königin Abunami den Palast verließ. Aber dennoch war sie seine Mutter gewesen und er hatte sie geliebt und geehrt. „Mein Pharao.“ Der Hohepriester legte ihm seine alte Hand auf die Schulter und suchte nach einem Blick. „Mögen die Götter ihrer Seele eine behütete Reise schenken.“ „Und ihrer Seele gnädig sein“ ergänzte Ranab. „Es tut mir leid, mein Pharao.“ „Danke“ sprach er mit tonloser Stimme. „Dennoch hört sich diese Sache für mich fragwürdig an“ bekannte Djiag. „Warum sollte man ein Attentat auf die Mutter Königin verüben? Sie war in die Politik kaum mehr involviert, als dass sie als Kritikerin ihres Sohnes galt. Die Anhänger unseres friedvollen Pharaos jedoch würden nicht zu derlei Mitteln greifen. Das widerspricht sich.“ „Nach einem Unglück hört sich das jedoch auch nicht an“ erwiderte Ranab als erfahrener Feldherr. „In einem schnellen Handgemenge werden selten mehr als zwei oder drei Stiche getan. Fatil sprach von vielen Stichen. Davon abgesehen, dass die alte Königin kaum ohne Wachen ausgeritten sein wird. Für eine eindeutige Vermutung benötigen wir mehr Indizien.“ „Wir hatten noch keine Möglichkeit den Vorfall weiter zu untersuchen, aber es besteht ein Verdacht“ erklärte Fatil. „Wir haben Glück, dass wir diese Nachricht überhaupt erhalten haben, als sie vor wenigen Stunden eintraf. Es gab in den letzten Wochen nämlich viele Botschaften an den Pharao, welche nicht weitergeleitet wurden.“ „Fatil, was willst du uns sagen?“ fragte ihn der Hohepriester auf den Kopf zu. „Wir sehen uns einem Putschversuch gegenüber“ erläuterte er ernst und blickte abwechselnd ihn und den Armeeherren an. „Wir haben Verräter in den eigenen Reihen. Der Unfall der Königin war ganz sicher ein Attentat. Und es ist auch geplant, den Rest der Königsfamilie zu meucheln.“ „Was veranlasst dich zu dieser Annahme?“ Ranab zog seine buschigen Augenbrauen zusammen und blickte ihn skeptisch an. „Seth hat mit eigenen Ohren gehört, was ich schon lange vermutete. Ephrab ist Initiator eines Komplotts.“ „Ich schätze Seth durchaus hoch“ unterbrach Djiag. „Aber ist er nicht zu unerfahren bei Hofe, um den Geliebten der Königin als Anführer eines Komplotts zu bezichtigen?“ „Im Grunde gebe ich dir Recht, aber ich glaube nicht, dass er Lügen oder falsche Vermutungen anstellen würde. Zumal er mir nur bestätigte, was ich bereits gerätselt habe“ führte er fort und drehte nervös den Kelch zwischen seinen Fingern. „Er wurde Zeuge, als Ephrab sich mit Kenefer traf und die Sache besprach. Wir müssen auch davon ausgehen, dass zusätzlich Shaiph und Gapthi involviert sind.“ „Gapthi ist einer meiner teuersten Nebenpriester. Er hütet die heiligen Schriften und unterrichtet sie“ wand Djiag ein. „Ich will dich nicht des Irrtums bezichtigen, aber weshalb verdächtigst du ihn?“ „Wir müssen derzeit viele Männer verdächtigen. Ihr wisst, dass im Ministerrat schon lange Spannungen aufgrund der veränderten Gesetze herrschen. Und wir wissen alle, dass Ephrab sich während unserer Abwesenheit auffallend tief in die regierenden Kreise begeben hat. Und das obwohl die Königin sich aus tief politischen Dingen immer herausgehalten hat.“ „Das ist auch uns bereits negativ aufgefallen“ nickte Djiag. „Sprich weiter, Fatil.“ „Er hat die Zustimmung der Minister erhalten, die Armee seines Bruders Anhay nach Pe-Amun zu beordern. Angeblich, um die königliche Stadt vor den Soldaten aus Tschad zu schützen.“ „Ich war von Anbeginn dagegen“ mischte Ranab sich mit tiefer Stimme ein. „Die ägyptische Armee ist durchaus in der Lage die Hauptstadt auch ohne fremde Hilfe zu schützen. Ich konnte nie wirklich begreifen, warum der Ministerrat gegen meinen Einwand gestimmt hat.“ „Jetzt weißt du es“ bestätigte Fatil ernst. „Er stellt unsere Armee als zu klein und unser Reich als zu schwach hin. Wäre der Pharao anwesend gewesen, wäre er damit nie durchgekommen. Und das wissen nicht nur wir.“ „Fatil, das ist mir alles zu verwirrend“ mischte Djiag sich erneut ein. „Erkläre mir, deine Mutmaßungen darüber, was Ephrab plant. Selbst wenn er den Pharao putscht, was wir nicht hoffen wollen, tritt der Prinz seine Nachfolge an. Was verspricht er sich von diesem Handeln?“ „Unseren Informationen nach zu schließen, hat er es folgendermaßen geplant.“ Er holte Luft, nippte an seiner Ziegenmilch und tat einen besorgten Blick auf den Pharao, der noch immer schweigend dabeisaß und den Blick über den spärlich gedeckten Tisch irren ließ. „Wir wissen nicht, wann genau Ephrab angefangen hat, unseren Pharao zu unterlaufen, aber sicher ist, dass er Abunamis Einfluss missbraucht hat, um sich ein Netzwerk aufzubauen. Ich habe hier die Namen derer vermerkt, welche sich höchstwahrscheinlich seinem Vorhaben angeschlossen haben.“ Er zog eine kleine Papyrusrolle aus dem Ärmel und gab sie zu Djiag, welcher sie nahm, öffnete und mit kritischen Augen musterte. „Derzeit befindet sich seine Planung bereits in der Endphase. Die Ermordung der alten Königin stellt nur das kleinste Glied dar. Weiter hat er bereits Gift bei Shaiph fertigen lassen, mit welchem er sowohl unsere geliebte Königin, als auch den Prinzen und die Prinzessin niederstrecken will.“ „Wenn sich deine Worte und diese Liste, in welcher du mehr als den halben Ministerrat bezichtigst, als wahr herausstellen“ sprach Djiag und übergab das wichtige Papyrus an Ranab, um auch ihm die Namen der vermeintlichen Verräter bekannt zu machen, „dann sollten wir sie bald aus dem Palast bringen. Wenn ihnen etwas geschieht, ist die gesamte Thronfolge in Gefahr. Und mich selbst von dir zum Pharao erklären zu lassen, gehört nicht zur Planung meines letzten Lebensabschnitts.“ „Geht mir ebenso“ nickte Fatil ihm zu. „Deshalb haben sie Gapthi bestochen. Nach dem Tode meines Vaters muss ich erst vom Pharao dazu bevollmächtigt sein, dich im Zweifel als neuen König zu bestätigen. Wenn jedoch diese Vollmacht gegen eine ausgetauscht wird, welche dich und mich unserer Rechte beraubt und den Ministerrat als Regierungsinstanz einsetzt, könnte das vielen Männern sehr zugute kommen.“ „Du meinst, Ephrab will die Königsfamilie morden, um sich selbst von den Ministern zum Pharao krönen zu lassen?“ schlussfolgerte Ranab misstrauisch. „Ephrab ist kein Angehöriger unseres Reiches und er teilt nicht unsere Religion. Er ist Ausländer. Das wäre eine Schande für Ägypten.“ „Diese ganze Sache ist eine Schande für unser Land“ erwiderte Fatil, dem langsam ein hörbarer Zorn aufstieg. „Aber ihr wisst selbst, dass die wenigsten Minister im Palast sitzen, weil sie so patriotisch sind.“ „Viele sind gegen den Kurs unseres Königs“ stimmte Djiag zu. „Aber ein Mordkomplott … Fatil, ich will dir ja glauben. Aber wie sicher bist du dir deiner Worte?“ „Sehr sicher. Ich habe Beweise dafür, dass viele Botschaften, welche namentlich und vertraulich an den Pharao geschickt wurden, nicht ihr Ziel erreichten. Ephrab hat Verbündete im ganzen Palast und er nutzt zusätzlich auch die angespannte Lage, um seine Fäden zu spinnen. Ich weiß aus sicheren Quellen, dass Ras Lanuf bereits erste Empfangsersuche an den Palast geschickt hat.“ „Woher willst du das wissen?“ wollte Ranab erfahren und legte die ausgiebig gelesene Schriftrolle auf den Tisch. „Ich sprach mit Chiaphre, welcher mir bestätigt hat, dass Ephrab häufig mit Kanpashref gesehen wurde und ihm durchaus wertvolle Geschenke gemacht hat.“ „Und wer ist Kanpashref?“ hakte Ranab nach. „Seit einigen Monaten ist er Lehrling bei Chiaphre. Ein äußerst fleißiger, aber nicht eben intelligenter Junge“ erklärte Djiag ihm. „Mir ist es auch nicht entgangen, dass Kanpashref mit immer teurerem Schmuck behangen zum Beten kommt, aber ich dachte, als Lehrling unseres Postmeisters steht ihm dies als Lohn für gute Leistungen durchaus zu.“ „Und Chiaphre glaubte, dass dies mehr ein kleiner Nebenverdienst war, da er als Laufbursche die Botschaften der Königin innerhalb des Palastes vermittelte. Ich habe ihn in diesem Glauben gelassen, aber als ich gerade vor wenigen Stunden mit unserem wohlhabenden Laufburschen sprach, gab der recht schnell zu, dass er für Ephrab Schriftrollen aus dem Postlager entwendete und dafür Geschenke entgegennahm.“ „Dann gehe ich davon aus, dass du ihn vorerst in unsere Strafräume verwiesen hast“ unterstellte Ranab ernst. „Dass dies nicht rechtens ist, sollte selbst ein ungebildeter Junge wie er wissen.“ „Er wird seine Strafe erhalten, aber er ist noch ein dummer Junge. Er wusste, dass er etwas Unrechtes tut, aber er hat die Ausmaße seiner Handlungen nicht bedacht. Wir werden sehen, wie gnädig der Pharao ihm sein wird. Vorerst habe ich ihn vor Ephrab abgeschirmt.“ „Und die Botschaften?“ „Diese hat Ephrab wohl bei sich, jedoch konnte ich die letzten zwei Schriftrollen sicherstellen. Ich habe beide sicher in meinen Privaträumen aufbewahrt, aber was darin steht, wird meine Behauptungen untermauern. In der einen schreibt Ephrabs Bruder Anhay, dass er die Attentäter der Königin Mutter gefasst und ihrer gerechten Strafe zugeführt hat. Zur Ehre unseres Pharaos versteht sich.“ „Womit sich fragen lässt, woher Anhay von diesem Vorfall überhaupt Kenntnis erhielt, wenn er doch am anderen Ende des Reiches weilt“ ergänzte Djiag, welcher nun langsam Fatils Misstrauen teilte. „Hört sich nach einem mehr als schlecht verschlüsselten Schreiben an.“ „Wie es aussieht, ist Anhay nicht ganz so bedacht in der Wortwahl wie sein Bruder“ bestätigte Fatil diese Unterstellung. „Die zweite Botschaft stammt von Königin Ras Lanuf.“ „Ras Lanuf von Libyen“ wiederholte Djiag mit verengten Augen. „Die grausamste Herrscherin gleich nach König Sahr von Tschad“ ergänzte Ranab ebenso abweisend. „Ihr Ruf eilt ihr voraus. Was begehrt sie von Ägypten?“ „Antwort auf ihr Ersuchen“ erzählte Fatil. „Ihre Worte verraten, dass sie verärgert ist. Sie schrieb wohl schon häufiger an unseren Pharao, bekam jedoch niemals eine Antwort.“ „Wie auch, wenn ihre Schreiben abgefangen wurden?“ grummelte Ranab. „Ist sich Ephrab überhaupt bewusst darüber, was es bedeutet, Ras Lanuf zu verärgern?“ „In jedem Falle werden ihre Botschafter auch ohne Einladung Einlass nach Pe-Amun begehren und sollten wir sie nicht empfangen, droht sie mit eigens erteiltem Einlass. Sie selbst befindet sich bereits auf dem Wege hier her. Ich habe Beobachter ausgeschickt, um herauszufinden, wann sie hier eintreffen wird.“ „Werdet ihr sie empfangen?“ wand sich Ranab nun an den Pharao, welcher sich noch immer aus dem Gespräch heraushielt. „Natürlich werde ich sie empfangen“ antwortete der mit belegter Stimme, jedoch hob er seinen Blick nicht. „Ich kann sie nicht fortschicken. Ich kann nicht riskieren, neben Tschad auch noch Libyen gegen mich zu haben. Zumal sie wahrscheinlich schon innerhalb unserer Landesgrenzen reist. Sie jetzt abzuweisen, hat unweigerlich einen Krieg zur Folge.“ „Der tobt bereits an den Grenzen. Libyens Soldaten besetzen seit Wochen unsere westlichen Grenzländereien und vertreiben unsere Bauern“ berichtete Ranab. „Und Tschad tut dasselbe von Süden aus. Wir haben bereits einen Krieg, den nur Ihr noch nicht als offiziell erklärt habt, mein Pharao.“ „Ashraf schrieb mir von schrecklichen Szenarien, welche sich dort abspielen“ wusste der Hohepriester zu berichten. „Unsere diplomatischen Ersuche fanden derzeit nur wenig Gehör. Langsam zweifeln die Bauern an unserem Willen, das Reich zu verteidigen. Mutlosigkeit und Frustration, sowie große Angst vor noch mehr Kämpfen breiten sich selbst ins Landesinnere aus.“ „Das weiß ich doch alles“ seufzte der Pharao und stützte die Stirn in seine zitternde Hand. „Aber was soll ich denn tun? Ich will keinen Krieg führen. Es muss einen anderen Weg geben. Aber überall stellen sich mir Feinde. Nicht nur an den Grenzen, jetzt auch noch in den eigenen Reihen. An wie vielen Fronten soll ich denn noch schlichten, um nicht zu anderen Mitteln zu greifen? Weder meine Armee noch mein Herz sind stark genug für einen Krieg.“ „Ich weiß nicht, was wir tun sollen, mein Pharao“ sprach Ranab ernst. „Aber ich sichere Euch die Loyalität und die Treue Eurer Armee zu. Wohin auch immer Ihr uns führt, wir werden nicht an Euch zweifeln und nicht von Eurer Seite weichen.“ „Dasselbe gilt für den Tempel“ pflichtete Djiag bei und legte ihm respektvoll seine Hand auf den Oberschenkel. „Verzweifelt nicht, mein Pharao. Die Priester in allen Teilen des Reiches stehen hinter Euch und stärken das Volk für Krieg und Frieden gleichermaßen. Ägypten ist ein starkes Reich. Durch seinen starken Pharao.“ Der Pharao seufzte und atmete nochmals tief ein. „Genau das ist ja meine Misere. Ich weiß nicht ein und nicht aus. Wie soll ich mein Volk sicher führen, wenn ich selbst keinen Weg finde?“ „Die Götter wissen den Weg, mein Pharao“ sprach der alte Hohepriester mit seiner sanften Stimme. „Und sie werden Euch alles offenbaren, wenn es an der Zeit ist. Ägypten ist unter Euch erblüht. Ihr seid gesegnet. Und bis Ihr das heilige Wort für Euch hört, stehen wir an Eurer Seite. Ich denke, ich spreche für alle Vertreter in diesem Raum, wenn ich sage, dass wir an Eurer Seite stehen und Euch weder verlassen noch hintergehen werden. Wir kämpfen für unseren Glauben, unser Land. Ob mit dem Schwert oder dem Worte. Wir kämpfen für Ägypten. Wir kämpfen für Euch.“ „Aber bevor wir nun über ein weiteres Vorgehen beratschlagen“ warf Ranab dazwischen. „Wir müssen die Königin und die Kinder außer Gefahr bringen. Wenn Ephrab bereits die alte Königin gemordet hat, wird er bald die Thronfolge weiter verkürzen wollen.“ „Darum haben wir uns bereits gekümmert“ erklärte Fatil mit sicherer Stimme. „In dieser Nacht haben sowohl die Königin als auch die Kinder wie Händler verkleidet die Stadt verlassen. Seth wird sie führen und ich habe bereits zwei unserer besten Männer nachgeschickt, welche ihn unterstützen werden.“ „Und wo sollen sie hin?“ antwortete er besorgt. „Wenn Ephrabs Verbindungen bis in den abgelegenen Palast der Königin Mutter führen, werden sie in jeglichen Tempelgebieten bedroht werden. Besonders eine schöne Frau wie Abunami wird in nicht lange unerkannt bleiben.“ „Nicht, wenn sie dort ist, wo niemand eine Königin vermutet“ erwiderte Fatil überzeugt. „Deshalb bitte ich besonders dich, Ranab. Schicke deine Truppen nicht weiter gegen die Gesetzlosen der Wüste. Vielleicht war es wirklich ein Segen der Götter, dass unser Pharao ein Herz für niedere Menschen bewies.“ Kapitel 48: Kapitel 48 ---------------------- Kapitel 48 Während im Palast die Beratungen um geeignete Gegenmaßnahmen zur Abwehr von Putschisten starteten, die Wachen um den Pharao möglichst unmerklich verstärkt wurden und man sich auf die Ankunft der ausländischen Armee und der verrufenen Königin Ras Lanuf vorbereitete, so hatte die kleine Gruppe in der Wüste ganz andere Probleme. Glücklicherweise hatten die zwei als beste Männer bezeichneten, nämlich Penu und Faari, noch am selben Tag den Wagen der vermeintlichen Händler erreicht. Natürlich nicht offiziell als Palastwachen erkennbar, sondern ebenfalls getarnt, sodass sie mit Mühe und Not den Schein einer kleinen Karawane wahren konnten. In ihrem Gepäck zusätzliches Wasser, Nahrungsmittel und Decken. Und natürlich eine ganze Satteltasche voll von Schmuck und Edelsteinen. Es war auch ein Glück, dass sie so viel davon mit sich trugen, denn schon die Hälfte davon und ein Drittel ihres Proviants mussten sie einbüßen, als sie bereits kurz hinter den Stadtmauern von der ersten Räubergruppe aufgegriffen wurden. Mit Seths überzeugendem Handelsgeschick und ausreichend Schmeichelei konnte er den Räubershauptmann davon überzeugen, dass ein Wegzoll wesentlich gewinnbringender war als ein Kampf. So überstanden sie die erste Begegnung zwar ärmer, aber unbeschadet. Bei der zweiten Bande ließ sich ein Kampf leider nicht umgehen. Seth hatte es zwar versucht, aber hier waren die Gesetzlosen eher an dem Körper der Königin interessiert als an Gold und Brot. Und sie unbeschadet in Sicherheit zu bringen, war das oberste Ziel. Das Glück war wie ein Gottessegen auf ihrer Seite und so überstanden sie die Auseinandersetzung mit vergleichsweise harmlosen Wunden. Penu verdrehte sich den Arm, womit sein Schwertkampf am Ende erlahmte und er eine Stichwunde am Oberschenkel zu beklagen hatte. Faari hatte einen der Räuber mit seinem Pfeil geschossen und war kurz nach dem konzentrierten Zielen selbst vom Pferd gezogen worden. Seth war rechtzeitig da, um dem Angreifer einen Knüppel überzuziehen, jedoch trat das erschrockene Pferd auf Faaris Bein, womit er die nächsten Tage schmerzlich humpelte. Seth selbst wurde von der Peitsche eines Räubers getroffen und trug einen Striemen an der Schulter, an der Hand und eine Platzwunde am Arm davon. Jedoch hatten sie mit nur drei Männern acht Räuber in die Flucht geschlagen und feierten ihren Erfolg nicht nur mit einem Kelch Wein, sondern bekamen jeder einen Wangenkuss von der Königin und der Prinzessin, was sie wahrlich für ihre Blessuren entschädigte. Trotz ihres Glücks in den Tagen, war die Reise beschwerlich und ungewohnt für die weichen Gemüter und Körper der Königsfamilie. Der Pharao hatte sich seit seiner Kindheit an lange und strapaziöse Reisen gewöhnt und so ließ sich auch der tapfere Prinz zu keiner Jammerei hinreißen. Jedoch sah man ihm die Beschwerlichkeit an. Er trug rote Sonnenmale auf der Nase und den Unterschenkeln, welche besonders in der Mittagshitze brannten bis ihm die Tränen in die Auge stiegen. Dennoch war er zäh und quengelte nicht, er wollte dem glamourösen Vorbild seines Vaters folgen mit dessen Heldengeschichten die Männer ihn jeden Abend trösteten und ermutigten. Die Prinzessin jedoch zeigte offen wie unangenehm ihr die Wüste war. Sie hasste es, wenn sie im schattigen Wagen bleiben sollte, wo es durch die gestaute Luft brütend heiß war. Aber sie hasste es auch, auf dem Pferd zu reiten, wo wenigstens ein wenig Wind Erleichterung gab, ihre verbrannte Haut aber der Sonne aussetzte. Sie hasste den Sand, sie hasste das Feuerlager und seit sie am letzten Flusslauf von einer Ratte gebissen worden war, wollte sie den Boden gar nicht mehr betreten. Kein Wunder, sie war fast noch ein Baby und da war solch eine Reise das Schlimmste, was sie je erlebt hatte. Die Königin gab sich alle Mühe, ihre Kinder zu trösten und doch wusste sie sich selbst kaum Trost. Abends hörten die Männer ihr leises Schluchzen aus dem Wagen und kannten keine guten Worte mehr. Sie hatte ihr Lächeln verloren. Ephrab hatte ihr das Herz gebrochen und die Erinnerungen an ihre Schwester quälten sie so, als wäre sie erst gestern von ihr gegangen. Sie musste in der Wüste ausharren, ihre Kinder leiden sehen und auch ihrem Körper schadeten die Strapazen des wenigen Komforts. Selten war sie in solch einer Notlage gewesen. Selten hatte sie sich so einsam gefühlt. Seth betete jeden Morgen und jeden Abend mit ihr gemeinsam und in stillen Momenten stets für sie und ihre Kinder. Und für den Pharao, welcher auf die Rettung seiner Familie hoffte und im Herzen sicher ebenso bei ihnen war wie sie auch bei ihm. Und er betete dafür, dass die Götter ihnen bald ein Zeichen schicken würden und die schrecklichen Bedingungen zum Besseren leiteten. In den letzten Tagen hatten sie ihre Stimmung mit der Hoffnung aufgehellt, dass sie nicht mehr weit von der nächsten Oase entfernt waren. Jedenfalls wenn die Erläuterungen stimmten, welche Fatil Seth kurz vor ihrer Abreise eingebläut hatte. Doch Seth war kein ausgebildeter Wüstenführer und so konnte er nur sein Bestes versuchen, um die Gruppe sicher zu leiten. Tatsächlich sichteten sie in den frühen Abendstunden endlich die erhoffte Wasserstelle. Sie überquerten eine beschwerlich hohe Düne und wollten an deren Fuß zum Abend rasten, als sie inmitten des hellen Sandes eine grüne Stelle erblickten, welche herausstach wie der Mond am sich eindunkelnden Himmel. „Den Göttern sei Dank, wir sind richtig“ seufzte Seth erleichtert. Seine Navigation nach den Sternen war also korrekt gewesen und die gemerkte Wegbeschreibung befand sich sicher in seinem Kopf. Sie hatten endlich die rettende Oase erreicht, bevor ihre Wasservorräte aufgebraucht waren. „Dann ist die nächste Stadt auch nicht mehr weit“ lächelte Penu die Königin aufmunternd an. „Wir werden dort frische Früchte für Euch kaufen. Ihr könnt Euch schon Eure Wünsche überlegen.“ „Meine Wünsche“ seufzte sie und strich der kleinen Prinzessin über den Kopf, welcher in der abklingenden Tageshitze noch immer rot brannte. Im Augenblick konnte sie an kaum etwas Heiteres denken. Sie bemerkte durchaus wie sehr die Männer sich um sie bemühten, aber Trost fand sie in keinem Wort, keinem Gedanken. Der Gedanke an Ephrabs vorgespielte Liebe, raubte ihr jedes Lächeln. „Seth, stopp bitte“ bat Faari plötzlich und ließ den Wagen anhalten. Er blickte mit seinen zielgenauen Adleraugen in die Ferne und hielt auch sein eigenes Pferd an, um noch genauer hinsehen zu können. „An der Oase ist schon jemand.“ „Das ist doch nicht wahr“ jammerte Penu. „Nicht schon wieder Räuber.“ „Wie eine Karawane sieht mir das nicht aus. Dafür sind es zu viele Pferde und ich sehe keinen Wagen. Das sind zumindest keine Händler. Ich sehe Zelte, also werden sie nicht allzu schnell wieder gehen.“ „Dann müssen wir vorerst zurück hinter die Düne, bevor sie uns auch sehen“ beschloss Seth. „Wir sollten uns vorsehen und hoffen, dass sie bald in eine andere Richtung als stadtwärts aufbrechen. Für ein paar Tage reicht unser Wasser noch.“ Er wand den Wagen um und lenkte ihn zurück. „Gehen wir jetzt nicht baden?“ fragte der Prinz merklich enttäuscht. „Leider nicht“ lächelte Seth ihn bedauernd an. „Da sind Räuber am Wasser. Wir müssen warten bis sie weggehen. Baden können wir erst in der nächsten Stadt.“ Er blickte traurig zu Boden und atmete schwer aus. „Darf ich bitte fluchen?“ „Ja“ schmunzelte Seth. „Ihr dürft jetzt fluchen.“ „Mist“ zischte er leise und ballte seine kleinen Fäuste. Er ärgerte sich und eigentlich zeigte er seine Gefühle nach königlicher Art nicht allzu schnell. Aber wenigstens das hatte der schlechte Umgang mit den Soldaten ihm gebracht. Er fand Erleichterung, wenn er sich das Fluchen erlauben ließ. Auch wenn sich seine Schimpfworte noch auf „Mist“ und „Verzwickt“ beschränkten. Mehr würde die Königin ihm sicher auch erst mal nicht erlauben. „Seth, mach zu“ trieb Faari ihn dann leise an. „Sie haben uns bemerkt.“ Der drehte sich um und sah selbst, dass vier vermummte Reiter in schnellem Tempo die Düne hinaufkamen. „Mist“ fluchte jetzt auch er und trieb die Pferde an. Wenn möglich mussten sie eine Begegnung vermeiden. „Wenn wir schnell sind, folgen sie uns vielleicht nicht zu weit.“ „Hoffentlich ist dies keine vergebliche Hoffnung ist“ sprach die Königin, welche sich umwand und die Verfolger hinter sich beobachtete. „Ihre Pferde sind schneller als unser schwerer Wagen.“ „Müssen wir jetzt kämpfen?“ fürchtete der Prinz und hielt sich ganz unbewusst an Seths Ärmel fest. „Nein, vielleicht nicht“ versuchte seine Mutter ihn gleich zu beruhigen. „Aber wir gehen lieber rein, bevor das Wackeln uns noch vom Wagen wirft, ja?“ Sie nahm die Prinzessin auf den Arm, welche damit leidlich zu quengeln begann. Erst wackelte der Wagen so doof und dann wurde sie auch noch transportiert. Das war wirklich ein ganz blöder Tag für sie. Der Prinz ließ sich ohne Widerstand von seiner Mutter in den stoffbespannten und sichtgeschützten Wagen treiben und verpasste die Geschehnisse draußen, bevor er sich noch mehr ängstigte. „Das sieht nicht gut aus“ sprach Penu möglichst unhörbar zu Seth. „Die kommen die Düne schneller rauf als wir.“ „Aber es sind nur vier Abgesandte. Die schaffen wir, sollten sie uns einholen“ sprach Seth sich und den Soldaten Mut zu, aber trieb trotzdem die schnaufenden und vom Tag erschöpften Pferde weiter an, jagte sie im sandigen Galopp die steile Düne empor. Nur noch wenige Meter und sie hatten die Spitze erreicht. Hinunter würden sie schneller kommen als hinauf. Jedoch als sie oben ankamen, sahen sie ihren Weg abgeschnitten. Auf halber Höhe kamen ihn nochmal drei Reiter in verhüllenden Umhängen entgegen, welche den längeren Umweg um die Düne herum genommen hatten. Ein Blick zurück sagte ihnen, dass sie von hinten noch immer verfolgt wurden. Sie waren eingekesselt. Hinunter konnten sie nicht, da waren drei sichtlich bewaffnete Reiter, hinter ihnen war es dasselbe Bild. Und ihre erschöpften Tiere den Scheitel der Düne entlang zu treiben, würde den Wagen ins Schwanken bringen und höchstwahrscheinlich umkippen. Was für ein Unglück. Selbst wenn sie diese Reiter bekämpften, warteten weiter unten noch mal genauso viele an der Oase. Jetzt mussten sie handeln und hoffen. „Was machen wir jetzt?“ wollte Penu außer Atem wissen. „Wir bleiben stehen“ beschloss Seth und ließ den schweren Wagen allmählich an der Dünenspitze zum Stehen kommen. „Das ist unsere einzige Möglichkeit. Der Fluchtweg ist verstellt … hoffentlich sind das intelligente Räuber, die mit sich handeln lassen.“ Auch wenn das eine gewagte Hoffnung war. Die wenigsten Wüstenräuber waren so eingestellt wie die ersten am Anfang ihre Weges. Die meisten töteten die Männer, schändeten die Frauen und verkauften die Kinder. Sie waren nicht umsonst Ausgestoßene im Niemandsland. „Na, hoffentlich habt ihr immer brav gebetet“ versuchte Faari sich an einem verzweifelten Scherz, als die Verfolger mit gemindertem Tempo näher kamen und ihre Waffen bereithielten. Besonders ihre schweren Schwerter und die langen Pfeile machten sie zu einer ungünstigen Begegnung. „Kannst du nicht schon mal wenigstens einen abschießen?“ schlug Penu vor. „Tötest du eine Ameise, werden sich die anderen rächen.“ „Häh?“ „Ach, Penu“ seufzte Faari enttäuscht. „Lass es, du ungebildeter Haudrauf.“ „Männer, bitte“ schlichtete Seth. Keine Zeit für Scherze jetzt. Nun konnte er Fatil verstehen, wie nervös er als Führer wurde. Für alles verantwortlich zu sein und immer den Überblick zu behalten, war kein schönes Gefühl. Besonders nicht in solchen Momenten, wenn man eine Entscheidung treffen sollte. Im gingen hundert Szenarien durch den Kopf, darüber was nun folgen konnte. Er überlegte an einer Strategie, wie drei Männer gegen sieben Feinde sinnvoll angehen konnten. Er überlegte an einer Verhandlungsgrundlage, welche er ihnen anbieten konnte, um einen Kampf zu umgehen. Und er wollte nicht daran denken, was geschah, wenn die Götter ihre schützende Hand entzogen … Doch die Götter entzogen ihnen nicht die schützende Hand, sondern betteten die verlorenen Wanderer in eine zärtliche Umarmung. Beim Näherkommen erkannten sie besonders einen Räuber, welcher schrecklich zerzaust war. Ein verfilzter Bart, zerwühlte Locken, zahnloser Mund und lauter Runzeln im Gesicht. Den braunen Umhang zerknittert und sein Sattel zernagt. Dennoch verbanden sie gemeinsame Erinnerungen. „Seth!“ rief genau der erstaunt aus und ließ sein Pferd langsamer werden. „Was machst du denn schon wieder hier?“ „Rantep, den Göttern sei Dank. Ihr seid es.“ Vor Erleichterung brach er über den Knien zusammen und lachte leise. „Verdammt, was hatte ich für Befürchtungen.“ „Zu Recht. Eigentlich wollten wir euch aufgreifen“ antwortete der ganz offen und betrachtete sie verwundert, ließ auch seine Mitreiter durch ein Handzeichen anhalten. „Na, lieber uns aufgreifen als uns aufknüpfen“ lachte auch Faari erleichtert und Penu steckte friedvoll sein Schwert zurück. „Wenn wir euch aufknüpfen, kriegen wir Ärger vom Boss“ erklärte er und kam mit seiner ungepflegten Meute langsam näher heran. „Sagt mal, was hat der Pharao mit ihm gemacht?“ „Warum?“ Seth stand vom dem Wagen auf und reichte ihm die Hand. Sie umfassten den anderen am Handgelenk und schenkten sich einen freundschaftlichen Blick. „Seid ihr weg seid, verbietet er uns das Aufknüpfen“ brummte er und begrüßte auch Faari und Penu, welche schon von seinen Mitreitern eingekreist wurden. Und Seth musste doch innerlich lächeln. Emenas verbot seinen Männern das Blutvergießen? Dann war seine Hoffnung, dass der Pharao ihm den richtigen Weg zeigte, wohl doch nicht ganz vergebens gewesen. Zwar war er noch immer ein Gesetzloser, welcher die Reisenden auf ihren Wegen beraubte und ängstigte, aber mit dem Segen der Götter lernte er für sich selbst Vergebung und Reue zu suchen. Das wünschte er ihm von Herzen. „Vielleicht sollten wir euch doch ausrauben“ schlug einer der Räubersmeute scherzend vor und nickte mit seinem geschorenen Haupt auf den Wagen. Dort steckte die Königin vorsichtig ihren Kopf heraus, um zu sehen, weshalb sich die Männer so freundlich begegneten. „Wow“ grinste Rantep aus seinem fleischigen Mund. „Wem gehört das Weib denn?“ „Sprich respektvoller“ bat Seth ernst. „Sie ist die Königin.“ „Was wird das hier?“ schaute der Schurkopf ihn an. „Abenteuerreisen für Adlige zu den Räubersleuten? Dafür solltest du uns aber was geben, Priester.“ „Schnauze, Histhaph“ fluchte Rantep ihn an. „Das lassen wir mal schön den Boss entscheiden.“ Denn er ahnte, was es bedeutete, wenn man etwas gegen Seth sagte. Mit Emenas anlegen, wollte sich sicher niemand. „Habt keine Angst, Abunami“ sprach Seth ihr beruhigend zu. „Wir sind am Ziel unserer Reise.“ „Ach, wir hatten ein Ziel?“ „Penu“ blickte Faari ihn enttäuscht an. „Halt mal für den Rest des Abends die Klappe, ja? Tu es für unser aller Wohl.“ „Also doch Abenteuerreisen“ unterstellte der verfilzte Rantep skeptisch. „Na ja, dann kommt mal mit. Der Boss wird sich sicher freuen, euch zu sehen.“ „Boss?“ fragte die Königin verwirrt und blickte Seth unsicher an. „Was bitte planst du?“ „Jetzt wird alles gut“ versicherte er und setzte sich zurück, trieb die Pferde an, um doch noch zur Oase zu kommen. „Ihr werdet den Räubershauptmann mögen. Ich bin mir sicher, er wird Euch gefallen.“ Es wäre schön, wenn die Königin nach ihrer zerbrochenen Liebe ein wenig Zerstreuung finden könnte. Und wenn schöne Männer ihr Herz hüpfen ließen, so war sie hier richtig. Wobei es schon verwunderlich war, dass Ephrab sie erobert hatte, wo es doch wahrlich hübschere Exemplare gab, welche einer schönen Königin wie ihr zu Füßen lagen … Kapitel 49: Kapitel 49 ---------------------- Kapitel 49 Im Lager löste ihr Besuch leichtes Erstaunen bis große Wiedersehensfreude aus. Faari wurde gleich von einigen Männern zur Seite gezogen, um sich die neulichst erbeuteten Pfeile einer ausländischen Karawane zeigen zu lassen. Als Mudiwas Bräutigam war Penu schon am Meisten einer von ihnen und so bekam er von allen Seiten feste Schulterklopfer und einen Krug voll Wein in die Hand gedrückt. Und natürlich tausend Fragen nach ihrer kleinen, schwarzen Mudi, welche hier mit ihren Erziehungsversuchen sichtlich vermisst wurde. Die Räubersmeute sah noch zerzauster und schmutziger aus als das letzte Mal. Man sah ihnen an, dass sie lange keine Frau mehr in ihren Reihen hatten. Seth wusste, dass sie nun die größtmögliche Sicherheit gefunden hatten und das versuchte er auch der verunsicherten Königsfamilie zu zeigen. Er nahm den Prinzen in den Arm und sagte ihm die Namen der Männer, die ihm so fremd waren. So ungepflegt, laut, rau und wild. Das waren ganz andere Wesen in seinen Augen. Die Prinzessin verkroch sich skeptisch und müde vom Tag in den Armen ihrer Mutter und wollte anscheinend nur noch ihre Ruhe haben. Und die Königin? Sie blickte ähnlich staunend wie ihr Sohn diese fremdartigen Männer an, welche sich johlend zuprosteten und sie weniger begrüßten als mehr mit spitzen Seitenblicken bedachten. Frauen sahen sie hier in der Wüste sicher nicht oft und so beschloss sie, sich lieber an Seths Arm zu hängen und auf seinen Schutz zu hoffen, wobei gar nicht erst vom Wagen stieg. Auch wenn die Räuber gnädig gestimmt schienen, so musste man als Frau und Mutter dennoch Vorsicht walten lassen. „Sei gegrüßt, Seth.“ Als erster Räuber, welcher nicht bedrohlich wirkte, stellte sich der alte Ahmose zu ihnen und streckte dem Priester seine Hand zum Wagen hinauf. „Ahmose, schön dich wiederzusehen“ lächelte Seth und umfasste sein Handgelenk. Die Königin betrachtete den alten, dünnen Mann mit seinem schulterlangen, hellgrauen Haar und der zerschlissenen, aber sauberen Kleidung. Seine hellbraunen Augen wirkten gütig und sein Lächeln freundlich. Auch wenn seine Zähne etwas schief standen. „Überraschend, dich wiederzusehen, Priester“ erwiderte er erfreut. „Was treibt dich zurück in die Wüste? Noch dazu in so bezaubernder Damenbegleitung.“ „Natürlich, verzeih“ lachte er sanft. „Diese bezaubernde Damenbegleitung ist unsere Königin Abunami.“ „Die Königin. Es freut mich“ nickte er ihr lächelnd zu und wanderte mit seinem Blick ein wenig tiefer. „Ich meinte mit bezaubernd jedoch eher diesen süßen Augenstern.“ „Die Prinzessin Piatra“ stellte Seth das misstrauisch und müde dreinblickende Mädchen vor. „Sie ist wunderschön“ lächelte er und blickte die Königin an. „Darf ich sie berühren? Meine Hände sind sauber.“ Abunami nickte unsicher und beobachtete wie seine vom Alter gezeichnete Hand über die rot verbrannte Wange ihrer Tochter strich und seine gütigen Augen sie verliebt ansahen. „Ebenso mürrisch hat mich meine Tochter damals auch angesehen“ erzählte er verträumt, sah sie noch einen ganzen Moment an, bevor er sich lachen von ihr löste. „Bitte verzeiht, Majestät. Aber ich habe seit Jahren kein so schönes Kind mehr gesehen. Sie hat große Ähnlichkeit mit ihrem Vater.“ „Ja, das ist wahr“ bestätigte sie leise. „Sie ähnelt ihm sehr.“ „Und wer ist dieser hübsche Junge?“ Er lächelte auch den Prinzen unbedrohlich an und erlaubte sich selbst, sein Haar zu berühren. „Der Prinz“ antwortete Seth und achtete darauf, dass dem Kleinen nicht die Angst hochstieg vor diesem andersartigen Fremden. „Es ist mir eine Ehre, mein Prinz“ nickte er ihm ehrerbietig zu. „Schön, dich kennenzulernen“ erwiderte der Kleine aus Gewohnheit heraus. „Wie lautet dein Name?“ „Ahmose“ wiederholte er. „Schön, dich kennenzulernen, Ahmose“ grüßte er zurückhaltend, aber höflich. „Seth.“ Da nahm die Königin seinen Arm und blickte aufmerksam nach vorn. „Wer ist das?“ Er folgte ihrem Blick und erkannte ihn sofort. Er stach aus seiner Meute heraus wie eine Oase aus der Wüste. Sein hüllend schwarzes Wüstengewand, sein langes, nachtschwarzes Haar, seine helle Haut, seine dunklen Augen. Sein Gang so elegant und stolz, sein muskulöser Körper wie der einer Raubkatze. Eine wahre Augenweide und er konnte ihre Überraschung deutlich sehen. Einen solchen Mann hatte sie hier mit Sicherheit nicht vermutet. Er war schon bei ihnen, bevor Seth genug Aufmerksamkeit von der Königin bekam, um ihr zu antworten. Sie blickte nur noch ihn an und war sichtlich entrückt. Er blickte auch zurück, blickte sie sehr intensiv an, aber war zu aller erst an Seth interessiert. Und er begrüßte auch ihn zuerst. „Seth“ sprach er mit ruhiger Stimme und blieb vor dem Wagen stehen. Seine dunklen Augen schenkten ihm einen Blick, welcher die Trauer eines Verlassenen verriet, aber auch eine gewisse Freude darüber, ihn wiederzusehen. Er schien sich unsicher, was er von diesem Besuch halten sollte. „Emenas.“ Dafür zeigte Seth nur sanfte Freude darüber, ihn zu sehen. „Ich bin froh, dich gesund zu sehen. Wie geht es dir?“ „Ich bin gesund“ antwortete er schlicht. „Was tust du hier? Bist du aus dem Palast geflüchtet? Hat er dich nicht gut behandelt?“ „Sorge dich nicht. Der Pharao hat mich besser als nur gut behandelt.“ War es ihm zu verdenken, dass er erst erfragte, ob er sich wieder Hoffnungen machen durfte? Emenas hatte ihn noch nicht aufgegeben und sicher irgendwo auch gewünscht, dass Seth zu ihm zurückkehren würde. Aber er wusste auch, dass er gegen den Pharao keinen Kampf gewinnen konnte. Keinen Kampf um Seths Herz. „Dann frage ich mich, ob du gar nichts gelernt hast.“ So trat er zurück und verschränkte seine Arme, sah ihn tadelnd an. „Es ist nicht gut, mit so kleinem Gefolge zu reisen. Selbst wenn ihr nicht als Palastangehörige zu erkennen seid, ist das unverantwortlich. Ihr könntet auf Schurken treffen.“ „Genau darauf habe ich ja gehofft“ lächelte er ihn entschuldigend an. „Steck deinen Liebreiz weg. Das ist unfair“ murrte er ein wenig eingeschnappt. Ihm erst einen Korb geben und dann schmeicheln, das war wirklich eine linke Masche. Stattdessen wand er seinen Blick zu dem Prinzen, der ihn mit großen Augen anglotzte und den Mund offenstehen ließ. „Na, Kumpel?“ sprach er ihn mit dunkler Stimme an. „Bist du eine Echse?“ „Was?“ Da wurden seine Augen noch größer und verwunderter. „Weil du den Mund aufsperrst. Das kenne ich nur von Echsen.“ „Ich bin keine Echse“ stritt er sofort ab. „Ich bin der Prinz von Ägypten.“ „Ach. Ich dachte, du bist eine Echse“ schmunzelte er neckisch und blickte dann die seltenschöne Frau an. „Und Ihr seid dann die Königin?“ „Ja“ nickte sie und musste seinem einnehmenden Lächeln in gleicher Weise antworten. „Und Ihr seid?“ „Ich bin bezaubert“ sprach er, reichte ihr die Hand und küsste ihre zarten Knöchel zum Gruße. „Emenas, Majestät. Herr über diese Meute.“ „Abunami“ stellte sie sich ebenso vor, bezaubert von seinem guten Betragen und seiner schönen Stimme. „Herrin der Echsen.“ „Ich sehe es“ lachte er und blickte zu der in Mutters Armen versteckten Prinzessin, welche etwa auf seiner Höhe saß und ihn ebenfalls mit offenem Mund anstarrte. „Du bist ja ganz verbrannt, Liebes“ stellte er beim Blick in ihr rotes Gesicht fest. „Bist die schlimme Sonne nicht gewöhnt, was?“ „Ihr seid sicher vieles nicht gewöhnt“ bedauerte Ahmose. „Emenas, wenn du erlaubst, würde ich den Kindern gern von deiner Salbe geben.“ „Natürlich, tu das nur“ nickte er ihm zu und kam zurück zu Seth. „Ich gehe davon aus, dass ihr über Nacht bleiben wollt?“ „Um ehrlich zu sein, mehr als das“ gestand er gleich. „Ich ersuche deine Hilfe, Emenas. Du bist unsere einzige Hoffnung.“ „Na, dann bin ich ja wenigstens das für dich“ seufzte er und sah ihn aus tonlos dunklen Augen an. „Trinkst du einen Wein mit mir?“ „Natürlich“ antwortete er gedämpft. „Es tut mir leid. Du kommst dir sicher ein wenig ausgenutzt vor. Dass ich nur komme, da ich etwas erbitte.“ „Schon gut. Ich habe nur nicht gedacht, dass ich dich nochmals wiedersehe. Aber du hast ja klargestellt, woran ich bin.“ „Emenas …“ „Du weißt, dass ich dir nicht nein sagen kann. Und eigentlich bin ich ja froh, dass du zu mir kommst und mich um etwas bitten willst. Und natürlich, dass du mir solch eine Schönheit bringst.“ Er blickte die Königin sanft an und setzte ein vorbehaltloses Lächeln auf. „Leistet Ihr uns beim Wein Gesellschaft, Hoheit?“ „Darf ich Euch etwas fragen?“ erwiderte sie vorsichtig. „Natürlich. Wir sprechen hier ohne Reue“ nickte er sie lieb an. „Was liegt Euch auf dem Herzen?“ „Seid Ihr … und Seth … seid Ihr mit ihm … oder gewesen?“ „Nein, leider nicht“ antwortete er. Auch wenn sie ihre Frage nicht ganz formulierte, wusste er, worauf sie hinauswollte. Offensichtlich besaß sie eine seltene Beobachtungsgabe. „Er hat mir eine Absage erteilt und ist lieber in den Palast gezogen. Ich weiß nicht, ob Ihr das verstehen könnt.“ „Doch, gewisser Weise“ seufzte und sah ihn traurig an. „Auch mir hat man eine Absage erteilt und sich eher für den Palast entschieden.“ „Dieser Mann muss ein Narr sein“ tröstete er sie mit fester Stimme. „Sagt mir ein Wort und seinen Namen und ich werde ihm gern einen Besuch abstatten.“ „Ihr seid reizend, Räubersmann“ lächelte sie ihn gerührt an. „Und so hübsch, wenn ich das bemerken darf.“ „Ihr ebenfalls“ schmunzelte er zurück und reichte ihr die Hand. „Wenn ich Euch herabhelfen darf, Königin. Ihr seid sicher erschöpft von der langen Reise.“ „Ich danke Euch.“ Sie nahm seine Hand und ließ sich herunterhelfen, wobei er ihr wie selbstverständlich die kleine Prinzessin abnahm, welche ihn nur erstaunt anblickte und bei einem Fremden wie ihm nicht mal zu weinen begann, obwohl sie derzeit so sensibel war. Doch wenn Mutter sie so mutig aus dem Arm gab, kam sie kaum dazu, sich zu fürchten. Im nächsten Moment nahm sie ihre Tochter auch sogleich wieder an sich, sobald sie sicheren Boden unter den nackten Füßen spürte. Seth half dem Prinzen herunter und stellte ihn neben seine aufmerksam wartende Mutter auf den Boden. „Ich schlage vor, wir gehen in mein Zelt.“ Emenas wies auf das kleinere der drei Zelte, welches etwas weiter rechts aufgebaut war. „Dort wird sich mein Heiler die verbrannte Haut Eurer Kinder ansehen. Er hat magische Hände, ich kann es bezeugen.“ „Das glaube ich. Ihr habt selbst so helle Haut“ erwiderte sie und ließ sich von ihm durch die trinkende und lachende Meute hindurchführen. „Wie kommt es, dass ein schöner Mann wie Ihr Wüstenräuber wird?“ „Ebenso könnte ich fragen, wie eine schöne Königin wie Ihr als Händlerin getarnt durch so gefährliches Gebiet reist“ antwortete er und blickte sie sanft an. „Ein Schicksalsschlag und eine ungewisse Zukunft“ sagte sie ihm traurig. „Dann haben wir auch das gemeinsam.“ Er blickte sich nach Seth um und sah, dass er nur kurz den Kopf schüttelte. Nein, die Königin wusste nichts. Und das sollte nach Möglichkeit auch so bleiben. „Aber seid nicht betrübt, meine Königin. Ich werde hier dafür sorgen, dass Euch kein Leid geschieht und Ihr vielleicht ein wenig Abstand gewinnt. Auch wenn ich Euch nur eine verlauste Räuberbande anbieten kann.“ „Ihr seid sehr gütig, Emenas.“ „Seid nicht so förmlich. Bitte sagt du“ bat er und hielt gab ihr seinen Arm, als sie über den kleinen Wasserlauf steigen mussten. „Du ebenso“ lächelte sie ihn entzückt an. „Ich bin doch jetzt wohl eine Räubersfrau auf Probe. Klingt nach einem spannenden Experiment.“ „Du bist wirklich mutig, Abunami“ schmunzelte er. „Bist du immer so aufgeschlossen?“ „Solange du mich nicht mit diesen Wilden allein lässt?“ „Wie könnte ich? Ich will doch nicht, dass du Läuse bekommst.“ Als beide lachten, kam Seth der Gedanke, dass er hier ein wenig überflüssig war. Emenas um den geplanten Gefallen zu bitten, schien keine Überwindung zu werden. Die beiden schienen sich auf Anhieb gut zu verstehen. Es wäre wohl eher schwer, sie jetzt wieder zu trennen. Denn es war eindeutig, dass sie sich gegenseitig viel Trost spenden konnten. Obwohl sie aus zwei fremden Welten kamen, trafen sie sich hier im Niemandsland wie zwei Menschen. Vielleicht war dies, das erste Positive in schwieriger Zeit. Als die Sterne draußen am Himmel funkelten und der fast volle Mond den hellen Wüstensand beschien, lag die Königin mit ihren Kindern das erste Mal wirklich geschützt im Schlaf. Emenas hatte ihr sein Lager angeboten und es dauerte nur einen Kelch Wein und ein kurzes Augenschließen bis die erschöpfte Königin beruhigt hinfort driftete. Die Kinder hatten sich dicht an sie gekuschelt und waren selbst allzu schnell dem Schlaf verfallen. Es waren harte Tage gewesen und ein aufregender Abend. Doch nun spürten sie, dass sie endlich eine Nacht ruhen konnten. „Eine bemerkenswerte Frau“ stellte der alte Ahmose fest und beobachtete wie Seth eine warme Decke über ihr und den Kindern ausbreitete. „Als verwöhnte Königin in einem Nest voll Banditen so einfach einzuschlafen. Den Mut hat wahrlich nicht jede.“ „Sie ist erschöpf von der Reise und ihrem Schwermut“ seufzte Seth und schlug die Decke über ihren Schultern um, damit der Prinz noch atmen konnte. „Aber ich muss dir zustimmen. Sie ist eine Frau wie es keine zweite gibt. Zu Recht nennt man sie Königin.“ „Weshalb ist sie so schwermütig?“ fragte Emenas und füllte seinen und Seths leeren Kelche nach. „Man hat ihr das Herz gebrochen“ seufzte er, strich über ihr seidenes Haar und löste sich dann, um seinen Platz neben Emenas einzunehmen. Der reichte ihm den Kelch und blickte ihm einen Moment verloren und tief in die Augen, bevor er sich abwand und selbst trank. „Was ist mit dir?“ tastete Seth vorsichtig an. „Du wirkst auch bedrückt, mein Freund.“ Jedoch Emenas antwortete nicht. Er sah in seinen Kelch und ließ die dunkle Flüssigkeit darin im Kreise schwenken, beobachtete die schüchternen Reflektionen auf ihrer Oberfläche. „Warum bist du hier?“ fragte er dann tonlos zurück. „Du sagtest, ich sei deine letzte Hoffnung. Also was begehrst du als Palastpriester von einem dir unwürdigen Ausgestoßenen wie mir?“ „Emenas …“ Er schien gekränkt. Seth hatte gehofft, er würde sich freuen, ihn wiederzusehen. Aber viel eher schien er mit seiner Anwesenheit alte Wunden zu öffnen. „Sprich schon“ bat er gedämpft. „Was willst du, Seth?“ „Die Krone ist in großer Gefahr“ sprach er und lehnte sich nähesuchend ein Stück mehr zu Emenas hinüber, jedoch ohne ihn zu berühren. „Im Palast geht ein Komplott vor sich. Man plant, den Pharao zu stürzen.“ „Und was geht mich das an?“ Seth seufzte und blickte den alten Ahmose an, welcher ihn nur entschuldigend anlächelte. Dieses Sprechen schien ihm nicht eben unbekannt zu sein. „Der Anführer dieses Putschversuches war der Geliebte der Königin“ sprach er ruhig weiter. „Er plante, sie und ihre Kinder zu morden. Der Pharao musste sie aus dem Palast bringen und ich suche nun nach einem sicheren Versteck.“ „Und nun willst du mich bitten, die Kronfamilie zu verbergen.“ „Du bist der einzige Mensch, dem wir genug vertrauen können. Bei dir wird sie niemand vermuten. Wenn ihnen etwas geschieht, ist die Thronfolge bedroht und damit ganz Ägypten. Sollte der Pharao wirklich ohne Erben vom Thron gestoßen werden, so wird Ägypten in einigen Jahren nicht mehr es selbst sein.“ „Ägypten ist mir egal. Ägypten hat mich nie gewollt“ antwortete er verbittert. „Was schert mich der Pharao? Er hat sich auch nie um meine Probleme geschert.“ „Du weißt, dass das nicht wahr ist“ versuchte Seth ihn zu beschwichtigen. „Du hast den Pharao kennen gelernt und selbst gespürt, welch große Güte er besitzt. Dein Unglück ist nicht seine Schuld. Und wenn du ihm jetzt hilfst, so wird Ägypten ewig in deiner Schuld stehen.“ „Deine Meinung.“ Er nahm einen tiefen Zug aus seinem Kelch und vermied es auch, seine verlorene Liebe dabei anzusehen. Scheinbar fiel ihm die Erfüllung dieses Gefallens doch nicht so leicht wie Seth gehofft hatte. „Wenn du es nicht für den Pharao tust, dann tu es für die Königin“ bat er mit betont sanfter Stimme. „Sie ist nicht verantwortlich für all das, was geschieht. Sie ist eine Leidtragende, genau wie das Volk. Ich bitte dich nicht für den Pharao und auch nicht für mich. Ich bitte dich für sie und für die Kinder. Für eine Mutter und ihre Familie. Ich weiß, dass sie dein Herz sogleich im ersten Moment bewegt hat. Ich habe es doch gesehen. Bitte gib diesem deinem Herzen einen Stoß und nimm sie unter deinen Schutz.“ „Was bekomme ich dafür?“ Er wand seinen dunklen Blick auf Seth und bohrte sich in seine tiefblauen Augen. „Was immer du begehrst“ versprach er und fasste freundschaftlich seinen kräftigen Arm. „Gold, Edelsteine, Vieh, Land. Was immer du begehrst, du wirst es bekommen. Für den Schutz der Königin steht dir der größte Lohn zu.“ „Eine Nacht mit dir“ forderte er, ohne über die anderen Angebote auch nur nachzudenken. „Gib dich mir eine Nacht hin. Dann werde ich deine Bitte erfüllen.“ „Emenas, da spricht nicht deine Vernunft“ bat Seth betrübt. „Ich weiß, dass dich meine Ablehnung gekränkt hat. Aber bitte lass das nicht unsere Bruderschaft trüben.“ „Eine Nacht“ forderte er ernst. „Diese Nacht. Jetzt und hier. Bis die Sonne aufgeht, gehörst du mir. Danach kannst du von mir erbitten, was immer ich dir zu bieten vermag.“ „Emenas, ich bitte dich“ sprach er erneut mit einem Hauch von Flehen. „Behandle mich nicht so. Mein Herz gehört dem Pharao. Ich kann ihn nicht hintergehen.“ „Hintergehst du ihn nicht eher, wenn du deine eigenen Wünsche über deine Treue stellst?“ erwiderte er hart. „Gib dich selbst für sein Wohl. Das beweist deine Liebe. Oder willst du die Königsfamilie ausgelöscht sehen, nur weil du zu großen Stolz entwickelt hast?“ „Emenas, warum bist du so zu mir?“ fragte er gedämpft und schenkte ihm einen Blick, der seine Enttäuschung und Ratlosigkeit nicht verbarg. „Ich bin dein Freund. Weshalb behandelst du mich wie einen …?“ „Wie einen Sklaven?“ ergänzte er hart. „Weil wir nichts anderes sind, Seth. Und weil wir niemals etwas anderes sein werden.“ „Emenas, bitte.“ Er drehte sich nach der Königin um, aber sowohl sie als auch die Kinder schliefen tief und fest. „Ich wollte das Wort Feind wählen“ sprach er leise weiter und neigte sich ihm vorsichtig zu. „Warum behandelst du mich wie einen Feind? Ich bin dein Freund.“ „Vielleicht war ich zu lange mit Abschaum zusammen.“ Er stürzte den Rest Wein seine Kehle hinunter und stellte den Kelch in den Sand. „Überlege es dir, Seth. Wenn du Ägypten retten willst, musst du eben die Rolle spielen, die dir gegeben wurde. Keiner kann sich sein Schicksal aussuchen.“ Er stand auf, klopfte sich den Sand ab und nahm eine Decke vom Haufen, bevor er zielstrebig den Ausgang ansteuerte. „Wohin gehst du?“ fragte Seth beunruhigt hinterher. Diese Sache war für ihn noch nicht geklärt. „An die Wasserstelle“ antwortete er tonlos. „Falls du dich doch noch entschließt, mich zu besuchen, weißt du, wo du mich findest. Ansonsten kannst du die Königin und ihre Bälger morgen wieder mitnehmen. Gute Nacht, Ahmose.“ „Gute Nacht, Boss“ antwortete der Alte, welcher sich die ganze Zeit aus dem Gespräch herausgehalten hatte. Und auch nun ließ er ihn ziehen, ohne sich einzumischen. Er kannte Emenas lange und gut und er wusste, dass es besser war, sich aus seinen Angelegenheiten herauszuhalten. „Was ist mit ihm?“ fragte Seth nun ihn. Er konnte dieses gemeine und ablehnende Verhalten nicht einordnen. Emenas war ihm nie so derart bösartig begegnet. „Du machst es ihm wahrlich nicht leicht“ antwortete der Alte und brach den letzten Laib Brot vor sich in mundliche, kleine Stücke. „Meinst du, es ist meine Schuld, dass er … so ist?“ „In gewisser Weise“ nickte er und sprach mit sicherer, ruhiger Stimme. „Weißt du, Seth, als du gingst, hast du ihm seinen Lebenssinn genommen.“ „Seinen … Lebenssinn?“ Er rutschte zu dem Alten herum und beobachtete erst seine faltigen Finger, wie sie das Brot zerrupften und betrachtete dann sein dunkelgebranntes Gesicht. „Was meinst du damit?“ „Fällt dir so gar nichts ein?“ „Nein. Ich weiß mit einem Mal gar nicht mehr, was ich denken soll. Er ist so anders.“ „Versuche dich in seine Lage zu versetzen“ sprach Ahmose weise. „Seit er damals geflohen ist, verbrachte er sein Leben damit, nach dir zu suchen. Diese Suche war es, was ihn hat weitergehen lassen. Nun hat er dich gefunden und sieht seine Suche beendet. Natürlich beginnt er, sich zu fragen, was kommen soll. Sein Handeln hat nun keinen Grund mehr. Hinzu kommt, dass er dich gleich nach dem Finden wieder hergeben musste. Mit schwerem Herzen gegen ausgerechnet den Pharao zu unterliegen, welchen er immer hasste. Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, was das für ihn bedeutet.“ „Grundsätzlich kann ich ihn ja verstehen“ seufzte er und fuhr sich das Haar aus der Stirn. „Ich würde ihm ja auch helfen, aber er lehnt meine Hilfe ab. Was rätst du, soll ich tun?“ „Ich weiß es nicht“ antwortete er der Wahrheit entsprechend. „Seine Gefühle waren mir schon immer ein Rätsel. Ich weiß nur, dass er unter seiner rauen Fassade einen sehr weichen und verletzlichen Kern versteckt.“ „Das macht es auch nicht leichter“ seufzte er und stützte nachdenklich das Kinn auf seine angezogenen Knie. Er wusste, dass Emenas noch immer liebevolle Gefühle für ihn hegte. Er würde ihm diese Gefühle auch gern erwidern, jedoch sträubte sich sein Herz dagegen. Emenas war ein großartiger Mann. Er war einfühlsam und stark. Ein wahrlicher Beschützer. Er war intelligent und obendrein ausgesprochen schön. Seth würde ihn nur zu gern lieben … jedoch gehörte sein Herz dem Pharao. Er nahm sein ganzes Herz ein, all sein Wesen – daneben existierte kein Platz für jemand zweiten. Weder für einen Mann noch für eine Frau. Aus diesem Grunde hatte er sich entschlossen, seine Verlobte zu verlassen, um ihr die Schande zu ersparen, immer hinter dem Pharao zurückstehen zu müssen. Es wäre ungerecht, Emenas etwas anderes als dies vorzuspielen. Das hatte er nicht verdient. Und Atemu auch nicht. Sein geliebter Pharao war nur wenige Tagesreisen entfernt im Palast und kämpfte dort um Ägyptens Vorherrschaft. Wie konnte er es überhaupt nur wagen, an etwas anderes als ihn zu denken? Aber auf der anderen Seite war er doch genau deshalb hier. Er hatte die Pflicht und den Befehl, die Königin und den Thronfolger in Sicherheit zu bringen. Wo auch immer sie hinreisten, Ephrab würde sie finden. Es gab kein sicheres Versteck, seine Verbindungen reichten wie die der Königin überall hin. Nur nicht bis hier her. Er hatte keine Verbündeten in den Reihen der Wüstenräuber, da er sich mit solchem Pack niemals befassen würde. Bei Emenas und seiner Bande war der sicherste Platz für die Königin. Der Pharao konnte nicht frei um seine Herrschaft kämpfen, wenn er nicht seine Familie außer Gefahr wusste. Und es war Seths Pflicht als Geliebter und als treuer Priester, ihm diese Freiheit zu geben. Und wenn er dafür seinen eigenen Stolz fortschieben musste … es würde alles tun. Alles für seinen Pharao. Und eine Nacht in Emenas‘ Armen war nun wahrlich keine Strafe. „Danke, Ahmose“ seufzte er und erhob sich. „Ich wünsche dir eine gute Nacht.“ „Die wünsche ich dir auch, Seth“ erwiderte er und steckte sich ein kleines Stück Brot in den Mund. Seth wartete noch einen Augenblick, ob der Alte ihm noch einen Rat mitgeben würde, aber dieser hielt sich weiter aus derlei Beziehungen heraus. Er würde weder Seth noch Emenas sagen, was sie tun konnten. Das mussten die jungen Männer für sich selbst herausfinden. So verließ Seth das Zelt und musste zuerst über einen betrunkenen Räuber hinwegsteigen, welcher wohl auf dem Weg zu seinem eigenen Nachtlager eingeschlafen war. Er roch aufdringlich nach Wein, aber sein schmutziges Gesicht sah zufrieden aus. Es waren merkwürdige, eigensinnige Menschen mit denen Emenas lebte. Obwohl sie Räuber waren, so waren sie nicht schlecht. Sie hatten nur ihren Weg verloren. So kam Seth dazu, darüber nachzudenken, wie elend sein Freund sich fühlen musste. Er hatte sein Ziel aus den Augen verloren, kannte keinen Weg mehr. Und nun musste er sich der Frage stellen, was mit dem Leben noch anzufangen war. Ein Leben als Räuber zu fristen, war einem hellen und guten Geist wie seinem nicht gerecht. Aber ohne die Hilfe eines Mächtigeren würde er der Wüste nicht entkommen. Im Gegensatz zu Seth war er als Sklave gekennzeichnet und würde deshalb niemals frei sein. Doch einen Adligen oder Reichen zu bitten, ihm zu helfen, das wurde seinem Stolz nicht gerecht. Er würde niemals jemand anderen um Hilfe anflehen. Eher würde er sterben als nochmals seine Freiheit aufzugeben. Seth erreichte die Wasserstelle und sah ihn dort liegen. Er schlief nicht, sondern beobachtete die Myriaden von Sternen, welche hoch oben funkelten und sich in seinen dunklen Augen wiederspiegelten. Er hatte so klare Augen, dass sie selbst zu strahlen schienen. Und ebenso strahlend war auch seine Seele. Wenn er nur nicht so verletzt wäre. Und nicht zuletzt für eine seiner vielen Wunden fühlte er sich verantwortlich. Wenn ihn ein wenig körperliche Nähe zu trösten vermochte … Atemu würde es sicher verstehen. „Emenas?“ Er trat näher und sofort erhob sich der Angesprochene. Er blickte ihn tonlos an, als er herüberkam und sich neben ihn auf die ausgebreitete Decke setzte. „Seth“ antwortete er dunkel. „Du bist mir nachgekommen.“ „Wie du siehst.“ Er erwiderte seinen Blick und sah die Trauer und die Einsamkeit in seinen Augen, neben dem Funkeln der Sterne. Letztlich war Seth selbst es, der seinem Herzen einen Ruck gab und die Schnüre seines Hemds löste. Er hätte nicht zu denken gewagt, sich jemals für einen anderen als den Pharao zu entkleiden. Auch wenn es Emenas und seinen Gefühlen nicht gerecht wurde, so tat er letztlich auch dies nur für seinen König. Er musste die an ihn gestellte Bedingung erfüllen und sich eine Nacht in fremde Arme legen. Er verkaufte sich für den Schutz der Krone. Auch wenn ihm das Herz schwer wurde bei dem Gedanken, dies seinem Geliebten beichten zu müssen … hoffentlich würde er es verstehen. „Seth …“ Er betrachtete noch ein wenig verwundert den blanken Oberkörper seiner lang vermissten Liebe. Seth legte das helle Stoffhemd fort und rutschte zu ihm auf. Auch wenn sich in ihm so vieles gegen dieses Handeln sträubte, so musste er an die Königsfamilie denken, an Ägypten und auch an Emenas. An seinen verbrüderten Freund, welcher so sehnsüchtig nach Liebe hungerte. „Halte dich nicht zurück“ sprach er und hob den Blick, um ihm tief in die Augen zu sehen. „Heute Nacht gehöre ich dir. Befriede dein Begehren ... Emenas.“ Nur das Zirpen der Grillen durchschnitt die Stille ihres Blicks. Tief umwanden sich ihre Augen als sie regungslos voreinander saßen und sich der Situation klar wurden. So lange still bis Emenas seine Hände ausstreckte und sie an Seths Brust legte. Mit festen Daumen berührte er die vor Kälte festen Knospen und ließ seinen Anbegehrten noch ein Stück näher rücken. Ganz sanft streichelte er seine weiche Haut und hörte ein leises Seufzen in die Abendluft gehaucht. „Seth …“ Er schloss seine Augen, beugte sich vor und setzte einen feuchten Kuss in die Mitte dieser so seltenschönen Brust. Seine Hände wurden fester und holten ihn still über seinen Schoß schwebend heran. Mit festen Lippen umfing er die kleinen Schätze seines Oberkörpers und spürte, wie Seths Hände in sein Haar griffen. Ebenso sanft kraulte er das feste Schwarz und beugte sich ergeben über ihn, bevor er sich herabsenkte und sich sanft auf den härter werdenden Schoß senkte. Mit fließenden, verführerisch tanzenden Bewegungen rieb er ihre Hüften aneinander und hauchte feuchte Leidenschaft aus. Heute Nacht würde er ihm gehören. Heute Nacht. Nur diese eine Nacht. Es war ein unglaublich schönes Gefühl, diesen begehrenswerten Körper in Besitz zu nehmen, seine Haut zu kosten, seinen Atem zu erhitzen. Seth war seit Jahren auf diese Weise in seinen Träumen präsent. In Gedanken hatte er ihn so oft schon gestreichelt und seine Stimme schmelzen lassen. Sein Körper war das schönste, was jemals auf dieser Erde geboren wurde. Endlich würde sich sein Wunsch erfüllen. „Emenas …“ Seth sprach seinen Namen voller Hingebung und beugte sich herab, strich sein Haar beiseite und kostete das feine Ohr. Emenas fühlte den heißen Atem seinen Hals hinablaufen und eine erregte Gänsehaut aufsteigen. Doch er wusste, dies war nur die Hälfte dessen, was er wollte. Was er sich wirklich wünschte, war mehr. Viel mehr. Und es war nichts, was zur Verhandlung stand. „Es ist gut.“ Mit einem Mal drückte er Seth weg, fast zu fest. Er schob ihn von seinem Schoß, nahm das ausgezogene Hemd und legte es auf dessen Schoß. „Emenas, was ist?“ fragte Seth besorgt und versuchte, ihn anzusehen, aber er drehte sich fort und ordnete mit nervösen Händen sein Haar. „Wenn du etwas anderes wünschst, kann ich …“ „Nein, du wirst niemals das tun, was ich wirklich wünsche.“ Er fasste sein Haar zu einem langen Schwanz und flocht einen Knoten hinein. „Kleide dich an, es ist genug.“ „Aber ich …“ „Ich habe einen Fehler gemacht. Deine Liebe will ich, nicht deinen Körper.“ „Das tut mir leid“ sprach er aufrichtig bedauernd. „Ich kann dir nur meinen Körper anbieten. Und meine ungebrochene Freundschaft.“ „Ich weiß. Ich bin ein Narr, dies mit Füßen zu treten“ seufzte er und vermied es, sich zu ihm umzuwenden. Er konnte ihn nicht ansehen. „Niemals wollte ich dich verletzen oder zu etwas zwingen. Es tut mir leid.“ „Dir nahe zu sein, ist mir nicht wahrlich unangenehm“ erwiderte er mit zärtlicher Stimme. „Neben dem Pharao bist du der wichtigste Mensch in meinem Leben. Was ich für dich empfinde, kann ich nur mit dir teilen. Dich traurig zu sehen, zerreißt mein Herz.“ „Nur weil mein Herz in Fetzen an meiner Seele hängt, ist dies kein Vorwand, auch dich zu verletzen. Bitte verzeih mir und lass uns vergessen, was ich verlangt habe.“ „Emenas, dir zu …“ „Seth, bitte“ wiederholte er nochmals deutlich. „Lass uns so tun als sei dies niemals geschehen. Bitte. Ich will darüber nicht mehr sprechen.“ „In Ordnung.“ Er wartete noch einen Augenblick und betrachtete seinen breiten Rücken, welcher unter dem schwarzen Stoff keine Schatten warf, betrachtete den lockeren Knoten in seinem langen Haar. „Wenn ich dem Pharao nicht begegnet wäre, so hätte mein Herz sich an dich verschenkt. Ich möchte, dass du das weißt.“ „Danke.“ Er dankte ihm wirklich aufrichtig. Seth würde dies nicht sagen, wenn es nicht auch so gedeutet werden wollte. So zog er sich das Hemd wieder über, schützte sich vor der schleichenden Abendkälte und berührte dann sanft die kräftigen Schultern, lehnte sich an seinen Rücken und fühlte, wie Emenas seine Hände griff und sich in eine Umarmung ohne Blick nehmen ließ. „Sag mir, Seth“ sprach er mit gesenkter Stimme. „Fühlst du dich auch manchmal so schmutzig?“ „Schmutzig“ wiederholte er nachdenklich, fragend. „Du meinst … wegen früher?“ „Ja, früher. Denkst du häufig daran zurück?“ „Um dir ehrlich zu antworten, muss ich nein sagen. Ich nehme mein jetziges Leben in den Vordergrund. Gedanken an früher suche ich zu vermeiden. Und du?“ „Ich denke ständig daran“ offenbarte seine flache Stimme. „Manchmal fühle ich mich so schmutzig, dass ich mir die Haut vom Knochen kratzen will, aber ich würde mich dadurch kaum besser fühlen. Dieser elendige Schmutz ist i n meinen Knochen, tief in mir, in mich hineingestoßen. Er ist mit mir verwachsen, ein Teil von mir geworden. Ein Fremdkörper meiner selbst. Ich werde ihn nicht los. Als würde ich innerlich verfaulen bis ich selbst ansteckender Dreck bin.“ „Deine Worte klingen schrecklich“ flüsterte er und umarmte ihn noch ein wenig fester, ließ ihn spüren, wie nahe sie sich waren. „Aber es ist nicht so, Emenas. Du bist nicht schmutzig. Für das, was mit dir getan wurde, trägst du keine Schuld.“ „Aber ich trage es in mir und ich werde es nicht los. Wie soll ich leben mit diesem Dreck, welcher mein Ich geworden ist? Und du sagst, es geht dir nicht so.“ „Ich sage nicht, dass ich niemals daran denke. Auch ich hadere mit meiner Vergangenheit, aber auf eine andere Art.“ „Ja … du hast den Pharao …“ „Nein, nicht deshalb. Emenas, ich kann gar nicht so sehr leiden wie du. Ich hatte zu dieser Zeit keine Gefühle. Keine Scham, keinen Schmerz, kein Ich. Ich war eine leere Hülle. Deshalb habe ich heute weniger Trauer als du. Um ehrlich zu sein, beneide ich dich fast ein wenig um deine Gefühle.“ „Das solltest du nicht sagen“ flüsterte er und drückte seine haltenden Hände. „Du hast wenigstens eine Vergangenheit“ sprach er ruhig weiter. „Du hast Erinnerungen an deine Kindheit, an deine Mutter. Auch wenn sie schmerzhaft ist, du kennst deine Vergangenheit. Ich weiß nichts mehr. Jahre meines Lebens sind fort, als habe es sie niemals gegeben. Die Gesichter meiner Familie sind verschwommen, ich kenne nicht mal meinen eigenen Namen. Ich weiß nicht, wo ich herkomme oder was für Träume ich hatte. Ich habe nichts, dem ich nachtrauern kann. Natürlich empfinde ich Schmerz, wenn ich daran denke, wie sie meinen Stolz gebrochen haben, wie sie mich zerstört haben. Aber dennoch beneide ich dich. Du hast viel verloren. Dies ist nicht schön, jedoch im Gegensatz zu mir weißt du wenigstens, was du verloren hast. Du kannst um deine Mutter weinen. Ich kenne nicht mal die Farbe ihrer Augen. Die Trauer und der Schmerz anderer Menschen bleibt mir dadurch verschlossen. Gefühle in mir sind begraben und werden niemals wiederauferstehen. In mir selbst gibt es diesen toten Punkt. So wie du dich schmutzig fühlst, so fühle ich mich taub. Deshalb kann ich es verstehen, dass du dich so fühlst. Und ich wünschte, ich wäre so temperamentvoll wie du. Du hattest die Kraft, dich gegen deine Auslöschung zu stellen. Du hast gegen sie gewonnen, du hast dein Ich behalten. Ich wünschte, ich hätte deine Kraft.“ „Nie hätte ich geahnt, dass du so fühlst“ sprach er leise heraus. „Du wirkst so stark und so abgeklärt. Du scheinst so leicht damit umzugehen. Bei dir sieht es so leicht aus, sich davon loszusagen. Du wirkst so rein.“ „Nur weil sie mich besiegten“ erwiderte und lehnte sich warm in seinen Nacken. „Ich hatte nicht deine Kraft. Ich hatte nicht die Kraft zu einem entschiedenen Nein. Du jedoch hast dich immer gegen dein Schicksal gestellt, hast deinen Willen nie verloren. Und deshalb bewundere ich dich.“ „Ach … Seth.“ Er seufzte und ertrug gern das Gewicht, welches Seths Körper auf ihn legte und trotz seines ungerechten Verhaltens die Nähe suchte. Sie teilten sich ein Schicksal, doch jeder wurde damit anders fertig. Seth richtete seinen Blick ins Jetzt und in die Zukunft, da ihm die Trauer um eine Vergangenheit fehlte. Während Emenas für sich keine Zukunft sah und noch immer das Früher abzuschütteln suchte. So unterschiedlich konnten zwei Ähnlichkeiten mit sich kämpfen. Und letztlich wollte doch jeder nur einen Menschen haben, an den er sich anlehnen durfte. Kapitel 50: Kapitel 50 ---------------------- Kapitel 50 Nach der langen Nacht gab sich endlich auch für Seth die Möglichkeit des Schlafes. Eines ruhigen Schlafes ohne Nachtwache und dies so lang bis er von selbst erwachte. Wobei es doch eher das laute Pferdetönen war, welches ohrenbetäubend durchs Lager schallte und ihn weckte. Doch Unmut darüber wollte ihm nicht aufkommen. Eher konnte er sich lebhaft daran erinnern, welch erheiternden Szenarien sich abspielten, wenn die Meute versuchte, ihren Boss davon zu überzeugen, dass frisches Fleisch absolut notwendig wäre und der doch immer wieder auf das noch vorhandene Brot verwies. Eine Endlosschleife, welche mittlerweile wohl mehr Ritual als wahres Ärgernis darstellte. Und mit einem Lächeln musste er an das Gesicht des Pharaos denken. Er sah den Räubern gern dabei zu, wie sie ihre ruppigen Späße trieben und wirkte währenddessen so zufrieden. Freude zu finden in den einfachsten Dingen war eines seiner größten Talente. Und sein allerschönster Charakterzug. Einer seiner vielen allerschönsten Züge. Und dabei kam ihm auch die Erinnerung, weshalb er hier war und weshalb er nicht bleiben konnte. Er musste zurück in den Palast und dem Pharao beistehen. Die Kronfamilie hatte er in Sicherheit gebracht, nun galt es, den König zu beschützen. So viel er als unterer Priester und unerfahrener Palastangehöriger überhaupt bewirken konnte. Doch allein sein Herz zu stärken und irgendetwas zu tun, war mehr als gar nichts bewirken zu können. So legte er den nächtens übergezogenen Umhang ab und erleichterte sich auch gleich seines dicken Wollhemdes. Die Nächte waren sehr kalt, doch nun hatte sich das Zelt bereits aufgewärmt. Wie weit der Tag wohl bereits fortgeschritten sein mochte? Die Königin und die Kinder jedenfalls waren nicht mehr anwesend. Nur ein kleines Zicklein leistete ihm Gesellschaft und knabberte an einem Strohballen, der sicher eher für das Feuer als zum Viehfutter gedacht war. „Na los, raus mit dir.“ Er packte das kleine Tier am Bein und zog es vom Stroh weg. Meckernd rammte es den ungehörnten Kopf an seinen Arm und rannte dann eiligen Schrittes vor ihm aus dem Zelt davon. „Kleiner Vielfraß“ schmunzelte er und folgte ihm durch den halboffenen Gang hinaus. Draußen schien ihm bereits die heiße Sonne entgegen, doch Mittagshitze hatten sie noch nicht. Erst streckte er sich weit hinauf, wofür die Größe des Zeltes gar nicht reichte und blickte sich dann um. Im Schatten der Büsche lagen ein paar Räuber dösend und faul herum, ein paar andere vertrieben sich mit Glücksspielen den Tag und wieder andere waren zur Pflege der Pferde kommandiert worden. „Ich hab schon gebetet!“ Ein schmaler, recht kleiner Räubersmann drückte sich an ihm vorbei und verschwand eilig um die Zeltecke. Wahrscheinlich aus Angst, der Priester könne ihn zum Gebet bewegen wollen. Denn so gottestreu waren die Männer hier nicht. Sie beteten nur, wenn der Boss es verlangte. Ansonsten hatten sie wenig Sinn für Religion oder Spiritismus. „Ist recht“ seufzte Seth ihm nach und strich sein zerzaustes Haar zurück. „Seth! Gut, dass du wach bist.“ Da kam ihm auch schon die Königin entgegen, welche selbst in dieser schlichten Kleidung einen eleganten Eindruck machte. Ihr Haar zu einem einfachen Zopf geflochten, ein Kopftuch bis über die Schultern geschwungen und ihr Kleid zeigte freizügig ihre wohlgeformten Unterschenkel, ihre kunstvoll mit Tonfarbe bemalten Füße. Auch ohne Schmuck und schillernde Kleider war sie eine der schönsten Frauen des Reiches. „Ich grüße euch, Hoheit“ lächelte Seth sie an und nahm nach Tagen wieder ihre Hand, um sie ehrerbietig zu küssen. „Ich will Euch nicht schmeicheln, doch Ihr seht wundervoll aus. Diese Schlichtheit tut Eurem Glimmern keinen Abbruch.“ „Du bist lieb, Seth“ lächelte sie und befühlte ein Mal mehr wie zufällig seinen muskulösen Arm. Sie liebte es einfach, schöne Männer zu berühren. Und Seth nahm es für sich als freundschaftliches Kompliment, dass sie ihn so gern anfasste. Doch dann trat sie einen Schritt zurück und begann zu lachen. „Was ist?“ lachte er mit ihr gemeinsam. „Habe ich Euch belustigt?“ „Nein, nicht du“ kicherte sie. „Jetzt habe ich ganz vergessen, was ich dir sagen wollte.“ „Dann war es sicher auch nicht so dringlich“ lächelte er sie erleichtert an. Erleichtert darüber, dass sie nach Tagen ihr Lachen gefunden hatte. „Ihr seht heiter aus, Majestät. Fühlt Ihr Euch wohl in der Oase?“ „Ja, ich bin wirklich guter Laune heute“ bestätigte sie und setzte sich an die Seite ins plattgetretene Gras. Dort warf das Zelt etwas Schatten und so betrachtete sie Seth mit ihren funkelnden Auge. „So seht Ihr aus.“ Er erlaubte es sich, neben ihr Platz zu nehmen und erlaubte es auch ihr, die Hand fest auf sein Knie zu legen und sich das Gesicht betrachten zu lassen. „Ich bin froh, dass Euch die Dinge heute etwas leichter zu fallen scheinen.“ „Ja, tatsächlich … ich bin heute sehr entspannt erwacht. Der alte Ahmose ist so wundervoll zu meinen Kindern, dass sie gar nicht mehr von ihm weichen wollen. Das gibt mir Gelegenheit, die Gedanken zu ordnen.“ „Das ist sehr gut. Ich habe gehofft, Ihr möget Euch hier wohlfühlen.“ „Ich habe Großes vollbracht“ eröffnete sie ihm mit einem Schmunzeln. „Willst du raten?“ „Ich bin ein schlechter Rater, geliebte Abunami“ lehnte er freundlich ab. „Aber erzählt mir von Euren Heldentaten, auf dass ich Euch noch mehr bewundern darf.“ „Ich habe Rantep entlaust“ löste sie das Rätsel und strahlte ihn an. Lange hatte sie keine so gute Laune mehr gehabt. „Rantep“ wiederholte er verblüfft diesen Namen. „Ihr meint Flohkopf und Lausebart Rantep?“ „Du hast es erraten. Ich konnte es nicht mit ansehen. Ständig hat er sich gekratzt und gejuckt. Außerdem roch er ganz furchtbar nach Pferd. So habe ich mir von Ahmose ein Lausmittel geben lassen, habe mir den Räuber geschnappt und ihn von oben bis unten abgewaschen. Außerdem habe ich ihm den Bart abrasiert und das Haar geschnitten. Du glaubst gar nicht, was für ein hübsches Gesicht sich unter diesem ganzen Gewirr verbarg.“ Jetzt kam er wahrlich dazu, sie zu bewundern. Sie war die Königin in Person. Die höchste Frau des Reiches und Tochter eines gutgestellten Hauses. Und sie scheute sich nicht davor, stinkende und verflohte Räuber zu waschen und zu frisieren? Er wusste, dass sie eine natürliche und aufgeschlossene Frau war. Jedoch dass sie solch eine Freude in solch einer Arbeit entdecken konnte, machte sie zu einem gottgegebenen Wunder. „Hat er sich nicht gewehrt?“ wollte er mit großen Augen wissen. „Oh doch, hat er“ kicherte sie sie fröhlich. „Aber weißt du, es ist erstaunlich wie gut Emenas seine Mannen im Griff hat. Er hat ihm befohlen, mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Und so durfte ich aus Rantep wieder einen Menschen machen. Auch wenn er jetzt ein wenig den Spott seiner Kumpanen aushalten muss so glaube ich dennoch, dass er sich gefällt. Du wirst ihn nicht wieder erkennen.“ „Ich erkenne Euch nicht wieder“ lächelte er glücklich. „Es freut mich, Euer wundervolles Lächeln wiederzusehen.“ „Ja … mich freut es auch“ seufzte sie, nahm die Hand fort und schlang die Arme um ihre angezogenen Knie. In dieser Haltung wirkte sie wie ein junges Bauernmädchen. Nicht ansatzweise wie die erhabene Mutter des Kronprinzen. Dennoch umgab sie ein Hauch von Königlichkeit, den ihr wohl niemand jemals rauben konnte. „Emenas sagte mir heute Morgen, du planst, mich hier zu verstecken?“ „Er griff vor. Ich wollte es Euch gern selbst anbieten“ entschuldigte er. „Es war von Anfang an mein Ziel, Euch herzubringen. Hier bei den Banditen wird Euch kein Häscher vermuten. Hier seid Ihr sicher vor dem Zugriff von Putschisten.“ „Ich kann es noch immer nicht glauben, dass mein Ephrab mir nach dem Leben trachtet“ seufzte sie und blickte verloren in die Ferne. „Aber ich habe viel nachgedacht. Als er begann, sich politisch zu engagieren, glaubte ich noch, er tue dies mir zuliebe. Spätestens jedoch, als er sich als Berater in den Ministerrat drängte, hätte ich stutzen sollen. Was bin ich für eine Königin, die so naiv einem Mann verfällt?“ „Ihr seid nicht naiv. Ihr ward verliebt und habt ihm vertraut“ tröstete er, rutschte auf und fragte respektvoll: „Darf ich meinen Arm um Euch legen?“ „Ich bitte darum“ seufzte sie und lehnte sich an ihn, als er seinen Arm um ihren Rücken schlang und sie an seiner Schulter bettete. „Ich danke dir, Seth. Du hast dich in den letzten Tagen ganz selbstlos um mich und meine Kinder bemüht. Das werde ich dir nicht vergessen.“ „Dennoch möchte ich noch heute zurückreisen“ antwortete er sanft. „Ich muss noch ein Mal mit Emenas sprechen und Euch dann hier zurücklassen. Wenn es Euch nicht vollkommen widerstrebt.“ „Aber nein. Ich denke, ich kann es hier schon eine Weile aushalten“ versprach sie und ließ sich schwer an seine Seite halten. „Die Räubersleute sind so ganz anders als die Menschen, die ich bisher kannte. Ahmose und Emenas dagegen wirken sehr gebildet und vernünftig auf mich. Diese gemischte Gesellschaft ist neu für mich, aber ich fühle, dass mir hier niemand etwas Böses will. Allein wie wohl sich meine Kinder hier fühlen, zeigt mir, dass dies gute Menschen sind. Und sonst würdest du nicht entscheiden, uns hier zu verbergen.“ „Ich kann Euch einen der Soldaten hierlassen, wenn Ihr es wünscht“ schlug er ihr fürsorglich vor. „Dann fühlt Ihr Euch vielleicht nicht so verloren.“ „Ich fühle mich nicht verloren. Es klingt mir selbst ungewöhnlich, jedoch fühle ich mich hier frei und ungezwungen. Sicher habe ich großen Respekt vor den Trieben der Männer hier. Ich sehe ja, wie mich ihre Blicke entkleiden, aber ich denke nicht, dass Emenas solch einem Drängen nachgibt. Trotz der schroffen Männer hier fühle ich mich auf eine merkwürdige Weise sicher. Kannst du das verstehen?“ „Ich freue mich darüber und bin erleichtert, dass Ihr so empfindet“ antwortete er und legte seinen Kopf an ihren. „Ihr seid eine wundervolle Frau und eine gute Mutter. Ich würde es mir niemals verzeihen, Euch einem Leid auszusetzen.“ „Ich wünschte, Ephrab hätte so etwas je ernst gesagt“ seufzte sie schwer und schloss einen Moment ihre traurige Augen. Auch wenn sie sich heute besser fühlte, so würde ihr gebrochenes Herz mehr Zeit brauchen, um den Schmerz zu heilen. „Ihr werdet einen anderen Mann finden. Einen besseren Mann“ bestärkte er ihren kleinen Hoffnungsschimmer. „Er wird Euch auf Händen tragen und Euch über alles andere stellen. Krone, Adel und Macht werden ihm nichts bedeuten. Nur Ihr werdet sein Kleinod sein. Hierfür bete ich.“ „Bete lieber für meinen Gemahl“ bat sie mit beschwerter Stimme. „Ich sorge mich um ihn. Man trachtet sicher auch nach seinem Leben und dazu noch die Kämpfe an den Reichsgrenzen zu Libyen und Tschad. Er machte einen angespannten und überreizten Eindruck. Hoffentlich geht er als Sieger aus dieser Krise hervor.“ „Das wird er sicher. Und ich schwöre Euch, dass ich alles tun werde, um ihn und die Krone zu schützen. Und wenn es mich mein Leben kostet, ich werde für ihn streiten so weit meine Kraft reicht.“ „Du bist ein Segen für unseren Palast“ dankte sie, drückte ihn fort und blickte ihn mit verführerischen Augen an. Sie war eine so edelmütige und reinherzige Frau. Dem Pharao würdig. „Ich möchte dich noch etwas fragen, bevor du dich auf den Rückweg begibst.“ „Fragt nur“ lächelte er und nahm seinen Arm von ihr, um ihr nicht unnötig nahe zu treten. „Die Frage ist mir etwas unangenehm“ schickte sie zurückhaltend voraus. „Du kennst Emenas recht gut, oder?“ „Der Begriff gut ist fast übereilt“ musste er einschränken. „Wir haben uns für Jahre aus den Augen verloren und erst vor kurzer Zeit wiedergefunden. Ihr wollt sicher fragen, weshalb ich freundschaftliche Bande zu Gesetzlosen pflege.“ „Dies wäre meine fortführende Frage gewesen“ verneinte sie und senkte ihre Stimme in einen vertraulichen Ton. „Seth, bitte sag mir … ist Emenas ein Sklave?“ Er bemühte sich, nicht erschrocken zu wirken. Dennoch sandte ihm dieses Wort einen unangenehmen Schmerz durch den Rücken. „Wie kommt Ihr zu dieser Vermutung?“ tastete er sich zaghaft weiter. Sie war eine intelligente Frau und er wollte nicht, dass sie Dinge erfuhr, die er geheim zu halten suchte. Auch wenn sie sicher nicht auf ihn oder Emenas herabblicken würde … die Menschen waren schwer einzuschätzen. Lustsklaven waren niedriger noch als herkömmliche Sklaven. Ein Unterschied wie Haustier und Seuchenratte. „Ich habe seine Hände geschaut“ antwortete sie leise und achtete, dass nur Seth ihre Stimme hörte. „Mir ist aufgefallen, dass er sie stets unter langer Kleidung zu verdecken sucht. Und wenn er Gesten beschreibt, so dreht er seine Handrücken aus dem Blickfeld anderer. Ich habe ihn beobachtet und gesehen, dass er Narben in Form von Sklavenkreuzen trägt. Deshalb … weißt du etwas über seine Vergangenheit?“ „Und wenn es so wäre?“ fragte er mit gedämpfter, betont ruhiger Stimme. „Wenn er ein Sklave wäre, würdet Ihr ihn dann anders sehen? Dabei hatte ich das Gefühl, Ihr wäret ihm durchaus wohl gewogen.“ „Ich glaube, niemand wird freiwillig als Sklave geboren. Die Meinung des Pharao ist ebenso die meinige. Ich gestattete Dienerschaften, aber die Versklavung sehe ich als Schande für Ägypten. Ich denke, Sklaven sind gleichwertige Menschen. Sicher hat unser Reich noch einen langen Weg zu gehen, um das Denken der Menschen zu ändern. Doch ich hoffe, dass es eines Tages keine stigmatisierten Ägypter mehr geben mag. Und deshalb wäre Emenas für mich kein geminderter Mensch. Selbst wenn er das Kind von Sklaven sein sollte.“ „Ihr seid eine gütige Frau“ dankte er und senkte ehrungsvoll seinen Kopf. „Dann ist es wahr?“ schlussfolgerte sie vorsichtig. „Ist er ein Sklave? Hat es ihn deshalb in die Wüste verschlagen? Weil er geflohen ist?“ „Ich mag Euch nicht mehr erzählen als das, was er Euch selbst sagen möge. Bitte versteht das. Das Leben eines Sklaven kann viel Schande und schamhafte Erinnerungen mit sich bringen. Bitte fragt mich nicht weiter nach seiner Vergangenheit. Die Antworten sucht bei allem Respekt vor Eurer Frage bei ihm selbst.“ „Ich danke dir dennoch für deine Antwort“ nickte sie und sah ihm tief in die Augen. Sehr tief, forschend. „Dann magst du mir auch nicht beantworten, woher du ihn kennst? Weshalb ein Priester einen Ausgestoßenen seinen Bruder nennt?“ „Majestät … bitte fragt mich nicht weiter. Bitte wendet Euch mit Eurem Interesse an ihn. Er soll selbst von sich offenbaren, was er offenbaren möchte.“ „Ich frage mehr nach dir als nach ihm“ antwortete sie in einem vorsichtigen Ton und senkte unbedrohlich ihren Kopf. „Seth, so sehr ich deine Lauterkeit schätze …“ „Sprecht nicht weiter.“ Er konnte dem nichts entgegenwirken, als sich seine Augen mit Tränen füllten. Sie durfte es nicht wissen. Alles, aber nicht das. Sie sollte nicht an der Geschichte zweifeln, welche Atemu ihm gegeben hatte. Er könnte es nicht ertragen, wenn sie es erfuhr. „Bitte, geliebte Königin … dringt nicht weiter in mich.“ „Ist gut. Ich frage nicht weiter.“ Sie griff nach seiner Hand und blickte ihn traurig an, tröstend und liebevoll. „Ich werde nicht mehr darüber sprechen. Du bist ein Waisenjunge aus dem annektierten Grenzgebiet. Und ich werde nichts anderes gelten lassen. Das verspreche ich dir.“ „Danke.“ Er wischte sich die aufsteigende Feuchtigkeit fort und ärgerte sich über seine Unvorsicht. Sie hatte sein Herz in einem offenen Moment ertappt. Und er war mitunter ein so schlechter Schauspieler. Eine Schande. Vor allem eine Gefahr. Er musste lernen, damit umzugehen. „Nur eines noch, Seth. Weiß mein Gemahl davon?“ Er nickte nur zur Antwort und fühlte wie sie seine Hand drückten und ihm sanft den Arm berührte. „Ist in Ordnung“ flüsterte sie sanft. „Man merkt es dir wirklich nicht an. Ich habe einen schwachen Augenblick abgepasst. Nicht wahr?“ „Majestät …“ „Ist gut. Ich wechsle das Thema.“ Sie ließ ihn los und schenkte ihm klares, ehrliches und zärtliches Lächeln. „Hast du schon etwas gegessen? Ich habe heute Morgen den ersten Fisch meines Lebens gefangen. Vielleicht ist noch etwas davon übrig.“ „Bei dieser hungrigen Meute?“ Er bemühte sich, ein Lächeln aufzusetzen, selbst wenn sein Herz noch immer zu schnell schlug und die Unruhe seine Hände zittern machte. Sie wusste es. Er konnte nicht kombinieren, wodurch er sich verraten hatte, aber sie vermochte er nicht zu narren. Sie besaß eine scharfe Beobachtungsgabe. Eine Intelligenz ebenso groß wie ihre Schönheit. Es war ein gottgleiches Glück, dass der Königin ein so gütiges Herz zu eigen war. „Der Fisch einer Königin ist heilig“ scherzte sie und strich sich mit roten Wangen eine Strähne aus dem Haar. „Außerdem glaube ich, ist mir die Kunst der Zubereitung von Speisen nicht gegeben.“ „Ihr meint, Eure Gerichte schmecken scheußlich“ übersetzte er mit ein wenig mehr Heiterkeit. „Wenn du es so ausdrücken willst, widerspreche ich nicht“ „Und weil die Räuber es nicht wollen, bietet Ihr es mir an?“ „Du bist mit deinem Urteil vielleicht freundlicher“ hoffte sie, stand auf und hielt ihm voll der Freundschaft ihre feine Hand hin. „Die Räuber lachen nur über mich. Vielleicht sagst du mir, was mit dem Fisch nicht stimmt.“ „Wenn es Euch hilft, werde ich mich bemühen“ lächelte er, nahm ihre Hand und ließ sich ungewöhnlicher Weise von ihr aufhelfen. Ein wenig wunderte es, dass sie nicht einen Hauch von Befangenheit oder Abscheu vermerken ließ. Wenn sie nun wusste und vorher vielleicht sogar geahnt hatte, was vor seiner Priesterzeit gewesen war, wäre es nicht verwunderlich, hätte sie ihr herzliches Wesen zurückgezogen. Doch nichts war der Fall. Es schien sie nicht abzuschrecken, ihm weiterhin mit Freundschaft und Scherz zu begegnen. Zwar wusste sie nicht, welch unwürdige und schmutzige Sklavenarbeit er getan hatte, doch schien sie seine Bitte zu akzeptieren und ihr zu entsprechen. Sie sah in ihm einen Priester und den Geliebten des Pharao. Sie mochte ihn als Menschen und fragte nach nichts anderem. So grübelte er in seine Gedanken vertieft darüber, woher sie ein solch gütiges und offenherziges Wesen schöpfte, als er sie mit einem Mal stoppen spürte und selbst keinen Schritt mehr vorwärts tat. „Majestät?“ wunderte er sich und blickte zu ihr herab. „Ist etwas nicht …?“ Doch sie ließ ihn gar nicht aussprechen, sondern lockerte ihre Hand und schlug eine andere Richtung ein. „Emenas! Was denkst du, was du da tust?“ „Majestät?“ Seth folgte ihr vorsichtig als sie wild aufstampfte und schimpfend in eine andere Richtung verschwand. Als er ein paar Schritte um das Zelt herumtrat, offenbarte sich ihm, was die Königin bereits sorgenvoll erblickte. Dort saß Emenas in sein schwarzes Wüstengewand gekleidet, gelassen auf dem aufgestapelten Sattelzeug, hatte sich herabgelehnt und hielt eine Schlange fest am Kopf. Das allein war nicht schlimm, jedoch stand ihm der kleine Prinz zur Seite, welcher sich dieses Tier mit einer Mischung aus Ekel und Faszination zeigen ließ und es sogar zögerlich mit dem Finger berührte. Und das beunruhigte natürlich seine Mutter. „Mutter!“ Der junge Thronfolger blickte mit glänzenden Auge zu ihr auf und zeigte ein breites Lächeln. „Emenas hat eine Schlange gefangen! Er ist schneller als eine Schlange!“ „Und wohl auch unvorsichtiger“ vermutete sie und stemmte ihre Hände in die Hüften. Seth konnte beim Näherkommen nur darüber schmunzeln. Selbst die Königin konnte schimpfen wie ein Waschweib. „Mutter!“ Aber der Kleine war begeistert. „Emenas hat sie so gepackt und …“ „Mein Sohn, Ihr kommt an meine Seite“ beschloss sie nahm ihn unter den Armen und hievte ihn auf ihren Arm in Sicherheit. „Und du, Emenas“ blickte sie tadelnd zu ihm hinab, der ihr nur mit gleichtoniger Miene zu Füßen saß. „Was erlaubst du dir, meinem Sohn eine Schlange vorzuhalten? Wenn sie ihn nun beißt! Da wäre die Gefahr im Palast ja noch geringer gewesen.“ „Abunami“ seufzte er und stützte seine Arme auf die Knie, wobei er die zappelnde Schlange jedoch nicht losließ. „Diese Schlange besitzt kein Gift. Du kennst dich mit Tieren wohl ebenso wenig aus wie deine Kinder.“ „Werde nicht anmaßend“ warnte sie verstimmt. „Und du sei nicht überbehütend“ entgegnete er ruhig. „Der Prinz berichtete mir, er habe noch nie eine Schlange gefangen.“ „Muss er auch nicht. Wir haben Gefolgschaft, welche uns vor Kriechtieren bewahrt.“ „Hier draußen aber nicht.“ Er zog seine dunkle Augenbraue in die Höhe und musterte sie abschätzig von unten herauf. „Er ist ein Junge und Schlangen sind eine spannende Sache. In der Not kann man sie sogar essen. Geräuchert schmecken sie vorzüglich.“ „Wirklich?!“ Der Prinz schien die Sorge und die Zurechtweisungen seiner Mutter kaum zu hören. Viel zu fasziniert war er von Emenas und seinem unglaublichen Können. „Dein Sohn ist nicht nur ein Prinz, sondern wird auch irgendwann ein Mann sein“ lächelte er sie neckisch an. „Seine zukünftige Königin wäre sicher entzückt, wenn er sie vor solchen Tieren zu schützen vermag.“ „Auf dein Selbstlob gehe ich nicht weiter ein“ erwiderte sie trocken. „Aber Mutter! Ich möchte herunter!“ bettelte der Kleine und als Emenas seine Hand nach ihm ausstreckte, musste die Königin seufzen. Sie setzte den kleinen Jungen auf den Boden zurück und schon stand er wieder im Arm des Räubers, der viel spannender war als alle Männer, die er je getroffen hatte. Sogleich streckte er wieder seinen Finger aus und fuhr über den filigranen Kopf des hellbraunen Tieres, welches sich in dem starken Griff wand. Ja, er war eben auch nur ein Kind, welches gern mit Kriechtieren spielte. „Sie ist ganz warm“ bewunderte er das für ihn so seltsame Tier. „Willst du sie halten?“ bot er schmunzelnd an. „Emenas!“ „Mutter!“ Da drehte er sich schon zu ihr herum und seine großen Augen hielten ein Strahlen, welches Seinesgleichen niemals finden würde. „Darf ich?“ „Abunami“ lächelte Emenas sie schmeichelnd an. „Lass ihn doch seine Erfahrungen machen.“ „Wenn sie ihn beißt, werde ich mich persönlich rächen“ drohte sie, jedoch hörte man den Scherz heraus. „Sie beißt nicht. Das ist keine Giftschlange“ erklärte ihr Sohn, welcher sich erwartungsfroh zu Emenas hindrehte und begeistert anlächelte. „Stimmt doch. Nicht wahr, Emenas?“ „Selbst wenn sie eine Giftschlange wäre, so musst du jede Schlange immer am Kopf packen. Dann bist du vor jedem Biss sicher. Denn auch ungiftige Bisse können sehr schmerzhaft sein. Also gib Acht.“ Bei ihm hörte es sich so leicht an. Aber im Gegensatz zum Palastvolk lebte er mit diesen gefährlichen Tiere schon seit Jahren zusammen und kannte ihre Eigenheiten. „Am Kopf packen“ wiederholte der Prinz voller Gelehrigkeit und stand ganz steif vor Spannung. Diese für andere Kinder so selbstverständlichen Dinge, gestalteten sich für ihn als wahres Abenteuer. „Hier. Halte sie ganz fest. Ich hoffe, du hast Kraft in den Armen.“ „Kraft?“ Besorgt blickte er zu dem schwarzen Räuber hinauf und legte seine junge Stirn in Falten. „Ich bin noch ein Kind.“ „Aber du bist der zukünftige Pharao“ tadelte Emenas. „Natürlich hast du Kraft. Drücke lieber ein bisschen fester zu als zu lasch. Sonst nimmt dich als König nachher niemand ernst.“ „Ich werde lieber Räuber“ beschloss er und streckte seine Hand aus. „Ich drücke fest. Du lehrst es mich, ja?“ „Pass auf, es ist ganz leicht.“ Es war ein sonderliches Bild, dass der zukünftige Herrscher Ägyptens sich von einem gesetzlosen Ausgestoßenen so folgsam unterrichten ließ. Aber da Seth die Königin lächeln sah, fand auch er selbst ein warmes Gefühl um sein Herz. Der junge Prinz und der schroffe Räuber kümmerten sich kaum um die Umstehenden und schienen in ihrer eigenen Welt versunken. Was den Prinzen an ihm so begeisterte, war verständlich. Emenas besaß eine starke Stimme, sprach so gebildet, dass er ihn gut verstehen konnte, aber dennoch gebrauchte er Worte, welche ihn wild und fremd wirken ließen. Er war so aufregend wie eine Schlange. Mysteriös vertraut. Nur was der Räuber an dem Prinzen so verlockend fand, wusste er wohl selbst kaum. Vielleicht war es diese unverdorbene Unschuld, die er an sich selbst vermisste. „Jaaaaaaaa! Jaaaaaaa! Mutter! Mutter, sieh mal!“ Es war ein seltenfroher Jubelruf, welcher durch das Lager tönte. Der Prinz hielt ganz eigenständig seine erste Schlange zwischen den Fingern und strahlte weite als nur über sein Herz hinaus. Er war stolz auf sich und so aufgeregt, dass er ganz still stand und das zuckende Tier fixierte. Er spürte Furcht, aber gleichzeitig auch diesen erregenden Erfolg. Vorbei waren Sorgen und Bedenken. In diesem Moment spürte er einfach nur Freude. „Großartig“ lobte seine Mutter ihn gutmütig und blickte mit schimmernden Augen zu Emenas, welcher seinen kleinen Freund nicht aus den Augen ließ und selbst einen stolzen Eindruck machte. Jetzt war Seth sich sicher. Er konnte die Liebsten des Pharaos hier zurücklassen und sie wohl behütet wissen. Emenas würde für sie sorgen wie für die Familie, welche er niemals besaß. Und wenn er seinen Blick und den der Königin beschaute, war er sich gewiss, dass sich zwei Menschen fanden, welche einander viel zu geben vermochten. Die Königin würde im Räuberlager von ihrem gebrochenen Herzen abgelenkt werden. Und auch Emenas hatte weniger Gelegenheit, sich in Schwermut zu verlieren. „Aaaah! Sie zischt! Sie zischt!“ Und der Prinz würde die Welt außerhalb goldener Gitterstäbe entdecken. „Boss?“ Einer der Räuber war herangekommen. Ein hoch gewachsener Mann mit zu einem Zopf gebundenen, schwarzgrauen Haar und einer dunkelgelben Wüstenklufft, welche ihn vor Sonne und Sand schützte. Sein Gesicht war von vielen, kleinen Brandnarben übersäht und eines seiner Augen zeigte eine milchige Verfärbung. Seth wusste, dass man ihm das halbe Augenlicht ausgebrannt hatte. Soldaten des Königs, weshalb er den Palast ebenso hasste wie ein jeder hier. Aber er wusste auch, dass er Emenas ebenso treu war wie ein jeder hier. Er kniete sich neben ihn in den Sand und legte ihm die Hand aufs Bein. „Hoshptah“ sprach Emenas ruhig und wand deutlich seinen Kopf zu ihm um, damit der Räuber wusste, dass er ihn ansprach. „Schön, dass ihr sicher zurück seid. Sind alle unverletzt?“ „Ja. Danke“ nickte er und blickte besorgt zurück. „Bitte gib den Befehl zum Aufbruch.“ „Weshalb?“ Er kehrte keine Besorgnis heraus, aber er zeigte seinen Ernst aufgrund dieser Bitte. „Werden wir bedroht?“ „Noch nicht“ erklärte sein Kundschafter ruhig. „Aber nicht weit entfernt von hier in Doashreph Ankhnaph rastet eine fremde Armee.“ „Eine Armee?“ mischte Seth sich sogleich hellhörig ein. „Was für eine Armee?“ „Hunderte von Männern“ antwortete der Halbblinde mit rauer Stimme. „Vorwiegend in gelb und rot gekleidete Männer mit schweren Waffen und vielen Pferden. Mit Streitwagen und Nutztieren. So viele, dass sie zum Teil außerhalb der Stadt rasten. Söldner des Palastes sind diese Truppen nicht. Mehr wissen wir nicht.“ „Ephrabs Armee“ schlussfolgerte Seth und blickte die Königin besorgt an. „Sein Bruder Anhay auf dem Weg nach Pe-Amun.“ „Was macht dich da so sicher?“ Sie blickte ihn beunruhigt an und trat wohl eher unbewusst einen Schritt näher an Emenas heran, um ihre Hand auf seine Schulter zu legen. Er war jetzt ihr Beschützer … wobei jener dieses Vertrauen jedoch mit einem eher verwunderten Blick zur Kenntnis nahm, was die Königin nicht bemerkte. Sie sorgte sich nun um andere Dinge. „Die Armee von Libyen trägt farbig dunkle Uniformen mit roten Tüchern und Bändern. Also ist dies nicht die reisende Ras Lanuf“ erklärte Seth bedacht. „Selbst wenn Tschad hier einmarschieren würde, so trüge das Heer weiße Kleidung mit gelbem Besatz. Also muss es Anhay sein, welcher sich bereits angekündigt hat.“ „Woher diese Streitkräfte kommen, soll uns egal sein“ ergänzte der Halbblinde und blickte Emenas respektvoll an. „Mit ihrer Mannstärke und den schweren Waffen können wir es nicht aufnehmen. Wenn sie uns aufgreifen …“ „Ist gut, ich habe deinen Rat verstanden“ unterbrach Emenas ihn, bevor er Mutmaßungen anstellte, welche die Königin beunruhigen konnten. „Geh zu Rantep, damit er das Gesindel antreibt. Nach der Mittagshitze brechen wir gen Norden auf.“ „Warum gen Norden?“ wollte die Königin erfahren. Sie wirkte mit einem Mal recht nervös und besorgt über diese Nachricht. „Im Norden liegen keine fremden Reiche. Von dort wird uns denkbar keine Armee begegnen. Solang du mir Folge leistest, werden weder du noch deine Kinder Schaden nehmen. Also fürchte dich nicht“ erklärte Emenas und hob seine Hand. Er legte sie auf die der Königin, welche ihre auf seiner Schulter hielt. Seth bemerkte nun zum ersten Mal bewusst, dass er nach angenommener Gewohnheit seinen Handrücken bedeckte, damit niemand seine Sklavenkreuze erblickte. Er mochte dies durch seine helle Haut und die daraus folgende Sonnenscheu begründen. Aber er mochte nicht ahnen, dass die Königin dieses Verhalten bereits durchblickt hatte. Und er hoffte, sie möge ihn noch eine Weile in diesem Glauben belassen. „Ich fürchte mich nicht um uns. Ich vertraue darauf, dass die Götter dich in gutem Segen zu uns schickten. Emenas.“ Sie lächelte ihn an und blickte ihm einen ganzen Moment tief in die Augen, um ihren Worten Nachklang zu verleihen. Dann erst wand sie sich an Seth und tränkte ihre Stimme in Sorge. „Ich bete dafür, dass mein Gemahl der Gefahr ebenso entkommt wie wir. Wenn nicht nur Ephrabs Bruder, sondern auch noch Ras Lanuf den Palast belagern … ich will mir nichts ausmalen.“ „Dann werde ich mit Faari und Penu noch heute den Rückweg anschicken“ beschloss Seth mit einem Nicken. „Ich schwöre Euch, geliebte Königin, ich werde den Pharao mit meinem Leben schützen. So befreit Euch bitte von Eurer Sorge. Denn nicht nur ich, sondern ganz Ägypten steht hinter der Krone. Die Götter werden uns beistehen und unser Reich gestärkt aus dieser Krise leiten.“ „Und solang die Götter sich nicht bequemen, müssen wir uns selbst aufraffen“ meinte Emenas und erhob sich voll Tatendrang. Er griff nach der müde gewordenen Schlange, hielt sie ganz fest und blickte sie nachdenklich an. „Ich vertraue dir, Emenas“ sprach Seth mit gesenkter Stimme. „Im Zweifel hältst du Ägyptens Zukunft in den Händen.“ „Mit Ägypten und Zukunft habe ich nichts zu schaffen“ widersprach er und erwiderte Seths Vertrauen mit einem funkelnden Blick aus nachtdunklen Augen. „Mit Schlangen vermag ich leichter zu verfahren. Und auch du solltest im Zweifel auf das zählen, was du vermagst.“ Wie viel Wahrheit diese Worte bargen, würde Seth nicht weit später erfahren … Kapitel 51: Kapitel 51 ---------------------- Kapitel 51 Als Seth und seine zwei Begleiter nach ein paar Tagesreisen die Mauern von Pe-Amun erreichten, fanden sie nicht nur die Wüste von Räubern verlassen, sondern auch die Stadt schon aus der Ferne von fremden Truppen umringt. Es war eine beeindruckende Armee, welche ihre Fänge um die prächtigen Stadttore schloss und ein unbemerktes Ein- oder Ausreisen unmöglich machte. Wo der Blick auch weilte, vernahm er ein sattes Blutrot und Sonnengelb. Die Uniformen des ausländischen Heeres zeigten den Stolz ihrer Träger, ebenso wie die schwere Bewaffnung ein fremdes Gefühl der Bedrohung heraufbeschwor. Kämpfe tobten sichtlich keine. Die Soldaten lagerten am Ufer des nahen Nilarmes zwischen den Bauersbehausungen und teils auf den angrenzenden Feldern, hatten rund um die Stadtmauern Zelte hochgezogen und ließen sich mit selbst mitgebrachten oder aus der Stadt gelieferten Waren versorgen. Alles schien friedlich … wenn nicht die vielen Streitwagen und das scharfe Metall deutlich machten, dass dies hier nicht harmlose Wanderer waren. „Die waren ja schnell hier“ stellte Penu fest, während sie bereits mitten durch die fremden Truppen ritten. In die Belagerungsringe war eine breite Schneise geschlagen, um Händlern und Wanderern nicht den Zutritt zur Stadt zu verwehren. Dennoch war das Reisen durch schwere Geschütze nicht eben beruhigend. Die Soldaten scherten sich nicht weiter um die Fremden und schienen sie auch nicht an etwas hindern oder kontrollieren zu wollen. Dennoch weckte es in jedem ägyptischen Herzen ein unangenehmes Gefühl, die stolze Stadt von Ausländern in Zwang genommen zu sehen. „Die Truppen in der Wüste müssen die Nachhut gewesen sein“ vermutete Faari, der sich ebenso beunruhigt umsah. „Ich frage mich, wo unsere Armee ist. Ich sehe nicht einen ägyptischen Soldaten.“ „Faari, Penu“ bat Seth die beiden mit gesenkter Stimme zur Ruhe. „Wir sprechen hier besser nicht darüber.“ Sie wussten nicht, was während ihrer Abwesenheit im Palast geschehen war und auch nicht, welche Pläne der Pharao verfolgte. Derzeit schien die Lage entspannt, denn die Waffen ruhten und teilweise konnte man sogar neugierige Stadtbewohner zwischen den Soldatenlagern gehen sehen. Dennoch … diese Szenerie stand dem Machtzentrum des Reiches nicht zur Ehre. So ritten sie schweigend an den eilig aufgebauten Quartieren vorbei und auf das prächtige Haupttor der riesigen Stadt zu. Je näher sie den mit goldenen Amun-Meißelungen verzierten Empfangsobelisken kamen, desto belebter wurde die Stimmung. Die ausländischen Soldaten wurden weniger und es tummelten sich nach gängiger Lebensart die Händler, feilschten oder warben für ihre Waren, welche man auf dem Marktplatz zur Genüge erstehen konnte. Auffallend war jedoch, dass auch die Präsenz der ägyptischen Streitkräfte innerhalb der Stadtmauern zunahm. Hier dominierten die weißgrauen und mit braunem Leder verzierten Uniformen aus leichtem Stoff und die fein bis schwer gefertigten Waffen der einheimischen Armee. Mehrere Truppen aus vier bis acht Mann weilten zwischen den Zivilisten verteilt und ließen ihren wachsamen Blick über das geschäftige Treiben schweifen. Sie dösten nicht wie die Ausländer vor sich hin, sie taten ihren Dienst zu Fuß oder zu Pferde, sprachen mit einzelnen Bürgern und fanden beruhigende Worte. Trotz der oberflächlichen Ruhe war allgegenwärtig zu spüren, dass die Bewohner unruhig in diesen Tagen lebten und nicht wussten, wie mit dieser Belagerung umzugehen war. Kämpfe tobten nicht und waren anscheinend auch nicht beabsichtigt … jedoch musste man diese Situation mit Vorsicht betrachten. Und dass es Kämpfe an den Reichsgrenzen gab, hatte längst Kunde gemacht. Es war eine rätselhafte, zwilichtige Stimmung, welche sich in der Hauptstadt des mächtigen Pharaonenreiches breit gemacht hatte. Der direkte Weg zu den Palasttoren stand ihnen frei, jedoch verstärkte sich hier die Dichte ägyptischer Soldaten, welche misstrauisch dreinblickten und die Hand stets am Schwert hatten. Was war nur geschehen in dieser kurzen Zeit? So ritten sie schweigend die lange Hauptstraße voran, an Händlern, Bewohnern und Kornspeichern vorbei, über Wasserläufe und Bodenbrunnen hinweg bis ihnen eine Truppe von Soldaten in den Weg trat und den Zugang zum Vorplatz des Palastes versagte. Den acht Männern voran ein sehr muskulöser Mann mit einem glänzenden Lederhelm auf dem Kopf und einem schweren, braunen Brustpanzer. Ganz offensichtlich ein hochgestellter General, denn solch prächtigen Lederschutz bekamen nur die oberen Ränge zugesprochen. „Halt“ sprach er mit bestimmter, tiefer Stimme und ließ seine stechend hellen Augen an den drei Reitern hinaufwandern. Es war ihm nicht möglich, eine Zugehörigkeit zu den königlichen Hallen zu erkennen, denn diese Soldaten trugen keine Uniformen und dieser Priester kein Gewand. Sie waren so zurückhaltend gekleidet wie es sich für Reisende schickte. „Für Fremde besteht über diesen Weg kein Zutritt zum Palast. Bitte kehrt um, Wanderer.“ „Wir sind keine Fremden“ widersprach Faari ebenso ernst. „Wir sind Ägypter und begehren Zutritt, um …“ „Dass ihr Ägypter seid, sehe ich“ unterbrach der Oberst ihn, bevor der Satz vollendet werden konnte. „Jedoch werden derzeit keine Palastfremden an den königlichen Mauern eingelassen. Egal, ob Ägypter oder nicht. Wenn ihr etwas begehrt, so bittet euren Kontaktmann, dass er euch eine Vollmacht ausstellen möge. Wenn ihr die nicht vorweisen könnt, so dürfen wir euch nicht einlassen. Zur Sicherheit unseres Pharaos.“ „Wir wollen dem Pharao nicht schaden und sind nicht bewaffnet“ sprach Seth und stieg zur Verdeutlichung seiner guten Absichten vom Pferd ab, breitete seine schuldlosen Arme aus. „Wir kehren eben von einer Reise zurück und wünschen, unseren Bericht abzulegen.“ „Mein Bedauern, so sehr ich dir glauben möchte“ schüttelte er seinen Kopf, was den glänzenden Lederhelm in der Mittagssonne blenden ließ. „Ohne Vollmacht und Nennung eines Kontaktmannes ist der Zutritt bis auf Weiteres untersagt. Bitte kehrt um, bevor meine Soldaten euch zur Umkehr bewegen müssen. Wir haben unsere Vorschriften und gehen nur ungern gegen unsere ägyptischen Brüder vor.“ „Du weißt wohl nicht, mit wem du sprichst!“ schimpfte Penu und rutschte ebenso vom Pferd. Jedoch wurde er sogleich von Faari festgehalten, bevor er noch ganz zum Oberst stampfen konnte. Die Soldaten hatten bereits die Hand an den Waffen und waren angespannt. Zu viel ging vor sich in diesen unsicheren Zeiten. „Bitte beruhige dich, Penu. Mit Kampf kommen wir hier nicht weiter. Auch wir wollen keinen unserer Landesbrüder verletzen“ beruhigte Seth erst ihn und blickte dann den Grenzposten mit seinen bewaffneten Männern ruhig und unbedrohlich an. „Wenn Ihr mir nicht glaubt, so bitte ich Euch, dass ihr Djiag oder einen von ihm autorisierten Priester zur Rate zieht. Ich bin mir sicher, man wird für unseren Einlass bürgen.“ „Oder ruf Fatil!“ Penu war sichtlich erbost darüber, dass man ihnen als engen Freunden des Pharaos den Zutritt verwehrte. „Der wäscht dir den Kopf, wenn du uns nicht reinlässt!“ „Penu, benimm dich“ zischte Faari ihm zu. „Du bist Soldat, also ist dieser Oberst auch dein Vorgesetzter.“ „Und den Palastvorsteher werden wir sicher nicht rufen. Der hat wahrlich anderes zu tun, als sich mit Wüstenreisenden zu befassen. Die Berichte von außerhalb erreichen den Pharao zu Hauf und werden …“ „Oberst, wenn ich Euch respektvoll unterbrechen darf“ bat einer der Soldaten, tat einen Schritt aus seiner Reihe vor und stützte sich untergeben auf sein Knie. „Ihr solltet wahrlich einen höheren Priester zur Rate ziehen. Ich vermute, dieser Fremde ist der Geliebte des Pharao.“ „Seth?“ Der Befehlshaber blickte eben den skeptisch an, verengte seine Augen und musterte den großen Mann vor ihm. „Glaube ich kaum. Seth ist ein Priester. Er soll für seine Schönheit bekannt sein und würde nie solch versandete Wüstenkleidung tragen. Geschweige denn, dass er nur zwei Männer bei sich hätte.“ „Dies hat durchaus einen Grund“ bat Seth, legte seinen von der Reise zerschlissenen Umhang ab und zeigte, dass darunter ein durchaus wohlgenäherte und ansehnlicher Mann verborgen lag. „Wir haben eine beschwerliche Reise hinter uns und wissen, dass wir derzeit keinen Anschein von Palastzugehörigkeit zeigen. Wenn Ihr jedoch einen Bürgen für uns braucht, so fragt bitte einen Priester oder vielleicht auch eine der Palastwachen dort drüben. Sie werden Euch bezeugen, dass der Pharao uns empfangen wird und unsere Identität bestätigen.“ Der Oberst blickte die drei Reisenden misstrauisch und prüfend an. Einen ganzen Moment, in welchem er sich Zeit ausbedachte, diese fadenscheinige Auskunft zu klären. Dann erst drehte er sich herum und winkte eine der Palastwachen vom großen Tor heran. „Talib! Komm!“ Der Wachmann hörte seinen Ruf, stellte seinen Speer zur Seite, legte auch sein schweres Schild ab und lief zu dem Oberst herüber. Seine drei Mitwachenden würden auch für einen Augenblick ohne ihn achten können, dass niemand zum Haupttor herein den Palast betrat. Zumal dieser Niemand ohnehin erst an den explizit hierfür abgestellten Soldaten vorbeikommen müsste. „Oberst“ nickte der Gerufene und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dieser kurze Lauf in der Mittagshitze hatte sein dünnes Haar klebriger gemacht und gaben seinem hellen Gewand ein paar dunkle Flecken. Es war eben keine vorzügliche Arbeit, in der prallen Sonne Wache zu halten, zumal er durchaus beleibt war. Qualitäten eher zum kräftigen Kämpfer und nicht zum ausdauernden Botenläufer.„Talib, kennst du diese Männer?“ fragte er ihn und wies auf die drei Reisenden. „Selbstverständlich tue ich das“ gab er sofort Auskunft. „Dies sind der Priester Seth und zwei Soldaten der Pharaonenleibgarde.“ Er nickte den dreien zu und wurde erleichtert angelächelt. „Sie sind abgereist, bevor der Palastvorsteher die Zutrittsvollmachten beschlossen hatte.“ „Gut, dann glaube ich dir und Shaka“ beschloss er und schickte auch den anderen Soldaten zurück in die Reihe. Wenn zwei Männer sich getrennt voneinander für die Identität der Fremden verbürgten, so wollte er es sich mit engen Vertrauten des Pharaos nicht verderben. „Dann tretet ein, Priester. Und verzeiht, dass ich Euch nicht erkannt und den Weg versperrt habe.“ „Es ist beruhigend zu sehen, dass der Pharao pflichtbewusste Männer vor seinen Toren zu stehen hat“ dankte Seth, nahm die Zügel seines Pferdes und führte die Männer an den Wachen vorbei. „Habt Dank für Eure Dienste, Oberst.“ „Willkommen zurück, Seth.“ Er verneigte sich und ließ die drei passieren. Sobald sie an der Sperre vorbei waren, konnten sie über den prächtig weiten Palasthof gehen und endlich den Toren zu den Königshallen nahe kommen. Erst nachdem sie außer Hörweite waren, wand Seth sich dem Wachmann zu und erhoffte sich von dort erste Berichte. „Dank dir, Talib. Der Oberst befolgt seine Befehl wahrlich streng.“ „Kaum zu glauben, dass noch nicht jeder dein Gesicht kennt“ lächelte er zurück. Die Wachmänner kannten Seth alle, genauso wie sie jedes wichtige Gesicht kennen mussten. Schließlich waren sie diejenigen, welche speziell hierfür ausgebildet die Sicherheit des Pharao gewährleisteten. Und dem Geliebten den Zutritt zu entsagen, würde beim König mit Sicherheit nicht auf Zustimmung treffen. „Wo warst du so lange?“ „Viel eher würde ich gern erfahren, was hier geschehen ist“ gab er diese Frage gleich zurück. „Draußen diese Soldaten. Ist das Ephrabs angekündigte Armee?“ „Zum Schutze Pe-Amuns vor Libyen und Tschad“ antwortete Talib und spuckte auf den Boden, um seiner Verachtung Bedeutung zu geben. „Die ägyptische Armee hat niemals um Hilfe gebeten. Ich verstehe nicht viel von Politik, aber die Beschlüsse der Minister sind für meinen Geschmack unpatriotisch.“ „Hm.“ Dann hatte sich diese Sache bereits bis ins Volk rumgesprochen. Wäre andererseits schwer zu verheimlichen, wo doch vor der Stadt Hundertschaften eines fremden Heeres lagerten. „Und das Volk? Wie ist die Stimmung?“ „Beunruhigt“ erzählte der Wachmann frei heraus. „Kämpfe gab es bisher nicht, jedoch fehlt auch die Erklärung für diese fremdländische Unterstützung. Es heißt, Königin Ras Lanuf würde bald eintreffen. Jedoch unken viele, dass diese fremde Armee nicht zum Schutze des Palastes hier ist. Ägypten war immer auch stark genug allein.“ „Dann zweifelt das Volk an der Sicherheit unserer Stadt?“ „Schlimmer noch. Man zweifelt an der Sicherheit unseres Pharaos. Es heißt, er hätte die Königin und den Thronerben bereits aus der Stadt fortgebracht. Wilde Gerüchte machen die Runde und lassen das Volk nervös werden. Und das alles, wo doch der große Feiertag bevorsteht.“ „Dass sich das Volk angesichts solcher Militärpräsenz beunruhigt zeigt, ist nicht verdenklich“ seufzte Seth. „Hoffentlich bricht keine Panik aus. Die Massen schaukeln sich leicht gegenseitig auf. Das ist selbst mir geläufig.“ „Die Priester und die Soldaten arbeiten gemeinsam daran, die Ruhe in der Stadt zu bewahren“ gab der Wachmann leicht Auskunft. „Das Vertrauen in Djiag und den Pharao ist hoch. Noch.“ „Beten wir, dass es so bleiben möge“ nickte Seth und blieb noch den letzten Augenblick stehen, als Talib am großen Torbogen seine Waffen an sich zurücknahm, um dann fortgesetzt seinen Platz vor der offenen Halle einzunehmen. „Ich danke dir für deinen Bericht.“ „Dir berichte ich gern, sofern ich es kann“ erwiderte er vertrauensvoll. „Aber du weißt, wir Wachen bekommen nicht allzu viel Kenntnis von den wichtigen Dingen. Du solltest den Pharao besser selbst nochmals befragen.“ „Das werde ich. Mögen die Götter mit dir sein.“ „Danke, Seth.“ Als er sich fortdrehte hatte er wenigstens schon etwas mehr darüber erfahren, was während ihrer Abwesenheit geschehen war. Jedoch die Fragen, welche er sich wirklich stellte, konnte der treue Wachmann nicht beantworten. Allem voran die Frage nach Atemus Befinden. Er sah so kränklich aus und übermüdet. Seth hatte ihn gar nicht verlassen wollen. Hoffentlich hatte ihn nicht eine Krankheit heimgesucht, welche er sich selbst zuletzt zugestehen würde. Und die Frage nach Ephrab. Hatte der Pharao ihn mittlerweile enttarnen und strafen können? Hierbei aber auch die Frage nach dem Ministerrat, welcher hier einem Verräter den Rücken deckte. Hätte etwas derartiges wie ein Putsch stattgefunden, hätten selbst die Wachen davon Kenntnis erhalten. Jedoch schien sich in den Führungsriegen kaum etwas verändert zu haben. Vielleicht war auch diese fremdländische Armee ein Grund, welcher das Handlungsfeld des Pharaos einschränkte. Es war eine verzwickte Lage, welche Seth nur schwerlich zu verstehen mochte. Er wusste viel über Politik, jedoch beschränkte sich dies lediglich auf das Wissen und nicht das Leben. Er wusste nichts davon, wie man Massen lenkte und militärische Strategien erarbeitete. Er konnte Menschen betören und ihnen etwas vorlügen, ihnen weißmachen, er verstünde sie. Nicht jedoch konnte er dem Pharao einen Rat geben, wie er mit anderen Königreichen verfahren sollte. Wäre er selbst ein Adliger oder Kind eines reichen Hauses, so würde er davon vielleicht mehr verstehen als nur die Lehre hoher Bildung. Ihm fehlte die Praxis des Wissens, ein Vorbild. So stieg in ihm wieder dieses Gefühl der Nutzlosigkeit auf, welches seine Kehle zuschnürte und sein Herz schwerer schlagen ließ. Er würde alles für seinen Pharao tun, alles für Atemu. Wenn er doch nur wüsste was dieses Alles bedeuten könnte. Er konnte bereits die tiefe Trauer um den alten Fatil kaum nachfühlen, da er selbst kein Gefühl, keine Erinnerung an Familie besaß. Und nun konnte er kaum das Gefühl verstehen, wie es war, sich vor ein ganzes Volk und seinen traditionellen Stolz zu stellen. Wie konnte er nur seinen Pharao, seinen Geliebten mehr stützen? Er wollte mehr tun, als nur stetig nicken. Er wollte verstehen und fühlen. Und doch … er war nutzlos. „Seth.“ Faari weckte ihn aus seinen schweren Gedanken, stieß ihn an und lenkte den Blick auf eine kleine Garde ausländisch wirkender Männer, welche direkt auf sie zusteuerten. Es waren vier kräftige, hoch gebaute Mannen mit schlanken Schwertern an den Gürteln. Ihre Kleidung war die fremde Uniform aus blutrotem Rock und sonnengelber Robe, grob gewebt und farbensatt. Schlichte Stickereien an den Schultern und dünnes Leder an den Füßen. Die Haut der Soldaten war durchweg hellbraun, ihr Haar schwarz bis dunkelbraun, jedoch kurz geschoren, um im Kampfe nicht zu stören. Und in der Mitte dieser vier stattlichen Soldaten schritt ein Mann, welcher jeden Blick auf sich lenkte. Seine Haut war sehr dunkel, fast schwarz, der geflochtene Zopf aus dickem, vollem Haar geformt. Ein typischer Mann aus südlichen Reichen stämmig schien er jedoch nicht zu sein, denn seine Nase war ebenso fein gewachsen wie seine recht schmalen Lippen. Auch war seine Statur eher zierlich. Nicht unmännlich, jedoch war er lange nicht so kräftig wie die schwarzen Sklaven, welche gern nach Ägypten gebracht und aufgrund ihrer robusten Stärke begehrt wurden. Ein merkwürdiger Mann, vielleicht ein Mischling aus dem fernen Orient und dem schwarzen Süden. Seine Uniform jedoch sprach eindeutig, dass er diesen fremden Soldaten zugehörte. Durch seine geschlossenen Schuhe und den silbernen Gürtel, sowie die mit Edelsteinen verzierte Scheide eines Dolches zeigte sich, dass er einen höheren Rang bekleidete. Er trat näher und seine schwarzen Augen ruhten auf Seth, welchen er unumwunden musterte und dies auch dann noch tat als er grußlos nur einen Schritt vor ihm entfernt Halt machte. Der Feldherr blickte ihn an, seine schwarzen Augen groß und glänzend, seine schmalen Lippen bebend. Seine dunkle Haut schimmerte in der heißen Sonne und sein glattes, dickes Haar entließ im schwachen Wind eine Strähne aus dem Zopf. „Gepriesen sei unsere heilige Erde“ hauchte der fremde Schwarze und seine Augen füllten sich mit Tränen, während sie Seth betrachteten. „Zahir, es ist geschehen. Wir haben es wahr gemacht.“ Er legte seine dunklen Hände an Seths Arme und keuchte nach Luft. „Ich wollte es nicht glauben, aber … Zahir, ach … du hast … du hast nicht gelogen. Du sprachst die Wahrheit.“ „Verzeiht, Fremder.“ Seth wusste nicht, wie er darauf zu reagieren hatte. Er kannte diesen ranghohen Mann nicht und hatte keine Ahnung, weshalb dieser so außer sich war. Deshalb trat er einen Schritt zurück, um sich aus seinem zitternden Griff zu erlösen. „Ihr müsst mich verwechseln.“ „Wie?“ Der aufgewühlte Feldherr blickte ihn geschockt an und trat ihm langsam den Schritt nach. „Fremder? Zahir, erkennst du mich denn nicht? Bitte sag, dass du mich erkennst. Ich …“ „Es tut mir leid, Soldat, aber wir haben es eilig.“ Er brachte sein Pferd in Bewegung und ging langsam an ihm vorbei. „Ihr verwechselt mich mit jemandem. Verzeiht.“ Er wusste nicht, weshalb er diesem Fremden nicht helfen mochte. Er kannte ihn nicht und ganz eindeutig wurde er hier Opfer einer Verwechslung. Vielleicht hätte er sich Zeit nehmen und diese Sache aufklären sollen … dennoch … sein Herz zog ihn fort. Halb getrieben aus Sehnsucht nach seinem Pharao … und halb getrieben fort von diesem sonderbaren Mann mit seinen verwirrten Tränen … Kapitel 52: Kapitel 52 ---------------------- Kapitel 52 Selten war sein Herz so unruhig und aufgewühlt wie derzeit. Zu wissen, wie es dem Pharao inzwischen ergangen war, ließ ihm kaum einen Atemzug der Ruhe. Nachdem er sich von Faari und Penu trennte, damit diese beiden endlich zurück zu ihren Frauen und Familien kehren konnten, so hatte er selbst jedoch noch die Etikette zum Hindernis. Dem Pharao in solch einem zerschlissenen Wüstengewand vor die Augen zu treten, wäre nicht nur unstandlich, sondern vor allem auch dumm. Wenn man Seth lange in dieser Kleidung sah, so würde man vermuten, dass er vielleicht auch etwas über das Verschwinden der Königin wissen könnte – sofern man dies nicht ohnehin schon bedachte. Aus diesem Grunde musste er sich flugs umkleiden, um endlich dem König vortreten zu dürfen. So warf er seine schmutzige Kleidung nur auf den Boden, wischte sich den gröbsten Schmutz mit einem gewässerten Tuch ab und band sich danach sein Priestergewand noch während er den Gang entlangschritt und nur noch ein Ziel kannte: Den Palast. Selten war ihm der Weg vom Tempel hinüber in die königlichen Hallen so lang vorgekommen. Und so hörte er auch nur am Rande eine Stimme, welche seinen Namen rief und ihn zum Einhalten brachte. Er blieb kurz stehen und wand sich um. Er war beinahe schon durch die Tür geschritten als er seinen Verfolger kommen sah. „Djiag!“ Er sah sein langes, blaues Gewand, welches reicher und aufwändiger bestickt war als sein eigenes. Als Hohepriester war der alte Mann weit über ihm und somit auch deutlicher durch die weiße Schürze als hochgestellte Persönlichkeit zu erkennen. Umso verwunderlicher, dass er als hoher Mann einem jungen Priester nachlief. „Bei den Göttern“ atmete er, als er seinen Gang verlangsamte und endlich Luft schöpfen konnte. „Seth, du rennst schneller als ein Kamel.“ Dabei war er gar nicht wirklich gerannt, sondern nur schnell gegangen. Aber nicht nur waren seine Beine länger als Djiags, sondern auch die Jahre seines Lebens weniger an der Zahl. Dem Alten musste es vorkommen wie ein schneller Lauf. „Verzeiht mir, Djiag. Ich wollte Euch nicht abhängen“ lächelte er und auch wenn es ihn in die andere Richtung zog, so kam er ihm doch ein paar Schritte entgegen und damit einige Meter ferner ab vom Pharao. Dennoch musste er dem Hohepriester den rechten Respekt bezeugen, niederknien und seine Hand küssen. „Ich grüße Euch, Hohepriester und freue mich, Euch gesund zu sehen.“ „Ich grüße dich, Seth, und danke den Göttern für deine glückliche Heimkehr“ erwiderte er und ließ ihn sich erheben. „Da du es so eilig hast, gehe ich davon aus, du gedenkst den Pharao aufzusuchen.“ „Ihr habt mich ertappt“ lächelte er und schlug seinen Blick nieder. „Verzeiht, dass ich Euer Rufen nicht hörte.“ „Die Liebe macht also nicht nur blind, sondern auch taub“ scherzte er und ging voraus, was Seth zum Zeichen nahm, ihm zu folgen. „Aber ich denke, der Pharao vermisst dich auch. Er braucht deine Gegenwart nun mehr denn je.“ „Wenn ich nur wüsste, wie ich ihm dienen kann“ seufzte er sorgenschwer. „Ich denke schon lang darüber nach, jedoch verstehe ich zu wenig von gelebter Politik, um ihm wahrlich hilfreich zu sein. Weder mit meinem Fühlen noch mit meinem Wissen kann ich ihn kraftvoll unterstützen.“ „Überlasse die Politik den Männern, welche sich darauf verstehen“ riet er mit väterlichem Ton. „Als unterer Priester hast du keinen politischen Rang und als Geliebter bist du zu wenige Tage hier gewesen, um dir Stand und Einfluss zu sichern. Und so hoch meine Meinung von dir ist, so denke ich, dass du noch viel lernen musst, um einen politischen Rat geben zu können.“ „Ich weiß“ seufzte er betrübt. „Jedoch hast du eine andere Macht, welche du ausspielen solltest“ riet er ihm weiter gedämpft. „Du bewegst das Herz des Pharaos. Politische Ratgeber hat er zur Genüge. Doch sein Herz zu stärken obliegt vorrangig dir. Tue dies, Seth. Doch nimm dich in Acht, wer seine Augen auf dich richtet und wer wiederum dich beeinflusst. Denn wer dich beeinflusst, der beeinflusst auch Ägypten.“ „Djiag.“ Er verschränkte seine Arme und trat neben ihm durch die Tür, welche die Diener den beiden Priestern unaufgefordert öffneten. „Gern will ich Euren Rat befolgen. Wenn die Götter mir nur einen Weg aufzeigen mögen.“ „Das werden sie, Seth. Sie werden dem Pharao einen Weg zeigen und so auch dir.“ „Bitte sagt mir“ bat er leise. „Wie geht es ihm? Ich fürchte Krankheiten, die ihn ereilen könnten. Er war so erschöpft als ich ihn verließ.“ „Er verbirgt es gut, doch man sieht ihm die Erschöpfung an“ musste Djiag ihm beipflichten. „Er schläft und speist schlecht und wenig. Doch Krankheiten lassen sich bisher nicht erkennen. Nur Sorgen in seinem Gesicht. Der Tod seiner Mutter hat ihn sehr mitgenommen.“ „Die Mutter Königin … ist wirklich gemordet?“ wiederholte er atemlos und sah sich nach dem Alten um, der ihm traurig zunickte. „Was war der Grund?“ „Fatil sagte mir, du seiest eingeweiht“ schickte er voraus. „Die offizielle Verlautbarung sagt, es waren Attentäter. Du und ich aber wissen, wer dafür Verantwortlichkeit trägt.“ „Und er“ so nannte er den Verantwortlichen gedeckt. „Ist er noch hier?“ „Und trägt einen fast offensichtlichen Kampf mit dem Pharao aus. Seit das fremde Heer vor den Mauern lagert, ist der König in Bedrängnis. Zwei Tage nach deiner Abreise erreichte uns Anhay mit seinen Truppen und weitere ziehen noch immer nach. Wenn der Pharao sich nun gegen Ephrab stellt, wird sein Bruder ein Massaker in unserer Stadt befehlen. Und dies kurz vor dem Feiertage und dem Eintreffen von Ras Lanuf. Jeder Schritt will derzeit wohlbedacht sein. Das Volk ist unruhig, ahnt jedoch nichts von dem, was sich innerhalb dieser Mauern abspielt. Deshalb mein Rat an dich, Seth: Bedenke jedes gesprochene Wort. Es fehlt nur ein Sandkorn, welches die Waagschale kippen lässt. Und fremde Ohren und Augen sind derzeit allgegenwärtig.“ „Ich möchte im Augenblick nur den Pharao sehen“ betonte er schwer. „Ich möchte erfahren, welche Erwartungen er in mich setzt. Und ihn vielleicht mit der Auskunft beruhigen, dass ich meinen Befehl zu seiner Zufriedenheit ausführen konnte.“ „Das wird er gern hören“ nickte er und blickte sich unauffällig um. Seth musste sich besser angewöhnen dies auch zu tun. Es ließ sich derzeit schwer einschätzen, wer Freund und wer Feind war. „Bitte sag mir, Seth, was hattest du vorhin mit Anhay zu schaffen?“ „Anhay?“ Er stutzte und blickte den Alten dann verwundert an. „Ich habe nichts mit ihm zu schaffen. Ich bin ihm nicht begegnet.“ „Mich erreichte die Kunde, er hätte mit dir gesprochen“ erklärte er ernst. „Als du mit deinen zwei Leibgardisten durch das Tor kamst, da sei er an dich herangetreten.“ „Du sprichst von diesen orientalischen Soldaten“ erklärte er für sich selbst. „Ich bin fünf fremden Soldaten begegnet. Jedoch stellten sie sich nicht vor.“ „Erinnerst du dich an einen fast schwarzen Mann mit langem Haar und einem teuren Dolch?“ „War dies Anhay?“ Das gab ihm zu denken. Dieser merkwürdige Mann, der ihm mit feuchten Augen begegnete und ihn so hoffend anblickte. Der schwarze Hauptmann mit den weichen Gesichtszügen und der bebenden Stimme. War dies der gefürchtete Anhay, welcher ein riesiges Heer befehligte? „Es wurde beobachtet, dass ihr euch auf dem Vorplatz kurz unterhalten habt. Bitte sag mir, was der Grund hierfür war. Was hat er von dir gewollt?“ „Er hat mich mit jemandem verwechselt“ antwortete Seth. „Er musterte mich und meinte dann, jemanden namens Zahir in mir zu erkennen. Ich habe dies jedoch verneint und mich entschuldigt. Wir sind ohne weitere Worte getrennter Wege gegangen. Ich wusste nicht, dass er Ephrabs Bruder ist.“ „Dann weißt du es jetzt. Und sein Gesicht solltest du dir einprägen“ riet der Hohepriester ihm ernst. „Wenn du ihm das nächste Mal begegnest …“ „Werde ich mich nochmals entschuldigen für mein rüdes Verhalten. Ich habe ihn ohne Segen stehen lassen … ich hatte es eilig.“ „Und du solltest dich hüten vor ihm“ riet er ihm fast flüsternd. „Sein Ruf eilt ihm voraus. Hinterlistig soll er sein und doppelzüngig, streng und leicht zu verärgern. Er nennt diese riesige Armee sein Eigen und die Männer folgen ihm wie Bluthunde. Ich wage fast zu sagen, er sei gefährlicher als Ephrab selbst.“ „Dabei sehen sich diese Brüder kaum ähnlich“ stellte Seth in diesem Moment verwundert fest. „Anhays Haut ist fast schwarz und seine Augen wie die Erde der südlichen Reiche. Ephrab jedoch ist ohne Einschränkung östlich geprägt. Wie kann das sein?“ „Über ihre Familie ist bei uns kaum etwas bekannt. Fatil hat bereits Kundschafter ausgesandt, um dieses Rätsel aufzudecken, doch der hintere Orient ist weit von hier. Wir wissen nur wage, dass beide derselben Familie angehören, welche mit dem Cousin des Sultans verschwägert sein soll. Aber geadelt sind sie nicht, da nur ihre jüngste Schwester als siebte Frau verheiratet werden konnte und diese bereits vor dem ersten Kinde verstarb. Doch reich an Land und Bodenschätzen sind sie und das ist genug, um Einfluss zu besitzen. Und viele Soldaten anscheinend. Wir dürfen sie nicht mit ägyptischen Maßstäben betrachten. Im Orient fließen andere Flüsse, deren Tiefen uns unbekannt sind.“ „Und dieser Zahir, für den er mich hielt“ sprach Seth leise und blickte auf seine Schuhspitzen, welche auf dem teppichbelegten Boden kaum einen Ton schenkten. „Erzähle Fatil davon“ bat der alte Hohepriester. „Wir müssen jedes noch so verschwindende Korn fegen, um in schweren Zeiten Brot zu haben.“ Kapitel 52 Sicher war es Djiags Anwesenheit zu verdanken, dass die Wachen ihre Türen freigaben und Eintritt gewährten. In politischen Unterredungen ließ man den Pharao nicht mit unwichtigen Dingen behelligt werden. Und Gründe des Herzens waren unwichtig im Angesicht eines Völkerkrieges. Doch der Hohepriester war selbst zu mächtig, als dass man ihm den Zugang verweigerte und dieser führte Seth in eines der vielen Zimmer, in welchem der Pharao seine Minister zu persönlichen Unterredungen zu empfangen pflegte. Und so auch in diesem Moment. Die Sonne stand auf der anderen Seite des Palastes und so war es hier angenehm kühl und leicht dunkel. Die Korbmöbel am Rande waren mehr Zier als Gebrauch und nur die Statuen der Göttin Nun strahlten Lebendigkeit in den Raum. In der Mitte tiefe Sitzkissen und ein goldbestückter Holztisch, auf welchem gefüllte, jedoch unbenützte Kelche warteten. Das Gespräch stockte kurz als die beiden Priester eintraten. An der Stirnseite des Tisches saß der Pharao von einem königlich weißen Umhang verhüllt, selbst über seinem Kopf hing ein dicker Schleier, welcher jedoch sein Gesicht frei ließ und nur von seiner schweren Flügelkrone gehalten wurde. Neben der Betroffenheit, das Gesicht des Pharaos ausgemergelt und von tiefen Augenringen verunstaltet zu sehen, nahm Seth die übrigen Anwesenheiten erst im späteren Augenblick wahr. Zur Rechten des Königs saß sein Palastvorsteher, welcher einen finsteren Blick aufgelegt hatte und sein Gegenüber fixierte. Zwei Männer, welche Seth anhand der gräulichen Kleidung und des schweren Schmuckes als Minister erkannte, jedoch ihre Namen nicht wusste. Und in ihrer Mitte Ephrab, welcher ein ruhiges Lächeln aufgelegt hatte und mit spielerischen Händen die Dellen des Kelchfußes abfuhr. Ihm hingegen schien es blendend zu gehen in seiner hellgrünen Kleidung und dem lockeren Haar. Er schien fast einen Hauch zu entspannt. „Du weißt, dass du deine Pläne nicht so verwirklichen kannst wie es dir vorschwebt. Du verkennst das Wort des Pharaos und die Schlagkraft ägyptischer Truppen.“ Fatil ließ sich nicht von den Priestern ablenken und sprach nur ein Augenzwinkern später weiter, als wären die Türen nie geöffnet worden. „Ich fühle mich beleidigt“ sprach Ephrab und provozierte durch den unbesorgten Ton seiner Worte. „Warum lässt der Pharao unsere Unterredung stören von niederen Standesmännern?“ „Stand? Du hast es nötig, von Stand zu sprechen!“ fluchte Fatil und kniete sich aus dem Schneidersitz auf, stützte die Fäuste auf den Tisch. „Du bist nicht mal Ägypter und erdreistest dir ein Sprechen, welches dir nie erteilt wurde!“ „Ich bin einflussreich genug, um mir mein Sprechen selbst zu erteilen.“ Er bedachte Fatil mit einem scharfen Blick und schien es zu genießen, ihn zu reizen. „Und du weißt das, Fatil. Mein Einfluss steht dem deinigen längst gleich. Wenn nicht gar mehr.“ „Ich warne dich, Ephrab!“ „Wovor?“ grinste er ihn herausfordernd an. „Willst du mir die Kammerdiener auf den Hals hetzen? Ich bitte dich. Du solltest einen Blick vor die Stadttore werfen. Mein Bruder braucht nur ein Wort von mir und Ras Lanuf wird Pe-Amun in neuen Händen wiederfinden. So solltest du …“ „Du wagst es nicht!“ Fatil knallte beide Fäuste auf den Tisch und wäre sicher herübergesprungen. Wenn nicht der Pharao ihn mit dem Handrücken ganz sachte nur an der Schulter berührt hätte. Er hatte bis zu diesem Moment mit versteinerter Mine da gesessen als wäre er selbst eine Gottesbüste. Doch nun reichte eine Regung von ihm und es wurde ruhig im Raum. Seine Autorität, seine unverrückbare Stärke schwängerten die Luft und es war ein Hauch von Charaktermacht, diese königliche Aura von den Wänden widerhallen zu lassen mit nur einer Geste und einem Blick. Noch niemals hatte Seth ihn als solch mächtigen Pharao wahrgenommen. Obwohl er kränklich aussah, umgab ihn eine Mauer der Stärke. Wie ein ungreifliches Gebet von einem Gott selbst gesprochen. „Diese Unterredung führt zu nichts.“ Seine Stimme war gesenkt, glatt wie wasserumspülter Stein. „Ephrab du weißt, dass deine Worte größer sind als deine Taten es sein werden. Deshalb wünsche ich, dass du nun gehst und mich morgen erneut um eine Verhandlung bittest. Und ich erwarte dann eine neue Darlegung von dir.“ Es kehrte eine Hand voll drückender Sekunden ein bis Ephrab geschluckt hatte und mit mutgequetschter Stimme erwidern konnte. „Es wäre Eure Pflicht, mir eine Darlegung zu unterbreiten. Ich bin es, der …“ „Ich bin niemandem verpflichtet außer meinem Willen und meinen Göttern“ unterbrach er ihn unberührt. „Du magst ein mächtiges Heer und mir nahe Verbündete eignen. Ich jedoch nenne Ägypten mein Eigen. Und dieses Eigen geht über die Grenzen von Pe-Amun hinaus, ebenso wie mein Wort. Und nun geh. Ephrab.“ „Ihr werdet das bereuen, Pharao. Erinnert Euch an meine Worte, wenn Ägyptens Erde blutgetränkt in der Sonne verfault.“ Er packte den Lederbeutel neben sich und kam erbost in den Stand. Seine beiden Begleiter folgten ihm langsamer und vermieden den Blick in des Königs Augen. „Ägyptens Erde fault nicht“ sprach der Pharao unverrückbar auf seine bildhaften Drohungen. „Sie gedeiht, grünt und gebiert. Deine Füße wandern auf spitzen Kieseln, meine hingegen auf sattem Gras. Ich teile meinen Boden freigiebig mit Freunden, jedoch verteidige ich ihn umso erzürnter gegen Feinde. Denn mit mir gehen alle Füße Ägyptens im Gleichschritt. Und wenn ich auftrete so hallt ein Donner vom Himmel nieder. Denn ich bin mehr als Pe-Amun. Ich bin Ägypten.“ „Wir werden es sehen.“ Dies waren Ephrabs letzten Worte, welche er im Hinausgehen sprach und mit schnellen Schritten den Bann des Pharaos durchbrach, um vor ihm zu fliehen. Ihm nach die zwei schwer geschmückten Männer, welche bar jeder Worte folgten. „Schließt die Türen“ sprach Djiag zu den Wachmännern, welche dies nach dem letzten Minister sofortig befolgten. Aufgewühlt von den schweren Worten des Pharaos spürte Seth sein Herz nicht schlagen und seine Füße ihn nicht tragen. Er beobachtete ohne einen Gedanken, wie sein König die Krone vom Haupt nahm und den weißen Schleier über seine Schultern herabstriff. Sein helles Haar nassgeschwitzt und sein Hals dünn. Er verwandelte sich von einem Herrscher in einen Kranken. Als wären zwei Seiten an ihm, welche einander ablösten. Und obwohl Seth die Ehrfurcht und der Respekt gefangen nahmen, wurde sein Blick von Liebe und Bewunderung genährt. Atemu war mehr als nur ein Mann. Er war der Sohn der Götter. Erst sein Seufzen gab auch Seth Luft zum Atmen und die versteinerte Stimmung floss zu den Fenstern hinaus, um an der Sonne zu vergehen. „Majestät, wir wollten Euch nicht stören.“ Djiag kniete sich vor ihn, ließ sich die Hand reichen und küsste sie. „Ich ahnte nicht, dass Ihr ausgerechnet Ephrab empfangt.“ „Dies war auch nicht beabsichtigt. Doch bin ich froh, dass du diese Audienz unterbrochen hast.“ Für seinen Hohepriester fand er eine aufgehellte Stimme und für Seth sogar ein herzenswarmes Lächeln. „Du bist zurück, mein Seth.“ „Geliebter Pharao.“ Wie von selbst fanden seine Schritte zu ihm, seine Knie ihren Platz auf dem Sitzkissen und ihre Lippen zueinander. Ihre Arme umschlangen sich und auch wenn sie nicht allein waren, so suchten sie die enge Nähe, erzwangen ihre Herzen Gemeinschaft. Es war wie Medizin in diesen kranken Zeiten, wenn sie einander spürten, die Wärme und die Wohltat der feuchten Lippen. Sie waren nur Tage getrennt und doch ausgedurstet wie Wüstenerde. Sie spürten das Wiedersehen wie ein Bad im kühlen Nil in der Hitze des Tages. Nur kurz getrennt von so vielen Sorgen umgeben, war nur ein Kuss für Sekunden Flucht aus dieser Welt. „Mein Pharao, bei allem Verständnis für Eure Sehnsucht“ sprach Fatil, der sich sichtlich ein wenig berührt vorkam. „Der Hohepriester ist anwesend zählt alle Steine, mit welchen der Platz gepflastert ist.“ Der stand nämlich am Fenster und blickte mit gewollter Abwesenheit hinaus. Es war nicht standesgemäß, wenn der Pharao sich auf die Lippen küssen ließ und dabei weitere Menschen im Raum weilten. Hinter verschlossenen Türen konnte er jeglicher Lust nachgehen, vor anderen jedoch musste er wenigstens einen Hauch von Beherrschung wahren. Und so drehte sich der alte Hohepriester herum und gab vor, den Hof außerhalb des Fensters zu betrachten. Doch ihm dies lang zuzumuten wäre wahrlich zu viel verlangt. „Verzeih, Djiag“ hauchte der Pharao und ließ sich in Seths Arme fallen, in welche er sich einbettete wie eine Katze in ihren Korb. „Mein Gemüt ist schwach derzeit.“ „Nein, Ihr seid stark. Euer eiserner Wille wie Euer unnachgiebiges Herz“ erwiderte er, drehte sich langsam herum und nahm gegenüber des Tisches Platz, wo eben noch Ephrab seine Drohungen ausstieß. „Majestät, ich kenne Euch seit Ihr Eure ersten Schriften maltet. Und ich weiß, dass Ihr derzeit andere Bedürfnisse habt als die strenge Etikette vor einem alten Freund.“ Atemu seufzte und schloss seine müden Augen, als Seth sich nahe zu ihm setzte und ihn mit seinen Armen umschlang. Wenn der Pharao die Nähe suchte, so wollte er sie ihm nicht vorenthalten. Ganz anderes als das. „Ich möchte Euch meine Verehrung aussprechen“ fuhr der Alte mit sanftem Lächeln fort. „Man merkt es Ephrab an, dass er kein leichtes Spiel mit Euch hat. Ich vermute, er hat Euch unterschätzt.“ „Es war Fatils Rat“ antwortete er und genoss es, Seths Hände zu befühlen, zu streicheln und ihnen verliebte Blicke zu schenken. „Er war mir in den letzten Tagen der beste Ratgeber, auch wenn mir seine Taktik schwer von den Lippen geht.“ „Die Taktik, ihm mit der Macht Ägyptens zu drohen?“ fragte Seth ihn mit seichter Stimme. „Ephrab spricht vom Palast und der Stadt. Ihr aber sprecht von der Kraft ganz Ägyptens. Und er sieht, dass Ägypten mehr ist als das, was er hier sieht. Ihr habt Anhänger und Verehrer in allen Teilen des Reiches. Er sieht, dass er die Liebe Eures Volkes unterschätzt hat. Selbst die Minister waren eingeschüchtert von Eurer Stärke.“ „Du denkst schnell“ lächelte der Pharao verliebt. „Meinst du, ihm flatterten die Nerven?“ „Wenn Ihr seine Nerven so flattern lasst wie mein Herz, so hat er schon verloren.“ „Oh Seth!“ lachte Fatil und schüttelte belustigt den Kopf. „Du kannst ja so lieblich sprechen wie meine Frauen.“ „Ich glaube kaum, dass dir deine Frauen mal so was sagen“ lachte nun Djiag ihn aus, was Fatil ein gespielt beleidigtes Brummen entlockte. „Komm, Palastvorsteher. Lass dem verliebten Paar sein Wiedersehen vergönnt sein.“ „So sehr ich diese Idee auch begrüße“ seufzte der Pharao und blickte Djiag bedauernd an. „Ich werde noch eine Audienz für …“ „Wenn ich Euch unterbrechen darf, mein König“ bat der Hohepriester und senkte respektvoll den Kopf. „Bis dahin habt Ihr sicher noch ein paar Minuten Eurer wenigen Zeit. Lasst Euch zumindest über die Reise des Priesters berichten. Er bringt wichtige und gute Informationen für Euch.“ „Ich stimme dem Hohepriester zu“ pflichtete auch Fatil bei und begleitete ihn zur Tür, welche die Diener nach einem leisen Klopfen öffneten. „Nehmt Euch einen Moment Zeit, mein Pharao. Euer schweres Liebesseufzen ist außerdem kaum zu ertragen.“ „Ebenso Seths“ ergänzte Djiag, nahm Fatil am Arm und suchte ebenfalls die Flucht vor dem königlichen Liebeskummer. „Komm, zögern wir die nächste Audienz noch etwas hinaus bis der Pharao sich ausgeseufzt hat.“ „Ich fühle mich ein wenig auf den Arm genommen“ schmunzelte der König und gab mit einem Nicken den Kammerdienern den Befehl, wieder hinauszugehen und die Türen zu schließen. „Ich danke Euch, dass Ihr ein paar Minuten für mich findet, mein Pharao.“ Er legte seinen Kopf an ihn und schloss seine Arme enger. „Ich habe Euch so unsagbar vermisst.“ „Ich dich auch, mein Seth“ seufzte er und umarmte ihn seinerseits. Es wäre vorzüglich, in ihn hineinwachsen zu können, um ihn immer bei sich zu haben, immer in seinen schützenden Armen zu liegen. „Sag, wie ist es euch ergangen? Wie geht es meiner Familie? Ich habe in deinem Gesicht sofort gelesen, dass sie wohlauf sind.“ „Dass Ihr mich lesen könnt, ehrt und besorgt mich, Majestät.“ „Das muss es nicht. Zu anderen spricht deine Mine nicht wie zu mir. Aber nun sag, wie ist es euch ergangen? Oder muss ich doch um ihr Wohl fürchten?“ „Wahrlich nicht, es ist alles so abgelaufen wie Ihr es vorgesehen habt. Eure Lieben sind wohl aufgehoben und gesund. Sie vermissen Euch, doch sie weilen in bester Gesellschaft.“ Er beschloss, ihm jetzt über die Nachhut des fremden Heeres und seinen versuchten Beischlaf mit Emenas nichts zu berichten. Nicht, wenn sie nur so kurz füreinander Zeit hatten. Es würde ihm nur Sorgen bereiten und diese hatte er sichtlich zur Genüge. „Aber sagt mir bitte, wie geht es Euch?“ „Du bemerkst sicher, wie es steht“ seufzte er und schloss einen Moment seine Augen. „Es ist schwer und ich tue, was ich kann. Wichtig ist, dass das Volk nicht in Panik gerät. Deshalb ist der Erfolg des nahenden Feiertages unsagbar wichtig. Dann sind mir ständig Häscher auf den Versen, die libysche Königin steht so gut wie vor unseren Toren und die fremden Soldaten wetzen bereits ihre Waffen. Jetzt kann ich verstehen, weshalb meine Vorväter leicht den Krieg als Ausweg wählten. Niemals hätte ich vermutet, dass es so schwer ist, ein Reich zu befrieden.“ „Ja, die Lage liegt schwer und beneidet habe ich Euch nie für Eure Pflichten“ erwiderte er und streifte sein nassegeschwitztes Haar ein wenig zurück, um es leichter trocknen zu lassen. „Ich weiß, dass Ihr mein Sprechen darüber nicht mögt, jedoch sorge ich mich um Euch. Ihr macht einen kränklichen Anschein.“ „Ich bin nicht krank. Nur ein wenig erschöpft“ gab er leise bei. „Doch was soll ich tun? Ich kann mich nicht zurücklehnen. Selbst wenn ich für kurz in meinem Bett liege, ist mein Geist wach und streift durch den Palast. Da kann ich ebenso gut auf den Beinen sein.“ „Ich verstehe Euch“ flüsterte er und setzte ihm einen vorsichtigen, warmen Kuss ans Ohr. „Doch sind meine Arme für Euch offen. Tag und Nacht, wann immer Ihr ruft. Ich tue für Euch, was immer ich kann. Und wenn ich Euch auch nur in den Schlaf zu wiegen vermag.“ „Ich würde gern von dir gewiegt werden“ hauchte er müde. „Seth, ich bin so ausgelaugt. Kennst du dieses Gefühl, wenn dir alles so vergebens vorkommt? Egal, was du tust, es hat keinen Effekt? Außer dass es dich betrübt und zweifeln lässt an unseren guten Göttern?“ Seths Herz schlug betrübt über diese schweren Worte und unendlich traurig über die Antwort, welche er ihm geben müsste. Nein, er kannte dieses Gefühl nicht. Seit er vor nur wenigen Jahren gelernt hatte, Gefühle zu empfinden, seitdem war ihm niemals ein ähnliches Gefühl begegnet. Er erinnerte sich an nichts, was dem Fühlen des Pharaos gleichzukommen vermochte. Das einzige, was er fühlte, war diese Nutzlosigkeit. Er wollte ihn stärken, doch wie sollte er das tun, wenn er so ratlos war? „Ich würde Euch so gern helfen“ versprach er traurig. „Wenn ich doch nur einen Weg wüsste. So kann ich nicht mehr tun als Euch in meine Gebete einzuschließen und darauf zu vertrauen, dass die Götter Euch wohlgesonnen sind. Sie sprechen ihren Segen für Euch und werden Eure Schritte auf sicherem Boden lenken. Weil Ihr nicht weniger seid als Ihr selbst, Atemu.“ „Du bist mein Segen.“ Obwohl Seth ratlos war, so gaben seine Worte doch großen Trost für sein erschöpftes Herz. „Hättest du nicht beten wollen, so hättest du Ephrabs Pläne nie entlarvt. Dann wäre nicht nur meine Familie, sondern auch ich selbst gemordet. Wenn du bei mir bist, kann ich stark sein. Du bist mein Gottessegen. Mein Seth.“ Sie blickten sich an und fühlten, dass ihre Herzen nun wieder im Gleichklang schlugen. Auch wenn sie der Wunsch eher weit fort führte von all den Problemen hier, so mussten sie doch bleiben, denn zu viel folgte auf die Taten des Pharaos. Dennoch gab es noch immer diese kleine, zerbrechliche Welt, welche nur sie zu Gästen empfing. Eine kleine Privatheit nur für sie beide. Voll Wärme und Geborgenheit. Und sie war da, sobald ihre Blicke sich fanden. „Ich muss nun gehen“ seufzte der Pharao und erhob sich gegen sein Herz und für seine Pflicht. Leider fort aus Seths Armen und seinem seltenschönen Blick. „Die Lage mit den abtrünnigen Ministern ist bereits angespannt. Wenn ich so kurzfristig fehle, wird das die Gemüter nicht kühlen.“ „Lasst mich Euch bitte ein Stück begleiten“ bat Seth, half erst dem Pharao auf und kam dann selbst vom Kissen hoch. „Ich weiß, es ist dreist, Euch dies nun zu fragen, mein Pharao. Jedoch hoffe ich auf ein paar ungestörte Stunden mit Euch allein.“ „Darauf hoffe ich auch.“ Er nahm seinen weißen Umhang von den Schultern und legte ihn über sein Haupt. Sicher war dies ein Versuch, seine derzeit schlechte Verfassung darunter zu verbergen. Als Pharao durfte er keine Schwäche zeigen, stets musste er stark wirken. Und deshalb trug er auch seine glänzend polierte Krone mit den weit abstehenden Flügeln über seinem verdeckten Haupt. Auch wenn sie schwer war, so zeigte sie doch mehr als alles andere seine Macht und ließ ihn größer erscheinen. Er nahm dann Seths Arm, hängte sich hinein und ließ seinen Priester dann an die Tür klopfen, damit sie geöffnet wurde. „In jedem beschäftigten Moment denke ich an dich, mein Seth. Und der nächste freie wird mich in deine Arme führen. Das verspreche ich dir.“ „Mein Wunsch wäre es, Euch alle Momente des Tages und der Nacht schützend in meinen Armen zu halten, Geliebter. Und ich wünschte, ich könnte mehr für Euch tun als Euch nur Eure kostbare Zeit zu stehlen.“ „Du stiehlst nichts, Seth“ versprach er und drückte sich im langsamen Gang an ihn heran. „Mit dir zusammen zu sein, ist wie Trinken an einem heißen Tage. Es erfrischt mich und macht mich stark. Wenn du nicht wärst, würde ich verdursten.“ „Ihr sprecht in schönen Bildern. Doch wünschte ich, ich könnte mehr tun.“ „Dann teilen wir diesen Wunsch. Auch ich wünsche, ich könnte mehr tun.“ Er blickte an ihm hinauf und versuchte sich an einem Lächeln. „Wir dürfen den Mut nicht verlieren, mein Seth. Nun, wo du wieder bei mir bist, fühle ich meine Kräfte zurückkehren. Ich bin so gern mit dir zusammen. Wenn wir …“ Doch er hielt seine Worte an, als eine Stimme nicht weit fort ertönte. Es war ungewöhnlich, in diesem Trakt Stimmen zu hören. Hier lagen nur kleine Arbeitsräume und die Dienerschaft war dazu angehalten, still zu sein, um die Geschäftigkeit nicht zu stören. Die Gänge wurden nur zum Durchstreifen genutzt und nicht zum Verweilen. „Still“ flüsterte der Pharao und blieb an der nächsten Flurgabelung stehen, um zu lauschen. Er hielt sich dicht an Seth gedrückt und spitzte seine Sinne, doch es war nichts weiter zu hören. „Habe ich Geister gehört?“ „Nein, ich habe auch etwas vernommen“ hauchte er zurück und tat einen behutsamen Blick um die Ecke. Doch als er dort zwei Männer stehen sah, zog er ihn schnell wieder zurück. Sie waren nahe und es waren keine Diener. Dieses hellgrüne Gewand hatte er schnell erkannt, also musste es Ephrab sein. „Was …?“ „Still“ unterbrach er den Pharao und zog ihn leise zwei Schritte nach hinten, um nicht entdeckt zu werden. „Ephrab“ erklärte er verschwindend leise und wies um die Ecke, damit der Pharao verstand. „Und jetzt will ich davon kein Wort mehr hören.“ Genau der brach nun das Schweigen und schritt direkt an der Flurgabelung vorbei. Er sah den Pharao und seinen Priester nicht, da er den anderen Gang ansteuerte und zusätzlich seinen Blick auf den Mann in seiner Begleitung wandte. Nun erkannten sie in diesem kurzen Moment nicht nur Ephrab, sondern auch seinen Bruder Anhay, welcher die hohe Uniform des Heeres trug und durch seine dunkle Haut sehr aus der üblichen Menge gewöhnlicher Männer herausstach. Ihre Feinde erkannten sie schnell. „Glaubst du wirklich, ich täusche mich?“ fragte Anhay und schritt bedächtig neben seinem Bruder. „Du weißt, wie lange ich schon auf ein Zeichen hoffe.“ „Und ich wünsche dir, dass du es bald sehen mögest“ erwiderte Ephrab und senkte seine Stimme für ihn. Zu seinem Bruder sprach er anders. Liebevoller, aber dennoch stark. „Aber wir haben derzeit unsere Kräfte auf anderes zu legen, mein Bruder. Jede Unachtsamkeit ist ein Fehler. Sobald wir Pe-Amun eingenommen haben, folgt ganz Ägypten. Und wenn ich erst dieses Reich regiere, werde ich all meine neue Macht daran setzen, auch dir deine Wünsche zu erfüllen. Das verspreche ich dir. Doch das kann ich nur, wenn ich auf dich vertrauen kann.“ „Ich weiß, wie wichtig dir das alles hier ist. Und du kannst darauf vertrauen, dass ich dich nicht enttäusche“ antwortete er mit schwerer Stimme. „Der Rest meiner Truppen wird spätestens morgen eintreffen. Dann kannst du der lybischen Königin all deine Angebote unterbreiten, ohne dass der Pharao dich an etwas hindert.“ „Ich habe gewusst, dass du die richtige Wahl warst.“ Man hörte ein Lächeln in Ephrabs Stimme, selbst da die beiden sich zunehmend entfernten und ihre Geräusche leiser wurden. „Gemeinsam werden wir all unsere Träume wahrmachen und unseren Vater ehren. Gemeinsam, Anhay.“ Als sie um eine nächste Ecke verschwanden hörte man nichts mehr. Der Pharao atmete leise auf und musste dann doch versteckt lächeln. „Dass ich mich an eine Wand drücke wie ein kleiner Dieb“ schmunzelte er über sein eigenes Verhalten. „Als müsse ich mich dafür schämen, meine Gänge zu beschreiten.“ „Ephrab und Anhay scheinen ein merkwürdiges Verhältnis zu haben“ stellte Seth nachdenklich fest. „Obwohl Anhay mit seinen Truppen so mächtig ist, scheint er sich stark von seinem Bruder dominieren zu lassen.“ „Es gibt verschiedene Arten der Bruderschaft“ erwiderte Atemu. „Ich sehe es bei Fatil und seinen Brüdern. Fatil ist der Erstgeborene und dominiert damit die Familie. Auch wenn zwei seiner Brüder mächtige Landesherren sind und ihm an Kraft überlegen. Doch wichtig ist nicht, was man besitzt, sondern welche Kontakte man sich aneignet. Ich habe Anhay nur zwei Mal gesprochen und er hat seinem Ruf als zynischer Heißsporn alle Ehre gemacht. Doch beschlich mich das Gefühl, dass er dies aus Unsicherheit tut. Nun stelle ich fest, dass anscheinend Ephrab derjenige ist, der über Anhay verfügt und ihm scheinbar Versprechungen im Tausch für seine Treue macht. Außerdem legt allein das Äußere nahe, dass Ephrab und Anhay nicht wirklich blutsverwandt sind. Anhays Haut ist fast schwarz. Dies ist jedoch rätselhaft, da ihm die typischen Attribute schwarzer Männer fehlen. Seine Züge sind zu zierlich als dass er wahrlich aus dem Süden stammt. Ich denke er könnte ein Mischling sein. Vielleicht ein Halbbruder Ephrabs. Soweit ich weiß, ist die Vielweiberei auch im Orient gängig wie bei uns. Nur eben, dass Schwarzhäutige bei uns ausschließlich zur Sklaverei eingeführt werden. Vielleicht ist dies im Orient anders.“ „Ihr beobachtet Euer Gegenüber stets aufmerksam“ nickte Seth beeindruckt. „Besonders seine Feinde sollte man gut im Auge behalten. Diese Bruderschaft könnte der erste Stein eines hohen Baus sein.“ „Diese Worte könnten von Fatil stammen, mein Pharao.“ „Ja, er verstärkt seinen Einfluss auf mich“ lächelte er ertappt. „Doch gibt er nur auf mich Acht. Anhay ist gefährlich, umso gefährlicher da er undurchschaubar handelt. Fatil lässt beide Brüder bespitzeln, doch sind sie stets von Soldaten umgeben. Es ist schwer, sie in privaten Augenblicken zu sehen.“ Da kam Seth der Gedanke daran, was Djiag ihm geraten hatte. Er solle Fatil von seinem Erlebnis mit Anhay erzählen. Wenn dies ein privater Moment gewesen war, so hatte Fatil vielleicht ein Bruchstück eines Ganzen. Auch wenn es nur wenig war, so blieb dennoch zu hoffen, dass es sein Bild ergänzen konnte. Und es blieb zu hoffen, dass sich dieses Bild in einen Plan verwandelte, wie man die Eindringlinge vom Pharao entfernen könnte, ohne dass Mord und Krieg das Reich überzogen. Kapitel 53: Kapitel 53 ---------------------- Kapitel 53 Seth hätte nicht sagen mögen, in der Wüste schliefe es sich bequem und entspannt, doch besser geruht, hatte er selbst dort. Die Geräusche im Tempel kamen ihm des nächtens ungewohnt ans Ohr, hinter jeder Ecke musste man einen fremden Soldaten vermuten, die Obacht musste stets wachen. Obwohl der Tempel der einzige Ort war, in welchem die fremden Soldaten keinen Zutritt hatten, so machte sich selbst dort Anspannung breit. Man musste keine Uniform tragen, um Attentäter zu werden. Und besonders Seth wurde nun unter alle Blicke genommen. Er kam sich so nutzlos vor und doch spürte er deutlich, dass das Interesse an seiner Person gestiegen war. Es war nicht zu beschreiben, doch er spürte alle Blicke auf seinem Rücken. Und als der Pharao ihn entgegen aller Hoffnung weder am Abend noch in der Nacht zu sich rief, fand sein Herz keine Ruhe mehr. Er hörte am nächsten Morgen schon früh, dass der Pharao wichtige Unterredungen führte und so brauchte es auch keinen Versuch, ihn sehen zu wollen. Wenn der König ihn zu sehen wünschte, würde er nach ihm schicken. So blieb Seth nur ein herzensschweres Seufzen, das Morgengebet und stilles Warten auf ein Zeichen. Er hatte die Wahl zwischen dem Besuch im Unterricht, dem Herrichten des Amun-Altars oder einem Spaziergang in die Stadt. Doch weder bereits erlernter Stoff, noch das Aufräumen des Tempels noch diese stechenden Blicke schienen ihm eine gute Art, seinen Schwermut zu bekämpfen. So widmete er sich einer Herzensangelegenheit und suchte den Tempelgarten auf. Dort fand er seine Pflanzen zwar gepflegt, nicht jedoch in vollster Pracht. Die Blühten seiner Kakteen waren teilweise abgefallen und hingen an den Stacheln fest, was ihnen einen traurigen Ausdruck verlieh. Und in seinem mehr als geliebten Gras fanden sich hellgelbe Brandflecken. Es war verständlich, dass sich der Gärtner nicht mit demselben Elan um den Rasen eines unteren Priesters kümmerte wie um den repräsentativen Palastgarten, aber doch hatte er sich während seiner Abwesenheit etwas mehr gewünscht. Hatte nun jedoch den Vorteil, dass ihm Beschäftigung gegeben ward. So nahm er sich die trockene Saat, hakte den dunklen Boden auf und brachte die Füllung der kahlen Stellen aus. Während seine Hände in der satten Erde arbeiteten, beruhigte sich sein Herz. Die Erinnerungen, welche dieses schlichte und doch seltene Gewächs mit sich brachte, vermochte wohl kaum jemand zu verstehen. Doch bedeutete es ihm so viel. Er sah das kräftige Grün leibhaftig vor sich, spürte die samtene Kälte an seinen Fußsohlen. Auch wenn die Gesichter seiner einstigen Familie verschwommen waren, so dachte er doch gern daran zurück, wie es war, über das gleiche Gras zu gehen. Wenn er seinen Vater in den Tempel begleitete und doch mit seinem Bruder außerhalb auf seine Rückkehr wartete. Obwohl er nicht genau wusste, ob er wirklich warten musste oder ob er extra zum Spielen mitgenommen wurde. Er erinnerte sich nur klar an das Gefühl der Ruhe und der Geborgenheit, welches von dem Tempelgras damals ausging. Die einzige Erinnerung, welche ihm geblieben war. Und geweckt durch seine erste Nacht im Palast. Als der Pharao seine Hand griff und mit ihm dieses vertraute Gefühl widerbelebte. Seth hatte geglaubt, es gäbe keine Gefühle mehr für ihn und doch hatte der Pharao sein Herz damit angefüllt. Mit diesem grünen Gewächs verband ihn so viel. Und es war auch inmitten des hohen Flussgrases, in welchem er seinen geliebten Atemu zum ersten Male küssen durfte. Als er ihn berührte, seine Lippen schmeckte und seine Haut. Als er seine süße Stimme hörte und die Hitze seines Atems kostete. Immer sah er vor sich das satte Grün und spürte seine weiche Beschaffenheit, welche sich doch so unbesiegbar stark immer wieder aufrichtete. Es waren schöne Erinnerungen mit viel Wert. Und wenn er sein Gras pflegte so fühlte er, er pflegte auch sein Herz. „Haben wir dich doch gefunden. Im Tempel versteckst du dich besser als ein Fisch im Wasser.“ Seth hob seinen Blick und sah Fatil durch die geöffnete Tür auf sich zukommen. Doch neben dem Fakt, dass er sich noch immer über sein kurz rasiertes Haar erschrak, war der Fakt seiner Begleitung wesentlich aufwühlender. Ihm an der Seite ging der Pharao und hatte ein Lächeln aufgelegt, während er knapp hinter ihm in den Garten kam. Er sah so zauberhaft aus, wenn das Sonnenlicht auf seinen lachsfarbenen Rock fiel und seinen weißen Umhang strahlen ließ. Seine erblasste Haut schimmerte und sein Körper wirkte trotz seiner mageren Statur so elegant, dass Seth sich zu keiner ebenso kecken Antwort wie Ansprache wachrufen konnte. „Du schaust, als würdest du einen Geist sehen, mein Seth.“ Der Pharao kniete sich zu ihm und lächelte ihn sanft an. Dies erst weckte den jungen Priester und ließ ihn nach der königlichen Hand greifen, um einen ergebenen Kuss daraufzusetzen. „Verzeiht. Ich vermutete Euer Erscheinen nicht“ entschuldigte er und blickte ihn überwältigt an. „Ich wünsche Euch einen guten Morgen, Majestät.“ „Den wünsche ich dir auch, mein Seth.“ Er drückte seine Hand und blickte zu Fatil zurück, als wolle er sich absichern. „Nun denn“ beschloss der und verschränkte die Arme vor der Brust, während er Seth nach alter Strenge ansah. „Ich erwarte, dass du auf den Pharao Acht gibst und dafür sorgst, dass er den Tempel heute nicht verlässt. Sollten mir Klagen kommen, werde ich mir persönlich etwas zur Rache einfallen lassen.“ „Fatil …“ Darauf wusste er nichts zu entgegnen. Er sah sich vor den Kopf gestoßen. „Lass das doch. Du bist gemein“ lachte der Pharao und schüttelte seinen Kopf. „Geh irgendwen anderes bescherzen, Fatil, und vergälle mir nicht meine Priester.“ „Wie Ihr meint, Hoheit. Ich empfehle mich. Seth.“ Er nickte auch ihm nochmals zu und drehte sich dann herum, ging fort so geschwind wie er gekommen ward. Und ließ den Pharao einfach bei Seth mitten im Tempelgarten. „Nun schau doch nicht so wie eine Kuh bei Regen“ lachte Atemu und setzte sich ganz frei neben ihn auf den Boden. „Aber Hoheit.“ Er blickte nun ihn an, seine Verwirrung unverborgen. „Verzeiht, ich weiß nicht, was ich von diesem Überfall denken soll.“ „Du kennst doch Fatils schlechten Humor. Er meinte das nicht so ernst.“ „Ich meine nicht nur seine morbiden Scherze, sondern vor allem Euer plötzliches Erscheinen.“ „Um ehrlich zu sein, ist dieses in der Tat Fatils Schuld. Er hat geschimpft mit mir.“ Er seufzte und betrachtete den aufgewühlten Boden, in welchem nun neue Saat schlief bis sie erwachen würde. „Er kam zu mir heute Morgen und sagte, er würde ab sofort keine Verantwortung mehr tragen wollen. Er drohte damit, mich aus der Stadt zu entführen und dies meinte er wahrlich ernst.“ „Dann seid Ihr hier her in den Tempel entführt?“ „Zum Teil. Ja.“ Und doch musste er lächeln. „Er machte mir nachdrücklich klar, dass er meine Gesundheit bedroht sieht und auch, dass er es als seine Pflicht ansieht, mich gesund zu erhalten. Also stellte er mir eine Wahl. Entweder würde er mich entführen und aus der Stadt bringen oder ich müsse den ganzen Tag bei dir im Tempel verweilen und mindestens einen ganzen Laib Brot essen.“ „Das hat er Euch abverlangt?“„Und die Wahl fiel mir nicht wirklich schwer“ gab er zu und schenkte ihm einen verliebten, warmen Blick. „Du kennst Fatil, er zeigt seine Gefühle nicht zu leicht. Doch als er mich heute bei Sonnenerwachen aufsuchte, da trug er dieselbe Besorgnis im Blick wie du gestern. Doch er ist mutiger als du. Er stellt mir seine Forderungen klarer vor. Heute ließ er sich nicht abwimmeln und ich musste einsehen, dass ihr vielleicht Recht habt. Ihr beide. Ich bin wahrlich müde und ich will nichts mehr, als in deinen Armen zur Ruhe kommen und mich fortträumen von hier. Es ist schändlich, aber ich … ich bin es müde, mein schweres Haupt stets hoch zu halten.“ „Ich bin erleichtert, dass Ihr dies so seht“ sprach Seth ihm sanft bei. „Ihr schröpft Eure Kräfte viel zu sehr. Doch dies hilft weder Euch noch Ägypten. Viel eher macht es Euch kaputt und lässt vielleicht unbedachte Entscheidungen verlautbaren. Ihr braucht Zeit für Euch, um neue Kraft zu schöpfen. Und wenn ich das so selbstsüchtig formuliere darf: Ich bin glücklich, dass Fatil Euch zu mir brachte. Denn meine Sehnsucht brennt wie ein Schlangenbiss in meiner Seele.“ „Solch eine Vergiftung ist nicht schön“ seufzte er und schenkte ihm einen warmen, leuchtenden Blick. „Kann denn ein Kuss von mir dir Balsam sein?“ „Ein Kuss kann Balsam sein. Doch nur viele Küsse können mich wahrlich erleichtern. Und ich weiß, dieses Gift wird wieder schmerzen, sobald mich Eure Lippen verlassen.“ „So sieht man, dass Schlangen sich gern im Gras verbergen“ lächelte er, legte seine Hand an Seths Wange und zog ihn leicht zu sich herunter. „Ich liebe dich, mein Seth.“ „Ich liebe Euch auch, Hoheit. So unsagbar liebe ich Euch.“ Er folgte seiner stillen Bitte und senkte seinen Kopf herab bis die Lippen eine Wärme trafen, welche er ewiglich spüren wollte. Er hatte ihn so vermisst und war enttäuscht, als er die gestrige Nacht allein verbrachte. Und nun saßen sie gemeinsam in der Morgensonne im Tempelgarten, umgeben von Ruhe und Heiligkeit. Mit dem Ausblick darauf, dass der Pharao seine Arbeit nun den ganzen Tag ruhen lassen würde, hüpfte sein Herz wie ein junger Vogel. Am Rande vernahmen sie den Laut der sich schließenden Türen und hatten den ruhigen Tempelgarten ganz für sich als sie sich voneinander lösten. Sie blickten sich an und mussten dann schüchtern lächeln. Man hatte sie also allein gelassen. Anscheinend nahm Fatil seine Order mit dem arbeitsfreien Tag sehr ernst und duldete keine Störung des verliebten Treibens. „Ich hätte nie geglaubt, dies zu sagen, jedoch ist Fatil ein wahrer Glücksfall für den Palast.“ „Ich hätte auch nie geglaubt, dass du das mal sagst“ schmunzelte der Pharao und griff seine schwere Krone, nahm sie von seinem Haupt und legte das glänzende Gold der Könige vorsichtig auf seinen Schoß. „Am Anfang ward ihr einander nicht sonderlich freundschaftlich gesonnen. Umso erleichterter bin ich, euch nun so einig zu sehen.“ „Ich bin auch erleichtert. Mittlerweile besitze ich mehr Verständnis für ihn und habe seine rüde Art fast gern“ seufzte Seth und half dem Pharao mit sanften Händen, sein Haupt vom weißen Umhang zu befreien und sein Haar atmen zu lassen. „Vor allem beruhigt es mich, zu sehen, wie treu er Euch ist. Ich verstehe nun Eure Worte, wenn Ihr sagt, er sei Euch wichtig. Sicher hat er seine Macken, doch wer hat keine? Ich meine, von Euch abgesehen natürlich.“ „Ich hab auch meine Macken, wie du es nennst“ lächelte er. „Nein, Ihr habt keinerlei Macken, Majestät. Nur kleine Liebenswürdigkeiten.“ „Du bist ein Schmeichler, mein Seth“ sprach er und legte erst dem Umhang zur Seite, um dann die edle Flügelkrone darauf zu betten und sie vor dem bloßen Boden geschützt ruhen zu lassen. Bei Seth durfte er Mensch sein und war von seiner Königslast ein wenig befreit. „Euch zu schmeicheln ist zu leicht.“ Er lehnte sich herüber und musste dem Drang nachgeben, die warme Halsbeuge des Pharaos zu küssen. „Ich liebe Euch, Atemu.“ „Ich liebe dich auch, mein Seth“ seufzte er verliebt und umarmte seinen Liebsten. Es würde ihm gut tun, eine Weile bei ihm zu sein. Ganz sicher. „Nur um es nochmals zu hören“ bat Seth leise. „Ihr werdet den ganzen Tag mit mir verbringen? Bis zum Morgengrauen?“ „Wenn du mich so lang ertragen magst, würde ich gern nur bei dir weilen.“ „Ich kann es nur einfach nicht glauben, dass Ihr so viel Zeit für mich erübrigt. Mit welcher Bewandtnis will Fatil dies rechtfertigen?“ „Du weißt doch, dass bald der große Feiertag auflebt“ antwortete er, rutschte ein Stück zurück und legte sich hernieder bis sein Kopf auf Seths Schoß sank. So konnte er die Augen schließen und spürte, wie sanfte Fingerspitzen sein Gesicht streichelten, seine Schultern und liebevoll sein Haar kraulten. „Ich bin hier, um mit dir über dein Volksgebet zu sprechen. Du wirst doch Vorbeter sein am großen Tage.“ „Aber … dieses Gebet muss intuitiv geführt werden. Es ist unüblich, es vorher auszuarbeiten, ja fast gotteslästerlich. Das ist es, was das Beten an diesem Tage so besonders macht. Diese Ausrede wird Euch niemand glauben.“ „Oh doch, man wird“ lächelte er ganz beruhigt. „Es ist üblich, dass der Vorbeter bei mir um eine lange Audienz ersucht, um Inspiration zu erreichen. Wir haben somit also heute ein ganz offizielles Treffen, mein Seth.“ Nun musste auch er lächeln und erfreut ein leises Lachen anstimmen. „Ihr seid ein Schlitzohr, Hoheit. Wenn ich dies so sagen darf.“ „Auch dies war Fatils Einfall. Ich beuge mich lediglich seinem Befehl.“ „So bewahrheitet sich die Sprache, der Palastvorsteher sei ein geheimer Pharao. Auch wenn ich ihn nicht gegen Euch tauschen wollte.“ „Nur würde er die Krone im Falle meines Todes ablehnen und weiterreichen. Er will den Thron nicht, das sagte er mir selbst einst. Schade, ich glaube, er wäre ein sehr guter König.“ „Sprecht nicht von Eurem Ableben. Bitte.“ Er beugte sich und küsste den Pharao auf seine warme Stirn. „Ihr müsst leben, damit ich Euch noch lang küssen kann.“ „Mir brennt noch eine Frage auf dem Herzen“ erwiderte er leise. „Sag, wie geht es meiner Familie? Du sagst, sie sind gesund, doch Abunami weinte so bitterlich als sie ging. Und meine Kinder. Sie sind noch zu jung und zu weich, um durch die Wüste zu reisen. Ich sorge mich jeden Tag um sie.“ „Eure Liebe schützt sie auf allen Wegen“ schwor Seth und durchkämmte sein weiches Haar mit den Fingern, streichelte seine Stirn. „In den ersten Tagen war Eure Königin sehr betrübt und weinte sich des abends in den Schlaf.“ „Sie liebte diesen Schufft“ seufzte er traurig. „Ich habe nie verstanden weshalb, doch sie liebte ihn. Er hat sie narren können, wie mich auch. Er ihr Herz auf dem Gewissen und es fiele mir schwer, ihm das zu vergeben.“ „Doch tröstet Euch, mein Pharao. Malt Euch das Gesicht der Königin aus, als sie Emenas erblickte.“ „Ist das so?“ Seine Mundwinkel hoben sich und eine bescheidene Freude machte sich in seinem Gesicht breit, wie auch in seiner Stimme. „Sie ist dafür bekannt, sich an schönen Männern zu erfreuen. Ein Wunder, weshalb sie Ephrab überhaupt anblickte. Dass Emenas mehr nach ihrem Geschmack wäre, lässt sich unschwer vermuten. Gegen Ephrab und jeden anderen Mann ist er wie Morgentau gegen Ochsendung.“ „Ich denke, sie mochte ihn vom ersten Blick an. Was sie in Ephrab sah, weiß wohl nur sie selbst. Doch Emenas hat sie gut empfangen und ihre Augen leuchteten ihn unverhohlen an. Auch die Kinder sind fasziniert von ihm. Sie sind mittlerweile sicher die engsten Freunde.“ „Meine Abunami“ seufzte er in sehnsüchtiger Erinnerung. „Emenas wird sie hoffentlich von ihrem gebrochenen Herzen ablenken können. Er ist ein guter Mensch und dazu noch mit großer Schönheit gesegnet. Ich stelle mir vor, wie bezaubert sie von ihm sein wird. Sein kräftiges Haar, seine mystischen Augen und sein männlicher Körper. Er nimmt die Menschen wirklich für sich ein, allein durch seine Anwesenheit. Sie wird ihre Freude mit ihm haben. Sicher.“ „Majestät?“ Seth senkte seine Stimme und stoppte seine streichelnden Hände einen Moment. „Wenn Ihr ehrlich seid, wen fändet Ihr anziehender?“ „Oh, mein Seth ist eifersüchtig?“ Er neckte ihn und öffnete seine Augen, um ihn keck anzublinzeln. „Emenas ist wahrlich verlockend. Allein seine herrschende Stimme und seine wohlgeformten Hüften. Aber er ist nicht mit dir zu vergleichen. In niemandes Armen läge ich lieber als in deinen. Wer dich erst hat, der will nie mehr einen anderen. Mein Seth. Emenas ist schön, jedoch nicht so schön wie du.“ „Dann bereut Ihr es nicht, dass ich bei Euch bin?“ „Seth …“ Nun öffnete er seine Augen ganz, um ihn verwundert anzublicken. „Woraus entwachsen sich diese Gedanken? Gab ich dir einen Grund zum Zweifeln?“ „Nein, Ihr nicht.“ Er seufzte und senkte seinen Kopf, blickte ihn aus bedrücktem Blau vorsichtig an. „Majestät, wir … wir haben nie über Treue gesprochen.“ „Glaubst du, ich hätte einen anderen?“ Er richtete sich von dem gemütlichen Schoß auf und setzte sich gerade hin. „Seth, misstraust du mir? Glaubst du, ich lasse andere in mein Bett? Dass ich dich so wenig empfing, liegt allein daran, dass …“ „Nein, es ist nur … ach, Hoheit.“ Er wand seinen Blick ab, konnte ihn nicht ansehen in seiner Schuld. „Ich muss Euch gestehen, ich … ich wusste nicht, was es zu tun galt. Ich war im Zwiespalt.“ „Im Zwiespalt“ wiederholte der König ohne eine Wertung dieser Worte. „Worüber?“ „Als ich Emenas fand und er … Majestät, ich war bereit, sein Bett zu teilen.“ Er konnte nicht verbergen, dass ihn dies verwunderte und dieses Sprechen ihn mehr als überraschte. Jedoch spürte er auch, dass Seth dies nicht angenehm zu sein schien. „Und gab es auch einen Grund für dein Handeln?“ „Ich hoffe, Ihr verzeiht mir“ flüsterte er und rang mit den nervösen Händen. „Ich bat ihn, auf Eure Familie Acht zu geben. Und er schien beleidigt darüber, dass ich ihn nur aufsuche, um einen Gefallen zu erbitten. Als er mir dann die Forderung stellte, er verlange nach einer gemeinsamen Nacht oder er würde die Königin verweisen … ich wusste nicht, wie ich handeln sollte.“ „Und da hast du sein Bett geteilt. Zum Lohn für seine Dienste“ ergänzte der Pharao mit aller Vorsicht. „Du hast deinen Körper für einen Gefallen eingetauscht.“ „Ich hätte es getan“ beichtete Seth mit abgewandtem Blick. „Nicht aus Liebe, jedoch aus Pflicht. Mein Körper ist das einzige Kapital, welches ich anbieten kann. Wie sonst hätte ich ihn für seine Dienste entlohnen sollen? Ich wollte doch nicht meinen Pharao enttäuschen. Hätte ich es getan, so wäre dies Betrug an meiner Liebe. Und hätte ich es nicht getan, wäre es Betrug an der Krone. Wie hätte ich handeln sollen? Ich wusste nicht, was Ihr von mir erwartet.“ „Dann … hast du nun sein Bett geteilt oder nicht?“ „Nein“ antwortete er leise. „Er stieß mich fort. Doch ich hätte es getan.“ „Und nun fürchtest du, ich könne erzürnt sein?“ „Euren Zorn fürchte ich nicht. Jedoch Eure Enttäuschung.“ Mit Vorsicht hob er seinen Blick und suchte die königlichen Augen. „Ich wollte Euch nicht untreu sein. Aber ich … bitte verzeiht mir.“ „Ich bin weder zornig noch enttäuscht, mein Seth.“ Er streckte seine Hand aus und legte sie warm an seine Wange, sah ihn zärtlich an. „Du hast nicht aus eigenem Antrieb sein Bett gesucht, sondern hättest dich für mein Wohl hingegeben. Wie kann ich dir böse sein, wo du doch nur gute Absichten hegst? Selbst wenn du das Bett anderer teilen würdest, selbst wenn du es freiwillig tätest, so könnte ich dich nicht weniger lieben. Meine Liebe zu dir ist unendlich wie das Wasser des Nils. Du könntest mich treten, schlagen und verwünschen und ich würde dich noch immer lieben. Seth, nie spürte mein Herz solch ein Gefühl für einen anderen Menschen. Ich muss dich lieben so wie ich atmen muss. Kannst du das verstehen?“ „Dann seid Ihr nicht enttäuscht?“ versuchte er sich dessen nochmals zu versichern. „Nein, das könnte ich nicht.“ Er legte einen sanften Ausdruck auf und strich das erdbraune Haar zurück, da der Wind es leicht in Seths schimmernden Augen wehte und ihn kitzelte. „Wünschst du dir denn eine Absprache der Treue zwischen uns?“ „Ich will Euch nicht für mich allein einnehmen. Dazu habe ich nicht das Recht“ antwortete er gedrückt. „Jedoch … mir wäre besser, Ihr sagtet, was Ihr von mir erwartet in solchen Konflikten. Und … wie Ihr selbst zu leben wünscht … es wäre gütig von Euch, mich wissen zu lassen.“ „Und ich habe befürchtet du zweifelst an mir, da wir so wenig die Liebe vollzogen.“ „Ich könnte niemals an Euch zweifeln, Majestät“ erwiderte er leise. „Und selbst wenn Ihr Euch einen anderen Mann oder eine andere Frau wünscht, so werde ich dies akzeptieren. Ich bitte nur ergeben darum, dass Ihr es mich wissen lasst. Ihr müsst es nicht … es ist nur eine persönliche Bitte.“ „Wünschst du dir denn, dass ich nur dir gehöre?“ „Ich wünsche nur, dass Ihr glücklich seid“ erwiderte er ehrlich. „Um es ehrlich zu sagen, ich wünschte mir mehr private Momente der Leidenschaft zwischen uns. Doch weiß ich, dass Ihr Eure Kräfte derzeit auf anderes verlegen müsst. Ich verstehe dies … und wenn es Euch nach anderen zieht, so will ich nur, dass Ihr glücklich seid. Ich unterstütze Euer Glück. Mir wäre nur wohl, wenn Ihr mir offenbart, wie ich Euren Wünschen entsprechen kann. Wenn Ihr Euer Liebesglück in mir allein seht, so wäre mir dies das größte Geschenk. Doch wenn Euch andere als ich reizvoll erscheinen … Majestät, ich will Euch doch nur glücklich sehen.“ „Dann wäre dir nicht unwohl, wenn ich auch andere in meinem Bett empfange? Nicht mal ein wenig?“ „Ihr seid der Pharao. Euch etwas abzuverlangen, gebührt mir nicht. Und dass ich nur Euch gehöre, ist selbstverständlich. Jedoch … würdet Ihr mich verstoßen, wenn ich unrein werde?“ „Dir geht so viel Unnötiges durch den Kopf. Ich würde dich niemals verstoßen, mein Seth“ versprach er und dämpfte seine Stimme in tiefe Zärtlichkeit. „Ich denke, wir haben eine spezielle Konstellation. Du hast Recht, ich bin der Pharao. In manchen Fällen erwartet man von mir, dass ich auch meinen Körper zum Vorteil Ägyptens setze. Doch lieben, kann ich einzig und allein nur dich. Und ich wünsche, dass du das weißt und nicht daran zweifelst.“ „Und wenn ich in erneuten Zwiespalt komme?“ wollte er leise wissen. „Wie wünscht Ihr, dass ich handle? Wenn Euch ein Schaden droht, sollte ich falschen Stolz bewahren? Wie soll ich entscheiden? Soll ich meine Liebe bewahren und Euch dadurch schaden? Oder soll ich mich aufgeben und Euch dafür zwar retten, jedoch verraten?“ „Ich denke, du grübelst zu sehr darüber nach. Sei dir deiner selbst nicht so ungewiss. Und mir ebenfalls nicht.“ Er rutschte dicht an ihn heran, nahm beide Hände, um sie an sein Herz zu drücken und in diesen himmelblauen Augen zu versinken. „Lass uns Einigkeit zwischen uns schaffen. Ich sehe, dass wir einander lieben und es uns nicht in fremde Betten treibt. Stimmst du mir zu?“ „Ja“ hauchte er beschämt. „Jedoch stehen wir im Mittelpunkt der Macht. Es kann durchaus passieren, dass wir Beziehungen durch Beischlaf pflegen müssen. In diesem Falle lass uns den Pakt schließen, dass wir einzig unserem Herzen nachgeben. Ich würde meinen Körper jederzeit für dein Wohl oder das Wohl Ägyptens geben. Wenn ich keinen anderen Weg sähe. Lass uns einander versprechen, dass wir in diesem Falle unserer Liebe zueinander gewiss sind. Willst du mir versprechen, auch dann nicht an meiner Liebe zu zweifeln, sollte ich pflichtgedrungen ein fremdes Bett besuchen?“ „Natürlich“ antwortete er ohne ein Nachdenken. „Dann werden wir uns nicht entzweien“ versprach er und drückte seine Hände. „Wir einigen uns darauf, dass wir andere Betten teilen, wenn wir sie teilen müssen. Aber nicht darauf, dass wir es wollen. Denn wollen, tun wir nur uns. Und das wir nicht leichtfertigt mit dem Herzen des anderen umgehen, das wissen wir beide. Nicht wahr?“ „Ja, mein Pharao“ flüsterte er und senkte bedrückt seinen Blick. „Ich vertraue Euch. Doch wünschte ich, ich könnte es Euch leichter machen auch mir zu vertrauen. Ich würde gern so viel mehr für Euch tun. Doch ich bin nutzlos.“ „Nein, Seth. Das ist doch nicht wahr.“ Er legte die Handflächen an seine Wangen und verlangte nach einem Blick in die blauen Augen, welche von Selbstzweifeln und Sorgen getränkt waren. „Doch kommt es mir so vor“ sprach er mit belegter Stimme. „Ich kann Euch keinen Trost spenden in der Trauer. Ihr habt den alten Fatil verloren und Eure Mutter. Und ich kann es Euch nicht nachfühlen, Euch nicht trösten. Und ich kann Euch nicht gegen Eure Feinde verteidigen, weil der Palast und der Adel mir vollkommen fremd sind. Ich bin Euch nur eine Last.“ „Es stimmt mich traurig, dich so sprechen zu hören“ erwiderte er. Doch er konnte ihn verstehen. Die Gefühle, welche Atemu empfand, dieses Pflichtgefühl und die tiefe Trauer, dies waren für Seth nur Worte. Er kannte diese Gefühle nicht und dies musste in ihm die Empfindung von Leere und Taubheit anrühren. Diesen Teil des Lebens musste er neu erlernen und dies geschah nicht durch Schriften und Gebete. Die Lehrmeister des Lebens waren andere Dinge. „Du bist nicht nutzlos für mich und du bist keine Last. Ich weiß, dass du mich stützen und aufrichten willst und allein das genügt mir. Denn solch einen Rückhalt zu wissen, ist mehr wert als ich es sagen kann. Worte, welche deinen Wert für mich ausdrücken, gibt es nicht. Bei niemandem kann ich mich so ungezwungen und frei fühlen. Du bist mir so nah wie kein anderer. Manchmal bist du mir näher als ich mir selbst. Mein Seth.“ Er blickte ihm tief in die Augen und fühlte sich von ihrer intensiven Färbung umspült wie von sanftem Wind. Warm und ziellos ergeben. „Nie sprach jemand meinen Namen so zärtlich wie du es tust. Nie küsste mich jemand so hingebungsvoll wie du es tust. Und nie sorgte sich jemand um mein Herz wie du es tust. Deinen Wert kann ich nicht mit anderen messen. Und dies macht dich unentbehrlich für mich.“ „Aber, was Ihr …“ „Seth.“ Er unterbrach ihn sanft. Weitere Selbstzweifel oder Anschuldigungen wollte er nicht hören, denn sie waren reine Unwahrheit. „Wenn du nicht wärst, mit wem sollte ich denn diesen Tag verbringen? Ich soll Kraft schöpfen und Abstand gewinnen. Stell dir vor, ich müsste den ganzen Tag mit Fatil herumsitzen. Wäre das nicht schrecklich?“ „So solltet Ihr bei allem Respekt nicht sprechen“ antwortete er ernst. „Fatil ist Euer treuester Freund.“ „An dir ist wahrlich nur eines nutzlos“ seufzte er mit einem Schmunzeln. „Und das ist dein fehlender Humor.“ Kapitel 54: Kapitel 54 ---------------------- Kapitel 54 Nachdem er sich noch einen großen Brocken des frischen und noch warmen Brotes in den Mund steckte, lehnte der Pharao sich seufzend, zufrieden und vollends satt zurück. Er legte seinen Kopf auf Seths Schoß und blickte kauend zu ihm hinauf. „Dwasch woa dwer nschpoamschde …“ „Majestät“ lächelte Seth geduldig zu ihm herab. „Man versteht Euch nicht, wenn Ihr noch kaut.“ So musste der Pharao also auch noch leise lachen und erst ein Ende herbeikauen und auch noch schlucken, bevor er sagen konnte, was ihm auf dem Herzen lag. „Seth.“ Dann war die Sprache auch zu ihm zurückgekehrt. „Das war der entspannenste Tag, den ich seit langem hatte.“ „Dabei ist er noch gar nicht beendet.“ Seth setzte einen verführerischen Blick auf, mit welchem er die Wangen des Pharaos erst errötete und dann sanft streichelte.Dieser Tag hatte sich wahrlich schön gestaltet. Sie waren für Stunden ungestört und von den Vorgängen im Palast drang nichts in ihre kleine Welt vor, in welcher sie sich verkrochen. Lange hatten sie die Sonne im Tempelgarten nicht mehr genießen können, bevor aus dem sanften Schein ein Brennen wurde. So flüchteten sie mit Eintreten der Tageshitze in Seths kühleres Zimmer und legten ihre Körper aufs Bett nieder, um sich inniglichen Zärtlichkeiten hinzugeben. Schade ein wenig, dass der Pharao vor Erschöpfung einschlief, während Seth sich noch nicht ganz seinen Hals herunterküssen konnte. Doch er bedachte dies mit einem Lächeln, lockerte die Kleidung seines Liebsten, schob ihm ein Kissen unter und bewachte seinen Schlaf, den er offensichtlich dringender brauchte als feuchte Küsse. Es mussten viele Nächte gewesen sein, in welchen er kaum ruhte und nun versank er in einem so tiefen Schlaf, dass ihn nichts und niemand zu wecken vermochte. Seth machte dies nichts und so genoss er den Laut des tiefen Atems und das sanfte Gesicht, in welches sich ein entspanntes Lächeln bettete. Ja, er war sogar ein großes Stück erleichtert, da der Pharao gerade gestern hatte fallen lassen, dass ihm seit vielen Nächten der ruhige Schlaf verwehrt blieb. Selbst wenn er Gelegenheit fand, so quälte ihn sein Geist dennoch stur zum Wachen. Ihn nun schlafen zu sehen, war Glück und Ehre, da er nur bei Seth etwas Ruhe fand. Ein wenig mitleidig betrachtete er seinen Pharao und sein Herz betete, ein so warmherziger und gradliniger Mann wie Atemu möge den Segen erfahren, welcher ihm gerecht wurde. Ägypten wäre ohne ihn nicht mehr dasselbe reiche und friedenstrebende Reich. Er musste auf dem Thron bleiben und den Menschen Hoffnung und Gerechtigkeit schenken. Niemals in der Geschichte lehrte ein Pharao mehr von Nächstenliebe und Güte als Atemu. Bis sein Schlaf mit der abklingenden Hitze endete und sein Magen Seth anknurrte, bevor die Lippen lächeln konnten. Und anstatt in wilde Laken stürzten sie sich in die Völlerei. Als hätte der Schlaf die königlichen Lebensgeister wiedererweckt, so füllte er den Teller und den Kelch Mal um Mal und schmatzte vor Wonne. Da sie keine Gäste bei Tisch begrüßten und die Diener ihr belustigtes Grinsen nur hinter dem Rücken des Pharao zuließen, fühlte dieser sich frei und schleckte das Fruchtmuß aus der Schale direkt mit dem Finger. Bei Seth legte er seine Etikette ab und tat, wonach ihm der Sinn stand. Und der winkte für ihn immer wieder Diener mit vollen Platten heran, um seinem Pharao alles zu bieten, was der so lang vermisste. Das entspannte Essen hatte er sich wahrlich lang verboten. Und letztlich war es nun sein eigener Genuss, den satten König zu kraulen, seinen gefüllten Bauch zu streicheln und ihm tief in die Augen zu blicken. „Ach, mein Seth“ seufzte er und atmete tief ein und wieder aus. „Warum habt ihr mich nicht früher gezwungen, meine Arbeit ruhen zu lassen?“ „Den Pharao zu etwas zu zwingen, ist so schwerlich wahrzumachen“ lächelte er zu ihm herab. „Doch nun denkt noch nicht an Eure Arbeit, Geliebter. Da ihr den halben Tag verschlafen habt, erlaubt Ihr mir, Euch nun Avancen zu machen?“ „Ich war so unbedacht, Seth. Ich hätte nicht so viel Brot und Fleisch verschlingen sollen. Dann könnte ich mich noch rühren und deine Avancen mit Erfolg krönen. Gib mir bitte noch einen Augenblick, bevor wir uns in Liebeleien verschlingen.“ „Auch zwei Augenblicke mag ich Euch geben.“ Er beugte sich zu ihm herab und flüsterte mit hauchender Stimme, damit die Diener keine Worte hörten. „Jedoch kann ich es kaum erwarten, Euch in meinen Armen zu schmelzen, Atemu, und Euch mit Küssen zu bedecken. Mein Körper verlangt so sehnsüchtig nach Euch, dass Eure lustverschleierten Augen mich in meinen Träumen heimsuchen.“ „Sprich noch mal“ flüsterte er, hob seine Arme und legte sie in seinen warmen Nacken. „Ich höre dich so gern meinen Namen sprechen.“ „Ich will ihn sprechen, singen, dichten und anbeten“ schwor er gedämpft zu ihm herabgewandt. „Euren heiligen Namen, welcher eine Wohltat ist für meine Zunge. Atemu. Über alles geliebter Atemu.“ „Dich zu haben, ist mein größtes Glück.“ Einen Augenblick kam ihm der traurige Gedanke, dass Seth all diese zärtlichen Worte einst hatte auswendig lernen und dieses galante Umwerben schmerzlich hatte üben müssen. Doch je tiefer er in diese blauen Augen blickte, desto sicherer wurde er sich, dass ihm dies nicht so wichtig war wie die Gewissheit, dass all sein Sprechen ehrlich und echt war. Seth war ein hervorragender Verführer, jedoch konnte selbst er dieses Funkeln in den Augen nicht spielen. Atemu spürte, diese innige Nähe entsprang einem wahren Gefühl. Was sich zwischen ihnen entwickelte, reichte über bloße Liebe hinaus. Die Gefühle zueinander waren den Göttern an Wahrhaftigkeit und Macht gleich. „Ich liebe dich sehr, mein Seth.“ „Und ich liebe Euch, Atemu“ hauchte er und tupfte einen schüchternen Kuss auf seine Lippen, strich sein lockeres Haar zurück und stupste verspielt seine Nasenspitze mit der seinigen an. Er war ja glücklich, dass der Pharao so reichlich gespeist hatte, jedoch drängte es ihn nun endlich nach intensiver Körperlichkeit. Und nun zu warten, dass sich dieses Völlegefühl verzog, war als grausam zu bezeichnen. „Komm her, Liebster“ schmunzelte Atemu, welcher diese kleinen Gesten durchaus zu lesen wusste. Wenn es nach Seths Willen ginge, wären sie bereits vom Speisesaal in sein Zimmer zurück gewechselt. Doch Seth setzte seinen Willen nur selten durch und er würde warten bis es seinem Pharao ebenfalls genehm war. Doch dieser konnte ihm die Wartezeit auch durchaus verkürzen. So verschlang er seine Finger in das erdbraune Haar, zog ihn herunter und nippte an seinem warmen Ohr. „Majestät“ flüsterte der junge Priester beschämt. „Ihr wollt mich quälen …“ „Nein“ hauchte er verliebt. „Ich erwärme dich. Und wenn dir warm ist, darfst du gern dein Gewand ablegen.“ „Dann lasst uns in meinen Raum zurückgehen.“ Er wollte sich erheben, doch der Pharao hielt ihn an Ort und Stelle, ließ ihn nicht ein Stück weichen. „Majestät …“ Stattdessen hob dieser seine Hand und schickte den Kammerdienern ein abwehrendes Zeichen. Eindeutig, dass er nun an sie keinen weiteren Wunsch als ihr Verschwinden hegte. An Seth jedoch hatte er noch so manchen Wunsch und deshalb verdeutlichte er ihm seine liebevollen Absichten, indem er sich mit etwas Nachdruck einen Kuss stahl. „Wir sind allein“ offenbarte er mit einem verliebten Lächeln. „Ihr überrascht mich ein ums andere Mal.“ Gut, wenn die Hoheit es wünschte, wollte er dem gern entsprechen. Und so begann er erneut mit einem langsamen, lieblichen Kuss, welcher dann jedoch bald feucht und leidenschaftlich an Drang gewann. Lang hatten sie keinen Moment zu zweit gehabt, ständig waren die Gedanken des Pharaos an anderen Stellen, bei anderen Problemen, anderen Bedrohungen und Forderungen. Doch nun hatte er die freien Stunden zur Entspannung genutzt, hatte Kraft geschöpft und Platz gebracht zwischen sich und den Vorgängen im Palast. Dieser Tag im Tempel hatte ein wenig Last von seinen Schultern genommen und wich nun der Nacht, welche hoffentlich die letzten Bedenken vertrieb. Die Probleme würden ihn am morgigen Tage früh genug einholen und er würde wieder den Ministern und dem Volk gehören. Doch in diesem Moment gehörte er einzig und allein Seth und seinem Kuss. Sie ließen sich nur wenig Abstand zum Atemschöpfen, als der Pharao bereits das fein gewebte Priestergewand ein Stück von den kräftigen Schultern zwang und seinen Geliebten über sich zog. Die Matte auf dem Steinboden spendete Wärme und das Sitzkissen stützte seinen Kopf, als er von Seths Verlangen herabgedrückt und gefangen genommen wurde. „Atemu“ keuchte er, griff seine Hände und hielt sie neben seinem Kopf fest. „Ihr seid so verlockend.“ „Dann gib der Verlockung nach“ hauchte er und drückte das Knie fest in die muskulöse Seite seines Geliebten. „Liebe mich, mein Seth. Und lass uns nicht an morgen denken.“ „In meinen Gedanken seid nur Ihr, Majestät.“ Er nahm dies als Erlaubnis dafür, nun doch schneller als ersehnt sein Verlangen an ihm stillen zu dürfen. Mit bestimmten Händen schob er den knielangen Rock seines Pharaos hinauf und verschloss seine Lippen mit einem schmatzenden Kuss. Ihre Körper erhitzten sich wie schwarzer Stein in brennender Sonne, ihre Zungen verlangten nacheinander wie ein Durstender nach Wasser. Sie tranken ihre Leidenschaft auf, konnten sich kaum genug ihrer Sucht nach dem geliebten Körper ergeben. Der Ort war gleich geworden und mit ihm die Zeit. Einzig gegenwärtig war der sich beschwerende Atem und dieses Drängen im Herzen, welches nach außen strebte und Ausdruck in fahrigen Berührungen, in leidenschaftsverzerrten Minen fand. Es hätte auch genau auf diese und erfüllende Weise seinen Lauf genommen, hätte man nicht an der Türe geklopft. Sowohl der Pharao als auch Seth nahmen keine Notiz davon, zu emsig waren sie dabei, sich gegenseitig zu entblößen und jedes Stück zarte Haut mit feuchten Küssen zu lieben. Doch ihr vertieftes Liebesspiel fand jähe Unterbrechung, als die große Tür aufging und ein Diener seinen Weg hinein bahnte. Zwar senkte er sofort den Kopf und blickte die beiden halbnackten Leiber möglichst wenig an, jedoch störte er einfach diese intensive Zweisamkeit. „Bitte geh“ formte der Pharao aus lautem Hauchen und feuchtem Atem. Störungen wünschte er im Augenblick nicht. „Verzeiht bitte die Störung, Majestät“ bat der Diener und senkte sein Haupt noch tiefer zu Boden. „Ich bringe wichtige Kunde.“ „Später.“ Der Pharao wollte das abtun, jedoch richtete er sich auf Seths Schoß auf, welcher sich damit an seiner empfindsamen Halsbeuge gütlich tat und seine Adern mit Lust füllte. „Ich bin beschäftigt“ keuchte er und erwiderte den aufgereckten Kopf, schloss Seths verlangende Zunge zwischen seinen Lippen ein. In diesem Augenblick wollte er nichts anderes mehr sehen, nichts anderes mehr spüren als den Körper und die Lust seines sehnlichst geliebten Göttertraumes. „Majestät …“ Man hörte fast ein Flehen in des Dieners Stimme. Trennen konnte er die beiden nicht, ja selbst das Aufblicken verbot er sich. Dennoch hatte er Order, dem Pharao wichtiges zu sagen. Ein zweites Klopfen schallte durch den Raum. Die Tür stand bereits offen und so hinderte sie niemanden daran, zusätzlich einzutreten. „Herr.“ Der Diener kniete sofort nieder als Fatil den Raum betrat und wenig Scham besaß, dem Pharao direkt in sein lustrotes Gesicht zu sehen. „Also Seth“ seufzte Fatil schwer und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe gedacht, diesen Teil hättet ihr bereits abgeschlossen.“ Dass der Pharao erst den Tag verschlief und dann eine gedeckte Tafel verschlang, welche eine ganze Kompanie hätte versorgen können, war so eher der undenkbare Tagesverlauf. Er hätte eher darauf gesetzt, dass die beiden Liebenden übereinander herfielen, sobald man sie ungestört ließ. Und erst mit dem raumfüllenden Erscheinen seines Palastvorstehers blickte der Pharao wahrlich auf und schenkte ihm einen Moment seiner Aufmerksamkeit. Auch wenn seine Arme eng um Seths Nacken geschlossen waren und ihre Gewänder gleichermaßen locker von ihren hitzigen Körpern hingen. „Verzeiht, dass ich Euch unterbreche“ entschuldigte Fatil dann jedoch und senkte zum Zeichen seiner Schuld den Blick. „So sehr ich Euch Eure freie Zeit vergönne, so sehr muss ich darauf bestehen, Euch eine Kunde anzutragen.“ „Welche Kunde?“ fragte er besorgt nach und als er mehr Augenmerk auf Fatil denn auf seinen Priester wand, ließ dieser sein hitziges Werben abebben und folgte dem königlichen Blick zur Tür. „Entschuldige, dass ich dir den Pharao entreißen muss“ nickte er Seth zu und legte dann seinen Blick auf den zurück. „Majestät, Ras Lanuf steht vor unseren Toren.“ Der König benötigte drei verstreichende Sekunden, in welcher diese Worte in seinen Kopf drangen und seine Gedanken vollends erfüllten. „Jetzt schon?“ hinterfragte er sichtlich entrückt. „Was ist mit ihren Botschaftern?“ „Wenn sie welche schickte, so haben sie uns nicht erreicht“ antwortete er mir fester, wenn auch besorgter Stimme. „Mein Pharao, die Königin führt ein kleines Heer bei sich, ein größeres jedoch wartet weit um Pe-Amun verstreut. Ich treffe sicher Eure Zustimmung, wenn ich rate, sie schnellstmöglich zu empfangen.“ „Natürlich müssen wir sie empfangen“ sprach er sofort und zog sein verrutschtes Gewand zurück über seine Schultern. „Ruf die Garde zusammen und mein Gefolge. Bereitet Quartiere für die Königin und ihre Mannen vor. Und lass mir neue Kleidung bringen.“ „Ich war so frei, all dies vorzubereiten. Die Pferde werden bereits gesattelt und Eure Kleidung wird in diesem Moment gebracht. Wie Ihr weiter verfahren wollt, erklärt mir bitte, wenn ich Euch zurück in den Palast begleite.“ „Natürlich.“ Dann wand er sich an Seth und blickte ihn seufzend an. „Es tut mir sehr leid. Ich hätte gern …“ „Schon gut“ sprach der und legte ihm liebevoll die Fingerspitzen auf seine leicht bebenden Lippen. „Selbst ich weiß, wie wichtig Ägyptens Stellung zu Libyen in diesen Tagen ist. Nur mit libyscher Hilfe könnt Ihr einen Krieg mit Tschad verhindern.“ „Und Ihr solltet mit Ras Lanuf sprechen, bevor Ephrab es vermag“ sprach Fatil voll Ernst. „Er und sein Bruder sind bereits auf dem Weg zum Stadttor.“ Das war ein harter Schlag für den Pharao. Eben noch flogen seine Gedanken hin zu wundervollsten Berührungen, fand er sich eingebettet in schützende Arme, in wonnigste Wärme. Und im nächsten Moment brach der Sturm los. Es war allen dreien klar, dass sich nun das Schicksal Ägyptens entscheiden würde. Ging der Pharao siegreich aus den Verhandlungen mit Libyen hervor, so würde er den Tschad zurückdrängen und Frieden bewahren können. Würde aber Ephrab seinen Einfluss auf den königlichen Hof und die libysche Königin mit Erfolg krönen, so würden sowohl Atemu als auch sein Reich einer unsicheren Zukunft entgegensehen. Allein konnte Ephrab das Volk Ägyptens nicht unterwerfen – mit einem Kriegerstaat wie Libyen im Bündnis jedoch war dies denkbar. Die Königin Ras Lanuf wandelte sich in einen Schlüssel, welcher ein unbekanntes Tor öffnete. Doch durfte diese das keinesfalls erfahren – denn auch sie war als unerbittliche Kriegerin über ihre Landesgrenzen hinaus bekannt. „Ihr Götter“ flüsterte Atemu mehr zu sich als in Seths Ohr. „Gebt mir die Kraft, mein Volk zu schützen …“ Kapitel 55: Kapitel 55 ---------------------- Kapitel 55 In Seth stieg ein merkwürdiges Gefühl hinauf. Es war ihm gestattet im Gefolge des Pharaos zum Stadttor zu reiten, um dort persönlich die libysche Königin willkommen zu heißen. Auch wenn er, so wie viele andere neben ihm, heute Abend sicher kein persönliches Wort mit ihr tauschen würden. Dies oblag vorerst allein dem Pharao und den hohen Männern. Seth bekleidete lediglich das Amt eines Jungpriesters und ritt in dieser Stellung recht weit hinten in der Karawane zwischen einigen anderen Priestern und schützend umringt von Soldaten. Auch bestand die Majestät darauf, ihn weiter aus den Regierungsgeschäften herauszuhalten, da er einfach noch zu unsicher auf dem höfischen Boden stand. Dennoch konnte er das Treiben beobachten und seinem Geliebten in stiller Nähe stärkende Gebete schenken. Der Pharao ritt vornan und führte sein Gefolge. Er war prächtig anzusehen in seinem milchweißen Gewand, geziert von feinstem Silber und Gold an Armen und Beinen. Um seine Schultern ein in Gold und blauen Edelsteinen schimmernder Kragen, geformt wie mächtige Falkenfedern. Auf seinem Haupt die schillernde, mächtige Flügelkrone als Symbol seiner Macht über ganz Ägypten. Ein herrlicher, wunderschöner König auf einem nachtschwarzen Hengst, dessen Atem in der kühlenden Abendluft bald Nebel zeichnete. Vor ihm nur zwei kräftige Soldaten hoch zu Ross, schützend vor ihn gestellt. Flankiert wurde der Pharao zu aller erst von seinem alten Hohepriester und dem Heeresführer, die Machthaber über Religion und Kampfkraft. Fatil selbst war im Palast verblieben, denn dort war sein Wirkungsplatz. Der Rest des Gefolges setzte sich zusammen aus ausgewählten Soldaten, welche nicht drohend, jedoch warnend offen ihre Waffen trugen. In ihrer hinteren Mitte hohe Priester, dazwischen versteckt der Geliebte des Königs. Erst am Ende ritten einige wenige Adlige und Minister, welche sich das Recht auf einen Platz im königlichen Gefolge erkämpft oder erkauft hatten. Seth kannte die wenigsten dieser Männer und scheute davor, sich auffällig umzudrehen, um sich ihre Gesichter einzuprägen. Erkannt hatte er jedoch in der nahen Leibgarde Penu und Faari, welche dem Pharao dicht angetraut waren und so auch Seth ein tröstendes Gefühl der vagen Sicherheit gaben. So zog dieses auffällige Gefolge von sicher hundert Mann aus dem Palast heraus, über die Hauptstraße an den Häusern der Reichen und Adligen vorbei bis sie die erste Mauer passierten und weiter die breite Straße gen Marktplatz verfolgten. Nun kamen sie an den besseren Hütten anderer Bürger vorbei, welcher immerhin noch wohlhabend genug waren, sich ein Leben innerhalb der Stadtmauern anzueignen. Die weniger wohlhabenden Bürger, meist Bauern, reisende Händler oder Vagabunden hausten außerhalb der Stadtmauern, wo derzeit auch die orientalische Armee quartierte. Dort angekommen waren neue Farben zu sehen. Dunkles Braun und Schwarztöne in Stoff und Leder gehalten, wenige Metalle, wenn nicht an erkennbaren Waffen. Rote Tücher und Bänder hellten die Uniformen der Soldaten und ihrer Tiere auf, Rot wie das Blut, welches die libysche Königin kriegerisch vergossen hatte. Es hieß, für jeden Hektar erobertes Land, trüge die Armee einen roten Stoff mehr. So schlich sich ein Gefühl des Respekts und der Bedrohung in die Herzen ein. Libyen war für seine blutigen Kriege, Folter und Kraft bekannt und stand dem Tschad nur wenig in Kampfesliebe nach. Der Besuch der Königin war weniger ein Besuch der Freundschaft als mehr eine Forderung an Ägypten. Vor Jahren bereits hatte der kämpferische Staat unter Führung des vorigen Königs die Grenzen unpassierbar gemacht und ließ weder Ägypter hinein noch Libyer heraus. Ras Lanuf zeigte sich wie ihre Vorväter wenig interessiert an Austausch von Wissenschaft, Kunst oder Religion. Ägyptische Werte besaßen für sie wenig Wichtigkeit. Ihr einziges Interesse galt Ländereien, Reichtümern und Menschenmaterial. Als Frau auf dem Thron war sie bekannt für ihre Rachsucht und ihren Blutdurst. Um sich zu beweisen, war sie grausamer als alle Könige vor ihr. Sie führte eine Herrschaft des Schreckens und der Gewalt im eigenen Reiche. Es hieß, sie habe eigenhändig ihren Bruder getötet, um einzige Thronerbin zu sein. Und es hieß, sie habe ihren eigenen Vater geputscht, um die Krone ihr Eigen zu nennen. Seth wusste aus seinen Lehren, dass sie eine gefährliche, unberechenbar Frau war. Und er betete zu Ägyptens Göttern, sie mögen ihren eigenen Sohn behüten und ihm die Macht geben, die Verhandlungen mit einem so kriegerischen Staat durch Erfolg zu besiegeln. Jedoch, dass der Pharao die Botschaften der Königin nicht beantwortet hatte, nicht beantworten konnte und die Tatsache, dass er lieber den König des Tschad als der Königin von Libyen um einen Empfang ersucht hatte, würde das Verhältnis dieser Tage sicher nicht eben entspannen. Nun brauchte Ägypten wahrlich keinen weichen Atemu, es brauchte einen bedachten und staatsmännischen Pharao, welcher sein Volk vor fremden Bedrohungen schützte. Im hinteren Teil des Gefolges spürte Seth heute erstmals, mehr denn jemals zuvor, welch wichtige Rolle ein einziger Mann für ein ganzes Reich bedeutete. Das hohe Gefolge stoppte und mutig ritt der Pharao, allein begleitet von zwei vermummten Soldaten die letzten Meter auf das prächtige Stadttor zu und stoppte seinen nervösen Hengst erst inmitten der zwei kunstvollen Obelisken. „Ägypten überbringt Libyen die friedliche Einladung nach Pe-Amun, unserer Hauptstadt und heißt die Abgesandten unseres Nachbarvolkes willkommen.“ Er sprach laut und deutlich, sodass seine herrische Stimme weithin hörbar klang. Vor sich sah auch er nur die schwer bewaffneten und mit roten Tüchern verzierten Soldaten der Armee. An den Rand gewichen, harrte die orientalische Armee, inmitten Ephrab und sein Bruder, welche es anscheinend nicht vermocht hatten, zur lybischen Königin durchzudringen. Denn beide schickten dem Pharao stechende Blicke und besonders Ephrabs Ausdruck zeigte verhaltenen Ärger und Missgunst gegenüber des königlichen Auftretens. Es ließ sich mutmaßen, dass die fremde Königin allein mit dem hier beheimateten König sprach und mit keinem geringeren. Es verstrichen einige Sekunden bis die Riege der dunklen Soldaten sich teilte und in der Mitte eine kleine Schneise freigab, auf welcher eine Frau herausritt. Unverkennbar die Herrin dieser Armee. Sie thronte auf einem schwarzen Dromedar, dessen Sattel und Zaumzeug in rot gefärbtem Leder und Goldapplikationen den Blick einnahm. Ihre Krone aus roten Federn, welche wie ein Vogelschwanz aufgereiht hinaufstanden, befestigt auf schwarzem Leder oder Zier. Stattlich war die Königin und von unheilvoller Präsenz. In der einen Hand trug sie einen langen Speer, in der anderen hielt sie die roten Zügel ihres Reittieres. Die Kleidung ihres Oberkörpers war knapp, eng anliegend aus dunkelbraunem Leder, welches ihre Weiblichkeit fast erdrückte und ihr auf den ersten Blick den Anschein eines schmalen Knaben gab, wäre nicht ihr prächtiger Kopfschmuck gewesen. Erst bei näherer Betrachtung glänzte ihre dunkle Haut eingeölt, zeigte prächtige Muskeln einer Kriegerin würdig. Ihr Beinkleid aus dunklem Stoff hingegen war lang und verdeckte den Blick auf mehr. Ihre Arme und ihre nackten Füße geziert von ledernen Armreifen. Blickfang jedoch waren ihre schwarz umschminkten Augen, welche sie fast ein wenig ägyptisch wirken ließ. Messerscharf betrachtete sie den Pharao, welcher in seinem strahlenden Weiß gegen sie wirkte wie die Mittagssonne am Nachthimmel. Mit eingetretener Ruhe in den Truppen, floss nun ein Knistern durch die Luft. Die Lage war in ihrer Anspannung leibesnah zu spüren. Das erste Gespräch würde prägend sein für die weiteren. Die prächtige Kriegerkönigin ritt ebenso mutig in die Mitte des Stadttores und erwiderte den Blick des Pharaos wortlos von ihrem hohen Tier aus. „Seid willkommen in Ägyptens Herzen, Königin Ras Lanuf von Libyen.“ Er sprach ruhig und kraftvoll. Friedlich klangen seine Worte und doch schwang eine Ahnung von Ermahnen in seiner Stimme. Sie war willkommen, jedoch nicht um jeden Preis. Und endlich antwortete sie ihm mit rauchiger Frauenstimme. „Ich grüße Euch, Pharao von Ägypten.“ Sie erwiderte seinen Blick und drehte ihr schwarzes Dromedar seitlich. Eine Geste, welche der Pharao zu lesen wissen musste. Sie hatte seinen Namen nicht genannt und somit war auszugehen, dass ihr die ägyptischen Bräuche durchaus geläufig waren. Doch musste der Pharao die libyschen Bräuche ebenso anerkennen. Es war schwer, ein fremdes Volk respektvoll zu behandeln ohne Unterwürfigkeit zu zeigen. Deshalb musste ein Pharao mehr auf seine Taten und Gesten achten als selbst ein Diplomat. Denn neigte er seinen Kopf so neigte er auch das Haupt ganz Ägyptens. „Ich will Euch einladen, Königin“ sprach er und ließ seinen Hengst einige Schritte rückwärts tun, was das kräftige Tier mit einem widerwilligen Schnaufen spenstig befolgte. „Euch und Euren ausgesuchten Mannen sei Eintritt angetragen nach unserer Hauptstadt. Wir empfangen Euch in Frieden und Gleichwertigkeit und freuen uns auf fruchtbaren Austausch beider Reiche.“ „Eine Kompanie von zweihundert Mann will ich führen“ sprach sie mit dunkler, ebener Stimme. Auch wenn es im fahlen Licht verschwomm, so hörte man ihr Alter heraus. Sie war sicher keine alte Frau, jedoch war es offensichtlich, dass der Pharao gegen sie noch sehr jung wirkte. „Und ich fordere Euch auf, unser Quartier mit der Hälfte an der Zahl Eurer Mannen zu umgeben. Zu meinem Schutz und als Zeichen Eures Willens.“ „Diesen Wunsch will ich Euch gern gewähren“ antwortete er ernst. Es war verständlich, dass die Königin eine doppelte Zahl an eigenen Soldaten mitführen wollte. Schließlich befand sie sich innerhalb fremder Stadtmauern und fürchtete um ihren Schutz. Fremder Boden bedeutete immer fremde Bedrohung. Doch der Pharao war dafür bekannt, auch mit wenig kämpfenden Männern viel zu erreichen. „Diese Fremden.“ Sie blickte zur Seite auf Ephrab und die andersartige Armee, welche ihr vielleicht unbekannt war. „Hundert Mann insgesamt. Egal ob Ägypter oder Reichsfremde.“ Dass eine fremde Armee vor den eigenen Toren zu Unstimmigkeiten führen musste, war dem Pharao sicher bewusst gewesen. Schließlich durfte es keine Missverständnisse um die Randbedingungen eines Regierungsbesuches geben und die Anwesenheit von unerwarteten Soldaten, rührten selbstverständlich an den Plänen der Königin. Hätte der Pharao früher ihre Botschaften empfangen und beantwortet, so gäbe es nun diesen anstrengenden Klärungsbedarf nicht. Als Zeichen des Friedens stieg der Pharao vom Rücken seines Pferdes ab und gab es an den nächststehenden Soldaten ab. Mutig, wo er doch ungeschützt vor der bewaffneten Königin stand. „Ägypten sieht Eurem Besuch mit friedvollen Augen entgegen“ sprach er und breitete seine Arme aus. „Ihr seht mich unbewaffnet. Und ich will Euch so friedvoll empfangen, wie Ihr mir entgegnet. Ich hoffe, Euer Unwohlsein und Euer Misstrauen mögen sich in Behaglichkeit und Brüderlichkeit wandeln. Ich heiße Euch willkommen in Pe-Amun und freue mich, Euch, der mächtigen Ras Lanuf, Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Ich sehe unseren Gesprächen erwartungsvoll und wohlgestimmt entgegen.“ Sie betrachtete ihn, verengte ihre misstrauischen Augen und bedachte seine Worte mit augenscheinlicher Missgunst. Dann jedoch besann sie sich der Situation und erwiderte seine friedvolle Geste. Auch sie schwang ein Bein herüber und ließ ihr mächtiges Tier in die Knie gehen, um elegant herabzusteigen. Ihre Fußsohlen berührten ägyptischen Boden und ihre stoffverhüllten Beine trugen sie zwischen die prächtigen Obelisken, um dem Pharao auf selber Höhe zu begegnen. Ihren spitzen Speer legte sie jedoch nicht ab und wusste, dass sie damit befriedete, wenn auch nicht geschwundene Kampfbereitschaft zeigte. „Ihr beantwortetet meine Botschaften nicht“ sprach sie mit ruhiger Stimme. „Auch meine Diplomaten verwieset ihr Eurer Mauern. Zudem finde ich hier eine fremde Armee zu Eurer Unterstützung vor, wovon Ihr ebenfalls nichts verlauten ließet. Wie erwartet Ihr, soll ich diese Gesten gegenüber Eurem offenem Willkommen deuten? Ihr seid Euch dieser Zwiedeutigkeit wohl bewusst.“ „Für die Säumnisse ägyptischer Diplomatie entbringe ich Euch meine Entschuldigung“ antwortete er mit offener Geste. „Schenkt mir Euer Ohr und so will ich Euch mein Wohlwollen offenbaren. Ihr wisst, ich bin kein Gegner Libyens und so habe ich keinen Grund, Euch missgünstig zu empfangen. Es ist mir ein Anliegen, Euch Ägyptens friedvollen Willen anzutragen. Euer Besuch ehrt und erfüllt mich mit freudiger Erregung. Und so lade ich Euch herzlich ein, meine prunkvolle Stadt zu sehen und ich selbst freue mich, von libyschen Erzählungen zu hören. Denn ich denke, unsere Völker haben sich viel zu geben an Wissenschaft und Kultur. Ägypten ist Freund des Austausches, nicht des Eroberns. Und wenn Ihr am Ende Eures Verbleibens unversehrt zu Eurem Volk zurückkehrt, so wünsche ich, möget Ihr ein Stück Ägypten im Herzen tragen. So wie ich wohlwollende Bande zu Libyen in meinem Herzen beleben will.“ „Eure Worte widersprechen Eurem bisherigen Handeln gegenüber meinen Mühen, Pharao“ erwiderte sie in undeutbarem Ton. „Doch will ich sehen, was wir einander anbieten können. Und lasset Euch gesagt sein, mich würdevoll zu behandeln. Ich bin keine Frau, sondern Herrin eines starken Volkes.“ „Ich denke, Ihr seid eine Frau, wie ich ein Mann bin“ antwortete er ernst und schenkte ihr einen starken Blick. „Doch will ich Euch begegnen wie ein Herrscher einer Herrscherin. Ich schätze Euch wie Ihr mich schätzt. In unseren Worten sprechen nicht wir, in unseren Worten sprechen unsere Götter und unsere Völker. So will ich mit Euch ganz Libyen begegnen.“ Sie hielt seinem Blick stand. Er zeigte sich mit Sanftmut und gelassener Kraft, sie mit Unmut, Misstrauen und Kriegsbereitschaft. Sie tat für gewöhnlich keine fremdländischen Besuche und empfing auch keine. Doch beide wussten, dass Ägypten und Libyen einer gemeinsamen Bedrohung gegenüberstanden. Der Tschad bedrohte nicht nur ägyptische, sondern auch libysche Grenzen. Wer sich in diesem Dreierspiel mit wem verbündete würde über das Schicksal dreier Völker entscheiden. Und beide wussten, wer gegen Tschad unterlag würde mehr verlieren als nur Land. Und aus diesem Grunde hatte Ras Lanuf nicht leichtfertig an ägyptische Tore geschlagen. „Meine Feldherren“ sprach sie dann kühl und hob die Hand zur rechten Seite. „Nairi und Daray.“ Sie stellte ihm zwei Männer vor. Der eine gut genährt und von Muskeln untersetzt, glänzende Kopfhaut mit roten Narben versehrt. Ein älterer Mann, welcher offenscheinlich viele Kämpfe gesehen und viele Wunden überlebt hatte, denn er trug diesen geschundenen Kopf voll Stolz, als seine gräulichen Augen zum Pharao herübersahen und er würdevoll seinen dunkelbraunen Umhang über die Schulter schlug. Der Mann neben ihm etwas jünger, sein Haar von einem Tuch verdeckt, jedoch seine drahtigen Arme von dunklen Zeichnungen geziert. Seine Kleidung saß locker an seinem langen Körper, seine Füße dicht in das Fell seines Dromedars geschlagen. Seine braunen Augen blickten wachsam und forschend auf den fremden König und nur mit einem kaum erkennbaren Nicken nahm er diese Vorstellung zur Kenntnis. Dies also waren die nennbar hohen Männer im Gefolge der Königin. „Ich heiße Euch willkommen, Nari und Daray, Feldherren Libyens“ erwiderte der Pharao und wies nun seinerseits zurück zu seinen Flanken. „Mein Feldherr Ranab zur Rechten. Mein Hohepriester Djiag Bes Anchnun zur Linken.“ „Es ist uns eine Ehre, Königin Ras Lanuf“ sprach Djiag und öffnete seine Hand ihr entgegen. „Möge Euer Besuch in Ägypten unter freundlichem Himmel Früchte tragen.“ „Wir werden sehen.“ Sie schien auf freundliche Worte wenig zu geben und wollte nach ihrem Reittier greifen, doch der Pharao kam ihr höflich zuvor. „Wenn Ihr erlaubt, Königin“ sprach er freundlich. „Ihr habt sicher eine beschwerliche Reise bewältigt. Es wäre mir eine Freude, Euch in meiner Sänfte tragen zu lassen und erste Bande mit Euch zu knüpfen.“ Er wies zur Seite, wo eben acht kräftige Männer eine reich mit bunten Malereien verzierte und mit weichen Stoffen ausgekleidete Sänfte herantrugen. Die kupferne Farbe glänzte in der untergehenden Sonne und verschmolz mit der gebräunten Haut ihrer Träger. Die purpurnen Vorhänge waren geöffnet und zeigten den komfortablen Innenraum, welcher neben weichen Polstern und schillernden Stoffen, auch pralle Früchte und gute Kelche für die Reisenden versprach. Eine Sänfte für zwei, für den Pharao und seinen Gast. „Ich trage keine Waffen an mir“ versprach der König erneut auf den prüfenden Blick der Königin hin. „Bitte lasst das Gefährt von Euren Soldaten in Augenschein nehmen und gewährt mir die Freude, Euch persönlich geleiten zu dürfen.“ Sie tat nur einen kurzen Wink und ohne Zögern lösten sich vier Männer aus den vorderen Reihen ihres Gefolges. Ungehindert gingen die Soldaten bis zu der königlichen Sänfte vor und untersuchten diese. Es war verständlich, dass die Königin sichergehen musste, nicht Opfer eines Attentats zu werden. Doch ebenso musste auch der Pharao geschützt werden und so wurden die libyschen Soldaten von ägyptischen Soldaten streng beobachtet, damit diese nicht unbemerkt selbst Waffen oder Gift dort hinterlegten. Auch wenn dieser Besuch oberflächlich friedlich ablief, so spürte man dennoch das Misstrauen, welches sich beide Völker entgegenbrachten. Es würde schwer werden für zwei Staaten, welche einander so fremd waren und kurz vor einem Krieg standen. „Majestät, erlaubt mir, mich Euch in der Zwischenzeit selbst vorzustellen.“ Ohne noch länger zu Zögern, trat Ephrab aus dem schützenden Kreise seiner Soldaten hervor und kam ebenfalls allein zu den beiden Königshäuptern. Er setzte ein Lächeln auf, welches ihn keiner bösen Absichten bezichtigen konnte. Beschwingten Schrittes näherte er sich und hielt dennoch die Arme beruhigend weit vom Körper ab, da schon ägyptische und libysche Soldaten mit den Schwertern zuckten. „Mein Name ist Ephrab Inasis Enkh. Mein Sultan Sebuk Tigin sandte mich her, um Euch als neutraler Vermittler zu unterstützen. Er ist schon lange ein Verehrer des mächtigen Libyens und bietet Euch deshalb seine Hilfe an im Konflikt mit dem Tschad.“ Dass dies eine Lüge war, konnte man seinem Gesicht wahrlich nicht ansehen. Er wirkte so ernst, so echt. Ephrab war ein geborener Lügner und nun suchte er sich seinen Platz in den Verhandlungen. Sich als neutraler Vermittler aus dem fernen Ausland zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig eine nicht unbeachtenswerte Militärpräsenz zu zeigen, eröffnete ihm durchaus Chancen, in die Gespräche mit einbezogen zu werden. Der Pharao wusste, dass Ephrab versuchen würde, Ras Lanuf für sich zu gewinnen, um Ägypten zu erobern. Doch Ras Lanuf wusste dies nicht. Dennoch war dies die größte Gefahr. Sollte Ephrab sich Libyens Unterstützung sichern können, so war dies Atemus Ende. Denn zwei feindliche Armeen im eigenen Lande und gleichzeitig einen kriegerischen König Sarh im Tschad zurückzuschlagen, konnte selbst ein mächtiges Reich wie Ägypten nicht schaffen. Dies war Ephrabs verdeckte Kampfesansage gegen den ägyptischen Pharao. Und die Unterstützung Libyens würde die Entscheidung bringen, wer in Zukunft über das Reich des Nils herrschen würde. „Verehrte Königin, die Unschicklichkeit Euch zu berühren, ist mir wohl bekannt“ sprach Ephrab mit samtener Stimme und lächelte sie an. „Dennoch möchte ich Euch ergeben bitten, mir Eure Hand zum Kusse zu reichen.“ „Der Name deines Sultans ist mir unbekannt“ antwortete sie, ohne auf seine Offerte einzugehen. „Dennoch werde ich mir gern anhören, was du zu sagen hast. Da deine Armee ungehindert vor ägyptischen Mauern lagert, sehe ich mich wohl der Tatsache gegenüber, dass der Pharao dich bereits als Unterhändler akzeptiert hat.“ Daraufhin blickte sie den Pharao sehr intensiv an, fordernd und forschend mit ihren blitzenden Augen. „Ich mag es nicht, vor beschlossene Bedingungen gestellt zu werden, Pharao, und ich erwarte eine Erklärung von Euch hierzu.“ „Welche ich Euch gern geben werde“ antwortete er. Erstaunen oder Schrecken oder gar Stutzen ließ er nicht erkennen. Auch wenn er diese Handlung Ephrabs nicht hatte absehen können, nahm er diese vorerst hin und ließ sich keiner Unkenntnis bezichtigen. Er wäre kein guter Pharao, wenn er sich so leicht von einem Putschisten ausstechen lassen würde. Also hatte er keine Wahl als die Herausforderung Ephrabs anzunehmen. Doch hierbei durfte er sich zu keinem Zeitpunkt Schwäche anmerken lassen. Denn Ras Lanuf war durchaus keine Freundin Ägyptens … Kapitel 56: Kapitel 56 ---------------------- Kapitel 56 Zu den abendlichen Gesprächen zwischen dem Pharao, Königin Ras Lanuf und dem angeblich neutralen Vermittler aus dem hinteren Orient war Seth leider nicht geladen. Einzig anwesend waren Ephrab und sein Bruder Anhay. Die Königin hatte ihre beiden Feldherren beisitzen und der Pharao seinen Hohepriester, sowie seinen Feldherren. Und das Ergebnis dieser ersten Unterredung war noch nicht durch die Tempelflure gedrungen, sodass Seth nach einem kurzen Schlaf ebenso unruhig erwachte, wie er sich niedergelegt hatte. Ephrabs Plan war diabolisch, jedoch eine scharfe Intelligenz musste man ihm zugestehen. Sich als neutral auszugeben, war frei herausgesprochen genial. Denn so hatte er durchaus die Möglichkeit, seine eigene Armee anzubieten und Ras Lanuf in seine Putschpläne einzubeziehen. Und sie würde sicher die Gelegenheit erkennen und das schwächelnde Ägypten einnehmen. So würden beide davon profitieren. Und während Seth durch die Gänge streifte, um Djiag aufzusuchen, wuchs der Stein in seinem Magen. Atemu war ein ebenso intelligenter König mit viel Herz und Mitgefühl. Doch waren diese seine Werte in anderen Königshäusern nicht populär. Dort gehörte Kriegsführung zum täglichen Geschäft. Ägypten wollte unter seinem Pharao keinen Krieg führen und nun würde diese friedvolle Einstellung vielleicht seinen Untergang bedeuten. Tschad stand an den ägyptischen Grenzen und es war unausweichlich, dass es hier zu offenen Kämpfen kommen würde. Ausschlaggebend würde hier sein, ob Ägypten sich mit Libyen verbündete und sie die gemeinsame Bedrohung zurückschlagen könnten. Oder würde Libyen sich mit Tschad verbünden, den Feind zum Freund machen, um gemeinsam Ägypten einzunehmen? Oder würde Ephrab mit seiner orientalischen Armee und der Unterstützung durch Ras Lanuf erst Ägypten unterwerfen und dann den Tschad? Es gab so viele Möglichkeiten, doch nur eine einzige würde den Konflikt zu Gunsten Ägyptens umwenden können. Nämlich das Bündnis mit Libyen. Ägypten war stark, doch die Feinde waren zu viele. Und Atemu hatte nur sich selbst … und einen Geliebten, welcher ihm politisch nicht hilfreich war und seine Drangsal kaum nachfühlen konnte. „Ich bin nutzlos“ trauerte Seth gedämpft in Richtung seiner Schuhspitzen. Wenn er Atemu doch nur helfen könne, er würde es tun. Sofort und ohne Furcht. Doch wie? Es gab keine Möglichkeit für ihn. Er hatte keine hilfreichen Verbindungen, keine Schätze, die er einzusetzen vermochte. Alles was er hatte, war die Liebe zu ihm. Doch so groß wie diese auch immer sein möge, so konnte er damit weder ihn noch Ägypten retten. Vielleicht hatte er doch einen Fluch für den Pharao bedeutet. Der goldene König hatte sich mit einem schmutzigen Lustsklaven unrein gemacht und die Götter ließen ihn fallen. Dies war die Strafe dafür, dass der Pharao einem Unwürdigen seine Güte schenkte. Seth hatte Unglück über seine Liebe und über ganz Ägypten gebracht. Und es gab nichts, womit er diese Schuld jemals aufzuwiegen vermochte. Vielleicht wären diese Probleme niemals aufgekommen, wenn er damals einfach im roten Tempel bei seiner Verlobten geblieben wäre. Dann wäre der Pharao noch immer rein und das Reich von den Göttern gesegnet. Es würde keine Buße geben, welche jemals groß genug wäre, um diese Sünde zu tilgen. Aus seinen Gedanken aufgeschreckt wurde Seth als er einen harschen Ton an seinem Ohr vernahm. Eine Stimme, herrisch und unwirsch, sodass sie ihn aufhorchen und mitten im Schritt stehen ließ. „Das sage ich euch später. Und nun geht mir endlich aus den Augen!“ Seth war dabei, in die große Tempelhalle hineinzugehen, von wo aus er eigentlich zum Hohepriester gelangen wollte. Doch am Eingang erblickte er Anhay, welcher mit diesen rüden Worten seine Soldaten fortschickte und allein die Schwelle in die heilige Halle übertrat. Die ausländischen Soldaten hatten im Tempel keinen Zugang, aber als die jungen Priesterschüler, welche als Wachen am Rande abgestellt waren, auf ihn zugingen, ließ er sie ohne einen Blick stehen. Er strich sich die Ärmel seines goldgelben Hemdes glatt und schenkte den Torwachen keinerlei Beachtung. Es war direkt frech, dass er hier eindrang, ohne eine priesterliche Begleitung und damit eine ausdrückliche Erlaubnis zu besitzen. „Entschuldigt, Soldat“ sprach einer der grüngewandeten Priesterschüler ihn höflich an und folgte ihm ein paar Schritte. „Ihr habt hier keinen Zutritt. Ich muss Euch leider bitten …“ Doch er schien den Jungen nicht weiter zu bemerken, sondern setzte weiter selbstsicher einen Schritt vor den anderen. „Soldat, bitte macht kehrt“ sprach der Priesterschüler ihn fast flehend an. „Warum? Wollen deine Götter mich hier nicht sehen?“ Anhay blieb stehen und spießte den armen Pflichtbewussten mit seinen glänzenden Augen auf. Wer ihn unhöflich und rüde nannte, sprach die Wahrheit. Er schien ein Mann zu sein, welcher sich ungern etwas befehlen oder sich den Zutritt verwehren ließ. Von seinen tränengefüllten Augen, mit welchen er Seth verwechselt hatte oder der bedrückten Stimme, mit welcher er zu Ephrab gesprochen hatte, war nicht ein Hauch geblieben. Dafür zeigte er Zorn und Arroganz. So wie ihn auch seine Soldaten zu spüren bekamen. „Wenn Ihr Zutritt wünscht, wendet Euch bitte zuvor an unseren Hohepriester“ bat der verzweifelte Schüler. „Dies hier sind heilige Hallen für uns Ägypter.“ „Ägypter“ spuckte er ihm vor die Füße. Dann wand er sich ab und schritt weiter schnellen Schrittes voran. Doch da kamen auch bereits die ersten Soldaten, welche in grau und blau gekleidet den Tempel bewachten. Der zweite Priesterschüler musste sie alarmiert haben und nun stellten sich dem dunklen Anhay gleich fünf kräftige Ägypter in den Weg. „Geht!“ sprach der Kleinste aus ihren Reihen, welcher jedoch das breiteste Schwert trug, welches er in diesem Augenblick zog. „Ausländer sind hier nicht erwünscht. Und ausländische Soldaten noch weniger.“ „Verlogenes Pack!“ Trotz der Überzahl an ägyptischen Soldaten zog er seinen Dolch aus der teuer verzierten Scheide und drohte dem Hauptmann in ebengleicher Form. Angst zeigte er keine, nicht eine Spur. Und es ließ sich erkennen, dass dies durchaus nicht sein erster Kampf wäre. Seth erkannte diese deutliche Kampfhaltung und war sich nicht sicher, ob fünf Männer gegen ihn wirklich ausreichend wären. Immerhin musste es einen Grund haben, weshalb er ein ganzes Heer befehligte. Doch wenn es hier Klingengerassel und Blutvergießen gab, besonders mit einem derzeit so wichtigen Mann wie Anhay, wäre sicher auch der morgige Feiertag in Gefahr. Morgen wollte das Volk hier in der Halle feiern und so kurz zuvor den Tempel mit Blut zu beschmutzen, war dem Pharao sicher kein Vorteil. „Anhay!“ Seth konnte das nicht tatenlos geschehen lassen. Sollte Ephrabs Bruder etwas zustoßen, würde sicher Rache am Pharao drohen. Und noch dringendere Bedrohung war in der derzeitigen Lage unter allen Umständen zu vermeiden. So lief Seth zu der klingenglänzenden Ansammlung herüber und blieb vorerst sicher zwischen den ägyptischen Soldaten stehen. Kurz atmete er durch und musste sich ein Szenario im Kopf schaffen. Wie konnte er dies hier entschärfen? Zumal Anhay ihn mit verengten Augen sehr genau beobachtete. „Ich habe Euch nicht so früh erwartet.“ Es würde ein vergebenes Unterfangen sein, Anhay ohne Kampf aus den heiligen Hallen zu verweisen. So wählte er den anderen Weg. „Dennoch seid Ihr uns willkommen.“ Er nickte ihm in einer leichten Verbeugung zu und begegnete seinem stechenden Blick mit versöhnlichen Augen. Wenn Anhay keinen Kampf mit den Tempelwachen provozieren wollte, so war dies seine Gelegenheit, die Situation zu beschwichtigen. „Guten Morgen, Feldherr. Möge Amun Euren Tag segnen.“ „Guten Morgen, Priester“ erwiderte er dann und nickte ihm verständig zu. „Wachhauptmann, bitte verzeiht.“ Seth drehte sich zu dem kleinen Mann mit dem breiten Schwert um und verbeugte sich höflich. „Ich habe die Zeit vergessen und den Besucher nicht gemeldet. Bitte lasst Eure Waffen ruhen.“ „Besuch. Für Euch.“ Der Hauptmann blickte Seth misstrauisch an. Scheinbar glaubte er ihm nicht. „Bei allem Respekt, Priester, was habt Ihr mit diesem Feldherren zu schaffen?“ „Ich schätze Euren Schutz für unseren Tempel, Wachhauptmann. Jedoch muss ich mich Euch nicht erklären. Anhay ist mein Gast und damit auch Gast des Pharao. Wenn Ihr meinem Wort nicht glaubt, so muss ich nach der Majestät schicken lassen.“ „Nicht nötig. Ich glaube Euch, Seth.“ Er steckte sein Schwert weg und gab auch seinen Männern einen kurzen Blick, worauf diese es ihm nachtaten. Wenn Seth nach dem Pharao rief, würde dieser sicher auch folgen. Und der Hoheit zu erklären, weshalb man seinen Geliebten unwürdig behandelte, konnte großen Ärger nach sich ziehen. „Dennoch erlaubt mir zu sagen, Priester, dass ich Eure Gästeliste für bedenkenswert erachte.“ „Euer Schutz wird nun nicht mehr gebraucht. Habt Dank für Eure Mühen.“ Er wimmelte den Soldatentrupp an und richtete sich an seinen Gast. „Bitte folgt mir, Anhay.“ Dieser steckte nun vollends überzeugt ebenfalls seinen Dolch fort und folgte dem Priester. Zu den Soldaten blickte keiner von ihnen zurück, auch wenn diese noch einen ganzen Augenblick am Halleneingang verharrten und dem Eindringling warnende Blicke nachwarfen. Auf Anhay ließ kaum jemand bei Hofe ein gutes Wort fallen. Und was ausgerechnet Seth mit einem wie ihm zu schaffen hatte, würde sicher Aufregung geben. Dennoch führte er seinen unverhofften Gast hinter die großen Säulen und in einen kleineren Gang, welcher in Richtung der Gebetsräume führte. Erst als sie außer Sicht- und Hörweite kamen, erhob Seth sein Wort. „Was genau wünscht Ihr hier, Anhay?“ Seine Worte waren direkt, jedoch wollte er nicht vorwurfsvoll klingen. Mit etwas Glück bekam er vielleicht wirklich heraus, welchen Zweck er mit seinem Erscheinen hier verfolgte. Und wie er Ephrab beikommen konnte. Immerhin war Anhay sein Bruder und ganz sicher in all seine Pläne eingeweiht. „Dein Name ist Seth. Du bist der Geliebte des Pharao.“ Auch wenn dies keine Antwort auf die gestellte Frage war, so forderte er selbst nun Antworten. „Ja, der bin ich.“ Er ging ein wenig langsamer und ließ den dunkelhäutigen Feldherren neben sich treten, um gemeinsam mit ihm ein paar ziellose Schritte durch dieses ruhige Tempelareal zu gehen. Obwohl Anhay ein gefährlicher und mächtiger Mann war, so war er doch hübsch anzusehen. Seine schwarze Haut, seine muskulösen Arme, seine geraden Beine und die farbensatte Uniform. Er war kräftig, jedoch ohne muskelbeladen zu wirken. Wäre er nicht ein Feind, könnte Seth seine Anwesenheit mit Glück sogar als angenehm empfinden. „Neulich auf dem Vorplatz habt Ihr mich verwechselt. Darf ich fragen, wer dieser Zahir ist, den ihr zu erkennen glaubtet?“ „Jemand, den ich seit Jahren suche“ antwortete er und seine Stimme nahm einen fast bedächtig ruhigen Klang an. „Du siehst ihm sehr ähnlich. Zu ähnlich. Sag, aus welchem Teil Ägyptens stammst du?“ „Erst möchte ich erfahren, was Ihr hier sucht. Fremden ist der Tempelzutritt ohne Begleitung derzeit nicht gestattet“ erwiderte Seth ruhig. „Ihr wisst, dass es unratsam ist, sich mit den Tempelwachen anzulegen.“ „Es wäre unratsam für sie, sich mit mir anzulegen. Auch ohne meine volle Armee habe ich derzeit Kontrolle über den Palast. Und das wissen des Pharaos Soldaten sehr genau.“ „Warum wollt Ihr dem Pharao schaden? Welchen Zweck verfolgt ihr mit Euren Plänen hier?“ „Du bist wahrlich noch nicht lang bei Hofe. Deine Fragen sind zu direkt.“ Anhay setzte ein belustigtes Lächeln auf. Scheinbar nahm er Seth nicht ernst. „Ich mag Männer, welche frei heraus sprechen. Du scheinst so geheimnisvoll unverdorben, Priester. Hoffentlich erhältst du dir dies, bevor der hohe Umgang mit dem Pharao auch dich verdirbt … oder dich noch geheimnisvoller macht.“ „Warum hasst Ihr den Pharao so? Weshalb wollt Ihr Ägypten ins Unglück stürzen?“ „Das frag eher meinen Bruder. Ich bin nur sein Feldherr“ antwortete er und blickte forschend an ihm hinauf. „Sag, ist Seth dein Geburtsname?“ „Was wollt Ihr hier?“ So langsam machten ihn Anhays Fragen nervös. Diese Fragen nach seiner Herkunft und seinem Namen. Zudem wusste er, dass Seth noch nicht lang im Palasttempel beheimatet war und er bezeichnete ihn als geheimnisvoll. Wenn er irgendetwas über seine Vergangenheit, über seine schmutzige Identität, über sein verdorbenes Geheimnis wüsste, so besaß er ein Druckmittel, um den Pharao auch ohne Soldaten vom Thron zu stürzen. Dann würde Ägypten eigenhändig seinen König verstoßen. „Dass mein Bruder der neue Pharao zu werden gedenkt, ist dir sicher nicht entgangen“ antwortete Anhay ihm ebenso direkt, wie er es selbst schätzte. „Ich selbst verfolge jedoch eigene, persönliche Pläne. Und wenn ich meinem Bruder erst zum Sieg verholfen habe, wird er mir gegenzüglich helfen. Und wer könnte eine größere Hilfe sein als der Pharao selbst? Wie vorteilhaft es ist, königlichen Schutz zu genießen, solltest du wohl sehr genau wissen.“ „Wollt Ihr mich erpressen? Was wollt Ihr Anhay?“ „Dich erpressen? Sprich, gäbe es denn etwas, womit ich dich erpressen könnte, junger Priester?“ Er lächelte ihn wissend an und schien sich seiner sehr sicher. Zu sicher. „Jeder hat ein dunkles Geheimnis. Selbst deine Götter haben Dreck am Stecken. Und ganz sicher auch der Pharao.“ In diesem Moment wusste Seth keine Antwort, keine Worte auf diese Situation. Mit der Handlung, dein Feind hereinzubitten, hatte er sich übernommen. Anhay war ein gefürchteter Feldherr und eine wichtige Spielfigur im Palast. Sich allein mit ihm zu treffen und sich seinen scharfen Worten, seinem entwaffnenden Blick zu stellen … wie konnte Seth nur glauben, er würde etwas ausrichten können? Ein Geheimnis aus Anhay auszufragen, war ebenso unmöglich, wie alle Feinde Ägyptens zu besänftigen. Besonders wenn man selbst ein so schmutziges Geheimnis bewahrte. Er hätte dem Pharao niemals folgen dürfen. Nicht jemand wie er. Und je mehr er seine Hilfe anbot, desto tiefer ließ er den Pharao im Sumpf der Intrigen versinken. Ihm stieg das Gefühl auf, dass sein gefährliches Geheimnis sehr bald gotteslästerliche Kunde von den Palasttürmen rufen würde. „Sieh mich doch nicht so bedrückt an, Priester“ schmunzelte der dunkelhäutige Feldherr und strich sich elegant ein paar verirrte Haare aus dem Gesicht. „Wenn du weiter so freundlich zu mir bist wie heute, lasse ich dich vorerst nicht niedermetzeln.“ „Was macht Euch so sicher, dass Ihr siegt? Ihr solltet die ägyptische Wehrhaftigkeit nicht unterschätzen.“ „Jetzt werde nicht patzig.“ Er sah Seth an, ernst. Sein Lächeln verschwand und wieder musterte er ihn mit diesem scharfen, schwarzen Blick. Anhay war gefährlich. Auch wenn er vielleicht eine weiche Seite hatte, so ließ er dort jedoch keinen Feind heran. „Denkst du, ich wäre heute Herr über eine Sultan-Armee, wenn ich mein Gegenüber unterschätze? Und dir rate ich, eher uns nicht zu unterschätzen. Mein Bruder hat Ras Lanuf nach der letzten Nacht schon fast vollends für sich gewonnen. Die Tage bis zum Untergang des alten Pharaos kannst du an einer Hand abzählen, wenn der Feiertag morgen in einem Desaster endet.“ „Der Feiertag“ flüsterte Seth uns Sorge zog ihm die Brust enger. Der morgige Feiertag war der wichtigste Termin des religiös ägyptischen Kalenders. Morgen wurden die verstorbenen Pharaonen, der jetzige und sein Nachfolger geehrt. Das Volk freute sich seit Wochen auf nichts anderes mehr. Und Seth würde Vorbeter auf dem Tempelplatz sein und über die strahlenden Taten des Pharao sprechen. Das Volk fieberte dem entgegen, den schönen Geliebten des Pharao sprechen zu hören. Sollte ausgerechnet an diesem Tage herauskommen, dass der Pharao einen Lustsklaven zum Priester erhob, ihn in sein Bett holte und ihm gestattete das Vorgebet zu sprechen … Atemu würde nicht nur sein Ansehen verlieren, sondern auch seine Glaubwürdigkeit und seine Krone. Mit seiner Liebe zu einem Sklaven, welchen er in den heiligen Priesterstand erhob, beging er Hochverrat an den eigenen Göttern. „Priester?“ Anhay blieb mit ihm stehen und schenkte seinem Blick beinahe den Anschein von Sorge. „Fühlst du dich wohl? Du bist so fahl.“ „Und du?“ fragte er mit bebender Stimme zurück. „Du hast eine schwarze Hautfarbe und gehörst dennoch mit deinem Bruder in eine Familie. Du solltest doch verstehen, dass Liebesbande über Stand und Etikette hinausgehen können.“ „Ist das so?“ erwiderte er mit gedämpfter Stimme. „Wo kommst du her, Priester? Warum sprichst du nicht aus, was du verheimlichst?“ „Du weißt genau, warum ich das nicht kann! Aber wenn du jemanden metzeln willst, dann metzle mich! Ägypten braucht seinen Pharao! Es ist ein Fehler, dem Pharao schaden zu wollen, weil ich ihn beschmutzt habe! Anhay, es ist ein Fehler! Bei allen Göttern, ich tue alles für dich, wenn du ihn verschonst!“ „Dann vertraue dich nicht den Göttern an, sondern mir.“ Er griff Seth am Unterarm und schraubte seinen Griff fest. Er zog den größeren Priester zu sich heran, während er ihn an die Wand drängte. Er hielt ihn an den kühlen Stein gedrückt, sein dunkler Blick fraß sich wie Säure in Seths Herz. Anhay hatte ihn in der Hand, vollends, als sein warmer Atem ihm ins Gesicht hauchte. „Wo kommst du her? Ein so junger Priester mit solch größer Schönheit wie du, stört das Bild aller. Es ist jedem auffällig, dass mit dir etwas nicht stimmt. Aber ich will es von dir hören. Wo kommst du her?“ „Ich weiß es doch nicht.“ Tränen stiegen in seine Augen, Angst raubte ihm die Luft. Anstatt Atemu helfen zu können, war er nun sein Untergang. „Ich weiß nicht, wo ich herkomme. Ich erinnere mich nicht. Du hast Recht, ich bin des Pharaos größter Fehler. Aber ich flehe dich an, verrate ihn nicht. Du darfst ihn nicht stürzen und töten lassen. Er liebt mich. Es ist schändlich, aber er liebt mich. Und ich liebe ihn.“ „Warum erinnerst du dich nicht an deine Herkunft? Sprich.“ Seine Tränen, seine Verzweiflung rührten Anhays Herz nicht. Er wollte es endlich selbst hören. Die Geschichte, welche dem schönen Priester in unsichtbaren Zeichen aufgebrannt war. „Sie haben mir mein Leben genommen! Alles! Ich weiß nichts mehr! Nichts!“ „Wer? Wer hat dir dein Leben genommen? Rede, Priester! Wo bist du aufgewachsen? Wo kommst du her?“ „Aus dem Sklavenhaus!“ spie er ihm entgegen und schluchzte. Jetzt konnte ihn auch Anhay nicht länger halten und musste den Priester an der kalten Wand herabgleiten lassen. Dort blieb er sitzen, zusammengekauert, aufgelöst. Der Schmerz brach ihm alle Gefühle, alle Vernunft, alles Denken. Er wollte Atemu beschützen, doch bedeutete er nur mehr Probleme und ein schändliches Stück Wahrheit. Er hätte Atemu nicht folgen dürfen. Dies war sein schlimmster Fehler. Dass sein schmutziges Geheimnis irgendwann ans Tageslicht treten würde, hatte er immer befürchtet. Nur hatte er gehofft, dass es nicht inmitten von Putschisten geschah. „Aus dem Sklavenhaus“ wiederholte Anhay mit gleichtoniger Stimme. „Du bist kein Priester, du bist ein Sklave. Welch ein Sklave? Du trägst keine Sklavenkreuze an den Händen. Sprich.“ „Ich … muss … unversehrt …“ schluchzte er bis ihm die Stimme ausblieb. Er konnte nicht weitersprechen. Er wünschte sich, die Götter würden ihn in diesem Moment holen und auslösen aus dieser ekelhaften Liebe, mit welcher er den prächtigsten und gütigsten aller Pharaonen verdammte. Sollten die Götter seine Seele auslöschen, wenn sie doch nur ihren heiligen Sohn freisprachen. „Unversehrt sein für den Pharao. Und frei von unserer Vergangenheit. Aus mir wollten sie auch einen Lustsklaven machen“ berichtete der dunkle Feldherr und kniete sich herunter, mit ihm auf eine Höhe. „Doch ich hatte Glück und wurde von einer hochgestellten, ausländischen Frau angenommen. So wurde ich Ephrabs Bruder und bin nun zurück, um Rache zu nehmen für das Leid, welches wir erdulden mussten. Weißt du, Priester, auch ich bin Ägypter.“ „Was?“ tränenverflossen blickte er auf und konnte den Ton in der weichen Stimme des dunkelhäutigen Mannes nicht glauben. „Du bist Ägypter?“ „Nun ja, zur Hälfte“ sprach er sanft weiter. „Mein Vater war Ägypter, meine Mutter kam als Sklavin aus den südlichen Reichen über Tschad an den Nil. Als Sklavenkind, noch dazu mit dunkler Haut, hätte ich ein Leben wie jeder Sklave führen müssen. Doch habe ich die feinen Gesichtszüge meines Vaters und meine Mutter war ungekennzeichnet. So nahm er sie zur Zweitfrau und zog mich auf wie ein ägyptisches Kind. Meine Familie siedelte sich hierzu auf der anderen Seite des Nils an, wo uns niemand kannte und man meine Mutter als sesshaft gewordene Händlerstochter ausgeben konnte. Wäre herausgekommen, dass mein Vater eine Sklavin zur Zweitfrau nahm, so hätte man ihn des Hochverrats bezichtigt. Doch er tat es, da er mich und meine Mutter liebte. Bis sein Geheimnis enthüllt wurde und meine Familie getötet. Ich verstehe also deine Misere besser als du glaubst.“ „Dann versteh … bitte …“ Er blickte ihn an, Tränen liefen über seine Wangen und benetzten seine Lippen. „Der Pharao nahm mich an, trotz … trotz der Gefahr … und des Schmutzes. Er ist wie … wie dein Vater. Er rettete mein Leben.“ „Ich bin nicht zurück nach Ägypten gekommen, um den Pharao zu töten“ erwiderte er und wischte ihm die Tränen von den Wangen. „Den Palast einzunehmen, ist die Idee meines Bruders. Ich helfe ihm, da ich die Hilfe des heiligsten Mannes brauche. Und den jetzigen Pharao kann ich nicht bitten, da ich Schande über den toten Namen meines Vaters bringen würde. Ich vertraue auf Ephrabs Hilfe, wenn ich ihm helfe.“ „Aber auch der Pharao würde dir helfen. Wenn du ihn bittest, unterstützt er dich. Er hasst uns Sklaven nicht. Wir sind Menschen für ihn. Er ist gütig und reinherzig.“ „Das glaube ich dir, Priester“ seufzte er und zog seine Hände zurück, verschränkte sie in bedrückter Manier. „Jedoch Ephrab ist mein Bruder. Ich kann ihn nicht verraten. Nun wo er mich braucht.“ „Vielleicht kennst du Ephrab nicht wirklich. Er hat konservative Ansichten, für ihn sind Sklaven niederes Getier. Glaubst du, er wird dir helfen, wenn er deine Vergangenheit kennt?“ „Dass meine Mutter Sklavin war, weiß er. Doch ich bin zu mächtig, als dass er mich verachten könnte. Ephrab liebt die Personen, die ihm nützlich sein können. Ohne den Ansporn, meiner neuen Familie zu gefallen, wäre ich heute kein Feldherr. Und mein Bruder nicht bald Pharao.“ „Aber du kannst nicht …“ „Jeder ist sich selbst der Nächste. Dies weißt du sehr genau, Priester“ unterbrach er ihn mit gedämpfter Stimme. „Ich bin hier, weil ich etwas Bestimmtes will. Und hierfür bin ich bereit, Opfer zu bringen. Aber dir will ich Unversehrtheit versprechen. Ich bürge dafür, dass du ewig als Priester leben wirst. Auch unter der Herrschaft meines Bruders.“ „Warum?“ Er blickte an ihm hinauf und hinfort war das harte Bild des schwarzhäutigen Feldherren. Es war, als sehe er vor sich eine Seele wie seine. Eine Sklavenseele, treu und verletzt – und bereit zum Kämpfen. „Weil du mich an ihn erinnerst“ lächelte Anhay traurig und blickte ihm tief in die Augen. Doch sein Blick hatte das Gift verloren, fühlte sich beinahe liebevoll an. Seth erkannte, auch Feinde des Pharaos waren Menschen. Anhay war kein böser Mann, er war treu und dankbar. Und auf der Suche nach seinem Glück. Nur leider führte sein Weg des Glücks über Ägyptens Thron … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)