Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III von masamume ================================================================================ Kapitel 56: Kapitel 56 ---------------------- Kapitel 56 Zu den abendlichen Gesprächen zwischen dem Pharao, Königin Ras Lanuf und dem angeblich neutralen Vermittler aus dem hinteren Orient war Seth leider nicht geladen. Einzig anwesend waren Ephrab und sein Bruder Anhay. Die Königin hatte ihre beiden Feldherren beisitzen und der Pharao seinen Hohepriester, sowie seinen Feldherren. Und das Ergebnis dieser ersten Unterredung war noch nicht durch die Tempelflure gedrungen, sodass Seth nach einem kurzen Schlaf ebenso unruhig erwachte, wie er sich niedergelegt hatte. Ephrabs Plan war diabolisch, jedoch eine scharfe Intelligenz musste man ihm zugestehen. Sich als neutral auszugeben, war frei herausgesprochen genial. Denn so hatte er durchaus die Möglichkeit, seine eigene Armee anzubieten und Ras Lanuf in seine Putschpläne einzubeziehen. Und sie würde sicher die Gelegenheit erkennen und das schwächelnde Ägypten einnehmen. So würden beide davon profitieren. Und während Seth durch die Gänge streifte, um Djiag aufzusuchen, wuchs der Stein in seinem Magen. Atemu war ein ebenso intelligenter König mit viel Herz und Mitgefühl. Doch waren diese seine Werte in anderen Königshäusern nicht populär. Dort gehörte Kriegsführung zum täglichen Geschäft. Ägypten wollte unter seinem Pharao keinen Krieg führen und nun würde diese friedvolle Einstellung vielleicht seinen Untergang bedeuten. Tschad stand an den ägyptischen Grenzen und es war unausweichlich, dass es hier zu offenen Kämpfen kommen würde. Ausschlaggebend würde hier sein, ob Ägypten sich mit Libyen verbündete und sie die gemeinsame Bedrohung zurückschlagen könnten. Oder würde Libyen sich mit Tschad verbünden, den Feind zum Freund machen, um gemeinsam Ägypten einzunehmen? Oder würde Ephrab mit seiner orientalischen Armee und der Unterstützung durch Ras Lanuf erst Ägypten unterwerfen und dann den Tschad? Es gab so viele Möglichkeiten, doch nur eine einzige würde den Konflikt zu Gunsten Ägyptens umwenden können. Nämlich das Bündnis mit Libyen. Ägypten war stark, doch die Feinde waren zu viele. Und Atemu hatte nur sich selbst … und einen Geliebten, welcher ihm politisch nicht hilfreich war und seine Drangsal kaum nachfühlen konnte. „Ich bin nutzlos“ trauerte Seth gedämpft in Richtung seiner Schuhspitzen. Wenn er Atemu doch nur helfen könne, er würde es tun. Sofort und ohne Furcht. Doch wie? Es gab keine Möglichkeit für ihn. Er hatte keine hilfreichen Verbindungen, keine Schätze, die er einzusetzen vermochte. Alles was er hatte, war die Liebe zu ihm. Doch so groß wie diese auch immer sein möge, so konnte er damit weder ihn noch Ägypten retten. Vielleicht hatte er doch einen Fluch für den Pharao bedeutet. Der goldene König hatte sich mit einem schmutzigen Lustsklaven unrein gemacht und die Götter ließen ihn fallen. Dies war die Strafe dafür, dass der Pharao einem Unwürdigen seine Güte schenkte. Seth hatte Unglück über seine Liebe und über ganz Ägypten gebracht. Und es gab nichts, womit er diese Schuld jemals aufzuwiegen vermochte. Vielleicht wären diese Probleme niemals aufgekommen, wenn er damals einfach im roten Tempel bei seiner Verlobten geblieben wäre. Dann wäre der Pharao noch immer rein und das Reich von den Göttern gesegnet. Es würde keine Buße geben, welche jemals groß genug wäre, um diese Sünde zu tilgen. Aus seinen Gedanken aufgeschreckt wurde Seth als er einen harschen Ton an seinem Ohr vernahm. Eine Stimme, herrisch und unwirsch, sodass sie ihn aufhorchen und mitten im Schritt stehen ließ. „Das sage ich euch später. Und nun geht mir endlich aus den Augen!“ Seth war dabei, in die große Tempelhalle hineinzugehen, von wo aus er eigentlich zum Hohepriester gelangen wollte. Doch am Eingang erblickte er Anhay, welcher mit diesen rüden Worten seine Soldaten fortschickte und allein die Schwelle in die heilige Halle übertrat. Die ausländischen Soldaten hatten im Tempel keinen Zugang, aber als die jungen Priesterschüler, welche als Wachen am Rande abgestellt waren, auf ihn zugingen, ließ er sie ohne einen Blick stehen. Er strich sich die Ärmel seines goldgelben Hemdes glatt und schenkte den Torwachen keinerlei Beachtung. Es war direkt frech, dass er hier eindrang, ohne eine priesterliche Begleitung und damit eine ausdrückliche Erlaubnis zu besitzen. „Entschuldigt, Soldat“ sprach einer der grüngewandeten Priesterschüler ihn höflich an und folgte ihm ein paar Schritte. „Ihr habt hier keinen Zutritt. Ich muss Euch leider bitten …“ Doch er schien den Jungen nicht weiter zu bemerken, sondern setzte weiter selbstsicher einen Schritt vor den anderen. „Soldat, bitte macht kehrt“ sprach der Priesterschüler ihn fast flehend an. „Warum? Wollen deine Götter mich hier nicht sehen?“ Anhay blieb stehen und spießte den armen Pflichtbewussten mit seinen glänzenden Augen auf. Wer ihn unhöflich und rüde nannte, sprach die Wahrheit. Er schien ein Mann zu sein, welcher sich ungern etwas befehlen oder sich den Zutritt verwehren ließ. Von seinen tränengefüllten Augen, mit welchen er Seth verwechselt hatte oder der bedrückten Stimme, mit welcher er zu Ephrab gesprochen hatte, war nicht ein Hauch geblieben. Dafür zeigte er Zorn und Arroganz. So wie ihn auch seine Soldaten zu spüren bekamen. „Wenn Ihr Zutritt wünscht, wendet Euch bitte zuvor an unseren Hohepriester“ bat der verzweifelte Schüler. „Dies hier sind heilige Hallen für uns Ägypter.“ „Ägypter“ spuckte er ihm vor die Füße. Dann wand er sich ab und schritt weiter schnellen Schrittes voran. Doch da kamen auch bereits die ersten Soldaten, welche in grau und blau gekleidet den Tempel bewachten. Der zweite Priesterschüler musste sie alarmiert haben und nun stellten sich dem dunklen Anhay gleich fünf kräftige Ägypter in den Weg. „Geht!“ sprach der Kleinste aus ihren Reihen, welcher jedoch das breiteste Schwert trug, welches er in diesem Augenblick zog. „Ausländer sind hier nicht erwünscht. Und ausländische Soldaten noch weniger.“ „Verlogenes Pack!“ Trotz der Überzahl an ägyptischen Soldaten zog er seinen Dolch aus der teuer verzierten Scheide und drohte dem Hauptmann in ebengleicher Form. Angst zeigte er keine, nicht eine Spur. Und es ließ sich erkennen, dass dies durchaus nicht sein erster Kampf wäre. Seth erkannte diese deutliche Kampfhaltung und war sich nicht sicher, ob fünf Männer gegen ihn wirklich ausreichend wären. Immerhin musste es einen Grund haben, weshalb er ein ganzes Heer befehligte. Doch wenn es hier Klingengerassel und Blutvergießen gab, besonders mit einem derzeit so wichtigen Mann wie Anhay, wäre sicher auch der morgige Feiertag in Gefahr. Morgen wollte das Volk hier in der Halle feiern und so kurz zuvor den Tempel mit Blut zu beschmutzen, war dem Pharao sicher kein Vorteil. „Anhay!“ Seth konnte das nicht tatenlos geschehen lassen. Sollte Ephrabs Bruder etwas zustoßen, würde sicher Rache am Pharao drohen. Und noch dringendere Bedrohung war in der derzeitigen Lage unter allen Umständen zu vermeiden. So lief Seth zu der klingenglänzenden Ansammlung herüber und blieb vorerst sicher zwischen den ägyptischen Soldaten stehen. Kurz atmete er durch und musste sich ein Szenario im Kopf schaffen. Wie konnte er dies hier entschärfen? Zumal Anhay ihn mit verengten Augen sehr genau beobachtete. „Ich habe Euch nicht so früh erwartet.“ Es würde ein vergebenes Unterfangen sein, Anhay ohne Kampf aus den heiligen Hallen zu verweisen. So wählte er den anderen Weg. „Dennoch seid Ihr uns willkommen.“ Er nickte ihm in einer leichten Verbeugung zu und begegnete seinem stechenden Blick mit versöhnlichen Augen. Wenn Anhay keinen Kampf mit den Tempelwachen provozieren wollte, so war dies seine Gelegenheit, die Situation zu beschwichtigen. „Guten Morgen, Feldherr. Möge Amun Euren Tag segnen.“ „Guten Morgen, Priester“ erwiderte er dann und nickte ihm verständig zu. „Wachhauptmann, bitte verzeiht.“ Seth drehte sich zu dem kleinen Mann mit dem breiten Schwert um und verbeugte sich höflich. „Ich habe die Zeit vergessen und den Besucher nicht gemeldet. Bitte lasst Eure Waffen ruhen.“ „Besuch. Für Euch.“ Der Hauptmann blickte Seth misstrauisch an. Scheinbar glaubte er ihm nicht. „Bei allem Respekt, Priester, was habt Ihr mit diesem Feldherren zu schaffen?“ „Ich schätze Euren Schutz für unseren Tempel, Wachhauptmann. Jedoch muss ich mich Euch nicht erklären. Anhay ist mein Gast und damit auch Gast des Pharao. Wenn Ihr meinem Wort nicht glaubt, so muss ich nach der Majestät schicken lassen.“ „Nicht nötig. Ich glaube Euch, Seth.“ Er steckte sein Schwert weg und gab auch seinen Männern einen kurzen Blick, worauf diese es ihm nachtaten. Wenn Seth nach dem Pharao rief, würde dieser sicher auch folgen. Und der Hoheit zu erklären, weshalb man seinen Geliebten unwürdig behandelte, konnte großen Ärger nach sich ziehen. „Dennoch erlaubt mir zu sagen, Priester, dass ich Eure Gästeliste für bedenkenswert erachte.“ „Euer Schutz wird nun nicht mehr gebraucht. Habt Dank für Eure Mühen.“ Er wimmelte den Soldatentrupp an und richtete sich an seinen Gast. „Bitte folgt mir, Anhay.“ Dieser steckte nun vollends überzeugt ebenfalls seinen Dolch fort und folgte dem Priester. Zu den Soldaten blickte keiner von ihnen zurück, auch wenn diese noch einen ganzen Augenblick am Halleneingang verharrten und dem Eindringling warnende Blicke nachwarfen. Auf Anhay ließ kaum jemand bei Hofe ein gutes Wort fallen. Und was ausgerechnet Seth mit einem wie ihm zu schaffen hatte, würde sicher Aufregung geben. Dennoch führte er seinen unverhofften Gast hinter die großen Säulen und in einen kleineren Gang, welcher in Richtung der Gebetsräume führte. Erst als sie außer Sicht- und Hörweite kamen, erhob Seth sein Wort. „Was genau wünscht Ihr hier, Anhay?“ Seine Worte waren direkt, jedoch wollte er nicht vorwurfsvoll klingen. Mit etwas Glück bekam er vielleicht wirklich heraus, welchen Zweck er mit seinem Erscheinen hier verfolgte. Und wie er Ephrab beikommen konnte. Immerhin war Anhay sein Bruder und ganz sicher in all seine Pläne eingeweiht. „Dein Name ist Seth. Du bist der Geliebte des Pharao.“ Auch wenn dies keine Antwort auf die gestellte Frage war, so forderte er selbst nun Antworten. „Ja, der bin ich.“ Er ging ein wenig langsamer und ließ den dunkelhäutigen Feldherren neben sich treten, um gemeinsam mit ihm ein paar ziellose Schritte durch dieses ruhige Tempelareal zu gehen. Obwohl Anhay ein gefährlicher und mächtiger Mann war, so war er doch hübsch anzusehen. Seine schwarze Haut, seine muskulösen Arme, seine geraden Beine und die farbensatte Uniform. Er war kräftig, jedoch ohne muskelbeladen zu wirken. Wäre er nicht ein Feind, könnte Seth seine Anwesenheit mit Glück sogar als angenehm empfinden. „Neulich auf dem Vorplatz habt Ihr mich verwechselt. Darf ich fragen, wer dieser Zahir ist, den ihr zu erkennen glaubtet?“ „Jemand, den ich seit Jahren suche“ antwortete er und seine Stimme nahm einen fast bedächtig ruhigen Klang an. „Du siehst ihm sehr ähnlich. Zu ähnlich. Sag, aus welchem Teil Ägyptens stammst du?“ „Erst möchte ich erfahren, was Ihr hier sucht. Fremden ist der Tempelzutritt ohne Begleitung derzeit nicht gestattet“ erwiderte Seth ruhig. „Ihr wisst, dass es unratsam ist, sich mit den Tempelwachen anzulegen.“ „Es wäre unratsam für sie, sich mit mir anzulegen. Auch ohne meine volle Armee habe ich derzeit Kontrolle über den Palast. Und das wissen des Pharaos Soldaten sehr genau.“ „Warum wollt Ihr dem Pharao schaden? Welchen Zweck verfolgt ihr mit Euren Plänen hier?“ „Du bist wahrlich noch nicht lang bei Hofe. Deine Fragen sind zu direkt.“ Anhay setzte ein belustigtes Lächeln auf. Scheinbar nahm er Seth nicht ernst. „Ich mag Männer, welche frei heraus sprechen. Du scheinst so geheimnisvoll unverdorben, Priester. Hoffentlich erhältst du dir dies, bevor der hohe Umgang mit dem Pharao auch dich verdirbt … oder dich noch geheimnisvoller macht.“ „Warum hasst Ihr den Pharao so? Weshalb wollt Ihr Ägypten ins Unglück stürzen?“ „Das frag eher meinen Bruder. Ich bin nur sein Feldherr“ antwortete er und blickte forschend an ihm hinauf. „Sag, ist Seth dein Geburtsname?“ „Was wollt Ihr hier?“ So langsam machten ihn Anhays Fragen nervös. Diese Fragen nach seiner Herkunft und seinem Namen. Zudem wusste er, dass Seth noch nicht lang im Palasttempel beheimatet war und er bezeichnete ihn als geheimnisvoll. Wenn er irgendetwas über seine Vergangenheit, über seine schmutzige Identität, über sein verdorbenes Geheimnis wüsste, so besaß er ein Druckmittel, um den Pharao auch ohne Soldaten vom Thron zu stürzen. Dann würde Ägypten eigenhändig seinen König verstoßen. „Dass mein Bruder der neue Pharao zu werden gedenkt, ist dir sicher nicht entgangen“ antwortete Anhay ihm ebenso direkt, wie er es selbst schätzte. „Ich selbst verfolge jedoch eigene, persönliche Pläne. Und wenn ich meinem Bruder erst zum Sieg verholfen habe, wird er mir gegenzüglich helfen. Und wer könnte eine größere Hilfe sein als der Pharao selbst? Wie vorteilhaft es ist, königlichen Schutz zu genießen, solltest du wohl sehr genau wissen.“ „Wollt Ihr mich erpressen? Was wollt Ihr Anhay?“ „Dich erpressen? Sprich, gäbe es denn etwas, womit ich dich erpressen könnte, junger Priester?“ Er lächelte ihn wissend an und schien sich seiner sehr sicher. Zu sicher. „Jeder hat ein dunkles Geheimnis. Selbst deine Götter haben Dreck am Stecken. Und ganz sicher auch der Pharao.“ In diesem Moment wusste Seth keine Antwort, keine Worte auf diese Situation. Mit der Handlung, dein Feind hereinzubitten, hatte er sich übernommen. Anhay war ein gefürchteter Feldherr und eine wichtige Spielfigur im Palast. Sich allein mit ihm zu treffen und sich seinen scharfen Worten, seinem entwaffnenden Blick zu stellen … wie konnte Seth nur glauben, er würde etwas ausrichten können? Ein Geheimnis aus Anhay auszufragen, war ebenso unmöglich, wie alle Feinde Ägyptens zu besänftigen. Besonders wenn man selbst ein so schmutziges Geheimnis bewahrte. Er hätte dem Pharao niemals folgen dürfen. Nicht jemand wie er. Und je mehr er seine Hilfe anbot, desto tiefer ließ er den Pharao im Sumpf der Intrigen versinken. Ihm stieg das Gefühl auf, dass sein gefährliches Geheimnis sehr bald gotteslästerliche Kunde von den Palasttürmen rufen würde. „Sieh mich doch nicht so bedrückt an, Priester“ schmunzelte der dunkelhäutige Feldherr und strich sich elegant ein paar verirrte Haare aus dem Gesicht. „Wenn du weiter so freundlich zu mir bist wie heute, lasse ich dich vorerst nicht niedermetzeln.“ „Was macht Euch so sicher, dass Ihr siegt? Ihr solltet die ägyptische Wehrhaftigkeit nicht unterschätzen.“ „Jetzt werde nicht patzig.“ Er sah Seth an, ernst. Sein Lächeln verschwand und wieder musterte er ihn mit diesem scharfen, schwarzen Blick. Anhay war gefährlich. Auch wenn er vielleicht eine weiche Seite hatte, so ließ er dort jedoch keinen Feind heran. „Denkst du, ich wäre heute Herr über eine Sultan-Armee, wenn ich mein Gegenüber unterschätze? Und dir rate ich, eher uns nicht zu unterschätzen. Mein Bruder hat Ras Lanuf nach der letzten Nacht schon fast vollends für sich gewonnen. Die Tage bis zum Untergang des alten Pharaos kannst du an einer Hand abzählen, wenn der Feiertag morgen in einem Desaster endet.“ „Der Feiertag“ flüsterte Seth uns Sorge zog ihm die Brust enger. Der morgige Feiertag war der wichtigste Termin des religiös ägyptischen Kalenders. Morgen wurden die verstorbenen Pharaonen, der jetzige und sein Nachfolger geehrt. Das Volk freute sich seit Wochen auf nichts anderes mehr. Und Seth würde Vorbeter auf dem Tempelplatz sein und über die strahlenden Taten des Pharao sprechen. Das Volk fieberte dem entgegen, den schönen Geliebten des Pharao sprechen zu hören. Sollte ausgerechnet an diesem Tage herauskommen, dass der Pharao einen Lustsklaven zum Priester erhob, ihn in sein Bett holte und ihm gestattete das Vorgebet zu sprechen … Atemu würde nicht nur sein Ansehen verlieren, sondern auch seine Glaubwürdigkeit und seine Krone. Mit seiner Liebe zu einem Sklaven, welchen er in den heiligen Priesterstand erhob, beging er Hochverrat an den eigenen Göttern. „Priester?“ Anhay blieb mit ihm stehen und schenkte seinem Blick beinahe den Anschein von Sorge. „Fühlst du dich wohl? Du bist so fahl.“ „Und du?“ fragte er mit bebender Stimme zurück. „Du hast eine schwarze Hautfarbe und gehörst dennoch mit deinem Bruder in eine Familie. Du solltest doch verstehen, dass Liebesbande über Stand und Etikette hinausgehen können.“ „Ist das so?“ erwiderte er mit gedämpfter Stimme. „Wo kommst du her, Priester? Warum sprichst du nicht aus, was du verheimlichst?“ „Du weißt genau, warum ich das nicht kann! Aber wenn du jemanden metzeln willst, dann metzle mich! Ägypten braucht seinen Pharao! Es ist ein Fehler, dem Pharao schaden zu wollen, weil ich ihn beschmutzt habe! Anhay, es ist ein Fehler! Bei allen Göttern, ich tue alles für dich, wenn du ihn verschonst!“ „Dann vertraue dich nicht den Göttern an, sondern mir.“ Er griff Seth am Unterarm und schraubte seinen Griff fest. Er zog den größeren Priester zu sich heran, während er ihn an die Wand drängte. Er hielt ihn an den kühlen Stein gedrückt, sein dunkler Blick fraß sich wie Säure in Seths Herz. Anhay hatte ihn in der Hand, vollends, als sein warmer Atem ihm ins Gesicht hauchte. „Wo kommst du her? Ein so junger Priester mit solch größer Schönheit wie du, stört das Bild aller. Es ist jedem auffällig, dass mit dir etwas nicht stimmt. Aber ich will es von dir hören. Wo kommst du her?“ „Ich weiß es doch nicht.“ Tränen stiegen in seine Augen, Angst raubte ihm die Luft. Anstatt Atemu helfen zu können, war er nun sein Untergang. „Ich weiß nicht, wo ich herkomme. Ich erinnere mich nicht. Du hast Recht, ich bin des Pharaos größter Fehler. Aber ich flehe dich an, verrate ihn nicht. Du darfst ihn nicht stürzen und töten lassen. Er liebt mich. Es ist schändlich, aber er liebt mich. Und ich liebe ihn.“ „Warum erinnerst du dich nicht an deine Herkunft? Sprich.“ Seine Tränen, seine Verzweiflung rührten Anhays Herz nicht. Er wollte es endlich selbst hören. Die Geschichte, welche dem schönen Priester in unsichtbaren Zeichen aufgebrannt war. „Sie haben mir mein Leben genommen! Alles! Ich weiß nichts mehr! Nichts!“ „Wer? Wer hat dir dein Leben genommen? Rede, Priester! Wo bist du aufgewachsen? Wo kommst du her?“ „Aus dem Sklavenhaus!“ spie er ihm entgegen und schluchzte. Jetzt konnte ihn auch Anhay nicht länger halten und musste den Priester an der kalten Wand herabgleiten lassen. Dort blieb er sitzen, zusammengekauert, aufgelöst. Der Schmerz brach ihm alle Gefühle, alle Vernunft, alles Denken. Er wollte Atemu beschützen, doch bedeutete er nur mehr Probleme und ein schändliches Stück Wahrheit. Er hätte Atemu nicht folgen dürfen. Dies war sein schlimmster Fehler. Dass sein schmutziges Geheimnis irgendwann ans Tageslicht treten würde, hatte er immer befürchtet. Nur hatte er gehofft, dass es nicht inmitten von Putschisten geschah. „Aus dem Sklavenhaus“ wiederholte Anhay mit gleichtoniger Stimme. „Du bist kein Priester, du bist ein Sklave. Welch ein Sklave? Du trägst keine Sklavenkreuze an den Händen. Sprich.“ „Ich … muss … unversehrt …“ schluchzte er bis ihm die Stimme ausblieb. Er konnte nicht weitersprechen. Er wünschte sich, die Götter würden ihn in diesem Moment holen und auslösen aus dieser ekelhaften Liebe, mit welcher er den prächtigsten und gütigsten aller Pharaonen verdammte. Sollten die Götter seine Seele auslöschen, wenn sie doch nur ihren heiligen Sohn freisprachen. „Unversehrt sein für den Pharao. Und frei von unserer Vergangenheit. Aus mir wollten sie auch einen Lustsklaven machen“ berichtete der dunkle Feldherr und kniete sich herunter, mit ihm auf eine Höhe. „Doch ich hatte Glück und wurde von einer hochgestellten, ausländischen Frau angenommen. So wurde ich Ephrabs Bruder und bin nun zurück, um Rache zu nehmen für das Leid, welches wir erdulden mussten. Weißt du, Priester, auch ich bin Ägypter.“ „Was?“ tränenverflossen blickte er auf und konnte den Ton in der weichen Stimme des dunkelhäutigen Mannes nicht glauben. „Du bist Ägypter?“ „Nun ja, zur Hälfte“ sprach er sanft weiter. „Mein Vater war Ägypter, meine Mutter kam als Sklavin aus den südlichen Reichen über Tschad an den Nil. Als Sklavenkind, noch dazu mit dunkler Haut, hätte ich ein Leben wie jeder Sklave führen müssen. Doch habe ich die feinen Gesichtszüge meines Vaters und meine Mutter war ungekennzeichnet. So nahm er sie zur Zweitfrau und zog mich auf wie ein ägyptisches Kind. Meine Familie siedelte sich hierzu auf der anderen Seite des Nils an, wo uns niemand kannte und man meine Mutter als sesshaft gewordene Händlerstochter ausgeben konnte. Wäre herausgekommen, dass mein Vater eine Sklavin zur Zweitfrau nahm, so hätte man ihn des Hochverrats bezichtigt. Doch er tat es, da er mich und meine Mutter liebte. Bis sein Geheimnis enthüllt wurde und meine Familie getötet. Ich verstehe also deine Misere besser als du glaubst.“ „Dann versteh … bitte …“ Er blickte ihn an, Tränen liefen über seine Wangen und benetzten seine Lippen. „Der Pharao nahm mich an, trotz … trotz der Gefahr … und des Schmutzes. Er ist wie … wie dein Vater. Er rettete mein Leben.“ „Ich bin nicht zurück nach Ägypten gekommen, um den Pharao zu töten“ erwiderte er und wischte ihm die Tränen von den Wangen. „Den Palast einzunehmen, ist die Idee meines Bruders. Ich helfe ihm, da ich die Hilfe des heiligsten Mannes brauche. Und den jetzigen Pharao kann ich nicht bitten, da ich Schande über den toten Namen meines Vaters bringen würde. Ich vertraue auf Ephrabs Hilfe, wenn ich ihm helfe.“ „Aber auch der Pharao würde dir helfen. Wenn du ihn bittest, unterstützt er dich. Er hasst uns Sklaven nicht. Wir sind Menschen für ihn. Er ist gütig und reinherzig.“ „Das glaube ich dir, Priester“ seufzte er und zog seine Hände zurück, verschränkte sie in bedrückter Manier. „Jedoch Ephrab ist mein Bruder. Ich kann ihn nicht verraten. Nun wo er mich braucht.“ „Vielleicht kennst du Ephrab nicht wirklich. Er hat konservative Ansichten, für ihn sind Sklaven niederes Getier. Glaubst du, er wird dir helfen, wenn er deine Vergangenheit kennt?“ „Dass meine Mutter Sklavin war, weiß er. Doch ich bin zu mächtig, als dass er mich verachten könnte. Ephrab liebt die Personen, die ihm nützlich sein können. Ohne den Ansporn, meiner neuen Familie zu gefallen, wäre ich heute kein Feldherr. Und mein Bruder nicht bald Pharao.“ „Aber du kannst nicht …“ „Jeder ist sich selbst der Nächste. Dies weißt du sehr genau, Priester“ unterbrach er ihn mit gedämpfter Stimme. „Ich bin hier, weil ich etwas Bestimmtes will. Und hierfür bin ich bereit, Opfer zu bringen. Aber dir will ich Unversehrtheit versprechen. Ich bürge dafür, dass du ewig als Priester leben wirst. Auch unter der Herrschaft meines Bruders.“ „Warum?“ Er blickte an ihm hinauf und hinfort war das harte Bild des schwarzhäutigen Feldherren. Es war, als sehe er vor sich eine Seele wie seine. Eine Sklavenseele, treu und verletzt – und bereit zum Kämpfen. „Weil du mich an ihn erinnerst“ lächelte Anhay traurig und blickte ihm tief in die Augen. Doch sein Blick hatte das Gift verloren, fühlte sich beinahe liebevoll an. Seth erkannte, auch Feinde des Pharaos waren Menschen. Anhay war kein böser Mann, er war treu und dankbar. Und auf der Suche nach seinem Glück. Nur leider führte sein Weg des Glücks über Ägyptens Thron … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)