Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III von masamume ================================================================================ Kapitel 42: Kapitel 42 ---------------------- Kapitel 42 Obwohl in allen Gängen Wachen und Diener standen, fühlte Seth sich ein wenig verloren. Wie lange irrte er nun schon hier im Palast herum? Er hatte sich selbst überschätzt. Als Atemu sich von seinem aufgeregten Sohn fortschleifen ließ, um sich in seinem Prinzengemach die im Spiel gewonnen Steine anzusehen, war auch die Tischgesellschaft aufgelöst. Seth hatte großspurig behauptet, er würde den Weg zurück in den Tempel allein finden, aber anscheinend hatte er sich getäuscht. Er war der festen Überzeugung, Atemu hätte ihn rechts herum durch einen langen Gang über eine Treppe geführt, aber plötzlich fand er sich in den riesigen, vollgestopften Vorratskammern wieder, welche mit dem Tempel recht wenig Ähnlichkeit hatten. Jedoch einen der Diener nach dem Wege zu fragen, war ihm peinlich. Kaum weilte er einen Tag hier, schon ging er verloren. Vielleicht lag es auch daran, dass seine Gedanken zunehmend um das Erlebte kreisten. Die Königin war eine wundervolle, eine umkomplizierte und eine bildschöne Frau, mit welcher er gern ein wenig mehr Zeit verbracht hätte. Die Prinzessin war ein fröhlicher Sonnenschein, der neugierig nach allem fragte, was ihre leuchtenden Augen einfingen. Und der Prinz war ein etwas schüchterner Junge, der sich bemühte, seiner Erziehung gerecht zu werden und sich doch eigentlich nur nach Geschichten und Spielen sehnte. Wie aufgeregt er war, als er nach langer Zeit endlich seinen Vater sehen konnte und wie schnell seine Anspannung von Freude und Neugier verdrängt wurde. Das Mittagessen mit der Königsfamilie hatte ihm jedoch auch viele Fragen aufgegeben. Nicht nur darüber, wie der Pharao selbst seine Kindheit verbracht haben mochte, dass er nun trotz seines verantwortungsvollen Amtes solch ein mitfühlender und zugewandter Vater war. Man sah so deutlich, wie stolz er war, Seth seine kleine Familie vorstellen zu dürfen. Und der fühlte sich in ihrem Kreise herzlich aufgenommen. Die Königin flirtete mit ihm, die Prinzessin zog an seinem Ärmel. Ja, er war sogar zum Glückspriester befördert worden. Mehr hätte er sich doch gar nicht wünschen können. Jedoch trübte sich seine Freude, wenn er an die kritischen Augen des konservativen Ephrab dachte. In den fröhlichen Momenten lächelte er nur höflich, anstatt von Herzen mitzulachen. Vielleicht hatte er einfach einen anderen Humor. Vielleicht lag es auch daran, dass Seth sich in seiner neuen Position als Priester und Geliebter noch etwas unsicher fühlte. Und dennoch ... er konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass er in Ephrabs Anwesenheit Vorsicht walten lassen sollte. Er hatte einfach zu viel zu verbergen, als dass er sich solch forschenden Augen preisgeben mochte. Mit einem Seufzen strich er sich das Haar aus der Stirn und bog um die nächste Ecke. In seinen Gedanken hatte er nun gar nicht mehr auf den Weg geachtet und wusste nicht mal mehr, in welcher Richtung er die Vorratskammern überhaupt verlassen hatte. Besser, er wartete mit dem Grübeln bis er sein Zimmer erreichte. Zu allem anderen konnte er Atemu noch immer befragen. Es gab so viele Dinge, die er wissen, die er über ihn erfahren wollte. So vieles, was er ihm sagen wollte. Er wollte ihm sagen, wie aufgewühlt er war wegen der süßen Kinder und Ephrabs spitzen Blicken ... ach, könnte er doch nur schon wieder in seinen Armen liegen. Aber er war nun mal der Pharao und als solcher hatte er eben nicht viel Zeit für private Dinge. Neben seinen Kindern, der Religion und der Politik auch noch Zeit für einen Geliebten aufzubringen ... Jetzt erst spürte Seth, dass Atemus zurückhaltenden Warnungen keine leeren Worte waren. Das Leben im Palast war stressig, gezwungen und einengend. Seth wusste, wie man als Sklave lebte. Er wusste auch, wie man als Priester lebte. Jetzt musste er lernen, wie man als Geliebter lebte. Er durfte den Pharao nicht blamieren und nicht für sich selbst beanspruchen. Er würde ihn sicher nicht so viel sehen wie auf ihrer Reise. Und es würde sicher einige Zeit dauern bis er sich hier zurechtfand. „Glückwunsch, Seth. Wenn du dich mal nicht nur in den Gängen verläufst“ seufzte er und blieb vor der nächsten Gabelung stehen. Jetzt gab es nur noch links oder rechts. Es war ja nicht so, dass jeder Gang gleich aussah. Nein, jeder war ganz verschieden gestaltet. Aber dennoch musste man sich hier auskennen, um schnell von hier nach dort zu kommen. Die Gepflogenheiten hier waren ähnlich verwirrend und verschlungen wie die Gänge. „Suchst du etwas?“ Seth hörte eine Stimme neben sich, drehte seinen Kopf herum und sah „Fatil!“ Den hatte er hier nicht erwartet. Vor allem hatte er ihn bis eben nicht bemerkt. Vielleicht lag es daran, dass er die Wanderkleidung gegen feine Palaststoffe getauscht hatte und gleich wesentlich herrschaftlicher wirkte. Dennoch hätte er ihn doch bemerken müssen. Wenn schon nicht sehen, dann doch hören. Aber Fatil hatte ja schon von Anbeginn ein Talent dafür, ihn aufzuspüren. „Ich habe dich gar nicht gesehen.“ „Ja, das habe ich wahrgenommen“ antwortete er trocken. „Ich bin schon seit dem letzten Gang hinter dir. Ich habe dich sogar gerufen, aber du hast dich nicht mal herumgedreht.“ „Entschuldige, ich war in Gedanken.“ „Anscheinend.“ Er verschränkte die Arme und sah ihn skeptisch an. So eindringlich, dass Seth nur wieder zum Seufzen zumute war. Warum nur wurde er von allen Seiten immer so streng beäugt? „Das blaue Gewand steht dir gut.“ „Danke“ erwiderte er etwas angespannt. „Du siehst auch anders aus.“ „Du bist in den Tempel unterwegs?“ Er erwiderte seine Antwort gar nicht weiter. Ein wenig wirkte er, als sei er skeptisch, dass Seth hier so ganz allein durch die Gänge stromerte, die ziemlich nahe am Pharao lagen. „... ja.“ Seth überlegte einen Moment, ob er noch mal auf ihr angespanntes Verhältnis zu sprechen kommen sollte. Ob er betonen sollte, dass er hier keinesfalls spionierte oder ähnlich böse Dinge tat. Aber er entschied sich dazu, sich nicht zu rechtfertigen. Fatil war zwar hier im Palast ein mächtiger Mann - aber bei Weitem nicht so mächtig wie der Pharao. Und der würde sicher jederzeit ein gutes Wort für ihn einlegen. Wenn es ihm selbst schon nicht gelang, Fatil vollkommen von seiner Gutartigkeit zu überzeugen. Er würde ja gern ihre Beziehung verbessern, aber es war nicht so einfach, diesen strengen Blicken standzuhalten. „Dann bist du aber in die falsche Richtung unterwegs. Zum Tempel geht es dort lang“ nickte er zurück in die Richtung, aus welcher sie gekommen waren, bevor er sich selbst umwand zu langsam voraus ging. „Komm, ich bringe dich zurück. Ich wollte ohnehin mit dir sprechen.“ „Danke.“ Er folgte ihm nach und da Fatil so langsam ging, hatte er in mit nur wenigen Schritten eingeholt. Was sollte er sagen, wenn sie so nebeneinander gingen? War eine Unterhaltung überhaupt angebracht? Oder würde das doch nur wieder Streit provozieren? Sagte er nicht eben, er wolle ohnehin mit ihm sprechen? Weshalb? Sie hatten sich erst gestern gesehen. Er traute Fatil nicht. Ja, er fürchtete ihn sogar ein wenig. Aber auf der anderen Seite hatte er ihm viel zu verdanken. Er war es, der ihn dazu genötigt hatte, dem Pharao seine Gefühle zu gestehen. Nur durch sein Eingreifen wusste er, dass seine Gefühle durchaus erwidert wurden. Obwohl sie wie Wasser und Öl lebten, hatten sie doch einen Pakt für Frieden geschlossen. Ja, sich sogar Bruderschaft versprochen. Dennoch ... Seth fühlte sich bloßgestellt und ungewollt in seiner Nähe. Es war ein gegensätzliches Verhältnis und verbinden tat sie im Grund nur der Pharao. „Du hast mit der Königsfamilie gegessen?“ Wie aus dem Nichts heraus fragte Fatil einfach. War dies nun, um ihn auszuforschen oder bloß, um ein Gespräch zu beginnen? „Der Pharao hat mich geladen.“ Jetzt rechtfertigte er sich doch, obwohl er das nicht wollte. Es kam so automatisch ... sein neues Selbstbewusstsein als Geliebter musste er anscheinend noch erarbeiten. „So habe ich das nicht gemeint“ antwortete er, ohne ihn anzusehen. „Ich wollte wissen, ob es dir gefallen hat. Die Königin hat dich herzlich aufgenommen, nicht wahr?“ „Ja, das hat sie durchaus. Woher weißt du das?“ Woher wusste Fatil das überhaupt? Er war doch gar nicht dabei gewesen. Woher wusste er, dass er mit dem Pharao und dessen Familie gespeist hatte? „Zum Einen ist die Königin eine herzensgute Frau und zum Anderen hat sie eine Schwäche für schöne Männer“ antwortete er und wandte seinen Blick zur Seite und das Stück zu ihm hinauf. „Außerdem gibt es wenige Vorgänge im Palast, von denen ich nicht weiß.“ „... aha.“ War das eine Drohung? Sollte das heißen ‚Ich behalte dich im Auge’ oder war das lediglich eine Feststellung? Fatil war schlecht einzuschätzen und hier im Palast war Seth durch und durch in seinem Revier. Er sollte vorsichtig sein. Oder sollte er doch lieber einen Vorstoß wagen und ihm vertrauen? Fatil war vielleicht undurchschaubar, aber eines wusste Seth: Er war seinem Pharao treu ergeben und er würde ihm nichts antun, solang es dem Pharao gut ging. „Fatil, kann ich dich etwas fragen?“ „Natürlich.“ Die Antwort kam schnell und hörte sich selbstverständlich an. „Worum geht es?“ „Um ... den Pharao.“ „In Ordnung. Und worum genau?“ hakte er nach und schenkte ihm einen tiefen Blick auf seinen herrischen Augen. „Frag nur rund heraus.“ „Ich möchte nicht, dass du denkst ...“ „Ich denke gar nichts, Seth“ unterbrach er ernst. „Wir haben uns verbrüdert und es ist mir ernst damit. Also frag mich, wenn dir etwas auf dem Herzen liegt. Ich habe das Gefühl, du bist ein wenig aufgewühlt.“ Er konnte nicht verbergen, dass er über die freundlichen Worte sehr überrascht war. Fatils Stimme und sein Blick zeigten nicht, dass er in Seth einen Freund sah. Aber seine Worte sagten es. Es war verwirrend. Und doch ... vielleicht sollte er versuchen, zu ihm ein besseres Verhältnis aufzubauen. Wenn er hier bei Hofe überleben wollte, würde Fatil eine wichtige Rolle spielen. Und es war nicht an ihm, sich bei Seth einzuschmeicheln. Eher umgekehrt. Fatil brauchte ihn nicht im Geringsten. Umgekehrt lag der Fall. Und Fatil war nicht dumm. Je mehr Seth sich verstellte, umso skeptischer würde er beäugt werden. Er wusste doch ohnehin schon alles ... wie viel Schlimmes hätte Seth denn noch über sich verraten können? Außerdem war er ein enger Vertrauter des Pharaos ... Fatil konnte kein schlechter Mensch sein. Wenn er das wäre, so hätte er Seth als Sklaven abgetan und ihn schon in der Wüste fortgejagt. Aber das hatte er nicht getan. Eigentlich war er wieder und wieder auf ihn zugekommen. Nicht unbedingt mit offenen Armen, aber geschadet hatte er ihm bisher nicht. Und er besaß eine gute Beobachtungsgabe. Seth war tatsächlich aufgewühlt. „Du bist doch mit dem Pharao aufgewachsen“ begann er und bemühte sich, seiner Stimme einen gleichberechtigten Klang zu verleihen. „Bitte erzähl mir etwas über seine Kindheit. Eigentlich weiß ich kaum etwas über ihn ...“ „Du fragst, weil du den Prinzen und die Prinzessin getroffen hast“ unterstellte er und kam ihm insofern entgegen, dass er die Härte in seiner Stimme ein wenig besänftigte. „Es mag ungewöhnlich sein, aber der Pharao ist ein sehr liebevoller Vater. Er hängt an seinen Kindern. Sicher stößt er mit seiner Erziehung bei vielen Adligen auf Unverständnis, besonders bei der Königin Mutter. Aber er lässt sich nicht beirren. Er und Abunami stehen fest zusammen, wenn es um das Wohl ihrer Sprösslinge geht.“ „Ja, das ist mir aufgefallen“ erwiderte er ruhig. „Besonders der Prinz scheint sehr zu ihm aufzublicken.“ „Das ist wahr. Der Prinz liebt seinen Vater und eifert ihm nach. An sich ist er ein recht schüchternes Kind. Ganz im Gegensatz zu seiner Schwester. Aber er blüht schnell auf. Der Pharao hat das Talent, ihn zum Lachen zu bringen. Ich denke, das liegt auch daran, da er viel Verständnis für seinen Sohn aufbringt. Er weiß, wie hart die Ausbildung eines Prinzen ist und wie einsam man sich dabei fühlen kann. Zudem war er früher selbst ein eher schüchterner Junge.“ „Tatsächlich?“ Das versetzte ihn doch ins Staunen. Der Pharao, der ein riesiges, mächtiges und kultiviertes Reich regierte, war schüchtern? Oder schüchtern gewesen? „Man mag es kaum glauben, was?“ seufzte Fatil und schlug in alten Erinnerungen den Blick nieder. „Man merkt es ihm kaum an, aber im Grunde ist er sehr schüchtern. Was glaubst du, warum er so lang gezögert hat, dir seine Liebe zu gestehen? Er ist ein großartiger Pharao mit wahrer Durchsetzungskraft und einem festen Glauben, aber im Herzen ist er nicht so hart. Mit Gefühlen geht er sehr vorsichtig um.“ „Woher kommt das? Er ist nicht nur mächtig, sondern auch sehr gut aussehend. Er hat keinen Grund, schüchtern zu sein.“ „Er ist der Pharao. Er weiß, dass er allein durch die Krone auf seinem Haupt auf die Menschen sehr einschüchternd wirkt und das wiederum lässt ihn vorsichtig werden. Er hat diese Schüchternheit heute gut im Griff, aber früher war es anders. Ich weiß noch, wie er als Kind war. Als Prinz wirst du zwar höflich behandelt und hoch angesprochen. Dennoch lehren sie dich, wie unperfekt du bist. Die Lehrer des heutigen Pharaos haben ihm klar gemacht, dass er nicht um seiner Persönlichkeit etwas zählt. Wichtig ist Bildung, Intelligenz und Abstammung. Wahrhaft wichtig ist nur der Pharao, nicht der Prinz. Ein Prinz wird Demut gelehrt und gleichzeitig soll er herrschen. Für Kinder ein nicht leichtes Unterfangen. Das wäre es auch für Erwachsene nicht. Er musste lernen, lernen, lernen und hatte hauptsächlich alte Männer und Priester um sich. Er sagte mir damals häufig, wie ängstlich er sich fühlte, wenn er nach einem anstrengenden Tag allein in seinem dunklen Gemach lag und nicht schlafen konnte. Selbst wenn er weinte, kam niemand, um ihn zu trösten. Den Dienern stand es nicht zu und der Rest hat es ignoriert. Als Pharao wäre er ja auch auf sich selbst gestellt. Er sollte lernen, Trost in den Göttern zu finden und nicht in den Menschen. Das ist die Welt, in der er groß geworden ist.“ „Hart“ gab er bedrückt zu. „Aber heute ist er ein so warmer und gütiger Mensch. Und seine Eltern? Haben Sie ihn die Güte gelehrt?“ „Die Königin Mutter ist eine unnachgiebige Frau, die auf ihren Traditionen beharrt“ erzählte er geduldig. „Als Kind habe ich sie auch gefürchtet, da sie eine sehr rigide Stimme und stechende Augen hat. Der alte Pharao Akanumkanon hingegen war ein herzlicher Mann, der sich jedoch nur bedingt gegen sie durchsetzen konnte. Ihre Hochzeit war rein politisch und sie verstanden sich nicht annähernd so gut wie der Pharao und Königin Abunami.“ „Bitte erzähl mir davon“ bat Seth als er Fatil um eine Ecke in einen langen Gang folgte, an dessen Ende eine einzige Tür mit einem Wächter lag. War er mit Atemu auch hier entlang gegangen? Anscheinend gab es mehrere Wege zum Tempel. „Der Pharao wuchs nach alter Tradition unter Obhut seiner Großeltern auf. Wie schon erwähnt, fühlte er sich häufig einsam und überfordert. Er sehnte sich immer nach einem Familienidyll, welches für ihn doch unerreichbar war. Der alte Pharao Akanumkanon und dessen Vater vor ihm jedoch waren eng mit meinem Vater befreundet und so kam es, dass der junge Prinz häufig unser Gast war. Ich hatte die Ehre, sein Spielgefährte zu sein. Eigentlich ist es nicht üblich, den Prinzen spielen zu lassen, jedoch haben unsere Väter dafür gesorgt, dass wir wenigstens manchmal eine Zeit für uns hatten und ich ab und an seinen Lehrstunden beiwohnen durfte. Eigentlich war ich nicht mehr als sein kindlicher Gesellschafter, der seine eigenen Lehrer und Aufgaben hatte, aber wir haben uns darüber hinaus lieben gelernt.“ „Deshalb bist du ihm heute so eng verbunden.“ „Die Verbundenheit zur Königsfamilie ist meiner Familie über Generationen geradezu angeboren. Aber nicht nur deshalb ist der Pharao an mein Herz gewachsen. Ich bewundere es, wie er mit seinem Leben umgeht. Obwohl er unter der Fuchtel einer harten Mutter und strengen Lehrern aufwuchs, ist sein Herz von so viel Liebe und Mitgefühl erfüllt. Ich denke, seine Regierungsmethoden und Ansichten hat er dem Vorbilde seines Vaters abgeschaut. Als er genug gelernt hatte, wurde er der Obhut seiner Eltern zurückgegeben, um das Königshandwerk direkt zu lernen. Damals wuchs er recht bald mit seinem Vater zusammen und es entstand eine enge Beziehung zwischen beiden, als sie sich Tag um Tag sahen. Zwar war die Politik des Akanumkanon nicht so offen und tolerant wie die seinige es heute ist, jedoch waren ihre Grundgedanken dieselben. Sie verstanden sich im Herzen und ich glaube, der alte Pharao gab ihm Ideen mit, welche er selbst nicht verfolgen konnte den Prinzen seine Ideen und Grundsätze, um sie weiter zu tragen. Als sein Vater dann bei einer Schlacht umkam, war er nicht nur tief betrübt, sondern er schwor sich auch, dass Ägypten unter seiner Herrschaft niemals mehr Krieg führen sollte. Seit seiner Krönung kehrte Frieden ein. Zwar gab Ägypten einige Ländereien an seine Nachbarstaaten ab, jedoch forderte dies nicht annähernd so viele Opfer wie ein weiterer Krieg es getan hätte. Bisher ist seine Politik aufgegangen und ich wünsche mir von Herzen, dass es so bleiben möge.“ „Ich danke dir für deine Erzählung“ antwortete er höflich. „Ich denke, nun kann ich einiges besser verstehen.“ „Das freut mich.“ Auch wenn in seiner Stimme keine wirkliche Freude erkennbar war. „Dennoch klingst du besorgt“ tastete Seth vorsichtig an und verlangsamte seinen Schritt als auch Fatil es tat. „Du sprachst über des Pharaos Politik, als deine Stimme schwer wurde.“ „Vielleicht hast du mitbekommen, dass es derzeit große Probleme mit König Sarh von Tschad gibt ...“ „Am Rande, ja“ bestätigte er. „Der Wachmann in Nove Vaasa erzählte, dass Kämpfer aus fremden Landen in ägyptischen Dörfern einfallen.“ „Und das obwohl unser Pharao mit Sarh direkt sprach. Er hat sich den weiten Weg gemacht, um mit ihm über die Grenzstreitigkeiten zu sprechen und doch schickt Tschad seine Kämpfer zu uns. Auf unserem Wege haben wir ihr Werk gesehen. Sie morden, sie brandschatzen und sie vergiften unsere Brunnen. Bisher hat Ägypten keine echten Gegenmaßnahmen beschlossen, aber an den Grenzen breitet sich Verunsicherung aus. Ebenso wie bereits erste Kämpfe zwischen Bauern und Soldaten toben. Dass der Pharao so lang unterwegs war, hat nicht eben zur Entspannung dieser Lage beigetragen.“ „Tschad ist ein kriegerischer Staat, der bereits viele Länder unterworfen hat“ pflichtete Seth wissend bei. „König Sarh soll ein menschenfeindlicher Kriegsherr sein, der aus dem Nichts heraus fremde Königshäuser stürzt und ihre Reiche annektiert. Er besitzt ein riesiges Heer und Unmengen an Waffen. Er hat einen sehr schlechten Ruf, selbst bei seinem eigenen Volke.“ „Ich sehe, du verstehst dich auf politischem Wissen“ nickte Fatil und wies den Diener an, die Tür zu öffnen, durch welche er sich von Seth folgen ließ. „Dann wirst du es sicher auch verstehen, wenn ich dich darum bitte, den Pharao in nächster Zeit nicht zu sehr zu vereinnahmen. Er hat derzeit wahrlich anderes im Kopf, als dir beim Einleben zu helfen. Entschuldige meine harten Worte, aber bedenke, dass die aktuellen Regierungsgeschäfte vorgehen müssen.“ „Ich hatte nicht vor, Ägypten für meine eigenen Angelegenheiten ins Unglück zu stürzen, falls du das meinst.“ „Das wollte ich auch nicht sagen ... Seth.“ Er hielt an und wand sich in einem leiseren Ton an ihn. „Seth, wenn dir etwas auf dem Herzen liegt oder du das Gefühl hast, jemand behandelt dich nicht angemessen. Oder sollte dir etwas merkwürdig vorkommen, so wende dich bitte an mich. Ich weiß, wir beide haben nicht das beste Verhältnis zueinander, aber ich meine es wirklich ernst. Ich werde dich nicht hintergehen und ich vertraue darauf, dass du und ich diejenigen sind, die dem Pharao den Rücken stärken. Also, bitte versprich mir, dass du den Pharao nicht mit deinen Sorgen belastest. Schaffe ihm Erleichterung und keine Arbeit. Wenn du etwas brauchst, was auch immer es sei, dann sprich mit mir. In Ordnung?“ „Meinst du das wirklich ernst?“ Er blickte ihn an und fühlte sich etwas verunsichert. Das war eine merkwürdige Aufforderung. Er sollte seine Probleme mit Fatil besprechen und nicht mit Atemu, der doch sein einziger Halt hier im Palast war? „Das ist mein voller Ernst, Seth. Ich sage es dir in aller Ehrlichkeit. Sei vorsichtig, mit wem du dich unterhältst. Nicht alle Menschen im Palast sind des Pharaos Freund. Und so sehr er dich auch liebt ...“ Er blickte sich um und verfiel in ein vorgehaltenes Flüstern. „Du bist sein Schwachpunkt. So halte dich bedeckt. Bitte.“ „Fatil, dein Sprechen verunsichert mich“ gestand er offen und trat berührt einen Schritt zurück, um ihn besorgt anzusehen. „Du bist eigenartig heute.“ „Ich weiß ... um ehrlich zu sein, schwirrt mir der Kopf.“ Er strich sich durchs Haar und wand sich dann an den Türdiener zu seiner Seite. „Geh“ befahl er schlicht und wand sich zur anderen Seite, wo am Flurende eine weitere Wache postiert war. „Und du auch“ befahl er ruhig. „Und auch die Flurwachen.“ Aus den Ecken lösten sich zwei weitere Männer, welche mit geneigtem Kopf an ihm vorbei und hinausgingen. Auf seinen Befehl hin entfernten sie sich schnellsten aus seiner Nähe. Nun waren Seth und Fatil allein auf dem Gang und um sie herum nur Tepiche und Steinwände. Nicht einmal Fenster gab es hier, sodass dieser Übergang lediglich vom Schein der Wandkerzen erhellt wurde. „Warum schickst du sie hinaus?“ Das verunsicherte ihn noch mehr. Fatil verhielt sich wirklich eigenartig. „Seth, lass uns unsere Differenzen zur Seite schieben“ bat er herbe. „Ich gebe zu, ich habe Probleme, dir zu vertrauen, aber aus zwei Gründen will ich mich überwinden. Zum Einen lastet deine Vergangenheit zu schwer, als dass du wirklich eine Gefahr darstellst. Im Zweifel werde ich sagen, du hättest den Pharao getäuscht. Also wirst du ihm nicht schaden können.“ Seine Stimme war hart, aber es war ihm bitterlich ernst. „Und zum anderen wird deiner Rolle hier mehr Aufmerksamkeit zuteil werden als mir lieb ist.“ „Wie bitte?“ Hörte er richtig oder sprach Fatil nur wirres Zeug? „Leider ja. Ich muss dir vertrauen, denn ich weiß nun, du liebst den Pharao und willst ihm nicht schaden. Außerdem bist du ein intelligenter Mann, den ich einzusetzen gedenke.“ „Fatil, meine Sklavenzeit ist vorbei“ erwiderte er harsch. „Ich lasse mich nicht von dir einsetzen.“ „Schieb doch diese Sklavengeschichte mal zur Seite.“ Was Seth nur noch mehr verwirrte. Er sollte vergessen, was dem Pharao so schaden konnte? „Solange du in dir selbst den Sklaven siehst, wirst du auch einer bleiben. Bitte, Seth, sieh dich endlich als Priester. Ich jedenfalls tue das.“ „Fatil, was willst du?“ fragte er ihn dann auf den Kopf zu. „Ich habe das Gefühl, du redest wirres Zeug.“ „Seth, hör zu.“ Er trat an ihn heran und blickte ohne Scheu und Skrupel an ihm hinauf. „Während unserer Abwesenheit hat sich im Palast einiges geändert, was mir Sorge bereitet. Und ich brauche dich, um dem auf den Grund zu gehen. Als des Pharaos Geliebter und frisches Blut im Palast, kannst du mit Leuten sprechen, welche mich anlügen. Du hast hier noch keinen Ruf, aber das wird nicht lange so bleiben. Du bist gebildet, aufmerksam und außerdem wunderschön. Und du solltest diese Dinge zu des Pharaos Vorteil einsetzen. Ich bin mir sicher, auf dich werden demnächst einige wichtige Männer zukommen. Denn hier weiß noch niemand, ob du aus Liebe an des Pharaos Seite bist oder aus Eigennutz.“ „Was willst du mir sagen?“ „Du hast Ephrab kennengelernt“ sprach er weiter und verschränkte beobachtend seine Arme. „Sag mir, was du für ein Gefühl bei ihm hast.“ „Ich weiß nicht ... weshalb?“ „Tu es einfach. Sag mir, wie du ihn einschätzt.“ „Nun ja, wir haben nicht viel miteinander gesprochen“ musste er zugeben. „Ich habe das Gefühl, er hat wenig Humor und sehr konservative Ansichten. Außerdem ist er der Geliebte der Königin ... und ...“ „Und?“ „Es ist vielleicht nur eine emotionale Wahrnehmung“ formulierte er nachdenklich. „Ich hatte das Gefühl, seine Blicke drohten mir. Vielleicht lag es daran, dass die Königin mit mir flirtete, aber ... ich weiß es nicht. Seine Blicke waren so ... tief.“ „Genau darauf wollte ich hinaus. Ich denke nämlich, dass diese emotionale Wahrnehmung von dir gar nicht so falsch war“ bestätigte er und nickte zustimmend mit ernstem Blick. „Du bist nämlich eine Figur, welche nicht in sein Spiel passt. Mit dir hat er nicht gerechnet.“ „Fatil ... wovon sprichst du?“ „Es ist ganz einfach. Du bist unerwartet in den Palast eingezogen, noch dazu bist du Priester und des Pharaos Geliebter. Er weiß dich nicht einzuschätzen. Es könnte sein, dass du ihm in die Quere kommst. Ich sage dir das nicht, um dich zu verunsichern, sondern um dich zu warnen. Du solltest Ephrab nicht über den Weg trauen.“ „Und weshalb?“ Er senkte seinen Kopf und konnte ihm nicht ganz folgen. „Du willst mir nicht andeuten, er würde gegen den Pharao intrigieren.“ „Warum glaubst du, will er der Königin mehr politische Macht aufdrängen? Sicher nicht, weil er sie so abgöttisch liebt wie er es ihr beteuert. Seth, wenn du angreifbar wirst, wird er den Pharao stürzen können. Er sägt bereits an seinem Thron.“ „Nein.“ Was sollte er dazu sagen? Er war gerade mal einen Tag im Palast, gerade mal drei Tage des Pharaos Geliebter und schon geriet er mitten in den Sumpf von Intrigen und einem nahenden Putsch? Er kannte sich auf dem höfischen Boden noch nicht wirklich aus und schon begann sein einst größter Feind ihn vor Unheil zu warnen? Das war doch wohl ein Scherz! „Seth, ich kann es weder beschwören noch beweisen. Aber Ephrab spricht mit den falschen Leuten“ erklärte Fatil ihm aber völlig humorlos. „Dass es Minister und reiche Landherren gibt, welche die Politik des Pharaos nicht unterstützen war schon immer so. Aber wenn sich der Geliebte der Königin mit Kritikern der Krone zusammenfindet und dies nicht mal öffentlich tut, so bekommt das einen sehr herben Beigeschmack.“ „Und du bist dir sicher, dass das nicht wieder so ein verirrter Gedanke ist? Du hast auch geglaubt, ich wolle dem Pharao schaden, obwohl ich nichts dergleichen jemals angedeutet habe.“ „Ich gebe zu, bei dir hat mich deine Vergangenheit vorsichtig werden lassen. Aber bei Ephrab ist es anders. Dies ist keine Vermutung, sondern festes Indiez. Er will nicht des Pharaos Tod, sondern seinen Thron. Auch wenn beides Hand in Hand geht.“ „Woher willst du denn wissen, dass er mit des Pharaos Kritikern spricht? Er wird dir das kaum auf die Nase binden. Er weiß doch wohl, auf wessen Seite du stehst.“ „Seth, auch ich habe Beziehungen“ deutete er ungenau an. „Es gibt wenig im Palast, was mir verborgen bleibt und auch ich habe Freunde in den richtigen Reihen. Ich weiß nicht ganz sicher, was Ephrab plant, aber das Eine weiß ich genau: Er will mehr als der Königin Bett. Er nennt Ansehen, Geld und Verbündete sein Eigen. Ägypten steht kurz vor einem Krieg mit Tschad und Ephrabs Bruder Anhay, welcher sich in den letzten Jahren einen Namen als angesehener Feldherr im Orient verdient hat, ist bereits mit seinen Truppen hierher unterwegs. Dies hat der Ministerrat in Abwesenheit des Pharaos mit Unterstützung der Königin offiziell angefordert. Selbstverständlich, um die Stadt zu schützen. Aber ich traue dem nicht. Seth, ich traue ihm nicht. Für einen Geliebten mischt Ephrab sich meiner Meinung nach zu sehr ein. Und hierfür unsere Abwesenheit und die Krankheit meines Vaters zu nutzen, zeigt doch, dass er nicht so sauber ist, wie er die Königin glauben macht.“ „Weiß der Pharao davon?“ fragte er atemlos. „Fatil, wenn deine Befürchtungen war sind, dann droht ihm ein Putsch. Hat der Ministerrat überhaupt die Macht, so etwas zu beschließen? Was ist mit deinem Vater? Ich dachte, er hätte so viel Macht hier im Palast. Hätte er das nicht verhindern können?“ „Mein Vater liegt im Sterben“ antwortete er und wand seinen Blick ab. Wahrscheinlich war auch das der Grund, weshalb er so unruhig und schwankend war. Sein Vater lag im Sterben. „Seth, alles hängt jetzt an mir. Und auch wenn es mich beschämt, ich fühle mich im Augenblick überfordert. Ich habe es unterschätzt, dass sich die Lage in wenigen Wochen so zuspitzen kann. Und deshalb muss ich dich zur Hilfe bitten. Ich habe noch keinen vollen Überblick über die Lage oder darüber welche Personen genau involviert sind. Aber sicher ist, dass du eine Rolle spielen wirst. Nur welche, das ist noch nicht entschieden. Ich weiß, das kommt jetzt alles sehr plötzlich für dich. Für mich auch. Aber wenn wir den Pharao nicht schützen, wer soll es dann tun? Und insofern sollten wir uns jetzt zusammentun. Ob wir uns mögen, sei dahin gestellt. Aber ich vertraue darauf, dass wir eines gemeinsam haben. Und zwar die tiefe Liebe zu unserem Pharao.“ Und Seths Kopf war in diesem Moment wie leer ... Oh bitte, das war doch wohl alles nicht wahr ... Fatil wollte ihm doch nicht ernsthaft klarmachen, dass ein ehemaliger Lustsklave, den man in ein Priesterkostüm gesteckt hatte, jetzt die ägyptische Krone retten sollte. Er war ja talentiert in vielen Dingen, aber damit hatten die Götter ihm ein wahrhaft schweres Schicksal angedacht. Hoffentlich nicht zu schwer, als dass er es nicht tragen konnte. Einst hatte der Pharao ihm das Leben gerettet ... ... vielleicht war dies die Zeit, es ihm zu vergelten. To be continued ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Okay, ich gebe es zu. Eigentlich ist Fatil der heimliche Star dieser Geschichte geworden. Es gibt wohl einige, die ihn nicht mögen, aber ich hab einen Narren an ihm gefressen. ^^ Aber hiermit ist jetzt auch der Schlussspurt eingeleitet. Wer hätte denn gedacht, dass Seth gleich nach seiner Ankunft in die nächstbeste Intrige reinrutscht? Der kann doch echt Glück haben, was? ;) Also, bleibt noch ein Weilchen dabei und schaut, was am Ende rauskommt. Ich liebe euch! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)