Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III von masamume ================================================================================ Kapitel 36: Kapitel 36 ---------------------- Kapitel 36 „Warum sehen sie immer so merkwürdig herüber?“ Schon seit sie nach dem Morgenbrot aufgebrochen waren, blickten die Räuber unverhohlen immer wieder auf den Pharao. Er und Seth ritten leider relativ in der Mitte der Gruppe, sodass sich der König doch mehr beobachtet fühlte als sonst. Diese ungewaschenen, bärtigen Gesichter wandten sich ihm zu, ihre Münder grinsten, bevor sie sich verbargen und verstohlen etwas tuschelten. Nur worüber? Aufgefallen war es schon, dass einige Räuber sich darüber belustigten, als sie heute Morgen erblickten, wie der Priester seinen Pharao auf versteckte Weise an der Hand nahm. Jedoch waren darüber nur ein paar Witze gemacht worden, bevor man zur Tagesordnung überging. Es sprach nun auch niemand gezielt etwas darüber, jedoch war eindeutig zu bemerken, dass etwas in der Luft lag, was die Banditen zu erheitern schien. Und keiner von ihnen sprach es laut aus. „Ich weiß es nicht, Hoheit“ flüsterte Seth ihm zurück. Er war ebenso ratlos. Eine Weile hatten sie sich während des Reitens noch an den Händen gehalten. Als sie jedoch ihr übertrieben scheinend, verliebtes Gebärden und die Reaktion darauf bemerkten, hatten sie sich losgelassen. Zumal es nun um die frühe Nachmittagszeit auch zu heiß wurde, um angenehmen Körperkontakt zu pflegen. „Ihr wundert Euch nicht wirklich über meine Männer, Pharao.“ Emenas hatte sich von der Spitze der Gruppe zurückfallen lassen und ritt nun neben dem König, um das Gespräch zu suchen. Zumal mittlerweile nur noch Räuber um ihn waren, welche sich schon in den letzten Tagen ständig einen Spaß daraus gemacht hatten, sein Gefolge unbemerkt an die Außenflanken abzudrängen und diese dann versuchten, ebenso unbemerkt wieder zurück in die Mitte zu kommen. Das war das Einzige, was den langweiligen Marsch ein wenig zeitvertreibend gestaltete. Doch nun mit diesen belustigten, überspitzt wissenden Gesichtern allein zu sein, verunsicherte Pharao und Priester dann doch gleichermaßen. „Doch, um ehrlich zu sein ... schon“ antwortete der König dem Räuberhauptmann in leiser Stimme. „Hat es einen bestimmten Grund, weshalb deine Männer uns so ansehen?“ „Dass Ihr Eurem Priester wohlgesonnen seid, ist sicher an niemandem vorbei gegangen. Und da wundert Ihr Euch?“ stellte er seine Frage als Antwort dagegen. „Na ja ...“ schaute er ihn forschend an. „So ungewöhnlich ist eine Liebe zwischen Männern doch nicht. Es ist jedenfalls nicht verboten. Als Priester zum Pharao vielleicht ein wenig anstößig, aber durchaus keine Sünde.“ „Meine Güte, Ihr seid so naiv“ seufzte er und blickte hinüber zu Seth. „Sag mir nicht, du schämst dich ebenfalls kein Stück.“ „Ich wüsste nicht, wofür“ antwortete er klar heraus. „Aber es stört mich, dass deine Mannen meinen König so belustigt ansehen. Sag Ihnen, sie sollen ihn mit ihren Blicken verschonen.“ „Ich habe ihnen schon gesagt, sie sollen Euch beide mit noch viel mehr verschonen. Sie halten sich bereits zurück und einsperren kann ich sie nicht.“ Emenas warf sein schwarzes Tuch zurück über die Schultern und zog es noch ein Mal um seinen Kopf fester. So speicherte es nicht zu viel Wärme. „Aber du kannst nicht erwarten, dass sie nicht doch ein wenig tratschen. So ein Schauspiel bekommen sie nicht jeden Abend.“ „Was für ein Schauspiel? Drück dich klar aus, Emenas.“ „Oh, Seth. Bitte“ seufzte er und durch den Schlitz des Tuches funkelten seine schwarzen Augen zu ihm herüber. „Wenn du dich das nächste Mal von deinem Geliebten zum Hengst machen lässt, dann lösche wenigstens das Licht. Ansonsten kannst du es diesen frauenfernen Männern nicht verübeln, wenn sie nicht doch eure Schatten beobachten.“ Atemu hustete überrascht auf und Seth wurde ganz blass. Man hatte sie gesehen? Alles? Ja, das hatte sicher ein hervorragendes Schauspiel gegeben. Wenn sie im Inneren des Zeltes die Lampe am Brennen hielten und es draußen dunkel war ... so konnten ihre Schatten an den Stoff geworfen und sie selbst bei allem beobachtet werden. Besonders bei eines Liebesart wie dieser, war der König mit Bestimmtheit deutlich zu erkennen gewesen. Wenn sie beide am Boden lagen vielleicht eher weniger, aber sie waren ja nun recht ungehemmt gewesen in ihren Liebesbezeugungen. Und der Pharao war in vielerlei Hinsicht ein guter Reiter. Gestern in diesem Rausch der Sinne war ihnen nicht ins Bewusstsein gedrungen, dass man sie durch das Licht sehen konnte ... und es ließ sich auch denken, dass man sie nicht nur gesehen, sondern auch gehört hatte. Denn der dünne Stoff des Zeltes hielt kaum Geräusche ab ... und weder Atemu noch Seth hatten sich gezügelt. Sie waren beide so überwältigt gewesen, als es endlich geschah, dass keiner noch einen Gedanken an Anderes vertat. Vielleicht hätten sie ein wenig verborgener agieren können. Nun hatten sie den Spott der gesamten Mannschaft. „Aber es ist in Ordnung, Seth“ beschwichtigte Emenas mit ruhiger Stimme. „Ich denke, ihr habt lang genug nacheinander gehungert. Wenn euch die Konsequenzen gestern nicht gekümmert haben, so sollten sie es heute auch nicht. Oder bereust du es?“ „Nein“ sprach er klar und blickte seinen Pharao verliebt an. „Ich bereue nichts.“ Von weiter rechts hoben zwei oder drei Männer ein Lachen an. Die Scherze auf ihre Kosten würden also wohl noch eine Weile weitergehen. Aber es war wie Emenas sagte. Hatten sie gestern nicht über Folgen nachgedacht, so mussten sie auch nun das Ergebnis ertragen. Er hatte seinen Männern verboten, laute Witze zu machen - aber ihnen das Lachen ganz verbieten, das konnte er nicht. Letztlich durfte man niemals vergessen, dass auch er ein Räuber und ein Gegner der Krone war. Er tat das alles hier nur Seth zuliebe. Aus Dankbarkeit. Aber groß hofieren würde er den König nicht. Es war Etikette genug, dass er ihn hoch ansprach. Mehr Freundlichkeit konnte man wirklich nicht erwarten. „Seth?“ Fatil hatte es tatsächlich geschafft, in die Mitte zurückzukehren. Nicht unbemerkt und spielerisch, sondern gewollt aktiv. Und nun ritt er neben ihm und sah ihn mit ernsten Augen an. „Kann ich dich einen Moment sprechen?“ „Natürlich. Worum geht es?“ antwortete er überrascht. Fatil wollte mit ihm sprechen? Das Thema konnte er sich denken, nur der Inhalt offenbarte sich ihm nicht sofort. „Allein“ fügte er noch hinzu und ließ sein Pferd langsamer gehen, sodass er recht schnell in der dahinziehenden Menge zurückblieb. Seth tat einen letzten Blick auf den Pharao und bremste dann ebenfalls ein wenig ab, um Fatils Wunsch zu entsprechen. Und Atemu blieb ein wenig nervös allein. Er wusste genau, dass Fatil Seth nicht traute. Er trug noch immer die Befürchtung, dass der Lustsklave den Pharao willentlich verführt hatte und damit einen wohl überlegten Plan verfolgte. Dass er dem Pharao im Ansehen schaden, ihn putschen oder vielleicht sogar töten wollte. Atemu wusste, dass das Unsinn war, aber ihn ebenfalls davon zu überzeugen, war schwer. „Euer Gesellschafter ist ein sehr misstrauischer Mensch“ bemerkte Emenas mit ruhigem Blick nach vorn, wohin ihn seine Männer langsam wieder geleiteten. Er als Führer gehörte an die Spitze, selbst wenn der Pharao bei ihm war. Und der folgte ihm dorthin, indem er seinem Pferd einen kleinen Tritt gab. „Nimm es ihm bitte nicht übel“ bat er für ihn. „Fatil wurde von klein auf an dazu erzogen, auf mich Acht zu geben, mich zu schützen. Es ist seine Pflicht und er tut es, weil er mein Freund ist. Es ist nicht deshalb, weil er jemanden hasst, sondern weil ich ihm zu wichtig bin.“ „Dabei scheint es mir, Ihr nehmt Euch selbst nicht allzu wichtig“ bemerkte er weiter mit ebenmäßiger Stimme. „Wie meinst du das?“ „Pharao, Ihr macht es einem sehr schwer, Euch zu verachten. Wisst Ihr das?“ „Ich ...?“ Was sollte ihm damit denn gesagt werden? Er machte es jemandem schwer, ihn zu verachten? Sollte das heißen, er wurde gemocht? Er tat doch gar nichts. Er war nur so, wie er immer war. Hier in dieser Räubermeute vielleicht sogar noch weniger von königlichem Benehmen befangen. „Wie meinst du das?“ „Ihr seid der König dieses Reiches. Ihr badet in Gold und völlt Eurer Macht. Und doch sprecht Ihr zu meinen Männern wie zu Brüdern. Ihr lacht mit ihnen, Ihr esst mit ihnen, Ihr reitet mit ihnen, Ihr wascht Euch in ihrer Anwesenheit, als wäret Ihr ihnen gleich. Mein Leben lang habe ich Euch gehasst. Doch obwohl ich nun mehr Grund denn je habe, fällt es mir schwer, meine Hassgefühle Euch gegenüber zu halten.“ „Ich weiß, dass ihr Räuber mich hasst“ erwiderte er etwas bedrückt. „Aber was euch widerfahren ist, bedauere ich sehr. Ich kann mich dafür schlecht entschuldigen und Wiedergutmachung lehnt ihr ab. Ich kann nur versuchen, zu erreichen, dass es weniger Menschen so ungerecht ergeht wie euch.“ „Genau das meine ich“ sprach er voller Ruhe fort. „Warum verachtet Ihr uns nicht? Warum verachtet Ihr Seth nicht? Ihr wisst doch, was er einst war. Dass er ein Sklave der untersten Würde war. Warum lächelt Ihr ihn an, anstatt ihn zu treten?“ „Du liebst ihn, oder?“ Atemu löste sein Kopftuch, um ihn mitfühlend anzusehen. Das war der Grund, der diesen Hass auf ihn noch weiter schüren sollte. Emenas hasste den Pharao ohnehin schon und dass der ihm nun auch noch seine Liebe stahl, musste ihn sehr verletzen. Er wusste bei eigenem Leibe, wie schmerzhaft, unerfüllte Liebe stach. „Ja, das tue ich“ antwortete er frei heraus. „Aber ich weiß auch, dass er Euch liebt. Ich habe versucht, ihn von Euch fortzuholen, ihn für mich zu gewinnen, doch dieses Vorhaben musste ich schnell aufgeben. Gegen die Gefühle, die er Euch entgegenbringt, kann ich nicht bestehen. Er sagte mir, Ihr wäret ein guter König. Voller Liebreiz, Freundlichkeit, Menschenliebe und Mitgefühl. Und voll der unendlichen Güte und Nachsicht. Ich mochte ihm nicht glauben und doch stimmte ich zu, es mir anzusehen. Euch anzusehen. Ihm zuliebe. Und nun ... ich glaube ihm nun seine Worte. Und deshalb möchte ich mich für mein rüdes Denken Euch gegenüber entschuldigen.“ „Du musst dich für nichts entschuldigen. Du warst immer höflich zu mir und vor allem ehrlich. Ich mag ehrliche Menschen. Egal, ob diese Ehrlichkeit positiv oder negativ für mich ausfällt. Lügner habe ich zu viele um mich herum. Doch durch dich und deine Männer, durch eure Geschichten und einen Einblick in euer Leben, habe ich viel gelernt. Sollte ich wirklich in den Palast zurückkehren dürfen, so werde ich dieses Wissen einsetzen, um die Missstände im Reiche zu begleichen. Ich weiß, es wird immer Menschen geben, welche andere ungerecht behandeln. Aber das ist kein Grund für mich, dieses einfach ungestraft zu lassen. Und die Tage mit euch haben mich in dieser Überzeugung bestärkt. Und dafür danke ich dir.“ „Ihr müsst mir nicht danken. Ihr wisst, ich habe es nicht für Euch getan. Allein wegen Seth habe ich Euch vor meinen Männern geschützt und auch Euer Gefolge unversehrt gelassen. Wäre er nicht bei Euch gewesen, hätte ich anders gehandelt.“ „Ich weiß“ lächelte er ihn freundlich an. „Trotzdem danke ich dir. Nur weil etwas nicht mutwillig gegeben wird, ist dies kein Grund, sich nicht doch dafür zu bedanken. Und ich danke dir, dass du Seth frei gelassen hast“ fuhr er mit gesenkter Stimme fort. „Ich weiß, wie sehr es schmerzt, ihn nur aus der Ferne zu lieben, ihn nicht haben zu können. Und ich danke dir, dass wir darüber sprechen können, bevor noch größere Feindschaft zwischen uns steht.“ „Nicht ich habe ihn frei gelassen, Hoheit. Ihr ward es, der ihn befreite.“ Er entgegnete seinem Blick mit aller Aufrichtigkeit und einem dunklen Glanz. „Ihn so glücklich zu sehen, verdanke ich Euch. Ihr schenktet ihm ein neues Leben und das scheinbar völlig ohne Vorbehalt, trotz all des Wissens über ihn. Und deshalb kann ich Euch nicht hassen. Und meinen Männern geht es ähnlich. Sie sind keine schlechten Menschen. Wir sind letztlich nur eine Zusammenrottung Ausgestoßener, die das Unrecht, welches ihnen widerfahren ist, nicht verkraften können. Vielleicht sollten wir uns ein Beispiel an Seth nehmen, welcher das Unrecht nicht verdammt, sondern es fahren lässt. Ich wäre gern so stark wie er.“ „Emenas?“ Unsicher blickte er an ihm herauf und hielt seinen Kopf ein wenig gesenkt, um ihm nicht zu forsch zu begegnen. „Darf ich dich etwas fragen? Etwas persönliches?“ „Ihr wollt fragen, woher ich Seth kenne. Er hat nicht über uns gesprochen?“ Nein, das hatte er nicht und Atemu schüttelte fragend den Kopf. Das brannte ihm schon lange auf dem Herzen. Er hatte bisher nur Vermutungen angestellt, doch woher er und Seth sich kannten, war in all der Zeit hier, nie wirklich aufgeklärt worden. Und er wollte nicht nur etwas über das Leben wissen, von welchem Seth nicht sprach, sondern auch ein wenig mehr über Emenas erfahren. Er schien so voller Geheimnisse, voller Grausamkeit und doch Mitgefühl. Er war ein komplexer Charakter und obwohl er so gebildet sprach, führte er doch das Leben eines Wilden. Die Fragen über ihn, lockten den Pharao, welcher am Liebsten die Geschichte eines jeden einzelnen Ägypters kennen wollte. „Das sieht ihm ähnlich“ seufzte er und sah gerade hinaus, fern in die Wüste, welche sich vor ihnen erstreckte und in etwas mehr Anstrengung für die Pferde, an einer sanften Düne hinauftrug. „Was glaubt Ihr, was ich bin?“ „Was du warst, bevor du Wüstenräuber wurdest?“ „Ja. Was glaubt Ihr?“ So deutlich wollte der Pharao es nicht ausdrücken. Ihm an den Kopf zu werfen, er entsprach genau seinem Bild über elitäre Lustsklaven, war nicht eben höflich. Zumal er damit auch falsch liegen konnte. Vielleicht war dem mysteriösen Emenas seine Schönheit niemals zum Verhängnis geworden und er war von Natur aus ein sehr intelligenter Mensch. Doch mit Intelligenz allein erreichte man noch lange keine Bildung. Und Emenas war unabstreitbar gebildet. „Ich weiß es nicht. Sagst du es mir?“ „Ich denke, Ihr hegt bereits Vermutungen. Es ist ja auch nicht schwer zu erraten, oder? Woher könnte jemand wie ich Seth kennen? Woher könnte ich wissen, dass er früher keinen Namen trug?“ „Ich ... ich möchte eher ... eher möchte ich wissen, weshalb du ihm so dankbar bist. Du bist ihm vom ersten Moment an respektvoll und freundschaftlich begegnet. Also müsst ihr euch früher einst getroffen haben.“ „Sprecht es doch einfach aus. Ihr glaubt, ich sei ein Lustsklave“ antwortete er ihm hart und ein wenig Verbitterung schwang in seiner Stimme mit. „Aber Ihr habt Recht. Seth und ich hatten denselben Herrn.“ Dem wusste Atemu nichts zu hinzuzusetzen. Seine Vermutung war also richtig gewesen und sie waren beide durch schweres Leid gegangen. Vielleicht sogar einst Hand in Hand als Freunde. Aber im Gegensatz zu Seth, welcher diese Erlebnisse mittlerweile fast mit zu viel Leichtigkeit zu ignorieren oder anzunehmen versuchte, so sah man Emenas seinen Schmerz noch sehr an. Er hatte vielleicht niemanden gehabt, der sich seiner annahm und ihm Schutz gewährte. Niemanden, der ihm seine Träume zurückgab. Seth hatte seinen Ausgleich in der Religion gefunden, aber Emenas fand mit Bestimmtheit keinen Ausgleich in der Gesetzlosigkeit. Vielleicht hatte ihn das Leben hart gemacht. Vielleicht war er deshalb Räuber. Aber vielleicht waren das alles auch nur die typischen Thesen, in welche sich Menschen zu leicht flüchteten. „Wenn du nicht darüber sprechen willst, Emenas ... ich will nicht in dich dringen.“ „Das ist es nicht. Meine Männer wissen um meine Vergangenheit und akzeptieren mich vielleicht deshalb als ihren Führer, da ich das größte Leid zu bieten habe. Ich habe es mir nur niemals vorgestellt, mit dem Pharao darüber zu sprechen. Denn genau wie Seth war ich dazu bestimmt, als Geschenk in Euer Bett zu gehen. Und nun mit Euch zu sprechen, fast auf selber Augenhöhe ... zugegeben, es ist ein merkwürdiges Gefühl.“ „Ich bin gegen die Sklaverei“ sagte der König und sah ein wenig niedergeschlagen zu Boden. „Ich finde es abscheulich, dass Menschen mit Seelen und Herzen Zwangsarbeit tun müssen, welche einfach jedem Leben unwürdig ist. Aber ich kann nicht so schnell handeln, wie ich gern würde. Als Pharao bin ich gebunden und wenn ich die Sklaverei sofort verbiete, so wird das ganz sicher den Aufstand des Adels heraufbeschwören, womit viele Unschuldige leiden werden. Noch mehr als ohnehin schon. Doch ich tue, was ich kann. Die gesetzlichen Bedingungen für Sklaven habe ich bereits verbessert und sehe diese Bemühungen allmählich Früchte tragen. Nach und nach verändert sich das Denken der Menschen und ich werde diese Absichten, welche ich mit ganzem Herzen hege, auch an meinen Sohn weitergeben. Wenn der Prinz Trimantep Ameramun einst als Pharao meinen Thron besteigt, wird er meinen Wünsche hoffentlich folgen und seinerseits an seine Kinder weitergeben. So verändert sich Ägypten Schritt um Schritt, von Generation zu Generation. Derzeit ist Trimantep noch ein Kind, aber einst wird er ein Mann sein und das Reich in bessere Zeiten führen. Bessere Zeiten für alle Menschen. Und ich hoffe, dass es in der Generation meiner Enkel dann keine unfreien Menschen mehr geben mag. Dies ist mein Ziel, mein Lebensziel.“ „Ihr seid ein großer Redner“ sprach Emenas gedämpft. „Ich hoffe, dass Eurem Reden die entsprechenden Taten und Ergebnisse folgen.“ „Taten sicher. Nur die Ergebnisse bedürfen inniger Gebete. Doch ich verspreche dir, ich bin kein Mann der Lüge.“ „Das habe ich auch nicht behaupten wollen, Majestät. Es ist merkwürdig für mich selbst, aber ich glaube Euch. Um Euch zu mögen, dafür hege ich zu großen Schmerz. Aber meinen Glauben, den schenke ich Euch.“ „Und diesen nehme ich und werde ihn in Ehren nicht enttäuschen wollen.“ Beide blickten sich einen Moment an und es war, als würden sie im Herzen Frieden schließen. Emenas löste sein Kopftuch und zeigte dem König respektvoll sein makelloses Gesicht. Sein Blick trug einfach zu viel Sorge, zu viele Erinnerungen mit sich, als dass er der Krone seine Treue und Loyalität hätte schwören können. Doch durch Seth hatte er gelernt, dass es nicht unbedingt der Pharao war, dem die leidige Schuld seines Lebens anlastete. An ihm Rache zu üben, würde dem Lande nur noch mehr Hass bringen und dem Täter keine Genugtuung. Den wohlwollenden Weg des Verzeihens zu gehen, dem Pharao darauf zu folgen und die Ungerechtigkeiten langsam aussterben zu lassen ... es war kein schneller Weg, aber ein sanfter, ein sicherer. Verzeihen konnte er nicht, aber sehen, das konnte er. Und er sah, dass man Hass nicht mit Hass bekämpfen konnte. Blut nicht mit Blut. Man heilte eine Wunde nicht, indem man sie weiter aufriss. Man musste sie verbinden und ihr Zeit zum Heilen geben. Atemu hoffte nur, dass auch Emenas das eines Tages so sehen mochte. „Möchtet Ihr erfahren, wie es geschah, dass Seth mir das Leben rettete?“ fuhr er nach einem langen Moment des Schweigens ruhiger fort. „Wenn du es mir erzählen magst, sehr gern.“ Er wollte ihn nicht zum Reden zwingen, wirklich nicht. Aber er wollte erfahren, was ihm und Seth geschehen war. „Ich weiß nicht, inwiefern Ihr mit der Ausbildung und der Lebensweise von Lustsklaven vertraut seid“ begann er mit tiefer Stimme. „Nicht besonders gut. Ich wünschte mir, mehr zu verstehen“ gestand er. „Ich weiß, Lustsklaven sind die schlecht angesehensten. Das Leben als Sklave im Allgemeinen ist hart, aber als Lustsklave dient man seinem Herrn nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit dem Willen und dem Geist. Je weniger Wille ein Sklave hegt und je schöner und gebildeter er ist, desto besser kann er leben. Sofern man es denn als besseres Leben bezeichnen kann, wenn man sich für einen reichen Herrn vollends aufgibt. Weniger attraktive Sklaven mit weniger Bildung und mehr Eigenwillen landen schnell in billigen Bordellen, wo sie bald an Erschöpfung, Unterernährung oder Krankheiten zugrunde gehen. Ich habe eine derartige Sklavenbehandlung verboten, doch die Gesetze werden noch lange nicht überall umgesetzt. In den großen Städten schon eher als in den Vorstädten oder Dörfern. Jedoch weiß ich kaum etwas über die Lebensweise der Sklaven in den Zwischenstufen. Bei reichen Herrn können sie mitunter sehr alt werden, aber wie ist es mit Sklaven, welche weniger reichen Besitzern unterstellt sind? Wie ist der Sklavenhandel organisiert? Wie kann es dazu kommen, dass Kinder entführt oder verkauft werden? Die Kinder von Sklaven und anderen Bürgern gleichermaßen? Ich verstehe so wenig davon, denn dies ist wie eine eigene Welt, welche sich mir nur widerwillig eröffnet. Wirkliche Kenner sprechen nicht mit mir oder tischen mir Lügen auf, die ich ihnen nicht nachweisen kann. Mit dem Sklavenhandel würde ein wichtiger Wirtschaftszweig wegbrechen und da gibt es natürlich Menschen, welche sich in ihrer Existenz bedroht sehen. Insofern weiß ich leider nicht viel darüber, was dir oder auch Seth hätte widerfahren sein können. Ich kann es mir nur vorstellen, aber wissen, tue ich kaum etwas.“ „Dann will ich euch meine Geschichte erzählen. Wenn es Euch interessiert. Wenn es Euch verstehen lehrt.“ „Ja, bitte.“ Er sah ihn behutsam an, aber Emenas hatte sein Gesicht wieder unter dem schwarzen Tuch verborgen und hielte seine Augen geradeaus gerichtet. „Ich bin ein Sklavenkind“ begann er mit dumpfer Stimme. Er schob den Ärmel seines langen Umhangs ein wenig höher und zeigte ihm seinen einen Handrücken. Und was der König dort erkennen konnte, bewies die Wahrheit seiner Erzählung. Er trug das Stigma, mit welchem alle Sklavenkinder gekennzeichnet wurden. Zwei Narben wie ein Kreuz in die Haut eingebrannt. Um ihn zu kennzeichnen. Um ihm niemals den Stand eines Menschen zu gewähren. Und er würde es sein Leben lang unter langem Stoff verbergen müssen. „Meine Eltern waren beide Sklaven eines wohlhabenden, aber nicht reichen Kaufmanns. Sie kannten sich kaum und ihr Zusammentreffen diente eher der Belustigung dieses Herrn. Meine Mutter war Lustsklavin und mein Vater Feldarbeiter, so viel ich weiß. Nachdem ich geboren wurde, hat meine Mutter viel gekämpft, um mich behalten zu dürfen. Ursprünglich wollte der Herr mich verkaufen, aber sie schützte mich vor einer ungewissen Zukunft. Mein Vater wurde verkauft, bevor ich ihn kennen lernen durfte.“ Er ließ seinen Ärmel wieder herunter und legte seine Hand zurück an den Zügel. „Doch je älter ich wurde, desto schwerer fiel es meiner Mutter, mich durchzubringen. Damals diente ich meinem Herrn als Kammerjunge, doch er sagte, ich würde zu viel kosten. Essen und Unterkunft. Und ich war ein Tollpatsch, ständig ließ ich etwas fallen. Außerdem war ich schon immer etwas vorlaut und mit steigendem Alter wurde das nicht besser. Ich begehrte immer wieder gegen meinen Herrn auf und strapazierte seine Geduld. Ich wollte ihn herausfordern. Meine Mutter ermahnte mich immer wieder, ich dürfe nicht so respektlos sprechen, doch ich wollte nicht hören. Ich empfand es als ungerecht, dass ich nicht bei den Kindern meines Herrn am Tisch sitzen durfte. Dass ich arbeitete, bevor sie überhaupt am Morgen erwachten und noch immer arbeitete, wenn sie am Abend bereits lange in den Betten lagen. Sie bekamen das gute Essen und ich nur, was sie übrig ließen. Meine Mutter sagte, das sei Güte genug und ich solle glücklich sein, ein warmes Lager zu haben, doch ich schlug ihre Warnungen in den Wind. Eines Tages, es war zu der Zeit, da ich im Begriff war, zu einem jungen Mann zu reifen, wurde ich wütend. Ich geriet mit dem jüngsten Sohn meines Herrn aneinander. Er war sogar jünger als ich. Ich brachte ihm wie er es wünschte sein Brot. Er wollte warmes, doch die Köchin gab mir kaltes. Er schlug mich dafür ins Gesicht. Mit einem Stock. Da wurde ich wütend und schlug zurück. Es ist nichts geschehen, er war nicht mal verletzt. Doch mein Herr fand dies eine gute Gelegenheit, mich loszuwerden. Endlich hatte er ausreichend Grund. Ich war ihm immer ein Dorn im Auge. Er wollte mich totprügeln, doch meine Mutter warf sich vor mich. Sie liebte mich.“ Er atmete einen Moment und schöpfte neue Kraft. Es war sichtlich schwer für ihn, darüber zu sprechen. Besonders wenn er es dem Pharao erzählte, den er insgeheim immer für alles verantwortlich gemacht hatte, da er Schicksale wie das seine duldete. „Ich musste zusehen, wie er seine Hunde losließ und wie sie meine Mutter zerfleischten. Ihr habe ihr Blut gesehen, ihre Schreie gehört bis sie sich nicht mehr bewegte. Er hätte mich auch getötet, doch an diesem Tag erwartete er einen wichtigen Gast und hatte keine Zeit mehr. Er sperrte mich ein und wollte mich am Abend erschlagen. Vielleicht war es mein Glück, dass sein Gast nach einem Lustsklaven verlangte. Meine Mutter war die Einzige, die er sich hatte leisten können, nachdem sich seine Handelsgeschäfte weniger fruchtbringend gestalteten und seine zweite Lustsklavin an einer Krankheit verstorben war. Und da sie nun nicht mehr war, bot er mich in seiner Not an. Anscheinend wollte er diesen wichtigen Mann nicht enttäuschen. Letztlich teilte ich nicht das Bett dieses Gastes, sondern wurde für einen guten Preis an ihn verkauft. Mein neuer Herr nahm mich mit auf eine Reise, welche in einem Haus etwas abseits einer Stadt ihr Ende fand. Ich wusste genau, was geschehen sollte, als sie mich begutachteten. Die Auslese war streng. Verschiedene Männer und Frauen betrachteten meinen Körper, tasteten mich an allen Stellen ab. Sie prüften mein Haar, meine Zähne, meine Haut, meine Hände, einfach alles. Auch meine intimsten Stellen. Zwar bemängelten sie das Sklavenkreuz auf meinen Handrücken, jedoch vermuteten sie, man könne mich lehren, es gut zu verstecken. Im nächsten Schritt wurde ich einigen Fragen unterzogen, welche meine Intelligenz ausweisen sollten. Ich war widerspenstig und weigerte mich, zu antworten. Doch ich war im richtigen Alter und nach Ansicht meiner Prüfer ein „außergewöhnlich hübsches Exemplar“, wie ich sie sagen hörte. So bekam mein kurzzeitiger Herr einen guten Preis für mich und ich selbst wurde mit anderen jugendlichen Sklaven weitergeschickt. Nach einer erneuten Reise, welche so lange dauerte, dass ich dachte, sie würde niemals enden, erreichte ich das Haus, wo ich damals auch Seth traf. Er war schon länger dort als ich, denn er ist ein wenig älter. Ich erinnere mich noch genau daran, wie leer sein Blick war. Vom ersten Moment an. Er ging immer an der Seite seines Lehrers. Selbst als ich ihn ansprach, wich er nicht von ihm. Er tat keinen Schritt, keinen Blick ohne Aufforderung von ihm. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Wie ein atmender Toter schritt er immer neben ihm her. Wir wurden kurz nach unserer Ankunft gewaschen und in einen Raum geleitet, wo wir einen ersten Auslesetest leisten sollten. Ich und noch eine Hand voll ausgewählter Jungmänner. Seth wurde uns nur als fortgeschrittener Schüler vorgestellt, seinen Namen habe ich niemals erfahren. Wahrscheinlich hatte er ihn selbst bereits vergessen. Ich war erschrocken, als er seinem Befehl völlig ohne Widerspruch folgte. Unsere Aufgabe war es, ein paar Männer mit unserem Munde an ihren sexuellen Höhepunkt zu bringen und uns nicht an ihrem Lustsaft zu verschlucken. Seth wurde angewiesen, es uns vorzumachen und er tat es ohne jegliche Gegenwehr. Noch niemals hatte ich etwas so Widerliches gesehen und es erfüllte mich mit Ehrfurcht vor seiner Beherrschung, aber auch mit Angst. Als er fertig war, sollten wir es ihm nachmachen. Ich weigerte mich, so etwas zu tun. Die Prüfer wollten mich mit einigen anderen Versagern ausmustern, jedoch sprach Seths Lehrer für mich. Wegen meiner außergewöhnlichen Schönheit, hätte ich noch eine Chance am nächsten Tage verdient, so sagte er. Er schickte mich auf mein Zimmer, wo ich mich zur Nacht legen sollte. Ich beschloss, von dort zu fliehen und hätte es wohl auch getan, wäre Seth nicht des Abends zu mir gekommen. Sein Herr habe ihn geschickt, sagte er. Er sollte mir erklären, weshalb es besser sei, wenn ich mich füge. Ich könne nicht ewig darauf hoffen, meine Schönheit würde mich retten. Ich wollte ihn überreden, mit mir fortzulaufen, doch er sprach mit einer solch einfangenden, fast hoffenden Stimme auf mich ein, dass ich ihm einfach glauben musste. Nicht nur, dass die Wachen überall auf dem Gelände, jeden Flüchtigen sofort erschlugen und ich wahrscheinlich nicht lebend hätte entkommen können. Seth machte mir auch Hoffnungen auf Besserung, indem er mir erklärte, wie es weitergehen würde. Er erklärte mir, dass nur einige wenige Jungen und Mädchen für den Pharao ausgewählt und ausgebildet wurden und es eine Ehre sei, wenn man sein Bett teilen oder ihn unterhalten durfte. Die Ausbildung wäre demütigend und manchmal sehr schmerzhaft, doch man würde ausreichendes und gutes Essen bekommen und körperlich von anderen Männern unversehrt bleiben, da man die Jungfräulichkeit erhalten sollte. Dies sei ein spezielles Merkmal, welches bei Lustsklaven nicht häufig zu finden wäre und unseren Wert steigere. Man würde in Lesen und Schreiben und auch Rechnen unterrichtet. In Geschichte, Biologie, Religion, Gesang und Tanz. Selbst politisches Wissen würde man uns lehren. Bewährte man sich in dieser einen Nacht mit dem Pharao gut, würde man in ein besseres Haus kommen, wo man weiter nahrhaftes Essen und nur einen Herrn bekam. Alles, was man tun musste, war, sich selbst aufzugeben, um sein Leben zu retten und den Hunger zu stillen. Wir sprachen fast die ganze Nacht miteinander und am Ende hatte er mich überzeugt, dass ich mein Leben nicht leichtfertig auf einer Flucht riskieren sollte.“ „Und deshalb bist du ihm so dankbar?“ fragte Atemu vorsichtig, als Emenas einen kurzen Moment schwieg und das Gesagte nachhallen ließ. „Weil er dich von der Flucht abhielt und somit dein Leben rettete?“ „Nein, wirklich gerettet, hat er mich auf andere Weise“ fuhr er allmählich fort und seine Stimme war so scheinbar ohne Empfindungen, dass es dem Pharao einen kalten Schauer über den Rücken fror. Er sprach über sein Leben als wäre es das eines anderen. „Anders als Seth und einige weitere weigerte ich mich, meinen Charakter aufzugeben und meinen Namen zu vergessen. Ich tat nur widerwillig, was von mir verlangt wurde und war ein durchschnittlicher Schüler. Immer gerade gut genug, um meine Prüfungen zu bestehen. Aber ich war schon immer ein wenig rebellisch. So legte ich Eidechsen in die Betten meiner Lehrer, verwürzte ihr Essen oder zerstörte auch einige Dinge. Dies waren meine kleinen Racheakte, ohne die ich mich, wie ich noch immer glaube, selbst verloren hätte. Leider wurde ich häufig ertappt und entsprechend bestraft. Ich war schön und so hatte ich meine Fürsprecher, doch meine widerspenstige Art, brachte mich immer in Gefahr. Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, aber eines Tages habe ich es übertrieben. Es war während des Tanzunterrichts, da schmetterte ich in einem guten Moment eine Vase vom Tisch. Unsere Lehrerin trat in die Scherben und verletzte sich. Niemand hatte es gesehen, aber letztlich wusste jeder, dass nur ich es gewesen sein konnte. Wir wurden befragt, wer es getan hätte, aber niemand sagte etwas. Niemand konnte mich beschuldigen, denn auch meine Mitsklaven hatten es nicht mit eigenen Augen gesehen. In ihrem Zorn rief die Lehrerin unseren Herrn dazu, denn sie ahnte genau, dass ich es war. Unser Herr war ein strikter, sehr reicher Mann, der ohne Gnade über uns alle entschied. Auch er fragte, wer die Vase zerschlagen hatte, doch niemand antwortete. Auch ich nicht. Er drohte uns, er würde herausfinden, wer es gewesen sei und den Täter dann mit Sonnentod bestrafen.“ „Sonnentod?“ fragte der Pharao leise dazwischen. „Was ist das?“ „Der Sonnentod“ atmete er tief und senkte seinen Kopf. „So haben wir es genannt, wenn ein Sklave langsam starb. Unser Haus hatte einen Innenhof, wo der Verurteilte angebunden wurde. Ohne Wasser oder Nahrung wurde er dort gefesselt und in der prallen Sonne sitzen gelassen bis er starb. Danach wurde er noch drei Tage dort liegen gelassen, bevor man ihn ohne Begräbnis in der Wüste den Aasfressern vorwarf. So sollte jeder den Missetäter sehen und sich daran fürchten. In meiner Zeit dort habe ich acht junge Menschen so verenden sehen.“ „Wie schrecklich ...“ „Dementsprechend hatte ich noch mehr Angst, meine Tat zuzugeben“ erzählte er weiter. „Mein Herr wusste, dass ich es war und ich wusste, dass er es wusste. Sonst hätte er uns nicht eine solch harte Strafe angedroht. Er würde einen Weg finden, mich zu entlarven. Ich glaube, das wäre mein Tod gewesen an diesem Tage. Das war die eine Tat zu viel und da rettete mich auch meine Schönheit nicht mehr. Ich weiß nicht weshalb, aber als ich vor Angst in Tränen ausbrechen wollte, da trat Seth vor. Er gestand die Tat und bat um Vergebung. Die Vase sei ihm versehentlich herabgefallen, da er sie beim Tanz angestoßen und Furcht hatte, es sofort zuzugeben. Unser Herr war verwirrt, aber er fand keinen Grund, an Seth zu zweifeln. Er war immer der beste Schüler gewesen und die größte Hoffnung des Herrn.“ „Aber warum hat er das getan?“ fragte der Pharao ihn rätselnd. „Wenn er doch so ohne Willen war, weshalb hat er da gelogen?“ „Ich weiß es nicht“ gestand er leise. „Vielleicht wollte er mich retten. Vielleicht hat ihn aber auch der Sonnentod angezogen und er hatte nur nie selbst den Mut, ihn heraufzubeschwören. Ich weiß es nicht. Aber sicher ist, dass er mich gerettet hat und dafür bin ich ihm dankbar.“ „Was ist dann mit euch geschehen?“ wollte er weiter wissen. „Seth wurde nicht getötet.“ „Unser Herr konnte von einer harten Bestrafung nicht mehr zurücktreten. Er hätte sonst seine Glaubwürdigkeit verloren“ antwortete Emenas ernster. „Aber Seth zu töten, wäre dumm gewesen. Einen so intelligenten, schönen und folgsamen Mann. Zu viele Lehrstunden steckten bereits in ihm und er war schon fast reif für das königliche Bett. Jedoch strafen musste er ihn gewiss. So wurde Seth zwei volle Mondzyklen in den Besinnungsraum gebracht.“ „Den ...?“ „Der Besinnungsraum war ein karges Zimmer in den Katakomben des Hauses. Es war dunkel dort, stockdunkel“ erklärte er auch dieses mit leerer Stimme. „Nach dem Sonnentod war dies die schlimmste Strafe. Ich selbst habe nur ein Mal drei Tage darin verbracht und glaubte, ich würde sterben. Es war kalt dort unten, sehr kalt. Wir mussten uns entkleiden, bekamen Arme und Beine aneinandergefesselt und harrten dann aus. Völlig nackt und wenig Nahrung, ohne Bewegung. Nur etwas Wasser lief von der Wand herunter, welches wir ablecken konnten und manchmal warf man uns von irgendwoher ein Stück Brot oder Früchte herein, was wir vom Boden essen mussten. Es gab dort kein Licht, keine Wärme und überall war Stein. Und diese ohrenbetäubende Stille. Nach einer Weile verliert man die Orientierung, weiß nicht mehr, wo oben und unten ist. Man friert und beginnt zu schreien, um sich nicht zu verlieren. Aber man ist ganz allein mit sich und seinem Schicksal. Nie weiß man, wann die Tür wieder aufgeht und doch wünscht man es sich mehr als alles andere. Tausend Hiebe wären angenehmer als diese schreckliche Stille.“ „Wie kann man nur so grausam sein?“ Atemu hatte nicht gewusst, dass es solche Strafen überhaupt geben konnte. Dass man jungen Menschen so etwas antat. Ihm war Folter bekannt, aber diese diente meist zum Verhör oder zur Tötung. Doch niemals zur Strafe. Zumal dies eine vielfach härtere Strafe war, als erlaubt. Harte Foltermethoden hatte er selbst verboten, aber diese Erzählung sagte ihm, dass es noch viel mehr gab, was er einfach nicht wusste. Dass es Methoden gab, den menschlichen Willen zu brechen, zu zerstören, zu töten. „Körperlich wurden wir niemals bestraft, denn wir mussten unversehrt bleiben. Selbst alle Fesseln waren aus weichem Stoff, um keine Narben zu hinterlassen. Deshalb diente jede Strafe in erster Linie dazu, unseren Geist zu brechen“ sagte er in einem kalten Ton. „Alles zu Ehren des Pharaos.“ „Das tut mir leid.“ Er senkte seinen Kopf und Tränen stiegen in ihm auf. Nur, damit er seine Lustsklaven bekam, mussten diese vorher solches Leid erdulden. Je teurer ein Sklave war, desto mehr Leid hatte er erfahren. Es war ein Wunder, dass dies überhaupt jemand überlebte. Und umso mehr verstand er allmählich, weshalb Seth damals so leer gewesen war. Man hatte ihn gebrochen, ausgehöhlt und als Körperhülle weiterverkauft. Zu seinen Ehren. „Um mich zu retten, hat Seth eine lange Zeit dort unten verbracht.“ Seine Stimme war kalt, tonlos und ohne Gefühl. So völlig ohne Gefühl, dass sie angefüllt war davon. Die Mimik seines Gesichtes war unter dem Tuch verdeckt, jedoch war es unschwer zu erkennen, dass er unter diesen Erinnerungen litt. „Was ist danach geschehen? Wie hat er es verkraftet?“ wollte Atemu behutsam erfahren. „Ich glaube, danach war er vollkommen gebrochen“ erwiderte er zitternd. „Der wenige Ausdruck in seinem Gesicht war vollkommen verschwunden und zeigte sich nur noch gefälscht, wenn er eine Rolle spielte. Er wechselte niemals mehr mit einem Mitsklaven ein Wort. Unsere Lehrer und unser Herr waren begeistert von ihm. Ich selbst habe bis heute Schuldgefühle, da ich mich dafür verantwortlich zeichne. Und damals habe ich mir geschworen, wenn ich ihm jemals einen Dienst erweisen kann, so werde ich dies tun. Und wenn es mein eigenes Leben kostet. Auch Jahre später noch musste ich immer wieder an ihn denken. Sein leerer Blick verfolgte mich in meinen Träumen. Zu sehen, dass er in Euch sein Gefühl wiedergefunden hat, stimmt mich glücklich und traurig zugleich. Glücklich, weil er glücklich ist. Traurig, da nicht ich es bin, der ihm dieses Glück gibt.“ „Und dafür danke ich dir. Danke, dass du mich ihn lieben lässt, Emenas“ entgegnete er sanft. „Darf ich auch fragen, was mit dir danach geschah? Wie bist du zu einem Wüstenräuber geworden?“ „Das ist schnell erzählt“ sagte er und nahm langsam seinen gewohnten Ton an. Diesen dunklen, erhobenen und zugleich weichen Ton. „Ich hätte die Ausbildung zur Elite wohl nicht bestanden. Doch ein wenig später rettete mich nicht nur meine Schönheit, sondern eben meine Widerspenstigkeit. Ein Sklavenhändler kam zu uns, um zu sehen, ob schon jemand für den Pharao dabei sei, den er kaufen und ihm schenken könnte. Ich weiß nicht weshalb, aber er interessierte sich für mich. Ich wurde ihm nicht mal vorgeführt, sondern er begegnete mir lediglich auf dem Gang. Ich wusste nicht, wer er war uns so verbeugte ich mich nicht vor ihm. Natürlich wurde ich von meinem Lehrer zurechtgewiesen, aber der Händler lachte und wollte eine Kostprobe meiner Künste. Mein Herr sagte, ich wäre wohl der Letzte, den er derzeit für den Pharao empfehlen könne, aber er fand Gefallen an mir. An meinem scharfen Blick, sagte er. Er folgte mir auf mein Zimmer und wollte, dass ich ihn berühre. Aber ich sagte ihm, ich würde nur den Pharao selbst berühren. Er forderte, ich solle ihn küssen und ich weigerte mich. Nur den Pharao wollte ich und damit eine gute Zukunft. Ich sagte ihm, er könne mir niemals die Möglichkeiten eröffnen, welche der Pharao mir eröffnen könne. Doch er schätzte meine Widerspenstigkeit und so teilte ich nicht das Bett des Königs, sondern seines.“ „Er hat ... dich ...?“ „Ja, er hat mich beschmutzt. Ich weigerte mich, aber er tat es trotzdem und hat mir all meinen Wert genommen. Ein Weiterverkauf war damit nicht möglich. Und auch mein Aufenthalt im Sklavenhaus war unnütz geworden, da ich nicht mehr unberührt war.“ „Was wurde dann aus dir? Hat man dich fortgejagt?“ „Ach, Pharao. Ihr seid so gutgläubig“ lachte er und schüttelte seinen schwarz betuchten Kopf. „Man jagt doch Sklaven nicht fort. Man erschlägt sie, wenn überhaupt.“ „Aber es war doch nicht deine Schuld!“ plädierte er ernst. „Du wolltest das doch nicht! Man kann dich doch nicht für etwas strafen, was du nicht selbst verursacht hast!“ „Majestät, als Sklave seid Ihr grundsätzlich immer schuldig“ gab er die Antwort auf alle Ungerechtigkeiten. Sklaven hatten eine angeborene Schuld. Das war nun einmal so. „Aber er fand Gefallen an mir und so kaufte er mich für sich selbst. Und mein alter Herr war nicht traurig, dass er mich los wurde und dafür sogar noch gutes Geld bekam. Er hätte mich wohl eh nicht mehr lange behalten und an irgendwen verscherbelt. Wenn ich überhaupt so leicht davongekommen wäre. Ich folgte meinem neuen Herrn also zu seinem Anwesen und diente ihm dort eine Weile. Er lachte darüber, dass ich unnütz für den Pharao geworden sei und meine Zukunft nun bei ihm lag. Er lachte über alles, was ich mir noch an Zukunft gewünscht hatte. Er verspottete mich. Er verlieh mich auch mit Vorliebe an seine Gäste und prahlte mit mir, meiner Schönheit und meiner rebellischen Art. Er liebte es, zuzusehen, wie seine Gäste sich an mir vergingen und noch mehr liebte er es, wenn ich vor Wut und Schmerzen schrie. Er liebte es, meinen Willen brechen zu wollen und er liebte es, zu sehen, wie ich meinen Willen verteidigte. Er liebte es, mit mir zu kämpfen. Er selbst und all seine Gäste waren adelig und einige von ihnen sogar regelmäßig bei Hofe zu Gast. Ich begann, alle Adeligen unabdinglich zu hassen und auch den Pharao zu verachten, der sich mit solchen Leuten umgab. Eines Tages war mein Hass zu groß. Als mein Herr mich des Nachts in sein Bett rief, nahm ich eine Schlange mit und zwang ihre Zähne in seinen Arm. Er starb schnell und ich war frei. Ich nahm mir sein Gold, ein wenig Wasser und ein Pferd und ritt fort. Ich nahm mir vor, Seth zu befreien und suchte mir ein paar Männer, die meinen Hass teilten. Nach einigen Wochen hatte ich eine ganze Bande Gesetzloser beisammen und wir stürmten das Sklavenhaus. Wir töteten die Lehrer und meinen damaligen Herrn band ich mit aufgeschnittenen Adern persönlich im Innenhof an und lachte ihn aus, während er sein qualvolles Ende in der Sonne fand. Doch Seth war fort. Ich erfuhr, dass er zum Pharao gebracht wurde, kurz nachdem ich fort war. In unserem Siegeseifer wollten wir den Palast stürmen und den König zu Fall bringen, aber ich verlor mehr als die Hälfte meiner Männer im Kampf gegen die Hofsoldaten. Ich hatte es mir zu leicht vorgestellt. Und Seths Spur war im Palast verloren gegangen. So entschied ich, in die Wüste zurückzukehren und seitdem fangen wir Adelige auf der Durchreise ab, rauben sie aus und häufig töten wir sie.“ „Aber glaubst du, dass das der richtige Weg ist? Morde zu begehen und ...?“ „Ihr wisst nicht, wie das ist“ unterbrach er ihn und funkelte ihn hart an. „Wisst ihr, was es für ein Gefühl ist, gefangen zu sein? Jemandem untergeben zu sein? Wie es ist, keinen Wert zu haben? Und wie gut das Gefühl der Rache ist? Ich bin zu meinem ersten Herrn zurückgekehrt und er erkannte mich sofort. Ich werde niemals die Angst in seinem Blick vergessen. Ich nahm mir seinen jüngsten Sohn und ließ ihn meine Füße lecken, bevor ich die Hunde auf ihn hetzte. Mein Herr sah dies und flehte um sein und das Leben seiner Familie, aber ich lachte ihn aus und trennte seinen Kopf vom Körper. Und es war ein unglaublich befeiendes Gefühl.“ „Und hat es deinen Schmerz gelindert?“ sprach Atemu und sah ihn sanft an. In seinem Blick lag kein Urteil, keine Anklage. Seine offenen Augen zeigten nur Mitleid mit diesem armen Menschen, der nichts kannte als Schmerz und Rache. Der niemals gelernt hatte, dass Macht nicht nur dazu da war, um zu quälen. Der niemals erfahren hatte, dass Macht auch ein Mittel zum Schutz sein konnte. „Ihr wisst nicht, wie es ist, wenn man ...“ „Du hast Recht, ich kann das Leid, welches du erfahren hast, nicht nachfühlen“ unterbrach er nun ebenfalls. „Aber ich frage dich dennoch, Emenas. Hat die Rache deinen Schmerz gelindert? Kann das Blut deiner Peiniger wirklich deine Wunden heilen und dir Glück schenken? Du sehnst dich nach Gerechtigkeit, aber kannst du der Welt Gerechtigkeit bringen, indem du das tust, was du gleichzeitig verachtest? Du bist kein schlechter Mensch. Du hast ein empfindsames Herz und einen großen Stolz. Aber machen die Dinge, welche du tust, dich wirklich glücklich? Hast du jemals darüber nachgedacht, ob der Vergeltung nicht langsam genug getan ist? Ob du mittlerweile nicht mehr Schmerz verteilt als eingesteckt hast? Wer sagt dir, dass alle Adeligen schlecht sind? Du machst ihre Kinder zu Waisen, ihre Frauen zu Witwen und dann schimpfst du auf Menschen, die Böses tun. Ich urteile nicht über dich und will dich nicht bekehren. Aber ich sorge mich, ob du auf diese Weise wirklich dein Glück findest.“ Es entstand ein langer Moment des Schweigens, welcher nur von dem leisen Geräusch des Pferdeatmens und dem samtenen Ton der Hufen im Sand durchzogen wurde. Emenas war so voller Hass, voller Schmerz, dass er auf die nüchternen Worte des Pharaos keine Antwort wusste. Er umgab sich mit Menschen, welche seine Hassgefühle teilten und ihm darin niemals widersprachen. Und dann wurde er ausgerechnet vom König persönlich die Dinge gefragt, die er sich niemals selbst vorgeworfen hatte. Er wusste, es war sein gutes Recht, sich an denen zu rächen, welche ihm und anderen Böses taten. Doch dass er dabei letztlich trotz allem als der gelten könnte, an dem man sich vielleicht eines Tages selbst rächen wollte ... er wusste, dass er als Räuber zu den Menschen gehörte, die man als böse bezeichnete, doch er hatte sich selbst niemals als jemand bösen gesehen. Musste da wirklich erst der Pharao kommen und seine Rache infrage stellen? War sein Recht auf Rache wirklich Unrecht? War es nicht sein Recht, wo er doch selbst Waise war, auch andere Kinder zu Waisen zu machen? Zeitgleich ritten am Ende der Karawane Seth und Fatil und ließen erst ein wenig Abstand zwischen sich und der Gruppe, um vertrauensvoll miteinander sprechen zu können. Doch so ruhig wie Seth auch wirken wollte, so sehr beunruhigte ihn auch Fatils Gegenwart. Er hatte ihm angedroht, er könne ihn ohne Aufsehen schnell aus dem Leben und vom Pharao fortziehen. Und Seth wusste, dass dies durchaus keine leere Drohung war. Fatils Familie besaß große Macht, viele Ländereien und ein hohes Ansehen. Und er war als ältester Sohn der Erbe dieses kleinen Imperiums innerhalb des Palastes. Seth wusste, dass er sich notgedrungen mit ihm gutstellen musste, wenn er am Hofe geduldet werden wollte. Aber auf der anderen Seite wollte er sich auch nicht von irgendjemandem einschüchtern lassen, aus reinem Stolz heraus. „Und? Weswegen möchtest du mich sprechen?“ setzte er dann dennoch als Erster an, um das drückende Schweigen zu brechen. „Kannst du dir das nicht denken?“ fragte er zurück und hatte doch einen ungewöhnlichen Ton in seiner Stimme. Er klang nicht vorwurfsvoll oder so hasserfüllt, wie Seth es gewöhnt war. Aber auch nicht, als würde er sich sofort mit ihm verbrüdern wollen. Eher, als würde er sich zu diesem vergleichsweise friedlichen Ton überwinden müssen. „Des Pharaos wegen also. Ja, das hatte ich mir gedacht“ beantwortete er sich also seine Frage selbst. „Aber du wirst es nicht schaffen, uns jetzt noch auseinander zu reißen. Ich werde um meinen Platz bei ihm kämpfen. Auch wenn es gegen dich sein sollte. Du wirst uns nicht trennen. Niemand.“ „Ich habe mit keinen Wort geäußert, dass ich dieses Vorhaben jetzt hege“ entgegnete er ohne ihn anzusehen. Eher blickte er fest geradeaus, als würde ihm das Sprechen dadurch leichter fallen. „Für meinen Ton dir gegenüber möchte ich mich entschuldigen. Ich gebe zu, dass ich dich nicht sofort in mein Herz geschlossen habe und noch immer nicht verstehe, was der König an dir so sehr mag. Trotz dessen ist dies kein Grund, dich so harsch zu behandeln. Grundlos habe ich dies nicht getan, aber die Tat war härter als der Grund. Und hierfür entbiete ich dir mein Vergebungsersuchen.“ „Du entschuldigst dich?“ Es fehlte nicht viel und Seth wäre rückwärts von seiner edlen Stute gepurzelt. Dass Fatil ihn um Vergebung für seine harten Worte bat, war das Letzte, was er nun erwartet hatte. Und er wusste auch nicht alsgleich, was er darauf antworten sollte. „Ja, das tue ich“ wiederholte er erneut. „Vielleicht magst du nun denken, ich hätte dich so behandelt, weil du als Lustsklave nicht meinen adligen Rang teilen kannst. Aber dem ist nicht so. Ähnlich wie der Pharao denke ich, dass auch Sklaven Menschen mit einem Recht auf eigenen Besitz und körperliche, sowie seelische Unversehrtheit sind. Deine Vergangenheit hat jedoch sehr dazu beigetragen, dass ich dir nicht traute und das tue ich noch immer nicht wirklich. Es liegt nicht allein daran, dass du als Sklave unter mir stehst, sondern einfach, weil ich schon viele Menschen getroffen habe, welche dem Pharao schaden wollen. Aus allen Gesellschaftsstufen. Und ich will nicht, dass man ihm schadet. Er hat sich so sehr in dich verliebt, dass er an nichts anderes mehr denken konnte. Und du hast es erlernt, Männer wie ihn zu verführen. Ich mag es nicht, dass du eine solche Macht über ihn hast. Ich denke nicht so, weil du als Sklave Macht über ihn hast, sondern weil niemand Macht über ihn haben sollte. Weder Sklave, noch Bauer, noch Priester oder ein Adliger. Niemand auf dieser unserer ägyptischen Erde sollte ihn beherrschen, niemand sollte über ihm stehen außer die Götter selbst. Und zu sehen, dass jemand wie er so von jemandem wie dir abhängig ist, macht mich misstrauisch.“ „Glaubst du etwa, ich bin freiwillig als Lustsklave geendet?“ fragte er ihn auf den Kopf zu. „Weißt du eigentlich, was der Pharao für mich getan hat? Wenn jemand Grund hat, ihn zu ehren, dann bin ich es.“ „Wenn jemand Grund hat, ihn zu hassen, dann bist du es“ erwiderte er mit dunkler Stimme. „Ich weiß, dass du jemand bist, der einem leicht etwas vorgaukeln kann. Du kennst den Pharao besser als die meisten Menschen. All seine Verlangen, seine Eigenheiten, seine Vorlieben und seine Abneigungen. Es wurde dich gelehrt wie andere ein Handwerk lernen. Und es gibt viele Sklaven, besonders Lustsklaven, welche den Pharao für ihr Schicksal hassen. Und ich will nicht zulassen, dass ihn ein Hass trifft, dessen Vater er nicht ist. Der Pharao ist nicht der Grund, weshalb es Leid unter den Menschen gibt. Er ist der Grund, dass die Menschen Hoffnung haben. Und ich werde es nicht zulassen, dass ein hasserfüllter Mensch dem Volke seine Hoffnung nimmt. Ich werde nicht zulassen, dass du dem Pharao ein Leid tust.“ „Ich habe ihm niemals ein Leid getan und ich habe dies auch nicht vor. Nur weil ich einst Sklave war, soll das nicht bedeuten, dass ich ihn hasse.“ „Wie soll ich es denn noch betonen? Du könntest auch ein echter Priester oder ein Kaufmann oder ein König aus einem fremden Lande sein. Ich traue dir nicht, weil sein Herz dir gegenüber verletzlich ist. Du kannst ihm Leid zufügen. Deshalb.“ „So kommen wir nicht voran“ seufzte Seth und schüttelte den Kopf. Selten hatte er jemanden getroffen, der einen solchen Sturkopf hatte wie Fatil. Selten gab es Menschen, mit denen er sich nicht einigen konnte. Selbst wenn er ihn nicht als Sklaven sah, so sah er ihn doch als Bedrohung für den König. „Es ist traurig, dass wir uns nicht einigen können. Dabei haben wir doch etwas so Wichtiges gemeinsam.“ „Und was wäre?“ forderte er hart zu wissen. „Die Liebe zum Pharao“ antwortete er überzeugt. „Ich weiß, dass er dir ebenso viel bedeutet wie mir. Du liebst ihn wie deinen Bruder und du willst Leid von ihm fernhalten. Und ebenso ich. Ich liebe ihn ebenfalls und will nicht, dass ihm ein Leid geschieht. Warum können wir nicht Seite an Seite für sein Wohl arbeiten, anstatt uns zu zerstreiten und ihn damit in Konflikte zu bringen? Warum kannst du mir nicht ebenso vertrauen, wie ich dir vertraue?“ „Weil der Pharao dir verfallen ist“ war seine feste Antwort. „Der Pharao ist ein weiser Mann“ entgegnete er. „Er sieht alles mit nüchternen Augen. Niemals würde er mir trauen, wenn ich ihm etwas Schlechtes wollte.“ „Wenn du das denkst, kennst du ihn nicht wirklich“ riet Fatil ihm und wurde ein wenig ruhiger, etwas bedrückt fast. „Er liebt dich so sehr, dass er alles für dich aufgeben würde, wenn du ihn nur bittest. Deine Worte wiegen für ihn mehr als seine Pflicht. Und diese Macht in den Händen eines anderen, noch dazu von jemandem, der Grund hätte, ihn zu hassen ... nein, das ist schwer zu akzeptieren. Er ist dir verfallen mit all seinem Denken und seinem Fühlen.“ „Das glaube ich nicht. Er weiß um seine Verantwortung. Immer würde er zum Wohle Ägyptens entscheiden.“ „Siehst du das wirklich nicht? Bist du so dumm oder spielst du nur so gut, da du das Schaustellen lerntest?“ fragte er und sah mit ratlosen, schier ungläubigen Augen zu ihm herüber. „Aus unerfüllter Liebe wählt er den Tod als Erlösung und du behauptest, er sei dir nicht verfallen? Denkst du wirklich, ich sehe das nicht und schenke dir Glauben, du würdest ihn nicht eines langsamen Todes verwünschen?“ „Aus unerfüllter Liebe?“ Den Sinn dahinter verstand er nicht. Oder zumindest hätte er sich niemals ein solches Denken angemaßt. „Du meinst ... er hat den Tod gesucht, um mir zu entkommen?“ „Tu nicht so, als wäre dir das neu“ warf Fatil ihm verbittert vor. „Es kann dir nicht entgangen sein. Seine Blicke, wenn er dich ansieht. Dass er nachts deinen Namen ruft. Dass er nach deiner Nähe sucht und immer wieder im letzten Moment zurückzieht. Wie aufreizend du ihn lockst und ihm dann den Zugang verwährst. Du treibst ihn in die Verzweiflung.“ „Aber ... er ...“ „Weshalb sonst sollte er sein Volk allein lassen, wenn nicht aus großer Not? Du magst sagen, wenn du ihn töten wolltest, hättest du es schon längst getan. Aber ich sage, ich weiß nicht, wie du ihn töten willst. Vielleicht forderst du seinen Freitod ja heraus oder du willst warten bis wir im Palast sind, um ihn vor den Augen aller hinzurichten. Ich weiß nicht, was du vorhast. Und deshalb traue ich dir nicht.“ „Du bist ungerecht“ warf er ihm vor, auch wenn sich seine Augen langsam mit Tränen füllten. Nicht, da Fatil ihm sein Vertrauen verweigerte, sondern da er erfahren musste, dass der Pharao sein Leben hatte fortwerfen wollen, da seine Liebe unerfüllt blieb. Insofern hatte Fatil Recht und der Tod des Pharaos ging zu seinen Lasten. Ob nun erzielt oder nicht, es wäre seine Schuld gewesen. „Du kannst mir keinen Vorwurf machen, dass ich die Liebe des Pharaos nicht sah!“ verteidigte er sich. „Woher sollte ich wissen, wie sich Liebe anfühlt? Wie sie aussieht? Ja, ich habe gelernt was Lust bedeutet, aber niemals Liebe! Ich bin vielleicht ein schlechter Mensch, aber ich bin kein Mörder! Das kannst du mir nicht vorwerfen!“ „Ich werfe dir nichts vor, ich spreche mit dir“ antwortete er und wand seinen Blick von ihm ab. „Und meine Entschuldigung ist ernst gemeint. Ich verachte dich nicht und ich muss dir sagen, dass auch mein Misstrauen dir gegenüber wankt. Dass ich dir nicht vertraue, bedeutet nicht, dass ich dir misstraue.“ „Und was soll das dann alles hier?“ forderte er zu wissen und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Dieser Stich hatte gesessen und vielleicht war das die Strafe der Götter dafür, dass er seine Verlobte von einem Tag auf den anderen verlassen und ihre Träume mit Füßen getreten hatte. Die Strafe für seine eigenen, schlechten Taten. Seth behauptete nie, ein guter Mensch zu sein. Aber er behauptete, dass er seinem Herzen folgte. Manchmal etwas zu rasch vielleicht und nicht frei von Strafe oder Sünde. Aber sein Herz hatte an Stärke gewonnen und trug jede Strafe, solange er nur seinem Pharao nahe sein durfte. Jedoch wollte er ihm mit seiner Nähe doch niemals schaden. „Ich habe dich nicht zum Gespräch gebeten, um dir Vorwürfe zu machen, sondern um mich zu erklären“ sprach er gestrafft weiter. „Als die Räuber uns überfallen haben, da hast du dich vor den Pharao geworfen und dein Leben für ihn gesetzt. Ich weiß nicht, ob das vielleicht zwischen dir und Emenas abgesprochen war, aber ...“ „Wie hätten wir das denn absprechen sollen? Ich war jahrelang im Tempel eingeschlossen und ...“ „Bitte, lass mich ausreden“ unterbrach er und sah ihn tief an. „Das war der Moment, in welchem ich angefangen habe, zu denken. Du wusstest nicht, dass wir einen Abstecher über deinen Tempel nehmen würden und zu deiner Weihe anwesend sind. Das war etwas, was du nicht planen konntest. Ich wüsste jedenfalls nicht, auf welche Weise du dies hättest tun wollen. Und wenn du dies nicht geplant hast, so habe ich vielleicht auch mit anderen Dingen falsch gelegen. Ich mache nicht häufig Fehler, aber wenn ich welche zu verschulden habe, stehe ich dazu. Und deshalb will ich mich für meinen harschen Ton und die Anschuldigungen entschuldigen und hoffe, du kannst mir vergeben.“ „Für jemanden, der sich entschuldigt, bist du noch immer sehr harsch“ musste er ihm doch sagen, denn er empfand es so. „Ich kann nicht anders. Einen anderen Ton zu finden, fällt mir schwer. Häufig habe ich mich nicht entschuldigt in meinem Leben und wollte auch niemals etwas tun, was ich hätte bereuen müssen. Umso mehr hoffe ich, dass du meine Worte annimmst und vielleicht ein wenig Verständnis für mich aufbringst. Wenn ich dich wirklich verachten würde, so würde ich bei keinem Lustsklaven jemals Vergebung suchen. Ich hoffe, du siehst damit, dass mir dein Stand egal ist. Ich will mir Mühe geben, dich als Priester zu akzeptieren und auch meinen Ton in Zukunft zu ändern. Hauptsächlich, um dem Pharao sein Glück zu lassen. Denn wie du schon sagtest, haben wir die Liebe zu ihm gemein.“ „In Ordnung“ entbrachte er und auch wenn seine Stimme noch etwas belegt war von dem Schock seiner Schuld, so wollte er sich doch vor Fatil keine Schwäche eingestehen. „Lass uns vergessen, was war und einen neuen Anfang machen. Ich vergebe dir, wenn du dein Misstrauen ablegst.“ „Mögen die Götter unseren Pakt segnen“ sprach er, sah ihm in die Augen und streckte ihm den Arm entgegen. „Wenn du den Pharao wirklich liebst, so will ich dein Bruder sein.“ „So die Götter es gestatten, will ich dich Bruder nennen“ antwortete er und packte ihn am Handgelenk, ebenso wie auch Fatil seines festhielt und sie sich forschend in die Augen sahen. Zwar hatte selbst ihr Vergeben noch etwas Rüdes in sich, jedoch war es ein guter Anfang für einen Frieden zu des Pharaos Ehren. „Jedoch lass mich noch ein einziges Mal etwas anbringen“ sprach Fatil dennoch fest und sah ihn voller Stärke an. „Wenn du dem Pharao ein Leid antust, bist du ein toter Mann.“ „Wenn ich dem Pharao ein Leid antue, so bitte ich dich“ antwortete er gleichermaßen, „dann töte mich mit deinen eigenen Händen. Ich werde mich nicht wehren.“ „Gut. Und fortan wollen wir nicht mehr davon sprechen“ beschloss er und ließ seinen Arm wieder frei, ebenso wie Seth seine Hand zurück an den Zügel legte. Es war ein ungewohntes Gefühl für beide, aber vielleicht entwuchs ihrem schroffen Anfang eine feste, treue Bruderschaft. Ebenso wie aus steiniger Erde manchmal die duftensten, farbenfrohesten Blumen entwuchsen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)