Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III von masamume ================================================================================ Kapitel 30: Kapitel 30 ---------------------- Kapitel 30 Die Sonne stand tiefrot über den hellen Lehmdächern dieser jungen Wüstenstadt, flutete alle Gassen mit hellem Orange und färbte die Hauswände rosa und Fatil beobachtete bei seinem Weg zurück in die Herberge, wie die Händler des Marktes ihre Waren zusammenpackten, ihre Stände schlossen, ihre Tiere versorgten und ihre teils schon auf den Armen schlafenden Kinder in Richtung ihrer Betten brachten. Hier und dort war noch der ein oder andere Bürger unterwegs. Eine alte Frau in verstaubter Kleidung, welche einen trockenen Laib Brot an einen kleinen, spärlich beharrten Mann mit einem maskierten Falken auf der Schulter verkaufte und beide aufgeregt am Feilschen waren. Und im nächsten Häusergang, welcher ihn vom Marktplatz wegführte, kamen ihm drei Männer entgegen, welche nun sicher ihren Feierabend begießen gingen. Hach, wie gern hätte auch er mal wieder so richtig Feierabend? Er liebte seinen König und war gern mit ihm unterwegs, aber mit der Palastwache nach Schichtwechsel noch auf einen Krug ins Wirtshaus zu gehen, fehlte doch nach so vielen Wochen langer Reise. Während sich hier die Menschen nun auf die Nacht vorbereiteten, war er noch in Gedanken bei der Planung des morgigen Tages und bei der Überlegung, ob er den Pharao heute Abend noch belästigen sollte. Er zog das neu erstandene Pferd hinter sich her und freute sich doch ein wenig, wie brav es war. Es war kräftig, gut zugeritten und würde den langen Marsch über bis in den Palast sicher treue Dienste leisten. Und dafür war es nicht mal besonders teuer gewesen. Nur drei Silberdukaten hatte er dafür gezahlt, allerdings auch mit einem kleinen Gegengefallen verstand sich. Er hatte sich heute als Beauftragter des Pharaos pflichtgemäß beim höchsten Mann hier, dem Stadthalter Abu Saphrem, vorgestellt und war dort mit offener Gastfreundlichkeit empfangen worden. Sie hatte ein langes Gespräch miteinander und nun war er fast schon zu spät in der Zeit, als dass noch viel Abend blieb, um ein geeignetes Pferd als Ersatz für das lahmende zu finden. Da traf es sich doch wie von den Göttern bewirkt, dass genau an diesem Tag ein Viehzüchter beim Stadthalter vorsprach, um ihm seine neuen Tiere anzupreisen. Er hatte dieses hervorragende Tier günstiger erstanden, als es diesem würdig war, aber im Gegenzug sagte er Abu Saphrem zu, er würde dem König die Bitte nach einer Audienz überbringen. Das hätte er zwar ohnehin getan, denn dass der Stadthalter zu einem Empfang geladen wurde oder selbst einlud, war eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch Abu Saphrem war selbst noch recht jung, was seinen großen Erfolg im Aufbau dieser Stadt nur mehr zu seinen Ehren rühmte. Nichtsdestotrotz hatte er kaum Erfahrung im Umgang mit hohem Hofadel, geschweige denn im Umgang mit der Königsfamilie - aber wer hatte das schon groß im Reiche? Die Frage, welche sich hier nun noch stellte, war, ob er den Pharao noch heute Abend fragte oder erst morgen früh. Für gewöhnlich besprach Fatil jeden Abend mit ihm die Planung für den nächsten Tag, was bei einer Wüstenreise in den meisten Fällen eh nicht wirkliche Fülle der Zeit brachte. Außer Wandern, Reiten und Sand gab es da nicht viel. Jedoch so ein paar Aktivitäten mussten sie hier schon bestreiten, wie zum Beispiel nicht nur die Audienz des Stadthalter, sondern auch einen Besuch im Tempel oder ein stilles Gebet am Stadtbrunnen. Es gehörte sich so für die Etikette und außerdem sah sich der Pharao gern in neuen Städten um, lernte neue Menschen kennen und hörte ihre Lebensgeschichte. Unglaublich, dass er trotz seines hohen Postens ein so großes Herz für die Unterschicht besaß. Nicht unglaublich, dass ihm dafür die Herzen der Unterschicht zuflogen. Ja, er würde sicher gern den Stadthalter kennen lernen, denn auch er hatte mit Bestimmtheit einiges zu erzählen und die Bürger dieser aufstrebenden Stadt eng auf die neuen Gesetze des Pharaos eingeschworen. Besonders seine Versuche, die Sklavenhaltung zu verändern, würden beim Pharao auf großes Interesse stoßen. Auch das Vorhaben, im örtlichen Lusthaus nun das heilige Wort an die Sklaven zu bringen, würde den König sicher brennend interessieren. Doch vielleicht sollte er erst morgen mit ihm über den Tagesplan sprechen. Heute Nachmittag war der Pharao bereits überraschend in der Herberge eingeschlafen. Ja, er hatte wirklich müde ausgesehen. Die Nächte schlief er unruhig, wenn er überhaupt schlief. Er aß weniger als gut für ihn war und viel zu oft machte er den Anschein, er wolle nur noch das Gesicht in die Hände betten und weinen. Sein Pharao war erschöpft von der langen Reise, ratlos ob der angespannten, politischen Situation mit den Nachbarländern und verzweifelte zunehmend an seinem Herzschmerz. Wenn er nicht bald eine Lösung für letzteres fand, so würde Fatil das in die Hand nehmen. Liebe hin oder her. Wenn Liebe ihm schadete, war sie nicht gut. Nicht nur, weil er der Pharao war, durfte er nicht wegen nur eines einzigen, so undurchsichtigen, verleumdeten Menschen in Verzweiflung geraten. Nein, auch weil er für Fatil wie ein Bruder war, so durfte er nicht wegen eines so nutzlosen Sklavenpriesters solch einen Herzschmerz erleiden. Und wenn der Pharao dem nicht selbst ein Ende setzte ... lange würde Fatil sich das nicht mehr mit ansehen. Er konnte in diesen Seth nicht hineinsehen, ihn nicht erforschen, da er sonst verraten würde, dass er alles wusste und sein Schweigeversprechen an den König brach. Er konnte ihm nicht zu nahe kommen. Und doch war dieser Mann dem König näher als es ihm lieb war. Sobald sie wieder im Palast waren und vorausgesetzt, es hatte sich bis dahin nichts an dem zunehmend schlechten Befinden des Pharaos geändert ... Fatil war kein Befürworter von Morden, aber er konnte Seth verschwinden lassen und er hatte genug Geduld, die Tränen des Pharaos zu trocknen. Lieber einen Sklaven ins Exil schicken als den König weiter leiden zu sehen wie ein gequältes Tier. Was Seth mit ihm tat, war unmenschlich. Das hatte der Pharao nicht verdient. Als hätten die Götter ihn heute schon ein zweites Mal erhört, gaben sie dem treuen Freund des Pharaos auch die Möglichkeit, den ersten Stein zu werfen. Bei einem Seitenblick in die schmale Nebenstraße kurz vor der Herberge bemerkte er ein tiefes Rot, welches ihm zu bekannt vorkam. Er blieb stehen und blickte genauer hin, was in der zunehmenden Dunkelheit nicht eben einfach war. Aber doch, er hatte sich nicht geirrt. Dies war ein Priestergewand, welches für diesen Teil de Reiches absolut üblich war. Doch auch seine hoch gewachsene Gestalt verriet sich durch Seths Schatten. Ja, es war Seth, welcher dort stand und einem viel kleineren Menschen, einem Jungen etwas in die Hand gab. Das Gespräch zwischen beiden schien in diesem Moment beendet und war so leise gewesen, dass er sie schon vorher nicht hatte verstehen können. So wenig wie durch das angestrengte Lauschen, welches er in den letzten Momenten versuchte. Das Hufscharren des Pferdes kam ihm viel lauter vor als die heimlichen Worte dort. Als sich die beiden eben wieder voneinander trennten, quetschte er sich schnell an sein Pferd heran, um nicht bemerkt zu werden. Einen Augenblick herrschte Ruhe in dieser kleinen Gasse. Nur in weiter Ferne hörte man noch das abendliche Treiben in den umliegenden Straßen und in den jetzt zur Hauptzeit besuchten Gasthäusern. Bis Fatil schnelle Schritte nahen hörte und schon an der Frequenz auszumachen wusste, dass es nicht Seth war. Seth war groß und tat langsame, weit ausschreitende, fast behäbige Schritte. Diese hier aber waren kurz und fix, sodass es nur der Junge sein konnte. Seth selbst war sicher weiter in Richtung Herberge gegangen. „Halt. Warte mal, Junge.“ Dass er plötzlich nach seinem Hemd griff, ließ den Kleinen doch zusammenfahren, sich erschrocken umdrehen. Aber er lief nicht fort, sondern tastete mit seinen geweiteten Augen schnell Fatil von oben bis unten, dann kurz das Pferd und wieder ihn ab. „Ich habe nichts Unrechtes getan“ rechtfertigte er sich sofort und drückte seine zerschlissene Ledertasche an sich. Er trug keine Schuhe und seine Kleidung war fast so schmutzig wie seine Füße, sein dunkles Haar zerwuselt und mit Wüstensand besetzt. Wie ein Sklave schien er nicht, dafür war sein Rock zu teuer und zu gut geschneidert, aber er war sicher ein nicht eben reicher Botenjunge. Diese Art von Ledertaschen war sehr verbreitet unter Kindern, welche zum Transport von kleinen Waren eingesetzt wurden und als guter Wüstenführer hatte Fatil so etwas schnell zu deuten gelernt. „Ich wollte dich nicht erschrecken, entschuldige.“ Er hatte den Jungen schon wieder losgelassen und sah unbedrohlich zu ihm herunter, als auch der Kleine einen Schritt auf ihn zutrat. „Kann ich etwas für Euch tun, Herr?“ bot er freundlich an. „Habt Ihr etwas zu schicken oder wünscht Ihr, dass ich Euch etwas besorge?“ „Nein, ich habe alles und brauche nichts schicken“ dankte er. „Aber sag mir, Junge, der Priester eben. Was hatte er mit dir zu handeln?“ „Entschuldigt, die Waren in meiner Tasche werden alle vertraulich behandelt.“ „Oh, es ist schon in Ordnung. Ich kenne den Priester. Er gehört zu meiner Gruppe. Ich bin nur neugierig.“ Aber darauf antwortete der Junge nicht weiter. Er hielt seine Tasche vor Diebstahl geschützt mit beiden Händen fest an sich gedrückt und tat so als hätte er diesen Informationswunsch nicht verstanden. So jedenfalls verstellte er die Aussage seiner dunklen Kinderaugen. „Komm schon.“ So langsam wurde Fatil ungemach. „Was hatte er mit dir zu besprechen? Was wollte er von dir?“ Eine Antwort bekam er nicht, aber gewitzt war der Kleine. Das musste man ihm lassen. Er streckte seine leere Hand aus und hielt sie dem Fremden vor ihm entgegen. Als Kind der Straße lernte man schnell, wie man sich seinen Lebensunterhalt verdiente. Und Fatil wusste auch das. Mit einem Seufzen griff er in seinen Geldbeutel und zog eine kleine Münze heraus, welche er dem Jungen in die offene Hand fallen ließ und sich seine Information eben erkaufte. „Einen Brief, Herr“ antwortete er dann auch und steckte das leicht verdiente Geld in einen Beutel, welcher an seiner Ledertasche hing. „Er gab ihn mir mit dem Auftrag, ihn sicher in den Haupttempel zu senden. Und nun werde ich ihn der nächsten Karawane mitgeben, welche in ein oder zwei Tagen ankommt und in diese Richtung abreist.“ „Ein Brief.“ Eigentlich nur ein schlichter Brief. Ein ganz schlichter, einfacher Brief. Es war ganz normal, dass Priester Botschaften in ihren Stammtempel sandten. Und doch ... Seth war ihm noch immer ein Rätsel, er traute ihm nicht zwei Ellenmaße über den Weg. „Zeig ihn mir.“ „Das kann ich wirklich nicht. Das Siegel untersteht dem Postgeheimnis eines Tempels. Er ist mit einem Knoten versiegelt.“ Also griff Fatil wieder in seine Tasche und zog eine zweite Münze heraus, zeigte sie ihm jedoch erst in dem Dämmerlicht des Abends. „Zeig mir den Brief, Junge.“ „Nein, mein Herr. Er ist versiegelt und außerdem von einem Priester. Ich muss ihn wirklich versenden.“ „Nun gut.“ Wieder tat er einen Griff in den Geldbeutel und ließ die kleine, läppische Münze zurückfallen. Dafür aber holte er eine glänzende Silbermünze hervor und brachte damit die Augen dieses Botenjungens zum Staunen. So eine hochwertige Münze sah man nicht alle Tage! „Eine Silbermünze, die du auf dem Marktplatz gefunden hast. Doch leider hast du eine Schriftrolle verloren. War es nicht so?“ „Ja, genau so war es“ stimmte er zu und öffnete seine abgegriffene Ledertasche, kramte kurz in den verschiedenen Waren darin herum und zog dann eine dünne Schriftrolle heraus, welche mit einem rot eingefärbten Stoffband verwoben war. Stoff verworben mit Papyrus bedeutete immer, dass ein Heiliger diese Schrift verfasste. Wer das Siegel brach, den traf der Unmut der Götter. Doch Briefe waren im Reiche eher uninteressant, da nur die wenigstens lesen oder schreiben konnten. Dies war den Adeligen vorbehalten und diese interessierten sich eher für andere Dinge als für Gebetsschriften. Er übergab dem Jungen die Silbermünze und empfing dafür dieses Objekt, welches sein Interesse geweckt hatte. Was hatte Seth jetzt schon an den Tempel zu schreiben? Was konnte er nach nur so kurzer Zeit schon wollen? Oder war es wirklich nur eine Gebetsschrift? Doch ein erster Blick verriet ihm sofort, dass sein Gespür noch immer funktionierte. Die Schrift ging nicht an einen der Priester, sondern an Shinasa, die Tochter des Hohepriesters. Seine Verlobte, welche er verlassen hatte. Ohne eine Verabschiedung hatte sich der Botenjunge davongestohlen und ging weiter auf die Suche, nach Dingen, mit deren Transport er sich sein Brot verdienen konnte. Fatil war das egal. Viel mehr reizte ihn nun, was hier auf diesem Papyrus geschrieben stand. Er wickelte sich die langen Zügel des Pferdes um seinen Bauch, um die Hände freizuhaben, das Siegel zu brechen. Eigentlich akzeptierte selbst er die Heiligkeit und die Unantastbarkeit eines solchen Priestersiegels, aber hier lag die Sache anders. Hier war es kein reinherziger Priester gewesen, welcher den teuren Stoff verwoben hatte, sondern ein schmutziger Lustsklave, welcher dem Pharao schaden wollte. Somit war dieses Siegel nichts wert. Seth spielte irgendein falsches Spiel mit dem König und dies hier war hoffentlich ein Hinweis darauf, was er wirklich plante, hinter seinen ungewöhnlich blauen Augen, welche im Pharao Liebe geweckt hatten - in Fatil aber nur Missgunst und Misstrauen. Er riss den Stoff aus dem teuren, fast noch feuchten Papyrus, rollte die Schrift auf und neigte sie ein wenig herunter, um noch das letzte Abendlicht für seine Augen zu nutzen. >Liebste Shinasa mein, du bist sicher verwundert darüber, weshalb ausgerechnet ich dir einen solch hoch versiegelten Brief sende. Ich bin mir sicher, er erreicht dich, noch bevor ich es tue. Ja, du hast richtig gelesen, mein Lieb. Ich komme Heim zu dir. Auch wenn ich mir unsicher bin, ob du deine Tür für mich überhaupt noch ein Mal öffnen magst. Und deshalb schreibe ich dir diese Zeilen, welche ich vorausschicken möchte, bevor ich selbst an die Tempeltore rufe. Bitte verzeih mein Verhalten. Ich war ungerecht dir gegenüber, harsch und ignorant. Ich wollte dich niemals kränken und doch musste ich gehen, um einem Rufen zu folgen, welches ich lang nicht verstanden habe und es doch seit heute Mittag tue. Ein besonderes Ereignis am heutigen Tage hat mich schmerzvoll verstehen gemacht, dass dieses Rufen vergebliche Hoffnung ist, jetzt wo ich es zu deuten vermag. Liebste, ich weiß nicht, wo ich beginnen soll mit meiner Erklärung. Ich möchte dir so gern sagen, dass es mir leid tut, was ich dir getan habe. Und eigentlich ist auch mein Schreiben nun eine himmelschreiende Ungerechtigkeit dir gegenüber. Und doch hoffe ich auf dein gutes Herz, von welchem ich mir nichts mehr als Vergebung wünsche, bevor die Götter am Ende meines Lebens über mich richten. Vorausgesetzt, eine Seele wie meine zergeht nicht zwischen den Welten. Denn ich muss dir gestehen, meine Shinasa, ich bin nicht würdig und zu unrein, als dass ich mich Priester nennen dürfte. Ich gestehe dir, ich habe dir niemals gesagt, dass ich unseren hoch geschätzten Pharao bereits vor einigen Jahren getroffen habe. Damals war mein Leben nicht mehr als eine Hand voll Pferdedung wert. Ich war dem Tode verdammt. Warum dies, kann ich dir hier nicht sagen. Es ist zu schmerzhaft und zu gefährlich, aber ich schwöre dir, ich werde dir alles im Vertrauen sagen, wenn ich erst wieder bei dir bin. Entscheidend für mein weiteres Leben war damals bis heute, dass der Pharao persönlich mich Unwürdigen errettet hat. Mit seiner Güte, seiner Herzlichkeit und seinem Edelmut nahm er mich gebrochen vom Boden auf und hauchte mir neues Leben ein, wie Amun die Toten von der Schattenwelt ins Licht bringt. Der Pharao war es, welcher mich in den roten Tempel schickte und meine Ausbildung zahlte. Von ihm waren die Briefe, welche ich stets vor dir geheim hielt und ihm galten meine Abendgebete. Obwohl ich dich wahrhaft und aufrichtig liebe, waren doch so viele Gedanken bei ihm. Als er dann vor kurzer Zeit zu meiner Weihe kam, erbrannte ein Feuer in mir, welches ich niemals zuvor fühlte. Meine Dankbarkeit war so groß, dass sie mich zu erdrücken drohte. Mit seinem Angebot, mit ihm zu gehen, eröffnete er mir die Verwirklichung all meiner Träume, meiner Wünsche. Doch hatte ich an deiner Seite über die Jahre andere Träume und Wünsche entwickelt. Unsere Ehe und die Absicht, unsere Leben miteinander zu verweben, war neben unserer Religion Lebensinhalt seit ich wieder leben konnte. Unser Pharao muss dies gespürt haben und so wollte er mir die Entscheidung abnehmen. Er zog sein Angebot zurück, lehnte mich ab und verließ den Tempel ohne ein Wort des Abschieds, mit dem Versprechen, wir würden uns nun niemals wiedersehen. Shinasa, ich war verzweifelt. Auf der einen Seite du, die Frau, welcher ich mein Leben versprochen hatte. Auf der anderen Seite der Mann, welcher mein Leben rettete. Bitte versteh, ich konnte ihn nicht ziehen lassen, ohne ihm zu zeigen, wie dankbar ich ihm bin. Es ist meine Pflicht, ihm mein Leben zu Füßen zu legen und ich habe mir gewünscht, er möge es aufnehmen. Ich war wie verblendet von dem Gedanken, ihm nahe zu sein. Und heute, vor nur wenigen Momenten, klärte sich meine Verblendung und ich musste erkennen, wo mein Platz im Leben ist. So abwertend, wie es sich anhört, ist es nicht gewollt. Mein Platz im Leben ist ein guter, denn er ist bei dir. An deiner Seite, weil du die wundervollste Frau bist, welche die Götter jemals schufen. Und ich möchte mir den Platz an deiner Seite zurückerobern, nachdem ich ihn so leichtfertig aufgab. Du fragst dich nach den Gründen meines Gedankenwandels und ich will sie dir gestehen, so wenig rühmlich sie für mich sind. Der eine einzige Grund ist, meine Shinasa, ich habe mich verliebt in unseren Pharao. Das habe ich heute erkannt, als ich ihn mit einem anderen sah und mein Herz in tausend Splitter brach. Seit Jahren habe ich dieses Gefühl nicht zu deuten gewusst, habe es als Dankbarkeit ausgelegt und es vor mir selbst verschwiegen. Meine Liebe zu ihm ist Sünde, Schmutz und Verdammnis. So für ihn zu fühlen, ist ihm nicht gerecht. Wenn wir unter uns sind, werde ich dir auch gestehen, weshalb diese meine Liebe für ihn keinen Wert hat und weshalb ich sie ihm niemals sagen darf. Doch für nun habe ich ungeschmückt gestanden, was geschah und ich hoffe, du verstehst meinen Wunsch danach, zu dir zurückzukehren. So sehr ich den Pharao auch verehre, ihn aus tiefstem Herzen liebe, so wenig kann ich ihm nahe sein, denn ich würde ihn nur beschmutzen. Er ist der Herr Ägyptens und ich bin nicht einmal von Adel. Mein Platz ist nicht bei ihm. Mein Platz im Leben ist an deiner Seite, denn dies ist ein Wunsch, den ich äußern darf. Sicher ist es ungerecht, einer so wunderbaren Frau wie dir zu schreiben, dass ich einen anderen liebe, noch dazu einen Gottessohn, aber dies mindert nicht meine Gefühle zu dir. Nun erkenne ich, was ich auch für dich fühle. Ich will es nicht Liebe nennen, aber es kommt dennoch aus dem Wunsch meines Herzens und der Klarheit meines Verstandes. Ich empfinde für dich Verehrung, Respekt und Zuneigung. Dein Lächeln erwärmt mich, deine Hände sind wie Träume und dein sanftes und doch heiteres Wesen vermögen mein Leben zu füllen. Vielleicht liebe ich dich auf eine besondere Art. Niemand wird jemals an den Pharao heranreichen, doch für mich bist du der zweite Mensch nach ihm. So wundervoll, dass auch du von einem Schein des Segens umgeben strahlst. Bitte verstehe dies nicht als Herabsetzung, denn ich möchte dir sagen, wie hoch du stehst, dass mein Herz so für dich fühlt. Diese meine Gefühle vermögen auch dir unwürdig zu sein. Zu sprechen, dass meine Liebe den Pharao beschmutzt und sie doch dir aufzudrängen, ist dreist. Das weiß ich. Denn auch dich würde ich beschmutzen und hoffe doch, dass mein brüchiger Glaube an das Gegenteil in deinem Herzen Bestätigung findet. Ich hefte es an dein Urteil. Weitere Worte würden nur verwirren oder mich weiter in deiner Gunst sinken lassen. Ich schicke sie dir so voraus bis ich dich selbst erreiche. Und dann werde ich dir alles erklären, alles was in meinem Herzen ist und auf meinem Haupt lastet. Du wirst dann selbst urteilen, ob du mich aufnimmst oder fortjagst. Sollte mir deine Tür verschlossen sein, so kann ich es dir nicht verdenken. Ich bin mir bewusst darüber, was ich für einen schlechten Charakter habe. Wäre ich an deiner statt, ich würde mich auf ewig verdammen. Doch weiß ich auch, dass du ein besserer, reiner Mensch bist als ich. Mein zukünftiges Leben soll an deiner Seite sein, dies ist mein Wunsch. Dass du mich verstößt, dies ist es, was ich verdiene. Doch bis ich dich erreiche, bete ich dafür, du mögest einen Platz in deinem Herzen finden für ein unwürdiges Geschöpf wie mich. Willst du mich erdolchen, so werde ich dein Urteil annehmen und den Göttern danken, dass du es warst, welche mir das Leben nahm. Doch willst du mich anhören, meine Hoffnungen aufkeimen lassen und dann zerwerfen, so werde ich auch dies wehrlos annehmen. Willst du mich aufnehmen, mir verzeihen für meine Sünden, so wird meine unreine Seele dir gehören bis ans Ende aller Zeiten. Doch bitte verzeih, dass mein Herz ein Leben lang zu Füßen des Pharaos liegt. Alles andere sei dein. Ich begleite den König noch zurück in seinen Palast, um ihn dort wohlbehalten zu wissen. Danach nehme ich mir noch am gleichen Tage ein Pferd und werde nicht eher ruhen bis ich mein Haupt vor dir senken kann, meine Knie beuge und die Götter ein letztes Mal bitte, mir Vergebung zu schenken. Sicher haben meine Worte dich verletzt, aber vielleicht ist es dir etwas wert, dass ich dir all meine Ehrlichkeit entbiete und nicht mehr das kleinste Geheimnis vor dir haben will. Auf bald, Geliebte.< Wütend stampfenden Schrittes kam Fatil durch die Tür der Herberge und stürmte den kleinen Saal, welcher um diese späte Uhrzeit schon fast verlassen war. Der letzte Gast in Person eines alten Wandersmannes saß noch hinten am Tisch und ließ sich sein Abendmahl aus Brot und Ziegenmilch schmecken. Ansonsten waren selbst die meisten Fackeln schon gelöscht, um das Haus bald zur Ruhe zu legen. Doch Ruhe war das Letzte, was Fatil jetzt zu finden vermochte. Er quetschte den unrechtmäßig erworbenen Brief in seiner Faust und sein Herz brauste vor Wut. Wie konnte dieser schmutzige Priester es sich nur erdreisten? Er wollte gerade weiterstürmen, als ihm die kleine, zierliche Herbergsmutter entgegentrat. Ihr Falten warfen dunkle Schatten in dem wenigen Licht und ihr linkes, fast blindes Auge schien auf diese Weise nur noch heller. Ihr Haar war schon zur Nachtruhe geflochten und ihre Mehlbestäubte Schürze geöffnet. Der Holzkeil in ihren Händen war eindeutiges Zeichen, dass sie eben auf dem Wege war, den Haupteingang der Herberge zu schließen. „Seid gegrüßt verehrter ...“ wollte sie sprechen, doch Fatil war zu aufgebracht, als noch an große Höflichkeitsfloskeln einen Gedanken zu verschwenden. „Wo ist unser Priester?“ quetschte er sich heraus. Lieber hätte er geschrieen, hätte die himmelsschreiende Ungerechtigkeit beschrieen, welche dem Pharao widerfuhr. Warum nur hatten die Götter seinem Königsbruder eine solche Last auferlegt? Warum nur quälten sie ihn so? Der Pharao war gut zu den Menschen und schenkte ihnen immer das, was ihm selbst fehlte. Fatil liebte ihn und er würde sich gegen alle stellen, welche ihm schaden wollten. Sei das nun ein Sklave oder seien es die Götter. „Er ging eben in unseren Gebetsraum“ antwortete sie ihm doch etwas eingeschüchtert. „Kann ich ihn für Euch rufen, Herr?“ „Nein, habt vielen Dank, gute Frau.“ Mit diesen Worten tobte er an ihr vorbei und ließ sie verwirrt stehen. Sie konnte auch nicht viel mehr tun als sich umzudrehen und dem abendessenden Wandersmann ratlos ins Gesicht zu sehen. Hinter sich hörte Fatil von ihm nur am Rande ein dunkel gerauntes „Adlige ...“, aber kümmerte sich nicht weiter darum. Viel wichtiger war ihm nun, das Bedürfnis zu stillen, welches ihn am ganzen Körper zur Tat drängte. Im Stechschritt fegte er den schmalen Gang entlang, drehte jedoch vor der kleinen Treppe ab, welche hinauf in ihre Gemächer führte. Stattdessen nahm er die Tür links davon, riss den abendlich windverspielten Stoff fast herunter, als er ihn zur Seite bewegte. Und innen in diesem recht kleinen Gebetsraum sah er die Wurzel allen Übels knien. Beschienen von zwei Fackeln, auf dem bastgewebten Gebetsteppich, an den Wänden die Zeichnungen der in der Wüste vorrangig herrschenden Götter und fast zu passend an der Krone des Raumes das Zeichen des Seth. Der Pharao hatte ihm diesen Namen geschenkt und er wusste nicht mal, wie weit fort dieses niedere Lebewesen dort von der Würde eines Gottes entfernt war. „Was ...?“ Es ging so schnell, dass Seth sich nicht mal richtig erhoben oder umgedreht hatte. Er sah in der Bewegung nur Fatil auf sich zustürmen und im nächsten Moment hörte er einen knallenden Schlag an seinem Ohr und fühlte einen stechenden Schmerz an seinem Wangenknochen. Er fiel zurück auf den Boden und hielt sich sofort seine schmerzende Gesichtsseite. Er blickte geschockt zu Fatil hinauf und sah nur das wutrote Gesicht, die feurigen Augen, welche ihn zu erdolchen drohten. „Warum schlägst du deinen Priester?“ rang er sich halb beleidigt, halb verwirrt ab. Körperliche Gewalt gegenüber einem Priester war selbst für Adlige eine Sünde. Man schlug heilige Männer nicht. Sie genossen Immunität gegenüber körperlichen Anklagen. „Du bist kein Priester.“ Fast war sein ungläubiges Lächeln eine grinsende Fratze. Fatil war in Wut, mehr als sonst. „Du bist ein Stück Fleisch mit Atem, nicht mehr. Was glaubst du, was du dir herausnimmst, du ...“ „Warum sprichst du so mit mir?“ hakte er noch mal ein und kam relativ ungeschwächt wieder auf die Beine. Okay, Fatil hatte viel Kraft im Arm, aber da hatte er schon wesentlich schlimmer Dinge weggesteckt. Er stellte sich aufrecht vor ihn hin und nahm auch demonstrativ unbeeindruckt die Hand von der pochenden Wange. „Was ist in dich gefahren, dass du mir gegenüber jetzt sogar körperliche Gewalt gebrauchst? Sind dir deine ewig spitzen Worte nicht mehr genug? Warum hegst du solchen Groll gegen mich, Fatil? Was habe ich dir getan?“ „Du solltest dich lieber fragen, was du unserem Pharao antust“ zischte er und hob den fest umkrallten Brief in die Höhe. Das Papyrus schon ganz zerknittert und eingerissen, aber an Seths Gesichtsausdruck ließ sich ablesen, dass der dieses Schreiben sofort erkannte. „Du ... du öffnest meine Briefe? Du stiehlst und liest sie?“ „Der Dieb von uns beiden bist du und das weißt du genau“ drohte er zurück und entgegnete seinem doch ziemlich geschockten Blick mit purer Wut. „Sag mal, du Miesling, bist du so dumm oder verstellst du dich? Was hast du vor, mit unserem König zu tun? Schämst du dich nicht?“ „Ich ...“ Dazu fiel ihm scheinbar keine Antwort ein. „Was wirst du jetzt tun?“ „Ich weiß es noch nicht“ antwortete er kurz, faltete und rollte das Papyrus ganz klein zusammen und steckte es in die breite Tasche an seinem Gürtel, bevor er ihn abermals voller Hass anblickte. „Ich behalte dich im Auge. Solltest du wirklich so dumm sein, hast du meinen Segen. Solltest du aber auch noch die Tochter des Hohepriesters in deine Intrige einziehen, werde ich einen Trumpf ausspielen, welcher dich niederstrecken wird. Merke dir meine Worte.“ Seth war so überrumpelt, dass er gar nicht wusste, was er darauf entgegnen sollte. Eben noch kniete er hier ins Gebet vertieft und im nächsten Moment wurde er geschlagen und mit mysteriösen Anklagen und Drohungen in die Ecke getrieben. Er verstand einfach nicht, was Fatil vom ihm wollte, warum er ihn so ablehnte oder was ihn so sehr an seiner Person störte. Er war vom ersten Moment an gegen ihn gewesen und nun drohte er ihm mit Worten, welche so unverständlich waren wie seine Taten. Doch was das Schlimmste war: Er wusste nun um seine Gefühle für den König. Dass es Sünde für einen Priester war, den Pharao so leidenschaftlich zu lieben, stand außer Frage. Aber er wäre nicht der erste Priester, welcher einem Pharao sein Herz schenkte und das Volk würde nicht mehr tun, als nur die Nase zu rümpfen. Was aber wahrlich schrecklich war: Warum reagierte er so empfindlich und drohte ihm mit einem Trumpf, welcher ihn niederstrecken würde? Warum wollte er seinen Segen geben, sollte er wirklich so dumm sein? Von welcher Intrige sprach er? Was nur ging in Fatils Kopf vor? Der drehte sich einfach um und ließ ihn mit seinem fragenden Blick stehen. Was scherte es ihn, ob dieser verlogene Priester ihn mit unschuldigen Blicken bewarf? Sollte er wirklich wie vermutet eine Intrige gegen den König planen, so war er nun vorgewarnt. Fatil war kein leichter Gegner. Er hatte vielleicht nicht so viel körperliche Kraft wie ein Soldat, aber seine Waffe war die Intelligenz und mit der hatte er noch jeden bezwungen, welcher sich gegen den Pharao stellte. Er bestieg die schmale Treppe, welche so steil hinaufging, dass er sie fast krabbeln konnte. Er wollte nur noch schnell schauen, ob sein König noch etwas brauchte und sich dann selbst nach einem beruhigenden Kelch Wein zur Ruhe legen. Er ging an seinem eigenen Zimmer vorbei, dessen Tür aussah wie jede andere der siebenen hier im zweiten Obergeschoss. Direkt neben ihm hatte sich der König einquartiert, denn es war der größte und komfortabelste aller Räume hier und im Gegensatz zu diesem tristen Flur ohne Teppich oder Wandschmuck, direkt hübsch herausgemacht. In dieser kleinen Herberge war man nicht auf königlichen Besuch eingestellt, aber es war zu spät am Abend, um noch in das Haus des Stadthalter umzusiedeln. Vielleicht morgen, sollte sich der König hier nicht wohl fühlen. Doch der war für gewöhnlich sehr genügsam und bescheiden. Selbst, wenn ihn etwas störte, würde er es nicht sagen. Deshalb war es so wichtig für Fatil, darauf zu achten, ob ihm wohl war. Selbst wenn er nicht der Pharao wäre, so würde ihm sein Wohl dennoch am Herzen liegen. Einfach, weil er ihn als Bruder liebte und schätzte und deshalb auf ihn achten würde. Seien es nun fehlende Kissen oder ein intriganter Sklave. Höflich klopfte er an die Tür, um sein Kommen anzukündigen ... er lauschte ... doch eine Antwort erhielt er nicht. Vielleicht schlief sein Pharao schon. Deshalb klopfte er auch kein zweites Mal, sondern drückte so leise wie möglich die schwere Tür bis er den Kopf hindurch stecken konnte. Erwartet hatte er einen müden König, welcher tief in seine Laken gekuschelt ganz entspannt das Traumland eroberte und endlich ein wenig Schlaf des Nachts fand. Doch der Anblick, welcher sich ihm bot, war alles andere als entspannt. Mitten auf dem Boden in einer Lache tiefroten Blutes lag sein König danieder gestreckt. Sein helles Gewand hatte sich mit rotem Saft vollgesogen und kletterte den Körper hinauf. Seine Haut so blass wie die unschuldigen Wolken am Morgenhimmel, seine Haltung wie schlafend so ruhig. Doch seine ausgestreckten Arme entließen noch einen Strom pulsierenden Blutes, welcher sich über den Steinboden ausbreitete und den König immer mehr im scheinbar selbst erwünschten Tod versinken ließ. Denn der zu Boden gefallene Dolch in der Nähe seines Kopfes verriet, dass dies hier kein Angriff von außen war. „MEIN KÖNIG!!!“ Ohne noch lang zu zögern, stürzte Fatil ins Zimmer, hob seinen Kopf ungeachtet des Blutes vorsichtig hinauf und schaute ihn geschockt an. Er war nicht bei Bewusstsein. „FAARI !!! PENU !!!“ Er brauchte Hilfe! Sein König brauchte ganz dringend Hilfe! Selbst wenn er sich den Tod wünschte, so durfte es doch nicht auf diese unwürdige und traurige Weise geschehen! Nicht aus unerfüllter Liebe! Er legte ihn vorsichtig wieder auf den Boden und griff zur Seite nach den Tüchern, welche eigentlich zur Körperwäsche bereitgelegt waren. „FAAARI! PENU! HERKOMMEN! SOFORT! FAARI!“ Er riss die weichen Tücher in zwei lange Streifen und reichte nach den aufgeschlitzten Handgelenken seines Bruders. Mit Tränen in den Augen schnürte er die Stofffetzen so eng um seine zugefügten Wunden, dass sie nicht weiter bluten durften. Wer wusste, wie lange er hier oben schon lag und das Leben aus seinen Adern fließen ließ? Sein Körper war noch warm. Er fühlte es als er unter ihn griff und ihn aus dem See verdammnisverheißenden Rotes heraushob. Die gleiche Farbe, welche sein persönlicher Untergang auf der Haut trug ... die Farbe in welcher sein Verstand versiegte, je mehr er sich nach hoffnungsloser Liebe sehnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)