Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III von masamume ================================================================================ Kapitel 12: Kapitel 12 ---------------------- Kapitel 12 Als er am nächsten Morgen erwachte, hatte sich der Raum mehr als verändert. Gestern, als er im eingetretenen Dunkel der Nacht hier in das fackelbeleuchtete Zimmer trat, hatte er das Gefühl, es würde ihn erdrücken. Es war so dunkel, so eng alles, weil dieser ganze Tempel von so festen Ausmaßen war, dass man sich vorkam wie in einem Stein mit kleinen Gängen drin. Obwohl hier alles großzügig und weitläufig war, so war er dennoch diese dicken Wände kaum gewohnt. Im Palast waren seine Lacken dünn und aus Seide, hier waren hauptsächlich feste Webstoffe aus Wolle. Im Palast war alles so zart und filigran, so künstlerisch bis ins kleine Detail mit Kunst durchdacht. Hier kam ihm alles so pompös und respekteinflößend zu. Es war als würde dieser Tempel sein Herz erdrücken wollen. Die Möbel waren hier nicht aus zartem Gold, poliertem Holz und feinstem Marmor. In diesen Räumen fand sich viel Eisen und Kupfer, auch Silber. Das Holz war weich, obwohl es so grob war. Der Boden war nicht mit feinen Pinselstrichen bedacht, sondern aus massiven Quadern zusammengesetzt. Gestern hatte er das Gefühl, er müsse ersticken. Doch als er heute Morgen aufwachte, verschwand das Gefühl schnell. Das dunkle Rot, welches hier überall vorherrschte, wirkte beruhigend und schützend. Die vielen Verzierungen fehlten ihm kaum noch und dafür begann er mit verstreichenden Minuten des Umschauens, diese starke Schlichtheit zu schätzen. Er spürte, dass die wollenen Decken viel wärmer waren als seine tausend Seidenlaken. Auf einen dieser Holzhocker konnte man steigen, ohne, dass man Angst haben musste, er könne brechen. Man musste keine Angst haben, etwas kaputt zu machen. Alles war schlicht, aber schön. Angenehm, so ganz ohne Pomp und Klimbim. Sehr griffig, stabil und urverbunden. In seiner Bescheidenheit so aufregend. Und so klein kam ihm sein Raum nun eigentlich nicht mehr vor. Es wirkte gestern nur so durch die dicke Wand, welche sicher drei Ellen maß und den Raum in zwei Hälften teilte. Auf der einen Seite stand das große, daunengefüllte Bett, in welchem man versank und gewärmt wurde wie im Mutterleib. Daneben ein kleiner Tisch mit harten Kissen, auf denen es sich bestimmt gut sitzen ließ. Und die einsame Kerze, welche dort gestern abgebrannt war, wirkte wie ein Schmuck darauf. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein größerer Tisch, eine abgerundete, feste Holztruhe, eine Feuerstelle und ein betuchter Bereich zum Niederlegen. Die Wände waren nicht geschmückt mit Teppichen, sondern mit geradlinigen, klaren Malereien, welche die Geschichte der frühen Pharaonen erzählten. Und natürlich durfte in diesem Raum ein kleiner Altar nicht fehlen. Ein Brett zwischen zwei Holzsäulen eingesetzt, war das einzig übertrieben schön geschmückte Stück hier im Raum. Es war belegt mit einem weißen Tuch, von Gold durchwebt. Darauf zwei goldene Öllampen, Gefäße mit heiligen Kräutern und Wasser. Davor ein Gebetsteppich, in schönem dunkelblau und goldgelben Zeichen darauf. Man sah dem Raum an, dass dies für einen König gedacht war. In jedem Tempel gab es einen eigenen Raum, den nur der Pharao benutzen durfte. Er erinnerte sich kaum noch an diesen Raum hier, aber hier war er auch mit seinem Vater damals gewesen. Ihm war das weiche Bett in Erinnerung geblieben und die dicke Wand. Alles andere war verschwommen, aber er war sich sicher, dass sich seitdem hier kaum etwas verändert hatte. Durch den kleinen Rahmen dort in der Wand, gelangte man in einen Raum mit einem Wasserbecken, wo er gestern Abend noch schnell gebadet hatte. Das einzig Wohltuende in der gestrigen Nacht. Nach endlosen Tagen voller Staub und Hitze endlich wieder ein Bad nehmen zu können - das war unbezahlbar. „Majestät, guten Morgen.“ Die Stimme klang fröhlich und freundlich, jungenhaft. Aus dem Schatten einer Ecke trat ein junger Mann hervor, vielleicht fünfzehn Jahre alt. Sein Haar war unter einem langen Tuch verborgen, welches ihm bis über die Schultern hing. Und auch er trug diese schlichte, rote Robe, welche hier ganz uniform getragen wurde. Rot war die bestimmende Farbe des Tempels. Das lange, enganliegende Tuch auf dem Kopf zeigte ihn als Diener und das ebenso enge Oberteil machte seine dünne Gestalt nur noch dünner. Ein wirklich hagerer Mensch. Aber dafür war das breite Lächeln in seinem eingefallenen Gesicht eine lustige Sache. Seine Augen waren tiefschwarz, aber seine Zähne dafür umso weißer. Er sah sympathisch und gut gelaunt aus, ein süßer Kammerdiener. „Guten Morgen“ grüßte auch der König als sich sein junger Diener vor ihm kniete und den Kopf senkte. „Du heißt Kima, oder?“ „Oh, Ihr habt meinen Namen behalten“ freute er sich und nahm dies als Erlaubnis sich wieder gerade hinzustellen. „Und ich dachte, Ihr hättet mich gestern nicht wahrgenommen.“ „Entschuldige, sah das so aus?“ „Ja, ein bisschen“ lächelte er trotzdem munter. „Ihr habt nicht viel mehr gesprochen als „Guten Abend“ und „Gute Nacht“. Ich dachte schon, Ihr wäret ein Grießgram.“ „Ein Grießgram?“ lachte er. „Nein, das wollte ich eigentlich nicht sein.“ Der war ja süß. Noch ganz unbedarft, als würde er mit einem der Priester sprechen. Zwar respektvoll, aber so ein Reden hörten des Königs Ohren nicht häufig. „Aber Ihr könnt ja doch lachen“ freute er sich mit ihm. „Ja, ich war gestern etwas aufgewühlt. Entschuldige, falls ich unhöflich zu dir war.“ „Ihr entschuldigt Euch? Unglaublich, mein Pharao entschuldigt sich. Ich dachte, das müsstet Ihr nicht? Ihr müsst Euch bei niemandem entschuldigen! Nicht mal, wenn Ihr richtig Mist baut!“ „Na, aber wenn ich jemanden beleidige und es nicht merke, dann ist es mir ein Bedürfnis, mich zu entschuldigen. Das ist doch nur menschlich, oder?“ „Dann seid Ihr ein guter Mensch“ nickte er feststellend. „Dann stimmt es, was man über Euch sagt. Man sagt, Ihr wäret der menschlichste Pharao, den Ägypten je hatte. Der edelste und der stärkste von allen.“ „So viele Komplimente noch vor dem Frühstück sind ungesund für den Geber“ meinte er freundlich. „Ach, was! Der Kunde ist König!“ lachte er lustig. „Aber nur, wenn der Kunde sich auch wie ein König benimmt“ setzte er mit erhobenem Finger hinzu. „Du gefällst mir, Kleiner. Hast du vor, später mal Gesellschafter zu werden?“ „Nein, eigentlich möchte ich Bauer werden“ antwortete er ehrlich. „Aber meine Eltern bestehen darauf, dass ich eine Priesterschule besuche.“ „Dann müssen sie sehr wohlhabend sein, wenn du hier im Haupttempel sein darfst.“ „Meine Eltern sind Großgrundbesitzer im Norden des Landes. Sie können es sich nur leisten, mich ein Jahr hierher zu schicken und danach darf ich wieder nach Hause. Natürlich hoffen Sie, dass ich mich so gut mache, dass man mir eine freie Ausbildung gibt, aber das will ich gar nicht.“ „Und deswegen gibst du dir keine Mühe hier?“ „Na ja, geht so. So lala eben. Ich will ja eigentlich kein Priester werden. Ich will Bauer werden. In Landwirtschaftskunde bin ich ein Ass, aber was Lesen und Schreiben angeht, so finde ich das nicht so spannend. Reicht doch, wenn ich meine Heuballen zählen kann, oder?“ „Du könntest trotzdem gut ein Gesellschafter werden?“ „Warum?“ „Weil du so viel und frei redest. Du bist sehr unterhaltsam“ lächelte er wohlwollend. „Warum? Stört es Euch? Soll ich aufhören zu reden?“ fragte er ihn ganz ehrlich und schaute ihn mit ganz großen Kuhaugen an. „Nein, ich finde dich gut“ versprach er. „Aber eines wundert mich doch. Warum machen sie einen kleinen, lauten Frosch wie dich zu meinem Kammerdiener? Sollten das nicht eher erfahrene, ruhigere Herren sein, die nicht weiter auffallen?“ „Bitte verpetzt mich nicht, Pharao“ flüsterte er geheimnisvoll, kam ein Stück näher als würde er einem Räuberkumpanen ein Geheimnis verraten. „Ich sollte eigentlich gar nicht hier sein, aber der alte Kitepsens, der eigentlich Euer Kammerdiener ist, hat gestern kurz bevor Ihr in Euren Raum kamt, so nervöse Hände bekommen, dass er sich nicht traute, Euch unter die Augen zu treten. Er wollte Euch erst ein Mal sehen, bevor er Euch dienen kann. Solche Überraschungen sind nichts mehr für Männer in seinem Alter, wisst Ihr? Also habe ich ihm eine Flasche Wein gegeben und er liegt noch immer unten in seiner Kammer und schnarcht.“ „Hast du ihm jetzt geholfen oder ihn ausgetrickst?“ fragte er den kleinen Schelm, der doch irgendwie etwas eindeutig triumphierendes in seinen Augen hatte. „Ich wollte Euch zu gerne mal begegnen“ gab er ehrlich zu. „Also ist es wohl ein bisschen von beiden. Aber ich muss hier verschwinden, bevor einer der Priester das mitbekommt. Sonst bin ich schneller wieder Zuhause als meinen Eltern lieb ist. Ihr verratet meine kleine List doch nicht, oder?“ schaute er ihn dann doch etwas bangend an. Wenn der Pharao ihn nun verpfiff oder sich über ihn ärgerte, konnte das sein ganzes Leben verpfuschen. Und irgendwie sah der Junge so aus als würde er in diesem Moment feststellen, dass das hier doch nicht so eine gute Idee gewesen war. „Nein, ich verrate dich nicht“ versprach er. „Aber nur, wenn du mir einen Gefallen tust.“ „Jeden, mein König! Alles, was Ihr wollt!“ schwor er ihm und ruderte mit seinen Händen wild in der Luft herum. „Was kann ich für Euch tun! Raus mit der Sprache!“ „Es hat sich im Tempel doch sicher schon herumgesprochen, dass ich hier bin?“ „Natürlich! Jeder weiß es! Es ist doch etwas Besonderes, wenn der Pharao heimkehrt! Und Gerüchte verbreiten sich hier schneller als ein Lauffeuer.“ „Dann laufe bitte raus und gib das Gerücht weiter, dass alles normal weitergehen soll“ bat er ihn mit vollster Ruhe. „Weißt du, Kima, jedes Mal, wenn ich irgendwo hinkomme, dann werden Feste gegeben und ich kann nirgends langgehen, ohne dass man vor mir niederkniet. Ich möchte aber durch den Tempel wandern und mir das Leben ansehen, wie es wirklich ist. Bitte gib meinen Befehl weiter, dass ich meine Krone nicht aufsetze und deswegen niemand zu meinen Füßen liegen soll. Willst du das für mich tun?“ „Ja!“ Und sofort drehte er sich um und lief auf die Tür zu. „Ich werde bescheid sagen. Übrigens: Eure Kleidung liegt da hinten in der Truhe. Ist noch ganz frisch und ihr könnt Euch was aussuchen. Also, dann will ich schnell ...“ „Kima!“ rief er ihn noch mal zurück und streckte schnell die Hand nach ihm aus. „Ja?“ Verwirrt machte er in seinem Lauf Halt und drehte sich nach ihm um. „Sag mir, habe ich im Schlaf gesprochen? Irgendetwas?“ „Ihr habt genuschelt“ gab er verdutzt zur Antwort. „Ich war hier hinten in meiner Ecke und hab Euch nicht belauscht. Aber ich hab gehört, dass Ihr irgendwas genuschelt habt. Warum? Seid Ihr Schlafwandler?“ „Nein, hat mich nur interessiert.“ Innerlich atmete er auf. Er war so angespannt hier, es war als könne er Seth überall fühlen, ihn riechen, nur sehen konnte er ihn nicht. Er wusste, dass er ganz nahe war ... und sein Herz schlug schon wieder schneller als es gesund war. „Ihr seid ein komischer Vogel“ war Kimas Meinung dazu. Er drehte sich also um und lief endlich zur Tür hinaus, um seinen königlichen Auftrag zu erfüllen. Atemu aber atmete erst mal tief durch und legte sich die Hand auf die Brust. Er spürte sein Herz darunter leicht pochen, so stark schlug es von innen gegen seine Rippen. Allein bei dem Gedanken an seinen Seth, begann es verrückt zu spielen. Der Kleine eben hatte ihn für ein paar Momente wirklich abgelenkt, aber jetzt war es wieder da. Dieses Gefühl. Er ging ein paar Schritte an das große, offene Fenster, zog den dicken Vorhang zur Seite und ließ sich die Sonnenstrahlen aufs Gesicht fallen. Seine braune Haut leicht wärmen, so schön warm ... Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, war es schon kein Morgen mehr, sondern früher Mittag. Er hatte wirklich lange geschlafen. Nicht nur, weil der lange Ritt gestern sehr anstrengend war und weil sie erst spät am Abend angekommen waren. Sondern auch, weil das Bett wirklich so tief und weich war, dass man darin versank wie der Kopf in Träumen eintauchte. Er blickte hinunter auf den Platz vor dem roten Hauptbau und sah verschiedene Leute vorbeihuschen oder sich einen Moment zur Ruhe setzen. Auf den gestern noch so verlassenen Bänken saßen nun junge Leute, spielten mit Steinen auf einem Brett, lasen sich gegenseitig etwas aus Schriftrollen vor oder sangen sogar leise. In einem Steinring beteten ruhig einige junge Schüler mit ihrem bärtigen Meister, andere gingen vorbei und trugen Bastkörbe auf ihrem Kopf, Taschen in ihren Händen oder hatten Kinder an der Hand. Junge und Alte lebten hier gemeinsam im Namen der Religion. Dieser Tempel war wie eine eigene Stadt inmitten der Wüste. Wie gerne würde er zu ihnen gehören? Wie gerne würde er da unten entlang laufen und einen Korb auf dem Kopf tragen? Wie gerne würde er dort mit seinen Freunden sitzen und ein Spielchen machen? Wie gerne würde er von ihnen bei seinem Namen genannt werden. Freunde klopften sich auf die Schultern, gaben sich die Hände zum Gruß. Vor einem König aber kniete man nieder und küsste seine Füße, im besten Falle die Hände. Die Ehrerbietung, welche die Leute ihm entgegenbrachten, sollte ihn zu etwas Besonderem machen. Aber etwas wirklich besonderes war er doch erst dann, wenn man ihm auf die Schulter klopfte oder ihm die Hand gab, anstatt sie ihm zu küssen. Er war das, was alle bewunderten und verehrten. Dabei sahen die Menschen gar nicht, wie viel ihr eigenes Leben eigentlich wert war. Er hatte alles an Gold, Land, Ernte ... Er hatte nichts an Freundschaft, Ehrlichkeit, Wärme ... Er hatte einen Titel ... Er hatte keinen Namen ... Er war kein Mensch ... Er war nur der goldene Sklave des Volkes ... „Trübsal blasen bringt auch nichts. Das macht es nicht besser“ beschloss er laut zu sich selbst und fand sich dann vor einer Aufgabe wieder, die er so noch niemals bewältigen musste. Er musste sich alleine anziehen. Ihm war bis jetzt niemals aufgefallen, was das bedeutete, aber plötzlich musste er das ganz selbstständig machen - er d u r f t e es ganz selbstständig machen. Im Palast legte man ihm die Gewänder bereit, streifte sie ihm über, kämmte ihm das Haar, während man seine Füße mit Ölen einrieb. Selbst wenn sie auf einer Wüstenreise waren, legten Faari und Penu ihm zumindest seine sauberen Kleider zurecht, damit er das richtige Gewand trug und es nur noch überziehen musste. Er machte niemals etwas selbst, es war verpönt und gehörte nicht zu seinem Titel. Aber jetzt trat er vor die große Kiste, auf die der lustige Kima gedeutet hatte. Er öffnete den schweren Deckel und schob ihn mit schabenden Scharnieren so kräftig bis er offen war und stabil gegen die Wand gelehnt offen stehen blieb. Darin entdeckte er dreierlei Farben. Weiß, lachsfarben und rot. Weiß trug er als Pharao. Es war die Farbe der Macht, der Reinheit und der Königlichkeit, der Heiligkeit. Die meisten Gewänder der Ägypter waren hell, aber sie waren niemals weiß. Sie waren hellgrau, beige oder sandfarben, manchmal fast ausgeblichen. Doch so weiß wie Wolken waren nur seine Gewänder. Die Hohepriester trugen auch weiß, aber sie trugen immer eine Kordel in einer dunklen Farbe um die Hüften. Die Hohepriester waren seiner Heiligkeit am nächsten, aber sie waren niemals so rein wie er. Lachsfarben war sein Alltagsgewand. Es schillerte ein wenig und es war mit Gold besetzt. Dazu gehörte immer auch ein Halsgeschmeide und eine Schürze aus kleinen Zöpfen, welche tanzend an den Hüften herunterbaumelten. Sein Alltagsgewand mochte er am liebsten, denn es kam dem seiner Bürger sehr nahe. Damit fühlte er sich selbst nicht so machteinflößend. Doch rot hatte er bisher noch niemals getragen. Es war dasselbe Rot, welches die Menschen hier alle trugen. Die Farbe des Tempels. Er nahm das Gewand langsam heraus und sah, wie wundervoll es geschneidert war. Es war so lang, dass es ihm bis zu den Füßen reichen musste. Schlicht war es wie alles hier. Ärmel hatte es keine und einen großzügigen Halsausschnitt. Oben herum würde es eng anliegen und kaum schützen, aber unten herum würde es luftig sein und alles verbergen. Das einzige, was dieses von den anderen Priestergewändern unterschied, waren die goldenen Applikationen. Der Saum war mit Blattgold benäht und die Sandalen dazu waren aus hellem Leder, anstatt aus rotem. Und dazu ein Tuch, welches um den Kopf geknotet wurde und eigentlich die Krone halten sollte, aber sonst auch gut dafür war, dass einem die Haare nicht ins Gesicht hingen. Das hier gefiel ihm sofort. Es war etwas, was alle trugen - mal von den kleinen Unterschieden abgesehen. Aber es war dem der meisten Menschen hier so ähnlich. Und er durfte es wirklich tragen. Es war eines Königs gedacht und es verband ihn mit diesem Wüstentempel, der eines seiner vielen Zuhauses war. Schnell streifte er sich sein Schlafgewand herunter und ließ es achtlos auf dem Boden liegen, die Diener würden es später für die nächste Nacht austauschen. Er nahm den roten Stoff in die Höhe und ließ ihn langsam über seinen Kopf den ganzen Körper hinuntergleiten. Das Gewand war dünner als gedacht und als es seine Brust umfing, war er verwundert, dass es wirklich so eng anlag, wie er vermutet hatte und es war fast etwas schwierig, als er es etwas kräftiger hinabziehen musste. Erst ab den Hüften bekam er etwas mehr Spielraum, genauso viel wie er auch in seinen kurzen Alltagsgewändern hatte. Aber es fühlte sich schön an, wenn er etwas Langes trug und er hatte das Gefühl, diese Kleidung würde ihn noch ein Stück wachsen lassen. Er nahm das Kopftuch aus dem gleichen dunkelroten Stoff und band es sich über die Haare. Vorne an der Stirn stand in drei goldenen Schriftzeichen des Name des Amun, seines Schutzgottes. So wies es ihn aus, ohne dass es seine Krone dazu tragen musste. Er fühlte sich gut so. So leicht. So uniform. So zugehörig. >Ob Seth auch so ein rotes Gewand trägt? ..... Seth .....< Wieder überkam ihn der Gedanke und ließ sein Herz zusammenzucken. Sein Seth ... vielleicht wusste er schon, dass er hier war? Vielleicht wartete er nur darauf, dass er endlich aus seinem Zimmer kam und sich zeigte? Vielleicht war er ja schon vor der Tür? Mit diesem Gedanken ... ja, jetzt musste er sich beeilen! Schnell schlüpfte er in seine feinen Ledersandalen, band sie sich an den Beinen bis zu den Knien hinauf und ließ das rote Gewand dann wieder darüber fallen. Schnurstracks schritt er auf die Tür zu, öffnete sie dann etwas langsamer, behutsamer und sah erst etwas vorsichtig hinaus. Hier oben war niemand. Er schlief im mittleren Turm, dessen Kuppel vom Zeichen des Pharaos geziert wurde und hier hatte mit seiner Anwesenheit kaum jemand Zugang. Enttäuschung machte sich breit als er hinaustrat und keinen Seth sah, der hier in freudiger Erwartung stand und ihm in die Arme fiel. Nur der leere Flur. Rechts entlang ein schmales Fenster mit Blick nach draußen. Links von ihm eine weitere Tür, welche die Treppe hinunterführte. In der Mitte ein roter Bastteppich, welcher dem großen Flur die Gradlinigkeit und Schlichtheit gab, damit es hier in so einfacher Eleganz erstrahlte wie überall im Tempel. Er seufzte tief und ließ den Kopf einen Moment hängen. Was hatte er denn erwartet? Dass sein Seth hier draußen stand mit einem großen Blumenstrauß und ihn willkommen hieß? Ihn zur Begrüßung küsste und aus seiner Umarmung nie mehr entließ? Ja, so hatte er es wünschen wollen. Aber das Leben war nun mal nicht immer so, wie man es sich wünschte. Gerade ein König wusste das besser als jeder andere. ... doch Seth war hier irgendwo. Irgendwo hier lief er herum und heute würde er zum Priester geweiht werden. Heute würde sich endlich sein Traum erfüllen und sein König, sein Gönner, sein Schützer würde bei ihm sein. Nicht nur in Gedanken, sondern auch mit seinem Herzen - dem seinen ganz nahe. Vielleicht würde er ihn auch vorher schon sehen können? Vielleicht könnten sie ein paar Worte miteinander wechseln? Vielleicht sich nach so vielen Jahren des schriftlichen Kontaktes endlich in die Arme schließen? Sie würden sich an den Händen halten, wie damals in jener Nacht. Wie damals als seine Augen das erste Mal ein kurzes Leuchten zeigten. Wie damals als er das Herz des Pharaos bewegte. Als er seinen Namen aussprach. Als er den leichten Vorhang zur Seite zog, welcher die Tür verbarg, so sah er diese offen stehen. Draußen zwei Priester in demselben Rot gekleidet, welche auf ihn gewartet hatten und nun tief vor ihm in die Knie gingen, bevor er ihr Gesicht erkennen konnte. „Mein Pharao“ erbrachten sie beide im Chor. „Bitte steht auf“ bat er und wie befohlen kamen sie wieder auf die Beine. Der Priester zu seiner rechten war recht klein und rund. Der Priester zur linken Seite war nur wenig größer als er selbst und lächelte ihn an, als würde vor ihm ein Topf Gold liegen. „Es ist uns eine Ehre, Euch Daheim willkommen heißen zu dürfen“ lächelte er mit einem hellen Ausdruck. „Mein Name ist Shabatarka Tharhaka und dies ist Necho“ zeigte er auch auf den kleinen Dicken. „Wir möchten Euch gerne durch den Tempel führen, wenn Ihr daran Freude fändet. Und danach möchten wir Euch gerne zu einem Mahl einladen, welches unser Hohepriester Chaba Djedef Re dann mit Euch einnehmen wird. Oder habt Ihr vielleicht ein bestimmtes Interesse, welches wir Euch erfüllen dürfen?“ „Ja, das habe ich wirklich“ antwortete er freundlich und bestimmt wie es ihm seine königliche Art gebot. „Ich möchte bitte allein durch den Tempel streifen. Lasst mich bitte selbst erkunden, was hier an schönen Dingen auf mich wartet.“ Zeit und Lust auf trockenen Smalltalk hatte er gerade nicht besonders. Sicher wäre es höflicher gewesen, aber er musste jetzt alleine sein. Alleine mit seinem pochenden Herzen. Irgendwo hier lief sein verbotener Göttertraum die Flure entlang ... und er wollte ihn finden. Mit ihm alleine sein, wenn er ihn fand. Er musste Seth suchen. „... Majestät?“ Dem konnten die beiden scheinbar spontan nicht folgen und blickten erst ihn, dann sich gegenseitig verwirrt an. „Wenn ich etwas brauche, weiß ich ja, wo ich euch finden kann. Ich danke dir für dein Angebot Shabatarka Tharhaka und für deine Mühen Necho.“ Er ging zwischen den beiden hindurch, welche sich einfach noch mal verneigten und ihm dann nicht weiter folgten. Ihr Pharao hatte nicht nur das letzte Wort, sondern auch die Freiheit zu tun, was ihm beliebte. Und wenn er nun lieber alleine weitergehen würde, so durfte man ihm das nicht verweigern. Schließlich war dieser Tempel sein Grund und Boden und alle Menschen hier durften nur mit seiner grundeigenen Güte verweilen. Er ließ die beiden also oben stehen und schritt selbst ein Stück die Wendeltreppe hinunter, bis er wieder an einem kleinen Flur ankam, der dem seinen im obersten Stockwerk baugleich war. Jedoch gingen hier mehrere Türen ab, welche erforscht werden wollten. Er ging den gefegten Boden entlang und ließ seine Schritte über den Stein hallen, bis er an der ersten Tür hielt und sie öffnete. Darin lag ein Zimmer. Es stand ein Bett am rechten Rande, es gab einen Tisch, Kleidung hing an Haken und eine Schale mit Räucherwerk brannte auf einem steinernen, feuerfesten Untergrund langsam ab. Anscheinend wohnte hier jemand. Sicher jemand, der eine sehr hohe Stellung innehatte, wenn er direkt unter den Räumen des Pharaos sein durfte. Er schloss die Tür wieder, ohne die Kammer betreten zu haben. Einen Moment lang zögerte er, weiterzugehen. Eigentlich wusste er hinter keiner Tür, was ihn erwartete. Im besten Falle war es ein leerer Wohnraum wie dieser und im schlimmsten Falle überraschte er jemand bei der Körperwäsche. Er wusste doch gar nicht, was hier war, wer hier war. Natürlich durfte er jeden Raum betreten, aber das hier war nicht nur sein Eigentum, sondern auch der private Lebensraum einiger Menschen. Und auch wenn er ein König war, so akzeptierte er doch die Privatsphäre anderer. Er kannte es selbst zu gut, wenn man keinen Funken Privatheit vergönnt bekam. In jedem seiner Räume standen immer auch Diener, die es gut mit ihm meinten, aber wirklich privat konnte er niemals sein. Und wenn er es doch war, so entstanden schnell Gerüchte darum, was er wohl so alleine treiben würde. Der König war eine Person, welche allen Menschen gehörte ... ... und niemals zu ihnen gehörte. Alle mussten immer alles über ihn wissen. Wie er sein Brot aß, wie oft er sich die Haare kämmte, ob er ein ausgefülltes Sexualleben hatte, wie oft er sein Gewand wechselte, wie oft er sich wusch, wann er las, wie er sprach ... einfach alles. Er war kein Mensch ... Er war ein Objekt ... Der goldene Sklave des Volkes ... Wie viel hatte er doch mit seinem Seth gemeinsam. Auch Seth war behandelt worden wie ein Objekt, erzogen, überwacht und gesteuert. Jedoch hatte Seth, anders als der König, keinen Rahmen, in dem er selbst entscheiden durfte. Der König durfte befehlen, wann er was zu tun gedachte und es lag in seinem eigenen Ermessen, ob die Menschen ein gutes oder ein schlechtes Urteil über ihn fällten. Es lag in seinem Ermessen, ob er Ägypten zu Wohlstand und Ansehen führte oder nur seiner eigenen Lust frönte. Seth hatte diese Entscheidungsfreiheit nie gehabt, er war nur eine Figur in einem Spiel mit dem Pharao gewesen, welches andere Leute mit ihm spielten. Doch auch wenn ihn dieser Gedanke traurig stimmte, so musste er doch lächeln. Jetzt war Seth kein Sklave mehr. Sein Pharao, der ihn wie einen Spielstein bewegen sollte, hatte ihn aus dem Spiel herausgenommen und ihm einen eigenen Rahmen gegeben. Er hatte den Sklaven aus dem Käfig befreit und noch heute würde sein Lustobjekt zum heiligen Mann werden. Er würde aus dem Dreck der Straßen ins Licht emporsteigen, dort wo ein verbotener Traum wie er Zuhause sein sollte. Und sein König? Der menschliche König? Er würde zu ihm aufsehen und sich an ihm freuen. Aus der Ferne ... ... mit dem Herzen ganz nah ... ... mit seinem sehnsüchtigen, schmerzlich pochenden Herzen ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)