Celestin - Leid und Sinnlichkeit von LadyYazoo ================================================================================ Blutrausch ---------- - Blutrausch - Noch nie zuvor hatte Laferté mich mit auf seine Nächtlichen Streifzüge genommen. Ich wusste inzwischen, dass er das tat, denn wenn ich nicht schlafen konnte, sah ich ihn oft sich davon stehlen. Doch jetzt hatte sich etwas verändert; ich hatte mich verändert. Ich fühlte es genau. „Ich bin jetzt wie Ihr. Wir haben dasselbe Blut, nicht wahr?“, fragte ich ihn, als wir am Hafen ankamen. Am Hafen gab es einige Schenken. Es herrsche noch immer reges Treiben dort; auch noch zu so später Stunde. „Ja, so ist es“, antwortete er. „Dann bin ich jetzt Euch ebenbürtig und Ihr könnt mir all Eure Geheimnisse offenbaren.“ „Alles zu seiner Zeit, Celestin.“ Ich hätte geschrieen und getobt, hätte man das zuvor von mir verlangt, was ich jetzt im Begriff war zu tun. Aber mich zwang niemand und ich brauchte auch keine Unterweisung dafür, denn ich kam ganz von selbst darauf. Laferté gab mir in dieser Nacht freie Hand, meine Natur selbst zu ergründen. Er stand geduldig neben mir, gegen eine Hauswand gelehnt. Die Strassen dieser Stadt waren teilweise eng und verschachtelt, und es gab wenig Licht. Zwei Männer kehrten in die Gasse ein, in der wir standen. Sie waren betrunken. Als sie näher wankten, lehnten wir uns noch ein Stückchen weiter zurück, um jetzt völlig in den Schatten der Mauer einzutauchen. Tatsächlich nahmen die Zwei uns nicht wahr, als sie uns passierten. Mein Blutdurst war schon längst wie eine Flamme in mir entfacht. Als Laferté, „jetzt“, flüsterte, löste ich mich aus dem Schatten und wusste sogleich, was zu tun war. Ganz und gar lautlos eilte ich ihnen nach, um einem der Beiden meinen Arm um den Hals zu legen. Mit einem Ruck zog ich ihn an mich heran, so dass er mir in die Arme sank. Dabei presste ich ihm auch schon eine Hand auf den Mund. Das alles ging so unglaublich schnell, dass er keine Zeit mehr hatte, zu schreien. Meine andere Hand ruhte derweil auf seiner Brust. Sein Zechkumpel bemerkte meinen Überfall nicht einmal; er ging und schwatzte einfach weiter. Ihn griff sich wenige Augenblicke später Laferté. Als ich meinem Opfer, meine neuen, scharfen Fangzähne in die Halsschlagader grub, und begann sein mir entgegen sprudelndes Blut zu trinken, empfand ich kein Mitleid, kein Erbarmen, nur einen unglaublichen Rausch. Es ist so gut, das Blut, es kann jeden Kummer davon spüle; wenigstens für eine kurze Weile. Ich gab mich dem völlig hin. Wie konnte ich auch anderes tun, denn das war jetzt meine Natur. Ich war nun eine Bestie! Das wurde mir bewusst, als mein armes, verdorrtes Opfer, zu meinen Füssen lag. Ich fühle, wie sein Blut in mir glühte, wie ich mich dadurch lebendiger denn je fühlte, und es war wohl dieses Gefühl von Leben in mir, dass mich jetzt vor dem Tod erschrecken ließ. Ich trat von der Leiche zurück und presste beide Hände vor den Mund, denn ich wusste noch nicht, ob und wie sich mein Entsetzen äußern würde. Laferté sah mich. Er wusste sogleich was mit mir passierte, und so nahm er mich mit sich davon, dass ich die toten Körper nicht mehr sehen musste. „Auch ich erschrecke noch immer vor ihnen“, hatte Laferté gesagt, „das wird nie vergehen. Der Tod ist immer schrecklich.“ Als wir zu seinem Haus zurückgekehrt waren, dachte ich darüber nach, dass Laferté ja schon immer so gewesen sein musste. Hatte er mich nicht immer wieder zärtlich und doch verwundend gebissen, und hatte ihn der Genuss meines Blutes nicht immer wieder erzittern lassen? Meine Gedanken machten mir jetzt bewusst, dass Laferté auch schon damals so gewesen sein musste; damals, als meine Eltern starben. Mein Herz blieb einen Moment stehen. Hatte er sich über meine Eltern her gemacht? Ob sie da nun schon tot waren oder nicht! Etwa derartiges konnte ich ihn nicht fragen. „Laferté, was sind wir?“, fragte ich stattdessen. Er warf einen Blick zum Diwan. „Ah, sieh, Luise ist nach Hause gegangen“, sagte er. Wir gingen in sein Zimmer. Als ich mich auf sein Bett niedergesetzt hatte fragte er: „Wie hat man es bei euch, im hohen Norden genannt? Nachtmahr? Wiedergänger? Oder gar Draugr? Du kennst doch sicher diese Mythen.“ „Nein“, flüsterte ich, „das sind nur Märchen. Es ist Aberglaube.“ „Aber was glaubst du, wo dieser Aberglaube her rührt?“ Ich streckte meine Hand aus, eine schöne, zarte Hand, mit langen Fingern, elfenbeinweiß und die Nägel noch weißer. Ich betrachtete sie. Es war die Hand eines Toten! Laferté trat zu den Gemälden und legte seine Hand an die Wange meines Bildnisses. Das Bild zeigte einen Jüngling, zart und lieblich, aber ich war jetzt 24. Er hatte das Bild von mir, vor einigen Wochen erst gemalt. Ich sah für mein Alter eben sehr jung aus und fühlte mich auch so. „Sieh, wie schön du bist, und du wirst nun ewig so bleiben.“ „Aber ich bin nun nicht mehr so rosig. Ich bin also wirklich tot!“ Er schüttelte leicht den Kopf und nahm meine Hände in seine, dann sagte er: „Nein, du bist gestorben, aber nicht tot. Fühl dein Herz; es schlägt.“ Tatsächlich war es so! Laferté konnte mir aber nicht sagen, was wir waren, er wusste es selbst nicht. Die Bezeichnung Vampir, wurde erst später erdacht. Sie beschreibt ziemlich gut, was wir sind. Damals nannte Laferté sich selbst einen Nachtmahr. Wir waren also Nachtmahre. Laferté erzählte mir von den Spiegeln, von denen er ja keinen einzigen besaß. Es ist nämlich so: Wir selbst können uns gegenseitig und uns selbst in ihnen sehen, aber ein Mensch sieht unser Spiegelbild nicht. Um keine Aufregung zu verursachen, verbannte Laferté alle Spiegel aus seinem Haus. Ich genoss in dieser Nacht noch ein wenig meine geschärften Sinne, vor allem jene, die der Mensch längst verloren hatte. Laferté war amüsiert über meine Faszination. Er nahm mich immer wieder in seine Arme und küsste mich. Irgendwann gegen Morgen meinte er, wir müssten nun das Haus verlassen. Ich verstand nicht. Er schrieb einen Brief an Luise. Darin schrieb er ihr, sie solle nicht auf mich warten, denn ich würde ihn von nun an bei seinen Geschäften begleiten. Ich sagte ihm, ich wolle nicht, aber er nahm mich fest bei der Hand und sagte: „Du wirst aber müssen!“ Er sagte es so, als würde mein Leben davon abhängen. Den Brief legte er für Luise auf den Küchentisch, damit sie ihn auch sicher fand. Mir gefiel das gar nicht. Laferté zog mich mit sich, durch das hamburger Hafenviertel. Die Nacht neigte sich ihrem Ende entgegen und man sah schon einen schwachen Silberschimmer am Horizont. Obwohl ich Lafertés Eile und Sorge nicht verstand, graute mir automatisch vor diesem Licht, ohne jedoch zunächst zu wissen, warum das so war. „Bringt mich davor in Sicherheit!“, schrie ich ihn an und klammerte mich an sein Gewand. Er führte mich weiter, vorbei an Hafenkneipen, Mauern, Häusern und über eine Holzbrücke. Wir gelangten auf einen kleinen Friedhof. Laferté steuerte auf eine nach unten führende, sehr schmale Treppe zu, die von einer niedrigen Mauer umgeben war. Am untern Treppenabsatz, eine Etage unter der Erde, befand sich ein mit Eisen beschlagenes Tor. Laferté schob das Tor auf. Es fiel hinter uns wieder zu. Es hatte keinen Riegel. Nun waren wir in völlige Dunkelheit gehüllt, doch Laferté entzündete sogleich eine Pechfackel. Jetzt sah ich den Ort, an den er mich gebracht hatte; ein wahres Erdloch! „Komm“, sagte er und nahm wieder meine Hand. Mein Herz raste noch immer, aber ich war dem schrecklichen Sonnenaufgang entkommen. Es gab vom ersten Raum aus, drei Gänge. Wir nahmen den mittleren. Er war nur kurz und nach einer engen Biegung gelangten wir in einen rechteckigen Raum. Im Gang – ebenso wie im Raum – waren längliche Nischen in das Erdreich gegraben. Einige Stellen waren gemauert. Vor allem die das Gewölbe stützenden Bögen waren aus Stein. „Dort in den anderen Räumen hat man im letzten Jahrhundert die Opfer der ‚großen Pestilenz‘ geworfen. Die Räume sind mit Knochen gefüllt. Diese Gruft betritt heute niemand mehr, aus alter Furcht“, erklärte Laferté kurz. Räume voller Gebeine; ich wollte das lieber nicht sehen. Die Nischen waren wohl ursprünglich für die Toten vorgesehen, aber sie waren alle leer. Ich denke, diese Gruft war für christliche Beisetzungen vorgesehen, bevor die Pestilenz Dreizehnhundertfünfzig ausbrach. Laferté rückte eine Steinplatte von der Wand. Dahinter waren zwei weitere Nischen nebeneinander, beide mit gemauertem Gewölbe. Laferté hatte vorsorglich ein gefüttertes Leinentuch darin ausgebreitet; ebenso für mich, wie für ihn. „Es wird Zeit“, sagte er, und dann musste ich mich in eines der Erdlöcher legen. Ich hätte das vorher nicht geglaubt, aber es gab mir tatsächlich ein behagliches Gefühl, dort, in der kühlen dunklen Enge zu liegen. Ich fühlte mich so sicher, als wäre dieser Ort für mich gemacht. Die Fackel erlosch und ich hörte den Stein wieder vor die Wand fahren. Laferté hatte sich gleich nebenan in sein ‚Grab‘ gelegt. Ich fiel sofort in tiefen Schlaf.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)