Der Traum von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der Traum Die Nacht war warm und hell durch den Vollmond, der unablässig auf den Boden strahlte und damit alle Konturen der Landschaft preisgab. Normalerweise saß man in solch einer wunderbar angenehmen Nacht sehr lang draußen im Garten und genoss den Spätsommer, da man wieder einen langen schweren Winter vor sich wusste. Doch in dem Anwesen der Familie de Jarjayes war man heute früh zu Bett gegangen, da die Anwohner bei der täglichen Mittagshitze hart arbeiten mussten. Ob es sich dabei um Arbeit in der königlichen Garde oder auch normale Hausarbeit handelte, war eigentlich egal. Alle Anwohner, ob nun Bedienstete oder auch Familienmitglieder schliefen fest und wollten sich durch den Schlaf von der anstrengenden Woche erholen. Doch einer drehte sich unablässig unruhig von einer Seite auf die andere. Es war für ihn eine weitere schlaflose Nacht, die ihn mit Albträumen plagte. Seine Hände krallten sich an der dünnen Decke fest, die seinen Körper bereits wie ein Gefängnis umspannt hatte. Er schrie plötzlich ihren Namen und war wach. Aufgeschreckt durch sein Schreien saß er aufrecht im Bett und musste sich im Dunkeln erst einmal klar werden, wo er sich denn befand. Langsam kehrten die eben noch geträumten Bilder in sein Gedächtnis zurück, was ihm ein Seufzen entlockte. Überwältigt von dem Schmerz den er gerade noch empfunden hatte, legte er seine Hand an die Stirn und schloss kurz die Augen, um zu versuchen die unliebsamen Szenen aus seinem Kopf zu verbannen. Mehrfach atmete er durch, doch so recht wollte ihm sein Verstand heute nicht gehorchen. Er wollte aufstehen, doch er bemerkte wie die Decke ihn nicht gehen lassen wollte. Mit schnellen Bewegungen und einigen verärgerten Bemerkungen entwandt er sich schließlich dem störenden Geflecht und ließ es achtlos zu Boden fallen. Doch wie nun weiter? Zuerst musste er seine Gedanken wieder klar bekommen. Er schritt hinüber zu der Schüssel, die auf dem Tisch unweit seines Bettes stand. Er griff mit seinen Händen hinein und war dankbar, dass sich noch halbwegs kaltes Wasser darin befand. Er nahm eine Handvoll und bedeckte damit sein Gesicht, um sich abzukühlen. Doch sobald seine Augen wieder geschlossen waren, um das kalte Wasser zu empfangen, drangen die Bilder, die er endlich vergessen wollte, wieder in seinen Kopf hinein. Er sah sie. Er sah sie eigentlich in jeder seiner Träume. Doch dieser Traum ließ ihn Schmerz empfinden, sodass er unsagbar darunter litt. Sie war in den Armen eines anderen und meinte, sie würde ihr Leben an dessen Seite weiterführen. Sie brauchte ihn also nicht mehr als ihren Bediensteten und sogar ihre langjährige Freundschaft schien ihr nichts mehr zu bedeuten. Dieser Traum ließ ihn seine gesamten Ängste und Sorgen Nacht für Nacht durchleben. Irgendwann konnte er es nicht mehr ertragen. Er wusste nur zu gut, dass sie in einen anderen Mann verliebt war und wahrscheinlich hatte er sie damit für immer verloren. Nur wusste er nicht, ob der andere Mann ebenfalls solche Gefühle für sie empfand. Er hätte schwören können, dass er dies nicht tat, da er Nacht für Nacht die Gärten von Versailles aufsuchte, um sich mit einer anderen Frau zu treffen. Doch was würde passieren, wenn sie ihren Mut fand und ihm ihre Liebe gestehen sollte. Würde er sich der andere dann doch für sie entscheiden? Er wusste hierauf keine Antwort, aber sein Traum zeigte ihm immer wieder, wie sich die Zukunft ereignen könnte, wenn er sich tatsächlich für sie entscheiden sollte. War es denn ein Zeichen, dass ihn der gleiche Traum immer wieder aufsuchte und ihn leiden ließ? War es ein Zeichen dafür, dass er sie an einen anderen verloren hatte oder dass er endlich handeln sollte, dass doch noch nicht alles ausweglos war? Noch konnte er diese Frage nicht beantworten, doch ihm wurde eines in diesem Augenblick bewusst. Er musste sie jetzt sehen. Sofort. Es kam ein Verlangen in ihm auf, dass er noch nie so intensiv gespürt hatte. Es setzte sich aus Schmerz, Liebe und unsagbarer Angst zusammen. Er würde einfach zu ihr gehen. Vielleicht wollte sich sein Verstand einfach davon überzeugen, dass sie sich noch in seiner Nähe befand, dass sie ihn noch nicht verlassen hatte. Vielleicht würde er mit ihr reden, doch vielleicht wurde das Verlangen auch einfach dadurch gestillt, dass er sie zumindest sehen könnte. Das hatte wenigstens in den letzten Jahren immer ausgereicht. Er wusste noch nicht, was geschehen würde. Er wusste nur, dass er sie jetzt sehen musste, sich vergewissern musste, dass noch alles so wie früher war, also begab er sich auf den Weg zu ihr. *** André schlich leise, durch die Vorhalle des Hauses, um zu der Treppe zu gelangen, die hinauf in Oscars Gemächer führte. Mitten in der Nacht einfach in ihr Schlafzimmer zu spazieren, war mindestens genauso unangebracht, wie dem General zu sagen, er sei konservativ. Beides musste in jedem Falle bestraft werden, ob dies nun durch eine Verweisung des Hauses durch den General oder einem möglichen Fausthieb von Oscar in seine Bauchgegend geschah, war André gerade ziemlich egal. Sein Verstand hatte sich bereits auf den Weg aus seinem Zimmer nicht mehr zu Wort gemeldet und beobachtete nur stumm, was André gerade tat. Er wollte sich damit beruhigen, dass doch eigentlich nichts verwerfliches darin zu sehen war, wenn ein langjähriger Freund seinen Kameraden mitten in der Nacht aufsuchte, um mit ihm zu sprechen. Tja, vermutlich wäre auch nichts verwerflich an dieser Situation gewesen, wenn doch Oscar ebenfalls ein Mann gewesen wäre und André sich nun nicht zusammenreimen müsste, wie er sie wohl mitten in der Nacht in ihrem Zimmer vorfinden würde. Als dieser Gedanke kurz in seinem Kopf kam, musste André feststellen, dass es doch sehr anzüglich war, einfach in die Gemächer einer Frau einzutreten, die sich wer weiß wie in der Nacht kleidete um die Wärme von ihrem Körper fernzuhalten. Doch so schnell wie der Gedanke kam, war er auch schon wieder verschwunden. André schwur sich, sobald er etwas bei Oscar sehen sollte, was nicht für seine Augen bestimmt war, würde er umgehend ihre Gemächer verlassen. An diesem Entschluss seinerseits konnte man erkennen, dass sein Verstand tatsächlich ausgesetzt hatte. Er war getrieben von Liebe und Verlangen, die ihn blind zu machen schien. Würde er morgen früh über sein Verhalten nachdenken, würde er sich selbst für sein Handeln bestrafen. Doch in diesem Augenblick dachte er weder an den nächsten Morgen, noch an die Reaktion Oscars die womöglich alles andere als wohltuend ausfallen würde. Seine Hand legte sich ganz von allein auf die Türklinke und bog sie nach unten. Leise trat er in ihr Vorzimmer und konnte alles Vertraute erkennen. Das große Fenster, dass begrüßend den Vollmond hereinbat, der Tisch mit den beiden Stühlen, die größtenteils von ihm selbst und Oscar genutzt wurden und der große schwarze Flügel, an welchem Oscar eins ihrer weiteren Talente täglich unter Beweis stellen konnte. Doch das alles war im Moment unbeachtlich für ihn, denn sein Ziel befand sich im angrenzenden Nebenraum, in welchem das Schlafzimmer von Oscar eingerichtet war. Wieder bewegte er sich. Es war ein Gefühl der Trance in ihm, wie er sich selbst erblicken konnte als er da hinüber in das andere Zimmer schritt. In der offenen Tür kam er zum Stehen und versicherte sich, dass Oscar tatsächlich schlief. Im gesamten Raum herrschte vollendete Ruhe. Er hörte nur sich selbst leise atmen und als er kurz aussetzte, bildete er sich ein Schlafgeräusche von Oscar gehört zu haben. Das schien ihn auszureichen, um näher an die Seite ihres Himmelbettes heranzutreten. Er befand sich mitten im Lichtkegel des Vollmondes, der direkt durch die großen halbrunden Fenster an den Seiten des Bettes fiel und ihn damit enttarnte. Er beugte sich leicht über das Bett, um den schweren Kontrast von Helligkeit und Schwärze zu überwinden, die über dem Bett herrschte. Langsam klarte sich das Bild vor seinen Augen und es war ihm möglich die Konturen von Oscars Gestalt auszumachen. Ihre Beine waren angewinkelt und leicht zur Seite geneigt, ebenso wie ihr Oberkörper. Ihr rechter Arm ruhte unter ihrem Kopf und das blonde Haar war ebenmäßig über das weiße große Kopfkissen verteilt. Die dünne Decke war bis zur Taille hinaufgezogen worden und ließ erahnen wie lang ihre Beine tatsächlich waren. Sie trug ihr schlichtes weißes Seidenhemd, was sie normalerweise auch beim Trainieren bevorzugte. Nicht einmal im Schlaf schien sie sich mit Frauenwäsche abfinden zu können. Diese Erkenntnis beförderte ein Lächeln auf Andrés Lippen. Ihm wurde auch bewusst, dass das Hemd nach unten gerutscht war und dadurch ihre schmalen Schultern entblößt wurden. Sie waren weich und ohne Wunden, doch André wusste um ihre Narben am Rücken, Verletzungen, hervorgerufen durch Fechtduelle. Sie war eine Frau und dennoch war ihr Körper von Kämpfen gezeichnet, was sich André wieder in Erinnerung rief. Jede andere Frau hätte sich für solche Narben geschämt, doch das lag nicht in der Natur von Oscar. Sie jetzt so vor sich zu sehen, ruhig und verträumt, steigerte das Gefühl in André sie zu berühren. Er streckte langsam seine Hand nach ihrer nackten Schulter aus und fragte sich dabei, ob er nur einmal ihre Haut unter seinen Fingern spüren wollte oder ob er sie wecken wollte. Er ging fest davon aus, dass sie schlief, doch André ahnte nicht, dass Oscar eine ebenso unruhige Nacht hatte wie er. Als André mit seinen Fingerspitzen ihre Haut fühlte, erwachte Oscar und drehte sich leicht in seine Richtung. Sie erkannte ihn sofort, wie er vor ihrem Bett stand und seine Hand auf ihrer entblößten Schulter ruhte. Alles mögliche wäre André nun in den Sinn gekommen, wie Oscar auf ihn reagieren würde, doch hätte er niemals damit gerechnet, dass sie zuerst kein Wort sagte, sondern ihn einfach nur betrachtete. Ihre Augen spiegelten weder Verärgerung noch Wut wieder, soweit André dies in der Dunkelheit ausmachen konnte. Er bemerkte nicht, wie seine Hand noch immer auf ihrem Arm verweilte, zu sehr versank er in ihrer Ruhe, die von ihr auszugehen schien. Ihr Kopf neigte sich leicht zur Seite "André? Kannst du nicht schlafen?", es war kaum mehr als ein Flüstern, getragen von einer Sanftheit und Sorge, die er selten bei ihr vernahm. Womöglich lag es daran, dass sie noch immer schlaftrunken war und noch nicht recht erfassen konnte, was sich gerade in ihrem Zimmer vor ihrem Himmelbett abspielte. Doch André erkannte, dass sie hellwach und bei Sinnen war. Ihr Blick schien zu klar und drohte ihn zu durchbohren. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass sie in sein tiefstes Innerstes blicken konnte. Etwas übermannt von dieser Erkenntnis taumelte er leicht von ihrem Bett zurück und ließ sich auf dem Stuhl nieder, der unweit davon entfernt stand. Sein Blick wanderte zu Boden und verharrte. Erst danach war er wieder zu einer Regung befähigt, die darin bestand den Kopf verneinend hin und her zu schütteln. Eine Weile herrschte wieder absolute Stille, in welcher Oscar ihren Freund einfach nur beobachtete. Als André dann wieder leise sich regende Geräusche vernahm, schaute er langsam auf und erkannte, wie Oscar sich aufsetzte, ihre Beine an ihren Körper zog und sie mit ihren Armen umschlag. Sie saß seitlich zu ihm und schien sich nichts daraus zu machen, dass ihr Hemd nochmals bedrohlich tiefer rutschte. Sie blickte verträumt an die gegenüberliegende Zimmerwand und strich sich dabei eine Haarsträhne hinter ihr Ohr, sodass André ihre Gesichtszüge gut erkennen konnte. Sie wirkte zu dieser Stunde anders als sonst. Ihre Mauer aus Selbstschutz schien tiefer zu liegen als normal und in André breitete sich ein wohliges Gefühl aus, als er erkannte, dass sie es zuließ. Sie ließ es zu, dass er sie so wie eben sehen durfte. Dass sie nicht immer korrekt und kaltherzig wirkte, sondern auch weich sein konnte, nicht immer darauf bedacht, dass ihre Kleidung ohne jeden Tadel an ihrem Körper saß. Sie schien nicht zu bemerken, was sie für eine Wirkung mit ihrem Verhalten auf André hatte. Oder vielleicht doch? Langsam aber sicher wünschte sich André, dass er diesen nächtlichen Ausflug doch schon einmal früher begangen hätte. Was hätte er darum gegeben, sie in dieser Situation schon des öfteren anzutreffen. "Ich kann ebenfalls nicht gut schlafen... Zu viele Gedanken sind derzeit in meinem Kopf und ich habe das Gefühl sie nicht richtig ordnen zu können.", ihre leise bedrückte Stimme durchbrach wieder die Stille und war für André eine angenehme Melodie. Sollte er fragen, über was sie sich Gedanken machte? Doch bevor er dies tun konnte, hatte sich Oscar ihm schon direkt zugewandt "Weshalb kannst du nicht schlafen?" Es verwunderte ihn schon sehr, dass sie nicht erfahren wollte, warum er mitten in der Nacht in ihrem Zimmer aufkreuzte, sondern sie das Bedürfnis danach hatte zu erfahren, was der Grund für seine Schlaflosigkeit war. Er zögerte kurz und erwog eine Lüge zu erfinden. Doch das schien ihm nicht fair. Schließlich war sie ihm gegenüber auch ehrlich "Ich habe seit einigen Nächten Albträume. Sie kehren immer wieder und ich bin es leid, sie immer neu ertragen zu müssen...". "Also..., hast du nun vor jede Nacht in meine Gemächer zu schleichen, um dich ablenken zu können?" Diese Erwiderung kam so unerwartet für André, dass er befürchtete, dass Oscar nun doch über sein Verhalten verärgert war, aber als er in ihre Augen blickte, war er sich sicher, dass sie es scherzhaft gemeint hatte. Ein Lächeln ihrerseits darauf bestätigte seine Vermutung. Was war nur in ihn und Oscar gefahren? Alles schien so surreal, als würden sich zwei unterschiedliche Personen als die beiden einst waren in diesem Raum befinden. Einerseits war André glücklich über diese Situation, andererseits glaubte er, ein Traum würde seine Sinne vernebeln. Ihre Blicke waren tief und es lag eine Intensität in der Luft, die beide bisher noch nicht kannten. War dies der perfekte Augenblick, um Oscar zu gestehen, was er für sie empfand? Sie saß vor ihm, nur darauf konzentriert seinen Worten zu lauschen. Diese Aufmerksamkeit war ihm völlig fremd. Doch er genoss es sehr. Er konnte gar nicht ausdrücken, wie sehr er diesen Moment verinnerlichte. Alles war mit Spannung erfüllt, selbst Oscar schien dies zu spüren. Plötzlich erhob sie sich von ihrem Bett und stellte sich ans Fenster. André stellte überrascht fest, dass sie noch Hosen trug. Doch ihm blieb keine Zeit darüber nachzudenken, was dies für einen Grund hatte. Stattdessen warf Oscar einen Blick auf die Grünanlagen außerhalb des Hauses und lächelte wieder. André war verdutzt und das war sichtbar. Sie drehte sich wieder zu ihm und fragte "Wollen wir hinaus in den Garten?" *** Nun war André derjenige, der seine Gedanken ordnen musste. Ihm war noch nicht so recht bewusst, dass er gerade mit Oscar den Garten durchquerte. Seine Schuhe knirschten bedächtig unter den weißen Kieselsteinen, die den Weg ebneten. Nah an seiner linken Seite bewegte sich Oscar, die den Kopf gesenkt hielt und scheinbar angestrengt nachdachte. Seit ihrer Frage, ob er mit ihr in den Garten kommen wolle, hatte sie nichts mehr gesagt, was ihn nur noch mehr verwirrte. Er fragte sich allmählich ob ihr Verhalten aus Gedanken an von Fersen herrührte. Die klare und etwas angenehmere Luft ließ André wieder realistischer denken. Als er in ihrem Zimmer stand, hatte er tatsächlich vergessen, dass er aufgrund seines Albtraumes, der von ihr und Fersen gehandelt hatte, zu ihr gegangen war. Fersen war vermutlich der Grund für ihr sonderbares Verhalten. Dies ließ ihn innerlich aufseufzen. Er drehte seinen Kopf nach links, starrte Oscar an und machte keinen Hehl daraus, die Antwort auf seine Fragen aus ihren Augen zu lesen. Wenn diese nur nicht zu geheimnisvoll gewesen wären. Normalerweise sah er ihr jedes Gefühl an, ob Wut, Trauer, Hass oder sogar Liebe. Doch in der heutigen Nacht sagten ihre Augen etwas anderes, etwas was er noch nicht an ihr kannte. Ihre Schritte wurden allmählich langsamer, sodass sie etwas hinter ihm zurückfiel. Nahe einer großen Eiche verharrte sie und blieb stehen. André ging noch einige Schritte weiter, ehe er feststellte, dass sie scheinbar den Spaziergang beenden wollte. Er drehte sich zurück und betrachtete sie vor sich. Der Schatten der Eiche verbarg ihre Gesichtszüge. Doch André konnte sehen, dass sie ihre Augen auf ihn gerichtet hatte. "Hast du manchmal das Gefühl, dass du hin- und hergerissen bist?", fragte sie mich nun, was mich wieder einmal überraschte "Ich verstehe nicht ganz, wie du das meinst". "Ich meine damit ein Gefühl, was dir bisher völlig fremd war und nun ganz und gar Besitz von dir ergreift und du nicht weißt, ob du dich diesem Gefühl hingeben sollst oder nicht", noch immer war ihr Blick glasklar und ihre Worte sanft. Dieses Gefühl was sie gerade beschrieben hatte, war André nur allzu gut bekannt. Eigentlich hätte auch er gerade an ihrem Platz stehen können und von dieser Empfindung sprechen können. Sie gab genau das wieder, was er schon seit Jahren vor ihr verheimlichte. Hatte sie etwa erkannt, dass er in sie verliebt war? Langsam nahm diese Nacht eine Wendung an, die André vielleicht gar nicht zulassen wollte. Das überwältigende war einfach, dass Oscar mit ihm über ihre Gefühle sprach. Dieser Moment schien zu kostbar, um noch weiter über die Folgen der Nacht nachzudenken. Er musste sich auf diesen Augenblick hier konzentrieren. Also gab er ihr eine Antwort, die einzige, die für ihn in Frage kam "Ja, ich kenne dieses Gefühl der Zwiespältigkeit bestens...". Stille. Einzig das Zirpen der Grillen in dieser warmen Sommernacht war zu hören. Warum sagte sie nichts mehr? Hatte sie diese Antwort etwa von ihm erwartet? Oder gar etwas ganz anderes erwartet zu hören? Er stand vor ihr mitten im Mondlicht und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Wie hatte sie die eben von ihm gesagten Worte aufgefasst? Hatte sie geahnt, was er damit gestand? Nein, das konnte nicht sein. Beide sprachen in dieser Nacht nur in Rätseln miteinander. Ein Außenstehender hätte überhaupt nicht begriffen, über was sich beide unterhielten. Aber verstanden es denn die beiden überhaupt selbst? Langsam wurde André immer verwirrter. Was wollte sie ihm eigentlich klar machen? André würde in den nächsten Minuten bemerken, was Oscar ihm gegenüber zum Ausdruck bringen wollte. Er sah, wie sich Oscar langsam aus dem Schatten des Baumes heraus auf ihn zu bewegte. Ihre Schritte waren bestimmt, aber nicht zu schnell. André war sich sicher, dass sie wenige Meter vor ihm stehen bleiben würde, doch er wurde eines besseren belehrt. Ihre Augen hatten den Blick zu ihm nicht verloren. Sie ging weiter, weiter als er es jemals angenommen hätte. Sie hatte sich so weit zu ihm bewegt, dass der Blickkontakt abbrach und sie so nah bei ihm stand, dass er ihren Körper fühlen konnte. Selbst ihr Atem an seinem Hals entging ihm nicht. Sie neigte leicht ihren Kopf zu ihm nach oben, wodurch sich ihre blonden Haare auf seine Schulter legten. André war überwältigt von ihrem Handeln. Sein Magen sendete ein wohltuendes Kribbeln in seinen Körper aus und seine Beine schienen nachzugeben. Er spürte plötzlich, wie ihre Finger über seine von seinem Hemd bedeckten Arme nach oben strichen. Durch den dünnen Seidenstoff bemerkte er jede ihrer Berührungen und dort wo er sie gespürt hatte, schien sein Körper zu brennen. Ihre Finger glitten über seine breiten Schultern hinab zu seinem Schlüsselbein, wo sie ihren Weg zu der Öffnung seines Hemdes fortsetzen, dieses leicht zur Seite schoben und danach auf seiner Brust zum Ruhen kamen. Er träumte. Natürlich, er musste träumen. Dies alles passierte nicht wirklich. Sein Körper sprach jedoch eine andere Sprache und seine Reaktionen auf ihre Berührungen waren eindeutig. "Und warum, lässt du dieses Gefühl dann nicht zu?", hauchte sie ihm gegen seinen Hals, den sie dabei mit ihren Lippen streifte. Ihre Worte waren von Leidenschaft erfüllt, das hatte André deutlich gehört. Sie atmete tiefer und schien ebenso von der Erregung vereinnahmt wie er. Als nächstes platzierte sie einen Kuss auf seinen Hals, danach glitt sie tiefer und wiederholte die Zärtlichkeit noch einmal in der Beuge die zu seiner Schulter führte. André spürte wie auch seine Erregung stetig zunahm. Sein Magen schien sich zu drehen und sein Verstand schien ihm für immer Adieu zu sagen. Sie raubte ihn ihm schon jetzt. Sie presste sich mit ihrem Oberkörper gegen ihn und lehnte ihren Kopf zurück, um ihm in die Augen sehen zu können. Als er ihren Ausdruck darin sah, konnte er nunmehr mit Bestimmtheit sagen, dass ihre Augen Begehren ausdrückten. Erst jetzt konnte er es erkennen. Er hatte diesen Ausdruck in ihren Augen noch nie gesehen, deshalb war er ihm vorhin noch so fremd bei ihr gewesen. Doch nun konnte er es deutlich sehen. Sie begehrte ihn. Sie wollte ihn. Nicht Fersen. War er so blind gewesen, dass er dies nicht unterscheiden konnte? Doch nun brachte es nichts mehr, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie hatte den Mut gefunden, es ihm mitzuteilen und war jetzt hier bei ihm, um das Gefühl was sie vorhin beschrieben hatte, anzunehmen und zu erleben. André beugte sich zu ihr hinab und küsste sie. Sein Kuss war voller Verlangen und Leidenschaft und raubte Oscar den Atem. Sie konnte und wollte ihre Erregung nicht mehr verbergen und stöhnte leise in den Kuss hinein. In ihr verstärkte sich das Gefühl alles von André besitzen zu müssen. Ein Kuss allein reichte dafür nicht mehr aus. Auch André atmete schwer und musste sich beherrschen die Kontrolle über sich selbst nicht zu verlieren. Angeregt durch die Geräusche die ihren Lippen entkamen, drängte er sie blind zurück. Ihre Körper verschwanden im Schutze der Dunkelheit des Baumes und stießen gegen dessen Stamm. Seine Hände machten sich selbständig und begannen ihren Körper zu erkunden. Unablässig zogen sie an ihrem Seidenhemd, was sich hartnäckig an ihrer Hose festhielt. Ein weiteres Mal zog er daran und konnte es nun befreien. Weit hing es nun um ihren Körper und lud seine Hände ein, ihre Erkundungen auf ihrer bloßen Haut fortzusetzen. Für Oscar war es mühevoller, den nun störenden Stoff von Andrés Haut zu entfernen. Seine Arme die ihren Rücken fest umschlangen, hielten sie davon ab, ihm des Hemdes zu entledigen. Seine Lippen trennten sich von ihr, nur um wenig später ihren Hals entlang zu küssen. Ihre Brust hob und senkte sich schnell. Zu überwältigend war das neue Gefühl, dass sich in ihrem Körper ausbreitete und sie erschaudern ließ. André glaubte kurz sie zittern zu spüren, doch ein weiteres lustvolles Stöhnen ihrerseits, konnte ihn wieder beruhigen seine Berührungen nicht zu beenden. Beide fühlten sich benommen von den Empfindungen, die drohten sie von innen heraus zu verbrennen. Alle Energie konzentrierte sich auf nur noch eine Stelle des Körpers, bereit das schönste zu erleben, was Liebende einander schenken konnten. Seine Hand hatte den Weg über ihren Bauch gewählt und sie zuckte leicht zusammen, als er ihre Brust streichelte. Nie hätte sie solche Sensibilität ihres Körpers erahnen können. Einzig André war imstande ihr zu zeigen, wie viel Frau doch in ihr verborgen war. Ja, genau in diesem Moment fühlte sie sich als vollkommene Frau, die es genoss begehrt und geliebt zu werden. Andrés Liebkosungen hielten an. Auch seine zweite Hand beschloss nun sich ihres Körpers anzunehmen. Sie wanderte an ihre Hüfte hinab und legte sich auf ihre hinteren Rundungen um ihren Unterkörper stärker gegen seinen zu pressen. Reflexartig hob sie ihr linkes Bein und legte es um seine Hüfte um so wenig Luft wie möglich zwischen ihm und ihr zu wissen. Ihr Verlangen füreinander steigerte sich ins Unermessliche. Sie spürten, dass es ihnen nicht mehr ausreichte, sich nur zu berühren. Es schien sich für sie in eine Sucht umzuwandeln, die mit einfachen Liebkosungen nicht mehr zu stoppen schien. Oscar spürte, dass sie bereit dazu war. André war es ja sowieso schon seit Jahren. Ihre Hände wanderten zu seiner Hose und zogen ungeschickt daran. Ihr entwich ein Seufzen, als sie merkte, dass André sich noch zu sehr mit ihrem Oberkörper beschäftigte. Doch er hatte sie verstanden. Beide waren mehr als erstaunt, wie schnell sie sich ihrer Hosen entledigt hatten. Für das Ausziehen der Hemden blieb keine Zeit. Zu sehr steigerte sich das Gefühl in beiden, mehr zu verlangen. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und beanspruchte erneut seine Lippen für sich allein. Danach spürte sie, wie er sie hochhob und sie instinktiv ihre Beine um seine Hüften legte. Um Halt suchend drückte er sie mit dem Rücken gegen den Baum und vereinnahmte sie vollends. Oscars Kopf neigte sich nach hinten um dieses neue körperliche Gefühl zu verinnerlichen und festzuhalten. In ihrer Leidenschaft griff sie in seine braunen Haare und entfernte sein Haarband, um es fest in ihrer Faust einzuschließen, als sich ihre Gefühle der Grenze alles Empfindbaren neigten. André hingegen vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge und atmete tief und schwer. Es war geschehen. Es war ihnen bestimmt, es geschehen zu lassen. Diese Nacht war der Zeitpunkt dafür gewesen. *** Am nächsten Morgen erwachte André mehr als unausgeschlafen. Das Licht blitzte in sein Zimmer und erleichterte ihm das Aufstehen nicht gerade dadurch. Wie jeden Morgen kleidete er sich an und öffnete die Fenster. Als er auf die Gartenanlage hinabsah, setzten sich Bilder aus der vergangenen Nacht wieder zusammen. Sie waren undeutlich und bruchstückhaft. Doch als sein Blick hinüber zur Eiche glitt, traf es ihn wie ein Steinschlag. Er und Oscar. Mitten in der Nacht. War es tatsächlich geschehen? Doch wenn sich dies wirklich alles so zugetragen hatte, warum konnte er sich dann nicht mehr daran erinnern, wie er in sein Bett zurückgelangt war? Dies ließ ihn sehr an der letzten Nacht zweifeln. Als er sein Gemach verließ, um seine Großmutter zu begrüßen, war er sich bereits sicher zu glauben, alles nur geträumt zu haben. Es war ein schöner Traum ohne jeden Zweifel, doch die Geschehnisse waren zu surreal gewesen, als dass sie wahrhaftig vonstatten gegangen waren. Als er in der Küche ankam, um wie jeden Morgen seiner Großmutter beim Frühstück zu helfen, trug diese ihm auf, das Pferd Oscars zu satteln, da Oscar einen Ausritt an diesem Tage unternehmen wollte. Auch das war keine Überraschung für André, da sie oft an solch warmen Tagen unterwegs war. André musste sich ins Gewissen reden, dass dieser Morgen wie jeder andere für ihn begann. Nichts hatte sich geändert. Er war nur ein einfacher Mann, der seine Liebesbekundungen nur in der Nacht in seinen Träumen wahrmachen konnte. Mit hängenden Kopf und schlürfenden Schrittes begab er sich in den Stall. Es war dunkel und die Pferde wieherten leise, als er eintrat. André ließ die Tür weit offen, damit sich die Strahlen der Sonne darin ausbreiten konnten. Routiniert machte er das Pferd Oscars zurecht, indem er es sattelte und die Zügel anlegte. Bedächtig strich er über dessen weiße Mähne und flüsterte ihm friedliche Worte zu. Es lag in dem Talent Andrés jedes noch so zornige Pferd zu beruhigen. Bisher war es ihm erst einmal nicht geglückt, ein durchdrehendes Pferd zu beherrschen. Dieses Erlebnis hätte ihn sogar fast die Todesstrafe eingeholt. Doch all das waren vergangene Geschehnisse, die schon fast verjährt waren. Dies schien ihm mit dem Traum ebenfalls so zu ergehen. Er musste wieder leidvoll seufzen und schloss kurz die Augen, die umso schneller wieder geöffnet waren, da er ein Geräusch vernommen hatte. Er blickte seitlich zur Tür und erkannte Oscar, die dort stand und ihn scheinbar beobachtet hatte. "Guten Morgen", sagte sie beinahe in sachlichen Ton, was André erwiderte. Er betrachtete sie eingehend und versuchte dabei wieder etwas aus ihrem Blick heraus zu erfassen. Doch ihre Augen wirkten streng und unnahbar wie immer. André wurde traurig. Das war also sein Beweis dafür, dass sich die letzte Nacht niemals ereignet hatte, sondern lediglich seiner Fantasie entsprungen war. Er war sich sicher, dass sich Oscar sonst anders ihm gegenüber verhalten hätte. Die leidenschaftliche Frau, die er glaubte letzte Nacht gespürt zu haben, war ein Hirngespinst seiner selbst gewesen, erschaffen um ihn entweder noch tiefer leiden zu lassen oder ihn zu trösten. Ersteres war ihm plausibler. Oscar trat auf ihn zu und nahm ihm die Zügel ab "Danke, dass du schon alles hergerichtet hast... Ich werde mich gleich auf den Weg machen. Wahrscheinlich bin ich erst gegen Mittag zurück. Richte es bitte Sophie aus...". Oh ja, das war die eigentliche Oscar, die aus ihr sprach. So kannte er sie. André nickte leicht und wandte seinen Blick von ihr ab. "Ach, das hier habe ich vergessen dir wiederzugeben...", Oscar öffnete ihre rechte Hand und streckte sie ihm entgegen. Andrés Augen glitten darauf und blieben starr vor Entsetzen. Wieso hatte sie sein Haarband in ihrer Hand? Sie benutzte so etwas nicht und soweit er sich erinnerte, hatte er es gestern Abend vor dem Schlafen noch getragen. Er suchte ihr Gesicht und fand eine vor ihm stehende sinnlich lächelnde Oscar vor. Sie nahm seine Hand, öffnete diese und legte das Band hinein. Danach breiteten sich ihre Finger über seine Hand aus, um sie zu verschließen. Sie schenkte ihm einen weiteren tiefen sehnsuchtsvollen Blick und schien darüber verwundert, dass er nichts sagte. Wie konnte er auch, sein Verstand schien sich im Dreieck zu bewegen, sodass er glaubte, nicht mehr ganz zurechnungsfähig zu sein. Sie löste sich von ihm und stieg auf ihr Pferd auf. André starrte mittlerweile auf einen leeren Punkt mitten im Raum, wo sie sich eben noch befunden hatte. Oscar war bewusst, dass André noch an der letzten Nacht zweifelte. Als sie sich mitten in der Nacht im Garten wieder angekleidet hatten, schien er unter Schock zu stehen. Nicht weil er es bereute, sondern weil er ebenso von den Gefühlen überwältigt worden war, wie sie, nur dass sie sich mehr darauf eingestellt hatte, da sie in dieser Nacht beschlossen hatte, sich ihm hinzugeben. Zwar hatte sie nicht geahnt, dass es bereits in der letzten Nacht geschehen würde, aber als André plötzlich an ihrem Bett gestanden hatte, hatte sie innerlich bereits gefühlt, worauf alles hinauslaufen würde. Und auch sie bereute diese Nacht nicht im geringsten. Ihre Beine gaben jetzt noch nach, wenn sie auch nur an das Gefühl in Andrés Armen zu liegen dachte. Wahrscheinlich benötigte André noch etwas Zeit um zu realisieren, dass sie alles, was sie in dieser Nacht empfunden hatte, nur durch seine Berührungen ausgelöst worden war. Dass sie sich als Frau nur ihm vollkommen hingeben konnte. Es war für Oscar ein schönes Gefühl, was sie nicht mehr missen wollte. "Ich werde bald zurück sein...", sprach sie zuletzt, bevor sie ihrem Pferd in die Seiten trat und den Stall verließ. Sie wusste, dass, wenn er es bis heute Abend immer noch nicht glauben könnte, sie diejenige war, die sein Zimmer aufsuchen würde, um ihm zu beweisen, dass er nicht geträumt hatte. Bei diesem Gedanken lächelte sie zufrieden und freute sich bereits auf die Nächte, die sich nicht mehr allein und ruhelos verbringen müsste. The End Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)