Schattenbrecher von Sperber (Wasserfalls Verantwortung) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Finsteren Blickes betrachtete Wasserfall die Uferlinie Tharcannons, blass und schattenhaft am morgendlichen, dunstverhangenen Horizont. Die See war aufgewühlt und grau, Schaumkronen tanzten auf den Wellen, und ein kühler Wind kam von Norden, ein erster Vorbote des Winters. Von Norden her - vom Festland, wo Ians Heer lauerte, ein schwarzer Tiger, dessen Flanke sie verletzt hatten und der nach Rache sinnte. Wasserfall verengte die Augen. Die Sommertage waren für Liranderan nicht nur in einer Hinsicht bald vorbei ... Was hatten sie diesen Horden entgegenzusetzen ? Womit sollten sie die Insel verteidigen, wenn der zweite Angriff kam ? Der erste hatte größere Lücken in die Verteidigung gerissen, als der Rat, als sein Vater es wahrhaben wollte. Es fehlte an Kämpfern wie an Verteidigern, an Nahrung für die Flüchtlinge, an Holz für Pfeile und Rüstungen, wollte man in die ohnehin angegriffene Flora der Insel nicht noch mehr eingreifen, als man es schon getan hatte. Jahrhundertealte Waldstücke hatte man abholzen müssen, um Unterkünfte und bewirtschaftbare Flächen herzustellen, Wälder und Wiesen, die seinem Volk seit Ewigkeiten Heim und Nahrung geliefert hatten. War sich niemand darüber klar, dass es zu viele Flüchtlinge waren ? War sich niemand darüber klar, dass Liranderan so viele Menschen weder ernähren noch schützen konnte ? Seine Hände krampften sich um die Balustrade. Sie sind so beschränkt, es ist so erbärmlich ! Vom Greifenturm, dem höchsten der vier Türme des Palastes, auf dessen Spitze er sich befand, konnte man Liranderans Tor ganz überblicken, die alte Kernstadt, die vier Haine, die sie in Viertel teilten, die Palasthaine, die Berge, an deren Hängen die sogenannte Neustadt emporkroch, schnell zusammengezimmerte, lieblos gebaute Gebäude, zwischen denen weder Gras stand noch Licht Raum fand, ein Moloch, wie er es in Rinan oder andern großen Menschenstädten gesehen hatte, als er Tharcannon bereiste. Sie passen nicht hierher, sehen sie es denn nicht ? Spüren sie nicht, dass dieser Ort nicht für ihre kleingeistigen, vegetativen Gemüter bestimmt ist ? Aber nein, wie könnten sie auch ! Jeder bemüht sich ja, ihnen zu helfen und ihnen beizustehen, ihnen Gastfreundschaft und Frieden zu bieten ! Er schnaubte. Sie reißen uns alle ins Verderben. Ian hätte uns in Ruhe gelassen, wären sie nicht hierher gekommen. Hätte mein Vater ihnen keine Hilfe gesandt, als dieses verdammte schwarze Heer sich an den kleinen Bergen sammelte ! Sein Vater. Seit all diesen Ereignissen begann Wasserfall ernsthaft an ihm zu zweifeln. Er wusste, Falkenkreis hatte ein weiches Herz für solche, die in Not waren, und er respektierte es, fand es richtig, zu helfen, wo man helfen konnte - aber so half man nicht ! Zumindest nicht im Endeffekt, sondern nur kurz, wo man sich ach so barmherzig und gut fühlen konnte, weil man glaubte, jemand schwächeren zu retten. In Wahrheit wurde hier niemand gerettet. Erst recht nicht damit, dass man die besten Führungspersönlichkeiten und Helden, die, die dem Volk noch Kraft und Mut geben konnten, von der Insel schickte: Den strahlenden Krieger Feuervogel, der jüngste und beste Garnisonsvorsteher und Truppenführer von Liranderans Tor, den die Insel je gesehen hatte. Den in der Gewaltigkeit seiner Kräfte und der Tiefe seiner Gefühlskälte beinahe unheimlichen Magier Eiswind. Und natürlich seine eigene Schwester, den Liebling des Volkes, diejenige, die immer den besten Draht zu allen Bürgern, Bediensteten und Palastwachen gehabt hatte: Die liebreizende Prinzessin Sichelmond. Sie alle waren fort, und er blieb mit der Verantwortung zurück, der Verantwortung über eine schwächelnde Verteidigungsstrategie, ein angegriffenes Ökosystem und eine Masse wehrloser, verängstigter Liranderaner. Von Flüchtlingen ganz zu schweigen. Wie konnte er das alles am laufen halten ? Was konnte er gegen Ian ausrichten, wie den Rat dazu bringen, die Wahrheit zu sehen und gegen das endgültige Aus Vorkehrungen zu treffen ? Wenn Vorkehrungen überhaupt noch reichten ... Er hob eine Hand an die Stirn, sein Mund presste sich zu einer schmalen Linie zusammen. " Wasserfall ?" Er erschrak von der unerwarteten, wenn auch sanften Ansprache so sehr, dass er zusammenzuckte. Es war die Stimme seines Vaters, Falkenkreis. Niemand, den er weniger sehen wollte. "Ja, Vater." Er bemühte sich, ganz langsam die verkrampften Finger von der Balustrade zu lösen, wandte sich nicht um. Zögernde Schritte, dann wieder die Stimme, etwas näher: "Was machst du hier oben ? Es ist noch nicht mal Frühstückszeit." " Ich spiele `Ich sehe was, das du nicht siehst`", flüsterte er. " Was sagst du ?" " Nichts, Vater. Ich konnte nicht mehr schlafen." Die Silhouette von Falkenkreis schob sich neben ihn, er spürte, dass er versuchte, ihm ins Gesicht zu schauen. Er tat nichts, um ihm das zu erleichtern. Darin war ohnehin nichts zu sehen, was er nicht zeigen wollte. " Du schläfst letzte Zeit nicht besonders viel, oder ?" Als keine Antwort kam, atmete Falkenkreis hörbar durch und meinte dann: "Was beschäftigt dich ?" Ein bedrohliches Grollen. " Ist es, dass ich Sichelmond fortgelassen habe ? Es ging nicht anders. Wer hätte sonst gehen sollen ? Wer als ein Mitglied der Königsfamilie kann vergleichbar gut diplomatischen Erfolg haben ? Und sie ist kein Kind mehr. Reden kann sie, sie kann das Wohlwollen der Leute erregen. Ich bin sicher ..." "Wer als ein Mitglied der Königsfamilie schwebt vergleichbar in Gefahr, wenn der Imperator herausfindet, dass sie nicht hier in Sicherheit ist ?" Falkenkreis antwortete nicht gleich. "Deshalb hat sie so viel Geleitschutz wie möglich mitbekommen." Wasserfall schnaubte abfällig, lächelte. "Geleitschutz ? Wie viele sind es insgesamt ? Dreißig? Was können dreißig Mann gegen ein anstürmendes Heer ausrichten ?" " Allein Eiswind und Feuervogel wiegen ..." " Ja, ich weiß !" schrie Wasserfall und drehte sich abrupt herum. Falkenkreis schreckte einen halben Schritt zurück. "Ich weiß, wie viel Eiswind und Feuervogel wert sind, das brauchst du mir nicht zu sagen ! Ich bin neben ihnen aufgewachsen, habe mit Feuervogel zusammen fechten gelernt, wir haben nebeneinander unsere Namen empfangen ! Jeder hier kennt sie, sie sind bekannt und werden verehrt, sie geben den Leuten Mut ! Und wo sind sie jetzt ? In irgendeiner Nussschale auf dem Weg ins Unbekannte, auf einer Mission, die nichts ergeben wird, außer, dass sie irgendwo in der Wildnis sterben werden, einer nach dem anderen aufgerieben !" Falkenkreis versuchte, den Worten seines Sohnes etwas entgegenzusetzen, aber Wasserfall ließ ihn nicht zu Wort kommen. " Und Sichelmond hat nie mehr tun müssen als Konversation zu führen und hübsch auszusehen ! Woher soll sie wissen, was sie zu tun hat, wenn die Leute, bei denen sie Hilfe sucht, Gegenleistungen verlangen ? Woher weiß sie, was Liranderan überhaupt leisten kann ? Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, Vater, aber dieses Land ist nicht reich ! Wir haben wenig weltliche Schätze angehäuft ! Und wir sind auch nicht viele ! Noch dazu können wir uns selbst kaum ernähren und beschützen, Naturalien und Waffen fallen also auch weg ! Sag mir, was da bleibt ! Los, sag es mir !" " Wasserfall, beruhige dich ..." " Wir sind in einer verdammt schlechten Position, um einen attraktiven Bündnispartner abzugeben ! Der Kontinent hat seit einigen hundert Jahren zu wenig von uns gehört, um Interesse an uns zu haben, und das war auch gut so ! Die Schwarzen haben uns in Ruhe gelassen, hier gab es nichts, was sie wollten ! Nun hast DU ihnen etwas gegeben !" Er packte Falkenkreis bei den Hemdaufschlägen, was dieser erschrocken geschehen ließ. "Ich hoffe wirklich, dass du zufrieden bist ! Du reitest dieses Volk ins Verderben ! Von Liranderan wird nichts übrig bleiben, wenn Ian mit uns fertig ist ! Wir haben auch keinen Ort, wo wir uns verstecken können, keinen, wohin wir fliehen können ! Sag mir, dass du wenigstens einen Plan hast, Vater ! Sag mir, warum du glaubst, die besten Kämpfer von der Insel zu schicken, sei eine gute Idee ! Und, vor allen Dingen ..." Er wurde leiser, lachte beinahe. "Sag mir, warum du auf ein schwarzes Pferd setzt !" Als sich abzeichnete, dass er nicht sofort wieder anfangen würde zu schreien, löste Falkenkreis vorsichtig seine Hände aus seinen Kleidern, trat einen Schritt zurück und betrachtete ihn, nicht im geringsten wütend. Eher mitleidig. Wasserfall hätte ihn niedergeschlagen, wenn er nicht sein Vater wäre. "Wasserfall, nun beruhige dich erst einmal ..." " Was für einen Grund gibt es, sich zu beruhigen ?!" " Was, was, was. Hör, auf, mir immer mehr Fragen zu stellen, sonst kann ich dir nicht antworten. Oder möchtest du lieber noch ein bisschen herumwüten?" Falkenkreis' Stimme wurde eine Spur strenger, sarkastischer. "Setz dich !" " Wohin ?!" " Auf den Boden." Ein kurzes Blickgefecht. "Los, runter mit dir !" Wasserfall setzte sich genau da hin, wo er stand, verschränkte die Arme und starrte nach unten. Falkenkreis seufzte lautlos. "Du warst schon immer cholerisch. Wie mein Vater." Wasserfall hob mit einem Ruck wieder den Blick. " Komm mir nicht mit deinem Vater, und vor allen Dingen, komm mir nicht wieder damit, wie ich angeblich bin ! Ich bin nicht cholerisch, ich habe guten Grund, mich aufzuregen, hier geht alles den Bach runter, und du..." " Samari !" Die strenge Nennung seines Vornamens ließ Wasserfall abbrechen. "Ruhe !" Er senkte den Blick, und kam sich vor wie ein Schuljunge, der im Unterricht gesprochen hatte. Sein Vater wurde selten autoritär. Falkenkreis nahm sich die Zeit, Momente der Stille vorbeiziehen zu lassen, bevor er schließlich zu erzählen begann: "Erstens: Hab Vertrauen in Sichelmond. Halt, jetzt rede ich ! Das hier soll doch hoffentlich ein Dialog sein ! Im Ernst. Sichelmond ist eine erwachsene Frau, so wie du ein erwachsener Mann bist. Ich erkenne euch beide als das an, was ihr seid. Sie hat mit mir darüber gesprochen, wie nutzlos sie sich fühlt, und ich sehe ein, dass sie unterfordert war. Das hier ist eine wichtige Aufgabe, die ich ihr anvertraut habe. Glaub mir, sie wird sie so gut machen, wie es nur irgendwie möglich ist. Allein schon, um sich für das in sie gesetzte Vertrauen zu bedanken. Sie ist nicht weniger pflichtbewusst als du. Ich weiß schon, was du dagegen einzuwenden hast: Sie ist unerfahren. Ja, das weiß ich auch. Aber sie hat erfahrene Berater. Hast du Tyuri vergessen ? Er ist ebenfalls ein Prinz, ebenfalls ein Zweitgeborener. Er kann ihr in den Künsten der Diplomatie behilflich sein, sie bei ihrer Aufgabe als das, was sie ist - eine Prinzessin, eine Politikerin und Leiterin - bestärken. Und was die Kräfte der Insel angeht, das, was sie leisten kann und was nicht: Feuervogel wird es ihr sagen. Niemand weiß diese Dinge besser als er, von den Ratsmitgliedern einmal abgesehen. Außerdem hat er darum gebeten, sie begleiten zu dürfen." Wasserfall senkte den Kopf. "Zweitens: Es ist wahr, dass Feuervogel, Eiswind, Sichelmond, die Greifenreiterin Chasia, Chirasaik, Tyuri und natürlich auch Skar, der Schwarze, hier bekannte Persönlichkeiten sind. Und ich bin mir bewusst, dass ihre Abwesenheit das Volk demotivieren könnte. Aber du bist hier." Falkenkreis berührte den Sitzenden an der Schulter, erst vorsichtig, dann griff er fest zu. "Du bist derjenige, auf den diese Leute, die Kämpfer und Schwachen, mit hoffendem Auge schauen. Du bist der Kronprinz. Du musst diese Lücke füllen, und ich weiß, dass du es kannst. Du bist die Hoffnung auf die Zukunft dieser Insel, Wasserfall. Solange du da bist und sie führst, werden sie die Hoffnung nicht aufgeben." Einen Moment herrschte Schweigen. Wasserfall sah seinem Vater seit einiger Zeit wieder in die Augen, und dieser sah ihm an, dass seine Worte ihre Wirkung getan hatten. "Und was das ´schwarze Pferd` angeht ..." Er seufzte, richtete sich wieder auf, sich der durchdringenden Aufmerksamkeit, die sein Sohn auf ihn richtete, bewusst. "Du glaubst, dass ich ihm traue, richtig ? Das tue ich nicht. Jedenfalls nicht so, wie du denkst. Ich weiß nichts über seinen Charakter, ob er ein Blender und Mörder ist. Aber ich glaube, dass er im Moment wirklich ungefährlich ist - weil er allein ist. Alle seine Leute wollen ihm an den Kragen. Ich weiß das, weil ich Angebote bekommen habe, wo sie mir als Gegenleistung für seine Auslieferung einiges geben wollten." " Wenn du jetzt sagst, dass sie dir angeboten haben, die Insel zu verschonen, und du es nicht getan hast, werfe ich dich vom Turm", versetzte Wasserfall mit Grabesstimme. Falkenkreis musterte ihn. "Nichts dergleichen relevantes. So bedroht fühlen sie sich nun auch wieder nicht. Meiner Meinung nach wollen sie ihn hauptsächlich aus Rachegelüsten haben - davon, dass er Armeegeheimnisse ausplaudern könnte, mal abgesehen. Aber die Vorstellung scheint ihnen wohl nicht überragend viel Angst zu machen, sonst hätten sie schon mehr unternommen. Sie sind zu selbstsicher. Das können wir ausnutzen." "Vater, sie sind zehn, wenn nicht fünfzig Mal so viele wie wir." " Der Skorpion bringt den Eber zu Fall." Wasserfall schaute ihn nur müde an, statt zu antworten. " Skar ist ein in die enge getriebenes Tier, das sein Überleben sichern muss. Er weiß, dass wir ihn ausliefern oder selbst umbringen, wenn er anfängt, gewalttätig zu werden oder Informationen auszuschleusen." " Glaubst du das wirklich ? Und wenn das alles nur ein Trick ist, der uns glauben machen soll, dass er in dieser Position ist und deshalb harmlos ?" " Natürlich habe ich darüber auch schon nachgedacht. Es wäre schlimm, wenn es so wäre. Aber ich lasse ihn rund um die Uhr beobachten, und es gab keine Anzeichen darauf, dass er Briefe schreibt oder sich mit jemandem trifft." " Was ist mit dem Drachen ?" " Der hat seinen eigenen, freien Willen. Drachen sind der schwarzen Armee nicht hörig." " Aber wenn der Drache es will ?" Falkenkreis seufzte wieder. "Wasserfall, es gibt viele wenn und aber's. Ich habe bisher nichts dergleichen feststellen können, und darauf muss ich mich verlassen." Wasserfall brütete vor sich hin. "Er ist zu nahe bei Sichelmond." Falkenkreis kniete sich vor ihn und sah ihn an. "Du hast Angst, dass er ihr etwas tut. Das wird er nicht." " Ach, und was macht dich da so sicher ?" " Er ist in sie verliebt", erwiderte Falkenkreis völlig trocken. Wasserfall glaubte, nicht recht zu hören, war Momente lang nicht fähig, irgend eine Reaktion zu bringen. Verzweifelte Wut stieg heiß und brodelnd in ihm hoch. " Er wird ihr helfen und sie schützen, weil er sie liebt", fuhr Falkenkreis ungerührt fort. "Soweit ich weiß, behandelt er sie freundlich, und ich habe Tyuri gefragt ... er meinte, dass er keinerlei Gefahr für Sichelmond sieht, und falls doch, würde er persönlich eingreifen. Das ist doch was." Wasserfall explodierte. "Das ist doch was ?! Wie bitte ?! Du billigst es ?! Du findest es allen Ernstes gut, dass dieses Monster ein Auge auf deine Tochter geworfen hat, dass der Mann, der für den Tod ihres Geliebten verantwortlich ist, die Hände an sie legt ? Du glaubst, dass er sie liebt, so, wie Himmelsgarten Eichenkind liebt, und legst wegen dieser Überzeugung das Leben deiner Tochter in seine Hände ?!" Falkenkreis hob abwehrend eine Hand. "Ich lege nicht ..." " Billigst du es vielleicht auch, wenn er seine Gelüste auslebt, Vater ?" zischte Wasserfall, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen. "Wenn er ihr auflauert und sie belästigt, sie am Ende dazu bringt, Dinge zu tun, die sie nicht tun will ? Findest du es in Ordnung, wenn er sie in sein Lager zieht ? Wenn er sie am Ende schwängert ?" " Wasserfall ! Sie ist alt genug ..." " Was, um zu wissen, was sie tut ?" Wasserfall neigte sich vor, ein unheimliches Lächeln verzerrte sein Gesicht. "Weißt du was, Vater ? Ich weiß nicht, ob du glaubst, dass sie ihn eiskalt wird abblitzen lassen. Sichelmond ist noch nie etwas böses wiederfahren, niemals hat ihr jemand etwas antun wollen ! Wie soll sie den Unterschied zwischen Wahrheit und Täuschung erkennen ? Sie hat niemals jemandem ins Auge blicken müssen, der ihr nicht wohlgesonnen ist. Sie wird ihm auf den Leim gehen ! Sie ist zu romantisch, um ihm wirklich etwas entgegensetzen zu können, wenn er es nur halbwegs geschickt versucht ! Ist dir das klar?!" " Sichelmond ist nicht so dumm, dass sie ihm gegenüber nicht vorsichtig ..." Wasserfall lachte hart auf. "Vorsichtig ?! Sie hat sich von ihm beraten lassen, wie sie sich eine Waffe schmieden lassen sollte ! Nennst du das gesunde Distanz ? Sie ist ihm schon viel zu nahe gekommen, ohne jeden Argwohn spricht sie mit ihm ! Sie denkt gar nicht mehr an Katzenauge ... es ist ihr völlig egal, dass er ... dass er ..." Seine Stimme brach plötzlich, er presste die Lider zusammen. Alle Spannung wich aus seinem Körper, er schlug sich mit einer Hand vor den Mund, um einen Schluchzer zu ersticken. Qualvolle Momente vergingen in Schweigen. Falkenkreis starrte ihn an, versuchte sich auf diese unerwartete Situation einzustellen. Hob eine Hand, um den um Selbstbeherrschung kämpfenden, zitternden Körper zu berühren. " Fass mich nicht an !" heulte Wasserfall auf, als er die Geste kommen sah, und fuhr zurück. "Wag es nicht !" Falkenkreis blickte ihn völlig erschüttert an, die Hand noch immer ausgestreckt. Wasserfall schloss die Augen, um das nicht sehen zu müssen, atmete einige Male mit gesenktem Kopf tief durch, und meinte: "Sie werden alle sterben. Sie werden da draußen sterben, bei dem Versuch, sie zu beschützen, und trotzdem keinen Erfolg haben. Sie sind fort ... und ich ... habe mich nicht einmal richtig verabschiedet ..." Während er sprach, wurde seine Stimme immer leiser, bis sie schließlich versiegte. Schmerz schnürte ihm die Luft ab, verzweifelt versuchte er, die Kontrolle über sich wiederzugewinnen, die Bilder zu vertreiben, die schattenhaft von seinem inneren Auge tanzten. Schwarzgerüstete Monster, die aus der Finsternis zwischen den Bäumen brachen, als hätte die Nacht sie ausgespieen, und über die Schlafenden herfielen. Seine eigene Hand, die nach seinem Schwert Schattenbrecher griff, und von einem schweren, ledernen Stiefel zertrümmert wurde. Das Gesicht des Verräters im blassen Licht des Feuerscheins, vor Angst glänzende Augen, die Zunge glitt nervös über die spröden Lippen, die Hände um einen Geldbeutel gekrampft. Seine eigene Stimme, die über die Lichtung hallte, als er diesem verfluchten Hurensohn von einem Menschen an die Gurgel springen wollte, aber Hände sich in sein Haar und seinen Körper gruben und zu Boden drückten. Ian, der seinen Kopf mit demselben Griff in sein Haar hob, um ihn angrinsen zu können. Das Bild seiner gebrochenen und angeschwollenen Hand, das Gelenk so fest an den Querbalken gezurrt, dass Blut an seinem Arm herablief und die Adern dick wie Stränge hervortraten. Die blau angelaufenen Lippen von Seekatze, die an dem Pfahl neben ihm starb, egal, wie oft er sie wach zu halten, ihr Kraft zu geben versuchte. Wildjäger, Schattenspringer und Tiefenflamme, die sich einer nach dem anderen abwandten, um sich den verfolgenden Soldaten entgegenzustellen, um ihm Zeit und Raum zur Flucht zu verschaffen. Katzenauge, der ihn weiterdrängte, den Blick von seinem entsetzten Gesicht und den Tränen abgewandt, die Ohren vor seinem Protest und seiner Verzweiflung verschlossen. Der seinen Körper vor seinen schob, um ihm den Blick nach hinten zu verwehren. Und der gegen ihn geworfen wurde, als der tödliche Bolzen ihn durchbohrte. Sein Blut, das in Tropfen durch die Luft stob und dass er noch Tage später an seinem eigenen Gesicht, seiner Kleidung fand. Die brechenden Worte, dass er fliehen sollte. Und dass er floh. Dass er als einzigster von denen, die aufgebrochen waren, entkam. Sein Vater berührte ihn nun doch, legte ungeachtet des halbherzigen, ängstlichen Knurrens, dass er von sich gab, die Arme um ihn und zog ihn an sich. Und wie Wasserfall es befürchtet hatte, verlor er nun vollends die Beherrschung. Tränen lösten sich von seinen Wimpern, sein Körper wurde von unterdrückten Schluchzern geschüttelt. Falkenkreis strich ihm hilflos, zurückgeschleudert in eine Zeit vor über zehn Jahren, als sein Sohn zum letzten Mal vor ihm geweint hatte, über den Kopf und wusste nicht, was er sagen sollte. "Sie werden nicht sterben ... Samari ... keiner weiß, wo sie hinfahren ... in Shenta gibt es nicht so viele Schwarze wie hier. Das, was mit Katzenauge und deinen Freunden passiert ist, wird sich bestimmt nicht wiederholen ... Sie sind viel mehr als ihr es damals wart, es sind ältere, erfahrene Leute dabei, sie haben einen Greifen und einen Drachen. Samari ... bitte... es wird ihnen nichts geschehen. Ich wollte sie doch auch nicht dieser Gefahr ausliefern! Es gab keine andere Möglichkeit! Versteh doch ... es ist eine Chance, alle hier zu retten ... Du hast selbst gesagt, dass wir zuwenig sind ... wir brauchen Verbündete. Wir brauchen sie so dringend, das wir dies einfach riskieren müssen ..." Wasserfall konnte die Bilder nicht abstellen, so verzweifelt er sich dagegen wehrte. Die Worte seines Vaters streuten nur Salz in seine Wunden, und Erinnerungen stürzten auf ihn ein. Feuervogel, der mit einem munteren Lächeln an seinem Bett saß, als man seine, Wasserfalls, Hand noch einmal gebrochen hatte, weil die Knochen falsch zusammengewachsen waren, und ihm irgendwelchen Unsinn erzählte, um ihn von den vergangenen Geschehnissen abzulenken. Sichelmond, noch ein Kind, als sie zwischen den Rosenbüschen saß, das gute Kleidchen grasfleckig, und ihm einen aus wilden Blumen gewundenen Kranz entgegenstreckte, den er sich zunächst weigerte, aufzusetzen. Ihre Tränen, weshalb er es schließlich doch tat. Eiswind, der konzentriert nickte, als Wasserfall ihm seine Rolle zur Verteidigung beim Überfall der Armee erläuterte, und nicht protestierte, obwohl es gefährlich war. Wasserfall hatte gewusst, dass er dem Magier diese Aufgabe zutrauen konnte, und sie gewissenhaft erledigen würde. Kein Schwarzer war in den Palast eingedrungen. Wieder Sichelmond, die nächtelang neben ihm in seinem Bett schlief, als er ,von seinen Erlebnissen traumatisiert, abwechselnd von Alpträumen und Schlaflosigkeit gequält wurde. Dass er sich irgendwann zur Genesung zwang, damit sie wieder ruhig schlafen konnte. Katzenauge als Junge, der ihn auslachte, als er von einem Ast abrutschte und hilflos Meter über dem Boden baumelte, und keinen Finger rührte, um ihm zu helfen. Und der ihm nur ins Gesicht grinste, als er ihm Verwünschungen entgegenschleuderte. Feuervogel und Katzenauge, die ihm nach seiner Politikstunde hinter der Tür auflauerten und mit Wasser überschütteten. Eiswind, der das Wasser mit einer Handbewegung und völlig unberührtem Gesicht wieder verdampfen ließ, nachdem Wasserfall die beiden Freunde erjagt und mit den Köpfen in den Brunnen gesteckt hatte. Lerchenfeder und Sichelmond, kichernd von der Empore auf Katzenauge und Wasserfall, die im Hof mit Holzschwertern trainierten, herabblickten und ihnen Tücher als Gunstbeweis zuwarfen. Katzenauge, der sich beide schnappte, und wie er selbst ihn trotzdem besiegte. Sichelmond, die dem gefallenen Ritter hochhalf, und die zarte Röte auf ihren Wangen, als er ihr die Hand küsste. Er sah sich selbst, schwer atmend auf beide Schwerter gestützt, gedankenverloren dazu nicken, was Katzenauge bemerkte und seine eigenen Konsequenzen daraus zog. " Aufhören", keuchte Wasserfall und hielt sich den Kopf. Falkenkreis fühlte sich angesprochen und verstummte. Die Stille senkte sich über beide wie ein Leichentuch. Minuten verstrichen, während Wasserfall alle Erinnerungen mühsam zurück in die Kammer drängte, aus der sie gekommen waren, und die Tür zuschlug. Völlig erschöpft den Boden anstarrte, während die Tränen auf seinen Wangen trockneten. Sich irgendwann aus den Armen seines Vaters löste und aufstand. Falkenkreis sah zu ihm hoch, betrachtete das maskenhaft leere Gesicht seines Sohnes, und Schmerz zeichnete sich auf seiner Miene ab. "Es tut mir leid", hauchte er. "Ich kann gar nichts für dich tun! Verzeih mir ... bitte ..." " Ich brauche keine Hilfe, Vater", antwortete Wasserfall emotionslos. Er fühlte sich seltsam betäubt, wie tot. Er konnte und wollte ihm nicht das Gefühl geben, dass er nicht böse auf ihn war. " Ich konnte es nie", fuhr Falkenkreis fort, als hätte er nichts gehört. "Weil du dich niemandem anvertraust, nicht mir, nicht deinen Freunden, nicht einmal deiner Mutter ! Du bist unser Sohn ! Denkst du, es ist uns gleich, wenn du leidest ?" Ihr habt die einzige Person fortgeschickt, der ich überhaupt etwas anvertrauen würde, dachte Wasserfall, sprach es aber nicht aus. Gesetzt dem Fall, dass ihre Gedanken nicht nur um ihre kleinliche Rebellion und Skar kreisen. Durch die Watte, die seine Gedanken einschloss, spürte er dumpf einen emotionalen Stich, der aber nicht wirklich zu ihm durch drang. Sie interessiert sich nicht mehr für mich. " Samari, antworte doch !" Wasserfall wandte ihm den Blick zu. "Es ist schon gut. Mach dir keine Sorgen. Was kommt, wird kommen, und wir können uns nur darauf vorbereiten und warten." Falkenkreis stand langsam auf. "Ist das dein Ernst ?" Eigentlich tat es Wasserfall leid, seinen Vater so zu verwirren, aber daran war eben nichts zu ändern. "Ja." Es war wirklich sein Ernst. Allein zu sein hatte den Vorteil, dass er sich voll und ganz seinen Aufgaben widmen konnte. Mehr konnte niemand von ihm verlangen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)