Schwarzer Drache: Geisterdrache von abranka (Schwarzer Drache IV) ================================================================================ Kapitel 71: 71. Besuch ---------------------- „Hier, wisch dir wenigstens das Blut aus dem Gesicht!“ Grob wurde Hitomi ein nasser Lappen zugeworfen. Sie fing ihn auf und rieb sich langsam das Gesicht ab. Der Soldat hatte sie in eine kleine Zelle gebracht. Dort war sie von einem weiteren Soldaten in Empfang genommen worden, einem schlaksigen Mann mit grauem Haar, der sich zwangsweise ein wenig um sie kümmerte. Hier, auf dieses Abstellgleis in den Kerkern abgeschoben, war er ganz froh darüber, wenn er etwas zu tun hatte. Angeblich war er ja zu alt, um noch viel im aktiven Dienst leisten zu können – nur auf Gefangene aufpassen konnte er. Der Soldat verdrehte die Augen und beobachtete, wie Hitomis Gesicht unter der langsam schwindenden Blutkruste zum Vorschein kam. „Na, jetzt siehste wieder ganz passabel aus.“ Er grinste Hitomi freundlich an. „Danke...“ murmelte sie und warf ihm den Lappen zurück. „Schon gut. Würd dir ja auch andere Klamotten geben, hab aber keine. Hier unten wird man leicht vergessen...“ Grummelnd verschränkte er die Armee vor der Brust und begann, auf seinem Stuhl herumzukippeln. Dabei kaute er auf irgendetwas herum, von dem Hitomi gar nicht wissen wollte, was es war. Sie ließ sich auf die schmale Pritsche sinken, die die Hälfte ihrer Zelle einnahm. Müde rieb sie sich mit den Händen über die Augen. „Wenn was ist, sag Bescheid,“ brummte der Soldat noch. „Bin übrigens Dast.“ Schweigend nickte die Königin von Farnelia. Irgendwann ging die Tür zum Kerker auf und eine schmale Gestalt schob sich hinein. Dast blickte von seiner Zeitung auf und musterte den Besucher kurz. Es war Mignon, das seltsame Kind, das seit einiger Zeit frei in der Festung herumspazierte und des Kaisers Liebling war. Beinahe gelangweilt las Dast weiter – das Kind war keine weitere Aufmerksamkeit wert. Erstens war es harmlos und zweitens war es der Liebling des Kaisers und konnte eh tun und lassen, was es wollte. Langsam trat Mignon an Hitomis Zelle heran. Die Königin von Farnelia war eingeschlafen und lag eng zusammengerollt auf der Pritsche. Stumm musterte das Kind sie. Sein Blick glitt über die blutverschmierte Kleidung, die hier und da immer noch mit einigen Scherben gespickt war, wanderte zu den Würgemalen an ihrem Hals und den verklebten Haaren. Der Ausdruck in seinen Augen wurde traurig. Abrupt erwachte Hitomi und setzte sich auf. Sie starrte das Kind an, als wenn sie ein Gespenst gesehen hätte. Mignons goldene Haut schimmerte in dem schwummrigen Licht und sein Haar schien wie reinstes Silber. „Wer bist du? Wer und was bist du?“ „Ich habe viele Namen. Aber hier heißt man mich Mignon...“ antwortete das Kind mit einem Lächeln. „Ich kenne dich,“ fuhr Hitomi leise fort und musterte das Kind aufmerksamer. Ihr entging nicht dieses seltsame Funkeln in seinen Augen und diese vertraute, aber zugleich auch vollkommen fremde Aura, die es umgab. „Ich kenne dich – und doch kann ich mich nicht erinnern woher. Oder wer du bist. Dabei ist es zum greifen nahe.“ Sie brach ab und ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Aber das bist du gewohnt, nicht wahr?“ Ein rätselhafter, wissender Gesichtsausdruck war die einzige Antwort, die sie bekam. „Was tust du hier, Mignon?“ „Zuversicht geben,“ antwortete es und streckte die Hand durch die Gitterstäbe. Hitomi stand wie hypnotisiert auf und ergriff seine Hand. Sie fühlte sich warm an. Lebendig und menschlich. Und doch so anders. „Was bist du nur?“ „Eine Antwort wirst du bald bekommen. Alle werden sie bekommen.“ „Warum sprichst du mit mir? Warum... redest du nicht in Rätseln? Wie bei Sayuri? Sie hast du nur mit einem Lied angesprochen...“ „Lieder haben ihre Zeit, Gespräche eine andere.“ Das Kind zog seine Hand langsam aus Hitomis zurück und strich der jungen Frau sanft über die Wange. „Verlier die Hoffnung nicht.“ Damit wandte sich Mignon ab und ließ Hitomi allein zurück. Nachdenklich blickte die Königin von Farnelia dem Kind nach. Diese Aura verwirrte sie grenzenlos. Diese Vertrautheit war so greifbar... Und gleichzeitig hatte sie das Gefühl, dass es sich bei Mignon um ein vollkommen fremdes Wesen handelte. Ein Wesen, vergleichbar Drache und Manticor und doch – vielleicht sogar noch ungleich mächtiger. Sie strich sich durch die verklebten Haare und zupfte gedankenverloren an einer Strähne. Konnte es sein, dass dieses Kind und dieses seltsame Wesen, das sie im Traum besucht hatte, ein und das selbe waren? Konnte es sein, dass dieses Kind ein Geheimnis verbarg, dass für die Zukunft Gaias elementar wichtig war? Konnte es sein, dass dieses Kind Drache und Manticor die Stirn bieten würde? Aber warum war es dann hier? Warum stand es hier neben dem Manticor? Waren sie Verbündete? War das Schicksal Gaias schon so gut wie besiegelt? Fragen über Fragen – doch auf keine würde sie hier eine Antwort bekommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)