Schwarzer Drache: Geisterdrache von abranka (Schwarzer Drache IV) ================================================================================ Kapitel 36: 36. Mignon ---------------------- Das Kind wehrte sich nicht dagegen, als es von den beiden Soldaten in den abgedunkelten Opfersaal geführt wurde. Seine Haut schimmerte golden und sein Haar schien wie aus reinstem Silber. Das weiße Gewand umschmeichelte seine schmale Gestalt und ließ es wie einen Engel wirken. Allein die Flügel fehlten ihm... Als die Soldaten es auf dem Altar fesselten, lächelte das Kind sogar leicht und blickte dem Hohepriester Tassilo, der nun langsam näher trat und es mit einem fast argwöhnischen Ausdruck in den Augen musterte, fest ins Gesicht. "Tu, was du tun musst, aber sei dir der Konsequenzen bewusst..." summte das Kind in leichtem Singsang. Tassilo sah es unsicher an. Etwas war an ihm, dass er diese Drohung ernst nehmen und seinen Dolch nicht direkt in ihr Herz senken, dabei die Beschwörungsformeln murmeln und sein Leben dem Manticor schenken sollte... Die Bestie mochte an seinen Gedanken kratzen und toben, verlangend nach diesem Opfer, doch sein Diener hielt inne und blickte das seltsame Kind lange an. Es erwiderte diesen Blick gelassen aus seinen schillernden Augen, deren Farbton er irgendwo zwischen Silberblau und Silbergrün einordnete. "Tu, was du tun musst, aber sei dir der Konsequenzen bewusst..." Diesmal sang es diese Worte. Tassilo spürte, wie sich seine Worte immer tiefer in sein Herz gruben. Mit einem leichten Aufstöhnen ließ er den Dolch sinken und wies die Priester mit einer unwirschen Handbewegung an, den Raum zu verlassen. Danach befreite er das Kind und ignorierte das Toben des Manticor, als dieser sein Opfer dem sicheren Tod entkommen sah. Die Bestie war durch das Herrufen des Mädchens vom Mond der Illusionen zu entkräftigt, als dass sie Tassilo irgendetwas hätte tun können. Dessen war sich der Heerführer im Moment deutlich bewusst, weshalb er sich erlaubte, seinen eigenen Interessen nachzugehen. Außerdem störte es ihn, dass der Manticor ihn ständig herumkommandierte, ohne ihn als wirklichen Partner zu betrachten. Ein wenig erfreute es Tassilo sogar, den Manticor warten zu lassen. Sollte er ruhig merken, dass er ihn brauchte... "Wer bist du?" fragte Tassilo. Seine Stimme klang rau und er war sich nicht sicher, weshalb das so war. War es diese seltsame Ausstrahlung des Kindes? Hatte er Angst vor ihm? Es lächelte ihn an und erwiderte: "Ich bin, wer ich bin... Und werde niemals anders sein..." "Wie heißt du?" fragte der Herrscher von Gaia weiter. "Nenn mich Mignon..." Erneut lächelte es und begann gedankenverloren zu einer unhörbaren Melodie durch den Saal zu tanzen. Tassilo beobachtete es dabei. Er war sich nicht sicher, was es war - ob Mädchen oder Junge. Mignon hatte irgendwie androgyne Gesichtszüge. Seine Gestalt ähnelte sowohl der einer Elfe, einer Nymphe und sogar einer Meerjungfrau - aber es war nichts davon. Es schien menschlich zu sein und doch war es irgendwie nicht von dieser Welt. Eine rätselhafte Aura umgab es, die es Tassilo unmöglich machte, sein Wesen zu bestimmen... Der Manticor hatte aufgehört zu toben und sich damit zufrieden gegeben, dass er ein anderes Opfer erhalten würde. Es ärgerte ihn, dass Tassilo ihn so warten ließ, aber im Moment faszinierte ihn vielmehr das Kind, als dass er Tassilo etwas antun wollte - selbst wenn er gekonnt hätte. Außerdem hielt er es für unnötig. Mochte der Mensch doch versuchen, seine erbärmliche Macht zu demonstrieren... Im Endeffekt war es dem Manticor egal, da er letztlich doch der Herrscher über Gaia werden würde... Ein Lächeln huschte über seine Lefzen. Dann musterte er wieder Mignon. Ihn lockte die starke Energie, die dieses seltsame Menschenkind ausstrahlte und doch schreckte er vor ihm zurück. Er war sich unsicher, ob er seine Kraft überhaupt aufnehmen und der seinen hinzufügen konnte... Neugierig beobachtete er Mignons Tanzen durch den Raum und grübelte nach, was dies für ein Wesen sein konnte... Mignon schlug ein Rad nach dem anderen und kam schließlich vor Tassilo wieder zum Stehen. Es summte noch immer und wirkte kein bisschen außer Atem. "Woher kommst du, mein Kind?" fragte der rothaarige Mann sie sanft. Er verspürte auf einmal das Bedürfnis, möglichst viel über es in Erfahrung zu bringen... Mignon lächelte ihn an und begann zu singen. Dabei tanzte es wieder durch den Raum. Es wirkte, als wenn es schweben würde, obwohl es keine Flügel hatte... "Kennst du das Land, wo zwei Monde des Nachts scheinen, wo Zitronen blühen und Goldorangen glühen? kennst du es wohl? daher komme ich... Kennst du die Welt, die sich ruhig dreht im Licht einer warmen Sonne und im Schatten grausamer Wesen? kennst du sie wohl? daher komme ich... Kennst du ein Land, voll Frieden und voll Freiheit, voll Leben und Glück, voll Zukunft und Kraft? kennst du es wohl? dahin werde ich gehen..." Verwirrt hörte Tassilo zu. Er kannte kein Land, in dem Zitronenbäume wuchsen... Vielleicht meinte Das Kind ja eines der südlichen Länder... Er kannte sich mit der Geografie Gaias herzlich wenig aus. Was ihn bisher interessiert hatte, war allein die Tatsache ganz Gaia möglichst schnell zu erobern... Nun, es schien Gaia zu meinen, irgendein Land Gaias, das zu klein war, als dass er ihm Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Nur fragte er sich, welches Land das sein mochte, in das das Kind gehen wollte. Er schüttelte langsam den Kopf und sah Mignon zu, wie es weiter durch den Saal wirbelte, ganz gefangen in seinem eigenen Lied. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)